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Über die Hälfte der jungen Generation glaubt heute, die Menschheit sei dem Untergang geweiht. Nicht nur wegen des Klimawandels: Die Krisen ballen sich und untergraben den Glauben an die Gestaltbarkeit der Zukunft.
Christian Jakob untersucht, was das mit unserer Gesellschaft macht: Was bedeuten die düsteren Szenarien für Eltern und das Verhältnis zu ihren Kindern, die zwischen Veränderungswillen und Resignation schwanken? Welche Geschäftemacher haben die Angst vor dem Kollaps als Business für sich entdeckt? Warum bleiben manche Menschen handlungsfähig, während andere sich ohnmächtig fühlen? Und warum unterschätzen so viele Menschen die positiven Entwicklungen, die es trotz allem gibt?
In einer global angelegten Analyse seziert Jakob die Mechanismen der Endzeitangst und zeigt Wege zu mehr Hoffnung im Angesicht sich ballender Krisen auf.
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Seitenzahl: 416
Apocalypse now?
In einer Welt voller Krisen wächst vor allem unter jungen Menschen die Furcht vor dem Ende. Dabei geht es nicht nur um den Klimawandel: Ökologie, Krieg, Inflation und Pandemie ballen sich zu einer Polykrise und untergraben den Glauben an eine gestaltbare Zukunft, die vielen nicht mehr vorstellbar erscheint.
Mit analytischem Scharfsinn untersucht Jakob die Ursachen und Folgen dieser Ängste auf unsere Gesellschaft: Wie und warum tragen Medien heute zu einer negativ verzerrten Wahrnehmung bei? Wie beeinflusst die Angst vor dem Kollaps das Verhältnis von Eltern und Kindern? Wie schüren Rechte und Geschäftemacher Untergangsängste? Welche Folgen haben diese für die Demokratie? Und was macht manche handlungsfähig, während andere sich ohnmächtig fühlen?
Jakob seziert die Mechanismen der Endzeitangst und zeigt, dass trotz allem Grund zur Zuversicht besteht.
»Christian Jakob ist ein absolut unabhängiger Geist mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn.« Jean Ziegler
Christian Jakob, geboren 1979, studierte Soziologie, Volkswirtschaft und Philosophie in Bremen und Mailand, Global Studies in Berlin, Buenos Aires und Delhi. Seit 2006 ist er Redakteur der tageszeitung, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im taz-Ressort »Reportage und Recherche«. Für seine Berichterstattung wurde er 2017 mit dem Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus ausgezeichnet. Der Autor auf Twitter: @chrjkb
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Christian Jakob
Endzeit
Die neue Angst vor dem Weltuntergang und der Kampf um unsere Zukunft
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Apocalypse Now? Comeback einer Urangst
Überschatteter Fortschritt
Multiple Krisen, multiple Ängste
Die Kulturindustrie geht voran
Die Gestaltbarkeit der Zukunft
Erster Teil: Nie eingetreten, nicht totzukriegen — Geschichte und Gegenwart apokalyptischer Erwartungen
1 Rente? Nicht nötig: Wie die Hoffnung auf das Morgen schwindet
Ein erschütternder Befund
Kollektive Depression der Jugend?
2015: Als die Zuversicht schwand
Der Verlust von Wohlstand
Doomscrolling: Konsum ohne Filter
2 Von Ewigkeit zu Ewigkeit: Wie die Menschheit auf das Ende wartet, seit es sie gibt
Der Untergang als göttlicher Entschluss
Eine anthropologische Konstante
Bewaffnet mit nichts als der Hoffnung
Moderne Jeanne d’Arc oder Verkünderin der Apokalypse?
Jeder Generation, jeder Gesellschaft ihr eigener Untergang?
Prognose statt Prophetie: die Apokalyptik der Gegenwart
Weltuntergangssekten gegen Klimaaktivist:innen: Sehnsucht nach und Angst vor dem Untergang
3 Schützen, was dem Untergang geweiht ist? Die Apokalypse und die Umweltbewegung
Im permanenten Alarmzustand: die moderne Umweltbewegung
Die Sorge um sich: Transformation ökologischer Ängste
Gelöste Probleme, erwarteter Kollaps
Abdriften ins Esoterische
Der Einzelne als Gefährder?
Zweiter Teil: Dürre, Covid, Krieg — In der Polykrise kommt die Endzeitangst
4 Plötzlich existenziell: Die Klimakrise
Das Wissen war da. Interessiert hat es wenige
Menschheitsdämmerung
Eine neue Klimarealität
Die Sache mit den Kipppunkten
Früher wurde der Klimawandel geleugnet, heute der Untergang beschworen
Es hängt von uns ab
5 »Die nächste Welle ist eine Wand«: Das Zeitalter der Pandemien
Nicht das Virus ist die Gefahr: Verschwörungsmythen
Die Kontamination anderer Milieus
Prognosen, die Angst machen
Koloniale Ursprünge der Ansteckungsangst
Die Sehnsucht nach einem geschlossenen Weltbild
6 Eine Welt auf der Flucht? Die Zukunft des Globalen Südens
Lokale Apokalypsen finden statt
Klimarassismus
Wie wird die Zukunft aussehen?
Die geschürte Angst vor dem »Klimaflüchtling«
Ein empathieloser Blick
7 Noch 60 Ernten bis zum Ende? Die Angst vor der Agrar-Apokalypse
Eine durchaus begründete Sorge
Das Eigenleben von #60harvests
Die gute Nachricht: Es ist weit übertrieben
Ein großer Schritt nach vorn
8 »Doch, das würde er«: Der Krieg in der Ukraine und die Wiederkehr der Atomangst
Der Mensch: Zerstörer seiner selbst?
Putins Entschlossenheit?
Die Rückkehr der Sorgen des Kalten Krieges
Zunehmend angstgesteuerte Affekte
Aber das Risiko besteht
9 »Wenn wir Glück haben, behalten sie uns als Haustiere«: Die dunkle Seite der Künstlichen Intelligenz
Großes Erwachen
Der Kampf gegen die Maschinen
Anfänge der Künstlichen Intelligenz
Machen sie uns nun also zu ihren Haustieren?
Magisch und normal: Grenzen und Möglichkeiten von KI
Kollektiv, kreativ und gewissenhaft: Chancen der KI
10 »Hochkomplexe Systeme«: Erst die Katastrophen, dann der Kollaps?
Megagefahren und existenzielle Risiken
Seelenzustand oder harte Physik?
Bedingungen des Kollaps
Effizienz statt Vorsorge
Dritter Teil: Die vielen Verkünder der Apokalypse — Wenn katastrophische Überbietungswettbewerbe und morbide Filterblasen einem die Hoffnung rauben – und wie man sie zurückbekommt
11 Medienproduktion: Zebrahirsche, Melancholie und glühende Schienen
Versagt der Journalismus angesichts der Klimakrise?
Ermutigung für die einen, Propaganda für die anderen
Überbietungswettbewerb der Horrormeldungen
»Lasst alle Hoffnung fahren«
Widerstreitende Kommunikationsformen
»Strukturelle Hysterie«
Der Kampf um Aufmerksamkeit
Die Wächterfunktion wahren
Vergessenes Leid
Wie aus Katastrophenerzählungen Handlungsoptionen werden
12 Doom in der Timeline: Gefangen in einer gefährlichen Welt
Abgrenzungsschwierigkeiten
Das Ende des Nachrichtenmonopols
Negativity Bias: Die Suche nach der schlechten Nachricht
Eine Gefahr für die Psyche
»Motivated Reasoning«
Nach dem Doomscroll-Kater: Nachrichtenvermeidung
Die Herstellung eines Gleichgewichts
Vierter Teil: Eine Plage für sich — Wie Propheten, Prepper und Profiteure die Krisen für sich nutzen
13 »Finanz-Kernschmelze«: Die Angst vor dem finalen Crash
Die Krise kommt – oder doch nicht
In »bester« Gesellschaft
Jämmerliche Trefferquoten
Rekurs auf die Apokalypse
»Wer immer sagt, es ist fünf vor zwölf, hat zweimal am Tag recht«
14 Blackout: Der große Crash des kleinen Mannes
Die Abhängigkeit vom Stromnetz
Geschürte Ängste, praktische Tipps
Panikliteratur
15 Letzte Generation vor dem Volkstod: Der »Migrations-Kipppunkt«
Von der Mehrheit zur Minderheit
Ein rechtes Phantasma
Die Thesen des Monsieur Camus
Parallelsetzung von Klima- und Bevölkerungsentwicklung
Spenglers Untergang des Abendlandes?
