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Dieses Buch bietet einen Überblick über eine zentrale Epoche der europäischen Geschichte. Mit Philipp II. von Makedonien begann eine nicht nur für Griechenland einzigartige neue Zeit. Zielstrebig, als Feldherr, Staatsmann und Diplomat gleichermaßen überragend, legte Philipp die machtpolitischen Grundlagen für das Werk seines Sohnes. Alexander der Große ist ohne Zweifel eine der faszinierendsten, zugleich aber auch komplexesten Gestalten der Geschichte. Nachdem sein Vater ermordet wurde, sicherte er zunächst die Herrschaft in Makedonien. Dann unterwarf er das Perserreich und ließ sich als Nachfolger der persischen Großkönige feiern. Er eroberte Ägypten und die persischen Residenzen weit im Osten und zog in strapaziösen Märschen, gewaltige Entfernungen überwindend, bis nach Indien, wo das erschöpfte Heer ihn zur Umkehr zwang. Das von ihm begründete Großreich veränderte die gesamte damalige Welt.
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Seitenzahl: 268
Herausgegeben vonKai Brodersen, Martin Kintzinger,Uwe Puschner, Volker Reinhardt
Herausgeber für den Bereich Antike:Kai Brodersen
Beratung für den Bereich Antike:Ernst Baltrusch, Peter Funke,Charlotte Schubert, Aloys Winterling
Johannes Engels
2. Auflage
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.
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2., durchgesehene und bibliografisch aktualisierte Auflage 2012©2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt1. Auflage 2006Die Herausgabe des Werkes wurde durchdie Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-24590-1
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-72334-8eBook (epub): 978-3-534-72335-5
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Geschichte kompakt
Vorwort zur 1. und zur 2. Auflage
I. Einleitung
II. Quellenkunde zur makedonisch-griechischen Geschichte in der Zeit Philipps II. und Alexanders des Großen
1. Literarische Quellen für die Zeit Philipps II.
2. Literarische Quellen für die Alexanderzeit
3. Nichtliterarische Quellen für die Zeit Philipps und Alexanders
III. Makedonien und die griechische Polisstaatenwelt in der Regierungszeit Philipps II. (359–336 v. Chr.)
1. König Philipps Jugend, erste Regierungsjahre und grundlegende Reformen
2. Die Verschiebung des Gleichgewichts der Mächte bis zum Philokratesfrieden 346
3. Vom Philokratesfrieden und dem Ende des Dritten Heiligen Krieges bis zur Schlacht von Chaironeia
4. Philipp als Hegemon von Hellas
IV. Alexander III. der Große, Makedonien, Griechenland und der Verlauf des Alexanderzuges (336–323 v. Chr.)
1. Die Jugendjahre Alexanders bis zur Thronfolge 336 v. Chr.
2. Von der Thronfolge bis zur Beendigung des „panhellenischen Befreiungs- und Rachekrieges“ 330 v. Chr.
3. Der Alexanderzug von 330 bis zu Alexanders Rückkehr aus Indien
4. Die letzten Regierungsjahre Alexanders
V. Athen von der Gründung des Zweiten Attischen Seebundes bis zur Niederlage im Lamischen oder Hellenischen Krieg (377–322 v. Chr.)
1. Außenpolitik und militärische Geschichte bis 322 v. Chr.
2. Der Epochencharakter und die Entwicklung der athenischen Demokratie des 4. Jahrhunderts
VI. Sparta und die Peloponnes vom Königsfrieden bis zur Niederwerfung des Aufstandes unter Agis III. (386–331 v. Chr.)
1. Außenpolitik und militärische Geschichte Spartas bis zum Scheitern des Agisaufstandes 331 v. Chr.
2. Lakedaimonion Politeia: die Verfassungs- und Lebensordnung der Spartaner
VII. Theben und Mittelgriechenland von Thebens Hegemonie bis zur Zerstörung der Polis (371–335 v. Chr.)
1. Theben und der Boiotische Bund im 4. Jahrhundert
2. Weitere Föderalstaaten in Mittelgriechenland und der Dritte Heilige Krieg
VIII. Die kleinasiatischen Griechen im Zeitalter Philipps II. und Alexanders des Großen
IX. Aspekte der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Griechenlands im Zeitalter Philipps II. und Alexanders des Großen
Auswahlbibliographie
Register
Geschichte kompakt
In der Geschichte, wie auch sonst,dürfen Ursachen nicht postuliert werden,man muss sie suchen. (Marc Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.
Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.
Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.
Kai Brodersen
Martin Kintzinger
Uwe Puschner
Volker Reinhardt
Die griechische Geschichte des 4. Jahrhunderts v. Chr. bleibt als späte Phase der klassischen Epoche in den meisten Staatswesen noch mit dem 5. Jahrhundert eng verbunden. In der Poliswelt bestehen viele grundlegende Strukturen nämlich über die Zäsur des Peloponnesischen Krieges hinweg weiterhin. Andererseits verändert sich bereits während der Regierungszeit des Makedonenkönigs Philipps II. das Mächtegleichgewicht grundlegend, und mit der Regierung Alexanders des Großen und seinem Kriegszug gegen das Achaimenidenreich beginnt die neue Epoche des Hellenismus.
Ich möchte zunächst Kai Brodersen, dem Herausgeber der Reihe, dafür danken, dass er mir die Gelegenheit geboten hat, in kompakter Form diese interessante Übergangszeit von der späten Klassik in den frühen Hellenismus in einem Band zu behandeln. So kann der spezifische Charakter dieser Zeit klarer beschrieben werden. Trotz des knappen Formates habe ich dieser Einführung auch einen Abschnitt zur Quellenkunde vorangestellt, um die Leser dieses Bandes dazu zu ermuntern, ihre Vertrautheit mit der Epoche durch möglichst umfangreiche Lektüre der antiken Quellen zu vertiefen.
