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Emmi und ihre Familie freuen sich aufs Meer. Nur Einschwein ist nicht in Urlaubsstimmung. Immerzu soll es Dinge zaubern, zu denen es keine Lust hat. Schulbrote, Zutaten fürs Abendbrot oder Proviant für den Urlaub. Und dann passiert es: Torten, Kekse, Puddingschuhe – nichts geht mehr. Egal, wie sehr Einschwein sich konzentriert, es zaubert nur noch … saure Gurken. Emmi ist in großer Sorge um ihr Fabelwesen. Und als wäre das nicht schon genug Grund für Saure-Gurken-Laune, folgt gleich die nächste magische Katastrophe. Der unersetzliche Fabelbaum von Emmis Familie soll einer Baustelle weichen. Wie sollen sie denn jetzt noch in den Urlaub fahren? Schließlich muss der Fabelbaum beschützt werden – ob mit Magie oder ohne!
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Emmi und ihre Familie freuen sich aufs Meer. Nur Einschwein in nicht in Urlaubsstimmung. Immerzu soll es Dinge zaubern, zu denen es keine Lust hat. Schulbrote, Zutaten fürs Abendbrot oder Proviant für den Urlaub. Und dann passiert es: Einschwein kann nichts anderes mehr zaubern als … saure Gurken. Emmi ist in großer Sorge um ihr Fabelwesen. Doch damit nicht genug. Der unersetzliche Fabelbaum von Emmis Familie soll einer Baustelle weichen. Was wird denn jetzt aus ihrem Urlaub? Schließlich muss der Fabelbaum beschützt werden – ob mit Magie oder ohne!
Selbst mit Saure-Gurken-Laune absolut bezaubernd:
Band 6 der fabelhaften Einschwein-Reihe
Was? Schon wieder eine Gurke? Und eine saure noch dazu?!
Erstaunt betrachtete Emmi ihre Handfläche, in der eine saure Gurke lag. Auch Einschwein, das Fabelwesen von Emmi, starrte die Gurke an. Sie war klein und grün und roch – na ja, sauer eben. Normalerweise fand Emmi saure Gurken lecker, aber im Moment gab es ein kleines Problem mit diesem Gemüse. Um genau zu sein, gab es sogar mehrere Probleme. Ja, man könnte fast sagen, es gab ziemlich viele Probleme.
»Wir haben genug Gurken«, sagte Emmi zu ihrem Schwein und blickte neben sich. Dort stapelte sich nämlich schon ein ganzer Haufen saurer Gurken. Es war ein gemütlicher Sonntagmorgen, und sie saßen im Kinderzimmer auf dem Boden. Um sie herum lagen Kissen, Decken und Kuscheltiere. Und saure Gurken.
Auch Moritz war da. Er ging in Emmis Klasse und hatte sich eine Erdbeertorte gewünscht. Dazu müsst ihr etwas wissen: Einschwein kann Essen zaubern. Diese Form der Zauberei nennt sich Kulinarische Magie. Das Horn des kleinen Schweins leuchtet dann blau auf, und schwups – schon ist das herrlichste Essen da. Um ehrlich zu sein, geht diese Zauberei manchmal schief. Ganz am Anfang, als Einschwein noch neu bei Emmi war, ging sie sogar sehr oft schief. Eigentlich meistens. Dann zauberte Einschwein in der Aufregung etwas, das gar nicht gut passte. Zum Beispiel sehr viel Brausepulver in der Schule oder ein riesiges Lebkuchenhaus im Schlafzimmer. Aber vor allem Puddingschuhe. Das waren Töpfe voller Pudding, bloß dass sie eben nicht auf dem Herd standen, sondern sich wie Schuhe an den Füßen von Leuten befanden.
Heute konnte allerdings von Brausepulver oder Puddingschuhen keine Rede sein. Nein, wirklich nicht.
»Kannst du bitte endlich eine Erdbeertorte zaubern?«, fragte Emmi und blickte ein wenig ratlos auf die Gurke in ihrer Hand.
Einschwein nickte begeistert. »Klar, Erdbeertorte!«, rief es. »Erdbeertorte kann jeder.« Es schloss die Augen und konzentrierte sich ganz mächtig.
