Entwicklungskrieg - David Brin - E-Book

Entwicklungskrieg E-Book

David Brin

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Beschreibung

Evolution von außen

Das All ist von intelligenten Zivilisationen besiedelt. Jede von ihnen wurde von einer bereits weiter entwickelten Kultur »upgeliftet« – doch keiner weiß, wer den Menschen zur Intelligenz verholfen und sie auf den Weg ins All gebracht hat. Während die Suche nach den geheimnisvollen Progenitoren weiter voranschreitet, verhelfen die Menschen nach den Delfinen nun auch den Schimpansen zu höherer Intelligenz. Dieses Projekt wird auf dem Planeten Garth durchgeführt – doch es verläuft keineswegs ohne Komplikationen, und schon bald müssen sich Menschen und Neo-Schimpansen all ihren Einfallsreichtum nutzen, um sich gegen eine technisch hochentwickelte Spezies, die den Planeten besetzt, zur Wehr setzen zu können …

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Seitenzahl: 1211

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Karte 1

Karte 2

DAS BUCH

Die ferne Zukunft: Inzwischen ist das Universum von einer Vielzahl von intelligenten Spezies bevölkert. Jede von ihnen wurde von einer weiter entwickelten Kultur »upgeliftet« und musste sich einer strengen Prüfung unterziehen, um den Status als Raumfahrerspezies zu erreichen. Die Menschen haben – obwohl nicht bekannt ist, wer ihre eigenen Progenitoren sind – bereits zwei Arten, den Neodelfinen und den Neoschimpansen, den Sprung auf eine höhere Entwicklungsstufe ermöglicht. Doch dann wird Garth, der Planet der Neoschimpansen, von den vogelartigen Gubru angegriffen. Die Gubru wollen ihre Vormachtstellung im Universum auf Kosten der Neoschimpansen ausbauen, und schon bald droht es zum Krieg der Welten zu kommen. Einem Krieg, der die gesamte Galaxis an den Rand einer existenziellen Katastrophe bringen würde …

»David Brins Uplift-Universum gehört zum Besten, das je in der Science-Fiction geschrieben wurde.«    Encyclopedia of Science Fiction

Das Uplift-Universum:

Erstes Buch: Sternenflut

Zweites Buch: Sonnentaucher

Drittes Buch: Entwicklungskrieg

DERAUTOR

David Brin, 1950 im amerikanischen Glendale geboren, studierte Astronomie und Physik und arbeitete lange als Wissenschaftler und Dozent, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Mittlerweile gehört er zu den bedeutendsten amerikanischen Science-Fiction-Autoren der Gegenwart und erobert regelmäßig die Bestsellerlisten. Mit seinem Roman Existenz ist ihm eine der eindrucksvollsten Zukunftsvisionen der Science Fiction gelungen. David Brin lebt in Südkalifornien.

Mehr über David Brin und seine Romane erfahren Sie auf:

DAVID

BRIN

Entwicklungskrieg

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe: TheUplift War

Deutsche Übersetzung von Gottfried Feidel

Redaktion: Wolfgang Jeschke

Copyright © 1987 by David Brin

Mit freundlicher Genehmigung für den Auszug

aus »Evelyn, a Modified Dog« von Frank Zappa

Copyright © 1975 by Munchkin Music

Copyright © 2014 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von Shutterstock/diversepixel

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN 978-3-641-13111-1

www.diezukunft.de

Für Jane Goodall, Sarah Hrdy

und all die anderen,

die uns halfen, schließlich zu begreifen.

Und für Dian Fossey,

die im Kampf fiel,

damit die Schönheit und das

Potentielle weiterleben.

Inhalt

Glossar & Personen

Tymbrimisches Vokabular und Glyphen

Karte 1

Karte 2

Vorspiel

ERSTER TEIL

INVASION

1   Fiben

2   Athaclena

3   Galaktiker

4   Robert

5   Fiben

6   Uthacalting

7   Athaclena

8   Fiben

9   Uthacalting

10   Robert

11   Galaktiker

12   Athaclena

13   Fiben

14   Uthacalting

15   Athaclena

16   Das Howletts Center

17   Fiben

18   Uthacalting

19   Athaclena

20   Galaktiker

21   Fiben und Robert

22   Athaclena

23   Exil

ZWEITER TEIL

PATRIOTEN

24   Fiben

25   Galaktiker

26   Robert

27   Fiben

28   Die Regierung im Untergrund

29   Robert

30   Fiben

31   Galaktiker

32   Athaclena

33   Fiben

34   Athaclena

35   Robert

36   Fiben

37   Galaktiker

38   Fiben

39   Gailet

40   Fiben

41   Galaktiker

42   Robert

DRITTER TEIL

GARTHLINGE

43   Uthacalting

44   Galaktiker

45   Athaclena

46   Fiben

47   Athaclena

48   Fiben und Gailet

49   Galaktiker

VIERTER TEIL

VERRÄTER

50   Die Regierung im Untergrund

51   Uthacalting

52   Athaclena

53   Robert

54   Fiben

55   Uthacalting

56   Galaktiker

57   Athaclena

58   Robert

59   Fiben

60   Uthacalting

61   Athaclena

62   Galaktiker

63   Fiben

64   Gailet

65   Fiben

66   Gailet

67   Fiben

FÜNFTER TEIL

RÄCHER

68   Galaktiker

69   Die Regierung im Untergrund

70   Robert

71   Max

72   Athaclena

73   Uthacalting

74   Gailet

75   Galaktiker

76   Die Höhlen

77   Fiben und Sylvie

78   Galaktiker

79   Gailet

80   Robert

81   Athaclena

82   Uthacalting

83   Fiben

84   Uthacalting

85   Athaclena

86   Galaktiker

87   Fiben

88   Gailet

89   Galaktiker

90   Gailet

91   Fiben

SECHSTER TEIL

BÜRGER

92   Galaktiker

93   Robert

94   Galaktiker

95   Athaclena

96   Sylvie

97   Galaktiker

98   Uthacalting

99   Galaktiker

100   Athaclena

101   Galaktiker

102   Major Prathachulthorn

103   Athaclena

104   Galaktiker

105   Robert

106   Gailet

107   Galaktiker

108   Athaclena

109   Galaktiker

110   Athaclena

SIEBTER TEIL

WOLFLINGER

111   Fiben

Nachwort und Danksagung

Glossar und Personen

ANGLIC: Sprache der Terragener (Erdlinge), die von Erdenmenschen, Schimpansen und Delfinen abstammen.

