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Die Feindschaft ist zurück auf der Tagesordnung. Nicht nur in den gegenwärtigen Kriegen und Großkonflikten der Welt. Auch in der hiesigen Gesellschaft ist sie zur dominanten Logik geworden. Kaum eine Debatte, die nicht in der Verteufelung des anderen mündet. Das „Prinzip Feindschaft“ beherrscht die Köpfe und Strategien. Scheinbar gibt es nur noch „Gut“ oder „Böse“, „Richtig“ oder „Falsch“, „Freund“ oder „Feind“. Das Wahrnehmen von Zwischentönen, Spielräumen, Vermittelndem gerät dabei aus dem Blick. Der Umgang mit Uneindeutigem, Nicht-Übereinstimmendem, Abweichendem wird verlernt. Das ist fatal und führt fast zwangsläufig zu Gewalt. Um Lösungen jenseits der Gewalt zu finden, sind Entfeindungen notwendig. Das vorliegende Buch versucht, solche Auswege aus der Falle der Feindschaft zu eröffnen.
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Seitenzahl: 113
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Stefan Seidel
Entfeindet Euch!
Auswege aus Spaltung und Gewalt
Stefan Seidel, geboren 1978, studierte Theologie in Leipzig, Jerusalem und Heidelberg sowie Psychologie in Berlin. Er ist leitender Redakteur bei der evangelischen Wochenzeitung DER SONNTAG in Leipzig.
Bei Claudius ist von ihm bisher erschienen: Nach der Leere. Versuch über die Religiosität der Zukunft (2020) und Grenzgänge. Gespräche über das Gottsuchen (2022).
„Es gibt auf beiden Seiten der Welt Menschen, die suchen.“
Frantz Fanon
Kapitel 1
Verfeindungen
Rückkehr der Feindschaft
Der Sog der Feindschaft
Zeit der Spaltungen
Die Illusion der Reinheit
Gefangen im Schmerz
Kapitel 2
Entfeindungen
Das Offene wählen
Der Riss der Feindschaft und die Sehnsucht nach Frieden
Die eigentliche Zeitenwende
Dem Sog der Gewalt widerstehen
Ein anderes Muster finden
Die Einseitigkeit überwinden
Auswege aus Spaltung und Gewalt
Anmerkungen
Impressum
Die Zeit hat sich verhärtet. Verfeindung ist vielerorts so stark geworden, dass Verständigung und Verbundenheit zunehmend schwierig, wenn nicht gar unmöglich werden. Sie treibt Menschen, Gruppen, Gesellschaften und Völker auseinander. Statt auf Kompromiss, Kooperation und Koexistenz wird immer stärker auf Konfrontation, Kompromisslosigkeit und Kampf gesetzt. Das Visier ist heruntergeklappt, der Sehschlitz ist eng. Maß und Milde, Ausgleich und Vermittlung scheinen in weite Ferne gerückt. Klare Kante ist angesagt. Abgeräumt sind Positionen, die statt auf Feindschaft und Härte auf Deeskalation und Dialog, Entfeindung und Empathie, Gewaltminimierung und Gemeinsames setzen. Es scheint, als zähle nur noch der absolute Sieg.
Dabei ist die Feindschaft vielfach schon aus dem Stadium der Worte in das der Waffen gelangt. Der Kampf gegen den Feind wird wieder auf blutigen Schlachtfeldern ausgetragen. Der ewige Wechsel der Zeiten ist offensichtlich wieder ganz auf seine zerstörerische Seite gependelt. Bereits beim alttestamentlichen Prediger Salomo heißt es:
„Töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; (…) lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.“
Von höchster Stelle wurde eine „Zeitenwende“ ausgerufen. Die Zeit wird auf Krieg getrimmt. Künftig soll nicht mehr der Leitspruch „Wir und die anderen“ gelten, sondern „Wir oder die anderen“. Fronten werden geklärt und gebildet, das eigene Lager für den Krieg ertüchtigt. Dieser erscheint als regelrechte Notwendigkeit, die nichts Geringeres ist, als der Endkampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Die Worte gehen voran. Sie sind eindeutig. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte am 27. Februar 2022:1
„Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen. Das setzt eigene Stärke voraus. Ja, wir wollen und wir werden unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand sichern.“
Von einer Herausforderung ist die Rede, vor die die Zeit uns gestellt habe und die nun „nüchtern und entschlossen“ angenommen werde. Das bedeute unter anderem, im kriegerischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine „auf der richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen. Dafür bedarf es einer massiven militärischen Aufrüstung. Scholz sagte: „Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen. Das ist eine große nationale Kraftanstrengung.“ Und schon klingen die mannigfaltigen Waffenarten an, die seither wie in einem blühenden Waffenwahn immer und immer wieder gefordert und gepriesen, produziert und geliefert, eingesetzt und nachgeliefert werden. Sie sind zu einer Art Prägesiegel der neuen Zeit geworden. So kündigte Scholz bereits an jenem 27. Februar „die nächste Generation von Kampfflugzeugen und Panzern“ an, „die Eurodrohne“, „die Heron-Drohne“, „die nukleare Teilhabe“, zu deren Absicherung der „Eurofighter“ zur „Electronic Warfare“ befähigt werden soll und so weiter und so fort …
Binnen kürzester Zeit griff eine Gewöhnung an Waffen Raum, die bis vor Kurzem noch undenkbar schien. Mit ihnen verbindet sich ein regelrechter Heilsglaube.