Das Horn des kleinen Schweins leuchtete hellblau auf. Kam es Emmi nur so vor, oder war das Leuchten nicht so kräftig wie sonst? Ja, man hätte es fast als Flackern bezeichnen können. Als kleines, zartes Aufscheinen.
Einschwein öffnete das linke Auge wieder. »Passt gut auf. Jetzt kommt eine Torte der feinsten Sorte«, erklärte es stolz.
Emmi nickte erleichtert. Moritz klatschte in die Hände.
Und dann? Tja, dann lag ein weiteres Gürkchen vor ihnen. Klein, grün, sauer. Genau wie die anderen. Moritz biss hinein. »Lecker. Mein Opa macht sie genauso.«
Emmi seufzte. »Aber eine Torte ist es nicht.« Sie legte ihrem Fabelschwein einen Arm um die Schultern. »Bestimmt bist du nur ein bisschen müde. Weil wir gestern zu lange gelesen haben«, schlug sie vor.
»Wir lesen immer zu lange, und sonst zaubere ich auch keine Gurken«, stellte Einschwein fest.
»Vielleicht hast du heute Saure-Gurken-Laune?«, fragte Moritz. »Wenn ich schlechte Laune hab, sagt meine Mama, dass ich aussehe wie eine saure Gurke.«
Einschwein sprang auf. »Oder mir fehlt einfach nur etwas Frühsport.« Das kleine rosa Schwein begann herumzuspringen. Es zeigte Hampelmann und Purzelbaum, vollführte Drehungen und Kissenwürfe. Als es so richtig schön aus der Puste war, stellte es sich hin und versuchte ein weiteres Mal, zu zaubern.
War es wieder eine saure Gurke geworden? Nein! Eine saure Gurke war es nicht. Sondern zwei – zwei kleine grüne und sehr saure Gurken. Oh weh! Emmi seufzte.
Einschwein grinste verlegen. »Du, Emmilein, sollen wir eine Saure-Gurken-Torte daraus machen?«
Emmi schnaufte. »Na, hör mal! Moritz hat bald Fabeltag. Da kann er seinen Gästen doch keine Saure-Gurken-Torte anbieten«, sagte sie ein kleines bisschen empört.
»Weiß ich ja!«, rief das Schwein und lachte. »Ich mache nur Scherzchen mit euch. Saure-Gurken-Scherzchen.«
Moritz lächelte verlegen. »Ich glaube, mir wäre Erdbeertorte auch lieber.«
In ein paar Tagen wurde er nämlich zehn Jahre alt. Und das war nicht nur ein besonderer Tag, weil Geburtstage immer besondere Tage sind. Nein, wer in Wichtelstadt zehn Jahre alt wurde, der bekam sein eigenes Fabelwesen!
Emmi betrachtete Moritz. Welches Fabelwesen würde er wohl bekommen? Er wirkte jedenfalls aufgeregt und redete nicht so viel wie sonst. Stattdessen griff er sich eine saure Gurke und mampfte nervös los. Im Nu stopfte er sich zwei weitere Gurken in den Mund. Und dann drei.
Einschwein und Emmi sahen sich an. Moritz verhielt sich ein wenig seltsam. Lag das nur an den sauren Gurken? Oder gab es dafür noch einen anderen Grund? Emmi wollte gerade nachfragen, aber nun öffnete sich die Tür vom Kinderzimmer.
»Hallo, lieber Chefkoch!«, donnerte eine Stimme. Das war Drache Henk, Papas Fabelwesen. Er schob seinen großen blauen Kopf durch die Tür. Das machte er immer so, denn er war zu groß für das kleine Kinderzimmer und passte nicht im Ganzen hinein. Heute war er bester Laune. »Wir brauchen deine Hilfe, alter Schiffskoch!«, rief er fröhlich.
Hinter ihm zwängte sich Papa herein. »Was Henk sagen will: Wir brauchen Einschweins Zauberkünste.«
Emmi und Einschwein sahen sich an. Sollten sie Papa von den sauren Gurken erzählen? Lieber nicht. Mama und Papa waren zu sehr damit beschäftigt, den Familienurlaub vorzubereiten. Weitere Sorgen konnten sie bestimmt nicht gebrauchen.