Die Festung der Pegidisten
16 Alles im Angebot für das Ende der Welt: Der Kollaps als Business
Schlupflöcher für Milliardäre
Todsichere Angebote
Mit der Angst boomt das Geschäft
Privatstädte: demokratiebefreite Zonen
Der Prepperkult
Ein Verlag für alle Fälle
Radikale Töne
17 Die autoritäre Versuchung: Selbstermächtigung, Ausnahmezustand und Verschwörungsglaube
Notstandsgesetze zur Rettung des Klimas?
Propagandistische Verzerrung der Machtverhältnisse
Vorgebliche Notwehr
»Extreme Maßnahmen erfordern extreme Zeiten«
Paradigmenwechsel im Verschwörungsdiskurs
Fünfter Teil: Was können, was sollen wir tun? — Leben im Angesicht der Krisen
18 Eine unzumutbare Welt? Apokalypse und Elternschaft
No Future?
… oder die beste Zeit?
Birthstrike
Sinkende Geburtenraten
Die angeblichen Klimakiller: Kinder
Die Gestaltbarkeit der Welt
Das schlechte Gewissen der Eltern
Überschätzung seiner selbst und der Vorhersagbarkeit
Ein Akt der Hoffnung
19 Meersalzbatterien und Sonnenschilder im All: Wer hofft auf den Technofix?
Reales Problem, echte Lösung
Eine Frage der Anpassung?
Nur bedingt!
Technologische Machbarkeit: eine Illusion?
Das Weiter‑so ist die Katastrophe
Die Geschichte technokratischer Fortschrittsversprechen
Wie gehen Wohlstand und Rettung zusammen?
»Ich will verstehen, ob das geht«
Sechster Teil: Trauer und Scham, Lust und Mut — Was machen die Krisen mit den Menschen?
20 Das Mögliche nicht verpassen: Endzeitangst und die Psychologie
Eintritt in den therapeutischen Raum
Pathologisierung der Angst
Ein nicht versiegender Strom schlechter Nachrichten
Was hilft?
21 Verdrängung, Angstlust, Rache: Die Apokalypse und das Unbewusste
Schuld und Scham
Verdrängung von Schuld oder …
… Leugnung der Herrschaftsverhältnisse?
Überwindung der ökologischen Entfremdung
Auf der Suche nach guten Handlungsgründen
Genugtuung im Angesicht des Untergangs?
Konsumlust als Ausdruck der Apokalypseangst
Katastrophe und Heldentum
Siebter Teil: Das Morgen offenhalten — Wie wir uns dem Fatalismus verweigern und unser Recht auf Zukunft verteidigen
22 Leben als Diskontinuität. Worauf wir uns einstellen müssen
2018: Nichts kann uns noch retten!
2022: Eine neue Klimawirklichkeit
Die Ebene der Kämpfe
Die künftige Normalität: Transapokalypsen?
23 Eine Welt zu gewinnen: Wer mündig bleiben will, glaubt an seine Zukunft
Wen überzeugt der Fortschritt?
Die Zukunft ist offen
Skepsis trotz zahlreicher Erfolge
Möglichkeiten zur Veränderung
Das Recht auf Zukunft
Anhang
Anmerkungen
Apocalypse Now? Comeback einer Urangst
Kapitel 1 – Rente? Nicht nötig: Wie die Hoffnung auf das Morgen schwindet
Kapitel 2 – Von Ewigkeit zu Ewigkeit: Wie die Menschheit auf das Ende wartet, seit es sie gibt
Kapitel 3 – Schützen, was dem Untergang geweiht ist? Die Apokalypse und die Umweltbewegung
Kapitel 4 – Plötzlich existenziell: Die Klimakrise
Kapitel 5 – »Die nächste Welle ist eine Wand«: Das Zeitalter der Pandemien
Kapitel 6 – Eine Welt auf der Flucht? Die Zukunft des Globalen Südens
Kapitel 7 – Noch 60 Ernten bis zum Ende? Die Angst vor der Agrar-Apokalypse
Kapitel 8 – »Doch, das würde er«: Der Krieg in der Ukraine und die Wiederkehr der Atomangst
Kapitel 9 – »Wenn wir Glück haben, behalten sie uns als Haustiere«: Die dunkle Seite der Künstlichen Intelligenz
Kapitel 10 – »Hochkomplexe Systeme«: Erst die Katastrophen, dann der Kollaps?
Kapitel 11 – Medienproduktion: Zebrahirsche, Melancholie und glühende Schienen
Kapitel 12 – Doom in der Timeline: Gefangen in einer gefährlichen Welt
Kapitel 13 – »Finanz-Kernschmelze«: Die Angst vor dem finalen Crash
Kapitel 14 – Blackout: Der große Crash des kleinen Mannes
Kapitel 15 – Letzte Generation vor dem Volkstod: Der »Migrations-Kipppunkt«
Kapitel 16 – Alles im Angebot für das Ende der Welt: Der Kollaps als Business
Kapitel 17 – Die autoritäre Versuchung: Selbstermächtigung, Ausnahmezustand und Verschwörungsglaube
Kapitel 18 – Eine unzumutbare Welt? Apokalypse und Elternschaft
Kapitel 19 – Meersalzbatterien und Sonnenschilder im All: Wer hofft auf den Technofix?
Kapitel 20 – Das Mögliche nicht verpassen: Endzeitangst und die Psychologie
Kapitel 21 – Verdrängung, Angstlust, Rache: Die Apokalypse und das Unbewusste
Kapitel 22 – Leben als Diskontinuität. Worauf wir uns einstellen müssen
Kapitel 23 – Eine Welt zu gewinnen: Wer mündig bleiben will, glaubt an seine Zukunft
Ich danke
Impressum
Hunger, Stürme, Kriege und eine Sonne, die uns kocht.
David Wallace-Wells
Christopher Clark ist einer der bekanntesten lebenden Historiker. Eine der vielleicht wichtigsten Erkenntnisse über unsere Zeit aber hat er nicht durch seine Forschungsarbeit gewonnen, sondern bei einem Restaurantbesuch mit seinen Student:innen. Jedes Jahr gehe er mit seiner Abschlussklasse an der Universität Cambridge essen, sagte er 2022. »Wir unterhalten uns dann über alle möglichen Themen, und nun habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass die meisten dieser jungen Menschen nicht nur keine Langzeitpläne haben, sondern sich kaum vorstellen können, dass es überhaupt eine Zukunft gibt.«1 Das sei sicher nur eine anekdotische Beobachtung, sagte Clark. Aber er glaube, »dass diese jungen Leute mit diesem Gefühl nicht allein sind.«
Sein Gefühl trügt nicht. Wo früher der Glaube an den Fortschritt dominierte, sehen heute immer mehr junge Leute eine Zukunft voller Düsterkeit (→ K 1). 2021 wurden für eine Studie weltweit 10 000 Menschen unter 25 Jahren befragt. 56 Prozent von ihnen glaubten, dass die Menschheit dem Untergang geweiht sei.2
Die Tatsache, dass sich viele objektive Lebensbedingungen – Kindersterblichkeit, Ernährung, Zugang zu Wasser und Bildung, Lebenserwartung – heute für mehr Menschen denn je stark verbessert haben, wird überschattet von einem wachsenden Bewusstsein für die existenziellen, vor allem ökologischen Krisen, die vielen nicht mehr beherrschbar scheinen. Es lasse sich »kein ökologisch relevantes Handlungsfeld benennen, in dem die Summe der bekannten und neuen Schäden nicht permanent neue Rekorde erzielt hätte«, schreibt der Ökonom Niko Paech und spricht vom »ökologischen Ernstfall«.3
Als die Nicht-Nachhaltigkeit unserer Lebensweise offenkundig geworden ist, lebten wir bereits »in der Endzeit«, meint der Philosoph Slavoj Žižek.4 »Die Klima-Apokalypse wird kommen. Um uns darauf vorzubereiten, müssen wir zugeben, dass wir sie nicht verhindern können«, behauptet auch der Autor Jonathan Franzen.5 Führende Klimaforscher:innen weisen diese Aussage als »völligen Unsinn« zurück – der Klimakollaps sei sehr wohl noch zu verhindern.6 Aber was Franzen sagt, passt zur Gefühlswelt einer Zeit, in der ein Frankfurter Theater »Apokalypse Resistance Training« für Grundschulklassen anbietet7 und viele auf den Selbsterhaltungstrieb der Menschheit nicht mehr hoffen mögen.
