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Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Bettina stoppte ihren kleinen roten Sportwagen an der Zapfsäule. »Was darf's sein?«, fragte der Tankwart freundlich. »Wie immer! Super, bitte, den Tank voll«, antwortete Bettina und reichte dem Mann den Schlüssel fürs Tankschloss aus dem Fenster. Erst dann blickte sie auf. Die Stimme war fremd. Ein neuer Tankwart? Tatsächlich, der Tankstellenbesitzer Heribert Maier, bei dem sie zu tanken pflegte, hatte einen neuen Angestellten. Gut sah er aus, er gefiel Bettina auf den ersten Blick. Er bewegte sich sicher und gewandt und bediente sie höflich und zuvorkommend, ohne dabei eine gewisse Reserve und Zurückhaltung aufzugeben. »So«, sagte er, »der Tank ist voll. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« Eigentlich war Bettina in Eile, und außerdem war der Wagen erst kürzlich überprüft worden. Doch der neue Tankwart interessierte sie, sie wusste selbst nicht warum. Und sie versuchte, ihren Besuch bei der Tankstelle ein wenig auszudehnen, um ihn noch weiter beobachten zu können. »Ich glaube, der Ölstand müsste überprüft werden …, und der Luftdruck der Reifen. Wahrscheinlich fehlt auch Wasser in der Batterie und im Kühler.«
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Seitenzahl: 153
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Bettina stoppte ihren kleinen roten Sportwagen an der Zapfsäule.
»Was darf’s sein?«, fragte der Tankwart freundlich.
»Wie immer! Super, bitte, den Tank voll«, antwortete Bettina und reichte dem Mann den Schlüssel fürs Tankschloss aus dem Fenster. Erst dann blickte sie auf. Die Stimme war fremd. Ein neuer Tankwart? Tatsächlich, der Tankstellenbesitzer Heribert Maier, bei dem sie zu tanken pflegte, hatte einen neuen Angestellten. Gut sah er aus, er gefiel Bettina auf den ersten Blick. Er bewegte sich sicher und gewandt und bediente sie höflich und zuvorkommend, ohne dabei eine gewisse Reserve und Zurückhaltung aufzugeben.
»So«, sagte er, »der Tank ist voll. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Eigentlich war Bettina in Eile, und außerdem war der Wagen erst kürzlich überprüft worden. Doch der neue Tankwart interessierte sie, sie wusste selbst nicht warum. Und sie versuchte, ihren Besuch bei der Tankstelle ein wenig auszudehnen, um ihn noch weiter beobachten zu können.
»Ich glaube, der Ölstand müsste überprüft werden …, und der Luftdruck der Reifen. Wahrscheinlich fehlt auch Wasser in der Batterie und im Kühler.«
»Gern«, sagte er und machte sich unverdrossen daran, die Wünsche der Kundin zu erfüllen. Natürlich war alles in Ordnung. Bettina hatte es ja schon vorher gewusst.
»Haben Sie noch Wünsche?«, fragte er höflich.
»Die Windschutzscheibe ist ziemlich schmutzig«, meinte sie. Der Tankwart zog die Stirn kraus. Er konnte nicht das geringste Stäubchen auf dem sauberen, gepflegten Wagen entdecken. Wollte sie ihn zum Narren halten? Nun, er wurde für seine Arbeit bezahlt, und andere Kundschaft war nicht in Sicht. Er nahm also sein Fensterleder und bearbeitete die völlig saubere Glasscheibe.
»Danke!«, sagte Bettina und drückte dem Tankwart einen Euro in die Hand. Sie fand nun keinen Vorwand mehr, ihn noch länger für sich in Anspruch zu nehmen, und ging zur Kasse, um die Rechnung zu bezahlen.
Der Tankwart betrachtete amüsiert den Euro in seiner Hand, steckte sie dann aber sorgfältig in die Brusttasche seines blauen Kittels. Die Wagentür des Sportwagens stand offen, auf dem Fahrersitz lag ein Seidenschal. Schnell ergriff er ihn und ließ ihn in seiner Hosentasche verschwinden, um sich gleich darauf einem Kundenfahrzeug zuzuwenden, das gewaschen und gewartet werden sollte.