Emmi holte Luft. »Einschwein zaubert gerade Torte.«
»Für meinen Fabeltag!«, sagte Moritz stolz.
»Ach, wie toll!«, sagte Papa. »Wo ist eigentlich euer Fabelort?« Sein Fabelwesen holte man an einem besonderen Ort ab, der Fabelort hieß. Familie Brix hatte einen alten Apfelbaum auf einer schönen Lichtung im Wald als Fabelort.
»Wir haben einen großen Stein. So einen Fabelstein im Wald«, sagte Moritz.
»Toll!«, freute sich Papa. »Ein Fabelort im Wald ist das Schönste. Und was wünschst du dir für ein Fabelwesen?«
»Also, Papa!«, sagte nun Emmi. »Man darf sich nichts wünschen, und das weißt du ganz genau.« Diesen Satz hatte Papa nämlich sehr oft zu Emmi gesagt, bevor sie Einschwein bekommen hatte.
Moritz knabberte verlegen an einer sauren Gurke. »Weiß nicht«, murmelte er.
»Wo du grad am Zaubern bist, Einschwein …« Papa grinste. »Wir müssen anfangen, den Proviant für die Reise zu zaubern. Ich habe hier eine kleine Liste von Dingen, die ich mir fein vorstelle für unseren Urlaub. Aber du kannst gern noch etwas hinzufügen.«
Papa hielt Einschwein einen Zettel hin. Das war ja eine richtig lange Liste! Einschwein blickte erschrocken zu Emmi.
Emmi schnaufte. »Einschwein ist doch kein Einkaufsladen!«
»Weiß ich doch«, sagte Papa. Er legte eine ganz bestimmte, extra fröhliche Stimme auf. Die benutzte er immer, wenn er eines seiner drei Kinder zu etwas überreden wollte, was das Kind gar nicht wollte. Emmi und Einschwein nannten es die Lieb-Lieb-Stimme. »Ihr wisst ja, dieser Urlaub soll ganz besonders schön werden. Und da müssen eben alle mithelfen, auch die Fabelwesen.« Dann ging er. »Packen nicht vergessen!«, rief er noch aus dem Flur.
Als sie wieder allein waren im Kinderzimmer, blickte Moritz schief zu Emmi. Diesen Blick kannte sie, denn den machte er immer, wenn ihm etwas peinlich war. »Du, Emmi, wie war das bei dir?«, fragte er. »Mit Einschwein und so.«
Emmi erzählte von ihrem Fabeltag. »Ich wollte Einschwein überhaupt nicht haben«, kicherte sie.
»Weil du dachtest, dass du ein Einhorn bekommen würdest«, sagte Einschwein.
Emmi nickte. »Ich hab von einem Einhorn-Horn geträumt. Und deshalb dachte ich, dass ich ein Einhorn bekommen würde. Und als ich dann Einschwein gesehen habe …«
»Biste weggerannt«, stellte Einschwein fest.
Emmi lachte. Einschwein lachte auch, sogar noch lauter als Emmi. Damals hatte sie die ganze Sache gar nicht lustig gefunden. »Die einzige Ähnlichkeit mit einem Einhorn war nämlich das goldene Horn«, sagte sie und piekte in Einschweins Kugelbauch.
Das Schwein stellte sich auf die Hinterbeine und drehte sich im Kreis. »Ansonsten bin ich das totale Gegenteil von einem Einhorn«, sagte es stolz.
»Aber jetzt hab ich dich ganz dolle lieb«, sagte Emmi. Die beiden umarmten sich. »Hast du schon von deinem Fabelwesen geträumt?«, fragte sie Moritz. Was man vor dem Fabeltag träumte, ging schließlich in Erfüllung. Allerdings kam es manchmal zu kleinen Missverständnissen, so wie bei Emmi und dem Horn, das gar nicht zu einem Einhorn gehört hatte.