ATHACLENA: Tochter des tymbrimischen Botschafters Uthacalting. Führerin der Irregulären Streitkräfte von Garth.

BK: (s. Suzerain)

FIBEN BOLGER: Ein Neoschimpanse. Ökologe und Lieutenant der Kolonialmiliz.

BURURALLER: Die letzte in der Reihe der Priorenspezies, denen es gestattet war, Garth zu mieten. Eine erst kürzlich entwickelte Spezies, die durch Sinneswandel und Nichtbeachtung der Vorschriften den Planeten nahezu ruinierte.

CHEN: Anglicwort für einen männlichen Neoschimpansen.

CHIM: Anglicwort für ein Mitglied der Neoschimpansen-Klientenspezies (männlich oder weiblich).

CHIMMIE: Anglicwort für einen weiblichen Neoschimpansen. Eine Neoschimpansin.

FEM: Anglicwort für einen Menschen weiblichen Geschlechts.

GALAKTIKER (anglic: Galactics): Raumfahrernationen, welche die Gemeinschaft der Fünf Galaxien leiten. Viele von ihnen wurden zu »Patronatsspezies«, welche die alte Tradition des Upliftings (auch Lifting, d.h. Hochzüchten, Höherentwickeln) pflegen (s. dort).

GARTHLING: Angeblich eine präsapiente, vorbewusste einheimische Kreatur von Garth. Ein großes Tier, das den Bururaller-Terror überlebt hat.

GS: (s. Suzerain)

GUBRU: Eine pseudo-avianische galaktische Spezies, den Erdlingen feindlich gesinnt.

IFNI: die Unendlichkeit (»Infinity«) oder Lady Luck, Göttin des Glücks.

GAILET JONES: Chimmie-Expertin in der Galaktischen Soziologie mit unbegrenztem Geburtenrecht (»weiße Karte«). Führerin der Stadtguerilla.

KAULT: Thennaninischer Botschafter auf Garth.

KV: (s. Suzerain)

LIBRARY: Bibliothek – Ein antikes Informationsreservoir und Archiv für Fachliteratur. Eine der wichtigsten Einrichtungen der Gesellschaft der Fünf Galaxien.

LIFTING: (s. Uplift)

MAN: Anglicwort für die Bezeichnung männlicher und weiblicher Erdenmenschen.

MATHICULANNA: Die verstorbene Mutter Athaclenas.

LYDIA MCCUE: Offizier der Terragens Marines.

MEL: Anglicwort speziell zur Bezeichnung eines männlichen Erdenmenschen.

NAHALLI: Nahaller – eine Patronatsspezies der Bururalli, die für die Verbrechen ihrer »Klienten« eine hohe (Konventional-)Strafe zahlen musste.

MEGAN ONEAGLE: Planetarkoordinatorin der terranischen »Leasing Hold Kolonie«-Welt auf Garth.

ROBERT ONEAGLE: Captain der Kolonialmiliz auf Garth und Sohn der Planetarkoordinatorin.

PAN ARGONOSTES: Bezeichnung für die geliftete Klientenspezies der Neoschimpansen (Neochims).

MAJOR PRATHACHULTHORN: Ein terragenischer Marineoffizier.

SER: Eine respektvolle Anrede (von urspr. »Sir«) für ältere Terraner beiderlei Geschlechts.

SORO: Eine alte galaktische Patronatsspezies, den Erdlingen feindlich gesinnt.

STREAKER: Ein Sternenschiff mit Neodelfin-Besatzung, das eine kritische Entdeckung in der Galaxie fern von Garth gemacht hat. Diese Entdeckung hat zur jüngsten Krise geführt.

SUZERAIN(S): Kommandanten der Gubru-Invasionsarmee, jeder mit eigenem Ressort: Kosten und Vorsicht (KV), d.h. Finanzen und Verwaltung; Balken (Sitzstange für den besten Überblick) und Klaue (um den Gegner zu zerfleischen) (BK), d.h. Strategie und Taktik; Gute Sitten (GS), d.h. Ethik und Religion. Jede Entscheidung wird stets durch einen Konsens dieser drei getroffen. Gleichzeitig Kandidaten für die Gubru-Royalty und sich ergänzend in ihrer Sexualität.

SYLVIE: Eine Neoschimpansin mit »grüner Karte«.

SYNTHIER: Eine der wenigen Galaktiker, den Erdlingen freundlich gesinnt.

TANDU: Ein Volk von galaktischen Raumfahrern, eine Art »Raubritter«, den Erdlingen feindlich gesinnt.

THENNANINER: Eine der fantastischen galaktischen Spezies, die in die gegenwärtige Krise verwickelt sind. Zwar humorlos, aber mit Sinn für Anstand und Ehre.

TINGERS AND TUMB: Die greiffähigen kleinen und die große Zehe der Neoschimpansen.

TURSIOPS AMICUS: Eine Spezies der gelifteten Neodelfine.

TYMBRIMER: Galaktiker, bekannt für ihre Anpassungsfähigkeit und ihren Sinn für Sarkasmus. Freunde und Verbündete der Erdlinge.

UPLIFT, LIFTING: Ein herkömmliches Verfahren, mit dessen Hilfe raumfahrende Völker von jeher durch Gentechnologie hochgezüchtete, höherentwickelte neue Spezies in die galaktische Zivilisation einführen. Die dadurch entstandene »Klientenspezies« dient dem »Patron« im Rahmen eines Zeitvertrags, um ihre Schuld abzutragen. Der Status einer galaktischen Spezies wird z.T. durch die Anzahl der »Klienten« bestimmt.

UTHACALTING: Tymbrimischer Gesandter auf Garth.

WOLFLINGER: Eine Spezies, die ohne Hilfe eines Patrons den Sternfahrerstatus erreicht hat – wie etwa die Menschen.