»Ich möchte zahlen, Herr Maier«, sagte Bettina an der Kasse zum Tankstellenbesitzer und reichte ihm die Rechnung. Während sie in ihrer Tasche nach Geldscheinen suchte, fragte sie wie beiläufig:
»Sie haben schon wieder einen neuen Tankwart?«
»Nur zur Aushilfe, Gräfin. Müller, mein ständiger Tankwart, hat seinen Jahresurlaub – und das gerade in der Hauptreisezeit, wenn wir doppelt soviel Arbeit haben. Ich konnte ihm den Wunsch nicht abschlagen. Er ist Familienvater und möchte auch einmal mit seinen Kindern während der Schulferien Urlaub machen. Dafür habe ich natürlich Verständnis.«
»Und da fanden Sie gleich jemand?«
»Ja, es war ein Glücksfall. Waren Sie nicht zufrieden, Gräfin?«, fragte er besorgt.
»Doch, doch. Ich war sehr zufrieden. Er hat eine sehr angenehme Art von Höflichkeit und ist bereitwillig auf alle meine Wünsche eingegangen.«
»Ja, die Kunden sind alle sehr zufrieden. Man lobt seine guten Manieren. Ich habe ihn schon gefragt, ob er nicht bleiben will, auch über die Ferien hinaus. Ich könnte einen zweiten Mann ganz gut gebrauchen.«
»Hat er zugesagt?«
»Nein. Leider nicht. Er sucht wohl nur Gelegenheitsarbeit, einen Ferienjob oder so was.«
»Ein Student etwa? Der in den Semesterferien Geld verdient?«, fragte Bettina.
»Nein. Jedenfalls hat er nichts davon gesagt. Mir war es auch gleich. Ich war froh, überhaupt jemanden gefunden zu haben, da interessieren mich seine Motive und seine Lebensumstände nicht besonders. Doch wenn Sie gern Näheres wissen möchten, Gräfin, dann frage ich ihn mal.«
»Unsinn!«, wehrte Bettina hastig ab. »So wichtig ist mir das natürlich nicht. Ich wunderte mich über den Wechsel Ihres Personals, das ist alles.« Damit ging sie und hinterließ in dem engen Kassenraum den Duft eines teuren exklusiven Parfüms.
Kurz darauf saß sie hinter dem Steuerrad und brauste davon. Rüdiger, der Tankwart, schaute ihr noch lange nachdenklich nach.
Während der Frühstückspause, als er zwischen zwei Wagenwäschen sein Butterbrot verzehrte, fragte Rüdiger seinen Chef beiläufig:
»Wer war die junge Dame im roten Sportwagen, Meister?«
»Interessiert Sie das? Hm, das ist wohl nichts für Sie. Sie ist die Tochter eines Gutsbesitzers in der Nähe, Gräfin von Schwarzenburg. Seltsam«, sagte er kopfschüttelnd, »sie hat sich auch nach Ihnen erkundigt.«
»Um die Wahrheit zu sagen«, brummte Rüdiger, »mich interessiert die Kleine nicht besonders. Ich hab’ nichts übrig für junge Damen, die sich auf Vaters Kosten ein flottes Leben leisten. Ich frage aus einem anderen Grunde. Sie hat diesen Schal hier verloren. Er muss wohl aus ihrem Auto herausgefallen sein. Man müsste ihn ihr wiederbringen.«
Rüdiger zog aus seiner Hosentasche ein zusammengeknülltes Etwas hervor und breitete es sorgfältig auseinander. Es entpuppte sich als ein geschmackvoller, reinseidener Schal, den man unschwer als ein teures Exemplar seiner Gattung erkennen konnte.
»Ach so«, sagte Rüdigers Meister. »Aber den brauchen Sie ihr nicht extra hinzubringen. Die junge Gräfin kommt alle paar Tage hier vorbei, ihr Benzinverbrauch ist ganz beachtlich. Bei einer solchen Gelegenheit können Sie ihn ihr geben. Ein gutes Trinkgeld ist Ihnen gewiss.«
Rüdiger verstaute den schönen Schal erneut in seiner Tasche. Er hatte nicht die Absicht, den Rat seines Chefs zu befolgen, aber über seine wirklichen Pläne wollte er sich auch nicht äußern. Er dachte an ein verwirrendes Augenpaar, das ihn so unverhohlen gemustert hatte. Es war von einem aparten Grün gewesen, wie er es noch nie gesehen hatte. Und diese Augen gehörten einer aufreizend schönen jungen Dame mit dunklen Locken. Schade, dass sie eine Gräfin war.
