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Die spirituellen Lehrer David Steindl-Rast und Johannes Pausch legen mit diesem Buch ihre Hände behutsam auf die Seele ihrer Leserinnen und Leser und zeigen ihnen den inneren Weg zu dem, worum es im Leben wirklich geht. Äußere Krisen verlieren schon beim Lesen ihre Bedeutung.
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David Steindl-Rast,
Johannes Pausch:
Erkenntnis
Alle Rechte vorbehalten
© 2023 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover: Bastian Welzer
Satz: Bastian Welzer
Gesetzt in der Premiera
Gedruckt in Deutschland
12345—26252423
ISBN: 978-3-99001-653-4
eISBN: 978-3-99001-654-1
DAVID STEINDL-RASTJOHANNES PAUSCH
ANKOMMEN
DER WEG DER DEMUT
DIE LEITER
NATUR UND SEELE
DEM WELTHAUSHALT FREUDIG DIENEN
MITGEFÜHL HEILT
Dieses Buch entstand auf Basis von Vorträgen, dieJohannes Pausch und Bruder David Steindl-Rast imEuropakloster Gut Aich gehalten haben.
Die in diesem Buch verwendeten Illustrationen sind Mandalas,die Pater Johannes Pausch nach den Wirkungen verschiedenerKräuter und Kräutermischungen entwickelt hat. Sie dienenbei Betrachtung der Heilung von Körper, Geist und Seele. AmEnde des Buches befindet sich ein Glossar mit den konkretenAngaben zu den einzelnen Mandalas.
Demut vor den Blumen der Baumgrenzeöffnet den Weg zum Gipfel.
Dag Hammarskjöld(ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen)
Wir widmen dieses Buch all den Engeln und Menschen, die unsin den letzten dreißig Jahren geholfen haben, im EuropaklosterGut Aich die Quelle zu finden, den Garten anzulegen und denTempel zu bauen.
Br. David Steindl-Rast OSB
P. Johannes Pausch OSB
Zwei Dinge haben wir Menschen gemeinsam: Wir wollen glücklich sein und wir erleben Krisen, egal ob wir arm oder reich, alt oder jung sind. Die großen, globalen Krisen wie Kriege oder Pandemien und die kleineren, privaten Krisen wie Krankheit, Trauer oder Trennungen. Unser ganzes Leben ist eine Übung im Umgang mit Krisen. Um sie als unvermeidliche Unwägbarkeiten durchzustehen, brauchen wir Standfestigkeit. Nur wenn wir fest mit beiden Beinen auf der Erde stehen und in uns selbst ruhen, können wir in Bewegung bleiben.
Stabilität ist die Voraussetzung für Dynamik. Niemals ist es umgekehrt.
Um diese Stabilität zu leben, ist folgende Lebenserkenntnis wichtig: Leben heißt Teilen und Heilen.
Beim Erlangen von Stabilität helfen uns die zwölf Stufen der Demut. Formuliert hat sie der heilige Benedikt von Nursia, der vor mehr als 1.500 Jahren lebte und dessen Orden wir beide angehören. Seinen Weg zur Erleuchtung, seine Himmelsleiter, werden wir ausführlich im zweiten Kapitel erklären. Außerdem werden wir zeigen, welche hilfreichen Pflanzen uns dabei Mutter Natur geschenkt hat. Bei jeder Sprosse der Leiter, bei jedem Entwicklungsschritt stehen uns wunderbare Bäume, Sträucher und Kräuter zur Verfügung, die uns stärken, nähren und trösten. Aber jetzt wollen wir erst einmal ankommen und die Grundlage schaffen, das geistige Fundament bauen für alles, was dann kommt.
Wir können unsere spirituelle Reise nicht alleine bewältigen. Wir brauchen einander. Deshalb lohnt es sich immer, einander zuzuhören. Das versuchen wir auch in diesem Buch.
Vor einigen Jahren leiteten wir gemeinsam eine Seminar-Reihe zum Thema Spiritualität und baten die Teilnehmenden, ihre Fragen auf kleine Zettel zu schreiben und sie vor dem Seminar in einen eigens dafür aufgestellten Korb zu legen. Die Fragen, die da landeten, berührten alles, was es heißt, ein Mensch zu sein und spirituell zu leben. Sie drehten sich letztendlich um das große Thema, wie wir ein glückliches Leben führen und die, leider unvermeidlichen, Krisen meistern können.