»Nee«, nuschelte Moritz. »Nix geträumt. Na ja, doch. Also, ja und nein. Also, nein. Also …«
Einschwein legte ihm einen Huf auf die Schulter. »Das waren aber sehr viele Jas und Neins und Alsos«, fand es.
Moritz nickte. »Nur weil … im Traum war kein Fabelwesen zu sehen. So als ob … als ob ich gar keins kriege.«
»Jeder bekommt ein Fabelwesen«, beruhigte ihn Emmi.
»Sicher?«
Emmi nickte. Sie passte in der Schule in Fabelkunde immer sehr gut auf, denn es war ihr Lieblingsfach. »Ganz sicher.«
»Und so ein toller Moritz wie du, der kriegt ein spitzenklasse-eins-a-supi Fabelwesen«, ergänzte Einschwein.
Moritz atmete sehr laut aus. Wie ein kleiner Wind, der um den Schornstein pustet. Dann stand er fröhlich auf. »Also, wenn ihr das sagt!«, rief er. Auf einmal war seine Laune wieder viel besser.
»Nun habe ich aber genug rumgegurkt«, sagte Einschwein. »Jetzt werde ich mal deine Torte zaubern.«
Emmi nahm die Hufe von Einschwein in ihre Hände. »Ganz in Ruhe. Mach es genau so, wie Holly es dir beigebracht hat.«
»Gute Idee«, sagte Einschwein. Holly war ein Einhorn. Das einzige Einhorn, das es in ganz Wichtelstadt gab. Sie hatte Einschwein gezeigt, wie man mit Horn zaubert, damit nicht mehr so viel schiefging. Seitdem klappte es viel besser mit der Kulinarischen Magie.
Einschwein konzentrierte sich und nahm seine Zauberhaltung ein. Es ging auf die Hinterbeine und schwang die Vorderbeine in die Luft – erst das rechte und dann das linke. Den Kopf warf es elegant nach hinten. Das Horn flackerte zart auf, als Einschwein den Kopf senkte und damit auf den Teller zeigte, den Emmi für die Erdbeertorte hingestellt hatte.
Gespannt starrte Moritz auf den Teller. Emmi schloss vor Aufregung die Augen und drückte ganz fest ihre beiden Daumen. Hoffentlich klappte es diesmal.
Plopps! Etwas fiel mit einem dumpfen Geräusch auf Emmis Kopf. Ihr ahnt es schon: Das war natürlich eine saure Gurke.
»Au!«, rief Moritz.
»Upsi!«, rief Einschwein.
Die beiden hatten leider auch kleine saure Gurken auf ihre Köpfe bekommen.
Emmi seufzte. »Gleich drei?«
»Das wird schon wieder, wirste sehen«, sagte Einschwein und versuchte, fröhlich zu wirken.
»Vielleicht hast du das Zaubern verlernt?«, rief Emmi entsetzt.
»Ach nein, das glaube ich nicht«, sagte das Schwein, aber auf seiner Stirn, direkt unter dem Horn, bildete sich eine Sorgenfalte. »Wir versuchen es morgen wieder mit der Torte.«
»Geht nicht! Morgen sind wir schon im Urlaub«, sagte Emmi.
Moritz sah enttäuscht aus. »Wirklich schade, dass ihr nicht zu meinem Geburtstag kommen könnt.«
Ja, das fanden Emmi und Einschwein auch. »Wenn wir wieder da sind, zaubere ich dir so viel Erdbeertorte, dass es kracht«, versprach Einschwein.
Moritz musste nun nach Hause gehen. In der Tür blieb er stehen. »Ihr könnt ja mal das Einhorn fragen. Schließlich hat es Einschwein das Zaubern mit Horn beigebracht. Dann weiß es vielleicht auch, warum diese Gurkensache passiert.«
Diesen Vorschlag fanden Emmi und Einschwein großartig.
Als Moritz losgegangen war, stürmten Emmi und Einschwein in die Wohnküche.
»Na? Wie war es mit Moritz?«, fragte Mama.
Einschwein winkte ab. »Total vergurkt«, sagte es.