Wäre sie hingegen ein nettes einfaches Mädchen von nebenan, dann hätte auch ein Tankwart damit rechnen können, ihre Bekanntschaft zu machen. Aber so?
Dennoch – er wollte sich das Vergnügen nicht entgehen lassen, noch einmal in diese grünen Augen zu schauen. Er wollte sie sprechen und sehen, die Gräfin von Schwarzenburg.
Während Heribert Maier, der Tankstellenbesitzer, Mittagspause machte, studierte Rüdiger, der neue Tankwart, die Kundenliste. Er fand bald, was er suchte. Egbert Graf von Schwarzenburg aus Schwarzenburg war dort verzeichnet, er war wohl der Vater der grünäugigen Schönen. Auf der Landkarte fand er bald, was er suchte. Der Ort lag ein wenig versteckt und abseits der großen Straßen. Nun, Rüdiger war sicher, dass er ihn finden würde.
*
Noch am selben Nachmittag fuhr Rüdiger hinaus nach Schwarzenburg. Er musste eine Probefahrt mit dem Auto eines Kunden machen und wählte diesen Weg.
Zunächst durchquerte er ein ziemlich ausgedehntes Waldgebiet. Am jenseitigen Waldrand bot sich ihm ein überraschender Anblick. Er hielt an und stieg aus, um ihn ein wenig auf sich wirken zu lassen.
In einer sanften Talmulde, umgeben von grünen Wiesen und bunten Feldern, lag das Schloss. Es war ein imponierender Bau, in vielen Jahrhunderten entstanden. Offenbar hatten die jeweiligen Herren von Schwarzenburg die früheren Gebäude mit viel Fantasie erweitert. Unschwer konnte man erkennen, dass das ursprüngliche Gebäude eine alte Ritterburg war. Der Wehrturm mit seinen dicken Mauern und den schmalen Schießscharten war ein Zeuge aus dieser Zeit. Dann folgte ein langgestreckter Renaissance-Flügel, sehr harmonisch in der Wirkung und sehr kunstvoll ausgeführt. Er war flankiert von zwei kleineren Seitentrakten späterer Bauart, Barock wahrscheinlich. Ringsum lagen die verschiedenen Wirtschaftsgebäude, die genau wie das Schloss den unterschiedlichsten Epochen entstammten.
Obwohl nicht einheitlich, war der Gesamteindruck von Schloss Schwarzenburg doch ziemlich majestätisch und imposant. Wahrhaftig ein schöner Besitz.
Rüdiger betrachtete alles aufmerksam. Hier also war sie zu Hause, die dunkelgelockte Gräfin!
Auch die Umgebung war bemerkenswert. Ein Schlosspark umgab die Gebäude unmittelbar, es folgte eine Mauer aus Felssteinen, die den eigentlichen Schlossbereich von den Feldern und Wiesen abgrenzte. Ringsum war das Tal von Bergzügen, sanften Hügeln und Laubwäldern begrenzt. Rüdiger geriet ins Träumen. Hier konnte er sich eine Fuchsjagd mit Pferden und einer Hundemeute vorstellen … Eine junge Reiterin im roten Rock, der er den Eichenbruch überreichen würde. Er sah den Dank in ihren grünen Augen …
Rüdiger setzte sich wieder in das Auto und startete mit lautem Getöse. Was für ein Narr war er doch! Er wusste nichts von der jungen Schlossbewohnerin, als dass sie schön war und dass sie einen kleinen roten Sportwagen fuhr. Ihm war einmal wieder die Fantasie durchgegangen. Am besten wäre es, er befolgte den Rat seines Meisters und übergäbe den Schal in der Tankstelle, beim nächsten Besuch der jungen Dame. Oder – er hängte das Fundstück an sichtbarer Stelle im Kassenraum auf. Dann konnte sie ihn wieder an sich nehmen und brauchte ihm nicht noch einmal zu begegnen.
Aber Rüdiger wusste, dass er nicht die beste und auch nicht die zweitbeste Möglichkeit wählen würde. Er wollte sie wiedersehen, und wenn es eine Enttäuschung wurde.
