EMDR - Grundlagen und Praxis - Francine Shapiro - E-Book

EMDR - Grundlagen und Praxis E-Book

Francine Shapiro

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Beschreibung

Das EMDR-Grundlagenwerk Dieses umfassende Basiswerk gibt einen fundierten Überblick über Entwicklung und Anwendung von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Es handelt sich dabei um eine von Francine Shapiro entwickelte klinische Behandlungsmethode für Trauma-Opfer mit Posttraumatischer Belastungsstörung. Augenbewegungen und andere Methoden der Rechts-Links-Stimulation werden dabei eingesetzt, um Trauma-Opfern bei der Aufarbeitung beunruhigender Gedanken und Erinnerungen zu helfen. Als integratives Therapiemodell, das verhaltenspsychologische, kognitive, psychodynamische, körperorientierte und systemische Elemente umfasst, ermöglicht EMDR, in relativ kurzer Zeit nachhaltige Resultate in der Arbeit mit Patienten zu erzielen. Die nochmals erweiterte und aktualisierte 3. Auflage in neuer Übersetzung dokumentiert - die wichtigsten Entwicklungen in EMDR-Forschung und -Praxis der letzten 15 Jahre; - neue Behandlungsprotokolle; - erfolgreiche Anwendungsfelder jenseits der Traumatherapie, wie Sucht, Angststörungen, Depression und chronische Schmerzen; - neue Sitzungstranskripte, Protokolle, Fragebögen und Diagnosekriterien.

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Seitenzahl: 1388

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Francine ShapiroEMDR – Grundlagen und PraxisHandbuch zur Behandlung traumatisierter Menschen

Über dieses Buch

Das EMDR-Grundlagenwerk 

Dieses umfassende Basiswerk gibt einen fundierten Überblick über Entwicklung und Anwendung von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Es handelt sich dabei um eine von Francine Shapiro entwickelte klinische Behandlungsmethode für Trauma-Opfer mit Posttraumatischer Belastungsstörung. Augenbewegungen und andere Methoden der Rechts-Links-Stimulation werden dabei eingesetzt, um Trauma-Opfern bei der Aufarbeitung beunruhigender Gedanken und Erinnerungen zu helfen. 

Die nochmals erweiterte und aktualisierte 3. Auflage in neuer Übersetzung dokumentiert 

die wichtigsten Entwicklungen in EMDR-Forschung und -Praxis der letzten 15 Jahre, neue Behandlungsprotokolle, erfolgreiche Anwendungsfelder jenseits der Traumatherapie wie Sucht, Angststörungen, Depression und chronische Schmerzen sowie neue Sitzungstranskripte, Protokolle, Fragebögen und Diagnosekriterien.

Francine Shapiro (1948–2019), die Begründerin und Entwicklerin von EMDR, war Senior Research Fellow am Mental Research Institute in Palo Alto, Kalifornien. Sie war Begründerin und Präsidentin der EMDR Humanitarian Assistance Programs, einer gemeinnützigen Organisation, die weltweit Katastrophenhilfsdienste und kostenlose Ausbildungen in Krisengebieten organisiert.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2022

Copyright der Originalausgabe: © 2018 by Francine Shapiro

Coverfoto: ©martypit – stock.adobe.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Die Originalausgabe ist 2018 unter dem Titel Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) Therapy – Basic Principles, Protocols, and Procedures, 3rd edition, bei The Guilford Press erschienen.

Published by arrangement with The Guildford Press.

Übersetzung: Christoph Trunk

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2022

EMDR™ ist ein eingetragenes Warenzeichen. Bei allen weiteren Nennungen innerhalb des Buches wird bei diesem Begriff auf das Warenzeichensymbol verzichtet.

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-843-5

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0281-3 (EPUB), 978-3-7495-0283-7 (PDF), 978-3-7495-0282-0 (EPUB für Kindle).

Lizenz für den eingeschränkten Gebrauch

Die in diesem Buch enthaltenen Materialien sind ausschließlich für den Gebrauch durch qualifiziertes Fachpersonal bestimmt.

Der Verlag erteilt der Käuferin eine nicht übertragbare Erlaubnis, Materialien zu verwenden, für die im Text eine ausdrückliche Genehmigung erteilt wird. Diese Lizenz ist auf den einzelnen Käufer für den persönlichen Gebrauch oder die Verwendung mit Klientinnen beschränkt. Das Material darf nicht zum Zweck des Wiederverkaufs oder der elektronischen Vervielfältigung sowie für andere Zwecke genutzt werden (dies schließt Bücher, Broschüren, Artikel, Video- oder Tonbänder, Blogs, Filesharing-Sites, Internet- oder Intranet-Sites und Handouts oder Folien für Vorträge, Workshops oder Webinare mit ein, ob kostenpflichtig oder unentgeltlich). Eine Genehmigung zur Vervielfältigung dieser Materialien für diese und andere Zwecke bedarf der schriftlichen Korrespondenz mit der Junfermann Verlag GmbH.

Für den Inhalt dieses Buches beruft sich die Autorin auf zuverlässige Quellen, um dem Leser umfassende Informationen zur Verfügung zu stellen, die den zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gängigen Standards der Forschung entsprechen. In Anbetracht der Möglichkeit menschlicher Fehler sowie stetiger Weiterentwicklungen im Feld der Psychologie und Medizin können weder die Autorin noch der Verlag noch andere an der Erstellung und Veröffentlichung des Buches beteiligte Personen gewährleisten, dass die hierin enthaltenen Informationen in jeder Hinsicht richtig oder vollständig sind, und sie können nicht zur Verantwortung gezogen werden für nicht sachgemäße Umsetzung der Inhalte. Die Leser werden ausdrücklich gebeten, die Richtigkeit der Informationen aus diesem Buch mit anderen Quellen abzugleichen.

* * *

Der Übersetzer dankt dem Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e. V. für ein Arbeitsstipendium, das vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg ermöglicht wurde.

Im Gedenken an meine Großeltern Charles und Lena Sumner,
meine Eltern Daniel und Shirley Shapiro
und meine Schwestern Debra und Marion
In Dankbarkeit gegenüber den Wegbereitern aller Generationen
und für die liebevolle Unterstützung
durch meinen Ehemann Bob Welch,
der eine der größten Segnungen meines Lebens ist

–––––––––––––

„Freiheit ist, wie wir mit dem umgehen, was uns widerfährt.“
– Jean-Paul Sartre

Käufer dieses Buchs können ausgewählte Materialien unter http://www.junfermann.de für den persönlichen Gebrauch oder die therapeutische Anwendung herunterladen und ausdrucken (siehe dazu die Hinweise im Impressum).

Vorwort zur deutschen Auflage

Die EMDR-Therapie ist international als eine Therapie der Wahl bei Posttraumatischen Belastungsstörungen und Traumafolgestörungen anerkannt.

In den letzten Jahren hat EMDR zugleich eine enorme Weiterentwicklung erlebt, die Dr. Francine Shapiro, die Autorin dieses Standardlehrbuches der EMDR-Therapie, noch bis zu ihrem Tod im Juni 2019 miterlebte und in diese überarbeitete Neuauflage ihres Buches aufnehmen konnte.

Viele dieser neueren Erkenntnisse und Studien sind vor allem in die Kapitel zu Protokollen und Verfahren für spezielle Situationen und weitere Abschnitte, in denen die Wirksamkeit von EMDR über die klassische PTBS hinaus beschrieben wird, eingegangen.

Wie auch in den bisherigen Auflagen dieses Buches ersichtlich, lag Dr. Shapiro mit der zunehmenden Verbreitung und internationalen Anerkennung der EMDR-Therapie die Qualitätskontrolle und Patientensicherheit sehr am Herzen. Die erste wissenschaftliche EMDR-Fachgesellschaft, die Frau Dr. Shapiro zeitgleich mit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches gründete und die Qualitätskriterien für EMDR-Behandlungen und -Ausbildungen festlegt, ist heute zu einem internationalen Netzwerk zur Entwicklung wissenschaftlicher Forschung und Standards herangewachsen. Die über 50 nationalen EMDR-Fachgesellschaften, die sich in Europa, Nord- und Südamerika sowie mittlerweile auch in Asien und Afrika fest etabliert haben, sind mit ihren großen Fachtagungen und Fachzeitschriften zu einem zentralen Sammelpunkt der wachsenden internationalen EMDR-Community geworden.

Die deutsche Fachgesellschaft für EMDR, EMDRIA e. V. – in Kooperation mit vielen Unterstützern – hat 2015 in Deutschland die Aufnahme von EMDR durch den GBA in die Regelversorgung der Kassenpatienten sowie 2019 die Aufnahme von EMDR in die fachärztliche Weiterbildung (für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin) verzeichnen können.

Das Buch, das Sie in der Hand halten, beschreibt daher nicht mehr eine experimentelle Psychotherapiemethode, wie dies in der ersten Auflage der Fall war, sondern einen wissenschaftlich belegten und in die Regelversorgung aufgenommenen Psychotherapieansatz.

Seit der Zeit der Endredaktion dieses Buches haben weitere wichtige Entwicklungen im Bereich der EMDR-Therapie stattgefunden.

Zum Ersten erschien im Februar 2019 eine Studie in der berühmten Fachzeitschrift Nature, die den wahrscheinlichen Hauptmechanismus der EMDR-Methode in einem neurobiologischen Mausexperiment belegen konnte (Baeck et al. 2019). Hierbei konnte an zwei Gruppen angstkonditionierter Mäuse gezeigt werden, dass die erneute Rekonfrontation mit dem mit Angst verbundenen Ton durch Augenbewegungen deutlich beschleunigt und nachhaltiger bearbeitet werden kann als durch die einfache Rekonfrontation ohne Augenbewegungen. Der neurobiologische Mechanismus, der in der Studie bis auf die zelluläre Ebene untersucht wurde, beweist eine direkte Verbindung zwischen den Augenbewegungen und der Herunterregulierung der Mandelkerne (Amygdala).

Zum Zweiten wurde eine Reihe von wissenschaftlichen Studien veröffentlicht, die zeigen, dass EMDR-Therapie auch bei primären depressiven Störungen der Behandlung mit Verhaltenstherapie mindestens gleichwertig ist (Äquivalenz). In einigen der mittlerweile über zehn RCT-Studien (randomisierte kontrollierte wissenschaftliche Studien) aus diesem Bereich zeigen sich weiterhin Anzeichen dafür, dass EMDR die Zahl depressiver Rückfälle vermindern könnte (Malandrone et al. 2019, Ostacoli et al. 2018). Dies ist sicher ein Bereich von hoher gesellschaftlicher Wichtigkeit, in dem weiter geforscht werden wird.