Bei meiner Beschäftigung mit der griechischen Geschichte des 4. Jahrhunderts habe ich im Institut für Altertumskunde der Universität zu Köln vielfältige Anregungen im Kreis meiner Fachkollegen erfahren. Ihnen und auch den Studenten der Lehrveranstaltungen, die ich zum Thema der griechischen Geschichte im Zeitalter Philipps II. und Alexanders des Großen in Köln und an mehreren anderen Universitäten in den letzten Jahren durchführen konnte, möchte ich ebenfalls danken. Dr. Baulig von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft war in der Zeit der Entstehung des Buches außerordentlich großzügig und verständnisvoll.
Kreuzau, im November 2005
Johannes Engels
Die zweite Auflage dieses Buches gibt die willkommene Gelegenheit, einige wenige Druckfehler und kleine Versehen zu korrigieren. Die internationale Forschung zur Epoche Philipps II. und Alexanders des Großen hat in den vergangenen Jahren wiederum eine große Fülle an wichtigen Einzelstudien und Sammelpublikationen hervorgebracht. In der Auswahlbibliographie dieser zweiten Auflage konnten zumindest einige aus meiner Sicht besonders bedeutende jüngere Beiträge ergänzend zur ersten Auflage aufgenommen werden.
Kreuzau, im Mai 2011
Johannes Engels
Griechenland und der östliche Mittelmeerraum
Der Charakter der Epoche
Im Rahmen der antiken griechischen Geschichte kann man das Zeitalter Philipps II. (circa 382–336) und Alexanders des Großen (356–323 v. Chr.) als eine Übergangszeit zwischen der späten klassischen Polisstaatenwelt des 4. Jahrhunderts und dem frühen Hellenismus charakterisieren. Schon hellsichtige Zeitgenossen hatten ein klares Bewusstsein davon, dass sich zwischen 359 und 323 epochale Veränderungen vollzogen, deren Auswirkungen die ganze östliche Mittelmeerwelt, Ägypten und den Vorderen Orient betrafen. Signifikant für dieses Bewusstsein ist der historiographische Perspektiv- und Paradigmenwechsel, der sich bei griechischen Historikern von Xenophons Hellenika zu Theopomps Philippika und danach zu den frühen Alexanderhistorikern vollzieht. Xenophon hatte in seinen Hellenika den großen Torso der Geschichte des Peloponnesischen Krieges des Thukydides von 411 v. Chr. über das Endjahr dieses Krieges 404 v. Chr. hinaus fortgeführt. Denn das Ringen der bedeutendsten Poleis der polyzentrischen Staatenwelt des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., Athens, Spartas und Thebens, um die hegemoniale Stellung in Hellas war mit dem (vorläufigen) Scheitern Athens, das sich auf den Delisch-Attischen (Ersten) Seebund gestützt hatte, keineswegs beendet. Unerwartet schnell vollzog sich der machtpolitische Wiederaufstieg Athens, das sich bald durch die Neugründung des Zweiten Attischen Seebundes ein politisches und militärisches Instrument schuf, mit dessen Hilfe die Polis bis zum Ende dieser Symmachie 338 v. Chr. und zu dem Verlust der athenischen Flotte 322 v. Chr. in Hellas weiterhin eine bedeutende Rolle spielen konnte. Doch trotz der Wünsche einer Mehrheit des Demos wurde bald erkennbar, dass Athen im 4. Jahrhundert keine Hegemonie mehr über ganz Hellas würde erringen können. Sparta stützte sich in seiner Hegemonialpolitik ebenfalls auf eine hegemoniale Symmachie, den Peloponnesischen Bund. Zwischen 404 und 371 v. Chr., dem Jahr der verheerenden Niederlage von Leuktra, konnten die Spartaner trotz vielfältiger Widerstände eine Führungsstellung im griechischen Raum verteidigen. Doch stürzte auch ihre Vorherrschaft infolge des Egoismus und der Hybris der spartanischen Elite, durch die Inflexibilität und Reformfeindlichkeit des spartanischen Verfassungs-, Herrschafts- und Sozialsystems (seines Kosmos) und weil man die Widerstandskräfte der Gegner Spartas in der griechischen Welt und im Perserreich unterschätzte. Aus heutiger Analyse standen ohnehin Sparta und seiner Symmachie nur zu schwache militärische, demographische und wirtschaftliche Ressourcen für eine dauerhafte Herrschaft auch außerhalb der Peloponnes zur Verfügung. Nachdem die Spartaner die Begriffe der autonomia und eleutheria, der Selbstregierung und Freiheit der Polisstaatenwelt, mehrfach missbraucht hatten, fehlte es ihrer Vorherrschaft über Hellas zudem an einer attraktiven politischen Vision. Nach knapp zehn Jahren fand auch der thebanische Versuch der Errichtung einer Hegemonie, der sich zwischen den Schlachten von Leuktra 371 und Mantineia 362 v. Chr. in Hellas entfaltete, sein gewaltsames Ende. Die Gründe hierfür liegen primär in den mangelnden demographischen, militärischen und ökonomischen Ressourcen Thebens und seines Boiotischen Koinon. Aber auch in diesem Falle fehlte eine attraktive politische Konzeption zur Organisation der griechischen Staatenwelt, da eine bloße Ausweitung des boiotischen Föderalstaates ausschied und Theben während seiner Vorherrschaft auch das Instrument der koine eirene, einer allgemeinen Friedensordnung, nicht entscheidend weiter entwickeln konnte.
