Erinnerst Du Dich? 35 Jahre Mauerfall -  - E-Book

Erinnerst Du Dich? 35 Jahre Mauerfall E-Book

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Beschreibung

Dieses Büchlein, in lesefreundlicher Schriftgröße, enthält ausgewählte Geschichten und Gedichte von einer kleinen Gemeinschaft schreibfreudiger Damen und Herren aus der AWO-Gruppe in Teltow. Es sind "Perlen unserer Erinnerung", die nicht verloren gehen sollen.

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Inhalt

Schau nach vorn

November 1989

Die Wende – Teil 1: Bewegende Momente vor dem Mauerfall

Die Wende – Teil 2: Mauerfall, alles nur geträumt?

Die Wende – Teil 3: Mauerfall und wie weiter?

Die Wiedervereinigung – Teil 4: Es gibt kein weiter so!

Die Wende – Teil 5: Wir sind ein Volk – Wie geht zusammen-wachsen?

Zeitenwende

Wendegeschichten

I. Teil

II. Teil

35 Jahre Mauerfall

Resümee nach 35 Jahren

Die “Wende“ gewendet im Rückblick

Das Jahr 1989

Der einsame 9. November 1989

Das glaube ich nicht – ich gehe schlafen

Ein Bewerbungsgespräch

August 1989 – unsere Reise nach Budapest

Wiedervereinigung

Mach mal bitte leiser...

Vorwort

Carmen Sabernak hatte die Idee, die Erinnerungen unterschiedlicher Menschen zu sammeln.

Erinnerungen, die wertvoll wie Perlen sind. Sie fragte in der Teltower AWO-Gruppe nach und es fanden sich schnell MitstreiterInnen.

Einmal im Monat trafen sie sich, tauschten Erinnerungen aus, lasen aus ihren Geschichten und verbrachten schöne gemeinsame Stunden. So wurde recht schnell der Entschluss gefasst, diese „Perlen unserer Erinnerungen“ in kleinen Büchern aufzubewahren.

Die Geschichten sind so unterschiedlich, wie die Menschen, die sie erlebt haben. Einzelne Geschichten wurden zum Teil schon vor einigen Jahren verfasst. Deshalb finden sich teilweise auch noch Texte in der alten Rechtschreibung. Diese wurden absichtlich nicht angepasst, denn es sind Perlen aus der betreffenden Zeit.

Wir wünschen Ihnen ebenso viel Vergnügen beim Lesen, wie wir Freude hatten, das Buch zu gestalten.

Herzliche Grüße das AutorInnenteam und die "Geschichtensammlerin" Carmen Sabernak

Schau nach vorn

- inspiriert von Paul Kunze -

Das Rattern der Räder auf den Gleisen,

das Murmeln der Menschen im Wagon,

wo ich rausschau,

abwechselnd Grün und Beton.

Wenn Kohle verbrennt,

wird neuer Antrieb entsteh'n,

schau nach vorn,

denn die Welt wird sich weiterdreh'n.

Jessica Prauß, Januar 2024

November 1989

So wie sich im November ein Jahr dem Ende zuneigt, so neigte sich 1989 viel mehr als das. - „Ein Land, eine Ideologie, eine Macht waren am Ende. Am Ende nach einer friedlichen Revolution. Friedlich – ohne Waffen, so ein riesiges Geschenk von Fügung, Diplomatie und Verhandlungen, welches wir heute, 2023 weltweit schmerzlich vermissen.

Wir denken uns zurück in die Wochen nach dem Mauerfall am 9. November. Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen auch auf Autobahnen und Straßen, ganz nach dem Motto „freie Fahrt für freie Bürger“. Mein Mann und ich waren dabei. Mit unserem Trabant 601, zweifarbig und 26 PS unter der Motorhaube. Unser Ziel: ein kleiner Ort in der Lüneburger Heide, zu Schwester Gerda (von ihr habe ich in einer anderen Geschichte schon etwas erzählt). Sie hatte uns eingeladen. Wir sollten doch unbedingt kommen, so wie Hunderttausende, die sich in diesen Tagen auf den Weg machten. „Ja, wir kommen“.