Zusätzlich hat eine neue Metaanalyse (eine Zusammenfassung von 90 kontrollierten RCT-Studien) aus England belegen können, dass EMDR-Therapie, verglichen mit neun anderen effektiven therapeutischen Ansätzen zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung, der Ansatz war, der die Lebensqualität der Patient*innen am günstigsten beeinflusste und gleichzeitig am kosteneffektivsten war (Mavranezouli et al. 2020).

Francine Shapiro hätte sich gefreut, diese Studien zu lesen, und hätte sie sicher in dieses Lehrbuch miteinbezogen.

Dr. Arne Hofmann EMDR Institut Deutschland

Quellen:

Baek, J., Lee, S. W., Cho, T., Kim, S. W., Kim, M., Yoon, Y., Kim, K. K., Byun, J., Kim, S. J., Jeong, J. & Shin, H. S. (2019). Neural circuits underlying a psychotherapeutic regimen for fear disorders. Nature, 566(7744), 339–343.

Malandrone, F., Carletto, S., Hase, M., Hofmann, A. & Ostacoli, L. (2019). A brief narrative summary of randomized controlled trials investigating EMDR treatment of patients with depression. Journal of EMDR Practice and Research, 13(4).

Mavranezouli, I., Megnin-Viggars, O., Daly, C., Dias, S., Welton, N. J., Stockton, S., Bhutani, G., Grey, N., Leach, J., Greenberg, N., Katona, C., El-Leithy, S. & Pilling, S. (2020a). Psychological treatments for post-traumatic stress disorder in adults: a network meta-analysis. Psychological Medicine, 50(4), 542–555.

Ostacoli, L., Carletto, S., Cavallo, M., Baldomir-Gago, P., Di Lorenzo, G., Fernandez, I., Hase, M., Justo-Alonso, A., Lehnung, M., Migliaretti, G., Oliva, F., Pagani, M., Recarey-Eiris, S., Torta, R., Tumani, V., Gonzalez-Vazquez, A. I. & Hofmann, A. (2018). Comparison of eye movement desensitization reprocessing and cognitive behavioral therapy as adjunctive treatments for recurrent depression: the European Depression EMDR Network (EDEN) randomized controlled trial. Frontiers in Psychology, 9, 74.

Vorwort

„Gesegnet, wer seine Arbeit gefunden hat. Er braucht nach keinem anderen Segen mehr zu verlangen.“

– Thomas Carlyle

Aufbruch zu neuen Ufern

Die Gelegenheit, die Einführung zu einer weiteren Ausgabe dieses Buchs zu schreiben, lässt mich wieder an den berühmten Satz des frühgriechischen Philosophen Heraklit denken: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn andere Wasser strömen nach.“ Es ist nun 30 Jahre her, dass ich die ersten Beobachtungen machte, die zur Entwicklung des Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) führten. Die EMDR-Therapie ist mittlerweile international als ein evidenzbasiertes Verfahren der Traumabehandlung anerkannt. Zunächst entbrannte eine kontroverse Debatte um die Wirksamkeit der Augenbewegungsserien, die seitdem aber durch mehr als 30 randomisierte Studien bestätigt wurde und, in Hunderten von im Peer-Review-Verfahren begutachteten Fachartikeln, für ein breites Spektrum von Klientengruppen dokumentiert ist. Angesichts der steten Veränderungen im Gesundheitswesen sowie in unserem Leben und Denken bin ich froh zu sehen, dass das Buch seine Relevanz für die klinische Praxis weitgehend behalten hat. Es ist gut gealtert.

Andererseits bot mir die Überarbeitung des Buchs die Gelegenheit, die neuesten theoretischen Überlegungen und Forschungsergebnisse darzulegen, an denen die Praxis des EMDR ausgerichtet ist, die Hinweise zu verschiedenen Klientengruppen zu erweitern und weitere therapeutische Methoden und Vorgehensweisen vorzustellen, die sich in der klinischen Arbeit als wertvolle Ergänzungen bewährt haben. Ich habe den umfangreichen Überblick zu kontrollierten EMDR-Studien aktualisiert und zeige mögliche neue Forschungsfelder auf. In den neu hinzugekommenen Anhängen finden sich hilfreiche Materialien sowohl für Therapeuten als auch für Forscher: Fragebogen, Formulare, Checklisten und Therapietranskripte.

Ich durfte in den vergangenen Jahren miterleben, dass in den Kreisen derer, die EMDR praktizieren, das internationale Engagement zur Linderung von Leid weiter lebendig bleibt. Die erste Fassung dieses Buchs war 1995 nur wenige Tage nach dem Bombenanschlag von Oklahoma City erschienen. Der Anfrage eines FBI-Agenten folgend, der zuvor einmal mit der EMDR-Methode behandelt worden war, reisten Freiwillige auf eigene Kosten dorthin, um traumatisierten Menschen Hilfe anzubieten. Die in Oklahoma ansässigen Therapeutinnen und Therapeuten, die bereits in EMDR ausgebildet waren, öffneten ihre Praxen und machten das Behandlungsangebot in der gesamten Region publik. Über die folgenden vier Monate hinweg reisten jede Woche zwei oder drei EMDR-Therapeuten nach Oklahoma, um dort unentgeltlich zu arbeiten. Sie behandelten zunächst traumatisierte Menschen, die im psychotherapeutischen Bereich tätig waren und von denen sie dann zur Behandlung von Helfern, die am Anschlagsort im Einsatz gewesen waren, und von Überlebenden des Anschlags weitervermittelt wurden. Am Ende der vier Monate wurde in Oklahoma City allen lizenzierten therapeutischen Fachkräften ein kostenfreier Trainingskurs angeboten, der sie in die Lage versetzte, die Arbeit fortzuführen. Dieses spontane Verfügbarmachen von Behandlungsangeboten gab den Anstoß zur Einrichtung der Trauma Recovery / EMDR Humanitarian Assistance Programs (siehe Anhang F) und machte deutlich, wie notwendig es ist, auf der ganzen Welt wissenschaftlich geprüfte Behandlungsverfahren mit therapeutischem Engagement zu verbinden. In den letzten zehn Jahren wurden von zahlreichen regionalen und landesweiten EMDR-Organisationen im Rahmen humanitärer Projekte kostenlose Behandlungen nach Naturkatastrophen und nach von Menschen verursachten Katastrophen angeboten. Die Wirksamkeit der bei diesen Projekten verwendeten Protokolle (die in späteren Teilen des Buchs beschrieben sind) ist in Studien bestätigt worden. Ich möchte Therapeutinnen und Therapeuten dringend bitten, sich die entsprechenden Verfahren und Protokolle anzueignen, damit sie bei Hilfsmaßnahmen im In- und Ausland mitwirken können. Wenn wir unsere Kräfte in diesem weltweiten Engagement zusammenführen, werden wir in der Lage sein, den Pflichten, die unser Berufsstand mit sich bringt, wirklich gerecht zu werden.

Um einen Vergleich zu wiederholen, den ich in der vorherigen Ausgabe des Buchs zog: Nach dem ersten Motorflug der Gebrüder Wright bei Kitty Hawk, North Carolina, dauerte es wenig mehr als 50 Jahre, bis die ersten Menschen auf dem Mond landeten. Doch trotz aller gewaltigen technischen Fortschritte sind Millionen von Menschen fortwährend großem Leid ausgesetzt, und auf der ganzen Welt dreht sich der Teufelskreis der Gewalt ungebrochen weiter. Als Gesellschaft sind wir zweifellos gefordert, einen großen Teil unserer riesigen Ressourcen anders einzusetzen und der Linderung weltweiten Leidens mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Wir müssen unsere Erwartungen steigern, was an Heilung und Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen möglich ist. Ein Teil des Problems lässt sich im Übrigen auch auf verschiedene Einstellungen zurückführen, die für unseren Berufsstand kennzeichnend sind. Denn während in den Naturwissenschaften die Zusammenführung von Erkenntnissen eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Verfeinerung technischer Anwendungen ermöglicht und innerhalb kurzer Zeit von Edisons Erfindungen zum Internet geführt hat, konnte die Psychotherapie irgendwie nicht Schritt halten. Grund dafür könnte ein unzureichender interdisziplinärer Wissensaustausch sein. Im vergangenen Jahrhundert sind viele psychologische Schulen entstanden, zwischen denen aber relativ scharfe Trennlinien bestehen blieben, und es gab wenig wechselseitige Befruchtung von Wissenschaft und Praxis. Wir sollten uns darüber klar werden, dass die psychologische Behandlung des Individuums die Zusammenführung von Wissen aus verschiedenartigen Ansätzen erfordert. Ich bin ganz auf der Linie derer, die glauben, dass wir unser therapeutisches Repertoire nicht durch Distanzierung oder Abgrenzung, sondern nur durch Integration stärken können (Beutler, 2009; Beutler, Someah, Kimpara & Miller, 2016; Norcross & Goldfried, 2005; Norcross & Shapiro, 2002, dt. 2003; Stricker, 2010).

Ganz in diesem Sinne hat sich EMDR in den letzten 30 Jahren von einer einfachen Technik zu einem integrierten Psychotherapieansatz entwickelt. Die therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten haben sich von der Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen auf ein breites Spektrum von Störungen und Beschwerden ausgedehnt. Wie wir sehen werden, gilt die Aufmerksamkeit dabei nicht nur der Beseitigung offenkundigen Leids, sondern auch dem übergreifenden klinischen Bild, das bei einer Person vorliegt, und zielt auf ihre individuelle Weiterentwicklung in vielen Aspekten und auf ihre Integration in umfassendere soziale Systeme. Deshalb werden Therapeuten aller Schulrichtungen zwischen der EMDR-Therapie und ihrer eigenen Praxis Gemeinsamkeiten finden und in der EMDR-Therapie Aspekte aus anderen Disziplinen erkennen, mit denen sie das eigene Vorgehen ergänzen und weiterentwickeln können. Ich glaube, dass diese Art der Synthese im besten Interesse unserer Klientinnen und Klienten ist.

Im Jahr 1987 machte ich die erste Beobachtung, die dann in die Entwicklung der EMDR-Therapie mündete. Der Weg zu dieser Entdeckung hatte jedoch fast zehn Jahre zuvor begonnen. 1979 begann ich an der New York University, an meiner Dissertation in englischer Literatur zu arbeiten, und hatte in dem betreffenden Fachgebiet bereits zahlreiche Beiträge veröffentlicht. Ich empfand meine Arbeit als bedeutungsvoll und war fasziniert von der Aufgabe, eine von denen sein, die unsere Kultur und die Literatur mit ihren feinen Nuancen und ihren komplexen Strukturen und Figuren erkunden.