Tymbrimisches Vokabular und Glyphen

fornell: Unsicherheit.

fsu’usturatu: Sympathie, Fröhlichkeit.

gheer transformation: Ein Hormon- und Enzymstoß, der es den Tymbrimern ermöglicht, auf eigenes Risiko schnell ihre Physiologie zu ändern.

k’chu-non: Tymbrimisches Wort für herrenlose Wolflinge.

k’chu-non krann: Eine Wolflinger-Armee.

kenning: Wellen der Wahrnehmung, des Einfühlungsvermögens.

kiniwullun: Anerkennung von Leistungen (jeder Art).

kuhunnagarra: Glyphe für Unsicherheit

la’thsthoon: Intimität von Paaren.

lurrunanu: Jemandem Misstrauen einflößen.

l’yuth’tsaka: Eine Glyphe zum Ausdruck der Missachtung des Universums.

nahakieri: Einfühlungsvermögen der Tymbrimer, um gelegentlich geliebte Wesen wahrnehmen zu können.

nuturunow: Eine Glyphe, um die Gheer-Reaktion abzuwehren.

palanq: Eine Glyphe, die einem Achselzucken entspricht.

rittities: Glyphe als Ausdruck der Kinderfreundlichkeit.

sh’cha’kuon: Ein Spiegel, in dem sich der Betreffende sehen kann, wie ihn die anderen sehen.

s’ustru’thoon: Ein Kind, das zum Ausdruck bringt, was es von seinen Eltern will.

syrtunu: Seufzer, Ausdruck der Enttäuschung und der Frustration.

syulff-kuonn: Vorwegnahme eines bösen Scherzes.

syullf-tha: Freude über ein gelöstes Rätsel.

teev’nus: Die Nutzlosigkeit der Kommunikation.

totanoo: Realitätsflucht aus Angst.

tu’fluk: Ein unangebrachter Scherz.

tutsunucann: Glyphe für furchtvolle Erwartung schlimmer Dinge.

usunltlan: Schutznetz beim engeren Kontakt mit anderen.

zunour-thzun: Eine Glyphe für die Bezeichnung von Dingen, die erst die Erfahrung erweisen wird.

Vorspiel

Wie seltsam, dass so eine unscheinbare kleine Welt solche Bedeutung erlangen kann.

Der Verkehr zwischen den Hochhäusern und Türmen der Hauptstadt rauschte jenseits der geschlossenen Kristallkuppel des offiziellen palanquin vorbei. Kein Laut drang ins Innere, kein Ton störte den Regierungsbeamten von Kosten und Vorsicht, der wie gebannt auf das Holobild eines kleinen Planeten starrte, auf das Bild dieses kleinen Planeten, der sich auf Armeslänge vor ihm drehte. Blaue Meere und weit verstreute Inseln, die wie Perlen und Edelsteine funkelten, tauchten vor den Augen des Betrachters auf und schimmerten im reflektierten Licht eines Sterns, der sich außerhalb seines Gesichtsfeldes befand.

Wenn ich einer dieser Götter wäre, von denen die Legenden der Wolflinger berichten … Seine Federn sträubten sich, seine Schwingen zuckten. Man brauchte nur die Klauen auszustrecken und zuzupacken …

Doch nein. Diese absurde Idee war der Beweis dafür, dass der Beamte zu viel Zeit verschwendet hatte, um den Feind unter die Lupe zu nehmen. All diese terranischen Konzepte hatten seine Denkweise infiziert.

Seine Assistenten umflatterten ihn fast lautlos, während sie sein Gefieder putzten und ihn für den bevorstehenden Empfang zurechtmachten – aber sie wurden geflissentlich übersehen. Eine Eskorte von Luftfahrzeugen und schwebenden Booten schoss vorbei, regelte den Verkehr und fegte den Weg vor dem mit Blinklicht nahenden Dienstfahrzeug leer. Solch eine Ehre wurde gewöhnlich nur königlichen Gästen erwiesen. Doch der Beamte, der in seinem palanquin saß, nahm nichts davon wahr, weil er seinen gewaltigen Schnabel schier ins Holobild steckte.

Garth. So oft schon das Opfer.

Die Umrisse brauner Kontinente und seichter blauer Meere waren teilweise von Wolken bedeckt, weiß und sanft wie das Gefieder eines Gubru. Entlang einer Inselkette – und an einem einzigen Punkt am Rande des größten Kontinents – leuchteten die Lichter einiger kleiner Städte. Ansonsten schien diese Welt unberührt, nur hier und da flackerten Blitze schwerer Gewitter auf.

Doch eine Reihe von Code-Symbolen deuteten auf eine weitaus düsterere Wahrheit hin. Garth war ein armseliger Ort, ein gefährliches Risiko. Warum sonst hätte man den Wolflingern und ihren Klienten ausgerechnet dort eine Kolonial-Lizenz erteilt? Dieser Ort war von den Galaktischen Instituten längst abgeschrieben.

Und jetzt, kleine, unglückliche Welt, wurdest du als Kriegsschauplatz ausersehen.

Aus praktischen Gründen pflegte der Beamte in Anglic zu denken, in dieser nicht sanktionierten, unzulänglichen Sprache der irdischen Kreaturen. Die meisten Gubru betrachteten die Studien fremder Dinge als notwendiges Übel, doch diesmal schien die Leidenschaft des Beamten Früchte zu tragen.

Zumindest heute, an diesem Tag.

Nun hatte das Fahrzeug die Hochhäuser und Türme der Hauptstadt passiert. Ein Mammutgebäude aus halb durchsichtigem Stein tauchte vor ihm auf: die Konklave-Arena, der Regierungssitz aller Gubru-Völker und Clans.

Der Beamte spürte, wie ihm kalte Schauer über den Rücken liefen und bis in seine rudimentären Flugfedern fuhren, was seine Assistenten, die beiden Kwackoo zu einem aufgeregten, empörten Gezirp veranlassten. Wie sollten sie mit der Kosmetik des Beamten fertig werden, fragten sie, sein Gefieder glätten und seinen langen Krummschnabel schminken, wenn er nicht stillhielt?

»Freilich, freilich, ihr habt ja recht. Ich will ja auch ganz still sein«, erwiderte der Beamte irritiert in Standard-Galactic Drei. Diese Kwackoo waren loyale Kreaturen, die sich einiges herausnehmen konnten. Der Beamte aber kehrte in Gedanken wieder zu Garth zurück, um sich abzulenken.

Garth ist der schwächste Außenposten der Erdlinge … Verteidigung gleich null, leicht zu packen. Dies war auch der Grund, warum die Militärs auf dieser Operation bestanden, weil wir anderswo im Weltraum ziemlich unter Druck stehen. Dies wird auch die Wolflinger hart treffen, sodass sie letzten Endes bereit sein werden, sich zu fügen.