Die Erwartung der Apokalypse ist uralt (→ K 2). In den letzten Jahren ist jedoch einiges geschehen, was diesem alten Bild neuen Auftrieb verliehen hat. Nicht alles, aber vieles davon steht im Zusammenhang mit der Klimakrise. Die vergangenen zehn Jahre waren die heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen, und um das Jahr 2018 herum kamen nicht nur Greta Thunbergs Schulstreik und in der Folge Fridays for Future auf. Es verbreiteten sich auch Studien, die konkret vom drohenden Ende der Menschheit (→ K 4) sprachen.8 Die darin zugrunde gelegten Szenarien deuteten auf eine Erderwärmung von bis zu 5 Grad bis zum Jahr 2100 und damit auf einen Zustand hin, in dem das menschliche Überleben fraglich würde.9
So beschrieb der US‑Journalist David Wallace-Wells noch 2017 eine kommende Welt, in der die Sonne »uns kocht«10.
Im Jahr 2022 schlug Wallace-Wells dann neue Töne an: Vor allem nach dem Aufkommen von Fridays for Future 2018 habe sich im globalen Klimaschutz viel getan, so dass die apokalyptischsten Szenarien nicht mehr wahrscheinlich seien.11 Heute, wenige Jahre später, hält die Klimawissenschaft 2 bis 3 Grad Erderwärmung für am wahrscheinlichsten. Damit komme »eine neue Klimarealität in den Blick«, so Wallace-Wells.
Doch auch in dieser neuen Realität werden Teile der Erde unbewohnbar und Leid, Vertreibung und Tod für viele Menschen die Folge sein.
Die Weltuntergangsangst ist seit jeher tief im Menschen verwurzelt. Als Climate Anxiety (→ K 20) trat sie mit Macht wieder an die Oberfläche des kollektiven Bewusstseins. Und da hat sie heute allerlei Gesellschaft. Denn es ist nicht nur der Klimawandel, vor dem es viele graust.
Als Russland die Ukraine überfiel, kam die seit dem Ende des Kalten Krieges schon fast vergessene Angst vor dem Atomkrieg (→ K 8) zurück. Mit anderen Krisenerscheinungen, nicht neu und für sich genommen womöglich nicht allzu bedrohlich, verwob sie sich zu einem düsteren Panorama: Die sich zwischenzeitlich abzeichnende Rezession nach Covid und dem Krieg in der Ukraine – kommt da ein neues 1929, das damals letztlich dem Faschismus den Weg ebnete? Drohende Blackouts (→ K 14) durch die Gasknappheit – das Szenario, auf das Prepper (→ K 16) schon lange warten. Oder die bereits in der Pandemie bröckelnden Lieferketten: Zeigte der plötzliche Mangel an Fiebersaft12 in den Apotheken das Ende einer weltweit verschränkten Wirtschaft, in der kaum jemand, ohne weit entfernte Zulieferer, noch zu produzieren imstande ist (→ K 10)? Schließlich wird seit Langem genau vor diesem Szenario eines Zusammenbruchs der globalisierten Wirtschaft gewarnt.
In Covid‑19 (→ K 5) sahen viele den Beginn eines »Zeitalters der Pandemien«, in dem immer schneller mutierende Viren die Menschheit bedrohen.13 Für das Querdenker-Milieu hingegen war die staatliche Corona-Politik der Anfang vom Ende der Freiheit und der Beginn eines totalitären Regimes. Einige erwarteten den Untergang durch das Virus, andere durch den Kampf gegen die Pandemie.
Menschen fürchten sich vor der Machtübernahme der Künstlichen Intelligenz (→ K 9), dem Artensterben, vor Dürre, Hunger, Wassermangel, chemischer Verseuchung, Naturzerstörung (→ K 3) und – allerdings viel zu wenige – vor dem Ende der Wirksamkeit von Antibiotika. Andere ängstigt, dass die wachsende Zahl von Flüchtenden Faschismus und Kriege nach sich ziehen könnte. Umgekehrt fürchten sich Rechte vor dem finalen Wirtschaftscrash (→ K 13), Stromausfällen (→ K 14) oder dem Aussterben der Weißen (→ K 15) durch Migrationsbewegungen – und rüsten sich für den Endkampf gegen den »Great Reset«, das angebliche Weltbeherrschungsprojekt einer globalen Elite.
Einige dieser Ängste sind irrational. Viele sind es nicht. Und die Bereitschaft, voneinander unabhängige oder nur teilweise miteinander verbundene Krisen zu einem umfassenden zivilisatorischen Rutschen zusammenzudenken, ist groß. »Fragile States – apokalyptische Seelenzustände und ihre Vergemeinschaftung«14 hieß ein Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse 2021. »Überall auf der Welt spitzen sich soziale und wirtschaftliche Krisen zu«, hieß es da. Immer häufiger würden Stimmen laut, die das Szenario eines Systemzusammenbruchs entwerfen.
Manchen hilft dies, mit einer kaum noch zu durchdringenden Komplexität der Welt umzugehen: Wo überall Katastrophen zu sehen sind, bietet der Gedanke, es stecke etwas Allgemeines, Größeres dahinter, eine trügerische Erleichterung. An das Wirtschaftssystem denken dabei wenige – der Verschwörungsglaube ist vielen näher (→ K 17). Und nirgendwo wird der Untergang heute so eifrig herbeigeredet wie in rechtsextremen Kreisen. Sie sehen im Schüren dieser Ängste, nicht ganz zu Unrecht, ihr Ticket an die Macht (→ K 13, 14, 16). Denn: »Dieser bedingungslose Wille zur Angst und das mit ihm verbundene schwelgerische Ausmalen großer Gefahren haben in Deutschland eine lange Tradition«, schrieb schon 1985 der Publizist Wolfgang Pohrt.15
Von einer »Kultur der Angst« sprach 2005 auch der Soziologe Frank Furedi.16 Es habe noch nie eine so »massive Anhäufung von Angstkampagnen wie in den letzten 25 Jahren« gegeben.
Heute ballen sich die objektiven Krisen. Und die Angst potenziert sich. Überall, nicht nur beim Klima, ist plötzlich von »Kipppunkten« die Rede.
Früher war es die Bibel (→ K 2), die mit den prophetischen Ankündigungen der Apokalypse, auf die das Reich Gottes folgen würde, den Untergang predigte. Seit der Aufklärung, spätestens aber seit der Erfindung der Atombombe, sind die religiösen Vorstellungen oft nur noch der unbewusste kulturelle Unterbau, auf den trifft, was die Naturwissenschaft kommen sieht.
Die Bereitschaft der Menschen, ihren Untergang zu erwarten, ist seit jeher hoch (→ K 2). »Seit nachweislich 3000 Jahren hatte bisher jede Generation die Vorstellung, sie werde die letzte auf Erden sein, oder zumindest ihre Kinder die Apokalypse erleben«, schreibt der Psychoanalytiker Wolf-Detlef Rost.17 Darin spiegle sich eine »Mischung aus Schuldgefühl und Grandiositätsfantasien, die letzte menschliche Generation zu sein, damit zum Vollstrecker der Geschichte zu werden.«
So gesehen, neigt der Mensch zum Exzeptionalismus – er ist stets überzeugt, an einem Wendepunkt der Geschichte zu leben, wie der Göttinger Religionssoziologe Alexander Kenneth-Nagel meint. »Von A wie Atomkraft bis Z wie Zombies« besetze die Apokalypse die Köpfe des modernen Menschen.18 Doch anders als in früheren Zeiten sei der Mensch heute für die Krise selbst verantwortlich – und wird nun zum Sachwalter der eigenen Erlösung oder ihres Ausbleibens. Deshalb stellen moderne apokalyptische Szenarien »in aller Regel Aufrufe zum Handeln« dar, so Kenneth-Nagel.