Andererseits interessierte ich mich seit Langem für die Verhaltenstherapie und hatte schon früh Andrew Salter und Joseph Wolpe gelesen. Die Idee eines fokussierten, planbaren, am Ursache-Wirkungs-Prinzip orientierten Herangehens an die menschliche Psyche wies in meinen Augen starke Übereinstimmungen mit den Konzepten der literarischen Charakter- und Handlungsentwicklung auf. Immerhin gaben viele bekannte Autoren zu verstehen, dass Charaktere, die lebensecht gezeichnet und dann sich selbst überlassen werden, ihre eigenen Handlungsverläufe hervorbringen. Mit meinen Englisch-Professoren führte ich faszinierende Gespräche über Querverbindungen zwischen den vielschichtigen Texten, die ich las, und den Aussagen der Verhaltenstheorie über physiologische Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Mein Hauptinteresse galt aber nicht der Psychologie. Ich stand ganz aufseiten der Autoren, die daran glauben, dass die Menschheit zur Vervollkommnung imstande ist. Ich schwelgte darin, wie sich in den Meisterwerken der englischen Literatur menschliches Leid in Kunst verwandelt, und freute mich auf ein langes und produktives Berufsleben als Literaturkritikerin und Wissenschaftlerin. Doch als ich gerade mit meiner Dissertation über die Lyrik von Thomas Hardy beginnen wollte, bekam ich die Diagnose Krebs.

Die Konfrontation mit einer potenziell tödlichen Krankheit kann ein Wendepunkt sein und im eigenen Leben einen Kurswechsel einleiten. Mein Blick auf die Dimension der Zeit änderte sich. Das Leben war kein scheinbar endloser Weg mehr, der sich vor mir erstreckte. Der verhaltenstheoretische Begriff der „physiologischen Ursache-Wirkungs-Beziehung“ nahm mit einem Mal eine neue Bedeutung an. Ich konzentrierte mich nun auf das Wechselspiel von Psyche und externen Stressfaktoren. Ich begann mich auch zu fragen, warum wir technologisch so weit gekommen sind, aber nicht in der Lage zu sein scheinen, bei der Beherrschung unseres Geistes und Körpers Fortschritte zu erzielen.

Glücklicherweise stieß ich auf die Publikationen von Norman Cousins und anderer Autoren und Autorinnen im gerade entstehenden Forschungsfeld der Psychoneuroimmunologie. Dass ein Zusammenhang zwischen Krankheit und Stress besteht, lag für mich auf der Hand, doch welche Handlungskonsequenzen sich daraus ergaben, war unklar. Mittlerweile war, so meine Ärzte, meine Krebserkrankung geheilt, aber es gab keine Garantie, dass sie nicht wiederkehren würde. Die Botschaft an mich lautete in etwa: „Ihr Krebs ist weg, aber bei x Prozent der Menschen kommt er zurück. Wir wissen nicht, bei wem und in welcher Form er dann wieder auftritt, und können Ihnen nur alles Gute wünschen.“

Für mich trat nun die Frage in den Vordergrund, welche psychologischen und physiologischen Methoden tatsächlich eine gesundheitsfördernde Wirkung haben. Ich ging davon aus, dass es bereits nutzbringende psychologische und physiologische Ansätze geben musste, aber warum waren sie dann nicht allgemein bekannt? Mir erschien es mit einem Mal wichtiger, diese Methoden zu finden und Informationen darüber an Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten weiterzugeben, als die Literatur des 19. Jahrhunderts zu studieren und mich mit anderen über sie auszutauschen. Ich verließ New York, um an Workshops und Seminaren über Geist, Körper und psychologische Methoden zur Steigerung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens teilzunehmen.

Nach einiger Zeit richtete ich selbst öffentliche Workshops aus, um all das an andere weiterzugeben, was ich über die konkreten Möglichkeiten eines Lebens mit weniger Stress gefunden hatte. Damals schrieb ich mich auch für ein Doktoratsprogramm in klinischer Psychologie ein, um meine akademische Ausbildung zu einem Abschluss zu bringen. Der folgenreiche Spaziergang im Park, der meine Aufmerksamkeit auf die Effekte von Augenbewegungen lenkte, fiel in die Zeit, als ich gerade ein Dissertationsthema zu suchen begann. In jenem Moment kamen zwei Dinge auf glückliche Weise zusammen, nämlich dass ich auf meiner Suche nach Mechanismen des psychischen Wandels durch die ganzen USA reiste und dass ich ein Forschungsprojekt für meine Doktorarbeit brauchte.

Wie es mit der Entwicklung des EMDR weiterging, berichte ich in Kapitel 1. Hier bleibt nur zu sagen, dass auf meine Entdeckung der Effekte von Augenbewegungen die Ausarbeitung einer Methodik folgte, die schnell an Komplexität zunahm und für die sich immer mehr Anwendungsmöglichkeiten erschlossen. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben in der Anwendung des EMDR-Verfahrens ausgebildete Therapeutinnen regelmäßig von positiven Behandlungsergebnissen berichtet. Unsere therapeutische Arbeit mit EMDR zeigt uns, dass Leiden tatsächlich transformiert werden kann – nicht nur in Kunst, sondern auch in gelingendes Leben.

Dieses Buch ist ein Ergebnis der 30 Jahre, in denen ich Erfahrungen mit der Verfeinerung und Weitergabe der Methode gesammelt und die Anregungen zahlreicher versierter Ärzte und Forscherinnen aufgegriffen habe. Es enthält aus der Forschung abgeleitete Empfehlungen, Fallbeispiele sowie Hinweise auf Vorsichtsmaßnahmen, die auf den Erfahrungen von EMDR-Anwendern basieren.

Die Notwendigkeit einer fundierten Ausbildung

Seit 1979 liegt der Schwerpunkt meines Lebens auf dem Erlernen, Entwickeln und Weitergeben von Verfahren, die der psychischen Gesundheit förderlich sind, und so ist es nicht verwunderlich, dass meine Hauptsorge nun dem Klienten gilt. Am besten ist ihm gedient, wenn die Therapeutin sich an Forschungsergebnissen orientiert und bereit ist, dazuzulernen, ihre Fertigkeiten zu erweitern und mit innovativen Methoden zu experimentieren. Außerdem ist es im besten Interesse des Klienten, wenn die Therapeutin über eine staatliche Zulassung verfügt, wenn sie in den Methoden, die sie einsetzt, gut ausgebildet ist und wenn diese Methoden in geeigneten Studien auf ihre Wirksamkeit überprüft und dementsprechend immer wieder weiterentwickelt werden. Diese Vorstellungen stehen im Zentrum der EMDR-Therapie und bilden die Grundlage für den Erfolg des Verfahrens sowie für unsere Ausbildungsrichtlinien. Ich schätze mich glücklich, dass ich vielen Therapeuten und Forscherinnen begegnet bin, die diese Überzeugungen teilen.

EMDR-Ausbildungskurse werden weltweit an Universitäten und von unabhängigen Weiterbildungseinrichtungen angeboten. Da die Ausbildungsstandards nicht überall gleich hoch sind, sollten Interessenten sich an Anhang F orientieren. Anhang E umfasst die Ausbildungsrichtlinien der EMDR International Association (eines unabhängigen Fachverbands, der Ausbildung und klinische Praxis begleitet). Auf den Websites können die spezifischen Rahmenbedingungen der Ausbildung eingesehen werden (www.emdria.org; in Deutschland: www.emdria.de). Die Forschung zum EMDR hat einen Zusammenhang zwischen Behandlungstreue und Behandlungserfolgen ergeben (Maxfield & Hyer, 2002). Der eindeutig beste Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist die Ausbildung unter Supervision. Die übrigen Grundprinzipien, auf denen die Ausbildungsrichtlinien beruhen, ergeben sich aus logischen Überlegungen und der Einfühlung in die Ausbildungskandidaten. Eine Befragung der ersten 1200 ausgebildeten EMDR-Therapeuten ergab, dass nur zwei Prozent von ihnen eine Ausbildung unter Supervision für entbehrlich hielten (Lipke, 1994, 1995; die Ergebnisse sind in der ersten Ausgabe des vorliegenden Buchs von 1995 [deutsch 1998] in Anhang D wiedergegeben). Außerdem gaben 85 Prozent der Befragten an, dass EMDR bei ihren Klienten mehr emotional stark aufgeladene und bis dahin vergessene Erinnerungen aufsteigen ließ als jede andere seinerzeit angewandte Methode. Woher dieses Phänomen rührt, das uns das Wesen der Psychopathologie verstehen hilft, werde ich in diesem Buch eingehend darlegen. Wenn an solche Erinnerungen in adäquater Weise herangegangen wird, können sie schnell erfolgreich aufgearbeitet werden. Da die in EMDR-Sitzungen zutage tretenden dysfunktional gespeicherten Erinnerungen oft mit einer hohen psychischen Belastung der Klientin einhergehen, erscheint die Forderung naheliegend, dass der Therapeut über eine umfassende Ausbildung in der Methodik verfügen muss, welche die Erinnerungen zum Vorschein bringt und ihre Aufarbeitung ermöglicht. Kurz gesagt ist es im besten Interesse der Klientin, wenn der Therapeut gut dafür ausgebildet ist, das Ziel zu erreichen, dass es ihr besser geht.

Eine gute Ausbildung ist natürlich keine Garantie dafür, dass jede Behandlung zum Erfolg führt. EMDR ist kein Allheilmittel. Wie bei jeder Form der Psychotherapie gibt es auch Fehlschläge. Die Ethikrichtlinien psychotherapeutischer Berufsverbände sehen jedoch vor, dass eine Therapeutin durch Ausbildung und Supervision die notwendige Fachkompetenz erwerben muss, ehe sie Klienten behandeln oder Forschung betreiben darf. Durch eine sachgerechte Ausbildung steigt die Wahrscheinlichkeit von Behandlungserfolgen, und die Wahrscheinlichkeit, dass Klienten Schaden nehmen, wird geringer. Dieses Buch enthält zwar die Handlungsanweisungen, die für den Einstieg in die Anwendung des EMDR notwendig sind, doch es sollte nur im Rahmen einer supervidierten Ausbildung zum Einsatz kommen. Darauf werde ich im Weiteren immer wieder hinweisen.