Symmachiegr. symmachía, Kampfgemeinschaft. Vertraglich geregelte Verbindung zweier oder mehrerer Staaten, insbesondere eine auf eine feste Anzahl von Jahren oder unbegrenzte Dauer geschlossene Militärallianz, die auf der Unterwerfung unter eine Führungsmacht oder einem Bündnis unter gleichen Partnern beruht. Häufig lautet die zentrale Formel „dieselben Freunde und Feinde zu haben“. Es gibt aber auch manchmal eine Folgepflicht der schwächeren Mitglieder gegenüber der Führungsmacht (dem Hegemon in einer hegemonialen Symmachie). Hauptbeispiele für Symmachien im 4. Jahrhundert sind der Peloponnesische Bund oder der Zweite Attische Seebund. Der Korinthische Bund ist eine Mischkonstruktion aus einer hegemonialen Symmachie und einer koine eirene.
koine eirenegr. koiné eiréne, allgemeiner Frieden. Bezeichnet mehrere multilaterale griechische Friedensordnungen des 4. Jahrhunderts v. Chr. zwischen dem Königsfrieden von 386 und dem Korinthischen Bund von 337 v. Chr.; Garantiemacht dieser Friedensordnungen für die griechische Staatenwelt, die nicht mehr lediglich einen konkreten Staatenkonflikt beenden, sondern auch für die Zukunft einen Friedenszustand und Status quo garantieren sollten, waren wechselnde Hegemonialmächte (der Perserkönig und die Spartaner, die Thebaner, später schließlich Philipp II. und das makedonische Reich). Grundwerte sind die Freiheit (eleuthería) und die lokale Selbstbestimmung und -regierung (autonomía) der Teilnehmerstaaten. Nachdem frühere Versuche der Errichtung einer dauerhaften allgemeinen Friedensordnung oft schon nach wenigen Jahren scheiterten und immer wieder in neue Konfliktsituationen führten, erwies sich der Korinthische Bund zwischen 337 und 324/23 als eine insgesamt stabile Friedensordnung Griechenlands.
Koinongr. koinón, das Gemeinsame. Allgemeine Bezeichnung für kultische oder politisch-militärische Bünde beziehungsweise griechische Föderalstaaten. Bekannte Beispiele aus dem 4. Jahrhundert sind das Boiotische, Thessalische oder Aitolische Koinon. Bis zum 3.–2. Jahrhundert erfolgt eine immer differenziertere Entwicklung der griechischen Föderalstaaten, ihrer Organe und Magistrate. Schließlich begründet man neben dem Polisbürgerrecht auch (im Achäischen Koinon) ein Bundesbürgerrecht.
Neben Athen, Sparta und Theben existierte jedoch eine bunte Vielfalt der Verfassungsordnungen und des bürgerlichen Lebens in Hunderten kleiner Poleis im 4. Jahrhundert. In vieler Hinsicht dürfte das Leben für Bürger in diesen kleinen Poleis epochentypischer verlaufen sein als in den wenigen außergewöhnlich großen Stadtgemeinden. Doch ist es eher die Aufgabe von Spezialstudien, den Kampf der kleinen Poleis um die Bewahrung ihrer staatlichen Traditionen, von autonomia und eleutheria, exemplarisch zu untersuchen.
Mit feinem Gespür für die an positiven Perspektiven für die Zukunft in Hellas arme politische Lage hat Xenophon seine politisch-militärisch akzentuierte Zeitgeschichte der Polisstaatenwelt, die Hellenika, mit einer resignierenden Analyse der Situation in Hellas nach der Schlacht von Mantineia vom 12. Skirophorion (Juni/Juli) 362 v. Chr. beendet. Offenbar war nach 362 keine große Polis mehr in der Lage, der griechischen Staatenwelt eine dauerhafte, über das Gebiet einer Einzelpolis oder Kleinregion hinausreichende, multistaatliche Friedens- und Sicherheitsordnung zu geben. Die traditionellen Instrumente polisübergreifender Organisation der hegemonialen Symmachie, also einer Militärallianz unter einer bestimmten Vormacht, oder der Amphiktyonie, der kultisch-politischen Organisation von Staaten, welche um ein Heiligtum herum lagen, waren hierfür unzureichend. Ebensowenig war dies im 4. Jahrhundert v. Chr. bereits auf der Basis eines große Teile Griechenlands umfassenden koinon zu erwarten, eines die Grenzen einer einzelnen Region oder das Siedlungsgebiet eines Stammesverbandes sprengenden Föderalstaates. Immerhin sind aber bereits im 4. Jahrhundert blühende Beispiele dieser zukunftsweisenden föderalen Strukturen zu beobachten (unter anderem in Boiotien, Thessalien, auf der Chalkidike, in Aitolien).
