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Alte chinesische Weisheit – für heute entdeckt Das Grundwerk des Daoismus im Dialog mit der jüdisch-christlichen Tradition "Der Fluss fließt und das Wasser wird sauber." Es sind bestechend einfache Wahrheiten, die das chinesische Daodejing (Tao te King) des Laozi (Lao-Tse) formuliert. Das fließende Wasser, das stets flexibel auf Hindernisse reagiert, wird dabei zum Vorbild des Lebens-weges. Der Schweizer Musiker Balts Nill und der für seinen interreligiösen Dialog welt-weit bekannte Mystiker David Steindl-Rast haben eine neue Übertragung der 81 Weis-heitstexte ins Deutsche geschaffen – und letzterer hat sie zudem ganz persönlich kom-mentiert als "ein Echo meiner eigenen, jüdisch-christlichen Spiritualität". Die kurzen, sehr treffenden Gedanken von Bruder David vermitteln einen unmittelbaren Zugang zu diesem Klassiker der Weltreligionen – eine moderne, lebendig formulierte Auseinandersetzung und in hochwertiger Ausführung ein Geschenk für alle, die sich der tiefsinnigen Weisheit dieses alten Buches nähern wollen.
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Seitenzahl: 66
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DAVID STEINDL-RAST
BALTS NILL
Gedanken zum Daodejing des Laozi
Ein verborgener Schatz
Bertolt Brecht: Legende von der Entstehung des Taoteking
Das Daodejing
Nachwort von Balts Nill
Dank
Anmerkungen
Einen verborgenen Schatz entdecken – was kann spannender sein? In unserer Fantasie gibt es kaum etwas Mitreißenderes. Und wenn wir tatsächlich eine solche Überraschung erleben dürfen, dann ist das ein Höhepunkt des Lebens.
Mir ist dieses Geschenk zuteil geworden beim Lesen von Balts Nills Übertragung des chinesischen Weisheitsbuches Daodejing ins Berndeutsche. Noch jetzt läuft es mir kalt über den Rücken, wenn ich mich an den ersten Eindruck erinnere: die Kraft der Sprache, die Klarheit der Bilder, die Tiefe der Einsichten, die sich da entfalteten, überkamen mich mit einer Art von Schauder – fast wie ein Erschrecken vor dem Übergroßen.
Das Daodejing soll nach der Bibel das am weitesten verbreitete und am öftesten übersetzte Buch sein. Den dritten Platz hält „Das Kapital“ von Karl Marx. Mir waren viele verschiedene Übersetzungen des Daodejing bekannt, alle aber ließen mich beim Lesen eine gewisse Hoffnungslosigkeit spüren, dem Originaltext trotz aller Bemühung auch nur halbwegs nahe zu kommen. Ganz anders bei der Übersetzung von Balts Nill, die 2020 unter dem Titel „vo wäge do“ im Berner Lokwort-Verlag erschienen ist. Da wehte mich eine Frische an wie Bergluft am Morgen.
Wer möchte eine solche Freude nicht so schnell wie möglich mit seinen Freunden teilen? Der Gedanke war naheliegend, den berndeutschen Text auf Hochdeutsch wiederzugeben. Dem steht freilich die dichterische Leistungsstufe im Weg, die Balts’ Sprache erreicht. Das Eigentliche an Dichtung wurde ja sogar definiert als das, „was beim Übersetzen verlorengeht“. Trotzdem, wenigstens versuchen wollte ich es in meiner Begeisterung.
Während also Balts Nill mit seiner Dialektübertragung eine Annäherung an den chinesischen Urtext versuchte – er stützte sich dabei auf mehrere verschiedene Übersetzungen und eine textkritische Ausgabe –, war meine Aufgabe nur diese: seine Worte nun auch in deutscher Schriftsprache verfügbar zu machen. Dabei habe ich mich so eng wie möglich an den berndeutschen Text gehalten, auch wenn Satzbau und Zeichensetzung manchmal eigenwillig erscheinen mögen. Als Musiker hat Balts ein feines Ohr für Sprachmelodie und Rhythmus, die beide viel zum Verständnis beitragen, ohne dass wir uns ihrer Wirkkraft bewusst werden. Es war oft gar nicht leicht, der Wucht des Berndeutschen im Hochdeutschen in etwa gerecht zu werden, und ich bin Balts Nill dankbar für seine Geduld bei unserer gemeinsamen Arbeit an manchen schwierigen Stellen.
Meine Freude an diesen Texten ist dabei immer wieder übergeflossen in kurze Erwägungen, die ich den einzelnen Abschnitten anfügte. Sie sind nicht wissenschaftliche Kommentare, sondern ein Echo meiner eigenen, jüdisch-christlichen Spiritualität auf Aussagen des Daodejing. Dieses Echo kam zugleich von meiner tiefsten angeborenen Religiosität. Mir scheint, dass diese uns Menschen gemeinsame Ur-Religiosität im frühen DAOismus mit besonderer Kraft und Klarheit zum Ausdruck kommt.