Prinzipien und Verfahrensweisen

Ein bekanntes chinesisches Sprichwort besagt: „Gib einem Hungernden einen Fisch, und er wird einmal satt, lehre ihn Fischen, und er wird nie wieder hungern.“ Demzufolge ist es besser, Therapeuten ein Grundkonzept oder ein Modell anzubieten, an dem sie sich bei der Arbeit orientieren können, als ihnen lediglich unflexible Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Durchführung des EMDR vorzugeben. Neben Schritt-für-Schritt-Anleitungen stelle ich in diesem Buch deshalb eine neue Form des Denkens über Psychopathologie und Psychotherapie vor und erläutere darüber hinaus ein umfassendes Repertoire an Verfahrensweisen, die im Zuge der theoriegeleiteten klinischen Anwendung des EMDR entwickelt wurden. Das Verständnis der dargelegten Prinzipien versetzt Therapeuten in die Lage, die Behandlung auf die individuellen Bedürfnisse jeder einzelnen Klientin zuzuschneiden, ob diese nun eine Kurztherapie wegen eines klar umschriebenen Traumas benötigt oder eine umfassende Behandlung, die auf ein komplexeres klinisches Störungsbild zielt.

Eine der Grundannahmen der EMDR-Therapie ist, dass die meisten psychischen Störungen auf frühe Lebenserfahrungen zurückzuführen sind. Ziel der EMDR-Behandlung ist es, eine schnelle Metabolisierung der dysfunktional gespeicherten Überbleibsel von einst zu erreichen und sie in etwas Nützliches zu verwandeln. EMDR bewirkt im Wesentlichen, dass eine spontane Veränderung in Form und Bedeutung der dysfunktional gespeicherten Informationen einsetzt, und bezieht dabei Einsichten und Affekte ein, die das Selbstgefühl stärken, anstatt es zu schwächen. Ich beschreibe in diesem Buch die Komponenten und Strategien, die für eine erfolgreiche Behandlung erforderlich sind. Diese standardisierten Verfahren sind entwickelt worden, um eine optimale Aktivierung des angeborenen Informationsverarbeitungssystems zu gewährleisten und so eine vollständige Aufarbeitung belastender Erinnerungen zu erreichen. Die Verfahren sind in klinischen Studien eingehend geprüft und in ihrer Wirksamkeit immer wieder bestätigt worden. Eine umfassende Metaanalyse (Maxfield & Hyer, 2002) ergab, dass die ermittelten Behandlungseffekte umso stärker ausfielen, je strenger die in der jeweiligen EMDR-Studie verwendete Methodik war. Außerdem wurde eine positive Korrelation zwischen Behandlungstreue und Effektstärke festgestellt. Die Überprüfung der Behandlungstreue, die ein wichtiges Instrument methodisch anspruchsvoller Forschung ist, liefert den Nachweis, dass die standardisierten Verfahren sachgemäß eingesetzt wurden. Eine entsprechende Checkliste finden Sie in Anhang C. Das Verständnis der Prinzipien, auf denen die Vorgehensweisen basieren, unterstützt deren adäquate und flexible Anwendung.

Der Name der Therapie

Das Kürzel EMDR bezieht sich auf die Augenbewegungen, die 1987 der markanteste Bestandteil der Methodik zu sein schienen, doch mit den Jahren stellte sich heraus, dass der Name eine unnötige Hürde für Anerkennung und Anwendung des Ansatzes darstellt. Wie das vorliegende Buch zeigt, ist die EMDR-Therapie ein komplexes Verfahren, das zahlreiche Komponenten umfasst. Außerdem hat sich gezeigt, dass wir außer Augenbewegungen auch andere Arten von Reizen einsetzen können. Hätte ich noch einmal die Wahl, würde ich die Methode einfach „Neuverarbeitungstherapie“ (Reprocessing Therapy) nennen. Weil die Bezeichnung EMDR aber mittlerweile weltweit bekannt ist, habe ich mich dafür entschieden, an dieser Abkürzung und der ursprünglichen Benennung festzuhalten und darauf zu verweisen, dass sie letztlich nur von historischer Bedeutung sind. (Solche historische Namen gibt es viele. So wurde Coca-Cola beispielsweise nach dem ursprünglich enthaltenen Extrakt aus Cocablättern benannt, das aber schon lange nicht mehr zur Rezeptur gehört. Die diagnostische Bezeichnung Schizophrenie wird nach wie vor verwendet, obwohl das Konzept des „Spaltungsirreseins“ längst aufgegeben wurde. Das Unternehmen American Telephone and Telegraph, abgekürzt AT&T, heißt noch immer so, obwohl es längst keine Telegrafen mehr betreibt oder verkauft.) Wenn wir die Abkürzung EMDR verwenden, sollten wir daher immer mitbedenken, dass die Augenbewegungen nur eine Form von bifokalen Aufmerksamkeitsreizen sind, mit denen wir das Informationsverarbeitungssystem des Klienten aktivieren und Behandlungseffekte auslösen.

Zur Verwendung dieses Buchs

Nur psychotherapeutische Fachkräfte, die über eine staatliche Zulassung verfügen oder von zugelassenen Therapeuten supervidiert werden, sollten die in diesem Buch beschriebenen Verfahren und Protokolle einsetzen. Diese Einschränkung ist wichtig, denn als ein komplexes Therapieverfahren sollte EMDR nur auf der Grundlage eines vollständigen und detaillierten Behandlungsplans und mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen angewendet werden, die zu beachten ein zugelassener Therapeut gelernt hat. Therapieausbilderinnen können sich überlegen, ob sie es zur Bedingung machen möchten, dass ihre Schüler zunächst ein Praktikum unter Supervision absolvieren, ehe sie sie in das EMDR-Verfahren einführen. In diesem Buch sind zwar auch Vorschläge für Gestaltung und zeitliche Planung eines supervidierten EMDR-Praktikums enthalten, doch das entscheidende Feld für das Erlernen des Ansatzes ist in jedem Fall ein regulärer Lehrgang bei lizenzierten erfahrenen EMDR-Ausbildern. Die ersten Leitlinien für solche Schulungen hat die EMDR International Association (EMDRIA) aufgestellt und ihre Grundprinzipien wurden von regionalen und nationalen EMDR-Verbänden in Nord- und Südamerika, Europa, dem Nahen Osten und Asien übernommen. Alle qualifizierten Ausbilder sind gehalten, ihre Kurse beim jeweiligen Verband ihrer Region (siehe Anhang F) anzumelden und ordnungsgemäß evaluieren zu lassen. Wenn die Kurse in dieser Weise registriert sind, können Interessierte auf die für sie geeigneten Angebote verwiesen werden und wir können Klienten zusichern, dass bei ihnen die adäquaten EMDR-Therapieprotokolle und -verfahren zur Anwendung kommen werden. Wer EMDR-Kurse an Universitäten und privaten Ausbildungszentren belegen will, sollte sich beim jeweiligen Verband erkundigen, ob er die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt.

Beim Schreiben dieses Buchs hatte ich vier Lesergruppen im Blick: Universitätsdozenten, Forscherinnen, Therapeuten und Studentinnen in der Therapieausbildung. Ich habe bei Sprache und Aufbau des Buchs auf alle diese Gruppen zu achten versucht. Wer sich insbesondere für die Geschichte des EMDR, für unterstützende Forschungsergebnisse, die Theorie und den Vergleich mit anderen Traumatherapien interessiert, sei auf die Kapitel 1, 2 und 12 verwiesen. Für Therapeuten, denen es vor allem um die Aneignung der Verfahrensweisen und Protokolle geht, enthalten diese drei Kapitel (insbesondere Kapitel 2) zwar durchaus einiges an aufschlussreichem Material, doch sie werden vor allem im Rest des Buches fündig werden.

Geschlechtergerechte Sprache

Um einerseits einen diskriminierenden Sprachgebrauch zu vermeiden, andererseits aber auch die Lesbarkeit des Textes nicht mit einer durchgängigen Nennung sowohl von Frauen als auch von Männern zu mindern, wechsle ich im Buch zwischen männlichen und weiblichen Personalpronomen hin und her.1

Therapieforschung und Weiterentwicklung des Verfahrens

Die Weiterentwicklung des EMDR von einer einfachen Technik zu einem komplexen Psychotherapieverfahren gründet weitgehend auf Forschungsergebnissen und klinischen Beobachtungen. Die Notwendigkeit kontrollierter Studien zur Überprüfung des EMDR-Therapieansatzes ist unbestreitbar, da wie bei jeder Therapieform der einzelne Therapeut in seinem Urteil Verzerrungen und Fehleinschätzungen unterliegen kann. In den letzten Jahren haben unabhängige Arbeitsgruppen (unter anderem der Weltgesundheitsorganisation und der International Society for Traumatic Stress Studies) eine große Datenbasis mit kontrollierten Studien gesichtet und auf dieser Grundlage die EMDR-Therapie als ein durch empirische Befunde gestütztes und wirksames Standardverfahren zur Behandlung psychischer Traumata anerkannt. Auf die betreffenden Studien, auf Studien zu anderen psychischen Störungen, auf sich daraus ergebende Folgerungen für die Forschung sowie auf Vorschläge für künftige Untersuchungen gehe ich in Kapitel 12 ausführlich ein. Doch obgleich die EMDR-Therapie bei einer Vielzahl von erlebensbezogenen Beschwerden wirksam zu sein scheint, sollte sie, bis umfangreiche vergleichende Untersuchungen dies für jede einzelne der Störungen bestätigt haben, nur unter der Voraussetzung zur Anwendung kommen, dass der Klient jeweils über den Forschungsstand informiert und dann um sein Einverständnis zur Behandlung gebeten wird. Dieser Vorbehalt gilt natürlich auch für jede andere Form der Therapie und für alle Arten von psychischen Störungen.

Durch wissenschaftliche Forschung und klinische Beobachtung entwickelt sich die EMDR-Therapie stetig weiter. Die Grundprinzipien und Kernelemente der therapeutischen Praxis, die sich bislang bewährt haben, stelle ich in diesem Buch vor. Wie bei jedem neuen Wissensgebiet, das Sie sich erschließen, sind Sie gefordert, offen zu sein und sich zugleich eine gesunde Skepsis zu bewahren. An eingespielten therapeutischen Vorgehensweisen etwas zu verändern ist unter Umständen nicht einfach. Dieses Buch kann nur der Anfang eines Lernprozesses und einer, wie ich hoffe, lohnenden Entdeckungsreise sein. Subjektive Einschätzungen von therapeutischen Prozessen und persönliche Beobachtungen können Irrtümern unterliegen, doch ohne sie kann es keine fundierte wissenschaftliche Forschung und auch keine Freude an unserem helfenden Beruf geben.

1  In der deutschen Übersetzung wurde dieses Prinzip durch den Wechsel zwischen weiblichen und männlichen Personenbezeichnungen umgesetzt.