Der Trabi startklar und wir bereit zu großer Fahrt „nach drüben“. Nicht ahnend, was uns auf der Autobahn A2 erwartete. Nie vorher hatte es so etwas gegeben. Die Euphorie und Freude der Menschen auf beiden Seiten, die Begrüßungen und Willkommensgesten waren unbeschreiblich. Dauerstau, bestenfalls im Schritttempo kam man voran und von „freie Fahrt“ konnte keine Rede mehr sein. Die Umstände, die zu solchem Verkehrsnotstand geführt hatten, ließen uns durchhalten. Abgesehen davon, dass wir gar keine Wahl hatten, denn es ging weder vorwärts noch rückwärts. Zeitweise herrschte totaler Stillstand in beiden Richtungen. Dann stiegen die Menschen aus ihren Autos aus, die Türen weit geöffnet. Manche hatten wohl ein Radio oder Kassettenrecorder dabei. Musik erklang und die Leute tanzten und sangen. Sogar der Mittelstreifen wurde zum Parkett. Ein Schauspiel, welches man lebenslang nicht vergisst. Keine Polizei, kein Hubschrauber, keine Rettungsgasse – und – nichts ist passiert. Irgendwann setzte sich die Kolonne der Autos, hauptsächlich „Trabanten“, wieder in Bewegung. So tuckerten wir von Stunde zu Stunde und nochmals viele Stunden unserem Ziel entgegen. Es war Nacht geworden, als wir nach ca. 15 Stunden bei Schwester Gerda ankamen.

Halberfroren, unterzuckert und einfach fertig und erschöpft, so nahmen wir uns in die Arme. Ein erstes, persönliches Kennenlernen mit Gerda, der Schwester unserer Tante Käthe. Gerda war zu diesem Zeitpunkt schon eine Dame 75 +. Was uns dann in den nächsten Stunden an Fürsorge, Verwöhnung und herzlichem Willkommen zuteilwurde, hat uns sehr berührt. In besonderer Erinnerung ist mir die leckere, selbstgekochte Hühnernudelsuppe, die wir nachts nach 1:00 Uhr mit Genuss und Heißhunger verspeisten. Später wurden wir mit angewärmten Betten und Tee in der Thermosflasche für die Nacht versorgt – wie bei Mutti. Aller Stress war vergessen.

Gerda zeigte uns Neuenkirchen. Den Ort, in den wir so viele Briefe, Karten oder auch kleine Päckchen über Jahrzehnte geschickt hatten. Natürlich gingen wir zu Tante Käthes Grab (andere Geschichte!) um ihr zu sagen: „Schau her, wir sind gekommen und du bist trotz allem irgendwie mit bei uns“.

Zwei Nächte blieben wir in der Heide. Dann mussten wir ja zurück nach Hause. Das Benzin-Gemisch für unseren 2-Takt-Trabimotor war alle und im Westen gab es dieses ja nicht. Wir fuhren zu der kleinen Tankstelle im Ort und erklärten dem Tankwart unser Problem. Der hatte sich schon schlau gemacht und meinte, das wäre gar nicht so schlimm. „Ich mische Ihnen das Benzin mit Öl ganz genau, sodass sie ohne Probleme wieder nach Hause fahren können“. Außer Benzin für unser Auto packte er nun noch eine Tüte mit Obst und Schokolade „und bezahlt wird gar nichts“, sagte der gute Mann. „Das ist gratis, kommen sie mal wieder und haben sie eine gute Heimfahrt“. Wir waren sprachlos.

Viele Jahre später, als wir einmal in der Nähe waren, haben wir uns die Tankstelle von damals gesucht. Es gab sie noch. Wir erzählten unsere Geschichte dem Nachfolger des damaligen Besitzers. Den Blumenstrauß mit dem „Danke-Stecker“ und die Grüße werde er sehr gern an den Herrn Simon weitergeben, der inzwischen im Ruhestand ist.