So hielt er kurz darauf vor dem Schlossportal. Ein Diener kam auf ihn zu.
»Sie wünschen, mein Herr?«
»Ich möchte die junge Gräfin sprechen.«
»Gräfin Bettina?«
Der Diener musterte ihn argwöhnisch.
»Ich kenne ihren Vornamen nicht«, erwiderte Rüdiger wahrheitsgemäß. »Ich suche eine junge Gräfin von Schwarzenburg, die einen roten Sportwagen fährt.«
»Gräfin Bettina«, sagte der Diener. »Werden Sie erwartet?«
»Nein. Ich möchte der Dame etwas wiederbringen. Sie hat bei uns ihren Schal verloren.«
»Geben Sie ihn her. Ich werde ihn der Gräfin überreichen.« Der Diener streckte die Hand aus.
»Nein«, sagte Rüdiger. »Das möchte ich nicht. Ich möchte selbst mit ihr sprechen. Es könnte ja sein, dass der Schal gar nicht ihr gehört. Ich möchte ihn ihr zeigen, und sie soll bestätigen, dass es ihr Eigentum ist.«
Rüdiger war froh, dass ihm in der Eile eine Erklärung eingefallen war, warum er selbst mit Bettina von Schwarzenburg sprechen wollte. Er konnte schlecht sagen, dass ihn ihre grünen Augen verhext hatten.
»Ich werde fragen, ob die Gräfin zu sprechen ist«, sagte der Diener und ging achselzuckend davon.
Kurz darauf stand sie vor ihm. Rüdiger hatte ihr Kommen beobachtet und gesehen, wie sie mit leichten Schritten die Treppe hinuntersprang. Lange schlanke Beine hat sie, stellte er anerkennend fest. Sie blickte ihn leicht erstaunt an, ihre Augenbrauen zogen sich in die Höhe, und ihr Mund verzog sich mit leichtem Spott.
»Ach«, sagte sie, »der Herr von der Tankstelle. Und was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«
»Ist dies Ihr Eigentum?«, fragte Rüdiger und wickelte den Seidenschal aus der Verpackung.
»Ja«, sagte sie. »Wirklich, es ist meiner. Und den mussten Sie mir persönlich übergeben? Sie konnten ihn nicht unserem Diener aushändigen?«
Rüdiger wurde rot, und er ärgerte sich darüber.
»Nein, Gräfin, das konnte ich nicht. Nach Ihnen waren noch weitere Damen an der Tankstelle. Als wir den Schal fanden, wussten wir nicht, welche von Ihnen die Verliererin war. Sie waren nur eine von mehreren. Ich bin froh, dass ich ihn gleich an die richtige Adresse gebracht habe.«
»Geben Sie her«, sagte sie gleichmütig und ergriff das Tuch. »So viel Aufhebens um einen Schal!«
Sie griff in die Tasche ihres hellen Leinenkleides und holte ein Geldtäschchen hervor. Dann reichte sie Rüdiger ein Zweieurostück und sagte:
»Vielen Dank für Ihre Mühe! Sollte ich mal wieder was verlieren, dann brauchen Sie es mir nicht extra nachzutragen. Ich hole es mir dann selbst in der Tankstelle ab. Ich komme sowieso häufig dort vorbei.«
Rüdiger war entlassen. Einen kurzen Augenblick lang schaute er ihr noch nach, wie sie mit schnellen anmutigen Bewegungen davonging und ihren Kopf dabei in den Nacken warf, sodass die dunklen Locken flogen. Aber der Diener räusperte sich und schaute ihn missbilligend an. Er war wohl der Meinung, dass Rüdigers Besuch beendet sei und seine weitere Anwesenheit überflüssig. So ging er denn, nicht ohne die Münze sorgfältig weggesteckt zu haben.
Ein bisschen enttäuscht war er schon, als er wieder draußen stand. War das alles? Ja, was hatte er denn erwartet? Er hatte sie gesehen, er hatte sie gesprochen, er hatte tief in ihre grünen Augen geschaut … Er hatte erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Dennoch war die kurze Begegnung mit der jungen Gräfin Bettina ganz anders verlaufen, als er es sich in seinen Träumen vorgestellt hatte. Viel nüchterner und sachlicher.