Dank

Ohne die unbeirrbare Unterstützung von Robbie Dunton hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Sie hat dafür gesorgt, dass in meinem Kalender und in meinem Kopf Platz für die Aufgabe blieb. Ich bin ihr dankbar für ihr Organisationsgeschick, noch mehr aber für ihre liebende Güte und ihre Haltung der Großzügigkeit, auf die ich mich immer verlassen konnte. Besonderer Dank gilt auch Barbara Hensley und Jessica Cowan für die Unterstützung bei Forschungsprojekten. Das Buch gründet auf den Erfahrungen Hunderter von Therapeuten und Forscherinnen, und ich hoffe, ich habe ihre Arbeit angemessen gewürdigt. Mein besonderer Dank gilt denen, die mir ihr Fachwissen zugänglich gemacht und Wesentliches zu den Abschnitten über Themen, die zu ihren Spezialgebieten gehören, beigetragen haben. Ich nenne sie in alphabetischer Reihenfolge: Susan Brown (Suchterkrankungen), Isabel Fernandez (Katastropheneinsätze), Ana Gomez (Kinder), E. C. Hurley (Militärangehörige), Louise Maxfield (Paare), Liesbeth Mevissen (geistige Behinderung / Autismus-Spektrum-Störungen), Marco Pagani (Neurophysiologie), Gerald Puk (Dissoziation), Sarah Schubert (Theorie der Augenbewegungen), Rosalie Thomas (Katastropheneinsätze) und Debra Wesselmann (Kinder). Ich bin Roger Solomon sehr dankbar für seinen Beitrag zu Anhang B und Deborah Korn, Louise Maxfield und Allen Rubin für ihre umfassende Vorbereitung der Materialien für Anhang C. Ich danke allen, die sich die Zeit genommen haben, einzelne Kapitel oder Abschnitte zu lesen, und mir wertvolle Anregungen gaben: Benedikt Aman, Susan Brown, Ad de Jongh, Isabel Fernandez, Irene Giessl, Barbara Hensley, Cynthia Kong, Deborah Korn, Deany Laliotis, Christopher Lee, Jennifer Lendl, Patti Levin, Louise Maxfield, Mark Nickerson, Udi Oren, Curt Rouanzoin, Mark Russell, Steve Silver, Roger Solomon und Robert Stickgold. Mein herzlicher Dank gilt auch dem Team von The Guilford Press, insbesondere dem leitenden Lektor Jim Nageotte für seine scharfsinnigen Vorschläge und der Produktionsleiterin Jeannie Tang für die umsichtige Betreuung des Buches im Produktionsprozess.

Die Einführung einer Innovation in die Welt der Psychologie ist bekanntermaßen schwierig, aber ich habe das Glück, dass ich umgeben bin von einem sich stetig erweiternden Kreis aufgeschlossener, hochqualifizierter Therapeuten und Forscherinnen, deren Können und Lauterkeit mir die Gewissheit geben, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auch wenn es vermessen klingen mag, anderen für Dinge zu danken, die sie aus eigenem Antrieb und aus persönlicher Verantwortung getan haben, möchte ich sagen: Ich bin allen EMDR-Ausbilderinnen, Unterstützern und Therapeuten, die den Mut hatten, etwas Neues auszuprobieren und dann anderen von ihren Erfahrungen zu erzählen, unendlich dankbar.

Schließlich danke ich meinem Mann Bob Welch für seine wissenschaftliche Sorgfalt, seine Geduld und seine unermüdliche Unterstützung.

1. Zur Geschichte des EMDR

„Es gibt ein Prinzip, das eine Schranke gegen jede Information, ein Beweis gegen alle Argumente ist und nicht darin fehlen wird, einen Menschen in immerwährender Unwissenheit zu halten – dieses Prinzip ist Verachtung vor Untersuchung.“

– Herbert Spencer

Seit ihren Anfängen im Jahr 1987 ist die Therapiemethode des Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR, zu Deutsch etwa: Desensibilisierung und Neuverarbeitung durch Augenbewegungen) in randomisierten kontrollierten Studien (englisch: randomized controlled trials, kurz RCTs) empirisch überprüft und in ihrer Wirksamkeit bestätigt worden. Sie ist weltweit als eine wirksame Methode zur Behandlung von Traumfolgen und eines breiten Spektrums erfahrungsbedingter Störungen anerkannt. Die Entwicklung der Therapiemethode und ihr theoretisches Konzept ergaben sich aus der Erforschung regelmäßig erzielter Behandlungseffekte, die es erlaubte, die eingesetzten Vorgehensweisen und Behandlungsprotokolle zu einem umfassenden therapeutischen Ansatz auszuarbeiten. Wie wir sehen werden, enthalten die standardisierten Verfahrensweisen und die Theorie der Informationsverarbeitung, die das Handeln des EMDR-Therapeuten leiten, viele Aspekte, die den meisten in Therapie, Lehre und Forschung tätigen Leserinnen und Lesern vertraut sein dürften.

Der bekannteste Aspekt, dem das EMDR auch seinen Namen verdankt, sind die zur Behandlungsmethode gehörenden Augenbewegungen. Die positiven Wirkungen dieser Komponente sind mittlerweile in einer Metaanalyse von 26 randomisierten kontrollierten Studien bestätigt worden (Lee & Cuijpers, 2013). Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, dass wir das gesamte System der Behandlungsmethode betrachten. Augenbewegungen sind nur eine von mehreren einsetzbaren Stimulationsformen und stellen nur eine einzelne Komponente des komplexen Behandlungsansatzes dar. Außerdem zielt das Verfahren, auch wenn im Namen das Wort desensitization (Desensibilisierung) enthalten ist, nicht einfach auf Angstreduktion. Wie ich bereits im Vorwort angemerkt habe, würde ich, wenn ich den Ansatz heute neu zu benennen hätte, die Bezeichnung „Neuverarbeitungstherapie“ (reprocessing therapy) wählen. Dementsprechend werde ich in diesem Buch durchweg, auch wenn das Akronym EMDR als Name der Therapieform bestehen bleibt, auf die folgenden Punkte Wert legen:

Die bilaterale doppelte Stimulation der Aufmerksamkeit

(bilateral dual attention stimulation)

ist nur eine von mehreren Komponenten, die zusammen mit für die Methode spezifischen Elementen sowie mit Aspekten, die aus allen großen Hauptströmungen der Psychotherapie übernommen und miteinander verbunden wurden, ein integriertes Ganzes bildet.

Die Wirkungen der EMDR-Therapie gründen in einem umfassenden Behandlungsansatz, der uns dazu anhält, sehr genau auf innere Bilder, Überzeugungen, Emotionen, körperliche Reaktionen, klarer ins Bewusstsein tretende Aspekte, innere Stabilität, Resilienz und zwischenmenschliche Systeme zu achten.

Je nach vorliegendem Typus der Pathologie müssen wir unterschiedlichen EMDR-Protokollen folgen und therapeutische Vorgehensweisen einsetzen, die auf die Bedürfnisse der jeweiligen Klientin zugeschnitten sind.

Ziel der in acht Phasen gegliederten EMDR-Therapie ist es, dem Klienten dabei zu helfen, sich von der Vergangenheit zu befreien und offen zu werden für eine gesunde und produktive Gegenwart.

Die Beherrschung der grundlegenden Prinzipien, Verfahrensweisen und Protokolle der EMDR-Therapie versetzt den Therapeuten in die Lage, die Klientin dabei zu unterstützen, negative Erfahrungen in adaptive Lernerfahrungen umzuwandeln. Beispielsweise prüft er bei der Behandlung eines Vergewaltigungsopfers, welche verschiedenen Aspekte des Traumas für die Klientin belastend sind. Dazu können gehören: intrusive (sich aufdrängende) innere Bilder; negative Gedanken oder Überzeugungen der Klientin in Bezug auf sich selbst oder auf ihre Rolle bei der Vergewaltigung; negative Emotionen wie Angst, Schuldgefühle und Scham sowie die damit verknüpften Körperempfindungen; die Vorstellungen der Klientin davon, wie sie stattdessen gern über sich selbst denken würde. Oft erlebt sie zunächst starke Angst und Scham; Erinnerungsbilder von der Vergewaltigung brechen ständig in ihr gegenwärtiges Leben ein und sie quält sich mit negativen Gedanken wie „Ich bin schmutzig“ oder „Es war meine Schuld“. Nach einer erfolgreichen Behandlung, bei der der Therapeut die Methoden des EMDR eingesetzt hat, um spezifische innere Reaktionen in den Fokus zu rücken, wird die Klientin in der Lage sein, sich die Situation der Vergewaltigung in Erinnerung zu rufen, ohne dass Angst und Scham in ihr aufsteigen. Sie kann sich als handlungsfähig erleben und sagen: „Ich habe das sehr gut gemacht. Er hat mir ein Messer an die Kehle gehalten und ich bin da lebend rausgekommen.“ Zu dieser positiven Veränderung ihrer Gedanken und Überzeugungen kommt hinzu, dass sie nicht länger von inneren Bildern der Vergewaltigungssituation bedrängt wird. Wenn sie sich daran erinnert, geht das nun mit neutralen oder positiven und nicht mehr mit verstörenden Emotionen, Gedanken und Körperempfindungen einher. Eine Frau sagte nach der EMDR-Behandlung über die Vergewaltigung: „Die inneren Bilder sind nach wie vor schlimm, aber nicht, weil ich denke, ich hätte etwas falsch gemacht.“ Die Vorstellung von sich selbst, die sie verinnerlicht hatte, war vielmehr: „Ich bin eine starke Frau, die nicht kleinzukriegen ist.“

Wie dieses Beispiel zeigt, ist die EMDR-Therapie ein Katalysator für Lernprozesse. Durch die Arbeit an einer belastenden Erinnerung verlieren die negativen inneren Bilder, negativen Überzeugungen und negativen Emotionen an Lebhaftigkeit und Bedeutsamkeit. Die betreffende Erinnerung wird mit adäquateren Informationen gekoppelt: Die Klientin vermag aus der belastenden Erfahrung das abzuleiten, was für sie notwendig und hilfreich ist, und das Ereignis wird in einer anpassungsdienlichen, gesunden, nichtbelastenden Form neu abgespeichert. Lernen ist aber ein kontinuierlicher Prozess. Wenn also eine positive Vorstellung in den Fokus gerückt wird, die beispielsweise aus dem Bild einer erstrebenswerten Zukunft besteht, dann werden die inneren Bilder, Überzeugungen und Affekte mit der Zeit lebhafter, reichhaltiger und bedeutsamer. Die EMDR-Therapie zielt deshalb darauf, (1) die Klientin darin zu unterstützen, aus den negativen Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen, (2) ihre Ansprechbarkeit für Trigger in der Gegenwart, die sie in einer nicht situationsadäquaten Weise belasten, zu mindern, und (3) ihr zu helfen, sich Muster für angemessenes Handeln in der Zukunft anzueignen, die sie in die Lage versetzen, als Individuum und in ihrem zwischenmenschlichen Umfeld ihr Potenzial zu entfalten.