Nach den Militärs war die Priesterschaft am ehesten bereit, für den Plan zu stimmen. Erst neulich hatten die Wächter der Guten Sitten argumentiert, dass eine Invasion ohne Weiteres möglich wäre, ohne das Gesicht zu verlieren.

Das war das Aus für die Verwaltung – die dritte Säule des Kommando-Perch. Ihr Konsens war gebrochen, die Meinungen gingen auseinander. Die Vorgesetzten des Beamten im Ressort Kosten und Vorsicht hatten protestiert. Der Plan sei zu riskant, erklärten sie, und obendrein zu kostspielig.

Ein Perch1 kann nicht lange auf zwei Beinen stehen. Es bedarf der Einigkeit, des Konsenses und der Bereitschaft, Kompromisse zu schließen.

Und es gibt Zeiten, wo es gilt, ein Risiko einzugehen, ohne Wenn und Aber.

Die gewaltige Konklave-Arena war inzwischen zu einem Fels aus behauenem Stein emporgewachsen, der den halben Himmel bedeckte. Eine Art Höhlenschlund tat sich auf und verschluckte das Fahrzeug. Die Triebwerke des kleinen Fahrzeugs verstummten, und die Kuppel öffnete sich.

Am Fuß der Landestelle wartete bereits eine Gubru-Delegation im schlichten weißen Federkleid der ausgewachsenen Geschlechtslosen.

Die wissen es bereits, dachte der Beamte, während er sie mit dem rechten Auge scharf beobachtete. Die wissen längst, dass ich keiner der ihren mehr bin.

Aus dem anderen Auge warf er noch einen kurzen, letzten Blick auf die blaue Kugel, die in weiße Wolkenschwaden gehüllt war, riskierte noch einmal einen Blick auf Garth.

Bald, dachte der Beamte, diesmal wieder in Anglic. Wir müssen uns bald treffen.

Die Konklave-Arena war ein einziges Farbenmeer. Und was für Farben! Überall schimmerten und glänzten Federn und Federkleider in den königlichen Farben Karmesinrot, Gelb und Arsenblau.

Zwei Kwackoo-Diener öffneten ein Zeremonialportal für den Regierungsbeamten, der für einen Augenblick den Schritt verhielt und die Großartigkeit der Arena auf sich wirken ließ. Hunderte von Sitzstangen an den hohen Mauern, die terrassenförmig anstiegen, mit Edelhölzern beplankt, die aus Hunderten von Ländern und Welten importiert wurden. Ringsherum aber standen im königlichen Glanz die Roost Masters2 der Gubru-Spezies.

Sosehr der Beamte sich auch auf diesen Tag vorbereitet hatte, war er irgendwie zutiefst gerührt und bewegt. Denn noch nie hatte er so viele Königinnen und Prinzen auf einem Haufen gesehen.

Für einen Alien war es nicht leicht, einen Beamten von seinem Herrn zu unterscheiden. Alle waren von hoher Statur, allesamt Abkömmlinge flugunfähiger Vogelarten. Nur der Roost Master in seinem bunten Federkleid fiel auf. Jene Unterschiede aber, die wirklich von Bedeutung waren, ließen sich nicht auf den ersten Blick erkennen. Alle, die da saßen, waren Königinnen und Prinzen, von Geburt dazu ausersehen zu befehlen und zu herrschen.

Die Roost Masters in seiner Nähe drehten ihre scharfen Schnäbel zur Seite, um einen Blick zu riskieren, als der Beamte einen schnellen, demütigen rituellen Reverenztanz aufführte, ein Trippeln, das in einer Art Hofknicks endete.

Welch eine Farbenpracht! Dieses liebliche Rosa auf der Brust des Beamten, hervorgerufen durch einen Hormonstoß angesichts all der königlichen Farben war eine althergebrachte Reaktion. Und die Gubru wollten dies nicht ändern, selbst nachdem sie die Kunst der Genmanipulation gelernt hatten und zu Sternfahrern geworden waren. Die immer noch Weißen und Geschlechtslosen aber mussten diejenigen, welche die höchste Stufe – nämlich Farbe und Geschlecht – erklommen hatten, respektieren, verehren und ihnen gehorchen.

Denn das war es, was einen echten Gubru ausmachte.

Der Beamte bemerkte, dass zwei weitere Gubru mit weißem Gefieder die Arena durch Nebentüren betreten hatten und sich zum Beamten auf der Zentralplattform gesellten. Dann nahmen die drei auf niedrigeren Sitzstangen gegenüber den versammelten Roost Masters Platz.

Das Wesen zu des Beamten Rechten war in eine silberne Robe gekleidet und hatte das gestreifte Band der Priester um den schmalen Hals.

Der Kandidat zu seiner Linken trug die Insignien eines Offiziers. Die Spitzen seiner Kopffedern waren gefärbt – das Rangabzeichen eines Stoop-Colonel.

Die beiden weiß gefiederten Gubru nahmen von dem Beamten scheinbar keine Notiz, und auch er tat so, als wären sie Luft für ihn. Trotzdem war ihm nicht wohl zumute. Wir sind unserer drei!, dachte er ahnungsvoll. Und das ist nicht so gut.

Die Präsidentin des Konklave – eine ältliche Königin, deren einst leuchtend buntes Gefieder zu einem verwaschenen Rosa verblasst war, sträubte die Federn und öffnete den Schnabel. Die Verstärkeranlage der Arena ließ ihre Stimme anschwellen, als sie mit zirpenden Lauten um Gehör bat. Die Königinnen und Prinzen aber, die sie umgaben, versanken in tiefes Schweigen.

Die Präsidentin hob einen ihrer daunenbedeckten Arme. Dann begann sie zu summen und sich im Takt zu wiegen.

Die Roost Masters fielen nacheinander ein, und all die blauen, gelben und karmesinroten Gestalten wiegten sich mit ihr im Takt. Aus der königlichen Gruppe stieg ein tiefes, atonales Gemurmel auf.