Damit wusste Mama natürlich nichts anzufangen. Das war allerdings auch egal, denn sie hörte sowieso nicht zu. Sie rannte. Mit Wäsche, Taschen, Kaffeetassen. Sie rannte mal schnell, mal langsam, und manchmal baute sie sogar kleine Hopser ein, weil etwas im Weg lag. Die Rennerei war kein Wunder, denn Mama versuchte gerade, für zwei Wochen Urlaub und fünf Leute alles einzupacken. Und so sah die Wohnung auch aus.
Überall war Kleidung zum Trocknen ausgebreitet, dazwischen lagen Koffer herum, die darauf warteten, gepackt zu werden. Mamas Fabelwesen, der Zweifühlige Blütenspatz Pieps, flatterte umher. In seinen Krallen trug er eine lange Liste, von der er unaufhörlich vorlas. Er strich ab und schrieb neu und machte Mama ganz nervös damit, dass er ständig fragte, ob sie auch an dieses und an jenes gedacht hätte.
»Ja, danke, Pieps«, sagte Mama. »Setz dich doch gern ein wenig ans Fenster.«
»Später, später. Haben wir auch genügend Socken eingepackt?«, fragte der kleine Vogel atemlos. Dabei streute er einige Blüten Lavendel und Hopfen, um seine Nerven zu beruhigen. Er war schließlich ein Blütenspatz und konnte daher beim Fliegen Blüten streuen.
Emmis kleiner Bruder Fiete konnte sich nicht entscheiden, welches Spielzeug er mitnehmen sollte. Deshalb hatte er eine lange Reihe Spielzeug durch die Wohnung gelegt und ihr den Namen »Fietes Wettbewerb um das beste Urlaubsspielzeug« gegeben. Mama stolperte beim Rennen ein paarmal über die vielen kleinen Teilnehmer des Wettbewerbs.
Emmis große Schwester Meike und ihr Fabelwesen, die Klingende Wildkatze Mexi, lümmelten auf dem Sofa herum. Mama meinte, sie sollten aufhören, am Handy herumzuspielen, und lieber packen. Meike erklärte ihr, dass sie gerade packen würden. Und zwar mit dem Handy. »Wir laden Spiele für den Urlaub runter«, sagte Meike.
»Damit es nicht ganz so langweilig wird«, ergänzte Wildkatze Mexi.
Mama fand es frech, doch Mexi fand, es sei einfach die Wahrheit, und es sei ja wohl nicht verboten, die Wahrheit zu sagen. Mama gab auf.
Emmi und Einschwein liefen zu Papa, der gerade das Essen für den Urlaub vorbereitete. »Ah, da kommt endlich unser Chefkoch«, sagte Papa begeistert zu Einschwein. »Dann mal los.«
»Wir haben keine Zeit«, sagte Emmi.
»Wie jetzt?« Papa sah ganz baff aus.
»Einschwein kann heute nichts für dich zaubern.«
»Für mich? Für uns!«, rief Papa. »Für unseren grandiosen Urlaub.«
»Geht nicht. Wir müssen noch mal los. Kann Henk uns fliegen?«, fragte Emmi.
»Noch – mal – los?« Papa hörte auf zu wuseln. »Ich muss mich heute wirklich sehr anstrengen, um meine gute Laune zu behalten«, sagte er. »Aber schließlich fahren wir morgen in den Urlaub. Das wird schön.«
Leider durfte Drache Henk die beiden nicht fliegen, weil er seinen Urlaubssattel reparieren sollte – den mit den großen Taschen.
»Dann nehmen wir eben die Straßenbahn«, sagte Emmi und schlüpfte in ihre Sommerjacke. Jetzt war es wichtig, schnell zu sein. »Wir gehen das Einhorn besuchen!«, rief sie und machte Einschwein ein Zeichen. Nichts wie weg hier!
Aber sie waren zu langsam gewesen. Mama kam, die Arme voller Wäsche, in den Flur gerannt. »Wie bitte?!«, sagte sie sehr laut.