Wahrscheinlich hatte Meister Maier recht, als er sagte, dieses Mädchen wäre nichts für ihn. Eine junge schöne Gräfin, reich sicherlich, und ein Tankwart in Aushilfsstellung. Nein, das passte nicht zusammen.
Rüdiger startete den Motor und fuhr wieder davon. Einen letzten Blick warf er noch auf Schloss Schwarzenburg, wie es in der Sommersonne lag. Ein herrlicher Anblick. Träumen durfte er ja wohl von ihr und ihrem Märchenschloss. Seinen Wünschen kann man nicht befehlen.
Rüdiger tastete nach seiner Brusttasche, wo zwei Münzen klapperten. Ein Lächeln spielte um seine Lippen. Fünf Euro und zwei Euro, Geschenke eines schönen Mädchens an ihn …
Wenn er es recht bedachte, dann hatte der Besuch doch einiges ergeben. Er wusste, dass sie Bettina hieß. Bettina! Er sprach den Namen langsam und andächtig aus. Und noch etwas wusste er. Er hatte es an der Schlosstür gelesen.
*
Am nächsten Sonntagmorgen machte sich Rüdiger wieder auf den Weg nach Schwarzenburg. Diesmal trug er keinen blauen Arbeitskittel, diesmal war er in seiner normalen Kleidung. Er sah gut aus, und er wusste es auch. Nicht, dass er eitel gewesen wäre. Doch wenn einem jungen Mann die bewundernden Blicke vieler junger Mädchen folgen, dann müsste er schon dumm sein, um nicht zu erraten, was sie dachten. Nun, Rüdiger war nicht dumm. Allerdings bedeuteten ihm diese Blicke nicht allzu viel. Dass Bettina ihn an der Tankstelle so eingehend beobachtet hatte, das war schon etwas anderes. Bettina reizte seine Neugier und seine Fantasie.
Und nun war er auf dem Weg zu ihr. Das Schild, das er an der Schlosstür gelesen hatte, hatte ihm eine ganz neue Möglichkeit verraten, wieder zu ihr zu kommen. Man veranstaltete nämlich allsonntäglich in den Vormittagsstunden Führungen durch die historisch bedeutenden Teile des Schlosses. Rüdiger wusste nun, wie seine künftigen Sonntage verlaufen würden. Irgendwann einmal, so hoffte er, würde er Bettina dann wiedersehen.
Als er beim Schloss eintraf, hatte sich schon ein kleiner Trupp Touristen eingefunden, der auf den Beginn der Führung wartete. Rüdiger reihte sich ein, nachdem er eine Karte für sich gelöst hatte. Die Gäste mussten den Bau allerdings über einen rückwärtigen Eingang betreten, denn die Wohnräume der Grafenfamilie blieben für die Fremden selbstverständlich verschlossen. Als sich die schwere Eichentür öffnete, um die Besucher einzulassen, sah Rüdiger, dass er nicht vergebens gekommen war. Bettina selbst übernahm die Führung.
Es war alles sehr interessant, was sie da zeigte. Sie begann mit dem ältesten Teil des Schlosses, der ursprünglichen Ritterburg. Dort gab es unterirdische Verliese und Folterkammern für die Gefangenen der Grafen von Schwarzenburg.
Bettina wies auf wertvolle alte Handschriften hin, auf mittelalterliche Ritterrüstungen, Waffen und kostbaren alten Hausrat. Im Hauptgebäude des Schlosses, das zur Renaissancezeit errichtet worden war, wurden nur einige leerstehende Festsäle besichtigt. Wahrscheinlich befanden sich in diesem Teil die Privaträume der Besitzer. Zum Schluss zeigte Bettina einen der beiden Barocktrakte. Hier waren besonders die herrlichen alten Möbel bemerkenswert, die aus dem Empire und der Biedermeierzeit stammten. In einer langen Reihe sah man eine Anzahl von Gemälden, Porträts zumeist, die irgendwelche Schwarzenburger Vorfahren darstellten.