Und diesen Aufrufen folgen heute viele.
Es war »im Frühjahr 2018, als es Ende April in ganz Berlin nach Waldbrand roch«, als ihm klar wurde, dass es »schon viel zu spät war, um den Klimakollaps abzuwenden«, schreibt Tadzio Müller, ein langjähriger Klimaaktivist, über seine »Klima-Depression«.19 Die Waldbrände im Frühling in Nordeuropa hätten ihm klargemacht, dass »die Eskalation der Klimakriseneffekte derartig schnell verlief, dass wir uns schon im Klimakollaps befinden mussten, dass der Makrokipppunkt des Klimasystems schon überschritten war; dass wir uns mit Riesenschritten auf eine unlebbare Welt zubewegten«.
Die Klimaforschung kennt zwar regionale Kippelemente, ob es einen »Makrokipppunkt« (→ K 4) gibt, ist indes nicht sicher. Gleichwohl haben viele große Angst davor. Die Vorstellung, ein solcher Makrokipppunkt werde tatsächlich überschritten, ist heute weit verbreitet – und sei es nur als Chiffre für das Ende der alten Normalität. Denn dass diese zerfällt, spüren viele.
Wenn er neue Leute treffe, sei eine seiner ersten Fragen meist: »Was glaubst Du, wie viele ›gute‹ Jahre haben wir noch?«, schreibt Müller. Die meisten würden von »maximal 10 guten Jahren« ausgehen. »Und trotzdem läuft jeden Tag das normale, sprich, normalwahnsinnige Leben einfach weiter.«
Müller zählt zu den bekanntesten Klimaaktivist:innen in Deutschland. In den sozialen Medien ist er unermüdlich aktiv, es gibt kaum eine Aktion, über die er nicht berichtet. Seinem Pessimismus steht offenkundig eine ausreichend große Resthoffnung gegenüber, die ihn aktiv bleiben lässt. Das gilt auch für die Klimabewegung insgesamt, der deshalb zu Unrecht Apokalyptik vorgeworfen wird. Denn ihr Widerstand, ihre Opferbereitschaft, ihre Unbedingtheit sind nur dadurch zu erklären, dass sie glauben, etwas erreichen zu können, wenn sie nur genügend Druck aufbauen. Und an die Stelle der Parole »Die Klimakatastrophe stoppen«, ist bei vielen längst »Jedes Zehntelgrad zählt« getreten.
Ernsthaft fatalistisch sind deshalb nicht sie. Das sind jene, die der kollektiven Gestaltbarkeit der Zukunft, dem Widerstand gegen die Zerstörung keine Chance mehr geben – als Folge von Verdrängung, Abspaltung, Schuldgefühlen, Ignoranz, Egoismus oder schlichter Bequemlichkeit (→ K 21). Sie sagen: Es bringt ohnehin nichts mehr.
Diese Sichtweise tritt an die Stelle des Glaubens an etwas Besseres, das es zu erkämpfen gilt – mit teils menschenfeindlichen Untertönen. So ist nun immer wieder zu hören, das Aussterben der Menschheit käme dem Planeten nur zugute.20
Nicht wenige denken heute so. Es ist das Echo einer weit zurückreichenden Strömung rechter Ökologie, die das größte Problem darin sieht, dass es »zu viele« Menschen (→ K 3) gebe. In der Klima- und Biodiversitätskrise sehen manche deshalb im Menschen den Feind, den es noch vor den zerstörerischen Verhältnissen, die er geschaffen hat, zu bekämpfen gilt. Und der Fatalismus verdrängt das Bewusstsein für die dringende Notwendigkeit, solidarische Antworten auf schlechter werdende Lebensbedingungen zu finden.
Wie sehr sich der Endzeitglaube heute ins Bewusstsein geschlichen hat, zeigt auch die Subtextverschiebung eines zuletzt häufiger zu hörenden Begriffes: des Spätkapitalismus. Er hat Konjunktur, denn er transportiert die Erwartung, dass das, was wir kennen, sich seinem Ende entgegen neigt. Doch der Spätkapitalismus ist heute von seiner einstigen Verheißung abgekoppelt: Des Versprechens auf den Übergang zum Sozialismus. Heute mag kaum noch jemand sagen, was auf den Spätkapitalismus folgen wird. Der Begriff transportiert nun vielmehr die Ahnung, der Kapitalismus habe die Menschen dazu gebracht, durch Raubbau an den natürlichen Existenzgrundlagen sein und ihr gemeinsames Ende herbeizuführen – ohne, dass an seine Stelle noch etwas Besseres treten könnte. Hier schlägt durch, dass es der Linken nach 1989 nicht gelungen ist, ein Gegenmodell zum Neoliberalismus zu entwickeln, das Strahlkraft entfaltet hätte.
So ist heute mehr vom Untergang die Rede denn vom Aufbruch. Und die Kulturindustrie zieht mit. Vielleicht geht sie auch voran. Endzeitfilme schaffen ein apokalyptisches Imaginarium, in der Literatur ist die Öko-Dystopie heute wohl populärer denn je. Der »ganze apokalyptische Ton hat sich verdichtet«, sagt der Direktor des Heidelberger Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS), Robert Folger.21 »Was Netflix heute produziert – das ist alles sehr, sehr postapokalyptisch. Woher kommen denn all diese Fantasien?«
Vielleicht haben sie ihren Ursprung auch in der Art und Weise, wie Medien heute funktionieren. Die Angst vor dem Weltuntergang sei »immer kommunikativ hergestellt«, sagt der Historiker Frank Bösch22 – und, so muss man hinzufügen, sie ist geprägt von einer heute mehr denn je systematisch negativ verzerrten Wahrnehmung. Diese verfinstert das Bild von der Welt und verstärkt Angst und Abwehr. Zum uralten Glauben an den Untergang kommen heute die existenziellen Risiken unserer Zeit – und eine sich selbst verstärkende Dynamik medialen Katastrophisierens.
Eine der Ursachen dafür liegt im Auftrag der journalistischen Medien: Sie sind dazu da, Risiken und Gefahren aufzudecken, zu zeigen, was falsch läuft. Und das nimmt weit überproportionalen Raum in der Berichterstattung ein. Good news is no news: Gute Nachrichten haben keine Priorität – und werden darum kaum transportiert.
Gleichzeitig kämpft der Journalismus seit Jahren mit Auflagen- und Umsatzrückgang, Digitalisierung und der Konkurrenz durch soziale Medien (→ K 11). Sein Grundmodus, durch Dramatisierung Aufmerksamkeit zu erzeugen, verstärkt sich dadurch noch. Unter den Prämissen der Aufmerksamkeitsökonomie funktionieren soziale Medien genauso. Diese gesteigerte Tendenz zur Dramatisierung ist das zweite Element negativer Wahrnehmungsverzerrung.
Aufseiten der Nachrichtenkonsument:innen kommt zweierlei hinzu.
Erstens erfuhren die Menschen bis vor wenigen Jahren über die Welt vor allem das, was eine kleine Gruppe von Journalist:innen berichtenswert fand. Sie bezogen ihr Wissen im Wesentlichen von einer Handvoll Fernsehsender und einigen wenigen Zeitungen. Diese folgten halbwegs professionalisierten Regeln der kollektiven Aushandlung von Relevanz. Sich selbst verstärkende Erregungszyklen der Öffentlichkeit hatten es schwerer als heute. Das vorherrschende Weltbild war nivelliert und bewegte sich weitgehend innerhalb eines begrenzten diskursiven Korridors. Dieser hatte blinde Flecken, die viel mit der Verteilung gesellschaftlicher Macht zu tun hatten. Zu Recht sind deshalb als Gegenbewegung alternative Medien entstanden.