So geht also die Zeitenwende: Die militärische Logik wird umfassend in Geltung gesetzt und die neue Wehrhaftigkeit als alternativloses Gebot der Stunde ausgegeben. Nichtmilitärische Logik gerät dabei zwangsläufig ins Abseits. Wenn die dominierende Position als ein Stehen auf der „richtigen Seite der Geschichte“ beschrieben wird, muss eine abweichende Positionierung zwangsläufig als ein Stehen auf der „falschen Seite“ erscheinen. Es gibt offenbar nur noch ein entschiedenes „Entweder-oder“.
Das Hauptkennzeichen der neuen Zeit ist die Zweiteilung der Welt. Die Wirklichkeit rastet ein in ein klares Muster: Hier das Gute, dort das Böse. Die Markierung von Freund und Feind ist unzweideutig. So wird ein Sog entfacht, der in einen der beiden gegensätzlichen Pole hineinzieht. Positionen dazwischen oder außerhalb der Polarität haben einen schweren Stand und rücken ins Zwielicht. Die für diese Zweiteilung benötigten Feindbilder werden dabei auf beiden Seiten der gegenwärtig eskalierten kriegerischen Konflikte klar gezeichnet – die jeweils andere Seite wird umfassend dämonisiert, etwa wenn man sich gegenseitig als „Reich des Bösen“ oder „das absolute Böse“ bezeichnet. Diese apokalyptische Rhetorik trägt übrigens typische Züge des Fundamentalismus, der von einer „dualistischen Weltinterpretation“ durchdrungen ist, in der „die Mächte des Lichts und des eigenen Gottes gegen die der Finsternis des Satans stehen“.2 Deshalb gelten im Fundamentalismus auch Kompromiss und Pluralismus nicht als Tugenden, sondern als Verderbnis.3 Man ist gefangen in einer Welt aus Schwarz und Weiß. Auf der eigenen Seite steht dabei das Edle, Wahre, Wertebewusste und Gute – Gott; auf der anderen tobt das Finstere, Verderbliche, Barbarische und Falsche – Satan.
Diese Kriegslogik hat bereits der Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz (1780–1831) mustergültig als eine Logik beschrieben, die in den Krieg hineinführt, aber nicht mehr aus ihm heraus. Denn diese Logik kennt nur Mittel und Wege im Krieg, der durch Sieg oder Niederlage entschieden wird. In seinem Buch „Vom Kriege“4 schreibt er:
„Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf. (…) Jeder sucht den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen; sein nächster Zweck ist, den Gegner niederzuwerfen und dadurch zu jedem ferneren Widerstand unfähig zu machen.“
Das Ziel sei „die Entwaffnung oder das Niederwerfen des Feindes“. Wobei der entscheidende Antrieb die „feindliche Absicht“ sei: „Haben beide Teile sich zum Kampf gerüstet, so muss ein feindseliges Prinzip sie dazu vermocht haben“, so Clausewitz. Dieses „feindselige Prinzip“ hält er für entscheidend. Entfällt es, entfällt auch der Grund des Krieges und dieser kann von einem Frieden abgelöst werden. Um den Krieg aber aufrechtzuerhalten und bis zum Sieg zu treiben, muss die Feindschaft ein blühender Nährboden sein. Für einen erfolgreichen Krieg müssten deshalb Clausewitz zufolge nicht nur „die Größe der vorhandenen Mittel“ sichergestellt werden, sondern auch „die Stärke der Willenskraft“. Die innere Scheu im Menschen müsse dafür „niedergekämpft“ werden von „kräftigen Gemütern der Entschlossenheit“. Es brauche Menschen mit einer „Heldennatur“. Clausewitz empfiehlt dafür eine Art Gefühlspanzerung, die das Überwältigtwerden durch Mitleid verhindert und eine „völlige Unbefangenheit“ sichert. Deshalb solle auch in Friedenszeiten das Kriegsprinzip nicht verlernt und stetig am Abbau der Tötungshemmungen, an der klaren Feindausrichtung und der Wehrbereitschaft gearbeitet werden.