Bettina sprach gut, sie fesselte ihre Zuhörer. Doch Rüdiger achtete kaum auf das, was sie sagte. Er war vollauf damit beschäftigt, Bettina zu beobachten. Er betrachtete ihr lebhaftes Mienenspiel, das Grübchen in ihrer rechten Wange, wenn sie lachte, das Aufleuchten in ihren grünen Augen, wenn jemand durch eine kluge Zwischenfrage gezeigt hatte, dass er sie verstand. Sie begleitete ihre Worte durch lebhafte Gesten ihrer schmalen Hände. Es war augenscheinlich, dass sie selbst Freude an diesen Führungen hatte und dass sie ihr Vaterhaus bis in die letzten Winkel genauestens kannte und liebte.
Wie schön war diese Bettina von Schwarzenburg! Rüdiger konnte sich von ihrem Anblick nicht losreißen. Ob sie ihn gesehen hatte? Sie ließ nicht erkennen, ob sie sich an ihn erinnerte oder nicht. Vielleicht hatte sie ihn in der Gruppe auch gar nicht bemerkt!
Zum Schluss kamen sie an einer Sammelbüchse vorbei, die die Aufschrift trug: Für die Instandhaltung des Schlosses. Manche steckten einen kleinen Betrag hinein. Rüdiger zögerte, bis sich alle anderen verlaufen hatten. Nun waren nur noch sie beide in diesem Raum: Bettina, die junge Gräfin von Schwarzenburg, und Rüdiger. Bedächtig zog er eine Geldbörse hervor und entnahm ihr zwei Münzen. Ein Zweieurostück und ein Eineurostück. Er legte sie auf die flache Hand, dass sie in der Sonne funkelten. Erst als er sicher war, dass auch Bettina sie bemerkt hatte, ließ er sie in dem schmalen Schlitz der Büchse verschwinden. War sie wirklich ein wenig blass geworden, oder schien es ihm nur so?
»Ach, Sie sind das«, sagte sie gedehnt. »Das hätten Sie nicht tun sollen. Das ist viel zu viel Geld. Sie sollten es lieber für sich verwenden.«
Rüdiger schaute sie an und lächelte ein wenig.
»Es war auch zu viel, als Sie es mir gaben«, antwortete er. »Jetzt sind wir quitt. Das Geld ist wieder da, wo es hingehört. Die Führung war übrigens gut.«
»Ach, wirklich?«, sagte sie spöttisch. »Ich habe Sie nicht um Ihr Urteil gebeten.«
»Oder soll ich lieber sagen, dass Ihr Schloss ein schreckliches Sammelsurium aus vielen Jahrhunderten ist, ohne einheitliches Konzept. Jeder hat daran gebastelt, wie es ihm eben eingefallen ist.«
»Denken Sie, was Sie wollen! Für mich ist es das schönste alte Schloss, das es gibt. Aber dafür haben Sie ja kein Verständnis.« Sie blitzte ihn zornig an.
»Nein«, sagte er. »Das habe ich nicht. Woher sollte ich auch? Ich kenne mich besser mit Autos aus. Alte verwinkelte Schlösser sind nicht mein Fach.«
»Autos liegen einem Tankwart ja auch näher als historische Gebäude. Ich wundere mich überhaupt, woher Sie die verschiedenen Baustile kennen, dass Sie solch ein Urteil abgeben können.«
»Ich kenne sie ja gar nicht. Ich habe nur ein bisschen aufgepasst, was Sie uns da erzählt haben. So viel ist bei mir immerhin haften geblieben. Ich staune übrigens, dass Sie eine vernünftige Tätigkeit ausüben. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Der Vortrag war wirklich interessant und sachverständig. Das muss der Neid Ihnen lassen.«
Sie runzelte zornig die Stirn, antwortete aber nicht. Schließlich sagte sie:
»Ich muss Sie leider bitten, das Schloss zu verlassen. Die nächste Führung beginnt in zwei Minuten.«
Rüdiger ging, doch am nächsten Sonntag nahm er wieder an der Schlossführung von Schwarzenburg teil. Diesmal hatte er sich gut vorbereitet. In seiner Freizeit hatte er die Stadtbibliothek von Neustadt aufgesucht und sich alle Bücher geben lassen, die sich mit der Geschichte der Gegend befassten, wobei er besonderen Wert auf Berichte über Schloss Schwarzenburg legte. Dann ging er zum Verkehrsbüro und ließ sich alle Prospekte heraussuchen, die dort zu finden waren. Auch daraus konnte man Informationen über das Schloss entnehmen. Ein Besuch im Heimatmuseum der Stadt rundete seine Studien ab.