Heute konkurrieren journalistische Medien als Weltbildformer gegen eine unendliche Zahl von Blogger:innen, Aktivist:innen, NGOs, Unternehmen oder staatliche Stellen. Nutzer:innen können in sozialen Medien folgen, wem sie wollen. Sie entscheiden damit viel stärker selbst, was sie zu lesen angeboten bekommen. Das Ausmaß, in dem sie auf diese Weise ihr Bild von der Welt bestimmen können, ist historisch vollkommen neu.
Das begünstigt die Verfestigung einmal gefasster Überzeugungen durch selektiven Nachrichtenkonsum. »Wenn Sie glauben, dass der Klimawandel das baldige Ende der Menschheit bedeutet, finden Sie leicht im Internet Bestätigung«, sagt der Klimaforscher Zeke Hausfather aus Berkeley, Mitautor von Greta Thunbergs 2022 erschienenem Klimabuch.23 »Und wenn Sie der Meinung sind, dass der Klimawandel ein linker Schwindel ist, können Sie auch dazu viel finden.« Das als Echokammern- oder Filterblasen-Effekt bekannte Phänomen ist umfassend dokumentiert. Und doch ist es in der Tiefe seiner Wirkung wohl noch gar nicht erfasst.
Der zweite Verzerrungseffekt auf Seiten der Nachrichtenkonsument:innen ist ein als »Negativity Bias« bekanntes Phänomen: Schlechte Nachrichten werden überproportional stark wahrgenommen. Diese kognitive Präferenz des menschlichen Gehirns erhöhte einst die Überlebenswahrscheinlichkeit, der evolutionäre Mechanismus ist heute gut belegt. Für den Konsum von Nachrichten in sozialen Medien bedeutet das: Schlimme Botschaften werden weit stärker als gute geklickt, geliked, vom Gehirn weiterverarbeitet und abgespeichert.
Manche lässt das nicht los. Um das Jahr 2018 herum kam der Begriff »Doomscrolling« auf, 2020 wählte die Jury des australischen Macquarie Dictionary es zum Wort des Jahres: »Tun Ihnen die Daumen weh, wenn Sie sich durch die scheinbar endlose Flut schlechter Nachrichten aus dem Jahr 2020 scrollen? Uns auch«, schrieb die Jury.24 Das Wort sei ein »hervorstechendes Kennzeichen des Jahres 2020, mit all seinen beunruhigenden Nachrichten, von den Buschbränden bis zu den US‑Wahlen und natürlich dem Coronavirus«.
Die Fixierung auf Katastrophenszenarien und die zunehmende Unfähigkeit, Grautöne, Ungewissheiten und Fortschritt zu erkennen, führt zu einer Dynamik, die noch die schrillsten Töne fördert. Hetze, Demagogie und Endkampffantasien, Panik, Verdrängung, Abwehr und Eskapismus sind die Folgen.
Indes ist die Endzeiterwartung, wie sie in unseren Breiten verhandelt wird, auch ein Eurozentrismus ganz eigener – und besonders empathieloser – Art. Oft steckt dahinter die Angst vor dem eigenen wirtschaftlichen Abstieg aus einer historisch und global einzigartig privilegierten Position. Denn Krisen kosten Wohlstand. Die Überzeugung, dass es der nächsten Generation besser gehen wird als der heutigen, erscheint vielen nicht mehr haltbar. Die Angst, keine Zukunft zu haben, ist in Wahrheit womöglich nur die Ahnung, dass die Zukunft nicht mehr so aussehen könnte, wie man sie sich wünscht. Wie sehr die realen ökologischen und sozialen Zusammenbrüche im globalen Süden für viele Menschen dort schon heute tatsächlich das Ende ihrer Welt bedeuten, wird dabei ignoriert.
Denn sicher ist, dass sich existenzielle Risiken sehr unterschiedlich auswirken – und historische, koloniale Ungleichheiten dabei eine entscheidende Rolle spielen. Diejenigen, die bereits jetzt ihre Lebensgrundlagen verlieren, tragen dafür in der Regel am wenigsten Mitverantwortung – und haben die wenigsten Ressourcen, um sich für die Risiken zu wappnen (→ K 6, 22). Daran etwas zu ändern, erfordert Kraft und Glauben an die Gestaltbarkeit der Zukunft.
Mit dem berühmt gewordenen Satz, die Proletarier hätten »eine Welt zu gewinnen«, beendete Karl Marx das Kommunistische Manifest. Der Linken vermachte er so den darin angelegten Fortschrittsglauben. »A New World from the Ashes of the Old« – diesen Slogan wählte das anarchistische Crimethink-Kollektiv aus den USA.25 In ihm hat sich der Glaube erhalten, eine linke Bewegung könne die Welt zu einer besseren machen. Die stattfindende Zerstörung wird hier nur als Übergang zu einem besseren Morgen gesehen. Es ist ein ermutigender Gedanke. Aber er findet heute nur wenige Anhänger:innen. Und mit dem Glauben an das bessere Morgen zerrinnt die Fähigkeit, es zu erkämpfen und zu gestalten.
Dieses Buch soll zeigen, wie sich der Glaube an eine bessere Zukunft bewahren lässt, ohne die Krisenhaftigkeit unserer Zeit zu leugnen und den Ängsten vieler Menschen ihre Berechtigung zu nehmen.
Geschichte und Gegenwart apokalyptischer Erwartungen
Die Krisen überlagern sich und hören nicht auf.
Simon Schnetzer
»Es gibt Momente, bei denen ich abends im Bett liege und weine, weil ich Angst habe, dass meine Familie stirbt. Dass meine Oma im Sommer nicht mehr rausgehen kann, weil es zu heiß für sie ist. Ich stelle mir dann Unruhen und Kriege vor.«1
Das antwortet die Letzte-Generation-Aktivistin Carla Hinrichs im Februar 2022 einem Reporter der Welt auf die Frage, ob sie die Angst vor der Klimakatastrophe »körperlich spürt«. Die junge Frau hatte ihr Jurastudium unterbrochen und war nach Berlin gezogen, um sich bei Aktionen der Letzten Generation auf Autobahnen zu kleben. »Ich kann jetzt nicht am Schreibtisch sitzen und das System studieren, das diese Katastrophe ausgelöst hat«, sagte die damals 24‑Jährige. »Ich frage mich, warum das nicht alle machen. Warum haben nicht alle diese Angst?«
Nicht alle haben diese Angst – aber viele. Jedenfalls viele, die so alt sind wie Hinrichs. »Ängste vor Krisen oder gar dem Weltuntergang haben sicher zugenommen«, sagt Daniella Nosetti-Bürgi von den Psychologists for Future.2 Wie sollte es auch anders sein, wenn der UN‑Generalsekretär António Guterres Sätze sagt wie: »Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle mit dem Fuß auf dem Gaspedal«3? Oder wenn ein EU‑eigener Thinktank wegen der Erderwärmung vor »im schlimmsten Fall dem Aussterben der gesamten Menschheit«4 warnt? Was sollen junge Menschen da anderes tun, als in Panik zu geraten?
Die bisher größte Umfrage zur Klimaangst hat eine Forschergruppe um die Psychologin Caroline Hickmann von der Universität Bath in England durchgeführt.5 Sie befragte im Frühjahr 2021 online 10 000 Menschen zwischen 16 und 25 Jahren in Australien, Brasilien, Finnland, Frankreich, Indien, Nigeria, auf den Philippinen, in Portugal, Großbritannien und den USA.6 Fast die Hälfte der Befragten (45 %) gab an, dass Klimaangst ihr tägliches Leben verändert habe: Die Art und Weise, wie sie spielen, essen, lernen und schlafen. Mehr als sieben von zehn (75 %) glaubten, dass »die Zukunft beängstigend« ist. Knapp zwei von drei (58 %) sagten, Regierungen würden »mich und/oder künftige Generationen verraten«. Fast vier von zehn (39 %) hatten Bedenken, Kinder zu bekommen. Vor allem aber stimmten 57 Prozent der Aussage »Die Menschheit ist dem Untergang geweiht« zu. Hierbei war der Wert in Finnland am niedrigsten (43 %) und in Indien am höchsten (74 %).