»Summ – mm …«

»Seit undenklichen Zeiten«, zirpte die Präsidentin in gestochenem Galactic Drei, »lange vor der Zeit unseres Triumphs und unseres Patronats, lange bevor wir die Stufen derWissenschaft erklommen hatten, waren wir stets bestrebt, Ausgleich und Harmonie zu finden und zu schaffen.«

Der Chor erwiderte im Kontrapunkt:

»Balance in den braunen Furchen des Bodens

Balance in den Lüften im Sturmwind

Balance in unseren größten Unternehmungen.«

»Schon zu Urzeiten, als unsere Vorfahren noch in den Bäumen hockten, bevor uns unsere Patrone, die Gooksyu fanden, unsWissen und Vernunft verliehen, bevor wir der Sprache mächtig waren oder Werkzeuge kannten, haben wir diese Weisheit gelernt – diese Art, durch Konsens zu Entscheidungen zu finden, diese einmalige Art zu lieben.«

»Summ – mm …«

»Selbst als Halbtiere wussten unsere Vorfahren bereits, dass wir dieWahl haben … dass wir wählen müssen … dass wir drei wählenmüssen.

Einen, der jagt und zuschlägt mit Mut

für unseren Ruhm und für unser Land.

Einen, der die rechte Haltung hat

im Hinblick auf Reinheit von Tun und Sitten.

Einen, der uns vor lauernden Gefahren warnt,

die der Sicherheit des Geleges drohen.«

Der Beamte von Kosten und Vorsicht spürte die beiden Kandidaten an seiner Seite und wusste genau, dass diese ebenso von Erwartung erfüllt und ebenso gespannt waren wie er selbst. Es gab keine größere Ehre, als auserwählt zu sein – eine Ehre, die ihnen dreien jetzt widerfuhr.

Den jungen Gubru wurde stets eingetrichtert, dass dies die beste aller Methoden sei. Denn welche andere Spezies hatte es verstanden, Politik und Philosophie auf so elegante Weise mit Liebe und Fortpflanzung unter einen Hut zu bringen? Das System hatte ihrer Spezies und ihrem Clan allzeit bestens gedient, hatte sie im Rahmen der galaktischen Gesellschaft auf den höchsten Gipfel der Macht katapultiert.

Und jetzt kann es uns an den Rand des Ruins bringen.

Wahrscheinlich war der Gedanke allein schon ein Sakrileg, doch der Beamte konnte sich nicht helfen und musste sich fragen, ob vielleicht eine der anderen Methoden, die er studiert hatte, am Ende eventuell nicht doch besser wäre. Er hatte über so viele Staatsformen gelesen, die andere Spezies und Clans praktizierten:Autarchien und Aristokratien, Technokratien und Demokratien, Syndikate und Meritokratien. Wäre vielleicht eines dieser Systeme nicht doch eher geeignet, um in einem Universum, wo überall Gefahren lauerten, den einzig richtigen Weg zu finden?

Mochte der Gedanke auch unehrerbietig sein – dennoch war solch unkonventionelles Denken der Grund dafür, dass gewisse Roost Masters ausgerechnet diesen Beamten dazu ausersehen hatten, in diesem besonderen Fall Schicksal zu spielen. Während der nächsten Tage und Wochen würde man einen von den drei Kandidaten sicher in die Pflicht nehmen. Das war von jeher die Rolle von Kosten und Vorsicht.

»Auf diese Weise werden wir unser Gleichgewicht finden. Auf diese Weise suchen wir nach einem Konsens. Auf diese Weise werden wir den Konflikt lösen.«

»Summ – mm!«, stimmte die Versammlung der Königinnen und Prinzen zu.

Es hatte so mancher Verhandlung bedurft, um die einzelnen Kandidaten auszuwählen: einen aus Militärkreisen, einen aus der Priesterschaft und einen vom Staatsdienst. Wenn alles gut ging, würde aus dieser Gemeinschaft eine Königin und zwei neue Prinzen hervorgehen. Und neben einer vitalen neuen Linie von Eiern würde auch eine neue Politik hervorgehen, die aus der Summe der verschiedenen Ansichten erwächst.

So zumindest stellte man sich das vor. Der Anfang freilich war eine andere Sache.

Vielleicht würden die drei durch irgendwelche Liebesbeziehungen von Anfang an zu Rivalen und damit zu Gegnern werden.

Weil es nämlich nur eine Königin geben durfte.

»Wir senden diese drei aus, um eine lebenswichtige Mission zu erfüllen, eine Mission der Eroberung, eine Mission der Macht.«

»Wir senden sie aber auch aus, um nach Einigkeit zu suchen … nach Übereinstimmung, nach dem Konsens, um uns alle in diesen schweren Zeiten zu vereinen.«

»Summ – mm!«

Bei diesem Chorgesang war der verzweifelte Wunsch des Konklave nach Erlösung, nach der Beendigung bitteren Zwists deutlich zu spüren. Die drei Kandidaten hatten nichts weiter zu tun, als eine der zahlreichen Streitkräfte anzuführen, die der Clan der Gooksyu-Gubru ausgesandt hatte. Freilich verknüpften die Roost Masters auch ganz bestimmte Hoffnungen mit diesem Triumvirat.

Die Kwackoo-Diener reichten den Kandidaten kugelförmige Trinkgefäße. Der Beamte streckte den Arm aus und nahm einen tiefen Schluck. Das Getränk rann wie goldenes Feuer durch seine Kehle.

Der erste Schluck aus dem königlichen Kelch …

Das Getränk hatte einen unvergleichlichen Geschmack, wirkte wie eine Art Zaubertrank. Denn das weiße Federkleid der Kandidaten begann zu glühen wie ein Versprechen auf zukünftige Farbenpracht.

Wir müssen gemeinsam streiten und kämpfen. Am Ende wird einer von uns bernsteingelb sein und der andere blau …

Einer aber, der Stärkste, der mit der besseren Politik, wird schließlich den höchsten Preis erringen.

Dieser Preis aber gehört nur mir allein. Das Schicksal hat ihn mir zugedacht. Denn es heißt, dass alles vorher arrangiert wurde. Kosten und Vorsicht musste den geforderten Konsens erringen. Weil nämlich sorgfältige Analysen gezeigt hatten, dass jede andere Alternative untragbar war.

»Also müsst ihr ausziehen«, sang die Präsidentin des Konklave. »Ihr müsst ausziehen, ihr, unsere drei neuen Suzerains unserer Spezies und unseres Clans. Ihr müsst ausziehen und den Sieg erringen. Ihr müsst hingehen und diese Häretiker von Wolflingern unterwerfen.«

»Summm – mmm!«, sang der Chor der Versammlung.