Einen Weg, wie diese Mitleid- und Schuldlosigkeit herbeigeführt werden kann, hat die Psychoanalytikerin Hanna Segal (1918–2011) beschrieben: Die hemmende Gewissensinstanz des Über-Ich muss dabei vom Einzelnen weg in ein gemeinsames Über-Ich der Gruppe überführt werden – dann „können wir offenbar ohne Schuldgefühle Gräuel verüben, die wir in unserem individuellen Leben nicht ertragen würden“, so Segal. Sie spricht im Blick auf die Kriegsvorbereitungen von „paranoid-schizoiden Mechanismen“, die den Feind als „absolut böse“ kategorisieren und Schuld- und Trauergefühle angesichts der herbeigeführten Zerstörungen abwehren und abspalten. Segal schreibt:
„Ehe Menschen Kriege hinnehmen, müssen die paranoiden Mechanismen verstärkt werden. Unsere Gruppe oder unsere Ideen müssen als vollkommen empfunden werden. Der Feind muss als unmenschliches Ungeheuer erscheinen.“5
Es zeigt sich: Kriegsvorbereitung und Kriegsführung bedürfen immer auch einer mentalen Unterfütterung. Und es spricht einiges für die Beobachtung, dass diese mentale Kriegsertüchtigung in der gegenwärtigen Zeitenwende wieder in die Köpfe gebracht werden soll. Mit großer Rhetorik werden derzeit die Menschen auf die neue Notwendigkeit der Wehrbereitschaft und Feindorientierung eingeschworen. So sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am 29. Oktober 2023 in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“:
„Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. In der Truppe, da ist er in vollem Gange. (…) Aber, ganz wichtig, auch der Mentalitätswechsel in der Gesellschaft ist richtig. Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“6
Genauer ausgeführt wird dieses Programm in den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien für die Zeitenwende“7, in denen es heißt: „Wir müssen Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein.“ Die Bundeswehr sei dabei „der Garant für die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands“. Es gehe um die „Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht“. Denn nur so werde Abschreckung glaubwürdig und Frieden gewährt. Auch erfordere die Landes- und Bündnisverteidigung weiterhin „die Teilhabe an glaubhafter nuklearer Abschreckung“. Die „Wehrhaftigkeit zum Schutz Deutschlands“ wird als eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ beschrieben. Konkret bedeutet das beispielsweise auch, dass eine aktive, auch von der Gesellschaft getragene Veteranen- und Gefallenenkultur eine stete Verpflichtung sei. Gleichzeitig wird sich schon auf neue Feinde eingestellt: China beanspruche zunehmend offensiv eine regionale Vormachtstellung und handele immer wieder „im Widerspruch zu unseren Werten und Interessen“, heißt es.