Gegen die Zahlen ließe sich womöglich einwenden, dass das Geld für die Studie von der Kampagnenorganisation Avaaz stammt, die selbst Wurzeln in der Klimabewegung hat. Zudem hat die Studienleiterin Hickmann Climate Anxiety (→ K 20) gewissermaßen zu ihrem Lebensthema gemacht. Beide sind also nicht ganz unvoreingenommen. Es ist auch gut möglich, dass vor allem Jugendliche geantwortet haben, die die Klimakrise umtreibt und so ein Bias entstanden ist. Doch selbst dann sind 57 Prozent, die das Ende der Menschheit kommen sehen, ein erschütternder Befund. Sie zeugen von einer Generation, die den Glauben an die eigene Zukunft verloren hat. Und andere Erhebungen weisen in eine ähnliche Richtung.
Als das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) im November 2022 weltweit rund 240 000 junge Menschen befragte, gab etwa die Hälfte der Antwortenden aus Afrika an, aufgrund des Klimawandels das Kinderkriegen zu »überdenken«.7 In Deutschland erklärten zuletzt zwei Drittel (66 %) der befragten Kinder zwischen 10 und 13 Jahren, sie machten sich Sorgen wegen des Klimawandels.8 Bei einer weiteren Umfrage unter 12- bis 18‑Jährigen waren es sogar 80 Prozent.9
Bisweilen ist von jungen Menschen auch zu hören, sich über die Rente keine Gedanken mehr zu machen – wenn es für sie so weit sei, werde der deutsche Staat nicht mehr existieren. »Es ist wirklich furchtbar, dass wir der jungen Generation als einzige Utopie die Verhinderung einer Katastrophe bieten können«10, sagt der Potsdamer Klimaforscher Anders Levermann. Doch was, wenn die Jugend selbst an dieses Angebot nicht mehr glaubt?
Dabei es ist nicht nur der Klimawandel, der die Jugend sorgt. Es ist die Ballung von Krisen. Laut einer Bertelsmann-Studie vom August 2022 befürchtet die Mehrheit der Jugendlichen (60 %) Wohlstandsverluste durch steigende Energiepreise und Inflation.11 Mehr als die Hälfte der befragten Jugendlichen berichtete von Angst- und Trauergefühlen, die der Krieg in der Ukraine in ihnen ausgelöst habe. Vor einem Überschwappen des Konflikts auf Deutschland sorgten sich 57 Prozent der Kinder im Alter von 12 bis 13 Jahren.
In Österreich ergab eine Umfrage vom November 2022, dass sich zwei Drittel der Befragten vor Preissteigerungen (70 %), der Energiekrise (63 %), dem Krieg in der Ukraine (58 %), der Klimakrise (58 %) sowie vor Menschen auf der Flucht (51 %) fürchteten.12
»Die Jugend leidet unter einer kollektiven Depression«13, schreibt dazu Tristan Horx, der Sprecher des Zukunftsinstituts in Österreich, nach eigener Darstellung ein »Experte für Megatrends«. Die Jugend habe resigniert und wolle »ihre letzten Jahre noch ein bisschen Spaß haben, bevor sowieso alles den Bach runtergeht«. Von Optimismus gebe es »keine Spur«, so Horx.
Die besten Einblicke in die jugendlichen Gemütslagen gaben lange die Shell-Jugendstudien. Gesponsert von dem Mineralölkonzern, untersuchten sie alle paar Jahre hochseriös die Einstellungen von Jugendlichen in Deutschland. Das zentrale Ergebnis der Studie aus dem Jahr 2000 etwa war »eine deutlich gewachsene Zuversicht in Bezug auf die persönliche wie auch auf die gesellschaftliche Zukunft«.14 Die Hälfte aller Jugendlichen beurteilte damals die gesellschaftliche Zukunft »eher zuversichtlich« – und das gleichermaßen in Ost- wie Westdeutschland. Es spreche »wenig für die manchmal zu hörende Unterstellung, die Jugendlichen wüssten angesichts fortdauernder Arbeitslosigkeit, Flexibilisierung und Globalisierung sowie rasantem Wandel in allen Lebensbereichen nicht mehr aus noch ein«, so die Forscher:innen.
Die Schriftstellerin Juli Zeh spricht von einer »ungewöhnlichen« Ruhe im selben Zeitraum in Deutschland, in den 1990er- und 2000er-Jahren. »Unsere Generation war nicht sehr aktivistisch, es war eine absolut optimistische Zeit, mindestens ein Jahrzehnt lang hatte man nach der Wiedervereinigung den Eindruck: Alles wendet sich zum Besseren. Wir lebten am Ende der Geschichte.«15 Das ist eine sehr westdeutsche Erinnerung – viele junge Menschen im Osten dürften diese Zeit angesichts zunehmender rechtsextremer Gewalt sehr anders erlebt haben. Gleichwohl wirft Zehs Beobachtung die Frage auf, ob das heute offenbar gewachsene Bewusstsein für die Lage von Menschen im Globalen Süden im Kontext der Klimakrise nicht als Fortschritt gesehen werden muss.
Der Optimismus hielt jedenfalls noch eine Weile an. In der Shell-Studie von 2010 hieß es, die Jugendlichen blickten »optimistischer in die persönliche Zukunft«.16 Auch 2015 taten das noch 61 Prozent.
Shell-Studien gibt es seit ein paar Jahren nicht mehr. Und den Optimismus auch nicht. Der einstige Leiter der Shell-Studien, der Soziologe Klaus Hurrelmann, führt heute zusammen mit dem Jugendforscher Simon Schnetzer jedes halbe Jahr die Studie »Jugend in Deutschland« durch. In der Studie vom Mai 2022 heißt es: »Ob Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie oder der Klimawandel – die Lebenswelt junger Menschen ist aktuell von Krisen geprägt.«17 Junge Menschen erlebten einen Kontrollverlust. »Die dichte Aufeinanderfolge von tief in das Leben eingreifenden Krisen setzt der Jugend zu«, so Hurrelmann. Nach der Pandemie seien viele von ihnen psychisch angespannt. »Die Bedrohung durch einen Krieg in Europa drückt als eine weitere schwere emotionale Last auf ihre Stimmung.«
Die darauffolgende Studie vom November 2022 zeigte, wie junge Menschen unter der Last der Mehrfachkrise – Corona, Klimawandel, Krieg in der Ukraine – leiden. Lebensqualität, wirtschaftliche Lage, gesellschaftlichen Zusammenhalt und politische Verhältnisse bewerten sie viel schlechter als zuvor. »Diese Krisen tragen dazu bei, dass Jugendliche sich fühlen, als würden sie aus dem Tunnel gar nicht mehr herauskommen. Die Krisen überlagern sich und hören nicht auf«, sagt Hurrelmanns Co‑Autor Schnetzer.18 Den »Sorgenindex«, den Schnetzer schon länger erstellt, führten Anfang 2023 Inflations- und Kriegsängste an. Und das Klima »wurde als Sorge nicht kleiner. Es sind nur größere dazu gekommen.«
Wer Schnetzer fragt, wann die Jugend den Glauben an ihre Zukunft verloren hat, bekommt eine klare Antwort: 2015. »Das war das Ende dieser Zeit, wo ich dachte, die Zukunft ist safe.«19 Das habe er in seinen Befragungen immer wieder gehört. Bis dahin sind die Krisen gekommen und wieder gegangen. Doch die Flüchtlingskrise hat vermeintliche Gewissheiten ins Wanken gebracht. »Das war ein globales Ereignis, das plötzlich Auswirkungen bis ins letzte Dorf in Deutschland hatte.« Überall sah man nun die Menschen, die vermeintlich weit entfernte Kriege hierhergetrieben hatten. Die eigene Verwundbarkeit wurde sichtbar.
2015 selbst war zwar »noch eine Krise von der Art, die kam und ging«, doch zeichneten sie bereits globale, permanente und universelle Aspekte aus. Gewiss, auch die Finanzkrise 2008 nach der Pleite der Lehman Brothers Bank war schon global. Doch sie betraf nicht alle. »Bei der Flüchtlingskrise aber konnte niemand mehr sagen, er habe sie nicht mitgekriegt«, sagt Schnetzer. Und so waren die Flüchtlinge für viele junge Menschen Überbringer:innen einer Botschaft: Die Welt ist unabwägbarer geworden – und damit auch die eigene Zukunft weniger sicher.