An dieser einfachen Beschreibung des dreigliedrigen Standardprotokolls wird deutlich, dass die EMDR-Therapie Aspekte aus vielen großen Psychotherapieschulen zusammenführt: das Achten auf ätiologisch bedeutsame Ereignisse, das in der psychodynamischen Tradition eine große Rolle spielt; die von der Verhaltenstherapie betonten konditionierten Reaktionen; die Annahmen und Überzeugungen, auf die die kognitive Therapie abhebt; die für erlebenszentrierte Therapieformen wesentlichen Emotionen; die Körperempfindungen, an denen Körpertherapien ansetzen; die für die Hypnotherapie typische Arbeit mit Vorstellungen und inneren Bildern; die systemtheoretische Einbeziehung des Kontextes. Es wird im Buch immer wieder um diese Integration der großen Psychotherapiemodelle gehen.

Im Rahmen dieses übergreifenden EMDR-Ansatzes sind sämtliche Verfahrensweisen und Behandlungsprotokolle darauf ausgerichtet, dass wir, indem wir dem Klienten zum einen eine unterstützende Umgebung anbieten und ihn zum anderen zur Aufarbeitung von Informationen anregen, auf positive Behandlungseffekte hinwirken (siehe auch Shapiro, 1999, 2002a; Shapiro & Laliotis, 2011). Jeder Behandlungseffekt gründet in der Interaktion von Klient, Therapeutin und Methode. Die Therapeutin muss sich im Klaren sein, wie sie den Klienten in angemessener Weise auf das weitere Vorgehen vorbereiten und auf seine individuellen Bedürfnisse eingestimmt bleiben kann, während in ihm das System der Informationsverarbeitung aktiviert bleibt, damit Lernprozesse stattfinden können. Sie muss eine umfassende Anamnese erheben, um geeignete Ansatzpunkte zu erfassen, die sich als Fokus für den Verarbeitungsprozess eignen, und Entwicklungsdefizite zu erkennen, auf die sie möglicherweise wird eingehen müssen. Die EMDR-Therapie hat sich bei der Behandlung starker Traumatisierung als höchst erfolgreich erwiesen (Bisson, Roberts, Andrew, Cooper & Lewis, 2013; Watts et al., 2013; siehe Kapitel 12) und Beobachtungen aus Tausenden von Therapiesitzungen in den letzten Jahren machen deutlich, dass die negativen und lang anhaltenden Auswirkungen von frühen belastenden Erfahrungen der verschiedensten Art starke Ähnlichkeiten miteinander aufweisen können.

So spüren viele von uns, wenn sie sich ein beschämendes Erlebnis in ihrer Kindheit in Erinnerung rufen, dass sich wieder dieselben Empfindungen wie damals regen oder dass automatisch ein Gedanke hochkommt, den sie damals hatten. Wir merken, wie wir uns wieder vor Scham winden. Laut dem Modell der adaptiven Informationsverarbeitung (AIP-Modell), dem das therapeutische Vorgehen des EMDR folgt (siehe Kapitel 2), ist das betreffende Ereignis nicht hinreichend verarbeitet worden, und deshalb nehmen, wenn wir in der Gegenwart mit ähnlichen Umständen konfrontiert sind, automatisch einsetzende Gedanken, Emotionen und körperliche Reaktionen Einfluss auf unser Wahrnehmen und Handeln. Wir reagieren dann zum Beispiel negativ auf Autoritätsfiguren, auf Gruppen, auf neue Lernerfahrungen oder auf andere Aspekte, die mit der betreffenden Erinnerung verknüpft sind. Es handelt sich nicht einfach um konditionierte Reaktionen, sondern um Reaktionen, die in den gespeicherten Erinnerungen angelegt sind. Wenn dagegen ein Ereignis hinreichend verarbeitet worden ist, erinnern wir uns daran, ohne die Emotionen oder Sinnesempfindungen von damals in der Gegenwart wiederzuerleben. Die Erinnerungen liefern uns dann Informationen, üben aber keine Kontrolle über uns aus.

Wie ich in Kapitel 2 erläutern werde, gehen die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zweifellos auf solche in dysfunktionaler Weise gespeicherten Erfahrungen zurück. Die Albträume, Flashbacks und intrusiven Gedanken sowie das hohe Arousalniveau lassen sich als Anzeichen für diese zustandsabhängige Art der Speicherung verstehen. Die Betroffenen erleben übermäßig starke Angst und Ohnmacht und verhalten sich dementsprechend. Die EMDR-Therapie hat uns in den vergangenen Jahren verstehen lassen, dass vergleichbare negative und lang anhaltende Effekte auch von Ereignissen ausgehen können, die im Leben von Menschen sehr häufig vorkommen, also etwa von demütigenden und enttäuschenden Erfahrungen in der Kindheit. Diese klinischen Beobachtungen werden, wie ich im nächsten Kapitel im Einzelnen darlegen will, durch Forschungsergebnisse gestützt. Auch wenn die belastenden Erfahrungen keine intrusiven inneren Bilder, wie sie für die PTBS typisch sind, hervorrufen mögen, lassen sie in Körper und Psyche doch Emotionen, Vorstellungen und Empfindungen entstehen, die darauf Einfluss nehmen, wie wir Situationen wahrnehmen, und zu inadäquatem Verhalten im Hier und Jetzt führen. Einfach gesagt: Die Vergangenheit bricht in die Gegenwart ein. Deshalb ist es unerheblich, ob eine PTBS nun durch ein „großes“ Trauma („big T“ traumatic event) ausgelöst wird oder durch die allgegenwärtigen „kleinen“ traumatischen Ereignisse („small t“ events), von denen jede Kindheit durchzogen ist. Es entwickeln sich lang anhaltende negative Einwirkungen auf Selbst und Psyche, die die Definitionskriterien eines Traumas erfüllen. Aus Sicht der Informationsverarbeitung lässt sich das so beschreiben, dass das Trauma in dysfunktionaler Weise in Form einer episodischen emotionalen Erinnerung gespeichert ist, wodurch verhindert wird, dass sich daraus im Lauf der Zeit eine verwertbare, semantisch integrierte Erinnerung bilden kann. (Umfassende Darlegungen zu Gedächtnissystemen finden sich bei: Alberini & LeDoux, 2013; Armony & LeDoux, 1997; Lane, Ryan, Nadel & Greenberg, 2015; Schacter & Tulving, 1994; Squire, 2004; Stickgold, 2002; van der Kolk, 2014; van der Kolk, Hopper & Osterman, 2001). Ziel der EMDR-Therapie ist zunächst, die traumatisierenden Erfahrungen aufzuarbeiten und der Klientin dabei zu helfen, sich von ihnen zu befreien und in der Gegenwart anzukommen.

Der für die klinische Praxis wesentliche Unterschied zwischen einem in anpassungsdienlicher Weise verarbeiteten Ereignis und einem dysfunktional gespeicherten Ereignis besteht darin, dass im ersten Fall adäquate Lernvorgänge abgelaufen sind, die zusammen mit angemessenen Emotionen abgespeichert sind, an denen die Person sich künftig orientieren kann. Die in dysfunktionaler Weise gespeicherte Erinnerung enthält nach wie vor einige der Sinneswahrnehmungen und Gedanken, die zum Zeitpunkt des Ereignisses gegeben waren. Im Grunde ist die Person in der Perspektive der Kindheit gefangen, sodass sie die Gegenwart ähnlich wie damals unter dem Blickwinkel der Unzulänglichkeit („Ich bin nicht liebenswert“, „Ich bin nicht gut genug“), des Mangels an Geborgenheit oder des Ausgeliefertseins wahrnimmt. Als Therapeutinnen beobachten wir das tagtäglich: Ein Klient „weiß“, dass es eigentlich keinen Grund gibt, sich als ohnmächtig, hilflos oder nicht liebenswert zu erleben, aber so fühlt er sich nun einmal. Vielleicht verfällt er, wenn er von den einstigen Erfahrungen spricht, in eine kindliche Intonation. Es besteht eine Kluft zwischen dem, was er tun will, und dem, was er tun kann, zwischen den Möglichkeiten, die ihm eigentlich zur Verfügung stehen, und seiner Fähigkeit, die Situation entsprechend wahrzunehmen und zu nutzen. Die EMDR-Therapeutin muss daher ermitteln, welche Ereignisse in dysfunktionaler Form gespeichert sind und die aktuelle Wahrnehmung des Klienten behindern und einfärben (Shapiro, 2007, 2014a; Shapiro & Forrest, 1997 / 2016), und ihn bei der Verarbeitung der Ereignisse unterstützen. Das EMDR fördert im Wesentlichen ein multidimensionales Lernen auf emotionaler, kognitiver und physiologischer Ebene.

In zahlreichen kontrollierten PTBS-Studien mit Menschen, die unter den Nachwirkungen traumatischer Ereignisse leiden, und auch mit Menschen, bei denen sich infolge widriger Lebensereignisse andere Störungen entwickelt haben, führte eine EMDR-Behandlung dazu, dass sich eine rasche Besserung einstellte und bei einer Vielzahl von Messvariablen der „Normalbereich“ erreicht wurde (einen Überblick über Forschungsstudien bietet Kapitel 12). Bei Indikatoren der Selbstwirksamkeitserwartung und des Wohlbefindens war eine Steigerung, bei Angst- und Depressionswerten eine Minderung festzustellen. Dieselben Effekte sind auch in der klinischen Praxis erkennbar, was die Annahme zu stützen scheint, dass die Neuverarbeitung von Kindheitserfahrungen, die in dysfunktionaler Weise gespeichert sind, den Klienten in die Lage versetzt, wirklich erwachsen zu werden. Das heißt, die meisten Erscheinungsformen von Dysfunktionalität, die wir im gesamten Spektrum psychischer Störungen beobachten, lassen sich offenbar auf erfahrungsbasierte Faktoren zurückführen. Nun ist das jeweilige klinische Gesamtbild zweifellos auch geprägt vom Wechselspiel zwischen genetischer Prädisposition und Faktoren wie Erschöpfung und Substanzmissbrauch, welche die Resilienz beeinträchtigen. Und es ist davon auszugehen, dass manche Störungen, so etwa bestimmte Depressionsformen, ausschließlich durch organische Defizite verursacht und einer EMDR-Behandlung deshalb nicht zugänglich sind. Forschungsergebnisse und klinische Erfahrung lassen aber darauf schließen, dass die meisten Störungsbilder, darunter auch einige Formen der Depression, in früheren Erfahrungen gründen, die mit Affekten der „Hilflosigkeit“ und „Hoffnungslosigkeit“ verknüpft sind oder mit anderen Aspekten des Emotionsspektrums, die zu Selbstabwertung und einem Erleben geringer Selbstwirksamkeit führen. Die EMDR-Therapie ist keineswegs ein Allheilmittel. Ihre spezifische Rolle besteht darin, die Metabolisierung der erfahrungsbezogenen Faktoren zu unterstützen, die zur aktuellen Dysfunktionalität beitragen. Diese Faktoren reichen von leicht zu ermittelnden belastenden Erfahrungen wie einer Vergewaltigung und einem tätlichen Übergriff bis hin zu Interaktionen mit Angehörigen, Gleichaltrigen, Lehrern oder Fremden, die auf den ersten Blick zwar harmlos wirken mögen, aber dauerhafte negative Effekte hinterlassen haben.