Sehen wir uns, um bei unserem Thema richtig anzukommen, diese Fragen an und beantworten wir sie. Schon die erste war klug und interessant, denn sie thematisierte das wichtigste Instrument im Umgang mit den Stürmen des Lebens:
Wie kann es uns gelingen, im Hier und Jetzt anzukommen?
Die Antwort darauf ist einfach, denn für das Leben im Moment gibt es eine effektive und altbewährte Methode: Dankbarkeit.
Jedes Mal, wenn wir dankbar sind, sind wir im Jetzt. Je mehr wir uns darin üben, immer wieder dankbar zu sein, umso mehr verschiebt sich unser Fokus auf das Jetzt.
Wir können nur im Jetzt dankbar sein.
Wir können für Dinge dankbar sein, die in der Vergangenheit liegen, und für solche, die wir in Zukunft erleben oder bekommen werden, aber wir können immer nur genau jetzt dankbar sein. Dankbarkeit ist der Weg zu unserem inneren Frieden.
Der große persische Mystiker Rumi prägte einen wunderbaren, dazu passenden Satz: Dankbarkeit ist der Schlüssel zur Freude. Wie meinte er das? Ganz einfach: Wenn wir uns freuen, sind wir dankbar, und wenn wir dankbar sind, freuen wir uns. Das ist der Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und Freude.
An der Freude, die wir jetzt gerade spüren, können wir ermessen, wie gut uns Dankbarkeit gelingt. Prüfen wir also immer wieder, wie freudig wir im jeweiligen Moment unseres Lebens sind. Wenn wir keine Freude empfinden, fehlt es uns vielleicht an Dankbarkeit.
Auch wenn wir eine Krise durchmachen und uns das Leben hart und trist erscheint: Wir können uns in jedem Augenblick fragen, wofür wir gerade dankbar sein können. Wir können uns auch fragen, wofür wir gerade undankbar sind.
Die Frage, wie wir gerade jetzt dankbar sein können, ist wirklich schwierig zu beantworten, angesichts der Herausforderungen dieser Zeit, in der Menschen jetzt leben. Die Pandemie und ihre Folgen, der Krieg in der Ukraine, wirtschaftliche Herausforderungen, vor allem durch die Energiekrise, die Zerstörung unserer Umwelt, persönliche Krisen und große Ratlosigkeit. Wir können und dürfen diese Herausforderungen nicht ignorieren und müssen uns ihnen stellen, auch wenn wir keine praktischen Antworten auf diese Fragen haben. Trotzdem schreiben wir dieses Buch in der Hoffnung, dass es praxistauglich ist.
Die Frage, die auf dem nächsten Zettel aus dem Korb stand, bezog sich auf einen vielzitierten Spruch Jesu Christi: Fürchtet euch nicht! Sie lautete:
Welche Haltung kann auch in schwierigen Zeiten helfen,ohne Angst und mit tiefem Vertrauen zu leben?
Um sie zu beantworten, sollten wir uns erst einmal klarmachen, dass unser wahres Selbst gar keine Angst haben kann. Nur unser vielleicht allzu großes Ego kann Angst empfinden. Deshalb sollten wir, um Angst zu überwinden, unser Ego aktiv schwächen. Ein weniger starkes Ego hat weniger Angst.
Wenn wir auf die Welt kommen, leben wir aus unserem Selbst. Wir sind noch ohne Angst. Das angstfreie Leben kann nur aus diesem ursprünglichen Selbst kommen.
Das dankbare Leben ist ein angstloses Leben. Ein vertrauendes Leben. Wir brauchen einen Glauben, der sich auf das Leben verlässt. Nur so können wir angstfrei leben. Denn das Gegenteil von Glauben ist nicht Unglauben oder Häresie. Das Gegenteil von Glauben ist Angst.
Angst vor etwas Bestimmtem kann durchaus berechtigt sein. Oft ist unsere Angst aber eher unbestimmt. Dann wissen wir gar nicht genau, wovor wir uns eigentlich ängstigen. Wir fühlen uns innerlich beengt. Da ist eine Schwere in der Brust. Dagegen hilft die Freiheit des Glaubens. Er befreit uns von der Angst.
Wenn wir uns dem Leben glaubend überlassen, fließt die Freude ganz spontan aus uns heraus. Als Kinder fiel uns das noch leicht. Damals kannten wir die andere, ängstliche Haltung noch gar nicht. Wir konnten uns noch auf das Leben verlassen. Das Kind in uns kann das nach wie vor. Dafür müssen wir nur unser Ego hinter uns lassen. Das ist der Weg der Angstlosigkeit.