Ab 2018 rückte Fridays for Future die Klimakrise ins Bewusstsein der Menschen. Extremwetterereignisse wie Hitzesommer oder die Ahrtalflut haben es noch weiter geschärft. »Viele sahen: Das ist krasser als gedacht« (→ K 4). Dann kam Corona, und schließlich der Krieg in der Ukraine. »Anstatt dass sie kommen und gehen, bleiben die Krisen nun«, so Schnetzer. Das sei neu. »Es verursacht eine negativere Grundstimmung und das Gefühl von Ohnmacht.« Schnetzer erinnert daran, dass die Jugend in der Corona-Krise nicht mit einbezogen wurde. »In der Pandemie waren die Schulen zu und die Botschaft war: ›Seht zu, wie ihr klarkommt.‹« Junge Menschen hätten sich plötzlich als unmündige Bürger:innen erlebt, denen die Kontrolle über ihr Leben entglitt. Und Kontrollverlust ist ein zentraler Faktor der Apokalypseangst, auch bei älteren Generationen.
Hinzu komme der drohende Wohlstandsverlust, der auch deshalb so schwer zu akzeptieren sei, weil der Vergleichsmaßstab allgegenwärtig sei: der Lebensstandard der Elterngeneration. Kürzlich, sagt Schnetzer, habe er mit Verwandten aus der ersten Nachkriegsgeneration eine ZDF-Dokumentation über Stalingrad gesehen. »Die haben gesagt, die Jungen von heute, die wissen gar nicht, wie schlecht es uns ging, wie schwierig es war, wenn du raus vor die Tür gehst und alles in Trümmern liegt.« Die Stimmung in Deutschland sei eine »sehr von den Wohlstandsjahrzehnten geprägte, westliche Sicht«. Diese Jahrzehnte aber, so glaubten heute junge Menschen, seien passé. »Habe ich noch das Gefühl, dass es mir besser gehen könnte als meinen Eltern? Früher konnten einige das bejahen.« Heute aber erodiere die Grundlage allen materiellen Wohlstands – die Natur. Und die Ahnung davon breite sich aus. »Das ist ein Kipppunkt für junge Menschen.«
Schon der Vergleich mit nur unwesentlich Älteren falle ungünstig aus: »Drei Jahrgänge vorher haben sie ihren Schulabschluss gemacht, sind dann nach Australien, Auslandsjahr. So war das. Du wächst nicht in Deutschland auf und denkst: Du musst dich in Verzicht üben. Sondern: Das und das kann ich tun«, sagt Schnetzer. Heute suchten manche kein WG‑Zimmer mehr, sondern nur noch ein Bett. »Sie sind die ersten, die jetzt wieder eine schlechtere Zukunft sehen müssen. Eine, die von Verzicht geprägt ist.«
Postmaterialistische Einstellungen, die lange Zeit als Merkmal der um die Jahrtausendwende Geborenen galten, halten mit dem erwarteten Wohlstandsverlust nicht Schritt, sagt Schnetzer. Manche erben, andere haben oder erwarten Jobs in Branchen, die weiterhin gut zahlen. »Aber denjenigen, denen es vor der Krise schon schlecht ging, geht es noch schlechter. Und die Mittelschicht insgesamt – die wird schrumpfen.«
Der Philosoph Hartmut Rosa spricht von einer »neuen Weltbeziehung«, die daraus erwachse: »Heute sagen Eltern, sie müssten alles tun, was sie können, damit es den Kindern nicht schlechter geht, damit sie nicht zurückrutschen auf der sozialen Leiter.«20
Die Angst vor dem Untergang sei uralt (→ K 2), sagt Rolf Scheuermann von CAPAS.21 »Schon immer in der Geschichte der Menschheit war die Panik da: Wie geht es weiter?« Diese Angst sei »ein zyklischer Prozess, der mal mehr oder mal weniger stark in den Vordergrund tritt«. Für diese Angstzyklen brauche es Auslöser. Und davon gebe es heute eben sehr viele. Die jüngeren Generationen in Europa lebten in einer langen Phase relativen Friedens und Wohlstands. »Da sind viele Probleme in den Hintergrund getreten«, so Scheuermann. Doch nun ballten sich die Störungen: Der Klimawandel, die Pandemie, ein großer Krieg in Europa, Umbruchphasen in der Arbeitswelt, eine sich möglicherweise neu formierende Weltordnung. »Viele Menschen erleben dies als bedrohliche Umwälzungen.«
Schnetzers Befragungen ergaben, dass direkt nach der Sorge der jungen Menschen um die Inflation jene wegen des Krieges in der Ukraine (→ K 8) folgt. »Die Nachrichten von der Front werden nicht mehr gefiltert von Redaktionen« sagt Schnetzer. »Sie kommen mit Social Media direkt durch: Livestreams mit einschlagenden Bomben, zerfetzten Körpern, in Echtzeit – und können so in den jungen Köpfen Wirkung entfalten.«
Für den ungefilterten Konsum katastrophaler Nachrichten gibt es einen Begriff: »Doomscrolling« (→ K 19), die zwanghafte Durchforstung von Social-Media-Timelines nach immer neuen Hiobsbotschaften. Und das Angebot an schlechten Nachrichten ist – zumal in Zeiten der Klimakrise – unerschöpflich. Man könne jungen Menschen daher nicht verübeln, dass sie zu dem Schluss kommen, in einer »krassen Krisenzeit« zu leben, sagt Schnetzer.
Luisa Nübling ist eine junge Klimaaktivistin, die seit 2021 eine Ausbildung zur Schauspielerin in Hamburg macht. Was es für ihre Lebensgestaltung bedeutet, in einer solchen Zeit zu leben, beschreibt sie so: »Wenn die Klimakrise nicht wäre, dann würde ich nicht jeden zweiten oder fast jeden Tag bei meiner Ausbildung überlegen – was mache ich eigentlich hier?«22 Sie würde in Ruhe lernen, in der Zwischenzeit Menschen treffen, die ihr wichtig seien und »mich vielleicht noch für Themen einsetzen, für die ich mich tatsächlich interessiere.« Also nicht für das Klima. »Ich habe das Gefühl, ich würde in dem Alter, in dem ich bin, eigentlich gerne ein bisschen rumprobieren und gucken, was gefällt mir denn, was mache ich gerne? Aber es fühlt sich so an, als wäre jeder Tag, an dem ich etwas mache, das nicht unbedingt zum Lösen der Klimakrise beiträgt … als hätte ich nicht das Recht dazu, oder wir haben einfach nicht die Zeit, das zu machen.«
Alltag und Zukunftsplanung finden so heute unter ganz anderen Vorzeichen statt als noch in der Generation, die bis 1990 geboren ist. Diese blickte optimistischer in die Zukunft und hatte dadurch Freiheiten, die heute fehlen.
Es sind indes nicht nur die Jüngeren, die sich Gedanken machen. Nur die Schlussfolgerungen unterscheiden sich teilweise. Am 17. Februar 2023 stand die eingangs erwähnte Letzte-Generation-Aktivistin Carla Hinrichs wegen einer Straßenblockade ein Jahr zuvor vor Gericht. Bei der Verhandlung am Amtsgericht Tiergarten sagte der Richter Christoph Weyreuther: »Der Mensch wird sowieso aussterben, davon bin ich fest überzeugt. Das lässt sich nicht verhindern, dafür ist er zu dumm.«23 Hinrichs versuchte daraufhin, »von Schluchzern unterbrochen«, dem Richter zu verdeutlichen, was er gesagt habe: »Wir werden uns um den letzten Tropfen Wasser kloppen.«
Hinrichs hat eine klare Vorstellung davon, was auf die Menschheit zukommen könnte. Doch Resignieren kommt für sie nicht infrage. Nach der Verhandlung sagte sie über Weyreuther: »Es ist schockierend, dass Menschen gewillt sind, sehenden Auges über die Klippe zu gehen. Er hat nicht verstanden, wie dramatisch die Krise ist. Da bin ich emotional geworden. Ich war einfach fassungslos. Er will mich bestrafen, weil ich noch Hoffnung habe.«
Und es kam Hagel und Feuer, mit Blut vermengt, und wurde auf die Erde geschleudert; und der dritte Teil der Erde verbrannte, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte.