Die Präsidentin senkte den Schnabel auf die Brust, als wäre sie plötzlich todmüde und erschöpft. Dann hörte der neue Suzerain von Kosten und Vorsicht, wie sie mit leiser Stimme hinzusetzte: »Zieht aus und tut euer Bestes, um uns zu retten …«

1perch: Sitzplatz für Vögel

2roost: Schlafplatz für Vögel; Roost Masters: hier etwa: Herren des heimatlichen Nestes

ERSTER TEIL

INVASION

Lasst sie uns aufrichten, schulterhoch. Dann werden wir über ihre Köpfe hinwegschauen können und so manches gelobte Land erblicken aus dem wir gekommen sind und wohin wir streben.

J.B.Yeats

1   Fiben

Fiben       1

Der verschlafene Flughafen von Port Helenia hatte noch nie einen solchen Trubel erlebt, zumindest nicht in den Jahren, die Fiben Bolger hier verbracht hatte. Das Tafelland, welches sich über der Aspinal Bay erhob, erbebte unter dem Ultraschall-Gedröhn der Triebwerke und warf es mit tausendfachem Echo zurück. Dunst- und Rauchschwaden verdunkelten die Startsilos, was aber die Schaulustigen nicht davon abhielt, sich an die Zäune zu hängen und den ganzen Betrieb genüsslich zu beobachten. Diejenigen, die auch nur über einen Hauch von Psi-Talenten verfügten, konnten ziemlich genau vorhersagen, wann ein Raumschiff startbereit war. Wenn ein Triebwerk kurz aussetzte, kam zwar etwas Unsicherheit auf, doch schon bald wurde ihre Vorhersage bestätigt, noch bevor ein Raumschiff aus all dem Nebel und Staub abhob und dann im wolkenverhangenen Himmel verschwand.

All der Lärm, der Dunst und der Staub waren schier unerträglich. Für alle, die auf der geteerten Rollbahn standen, war es schon schlimm genug. Besonders schlimm aber für diejenigen, die gegen ihren Willen hier antreten mussten.

Was Fiben betraf, wäre er wohl lieber an einem anderen Ort gewesen. Am liebsten in einer Kneipe, um gemütlich einen zu zwitschern. Das aber konnte, das durfte nicht sein.

Also betrachtete er das ganze Treiben um sich herum mit einem hämischen Lächeln. Wir sind ein sinkendes Schiff, dachte er, und alle Ratten gehen von Bord.

Alles, was Beine hatte, war eifrig und hastig bestrebt, Garth zu verlassen. Und schon bald würde der Flughafen wie leergefegt sein.

Bis der Feind heranrückt – wer das auch immer sein mag.

»Psst, Fiben. Reiß dich am Riemen!«

Fiben warf einen kurzen Blick nach rechts. Der Chim, der neben ihm in der Reihe stand, schien sich genauso unwohl zu fühlen wie er selbst. Unter Simon Levins Parademütze lag ein dunkler Schatten direkt über den knochigen Augenwülsten, wo braunes Fell unter dem Mützenrand hervorlugte. Simon schaute Fiben scharf an: Haltung und Augen geradeaus, signalisierte sein Blick.

Fiben seufzte. Er wusste nur zu gut, dass er Haltung bewahren musste. Die Zeremonie für die scheidenden Würdenträger war fast zu Ende, und ein Mitglied der Planetaren Ehrengarde durfte nicht schlappmachen.

Doch sein Blick schweifte immer wieder zum südlichen Ende des Tafellandes, weit über die Endstation und die startenden Frachter hinaus. Dort hinten lag ungetarnt eine Reihe von Flugmaschinen, zigarrenförmige Objekte, die aussahen, als hätte jemand eine Handvoll Zigarillos in eine Kiste geworfen. Einige dieser Aufklärer – das waren sie wohl – schimmerten im Licht, während eine technische Mannschaft sie erklomm, über sie hinwegkletterte und ihre Detektoren und Schutzschilder für den kommenden Einsatz rüstete.

Fiben musste sich fragen, ob das Oberkommando bereits beschlossen hatte, welche Maschine er fliegen sollte. Vielleicht war es aber auch die Absicht, die halbtrainierten Piloten der Kolonialmiliz zu veranlassen, untereinander auszulosen, wer sich in eins dieser Uraltfahrzeuge, in diese Oldtimer setzen sollte, die erst neulich für wenig Geld von einem fliegenden Schrotthändler der Xantiner gekauft worden waren.

Fiben zerrte mit der linken Hand am engen Kragen seiner Uniformjacke und fuhr mit den Fingern durch seine dichte Haarpracht, die ihm bis zu den Schultern reichte.

Oldtimer müssen nicht unbedingt Schrott sein, rief er sich zur Ordnung. Zieh an Bord einer uralten Röhre in die Schlacht, und du wirst dein blaues Wunder erleben.

Die meisten dieser Veteranen hatten bereits in den unendlichen Weiten des Weltraums ihre Feuertaufe erhalten, lange bevor der Mensch etwas von galaktischen Zivilisationen wusste … lange bevor er mit Schießpulver-Raketen herumzuspielen begann, sich die Finger verbrannte und auf seinem Heimatplaneten Erde die Vögel aufscheuchte.

Diese Vorstellung entlockte Fiben ein kleines Lächeln. Es zeugte zwar nicht unbedingt von Respekt, so über seine Patronatsspezies zu denken, doch hatten die Menschen sein Volk alles andere als Ehrfurcht gelehrt.

Himmel, wie dieses Affenkostüm juckt! Nackte Affen wie der Mensch können vielleicht so was tragen. Doch für behaarte Typen wie unsereiner sind Kleider eine Zumutung!

Nun schien sich die Zeremonie für den scheidenden synthischen Konsul ihrem Ende zu nähern. Swoio Shochuhuhn, dieser pompöse Ball aus Fell und Backenbart war nahezu am Ende ihrer Ansprache angelangt, mit der sie sich von den Pächtern und Bewohnern von Garth, von den Menschen und von den Chims verabschiedete, die sie nunmehr ihrem Schicksal überließen. Fiben kratzte sich wieder am Kinn und wünschte sich, dass dieser kleine Windbeutel endlich in ihr Fahrzeug klettern und zum Teufel gehen würde, wenn sie es schon so eilig hatte wegzukommen.

Jemand rammte ihm den Ellbogen zwischen die Rippen, und Simon murmelte ihm eindringlich zu: »Fiben, reiß dich zusammen! Der alte Schnabel hat dich im Visier!«

Megan Oneagle, die grauhaarige Planetarkoordinatorin, die unter den Würdenträgern stand, schürzte die Lippen und schüttelte missbilligend den Kopf, wobei sie Fiben scharf ansah.