Als hätten sich die Teilnehmenden der erwähnten Seminarreihe untereinander abgesprochen, passte dazu die nächste Frage im Fragenkorb:
Was heißt es eigentlich, auf das Leben zu vertrauen?Was ist denn überhaupt das Leben?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst fragen: Haben wir das Leben oder hat das Leben uns? Das ist eine besonders wichtige Frage.
Oft denken wir, wir besitzen unser Leben. Wir sprechen zum Beispiel davon, ein Mensch könne »sich das Leben nehmen« oder »sein Leben verlieren«. Doch das ist eine falsche Vorstellung. Betrachten wir den größeren Zusammenhang, besitzt das Leben in Wahrheit uns.
Nicht wir leben das Leben, sondern das Leben lebt uns.
Dass wir überhaupt nur einen einzigen Tag auf dieser Erde sein können, hängt von vielen Dingen ab, die sich unserer Kontrolle vollständig entziehen. Wenn wir uns näher mit unserem Körper befassen, können wir gar nicht zu staunen darüber aufhören, wie wunderbar alles in ihm funktioniert. So vieles muss, damit wir überhaupt existieren, wie bei einer wundersamen Maschine zusammenspielen. In unserem Körper und darüber hinaus in unserer Umwelt, in der Natur, und zwischen unseren Mitmenschen. Das ist Teil des großen Ganzen, das uns lebt, das unser Leben ausmacht.
Nicht wir haben das Leben, sondern das Leben hat uns.
Nehmen wir diese Sichtweise an, können wir uns dem Leben anvertrauen. Diese Übung machen wir im Grunde täglich, ohne es zu merken. Denn wir trinken unseren Kaffee und essen unser Brot und vertrauen dabei unserem Körper, dass er unser Frühstück verdauen wird. Wir selbst hätten keine Ahnung, wie wir das machen könnten. Wir wissen nicht, wie die Vorgänge in unserem Körper im Detail funktionieren, und können sie nicht willkürlich beeinflussen, obwohl wir es mit allen möglichen Hilfsmitteln versuchen. Wir vertrauen also dem Leben in Wirklichkeit längst, auch wenn uns das bisher vielleicht nicht bewusst war.
Dieses Vertrauen können wir Stück für Stück ausweiten. Wenn wir im Kleinen vertrauen, können wir lernen, auch auf das große Ganze zu vertrauen, auf das Leben. Und was ist das Leben letztlich? Wir können sagen: Das Leben ist letztlich der Heilige Geist. Nur dürfen wir andersherum den Heiligen Geist nicht auf das Leben beschränken. Der Heilige Geist, oder das, was wir damit meinen, die göttliche Wirklichkeit, geht unendlich und in jeder Hinsicht über unser kleines Leben hinaus.
Das Leben ist das Göttliche in uns. Wenn wir das glauben und darauf vertrauen, können wir uns dem Leben ohne Angst stellen.
Etwas, das heute vielen Menschen Angst einflößt, ist das zunehmende Tempo. Alles scheint zu schnell zu passieren und vieles scheint sich rasant zu verändern. Manchmal haben wir den Eindruck, alles geht, um es umgangssprachlich zu sagen, »den Bach hinunter«. Auch darauf bezog sich eine Frage im Korb:
Wie gehen wir mit diesem scheinbar rasenden Tempo um?
Eines ist sicher: Hohes Tempo ist problematisch. Sind wir zu schnell unterwegs, führt das zu Umbrüchen, Einbrüchen und Krisen. Es passieren Unfälle und Katastrophen. Was können wir tun, wenn wir uns getrieben fühlen und sich alles zu schnell zu drehen scheint?
Wenn wir diese Frage für uns beantworten wollen, sollten wir uns ansehen, was wir schon jetzt tun, um Tempo herauszunehmen. So etwa hat keiner von uns beiden einen Führerschein. Wir fahren aber beide mit anderen im Auto oder mit anderen Verkehrsmitteln. Und wir beide hoffen, dass wir nicht immer schneller fahren müssen. Das hilft schon einmal. Es wirkt gegen zu hohes Tempo. Vielen Menschen bleibt aber gar nichts anderes übrig, als mit dem Auto – und wie sie meinen immer schneller – zu fahren. Was können sie tun? Was können wir alle tun?