Auch Altbundespräsident Joachim Gauck wünschte sich zuvor schon in einem Interview einen „Geist der Verteidigungsbereitschaft, wie ihn der Westen zu Zeiten des Kalten Kriegs hatte“. Denn der Gegner nehme uns nur ernst, wenn wir entsprechend ausgerüstet seien, um ihm zu widerstehen.8 Und der Politologe Herfried Münkler forderte bereits den Aufbau der atomaren Fähigkeiten Europas. „Es geht um Abschreckungsqualität, dazu gehört die Zweitschlagfähigkeit“, sagte er in einem Interview. Mit Blick auf die Aufrüstung vieler Staaten der Welt betonte er: „Für viele liegt es näher, die Politik des Nordkoreaners Kim zu betreiben – nur bis an die Zähne bewaffnet ist man unangreifbar.“ So sei auch hierzulande „eine nachhaltige Bereitschaft zur Mentalitätsveränderung“, den der Begriff „Kriegstüchtigkeit“ kommuniziere, notwendig. Die Deutschen seien kein Volk von Pazifisten mehr. „Am Ende geht es nicht ohne Militär. Das ist die andere Konsequenz aus den jüngsten Kriegen, damit man sich hinterher nicht fragen muss, wie man so naiv sein konnte“, so Münkler.9
Es ist ganz offenkundig wieder so, wie es in Christa Wolfs Erzählung „Kassandra“ über die Vorbereitung des Trojanischen Krieges heißt:
„Die Leute des Eumelos waren an der Arbeit. Sie hatten Anhänger unter Palastschreibern und Tempeldienern gewonnen. Auch geistig müssten wir gerüstet sein, wenn der Grieche uns angreife. Die geistige Rüstung bestand in der Schmähung des Feindes (von ‚Feind‘ war schon die Rede, eh noch ein einziger Grieche ein Schiff bestiegen hatte) und im Argwohn gegen die, welche verdächtig waren, dem Feind in die Hände zu arbeiten. (…) Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen. In Ton, in Stein eingraben, überliefern. Was stünde da. Da stünde, unter anderen Sätzen: Lasst euch nicht von den Eignen täuschen.“10
Bei all dem neuen Lobpreis der Abschreckung und Kriegsertüchtigung muss immer bedacht werden, dass diese die Gefahr der Entgleisung in sich tragen. Hanna Segal warnte bereits vor Jahren, dass die Kriegsvorbereitung auf der eigenen Seite und beim „erwählten Feind“ Paranoia auslöse und auf beiden Seiten die Wahrscheinlichkeit eines Präventivschlags aus Angst erhöhe. „Die sogenannte Abschreckung mit ihrem Gleichgewicht des Schreckens und Wahns muss früher oder später entgleisen“, so Segal.11
Zeiten der Kriegsvorbereitung entfachen einen Sog der Feindschaft, der die Menschen in den einen oder den anderen Pol der Konfrontation hineinzwingt. Es entsteht dabei ein Druck, alles Denken und Handeln grundsätzlich vom Prinzip der Feindschaft bestimmen zu lassen. Diese aus der Verfeindung aufgebaute Kriegslogik hat bereits der – aufgrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit allerdings nicht unumstrittene – politische Philosoph Carl Schmitt (1888–1985) als ein entscheidendes politisches Prinzip beschrieben. Feindschaft sei ihm zufolge die „seinsmäßige Negierung eines anderen Seins“, deren logische Folge und „äußerste Realisierung“ der Krieg sei. Dabei seien Feindschaft und Krieg kein wählbarer, sondern ein natürlicher Zustand des Menschen, so Schmitt. Denn der Mensch sei im Grunde böse, was „alle echten politischen Theorien“ voraussetzen würden. Im Raum des Politischen sei demnach die Freund-Feind-Logik unabdingbar – eine Welt ohne diese Logik sei schlicht eine Welt ohne Politik. So kann Schmitt geradezu schwärmerisch schlussfolgern: „Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird.“ Die Unfähigkeit zu dieser Freund-Feind-Unterscheidung sei hingegen „ein Symptom des politischen Endes“.12
Doch auch das beschrieb Schmitt bereits: Im Krieg als der zum Äußersten geführten Form der Feindschaft entfallen die Hemmungen, und die Gewalt und die Entwertung des Feindes wird total entgrenzt, insbesondere im Zeitalter nuklearer Waffen, die zu „reinen Vernichtungsmitteln“ würden. Solche „absoluten Vernichtungsmittel“ erfordern „den absoluten Feind“. Die „letzte Gefahr“ bestehe dann nicht in den Waffen selbst, sondern „in der Unentrinnbarkeit eines moralischen Zwanges“. „Die Menschen, die jene Mittel gegen andere Menschen anwenden, sehen sich gezwungen, diese anderen Menschen, d. h. ihre Opfer und Objekte, auch moralisch zu vernichten. Sie müssen die Gegenseite als Ganzes für verbrecherisch und unmenschlich erklären, für einen totalen Unwert. Sonst sind sie eben selber Verbrecher und Unmenschen. Die Logik von Wert und Unwert entfaltet ihre ganze vernichtende Konsequenz und erzwingt immer neue, immer tiefere Diskriminierungen, Kriminalisierungen und Abwertungen bis zur Vernichtung allen unwerten Lebens“, schreibt Schmitt, der in diesem Zusammenhang von „absoluter Feindschaft“ und „absoluter Vernichtung“ spricht: das Stoßen des anderen in den „Abgrund der totalen Entwertung“.13