Zum Teufel noch mal!, dachte er.

Megans Sohn Robert war ein Kommilitone von Fiben an der kleinen Universität von Garth gewesen. Fiben zog die Augenbrauen hoch, als wollte er dem menschlichen Administrator sagen, dass er absolut nicht scharf darauf war, in dieser dubiosen Ehrengarde zu dienen. Und überhaupt: Wenn die Menschen keine Klienten haben wollten, die sich gelegentlich kratzen, hätten sie keine Schimpansen liften dürfen.

Fiben knöpfte seinen Kragen zu und versuchte wieder Haltung anzunehmen. Denn er wusste nur zu gut, dass die Form für diese Galaktiker das höchste aller Gefühle war, und dass sich selbst ein Neoschimpanse der untersten Stufe ans Reglement halten musste, weil sonst die Erde ihr Gesicht verloren hätte.

Zu beiden Seiten der Koordinatorin Oneagle standen die anderen Würdenträger, die gekommen waren, um Swoio Shochuhuhn zu verabschieden. Zu Megans Linker stand Kault, der plumpe thennaninische Gelehrte, ledern und doch strahlend mit seinem schimmernden Umhang und seinem hohen Kamm. Die Kiemen an seiner Kehle gingen auf und zu wie Jalousien, sooft dieses Geschöpf mit der gewaltigen Kinnlade Luft holte.

Zu Megans Rechter stand eine eher humanoide Gestalt, schlank und langbeinig, die im Nachmittagssonnenschein etwas schlapp und teilnahmslos wirkte.

Uthacalting findet etwas lustig, meinte Fiben. Alsdann, was ist los?

In der Tat fand der Botschafter Uthacalting alles bestens und vor allem höchst amüsant. Seine Haltung, seine Silberlocken, die ihm über die kleinen Ohren fielen und der schelmische Blick seiner großen goldenen Augen – lauter Signale für all das, was dieser kleine Tymbrimer nicht aussprechen konnte oder wollte, wahrscheinlich etwas Ungehöriges, vielleicht auch eine Schmähung, die der scheidenden synthischen Diplomatin galt.

Swoio Shochuhuhn streifte ihren Backenbart zurück, bevor sie vortrat, um ihren Kollegen rundum Lebewohl zu sagen. Während sie jetzt vor Kault stand und die übliche Zeremonie vollführte, musste Fiben verblüfft feststellen, wie sehr sie einem pummeligen fetten Waschbären ähnlich sah, der in das Kostüm eines orientalischen Höflings aus alter Zeit geschlüpft war.

Kault, der riesige Thennaniner, blähte seinen Kamm auf, während er sich vor der Dame verbeugte. Die beiden so verschieden großen Galaktiker tauschten in fließendem Galactic Sechs Gemeinplätze und Höflichkeiten aus. Fiben aber wusste, dass sich die beiden nicht riechen konnten.

»Man kann sich seine Freunde nicht aussuchen«, flüsterte ihm Simon zu.

»Genau«, gab Fiben zurück. Die behaarten cleveren Synthier gehörten bei all den politischen und militärischen Querelen der Fünf Galaxien zu den wenigen »Verbündeten« der Erde. Gleichzeitig waren sie aber auch als fanatische Egozentriker berüchtigt und nicht unbedingt mitTapferkeit gesegnet. Swoios Abreise war garantiert ein untrügliches Zeichen dafür, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Armee von pummeligen behaarten Kriegern geben würde, die Garth in der Stunde der Not zu Hilfe eilte.

Ebenso war weder von der Erde noch von den Tymbrimern Hilfe zu erwarten, weil sie gerade im Augenblick selbst genug zu beißen hatten.

Fiben verstand genug GalSechs, um einigermaßen mitzukriegen, was der große Thennaniner zu Swoio sagte. Anscheinend hielt Kault nicht viel von Botschaftern, die imAugenblick der Gefahr die Segel strichen.

Gib der Thennaninerin Saures, dachte Fiben. Kaults Volk mochte zwar fanatisch sein und gehörte im Augenblick zu den offiziellen Feinden Terras. Doch es war überall für seinen Mut und für sein Ehrgefühl bekannt.

Man kann sich seine Freunde oder seine Feinde nicht immer aussuchen.

Swoio ging einen Schritt weiter und stand jetzt Megan Oneagle gegenüber. Diesmal fiel die Verbeugung der Synthierin etwas zurückhaltender und weniger tief aus als bei Kault. Schließlich nahmen die Erdenmenschen in der Hierarchie der Patronatsspezies der Galaxie einen ziemlich niedrigen Rang ein.

Also weißt du, wo du stehst, ermahnte sich Fiben.

Megan erwiderte die Verbeugung. »Es tut mir leid, Sie scheiden zu sehen«, sagte sie zu Swoio auf GalSechs mit schwerem Akzent. »Bitte, überbringen Sie Ihrem Volk unseren besten Dank für seine guten Wünsche.«

»Gut so«, murmelte Fiben. »Allen Waschbären verbindlichsten Dank.« Doch dann nahm er sich wieder zusammen, weil Colonel Maiven, der Menschen-Kommandant der Ehrengarde ihn scharf ansah.

Swoios Erwiderung war voller Gemeinplätze.

»Habt etwas Geduld«, sagte sie. »Die Fünf Galaxien befinden sich im Aufruhr, in den Fünf Galaxien gärt es. Die Fanatiker unter den Großmächten machen Schwierigkeiten, weil sie glauben, das Millennium, das Ende einer großen Ära sei gekommen. Sie sind als Erste dran, um zu handeln. In der Zwischenzeit müssen die Galaktischen Institute langsamer und vorsichtiger umgehen. Doch wir werden das kleine Garth nicht vergessen.«

Sicher, dachte Fiben sarkastisch. Die Rettung ist nicht mehr weit, es kann höchstens ein oder zwei Jahrhunderte dauern!

Die übrigen Chims der Ehrengarde schauten sich gegenseitig an und rollten empört die Augen. Die menschlichen Offiziere verhielten sich zwar etwas reservierter, doch Fiben konnte deutlich sehen, dass einer von ihnen die Wange mit der Zunge bearbeitete.

Schließlich war Swoio beim Doyen des diplomatischen Corps, Menschenfreund Uthacalting, dem konsularischen Botschafter der Tymbrimer, angelangt.