Über 30 Jahre sind seitdem vergangen. Was ist aus der Euphorie von damals geworden, - vielerorts Ernüchterung. Was haben Menschen und Politik falsch entschieden? Ein großes Thema auf einem anderen Blatt. Für uns war es eine aufregende Zeit, die zu unserem Leben fest dazu gehört und die wir keinesfalls missen möchten.

Margrit Prauß, Dezember 2023

Die Wende – Teil 1:

Bewegende Momente vor dem Mauerfall

Im Sommer 1976 kam ich aus beruflichen Gründen nach Teltow, gelegen am Teltow-Kanal. Seit der Zeit wohne ich in dieser Stadt – man kann sie lieben oder hassen. Hier gingen meine beiden Kinder in die Krippe, den Kindergarten und zur Schule. Beide hatten Freunde in der Region, sodass sie behütet, glücklich und zufrieden aufwuchsen.

Ich arbeitete bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Institut für Polymerenchemie, das zur Akademie der Wissenschaften der DDR gehörte. In diesem Institut arbeiteten zu meiner Zeit etwa 400 Menschen, jeder kannte jeden – wir waren eine große Familie. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde dieses Institut im Jahr 1991 „abgewickelt“ und in verschiedene Deutsche Forschungsgemeinschaften eingegliedert.

Manchmal, zum Kindertag oder zur Weihnachtsfeier, durften meine Kinder das Institut besuchen. Wir fuhren gemeinsam mit dem Bus zwangsläufig an der Berliner-Mauer entlang – die Grenze nach West-Berlin verlief mitten im Teltowkanal – bis zur nächstliegenden Haltestelle des Instituts. Als meine Kinder noch im Vorschulalter waren, konnte ich auf die Frage warten: „Was ist das?“ „Das ist die Grenze nach West-Berlin“, sagte ich. „Können wir dorthin fahren?“ kam prompt danach.

„Nein, das können wir nicht,“ antwortete ich. Mein Sohn, der zwei Jahre älter ist als seine Schwester, meinte dann zu wissen: „Ja, ich weiß, warum, weil dort die bösen Menschen leben.“ An der Stelle war mir sehr bewusst, was unsere Kinder auch in ihren Einrichtungen lernten. „Ob die Menschen dort böse sind, kann ich nicht sagen,“ antwortete ich. „Denke nur daran, dass Du von Menschen, die dort auch leben, Match-Box-Autos geschickt bekommen hast – die können doch nicht alle böse sein, oder?“. Nun überlegte er, welche Antwort er geben könnte. Doch bevor das passierte, mussten wir auch schon aussteigen. Es gab neue Eindrücke, sodass das vorherige Thema nicht mehr wichtig war. Zuhause hörte ich von den Kindern noch, dass sie gern mal über die Grenze fahren möchten, „nur mal gucken“, wie sie so schön sagten. Ich dachte: „Ja, das würde ich auch gern tun“, sagte aber mit einem Lächeln: „Träumt einfach weiter!“