»Wir wollen nur kurz zum Einhorn«, sagte Emmi.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte Mama, und das war schon die zweite Frage, die nicht als Frage gemeint war. »Wir fahren morgen in den Urlaub. Ihr packt jetzt eure Sachen. Und ein bisschen Hilfe könnte ich auch ganz gut gebrauchen. Wir müssen alles super vorbereiten. Der Urlaub soll richtig toll werden«, sagte sie.
»Liebe Mami, so ein feines, magisches Einhorn kann man doch nicht warten lassen«, sagte Einschwein.
Das musste Mama zugeben, denn es stimmte. Dass das Einhorn gar nicht auf sie wartete, wusste Mama ja nicht.
Es war ein schöner, sonniger Tag. Genau richtig, um ein Einhorn zu besuchen. Doch Einschwein lief mit kleinen Schritten neben Emmi her und hielt seinen Kopf gesenkt. Das kleine Schwein sah gar nicht nach fröhlicher Sommerlaune aus. Emmi versuchte, gute Stimmung zu verbreiten, schlug ein Ratespiel vor und ein Hopsespiel, aber Einschwein wollte nichts spielen.
»Ich will in Ruhe über saure Gurken nachdenken, weißt du?«, sagte es. »Und darüber, was Saure-Gurken-Laune ist. Und ob ich sie habe, diese Laune.«
»Hast du nicht«, sagte Emmi. »Du kannst gar keine Saure-Gurken-Laune haben.«
Einschwein seufzte und blickte dann wieder nach unten.
»Außerdem mag ich saure Gurken«, sagte Emmi.
Aber Einschwein tippelte betrübt weiter.
»Das Einhorn wird uns helfen, pass mal auf«, sagte Emmi.
Einschwein hob den Kopf. »Ja?«
»Na klar! Einhörner können alles.«
»Emmilein, das stimmt doch gar nicht.«
Und da fielen Emmi auch keine schönen Worte mehr ein, obwohl sie sehr gern welche gesagt hätte. Einschwein hatte natürlich recht: Einhörner können auch nicht alles. Niemand kann alles. Sie wollte einfach nur, dass ihr Schwein wieder lustig und heiter und vor allem glücklich war.
An der Haltestelle der Straßenbahn warteten bereits einige Leute mit ihren Fabelwesen. Am liebsten stiegen Emmi und Einschwein ganz hinten ein, in den letzten Waggon. Der hatte keine Sitze und vor allem kein Dach, damit die großen Fabelwesen hineinpassten. Da war es immer sehr lustig, aber heute gab es zwei gute Gründe, nicht einzusteigen. Erstens saß dort bereits ein Fusselmonster, und der ganze Wagen war ein wenig vollgefusselt. Und zweitens entdeckten sie im ersten Waggon einen alten Bekannten. Also stiegen sie vorn ein.
»Einschwein!«, brüllte ein dunkelroter Drache. Er sprang auf und stürmte auf Emmi und Einschwein zu. Gnatzig guckte er die beiden an. »Na, ihr alten Stänkerliesen? Seid ihr mal wieder unterwegs, um gehörig jemandem auf den Keks zu gehen?« Das war natürlich lieb gemeint, denn schließlich hatten sie es hier mit einem Feurigen Stänkerer zu tun, und diese Drachen reden nun mal so.
Einschwein freute sich sehr, den Stänkerer zu sehen, und lachte. Der Drache war etwas kleiner als die Dame, die nun ebenfalls aufstand und die beiden begrüßte. Sie hatten sich in der Weihnachtszeit kennengelernt, als Wunschwichtel Wuschel verschwunden war und Emmi und Einschwein ihn suchen mussten. Die Bäckerei der Dame und ihres kleinen Drachen lag nämlich genau neben dem Haus des Wunschwichtels, und dort hatte es ein ziemlich seltsames Problem gegeben. Und als in Wichtelstadt mal die Straßenlaternen geklaut wurden – auch da konnte der Feurige Stänkerer helfen.
Heute stand ihm der Sinn nicht nach Helfen, sondern wirklich nach Stänkern. Mit verschränkten Armen ließ er sich zurück in seinen Sitz plumpsen. »Ich sag euch was: Mir reicht’s!«, schimpfte er.
»Uha! Was reicht dir denn?«, fragte Einschwein neugierig.