Die Lage nach der Schlacht von Mantineia(Xen. Hell. 7, 5,26–27, Übers. Gisela Strasburger)
„Denn da fast ganz Griechenland zusammengekommen und gegeneinander angetreten war, gab es keinen, der nicht geglaubt hätte, wenn eine Schlacht stattfinde, würden hernach die Sieger zur Herrschaft gelangen und die Besiegten ihnen untertan sein. Aber der Gott ließ es so geschehen, dass beide Parteien wie Sieger ein Siegeszeichen errichteten und keine von beiden die andere am Aufrichten desselben hinderte, die Toten gaben beide Parteien wie Sieger unter dem Schutze eines Vertrages heraus, und beide nahmen die ihrigen wie Besiegte unter dem Schutze des Vertrages in Empfang; und indem jede von beiden behauptete, gesiegt zu haben, besaß doch offenkundig keine von beiden weder an Land noch an Städten noch an Macht auch nur das Geringste mehr als vor der Schlacht; aber Unordnung und Verwirrung wurden nach der Schlacht in Hellas noch größer als sie vorher waren.“
Die koine eirene-Ordnungen
Der berühmte Königsfrieden (Antalkidasfrieden) von 386 v. Chr. war der erste Versuch der Errichtung eines „Allgemeinen Friedens“ in Hellas, einer koine eirene. Die Namen der Friedensordnung von 386 leiten sich vom persischen Großkönig Artaxerxes II. als Garanten der Ordnung ab, die die spartanische Hegemonie über Festlandhellas sanktionierte, beziehungsweise vom spartanischen Gesandten Antalkidas. Im Laufe des 4. Jahrhunderts wurden mehrere Versuche zu einer strukturellen Weiterentwicklung dieses konstruktiven Konzeptes unternommen. Solche kollektiven, multilateralen Friedens- und Sicherheitssysteme sollten auf der Basis von autonomia und eleutheria, kommunaler Autonomie und städtischer Bürgerfreiheit, für alle Beteiligten der Landfriedensordnung den territorialen Status quo und die äußere Sicherheit garantieren. Es stellte sich aber leider zwischen 386 und 338/7 heraus, dass auch diese konstruktive Idee einer konsensfähigen und stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung noch in entscheidenden Punkten weiterentwickelt werden musste, bevor sie mehr Stabilität als Instabilität in Hellas hervorbrachte und auch unter äußeren und inneren Belastungen funktionierte. Daher gilt in der jüngeren Forschung der so genannte Korinthische Bund Philipps II. von 337 v. Chr. als erste wirklich effiziente koine eirene.
Poleis, Ethne, Koina, Monarchien
Neben autonomen Poleis, Stammstaaten (Ethne) und Föderalstaaten (Koina) fanden sich in der klassischen Staatenwelt auch Königreiche (Monarchien) und andere Formen der Herrschaft eines Einzelnen (Tyrannis, Dynasteia) insbesondere an den Rändern der griechischen Welt auf Zypern, Sizilien, in Illyrien, Epirus, Makedonien, Thrakien oder Kleinasien. Das spartanische Doppelkönigtum blieb eine verfassungspolitische Besonderheit. Wenn die Polisgriechen des mittleren oder südlichen Griechenland im 4. Jahrhundert an einen zeitgenössischen Monarchen dachten, assoziierten sie vor dem Aufstieg Philipps II. vermutlich am häufigsten ‚den‘ König, nämlich den jeweils regierenden Achaimenidenherrscher. Königlichen Machtanspruch und städtische Bürgerfreiheit im weiten Raum der Poliswelt miteinander zu versöhnen, wurde bereits in der Regierungszeit Philipps II. und Alexanders des Großen zu einem Hauptproblem der Epoche, das auch im Hellenismus immer wieder neue Lösungsmodelle erforderte.
Zu Beginn der Herrschaft Philipps II. 359 v. Chr. konnte das makedonische Königreich nicht einmal im nordägäischen Raum eine Hegemonialrolle spielen, geschweige denn die Garantie- und Hegemonialmacht einer Friedens- und Sicherheitsstruktur für ganz Hellas sein oder einen Angriffskrieg gegen das Achaimenidenreich vorbereiten. Ein Bündel drängender Probleme beschäftigte Philipp. Dynastische Krisen hatten eine Schwächephase der Argeadendynastie in der jüngeren Vergangenheit bewirkt. Die Stellung als Regent, später die Anerkennung als König in ganz Makedonien waren zunächst zu erstreiten. Die ungesicherten Landesgrenzen zogen fast jährliche kriegerische Konflikte mit thrakischen, keltischen, illyrischen und epirotischen Gegnern nach sich. Ungelöste Konflikte bestanden ferner mit dem Chalkidischen Bund um Olynth und mit der Seemacht Athen. Makedonien fehlte die Kontrolle der langen makedonischen Küste. Die Machtansprüche makedonischer Aristokraten in den bisher nur locker vom König abhängigen großen Regionen des Königreiches schränkten jeden bisherigen Herrscher ein. Das Reich war wirtschaftlich schwächer, als es aufgrund seiner Größe und Ressourcen sein konnte.
Philipp II. als Hegemon von Hellas
Bereits beim Abschluss des Philokratesfriedens von 346 und sicherlich schon vor dem Sieg von Chaironeia 338 war Makedonien jedoch unter der Regierung Philipps II. zur Hegemonialmacht in ganz Nord- und Mittelgriechenland aufgestiegen. Die Bilanz seiner Regierung ist also eindrucksvoll. Mit einer charakteristischen Mischung von rücksichtslosem und meist erfolgreichem Einsatz des reformierten makedonischen Heeres und kluger Diplomatie, durch dynastische Allianzen, auch mit Bestechung, stieg der Argeade Philipp in den Worten der Philippikai Historiai des Theopomp (FGrHist 115 F 27) zum mächtigsten König Europas seiner Zeit auf. Mit der Begründung des Korinthischen Bundes nach dem Sieg von Chaironeia gelang die Errichtung einer von 337 bis 323 funktionierenden Friedensordnung in Hellas. Sie garantierte die makedonische Hegemonie über Griechenland und verlieh König Philipp als Hegemon und bevollmächtigtem Bundesfeldherrn (strategos autokrator) das formale Mandat, die gewünschte ideologische Begründung und alliierte Land- und Seestreitkräfte für einen panhellenischen Rache- und Eroberungskrieg gegen das Achaimenidenreich.