Die sogenannte „Mauer“, die die DDR-Regierung am 13. August 1961 errichten ließ, und die offiziell als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet wurde, gehörte zu unserem Alltag – ob es uns gefiel oder nicht. Keiner von uns in der Familie, im Freundes- oder Arbeitskreis hätte je im Traum daran gedacht, dass sich dieser Zustand jemals ändern würde, selbst nicht im Jahr 1989, als die Unzufriedenheit der Menschen in der DDR mit der politischen Situation spürbar zunahm. Ich erinnere mich an eine kleine Feier im Mai, zum Herrentag (Himmelfahrt), mit Freunden, wie erstaunt wir über die Nachricht waren, dass in Ungarn damit begonnen wurde, die Grenzzäune abzubauen. Wir waren darüber eher verunsichert als freudig gestimmt, denn wir wussten, wie der Warschauer Pakt 1968 auf Reformversuche in der Tschechei reagierte – sie wurden gewaltsam niedergeschlagen. Also warteten wir ab, was kommen wird. Es kam nichts. Unser Dank galt dem damaligen Präsidenten der Sowjetunion. „Mister“ Gorbatschow, der die Reformpolitik unterstützte. Wir wurden alle zu seinen Fans und drückten ihm die Daumen, dass er sich im Ostblock durchsetzen kann. Wir fragten uns nur, wie unsere Regierung darauf reagieren würde. Es blieb ungewöhnlich ruhig in dieser emotional aufgeheizten Zeit. In der Presse gab es zunehmend mehr Glasnost, mehr als wir je zuvor gekannt hatten. Dies milderte jedoch nicht die Unzufriedenheit der Menschen.

Wir rieben uns die Augen und Ohren und konnten es nicht glauben, als Ende Juni die Außenminister Ungarns und Österreichs in einem symbolischen Akt den Stacheldraht an der ungarisch-österreichischen Grenze durchtrennten. Wir wussten auch, was eine „durchlässige“ Grenze bewirken kann. Und richtig, der Sommerurlaub wurde von vielen DDR-Bürgern genutzt, um über Ungarn in den Westen zu flüchten. Mein Mann sagte eines Tages zu mir: „Wann packen wir die Koffer? Jeden Tag reisen Tausende Menschen aus, wollen wir hier das Licht ausmachen?“ Ich steckte in einer Bredouille, ich saß an meiner Promotionsarbeit, sodass eine Ausreise für mich zu dieser Zeit keine Option war. Mein Kollege jedoch, der wenige Monate zuvor seine Promotion abgeschlossen hatte, war mit seiner Familie im August ausgereist. Für mich war klar, dass ich zunächst meine Arbeit beende, für die ich viel Zeit investierte und meiner Familie viel zugemutet hatte. Jetzt einfach alles hinzuschmeißen – NEIN, das konnte und wollte ich nicht. „Ich ziehe jetzt die Promotion durch – was dann ist, werden wir sehen“, sagte ich. Mein Mann verstand das, obwohl er lieber heute als morgen gegangen wäre.

Es war eine sehr schnelllebige und spannende Zeit. Wir verfolgten mehrmals täglich die Nachrichten. Jeden Tag gab es weitere Überraschungen und sehr bewegende Momente, wie beispielsweise seit dem 4. September die Montagsdemonstrationen in Leipzig oder am 30. September, als der Außenminister der BRD, Genscher, in der Prager Botschaft den zahlreich dorthin geflüchteten DDR-Bürgern mitteilte: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise möglich geworden ist“. Es war ein so bewegender Moment, dass nicht nur mir, auch meinem Mann, die Tränen liefen. Beide dachten wir, dass wir auch dabei sein hätten können…, doch wir blieben.

Wer hätte gedacht, dass die DDR-Regierung am 7. Oktober, ungeachtet der Ereignisse und zunehmender Massenflucht oder größer werdenden Montagsdemonstrationen, entschlossen den 40. Jahrestag der DDR feierte. Die Stasi versuchte, die Feier abzusichern und schreckte auch nicht davor zurück, zahlreiche Menschen zu verhaften. Gorbatschow weilte zu dem Zeitpunkt in Berlin. Es war spooky: „Gorbi“, wie man ihn inzwischen liebevoll nannte, feierte im Palast der Republik – im Palast des Volkes(!) – mit den DDR-Bonzen. Zur gleichen Zeit wurde draußen das Volk, das „Gorbi hilf uns!“ rief, durch die Volkspolizei und Stasi in Schach gehalten – wir konnten nicht fassen, was wir sahen. In dieser Zeit machte der Spruch von Gorbi: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben," den er an die DDR-Regierung gerichtet haben soll, die Runde und hält sich hartnäckig bis heute.