Eine der größten Hilfen gegen die ständige Beschleunigung in allen Bereichen des Lebens ist die Achtsamkeit.
Aus der Ordensregel des heiligen Benedikt können wir herauslesen: Sei achtsam im Umgang mit dir selbst, damit du auch achtsam im Umgang mit anderen Menschen sein kannst.
Der Atem spielt hier eine wichtige Rolle. Wenn wir außer Atem sind, ist das meist ein Zeichen dafür, dass wir zu schnell unterwegs sind. Sowohl körperlich als auch geistig. Deshalb ist der Atem ein mächtiges Werkzeug, um das Tempo zu drosseln:
Langsam einatmen.
Noch langsamer ausatmen.
Endlich zur Ruhe kommen.
Das Prinzip des bewussten Atmens ist die größte Hilfe bei der Entschleunigung.
Es ist kein Zufall, dass wir heute so viel über bewusstes Atmen hören und lesen. Viele Menschen erkennen, dass die ständige Beschleunigung allen Lebens und aller Abläufe nicht zielführend sein kann. Anders ausgedrückt: Tempo bringt uns nicht weiter. Es ist eher das Gegenteil der Fall.
Am besten entschleunigen wir, indem wir bewusst auf unseren Atem achten. Der Atem kommt und geht. Unser Atem ist unser Grundrhythmus. Manchmal ist er schneller und manchmal langsamer, das ist normal. Der Atem ist einer der besten Regulatoren für unser Leben und dessen Tempo.
Die buddhistischen Mönche üben sich seit Jahrhunderten und Jahrtausenden in der Kunst des achtsamen Atmens. Sie sitzen auf ihren Matten und atmen ganz bewusst. Das ist eine Form der Meditation, die sich auch in unser aller Leben einbauen lässt. Bei vielen Gelegenheiten, sogar beim Autofahren, können wir ruhig und achtsam ein- und ausatmen.
Besonders im Stress hilft es uns, einmal tief einzuatmen und langsam wieder auszuatmen. Dabei werden wir von selbst ganz still, und still zu sein, das ist das Entscheidende. Denn was sind die Folgen dieser ständigen Atemlosigkeit, dieses ständigen Gefühls, den Dingen hinterhereilen zu müssen? Unbewusstheit und Dumpfheit greifen dann um sich. Wir können weder dem Leben noch unseren Gedanken folgen, wenn wir kaum noch Luft kriegen.
Bewusstes Atmen hilft uns, das Tempo unseres Alltags und unseres ganzen Lebens ein wenig zu verringern. Es hilft uns, Krisen besser zu meistern. Ein paar Sekunden des bewussten Atmens genügen.
Übrigens ist es besser, zwanzig Mal am Tag einige bewusst geatmete Sekunden einzubauen, als einmal eine ganze Stunde lang irgendwo zu sitzen und bewusst zu atmen. Denn während dieser Stunde sind wir oft abgelenkt. Eine Sekunde ist dagegen kurz. Da bleibt für Ablenkung keine Zeit. Dort gibt es keinen Raum für Ablenkung. Hier sind wir auch wieder bei der Frage nach dem angstbefreiten Leben. Denn dort gibt es auch keinen Platz für Angst. Während wir bewusst atmen, sind wir angstbefreit. Alles hängt mit allem zusammen.
Die folgende, an dieser Stelle passende Geschichte stammt von dem Jesuitenpriester und spirituellen Lehrer Anthony de Mello. Schüler, erzählte er, kamen eines Tages zu ihrem Lehrer und fragten ihn: »Warum meditierst du?«
Der Meister antwortete nicht. Die Schüler wunderten sich und fragten weiter: »Meditierst du, um innerlich ruhiger zu werden?«
Keine Antwort.
Die Schüler waren hartnäckig und fragten immer weiter.
Irgendwann antwortete der Meister: »Ich meditiere, um wach zu sein, wenn die Sonne aufgeht.«
Das bedeutet: Das Ziel der Meditation ist Wachheit. Sie ermöglicht die Erfahrung des Lebens. Wir drosseln das Tempo und wachen auf. Das ist ein ziemlich schönes Gefühl.
Und wenn gar nichts mehr hilft, dann empfehlen geistliche Lehrer, wenn möglich sogar in einer Gemeinschaft tief zu seufzen. Nicht zu jammern, sondern tief einzuatmen und erleichter auszuatmen. Meistens beginnen dann alle gemeinsam zu lachen.