Alexander der Große und der Beginn der hellenistischen Epoche
Alexander III. (der Große) trat nach der Ermordung seines Vaters Philipp 336 die Nachfolge als König im makedonischen Königreich, als Archon der Thessaler, Hegemon und Oberbefehlshaber des Korinthischen Bundes an. Er konnte in den ersten Jahren seiner insgesamt nur kurzen Regierung (336–323) seine staunenswerten Erfolge nur auf der Grundlage des mächtigen Königreiches Makedonien und der Armee erringen, die ihm sein Vater hinterlassen hatte. Alexander blieb bis zum siegreichen Abschluss des Rachekrieges 330, dem Tod des Dareios und der Nachfolge als Achaimenidenherrscher und König von Asien in erster Linie makedonischer König und Hegemon des Korinthischen Bundes. Aus der Sicht der griechischen und makedonischen Geschichte ist es daher durchaus berechtigt, in diesem Studienbuch die Regierungsjahre Philipps II. und Alexanders III. als eine Epoche zusammenzufassen.
Seit J. G. Droysens berühmter Studie hat es sich zu Recht eingebürgert, mit der Regierung Alexanders des Großen die weltgeschichtlich neue Epoche des Hellenismus beginnen zu lassen. Solche Epochenumbrüche lassen sich bekanntlich nur grob vereinfachend an bestimmte Daten der politisch-militärischen Geschichte anbinden, zum Beispiel hier an den Regierungsantritt Alexanders 336, seinen Sieg von Gaugamela 331 oder seinen Tod 323. Unterschiedliche Anfangs- und Endjahre der hellenistischen Epoche bieten sich jeweils an, wenn man die Perspektive der politisch-militärischen, der wirtschaftlichen, sozialen oder kulturell-religiösen Geschichte wählt. Die heute in Lehrbüchern vorherrschende Epocheneinteilung mit den Eckdaten 336 und 31/30 v. Chr. orientiert sich ausschließlich an der politisch-militärischen Geschichte.
‚Hellenistische‘ Strukturen und Phänomene in der Spätklassik
Bekanntlich bildeten sich einige für die hellenistische Epoche typische Strukturen, Phänomene und Tendenzen jedoch bereits im Laufe des 4. Jahrhunderts in Ansätzen aus. Beispielhaft seien aus dem Bereich des Militärwesens die Professionalisierung der Armeen und eine Spezialisierung der Strategen, der steigende Anteil der Söldner in fast allen Heeren, die Krise der Milizstreitkräfte einzelner Poleis, die Kriegführung mit verbundenen Waffen und der deutlich gestiegene Anteil der Reitertruppen und leicht bewaffneten spezialisierten Fußtruppen neben den schwer bewaffneten Fußsoldaten (Hopliten) genannt. Im politischen Bereich könnte man auf den Aufstieg von Föderalstaaten oder die bedeutendere Rolle von Monarchien auch in der festlandgriechischen Geschichte verweisen. Im sozialen Leben fällt der Blick auf das Phänomen der Euergeten (Wohltäter, Stifter, Patrone) und zunehmende soziale Spannungen innerhalb der Bürgerschaften, in der Literatur und Philosophie auf die Heraushebung großer Individuen aus dem Kollektiv aller einfachen Mitbürger (Politen). Diese Phänomene und Entwicklungen lassen sich bereits alle unter Philipp II. in der griechischen Geschichte beobachten. Auch wenn man den Epochencharakter der späten Klassik und des frühen Hellenismus diskutieren will, bietet es sich daher an, die Jahre von 359–323 zusammenfassend zu behandeln. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, fortlebende Traditionen und Innovationen in dieser Epoche des Umbruchs lassen sich so besser verdeutlichen als in einer Periodisierung, die abrupt erst mit der Lage nach der Schlacht von Chaironeia einsetzt oder auch in einer lediglich auf die Regierungszeit Alexanders begrenzten Monographie.
Die Phasen der Errichtung der neuartigen Universalmonarchie Alexanders des Großen zwischen 336 und 323 und ihr noch recht ungefestigter Charakter bei seinem frühen und unerwarteten Tode bilden das Ende des zeitlichen Rahmens dieses Buches. Es war für die Zeitgenossen ein staunenswertes Schauspiel, den militärischen Siegeszug des jungen Königs von Makedonien nach Ägypten, durch das Achaimenidenreich und nach Nordwestindien zu verfolgen. Hatte Theopomp noch eine Zeitgeschichte Griechenlands und der Ägäiswelt unter dem prägenden Eindruck Philipps, des mächtigsten Königs der Epoche, geschrieben, beobachtet man nun einen erneuten historiographischen Paradigmenwechsel. Fortan dominieren die Alexanderhistoriker, und der Raum der griechisch-hellenistischen Geschichte erweitert sich enorm.
Unterschiedliche Bewertung der Person und der Leistungen Alexanders
Die Person und die Taten Alexanders haben bereits seine Zeitgenossen stark polarisiert in Anhänger und Kritiker. Einen ähnlichen Eindruck gewinnt man auch aus der Lektüre der zahlreichen, bis heute Jahr für Jahr neu erscheinenden Monographien über den Makedonenkönig. Manche zeigen Alexander nach einer scharfen Verurteilung seiner destruktiven, blutigen Raubkriege vor allem gegen Ende seiner Regierungszeit als einen megalomanen, aggressiven und krankhaft misstrauischen Alkoholiker. Er habe einen progressiven Verlust der realistischen Wahrnehmung seiner Umwelt erlitten und schließlich in der persönlichen Überzeugung gelebt, ein übermenschliches Wesen und der Sohn des Zeus Ammon zu sein. Andere erkennen das außerordentliche militärische Genie Alexanders an, billigen dem König auch weitsichtige politische Ziele zu und gehen dann zum Teil entschuldigend über charakterliche Schwächen hinweg. Wieder andere bleiben fast kritiklos begeistert von den militärisch-politischen Erfolgen des Königs und preisen ihn als Visionär einer neuen Epoche des Altertums.