»Die Fliegerei«, erklärte der Drache.
»Er streikt«, sagte die Bäckerin und verschränkte nun ebenfalls die Arme. »Wir müssen zum Kaufhaus, weil unser Staubsauger kaputt ist. Aber Monsieur will nicht mehr fliegen.«
»Nö, mach ich nicht. Hat sich ausgeflogen«, sagte der miesepetrige rote Drache. Plötzlich sprang er auf seinen Sitz, dass es ordentlich knackte, und drückte seine Schnauze ans Fenster. »Hui!«, rief er begeistert. Draußen brauste gerade ein riesiges Auto vorbei. Es war gelb und fast so groß wie ein Bus. Ein Dach hatte das Auto nicht, und oben guckte ein Drache heraus. Genauer gesagt ein Gelber Polter, was ziemlich wilde Drachen sind. Stürmisch lenkte er das Auto herum, ließ in der Kurve die Reifen quietschen, fuhr fast gegen eine Laterne und hupte frech, als er ein Auto und einen Lkw überholte.
Neben dem Gelben Polter saß die Besitzerin, eine feine ältere Dame. Etwas erschrocken hielt sie ihre Mütze und ihre Tasche fest, denn der Fahrtwind wehte beides fast nach draußen.
»Schon wieder so ein dummes Drauto«, beschwerte sich die Bäckerin.
»Von wegen dumm!«, rief der Feurige Stänkerer. »Drautos sind schick. Der neueste Schrei unter den Drachen. Und wer hat mal wieder keins? Hm? Wer?«
»Wer?«, fragte Einschwein.
»Ich!«, sagte der kleine Drache und fauchte ein rotes Wölkchen.
Die Bäckerin sah so aus, als würde sie gern zurückfauchen. »Du brauchst kein Drauto! Du bist ein Drache, du kannst fliegen«, sagte sie.
»Können kann ich schon. Aber wollen will ich nicht«, stänkerte der Feurige Stänkerer. »Ich will Drauto fahren. Wie die anderen Drachen.«
Nun raste ein zweites Drauto heran. Es war etwas kleiner und weiß. Aus dem offenen Dach lugte ein Frostiger Lindwurm, dessen weißes Fell bunte Punkte hatte.
Das Drautofahren schien dem Frostigen Lindwurm großen Spaß zu machen, denn er machte laut »Brumm, brumm!«, während er die anderen Fahrzeuge überholte. Ohne es zu merken, spie er dabei eine ganze Spur weißer Schneeflocken, die hinter dem Drauto zu Boden fielen. Mitten im Sommer! Ein Fahrradfahrer rutschte auf dem gefrorenen Boden herum und konnte sich gerade noch auffangen. Sein Fabelwesen, ein Fliegender Fisch, streckte dem Lindwurm die Zunge raus.
Emmi verzog erschrocken das Gesicht. »Drachen sind aber keine guten Autofahrer«, stellte sie fest.
»Drauto! Drachen sind Drautofahrer. Und ich finde, sie haben einen richtig zackigen Stil drauf«, schnauzte der Stänkerer.
»Warum willst du denn nicht fliegen?«, fragte Einschwein.
»Ist mir zu anstrengend. Ständig muss man jemanden irgendwo hinfliegen.« Der Feurige Stänkerer blickte die Bäckerin an.
»Drachen sind zum Fliegen geboren«, sagte die Bäckerin.
Einschwein nickte. »Es ist ihre besondere Fähigkeit und macht ihnen bestimmt knalleviel Spaß.«
»Nee, du. Kannste vergessen. Fliegen ist Arbeit. Flügel hoch, Flügel runter. Und immer sitzt sie auf meinem Rücken.« Er blickte zur Bäckerin. »Die Schlepperei … der Wahnsinn.«
»Na und?«, sagte die Bäckerin. »Ich bleibe dabei. Drautos sind neumodischer Schnickschnack.«
Ihr Drache schnaubte gleich noch ein Rauchwölkchen. Dieses Mal war es grün. »Den Drautos gehört die Zukunft«, rief er.