Ich vergleiche diese menschliche Ur-Religiosität gerne mit einer unterirdischen Wasserader, die jede der verschiedenen Religionen mit ihrem eigenen Brunnen anzapft. Das Wasser ist ein und dasselbe, die Brunnen aber sind sehr verschieden. Oft sind sie aufwendig, prunkvoll und ornamentreich. Der DAOismus, auf den wir im Daodejing stoßen, ist im Vergleich dazu ein schlichter Holztrog am Wegrand.
Möge dieses Buch allen, die darin lesen, manchen erfrischenden Trunk schenken und vielleicht sogar einen Widerschein meiner eigenen freudigen Überraschung bei der Entdeckung einer solchen Schatztruhe.
David Steindl-Rast, Weggis (CH), am 8. Juni 2023
Als er siebzig war und war gebrechlich
drängte es den Lehrer doch nach Ruh
denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete den Schuh.
Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er immer abends rauchte
und das Büchlein, das er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.
Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es
als er ins Gebirg den Weg einschlug.
Und sein Ochse freute sich des frischen Grases
kauend, während er den Alten trug.
Denn dem ging es schnell genug.
Doch am vierten Tag im Felsgesteine
hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:
„Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“
Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach: „Er hat gelehrt.“
Und so war auch das erklärt.
Doch der Mann in einer heitren Regung
fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“
Sprach der Knabe: „Dass das weiche Wasser in Bewegung
mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.“
Dass er nicht das letzte Tageslicht verlöre
trieb der Knabe nun den Ochsen an
und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre
da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann
und er schrie: „He, du! Halt an!
Was ist das mit diesem Wasser, Alter?“
Hielt der Alte: „Intressiert es dich?“
Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter,
doch wer wen besiegt, das intressiert auch mich.
Wenn du’s weißt, dann sprich!“
Schreib mir’s auf! Diktier es diesem Kinde!
So was nimmt man doch nicht mit sich fort.
Da gibt’s doch Papier bei uns und Tinte
und ein Nachtmahl gibt es auch: Ich wohne dort.
Nun, ist das ein Wort?“
Über seine Schulter sah der Alte
auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.
Und die Stirne eine einzige Falte.
Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
Und er murmelte: „Auch du?“
Eine höfliche Bitte abzuschlagen
war der Alte, wie es schien, zu alt.
Denn er sagte laut: „Die etwas fragen
die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“
„Gut ein kleiner Aufenthalt.“
Und von seinem Ochsen stieg der Weise
sieben Tage schrieben sie zu zweit.
Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise
mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).
Und dann war’s soweit.
Und dem Zöllner händigte der Knabe
eines Morgens einundachtzig Sprüche ein.
Und mit Dank für eine kleine Reisegabe
bogen sie um jene Föhre ins Gestein.
Sagt jetzt: Kann man höflicher sein?
Aber rühmen wir nicht nur den Weisen
dessen Name auf dem Buche prangt!
Denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.
Bertolt Brecht (1898–1956)
Sagst du DAO
verschwindets
gibst du ihm einen Namen
kennst du’s schon nimmer
wortlos der Anfang von Himmel und Erde
das Wort weckt zehntausend Wesen
unbegreiflich der Grund
begreiflich nur mehr der Rand
Schweigen und Wort
hüten das Geheimnis
das Geheimnis vom Geheimnis
im Ursprung
„Das Geheimnis vom Geheimnis im Ursprung“ ist das Mysterium im Innersten des Seins. Alles – wirklich alles im Sinn eines erfüllten Lebens – hängt von unsrer Beziehung zu diesem Geheimnis ab. Sie beginnt, wenn wir entdecken, dass wir dem Geheimnis gegenüberstehen. Dann führt sie zu Ehrfurcht und kann sich bis zu einer ständigen lebendigen Beziehung zum Großen Geheimnis entfalten.
Sagt man schön
meint man auch hässlich
und die Guten sind nur gut
weil die Schlechten so schlecht sind
so ist das was ist
nur durch das was es nicht ist
leicht wäre
nicht ohne schwer
kurz nicht ohne lang
hoch nicht ohne tief
Klang und Ton
formen einander
nachher
kommt
nach vorher
nicht machen nicht tun;
lernen
zu schauen
wie’s kommt
und wie’s geht
liegen lassen
wachsen lassen
stehen lassen
wer nicht nimmt
und nichts hat
dem kann alles
gestohlen bleiben
Wie groß ist doch die Freiheit dessen, der nichts hat. „Dem kann alles gestohlen bleiben“ und er wird dem Zeug keine Träne nachweinen. Wer würde sich nicht diese Freiheit wünschen? Ich frage mich aber: Bin ich auch wirklich bereit, die Bedingung zu erfüllen und nichts in Besitz zu nehmen? Es nur durch meine Hände fließen zu lassen wie Wasser? Kann ich liegen lassen, wachsen lassen, stehen lassen lernen?
Die sich aufspielen
sollen sie’s doch
wo Schätze liegen
sind auch Diebe nicht weit
wo’s nichts zu gewinnen gibt
gibt’s auch nichts zu kämpfen
wunschlos im Herzen
und zufrieden im Bauch
die Knochen fest