Bis zu seinem Tode 323 gelang es Alexander nur unvollständig, die heterogenen Bevölkerungsgruppen, Herrschaftsstrukturen und Traditionen seines Weltreiches miteinander zu etwas Neuem zu verbinden. Nur unter hohen Kosten konnte er gefährliche Spannungen und Konflikte bis in die Spitze seines Heeres und Hofes ausgleichen. Tragfähige Konzepte einer dauerhaften, von den unterschiedlichen Untertanen akzeptierten, konstruktiven Herrschaftsordnung für den gewaltigen, schnell eroberten Raum entwickelten sich erst im Ansatz. Vor allem als griechisch-makedonische und achaimenidische Eliten, Strukturen und Traditionen aufeinander trafen, entstanden in seinem Heer, am Hof und in der militärisch-politischen Reichselite scharfe Konflikte, die nur mühsam durch Alexander zu seinen Lebzeiten noch kontrolliert werden konnten, aber unmittelbar nach seinem Tode erneut gewaltsam aufbrachen. In der jüngeren Alexanderforschung deutet sich ein fruchtbarer Wechsel der Perspektive an. Mehrere Beiträge weichen bewusst vom Blickwinkel der griechisch-römischen Quellen ab und wählen eine ‚achaimenidische Perspektive‘. Sie bewerten die vergleichsweise kurze Regierungszeit des Makedonenkönigs primär als ein blutiges Intermezzo innerhalb einer langen Kontinuitätslinie indigener kultureller, religiöser und politisch-sozialer Strukturen Asiens und Ägyptens. Der Berichtszeitraum des Buches wird mit einem Ausblick auf die Situation im Jahre 323 v. Chr. nach der Reichsordnung von Babylon und dem Hellenischen oder Lamischen Kriege enden. Die Formierung der frühen Diadochenstaaten, die sich in jahrzehntelangen blutigen Kriegen vollzog, bleibt einem weiteren Band der Reihe vorbehalten.
Zeitgenössische Geschichtswerke nur fragmentarisch überliefert
Die griechische Geschichte in der Zeit Philipps II. und Alexanders des Großen ist durch eine Vielzahl verschiedener Quellengattungen dokumentiert. In günstigen Ausnahmefällen, zum Beispiel für die Geschichte Athens, können wir wichtige Strukturen und Ereignisse mit einer für die antike griechische Geschichte erstaunlich hohen Genauigkeit und Zuverlässigkeit rekonstruieren. Doch prägen andererseits einige Grundprobleme die Quellenlage für diese Epoche der griechischen Geschichte, die gravierende Konsequenzen für jede kurz gefasste Darstellung haben. Sämtliche zeitgenössischen Hellenika-, Makedonika- oder Philippika-Werke, die den Zeitraum nach dem Ende der Hellenika Xenophons 362 behandelten und bis zum Tode Alexanders des Großen 323 und zum Lamischen oder Hellenischen Krieg 323–322 v. Chr. reichten, sind nur mehr in Fragmenten erhalten oder gar nur als bloße Titel bezeugt. Mehrere dieser Werke wurden jedoch wichtige Vorlagen für deutlich spätere, erhaltene Geschichtswerke und Biographien. Gründliche Quellenforschungen und Werkanalysen dieser Schriften lassen immerhin zumindest noch Strukturen und Tendenzen der Werke des 4. Jahrhunderts erkennen.
Anaximenes
Der Historiker und Rhetor Anaximenes aus Lampsakos (circa 380–320 v. Chr., FGrHist 72), angeblich auch einer der Lehrer Alexanders des Großen, verfasste neben vielen anderen Werken Philippika in mindestens acht Büchern, aus denen ein Brief Philipps in der Überlieferungsgeschichte in das Corpus Demosthenicum gelangt ist. Von Anaximenes ist ferner auch eine Alexandergeschichte bezeugt, vermutlich eher ein Enkomion (Lobschrift) als ein auf politisch-militärische Ereignisse (die praxeis Alexanders) konzentriertes Geschichtswerk. In einem Pamphlet mit dem Titel Trikaranos, das Anaximenes pikanterweise unter dem Namen seines publizistischen Rivalen Theopomp aus Chios erscheinen ließ, beschuldigte Anaximenes die drei traditionsreichen Poleis Athen, Theben und Sparta durch ihre Politik den Niedergang der griechischen Poliswelt verschuldet zu haben.
Theopomp
Theopomp aus Chios, ebenfalls ein Rhetor und Historiker, verfasste die Philippika oder Philippikai Historiai (Theopompos FGrHist 115) in 58 Büchern. Sie waren wohl das ausführlichste zeitgenössische Werk über die griechische Zeitgeschichte im Zeitalter Philipps II. Seine Tendenz ist oligarchisch-aristokratisch und stark moralisierend. Es fand sich barsche Kritik an Demagogen griechischer Poleis, aber auch am Hofleben Philipps, den Theopomp andererseits wegen seiner militärisch-politischen Leistungen als den größten König in Europa in seiner Zeit schätzte. Dies wird auch im Titel des historischen Hauptwerkes Philippika deutlich, in dem sich ein Paradigmenwechsel in der Historiographie von der Poliswelt als leitendem Handlungsträger zur Fokussierung auf die Leistungen der makedonischen Könige Philipp II. und später Alexander III. abzeichnet. Philipp ist für Theopomp die Zentralgestalt der Jahre von 362–336 v. Chr. Wichtige Exkurse betreffen aber auch das Perserreich, die Westgriechen oder Athen (zum Beispiel in den Büchern 10 und 25).