Der große E.T. trug eine weite schwarze Robe, von der sich sein bleiches Gesicht scharf abhob. Uthacaltings Mund war schmal, und die unirdische Trennung zwischen seinen umschatteten Augen wirkte besonders tief und breit. Trotzdem machte er einen stark humanoiden Eindruck. Fiben kam es immer so vor, als würde der Vertreter des größten Alliierten der Erde sich stets über etwas lustig machen, über große und über kleine Dinge. Uthacalting mit seinem hellbraunen Schopf und den feinen wehenden Locken, Uthacalting mit den zarten schmalen Händen und mit seinem Humor schien der Einzige weit und breit, den der ganze Wirbel nicht berührte. Das ironische Lächeln des Tymbrimers wirkte erfrischend auf Fiben und weckte seine Lebensgeister.

Endlich! Fiben seufzte erleichtert auf. Swoio schien ihre Abschiedsrunde beendet zu haben. Sie wandte sich ab und kletterte die Rampe zu der wartenden Raumfähre hoch. Mit einem kurzen Kommando ließ Colonel Maiven die Garde Haltung annehmen. Fiben aber zählte in Gedanken bereits die Schritte, die ihn von einem schattigen Plätzchen und von einem kühlen Getränk trennten.

Doch er hatte sich zu früh gefreut. Und er war auch nicht der Einzige, der murrte, als sich die Synthierin hoch auf der Rampe noch einmal umdrehte, um den Zuschauern ein letztes Lebewohl zu sagen.

Was dann geschah und in welcher Reihenfolge, konnte sich Fiben lange nicht zusammenreimen. Wie dem auch sei:Als Swoio den Mund öffnete und die ersten Worte in fließendem GalSechs sprach, nahmen auf der Landebahn bizarre Ereignisse ihren Lauf. Fiben spürte einen Druck im Augapfel und schaute nach links, gerade rechtzeitig, um einen funkelnden Glanz um einen der Aufklärer herum zu erblicken. Das kleine Flugboot schien zu explodieren.

Er konnte sich später nicht mehr daran erinnern, dass er sich auf dem Asphalt ausgestreckt hatte. Doch genau dort fand er sich wieder und ertappte sich bei dem Versuch, sich in die zähe, gummiartige Oberfläche einzugraben. Was war denn das? Vielleicht schon ein feindlicher Angriff – so plötzlich und unerwartet?

Er hörte Simon deutlich schnaufen, worauf ein ganzer niesender Chor antwortete. Als sich die Staubwolke einigermaßen verzogen hatte, schaute Fiben genauer hin und sah, dass der kleine Aufklärer immer noch intakt war. Also war er nicht explodiert!

Doch seine Felder waren außer Kontrolle geraten. Es funkelte und sprühte, und überall war blendendes Licht und Getöse. Ingenieure in Schutzanzügen waren eifrig damit beschäftigt, den fehlfunktionierenden Generator abzuschalten. Bis dahin aber war das lärmende Schauspiel allen Anwesenden durch Mark und Bein gedrungen, hatte Leib und Seele durch und durch erschüttert und alle Sinne aufgewühlt.

»Huiii!«, pfiff die Chimmie zu Fibens Linker und hielt sich völlig nutzlos die Nase zu. »Wer, zum Teufel, hat diese Stinkbombe geworfen?«

Und plötzlich wurde Fiben klar, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Er drehte sich schnell um, machte eine Rolle, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Botschafterin der Synthier die Nase rümpfte und beschämt mit wehendem Backenbart bar aller Würde in ihre Raumfähre kletterte. Dann wurde die Luke hinter ihr mit einem Knall geschlossen.

Schließlich fand irgendjemand den richtigen Schalter, kappte die schauerliche Überlastung, wobei nur ein bitterer Nachgeschmack und ein Klingen in den Ohren übrig blieben. Die Soldaten der Ehrengarde rappelten sich hoch, klopften den Staub von ihrer Uniform, machten ihrem Ärger und ihrer Bestürzung Luft. Einige Menschen und Chims kicherten und lachten, nur der thennaninische Gesandte war scheinbar von alldem unberührt. Kault schien in der Tat von diesem unmöglichen Benehmen der Erdlinge schockiert zu sein.

Eine Stinkbombe also, nickte Fiben vor sich hin. Irgendjemand hat sich da einen üblen Scherz geleistet. Und ich glaube auch zu wissen, wer es war.

Fiben schaute Uthacalting scharf an. Er beobachtete dieses Wesen, den man »Menschenfreund« nannte, und dachte daran, wie der schlanke Tymbrimer gelächelt hatte, als Swoio, die pompöse kleine Synthierin zu ihrer Abschiedsrede ansetzte. Fiben war bereit, auf Darwin zu schwören, dass just einen Moment, bevor der Aufklärer versagte, Uthacaltings Silberhaar sich zu sträuben begann und der Botschafter in froher Erwartung geschmunzelt hatte – in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.

Fiben musste den Kopf schütteln. Bei allem Respekt vor ihren berühmten psychischen Fähigkeiten hätte es wohl kein Tymbrimer fertiggebracht, so einen Streich aus dem Stegreif allein durch Willenskraft zu inszenieren.

Also war es ein abgekartetes Spiel.

Die synthische Fähre startete und donnerte in sicherem Abstand über die Rollbahn dahin. Dann heulten die Triebwerke auf, die glitzernde Flugmaschine schwang sich in die Lüfte und war schon bald in den Wolken verschwunden.

Auf ein kurzes Kommando von Colonel Maiven hin stand die Ehrengarde noch einmal stramm. Die Planetarkoordinatorin und die beiden übrigen Gesandten aber schritten die Reihen ab.

Vielleicht war es nur Einbildung – aber Fiben war sich so gut wie sicher, dass Uthacalting direkt vor ihm seine Schritte verhielt. Ebenso sicher war er auch, dass ihn der Botschafter aus seinen silberumrandeten großen gelben Augen direkt anschaute.

Und mit dem einen Auge zwinkerte er Fiben zu.

Fiben seufzte. Sehr lustig, dachte er und hoffte, dass der Tymbrimer seine sarkastischen Gedanken empfangen würde. In einer Woche werden wir alle auf dem letzten Loch pfeifen – aber du hast beliebt zu scherzen.

Wirklich sehr lustig, Uthacalting.

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