Bei vielen unserer Klienten scheint die einfache Bearbeitung dieser frühen Erfahrungen den Weg dafür zu bahnen, dass die richtigen kognitiven und emotionalen Verbindungen hergestellt werden und sich spontan adaptive Verhaltensweisen herausbilden, die mit hilfreichen Einsichten und einem positiven Selbstkonzept einhergehen. Bei Klienten, die als Kind schwer vernachlässigt und misshandelt oder missbraucht wurden, ist es aber auch wichtig, sich darüber klar zu werden, welche Entwicklungsfenster sich damals möglicherweise geschlossen haben, noch ehe wichtige innere Strukturen aufgebaut waren. Konnte sich das traumatisierte Kind seinerzeit das Konzept der Objektkonstanz aneignen oder muss dieses erst noch im Lauf der Therapie vermittelt werden? In welchen Aspekten muss die Therapeutin eine Modellfunktion für den Klienten übernehmen? Welche Erfahrungen müssen ihm ermöglicht werden, damit sich gesunde Beziehungsmuster entwickeln können? Sobald innerhalb der therapeutischen Beziehung positive Interaktionen dieser Art aufgebaut sind, werden auch sie im Gedächtnis gespeichert und können mittels der EMDR-Verfahren weiter verstärkt werden.

Als Therapeutinnen muss uns daran gelegen sein, unsere Klienten als komplexe Wesen zu betrachten, bei denen alle Ebenen des Wahrnehmens, Denkens, Vorstellens, Fühlens und Handelns im Spiel sind. Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, einfach nur das offen sichtbare Leid zu beseitigen. Unsere Klienten haben mehr verdient als das. Sie sollen fähig werden, zu lieben, Bindungen aufzubauen, erfolgreich zu sein und, wenn sie das möchten, auch offen dafür zu werden, für andere da zu sein. Sie haben es verdient, all die Eigenschaften zu entfalten, die Maslow (1970) der Selbstaktualisierung zurechnet. Um dies zu erreichen, folgen wir dem dreigliedrigen EMDR-Standardverfahren, das es uns bei jedem Klienten ermöglicht, in umfassender Weise auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einzugehen. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass keinem die ihm gebührende Beachtung und Anerkennung versagt bleibt.

Die Zeiten, in denen die menschliche Innenwelt noch als reine „Blackbox“ betrachtet wurde, liegen weit zurück. Entwicklungsneuropsychologen zeigten auf, dass Vernachlässigung und Mangel an positiven Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit dazu führen können, dass die für Selbsttröstung und Selbstregulierung notwendige kortikale Organisation nicht hinreichend ausgebildet wird (Schore, 1997, 2001, 2015; Siegel, 2002, 2012, 2016). Diese und andere Forschungsergebnisse wurden in der EMDR-Praxis aufgegriffen und haben bewirkt, dass mehr Wert auf die Notwendigkeit der frühen Stabilisierung von Klientinnen mit einer solchen Vorgeschichte sowie auf den Einsatz von EMDR-Protokollen gelegt wurde, um ihnen den Zugang zu positiven Affekten und Erfahrungen zu erleichtern (Korn, 2009; Shapiro & Laliotis, 2015; Wesselmann & Shapiro, 2013; siehe Kapitel 11). Inwieweit Heilung für Klientinnen möglich ist, die schwerste Misshandlungen oder massiven Missbrauch erlitten haben, lässt sich noch nicht abschließend feststellen, doch ist zu betonen, dass neurobiologische Schädigungen nicht notwendigerweise unumkehrbar sind. Studien mit neueren Verfahren wie Single-Photon-Emissionscomputertomographie (SPECT) und funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) sowie ein tieferes Verständnis der Funktionsweise von Neurotransmittern stützen die Vorstellung, dass Verarbeitungsprozesse im Zuge einer EMDR-Behandlung tatsächlich biologische Veränderungen in Gang setzen (z. B. Bossini, Fagiolini & Castrogiovanni, 2007; Heber, Kellner & Yehuda, 2002; Landin-Romero et al., 2013; Lansing, Amen, Hanks & Rudy, 2005; Levin, Lazrove & van der Kolk, 1999; siehe Kapitel 12). Die EMDR-Therapie zeichnet sich dadurch aus, dass sie relativ zügige Veränderungen anstößt, sodass sich Interventionen rasch einschätzen lassen und das therapeutische Vorgehen entsprechend korrigiert werden kann. Die eigentliche Stärke der EMDR-Therapie liegt freilich in ihrem integrierten Behandlungsansatz. Um sicherzustellen, dass kein Klient auf der Strecke bleibt, ist die Weisheit aller psychotherapeutischen Schulen gefragt. Ziel der EMDR-Therapie ist es, in kürzester Zeit möglichst tiefgreifende und umfassende Behandlungseffekte zu erreichen und dabei die Stabilität des Klienten innerhalb eines ausbalancierten Systems zu wahren. Diese Wirkungen sollten sich optimalerweise auf allen Seins- und Funktionsebenen manifestieren. Die therapeutische Arbeit wird breiter gefächert und gewinnt an Struktur, wenn wir über eindimensionale Erklärungsmodelle hinausgehen und den ganzen Menschen im Kontext eines eng verflochtenen sozialen Systems behandeln.

Zum einen teilen viele Therapeuten die Auffassung, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, den Klienten in seinem Streben nach persönlicher Weiterentwicklung zu fördern, doch zum anderen besteht ein zentrales Projekt der Psychologie darin, ein standardisiertes Einteilungssystem für beschreibbare Symptome und abgrenzbare Störungsbilder zu entwickeln. Die Forschung zielt großteils darauf, Merkmale und Reaktionsstile von Klienten herauszuarbeiten; auf einer zweiten Ebene geht es darum, die Wirkung verschiedener Behandlungsverfahren auf die beschriebenen Störungsbilder zu überprüfen. Kontrollgruppenstudien haben gezeigt, dass eine PTBS gut mit EMDR zu behandeln ist. Es ist zweifellos erforderlich, auch bei unzähligen weiteren Störungen die Wirkung von EMDR und allen anderen Formen der Psychotherapie zu untersuchen. Vor zwei Jahrzehnten kamen unabhängige Gutachter einer Arbeitsgruppe des Fachbereichs 12 der American Psychological Association zu evidenzbasierten Behandlungsverfahren (Chambless et al., 1998) zu dem Schluss, dass angesichts der Hunderte von Diagnosekategorien und Therapien nur etwa zwölf Techniken auszumachen waren, deren Wirksamkeit in umgrenzten Bereichen wie „Kopfschmerzen“ und „Stressbewältigung“ als „gut abgesichert“ gelten konnte. Zu jener Zeit existierte, mit anderen Worten, für fast keines der im Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen aufgelisteten Beschwerdebilder eine empirisch gut abgesicherte Behandlungsmethode. Auch heute stehen bei einem breiten Spektrum von Störungsbildern noch immer verlässlichere Einschätzungen der verfügbaren Behandlungsverfahren mittels randomisierter Studien aus (Beutler & Forrester, 2014; Huhn et al., 2014). Auf Vorschläge zu entsprechenden Studien gehe ich in Kapitel 12 und Anhang C ein.

1.1 Eine Zufallsentdeckung

Zwar war die Rolle, die Augenbewegungen im Zusammenhang mit höheren kognitiven Prozessen und kortikalen Funktionen spielen, in den 1980er-Jahren bereits gut dokumentiert (Amadeo & Shagass, 1963; Antrobus, 1973; Antrobus, Antrobus & Singer, 1964; Gale & Johnson, 1984; Leigh & Zee, 1983; Monty, Fisher & Senders, 1978; Monty & Senders, 1976; Ringo, Sobotka, Diltz & Bruce, 1994), und schon früh war eine Korrelation zwischen Augenbewegungen und einer Verschiebung in kognitiven Inhalten festgestellt worden (Antrobus et al., 1964). Doch der Einsatz von Augenbewegungen in der EMDR-Therapie geht auf eine zufällige Beobachtung zurück, die ich im Frühling 1987 machte. Bei einem Spaziergang fiel mir eines Tages auf, dass einige beunruhigende Gedanken, die mich beschäftigten, mit einem Mal verschwunden waren. Ich bemerkte auch, dass mir diese Gedanken, als ich mich ihnen wieder zuwandte, nicht mehr so bedrückend oder so einleuchtend vorkamen. Frühere Erfahrungen hatten mir gezeigt, dass es bei belastenden Gedanken typischerweise zu einem „Kreiseln“ kommt, das heißt, dass sie in einer Art Dauerschleife laufen. Sie kommen so lange immer wieder, bis wir bewusst etwas tun, um sie abzustellen oder zu verändern. Was mir an jenem Tag also auffiel, war der Umstand, dass meine beunruhigenden Gedanken sich veränderten und auflösten, ohne dass ich irgendwelche bewussten Anstrengungen dazu unternommen hatte.

Das faszinierte mich und ich begann, ganz genau darauf zu achten, was da vor sich ging. Ich registrierte, dass meine Augen, sobald sich belastende Gedanken einstellten, spontan anfingen, sich entlang einer nach oben verlaufenden Diagonale schnell hin- und herzubewegen. Die Gedanken verschwanden, und wenn ich sie dann wieder ins Bewusstsein holte, hatte sich ihre negative Aufladung stark verringert. Ich begann nun, die Augenbewegungen bewusst auszuführen, während ich mich auf verschiedene belastende Gedanken und Erinnerungen konzentrierte, und stellte fest, dass auch diese Vorstellungen ihre negative Aufladung verloren und verschwanden. Mit wachsendem Interesse erkundete ich, welche positiven Wirkungen dieses Vorgehen haben könnte.