Ephoros
Wie Theopomp war auch Ephoros aus Kyme ein Schüler des athenischen Rhetoriklehrers und Publizisten Isokrates. Die universalhistorische Darstellung der Historiai des Ephoros (FGrHist 70) reichte in 30 Büchern von der Rückkehr der Herakliden bis zur Belagerung der Polis Perinth durch Philipp II. 340 v. Chr. Die Darstellung des Dritten Heiligen Krieges (356–346) nahm in den Historiai breiten Raum ein. Die Darstellung des Ephoros folgte nicht durchgehend einem annalistischen Schema (sie erzählte also die Ereignisse nicht immer streng Jahr für Jahr), sondern fasste größere thematische Blöcke zusammen, wobei sie Jahresgrenzen überschritt. Ab Buch 26 begann die Zeitgeschichte, in der Philipp II. als dominierende Gestalt hervorragte. Ephoros stellte geringe quellenkritische Ansprüche an seine Vorlagen. Er verwendete im zeitgeschichtlichen Teil seiner Universalhistorie auch soeben erst erschienene zeitgenössische Werke als Vorlagen, zum Beispiel die zehn Bücher der Hellenika oder Griechische Geschichte über die Jahre 386–356 des Kallisthenes aus Olynth oder dessen Darstellung des Dritten Heiligen Krieges (FGrHist 124). Die lehrhafte Tendenz und die geringe Komplexität und historische Urteilskraft des Ephoros behinderten den großen Erfolg des Werkes nicht. Es wurde später vor allem von Diodor und Strabon als Vorlage benutzt.
Diodor
Angesichts des fragmentarischen Überlieferungszustandes der zeitgenössischen Geschichtsschreibung sind wir für eine annähernd durchgehende Darstellung des Zeitraumes also auf sekundäre, deutlich spätere historiographische Berichte verwiesen: Die wichtigste sekundäre Darstellung liegt im Buch 16 der 40 Bücher der Historischen Bibliothek des Diodor aus dem sizilischen Agyrion vor, die circa 60–30 v. Chr. kompiliert wurde. Er bietet trotz zahlreicher chronologischer Mängel und historiographischer Schwächen die bedeutendste fortlaufende Erzählung der Ereignisse von 359–336. Diodor stützt sich in seinem Versuch einer synchronisierenden Darstellung der Geschichte der Griechen und Römer für die Regierungszeit Philipps II. als Hauptquellen auf Ephoros, Theopomp, Kallisthenes sowie auf frühhellenistische Zwischenquellen wie Diyllos, der die Jahre 357–297 behandelt hatte, und Duris, dessen Geschichtswerk von 370/369 vermutlich bis 281 v. Chr. reichte. Die kompilatorische Arbeitsweise Diodors bringt es mit sich, dass der Quellenwert seiner einzelnen Bücher erheblich schwankt und von den jeweils gewählten Hauptquellen abhängt. In Buch 16 ist jede Einzelstelle quellen- und sachkritisch zu evaluieren.
Justin
In lateinischer Sprache gibt es einen sehr knappen Abriss (Epitoma Historiarum Philippicarum) des M. Iunianus Iustinus oder Justin (3. Jahrhundert n. Chr.) aus den Büchern 7–9 der Historiae Philippicae des Pompeius Trogus, der ersten lateinischen Universalgeschichte aus augusteischer Zeit. Noch stärker als bei Diodor wird die teils teleskopartige Verkürzung der Darstellung Justins durch krasse Missverständnisse, sachliche Ungenauigkeiten, störendes rhetorisches Beiwerk und Anekdotisches belastet. Diese methodisch-historiographischen Schwächen haben aber der enormen Popularität Justins als eines Schulautors in der Spätantike und im Mittelalter nicht geschadet.
Lokalhistorien und Politien
Die Werke zahlreicher Lokalhistoriker griechischer Städte und Landschaften fanden in ihrer Zeit viele Leser und spielten bei der Ausbildung von lokalen oder regionalen Identitäten eine wichtige Rolle. Diese lokalhistorischen (horographischen) Werke sind meist nur noch mit ihren Titeln oder durch wenige Fragmente bekannt (vgl. FGrHist Teil IIIC). Zahlreiche Informationen haben wir allerdings über Athen. Denn wichtige Fragmente sind aus attischen Lokalhistorien erhalten, den Atthiden. Die Atthis des Androtion reichte nur bis circa 344/43 (FGrHist 324), die Atthis des Philochoros (FGrHist 328) behandelte auch das lykurgische Athen von 338–322 v. Chr. Der Traktat des Philosophen Aristoteles über die Geschichte und Struktur der athenischen Verfassung, die Athenaion Politeia, enthält auffälligerweise kaum Informationen über aktuelle verfassungsgeschichtliche Entwicklungen in Athen in der Ära des Eubulos und Lykurg von 355–322. Auch in den Überresten der anderen, ursprünglich 158 im Peripatos gesammelten Verfassungsordnungen der griechischen Staatenwelt, den Politien, werden aktuelle Verfassungsentwicklungen des 4. Jahrhunderts nur selten erwähnt.