Offenbarung 8,6
Die Offenbarung des Johannes ist das letzte Buch des Neuen Testaments. Sie beschreibt das Ende der Welt. Wer die Nachrichten und Klimadebatten der letzten Jahre verfolgt hat, dem kommt manches darin bekannt vor:
Nachdem die Menschen sich gegen Gott versündigen, kommt die Vernichtung über sie. Es ist die Rede von einem Strom, der von der Erde verschlungen wird,1 von sieben Plagen und Missernten.2 Flüsse trocknen aus, Blitze, Donner und ein gewaltiges Erdbeben lassen Städte einstürzen.3 »Und alle Inseln verschwanden, und die Berge wurden nicht mehr gefunden«.4 Gewaltige Hagelbrocken fallen herab. Der Sonne wird die »Macht gegeben, die Menschen zu versengen mit Feuer«, doch diese »bekehrten sich nicht«.5 Am Ende wird »der Rauch von ihrer Qual (…) aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit«6, und »alles, was glänzend und herrlich war, ist (…) verloren«.7
Tatsächlich gibt es nicht nur in der Bibel und im frühen Christentum, sondern in vielen Zivilisationen der Erde facettenreiche Endzeitvorstellungen. In der Antike waren sie »Teil der naturwissenschaftlichen Kosmologie (…) und nicht mit den Göttern verbunden«8, sagt der Historiker Peter Dinzelbacher. Mit dem Aufkommen des Christentums wurden sie schließlich zu einem festen Bestandteil religiöser Lehre: »Gott vernichtet seine Schöpfung.«
Wie in der Bibel kollidieren auch in der modernen Gesellschaft von heute zwei sich widerstreitende Grundideen: Die Natur zu nutzen und sie gleichzeitig zu schützen. Das Alte Testament gibt dem Menschen den Auftrag, »über die ganze Erde« zu herrschen: »Unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.«9 Gleichzeitig soll er die Erde bewahren: Der Mensch möge sie »bebaue[n] und hüte[n]«.10 An dieser Einschränkung des Unterwerfens scheitert der Mensch schon früh – und zieht damit den Zorn Gottes auf sich.
Im Buch Jeremia straft Gott die Menschen, denn »Gutes zu tun verstehen sie nicht«11. Es bricht ein »Glutwind« los, ein »Wind, der viel heftiger ist«, ein »Wettergewölk zieht er herauf, (…) Weh uns, wir sind verloren.« Am Ende sind »alle Vögel des Himmels (…) verschwunden« und das »Gartenland war Wüste«. Das war die Strafe: »Das ganze Land soll zur Öde werden«. Die Schöpfungsgeschichte läuft also »sozusagen (…) rückwärts«12 – Menschen, Tiere und Pflanzen verschwinden, das Licht geht aus, am Ende ist wieder alles »wüst und wirr«, weil die Menschen sündigen.
Ein zentrales Motiv solcher Untergangsgeschichten ist die Sintflut, eine von Gott gesandte Flutkatastrophe, die die gesamte Menschheit und die Landtiere auslöschen soll. Das 1. Buch Mose der Bibel erzählt die Geschichte von Noah und seiner Familie, die die Flut in einer Arche überleben.
In anderen mythologischen Erzählungen der Antike finden sich vergleichbare Sintflut-Schilderungen: im sumerischen Atraḫasis-Epos etwa, in dem Ziusudra, der Gottkönig der Stadt Šuruppak, die Menschheit vor der Flut rettet. Ganz ähnlich das babylonische Gilgamesch-Epos, in dem der Held Uta-napišti die Sintflut übersteht. Die griechische Mythologie kennt die von Zeus gesandte Deukalionische Flut, die nur Deukalion, der Sohn des Gottes Prometheus und seine Frau Pyrrha überleben. Sowohl frühchristliche Schriften vor dem Alten Testament als auch der Koran beziehen sich auf die Sintflut. Und so ist eine der größten heutigen Sorgen der Menschheit im Kontext der Klimakrise – der Anstieg des Meeresspiegels – also eine der am weitesten verbreiteten mythologischen und religiösen Schreckensvisionen der Antike.
Hitze, Feuer, Unwetter und Sintflut als Strafe für Sünden gegen die Natur – solche Vorstellungen vom Weltende hatten Jahrtausende Zeit, sich in den unteren Schichten des kollektiven Bewusstseins abzulagern. Wetterphänomene oder außergewöhnliche Naturerscheinungen, Kometen, Sonnenfinsternisse, Überschwemmungen, Erdbeben wurden seit jeher penibel beobachtet und unter anderem in mittelalterlichen Chroniken überliefert. Naturkatastrophen, Hungersnöte und Epidemien galten Christ:innen seit jeher als Vorboten des anbrechenden Endes. Und um 1520 kursierten in deutschen Landen 150 Endzeitpamphlete.13 Martin Luther kündigte das Ende der Welt gleich dreimal innerhalb von ein paar Jahren an: Für 1532, 1538 und 1541.14
Untergangserwartungen als solche sind historisch stabil, sie sind eine anthropologische Konstante. »Der Mythos vom Ende der Welt ist eine echte Erfolgsgeschichte (…) Die Menschheit ohne Zukunft ist ein über Epochen und Kulturen hinweg tradiertes Motiv«, heißt es beim Heidelberger CAPAS.15 Apokalypsen seien »eine der grundlegendsten Denkfiguren«.
Zur Verankerung im abendländischen Gedächtnis trugen auch die führenden Künstler:innen ihrer Zeit bei. Sie überführten die Offenbarung des Johannes in Bildwelten – so wie etwa der italienische Maler Luca Signorelli, der um 1499 »Die Verdammten« schuf, ein Bild, dessen Hauptmotiv dieses Buch ziert. Früher dienten diese Bilderwelten dazu, den Menschen zum Gehorsam gegenüber der Kirche anzuhalten. Nur so ist zu erklären, dass in der »mittelalterlichen Kunst die Drohungen der Höllenstrafen deutlich plastischer vorgestellt wurden als die himmlischen Verheißungen«16, so der Historiker Peter Dinzelbacher.
Signorelli und die anderen Maler seiner Zeit haben so ein angsteinflößendes Imaginarium geschaffen, das bis heute fortwirkt. »Im christlichen Abendland sind diese Bestandteile weiterhin aktivierbar«, sagt der Historiker Stefan Brakensiek von der Universität Duisburg-Essen. Er leitet dort das Graduiertenkolleg »Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln«. Populärkultur und Kulturproduktion halten die langverwurzelten Untergangsvorstellungen omnipräsent. »Kein Naturfilm, ohne dass der Untergang einer Art als wahrscheinlich dargestellt wird. Kein TV‑Feature ohne die Moral: ›Wir Menschen machen das jetzt gerade kaputt.‹«17
Es gibt einen Spielfilm aus dem Jahr 1988, Das Siebte Zeichen. Demi Moore spielt darin Abby Quinn, eine junge Frau, die ein Kind erwartet. In dieser Zeit häufen sich seltsame Naturereignisse: Eisregen in der Negev-Wüste, heiße Fischkadaver, die an die Küsten Haitis gespült werden. Es sind die biblischen Zeichen der Apokalypse. Mit deren Umsetzung auf der Erde betraut ist ein Racheengel namens David Bannon (Jürgen Prochnow). Der mietet sich bei Quinn ein und schaut mit ihr die Nachrichten im Fernsehen: »So viel Elend«, bedauert er. »Menschen gegen Menschen. Sie bringen sich gegenseitig um. Ich habe gedacht, dass die Welt sich ändern würde. Aber das hat sie nicht.«
Quinn fragt den Racheengel, was sie tun kann, um den Lauf der Dinge zu stoppen. Sie müsse eines der sieben Zeichen verhindern, antwortet er. »Dann wäre die Kette unterbrochen. Gott würde der Welt eine zweite Chance geben.« Doch dafür würde sie etwas brauchen, was sie nicht habe: Hoffnung. Quinn hatte sich am Vorabend aus Verzweiflung in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten. »Wie kann jemand, der so wenig am Leben hängt wie du, der Welt Leben schenken?«, fragt Bannon, der Engel.