Einige Tage danach machte ich mich daran, die Augenbewegungen mit anderen auszuprobieren: mit Freunden, mit Kolleginnen und mit Teilnehmern der Psychologieseminare, die ich besuchte. Bei ihnen fand sich ein breites Spektrum nicht krankheitswertiger Beschwerden und sie hatten unterschiedlich viel Erfahrung als Psychotherapieklienten. Wenn ich sie fragte: „Woran willst du arbeiten?“, nannten sie belastende Erinnerungen und Vorstellungen sowie aktuelle Lebenssituationen. Das Spektrum reichte von Kränkungen in der frühen Kindheit bis zu frustrierenden beruflichen Situationen in der Gegenwart. Ich machte ihnen dann vor, wie ich die Augen schnell hin- und herbewegt hatte, und forderte sie auf, dies nachzuahmen und die Aufmerksamkeit dabei auf das jeweilige Problem gerichtet zu halten. Als Erstes fand ich heraus, dass die meisten Menschen nicht in der Lage sind, ihre Augenmuskeln in dem Maße zu steuern, dass sie die Augenbewegungen über längere Zeit hinweg ausführen könnten. Ich wollte der Sache aber auf den Grund gehen und forderte sie deshalb auf, mit den Augen meinen Fingern zu folgen, während ich die Hand hin- und herbewegte, bis ihre Augenbewegungen in Tempo und Richtung denen entsprachen, die ich an jenem Tag im Park ausgeführt hatte. Das funktionierte wesentlich besser.

Als Nächstes stellte ich jedoch fest, dass meine Versuchspersonen sich zwar besser zu fühlen begannen, dann aber von dem belastenden Material nicht loskamen. Um diese Schwierigkeit zu überwinden, probierte ich verschiedene Arten von Augenbewegungen aus (schneller, langsamer, in verschiedene Richtungen) und forderte die Person auf, sich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren (zum Beispiel auf Aspekte einer Erinnerung oder auf Empfindungen, die diese auslöste). Mit der Zeit fand ich heraus, mit welchen Strategien sich am ehesten positive und umfassende Wirkungen erzielen ließen. Außerdem entwickelte ich mit der Zeit Standardformen der Sitzungseröffnung und -beendigung, die positiven Einfluss auszuüben schienen.

Kurz gesagt entwickelte ich im Lauf eines halben Jahres in der Arbeit mit etwa 70 Personen ein Standardverfahren, mit dem sich regelmäßig eine Linderung von Beschwerden erreichen ließ. Weil ich in erster Linie auf Angstreduktion abzielte (dies war die Erfahrung, die ich selbst mit den Augenbewegungen gemacht hatte) und weil ich zu jener Zeit vor allem verhaltenstherapeutisch arbeitete, nannte ich das Verfahren „Eye Movement Desensitization“ (EMD; Desensibilisierung mittels Augenbewegungen).

1.2 Die erste kontrollierte Studie

Im Winter 1987 beschloss ich, zu überprüfen, ob EMD sich unter den Bedingungen einer kontrollierten Studie als erfolgreich erweisen würde. Am einfachsten und wirksamsten hatte sich EMD bei meinen ersten Versuchen auf alte, also weit in die Vergangenheit zurückreichende Erinnerungen anwenden lassen. Ich kam daher zu dem Schluss, dass ich für meine erste zur Veröffentlichung vorgesehene Therapiestudie eine homogene Gruppe von Personen zusammenstellen sollte, die unter Erinnerungen an weit zurückliegende Ereignisse litten. Mir fielen zunächst Vergewaltigungs- und Missbrauchsopfer ein sowie Vietnamveteranen, auf die die Diagnosekriterien einer PTBS zutrafen, wie sie in der damals aktuellen dritten Auflage des Diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen definiert waren (DSM-III; American Psychiatric Association, 1980). Diese Gruppen schienen mir bestens geeignet zu sein, weil sie unter alten Erinnerungen litten, doch die Sache hatte einen Haken: Ich wusste nicht, ob meine Techniken sich als geeignet erweisen würden, traumatische Erinnerungen zu bearbeiten, denn ich hatte sie ja noch nicht an krankheitswertigen Störungen erprobt. War es denkbar, dass das Gehirn traumatische Erinnerungen in anderer Form speicherte als andere Erinnerungen? Ließen sich mit meinen Techniken vielleicht keine traumatischen Erinnerungen bearbeiten, sondern nur beunruhigende, aber nichttraumatische Erinnerungen?

Ich fasste den Entschluss, nach einem im Militäreinsatz traumatisierten Freiwilligen zu suchen, um zusammen mit ihm zu überprüfen, ob EMD auf traumatische Erinnerungen anwendbar war. Doug, so will ich ihn hier nennen, war Berater bei einer kommunalen Anlaufstelle für Kriegsveteranen. Er kam im Leben insgesamt gut zurecht und war beruflich erfolgreich, doch es gab eine ständig wiederkehrende Erinnerung, die ihm enorm zu schaffen machte. Er war in den 1960er-Jahren im Vietnamkrieg als Infanterist im Einsatz gewesen. Als er eines Tages die Leichen von Soldaten aus einem Rettungshubschrauber auslud, erzählte ihm ein Kamerad etwas höchst Verstörendes über einen der Toten. Ich bat Doug, die Aufmerksamkeit auf diese Erinnerung gerichtet zu halten, während er mit den Augen den Bewegungen meiner Hand folgte. Nach zwei oder drei Serien von Augenbewegungen gab er an, die Szene habe sich verändert: Der auditive Teil der Erinnerung sei weggefallen. Er sehe nur noch, wie sich die Lippen des Kameraden bewegten, ohne dass etwas zu hören sei. Nach einigen weiteren Augenbewegungsserien sagte Doug mir, die Szene habe sich vor dem inneren Auge verwandelt, bis sie ausgesehen habe wie „Farben unter Wasser“, und jetzt spüre er Ruhe und Gelassenheit. „Ich kann endlich sagen, dass der Krieg vorbei ist, und ich kann allen sagen, sie sollen nach Hause gehen.“ Als ich ihn später aufforderte, an Vietnam zu denken, sah er keine Leichen mehr vor sich, sondern erinnerte sich an den ersten Flug über das Land, bei dem es ihm wie ein „Paradiesgarten“ erschienen war. Dieser positive Eindruck von Vietnam war Doug zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder in den Sinn gekommen. Unsere gemeinsame Arbeit verlief so erfolgreich, dass weitere Veteranen an mich zur Behandlung in dem kommunalen Beratungszentrum überwiesen wurden. In den folgenden Monaten arbeitete ich also mit einigen anderen Veteranen, die seit mehr als zehn Jahren unter PTBS-Symptomen litten. Auch bei ihnen stellte sich innerhalb einiger Sitzungen eine Besserung ein. Wichtig war, dass diese von Dauer war. So sagte mir Doug, als ich nach einem halben Jahr bei ihm nachfragte, dass die positiven Effekte weiter anhielten. Seit der Behandlung hatte sich die verstörende Szene nicht mehr ins Bewusstsein gedrängt. Außerdem sah sie, wenn er sie sich willentlich in Erinnerung rief, wie jene „Farbpartikel“ aus, und das innere Bild quälte ihn nicht.

Meine erfolgreiche Arbeit mit Doug und den anderen Veteranen in dem Zentrum schien zu belegen, dass sich mit meiner Methode jahrzehntealte traumatische Erinnerungen angehen und aufarbeiten ließen. Ermutigt von diesen Erfahrungen machte ich mich daran, eine kontrollierte Studie mit 22 Personen durchzuführen, die infolge von Vergewaltigung, Missbrauch oder Kampfeinsätzen in Vietnam unter traumatischen Erinnerungen litten. Sie wurden per Zufallsverfahren der Behandlungs- oder der Kontrollgruppe zugewiesen.

Bei der Behandlungsgruppe setzte ich EMD ein, während ich für die Personen in der Kontrollgruppe eine Placebosituation herstellte, indem ich sie bat, ihre traumatische Erinnerung im Detail zu schildern. In beiden Gruppen unterbrach ich die Personen etwa gleich häufig, um ihr Angstniveau einschätzen zu können und von ihnen ein Feedback zu erhalten, und stellte dabei dieselben Fragen (wie etwa „Was geht jetzt in Ihnen vor?“). Mithilfe der Kontrollgruppe ließ sich überprüfen, ob positive Effekte allein darauf zurückzuführen waren, dass die Aufmerksamkeit einer Forscherin direkt auf die Personen gerichtet war und dass sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums einer traumatischen Erinnerung ausgesetzt waren. Diese Art der Exposition, bei der das Bewusstsein über längere Zeit hinweg auf die Erinnerung fokussiert ist, lässt sich auch als eine modifizierte Reizüberflutung verstehen, wie sie damals unter dem Namen „Flooding“ bekannt war. Ich begriff sie aber als eine Placebobedingung, denn bei einer direkten therapeutischen Exposition (DTE), die nur eine einzige Sitzung umfasst, sind keine positiven Behandlungseffekte zu erwarten (Keane & Kaloupek, 1982).

Ich bat die Teilnehmer beider Gruppen jeweils, mir das belastende innere Bild zu schildern sowie auch all die negativen Gedanken und Überzeugungen, die sich für sie mit der betreffenden Situation oder mit ihrer Beteiligung an ihr verbanden (z. B. „Ich bin schmutzig“, „Ich bin nichts wert“, „Ich bin der Situation ausgeliefert“). Letztere bezeichnete ich als „negative Kognitionen“. Dann bat ich die Teilnehmer, sich das Erinnerungsbild und die negative Kognition in Erinnerung zu rufen und das eigene Angstniveau anhand der elfstufigen Skala Subjective Units of Disturbance (SUD; Skala zum Grad der subjektiven Belastung) einzuschätzen. Dabei bedeutet 0 „nicht belastend“ und 10 „größtmögliche Anspannung“ (Wolpe, 1991). Ich forderte die Teilnehmer auch auf, eine positive Vorstellung von sich selbst zu formulieren, die für sie erstrebenswert wäre (z. B. „Ich bin wertvoll“, „Ich habe die Situation unter Kontrolle“, „Ich habe es so gut gemacht, wie es ging“). Schließlich sollten sie einschätzen, als wie zutreffend sie diese positive Vorstellung empfanden, und zwar anhand eines siebenstufigen semantischen Differenzials, der Skala Validity of Cognition (VoC; Stimmigkeit einer Kognition), bei der 1 für „völlig unzutreffend“ und 7 für „völlig zutreffend“ steht. Ich legte den Teilnehmern nahe, sich bei ihrer Einschätzung nicht auf eine verstandesmäßige Analyse zu stützen, sondern nach Gefühl zu gehen.