Reden des 4. Jahrhunderts
Rhetorische und publizistische Texte (vor allem athenischer Autoren) gehören zu den zeitgenössischen Schlüsselquellen dieser Epoche. Ihre Gattungseigenarten erfordern aber eine besonders vorsichtige Interpretation. Ihre Vielzahl und ihr Detailreichtum haben in älteren Darstellungen der griechischen Geschichte des 4. Jahrhunderts eine übertrieben starke athenozentrische Perspektive befördert und zu einer zuweilen zu kritischen Einschätzung der Politik Philipps und Alexanders als Gegner Athens und der griechischen Freistaatenwelt beigetragen. Wichtige Reden und politische Pamphlete der attischen Redner dieser Epoche, des Demosthenes, Aischines, Isokrates, Hypereides, Lykurg und Demades, liegen vollständig oder zumindest in inhaltsreichen Fragmenten vor. Ihre Werke rücken die innerathenischen Verhältnisse, die Interessen der Polis Athen und das Verhältnis zu Makedonien unter Philipp II. und Alexander dem Großen in den Vordergrund. Von herausragender Bedeutung sind zum Beispiel die Reden 1–19 und 60 des demosthenischen Corpus und die Reden 2 und 3 des Aischines. Ausnahmsweise liegen die Reden und Gegenreden dieser beiden großen Redner aus dem „Gesandtschaftsprozess“ (343) und dem „Kranzprozess“ (330) noch vor. Zeitgenössische Reden aus anderen griechischen Poleis aus den Jahren 360–323 fehlen aufgrund der Mechanismen der antiken Kanonbildung und durch die Ungunst der Überlieferungsgeschichte leider als Korrektiv zu den attischen Rednern. Zur Quellengruppe der publizistischen Broschüren gehören auch ein Schreiben Philipps II. an Athen (Pseudo-Demosthenes Rede 12), das Sendschreiben des athenischen Platonikers Speusippos an Philipp II. von 342 v. Chr. sowie mehrere Broschüren des Isokrates. Aus ihnen erschließen sich zentrale und aktuelle Themen des damaligen politischen Diskurses in Hellas. Die Friedensrede des Isokrates (or. 8) reagiert auf die Lage Athens am Ende des Bundesgenossenkrieges 355/54. Sie plädiert für eine Abkehr von der imperialen Seereichspolitik und eine Rückkehr zu den Grundsätzen des Königsfriedens von 386. In der Denkschrift Philippos (or. 5) von 346 richtete Isokrates einen Appell an den Makedonenkönig, die durch bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen (staseis), soziale Krisen und äußere Kriege zerrissene Welt der griechischen Polisstaaten hinter sich als Hegemon zu einen und gemeinsam einen Krieg gegen das Achaimenidenreich zu führen. Der Panathenaikos (or. 12) ist die letzte öffentliche Äußerung des hochbetagten Redelehrers, Publizisten und politischen Beraters Isokrates kurz vor seinem Tod 338 gewesen. Er konnte mit diesem patriotischen Werk keinen entscheidenden Einfluss mehr ausüben.
Zeitgenössische Reden und Broschüren bleiben für Schlüsselfragen der griechischen Geschichte im Zeitalter Philipps II. und Alexanders unverzichtbare Quellen. Sieht man vom Problem ihrer Überarbeitung zwischen dem mündlichen Vortrag der Originalrede und der ‚Publikation‘ ab, werfen sie aber gattungsbedingt erhebliche Probleme in der angemessenen Interpretation auf. Als rhetorische Texte sollten sie selbstverständlich in erster Linie in einer bestimmten Redesituation konkrete politische und juristische Zwecke erfüllen. Doch wenn man die rhetorische Absicht, die zeitspezifische Topik, die stereotype Polemik gegen Gegner und andere rhetorische Kunstmittel bei der Interpretation gebührend in Rechnung stellt, bleiben Reden und Broschüren des 4. Jahrhunderts herausragende Quellen. Sie lassen mit reichen Details die damalige Lage und die führenden Personen lebendig werden.
Die Parallelbiographien Plutarchs
Wichtige Einzelinformationen, bekannte Aussprüche und Episoden erfährt man aus den allerdings erst im späten 1. und frühen 2. Jahrhundert n.Chr. niedergeschriebenen Parallelbiographien des Plutarch aus Chaironeia (je ein berühmter Grieche und ein Römer werden einander gegenübergestellt), vor allem über Demosthenes, Alexander, Phokion, Dion und Timoleon. Bei der Würdigung des Quellenwertes der Bioi Plutarchs ist der Unterschied zwischen seinen Charakter- und Lebensbildern und einer heutigen politisch-historischen Biographie immer zu bedenken. Plutarch will (siehe sein Vorwort zur Alexanderbiographie) ausdrücklich keine Geschichtswerke schreiben, sondern an signifikanten und exemplarischen Handlungen oder Aussprüchen seiner Helden nachahmenswerte oder zu vermeidende Charakterzüge aufzeigen. Andererseits konnte Plutarch bei seinen Viten noch auf wertvolle zeitgenössische Quellen über das 4. Jahrhundert v. Chr. zurückgreifen, die uns heute nicht mehr zugänglich sind. Im Einzelfall sind moderne quellenkritische Vorwürfe durchaus berechtigt. Doch ohne Plutarchs Viten wäre unsere Kenntnis von den persönlichen Eigenarten eines Demosthenes und Phokion, Philipp und Alexander und von Schlüsselszenen der Jahre von 360 bis 323 viel weniger plastisch.