Emmi kicherte. Der Stänkerer und die Bäckerin waren ziemlich lustig, wie sie sich so aufregten.
»Ach so, wo ich dich gerade treffe«, sagte die Bäckerin plötzlich zu Einschwein. »Kannst du mir ein bisschen Safran zaubern? Das ist im Laden immer so teuer. Und zum Backen ist es wichtig, dann werden die Kuchen schön gelb.«
Auch das noch! Einschwein blickte gleich wieder nach unten auf den Fußboden und schwieg.
»Heute geht es leider nicht«, sagte Emmi und umarmte ihr Fabelschwein.
Plötzlich sprang Einschwein von seinem Sitz. »Ich versuche es mal.«
»Lieber nicht«, sagte Emmi.
»Wird schon klappen«, sagte das kleine Schwein. Es schloss die Augen und holte dreimal tief Luft.
Emmi blickte die anderen an. »Haltet euch lieber die Hände über den Kopf. Falls was von oben runterfällt«, sagte sie.
Die Bäckerin und der Stänkerer wunderten sich zwar, taten aber genau das, was Emmi ihnen vormachte. Als alle schützend ihre Hände über den Kopf hielten, zauberte Einschwein. Doch nichts fiel herunter, und das war eigentlich ein gutes Zeichen. Oder?
»Huch!«, rief die Bäckerin. Neben ihr auf dem Sitz stand ein kleines Glas mit sauren Gurken.
»Fängt auch mit S an, wie Safran. Nur, saure Gurken kann man nicht zum Backen nehmen, das schmeckt scheußlich«, stellte der Stänkerer fest.
Die Bäckerin bedankte sich höflich, aber etwas verwundert.
Emmi erklärte, dass Einschwein Zahnschmerzen hätte und deshalb gerade nicht so gut zaubern konnte.
»Und dann fährst du auch noch Straßenbahn?«, schimpfte der Feurige Stänkerer. »Ab mit dir ins Bett und ausruhen!« Und das sollte wohl so viel heißen wie: Gute Besserung, liebes Einschwein.
Er packte das Glas mit den Gurken, und die beiden stiegen aus. Der Stänkerer drehte sich noch mal um. »Benehmt euch anständig, ihr kleinen Chaoten!«, rief er.
»Warum denn gleich ein ganzes Glas?«, fragte Emmi.
Einschwein zuckte mit den Schultern.
Emmi und Einschwein fuhren mit der Straßenbahn bis zur letzten Station. Die Luft war hier viel frischer als mitten in der Stadt. Sie liefen durch ein beschauliches Wohnviertel mit kleinen Häusern und blieben mehrmals an duftenden Büschen stehen, um daran zu schnuppern. Vor einem besonders kleinen Haus hielten sie an. Das Dach war kaputt, und die gelbe Farbe blätterte ab, trotzdem wirkte das Haus gemütlich und einladend. Hier wohnten Einhorn Holly und sein Besitzer Henry. Henry war genauso alt wie Emmi. Die beiden hatten sich am Anfang gar nicht verstanden und sogar gestritten, aber dann waren sie Freunde geworden.
Gerade stand Henry mitten im Vorgarten auf dem Rücken des Einhorns und pflückte Birnen von einem großen, alten Birnbaum.
»Holly!«, rief Einschwein begeistert.
Als das Einhorn seinen Kopf drehte und das kleine Schwein entdeckte, riss es vor Überraschung seine grünen Augen auf. Freudig trabte es los – und vergaß dabei glatt, dass Henry noch auf seinem Rücken stand.
»Hey! Holly! Haaalt!«, rief Henry. Aber sein Einhorn blieb trotzdem nicht stehen, und schnell hielt Henry sich an einem Ast fest, sodass er im Birnbaum baumelte.
Einschwein rannte auf das große, magische Tier zu. Das Einhorn beugte seinen Kopf nach vorn, um sich auf elegante Weise zu verbeugen. Einschwein war viel zu aufgeregt, um elegant zu sein. Es griff in die Mähne des Einhorns und schwang sich auf dessen Nacken. »Meine liebe Holly, alter Kumpel!«, rief es und umarmte den schlanken Einhornhals.