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Der plötzliche Tod des Kardinals Tosca: Der Kardinal Tosca kommt während eines Aufenthaltes des Papsts in London ums Leben. Die Ermittlungen erweisen sich als äußerst delikat, werden von Holmes jedoch mit der ihm eigenen Methode erfolgreich und diskret durchgeführt. Basierend auf der Auflistung der Fälle im Abenteuer des schwarzen Peters fügt Francis London dem offiziellen Sherlock Holmes Kanon von Arthur Conan Doyle eine spannende und stimmungsvolle Geschichte hinzu, die mit einem amüsanten Ende zu einem gelungenen Abschluss kommt. Die Paradol-Kammer: Dr. Watson freut sich bereits, als es sich andeutet, dass die Clientin, die Sherlock Holmes in der Baker Street aufsucht, doch eher einen Arzt benötigt. Dann aber zeigt sich, dass das mysteriöse Verhalten, um das es geht, kriminelle Hintergründe haben könnte. Die beiden Freunde folgen den Spuren mit Hilfe der Baker-Street-Boys und mit Hilfe des renommierten Veterinärmediziners John Abadie kommt der Detektiv schließlich dem Geheimnis auf die Spur. Graf Negretto Sylvius: Die Erzählung "Graf Negretto Sylvius" ist eine bemerkenswerte Interpretation des originalen Sherlock Holmes Abenteuers "Der Mazarin-Stein" durch Francis London. Basierend auf dem Original erzählt Francis London in dieser Geschichte, wie es zum Diebstahl des Steines kommt. Sorgsam integriert er in diese Geschichte die Gegebenheiten in der Baker Street, wie sie im Original dargestellt sind, verändert die Geschichte mit behutsamer Feder und gibt so dieser Erzählung einen außergewöhnlichen Reiz und die typische Sherlock-Holmes-Stimmung. Zu guter Letzt rettet er den Ruf von Lord Cantlemere. Nie war "Der Mazarin-Stein" schöner zu lesen.
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Inhaltsverzeichnis
Der plötzliche Tod des Kardinals Tosca
Die Paradol-Kammer
Graf Negretto Sylvius
Glossar
Zeitleiste (Auszug)
Leseprobe aus »In 80 Tagen um die Welt«
Impressum
In diesem bemerkenswerten Jahr ’95 hatte eine merkwürdige und abwechslungsreiche Sammlung von Fällen seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, angefangen von den berühmten Nachforschungen anlässlich des plötzlichen Todes des Kardinals Tosca – eine Untersuchung die er ausdrücklich im Namen seiner Heiligkeit des Papstes durchgeführt hatte ...
Aus: Sherlock Holmes, Der Schwarze Peter
Es ist Jahre her, seit die erstaunlichen Vorfälle, von denen ich heute berichten möchte, stattfanden und noch heute zögere ich damit, diese zu erwähnen.
Für lange Zeit war es sogar mit äußerster Diskretion und Zurückhaltung unmöglich, die Fakten öffentlich zu machen. Jetzt, da die Verbindungen zwischen der katholischen und der anglikanischen Kirche durch das apostolische Schreiben »Apostolicae Curae« des Papstes und seine Zurückweisung durch die liturgiegeschichtliche Argumentation des Erzbischofs von Canterbury in »Saepius officio« zutiefst gestört sind, kann die Geschichte erzählt werden, da keine weitere Verschlimmerung in Betracht zu ziehen ist.
In all unseren Fällen kam es immer wieder vor, dass Holmes von höchsten politischen Kreisen in Anspruch genommen wurde, der Adel, ja gar das Militär suchte seine Unterstützung. Dass jedoch die Kirche seine Hilfe in Anspruch nahm, zeichnete diesen Fall aus und erlaubte es Holmes, durch seinen feinfühligen Respekt vor der Erhabenheit dieser Institutionen, einem Fall auf die Spur zu kommen der, nun ja, eine Vorgehensweise erforderte, die dem unvergleichlichen Können von Holmes einen angemessenen Rahmen der Entfaltung bot.
Im Frühling des Jahres 1895 befand sich der Papst in London. Die Zeitungen waren voll der Nachrichten über den Papst und seinen kirchlichen Repräsentanten in London, den Kardinal Tosca.
Ich saß in Holmes Wohnzimmer und während Holmes auf seiner Geige spielte, las ich mit Interesse die neuesten Nachrichten über diese wichtigen Treffen, die damals ganz London, bis hinein in die höchsten politischen Kreise, in Aufregung versetzten. In dieser Phase der angespannten Beziehungen, versuchten diese beiden mächtigsten Kirchen des Erdballs, ihr Verhältnis neu zu ordnen.
Holmes war an diesem Abend weit weg von jeder Politik, hatte sich selbst gefangen im Reich seiner Violine, denn er war ein exzellenter Spieler und enthusiastischer Musiker. In diesen Momenten seines Spiels war er eingehüllt von einem perfekten Gefühl des Glückes. Seine entrückten, verträumten Augen zeugten von der Größe des Genusses, die er in dieser poetischen und beschaulichen Stimmung empfand.
Wir wurden unterbrochen, ich in meiner Lektüre der Zeitung, Holmes in seinem Spiel der Violine, durch die Geräusche einer Kutsche, die unten auf der Baker Street hielt, durch das ungeduldige Geläut der Glocke an unserer Haustüre und hastige Schritte auf der Treppe. Holmes kehrte langsam in unsere Welt zurück, seine Augen gewannen wieder die gewohnte Schärfe und sein Geist beriet sich darauf vor, seine Aufmerksamkeit einer neuen, großen Aufgabe zu widmen.
Der Mann, der in der Türe zu unserem Zimmer stand, war ganz offensichtlich ein hoher Geistlicher. Es war ein Geistlicher der katholischen Kirche, rot im Gesicht von den Anstrengungen seiner Eile und verzweifelt im Ausdruck.
Er schritt ziellos durch unser Zimmer, vermied es, dem einen oder anderen zu nahe zu kommen, als wäre er unsicher, ob er wagen sollte zu tun, weswegen er in unser Heim so rücksichtslos und störend eingedrungen war.
»Es ist nicht mehr nötig, Sie um Eintritt zu bemühen«, sagte Holmes, während er in Ruhe und mit Bedacht seine Geige im Geigenkasten verstaute, »das haben Sie bereits selbst in die Hand genommen. So nehmen Sie doch bitte Platz, ich werde sofort bei Ihnen sein.«
Holmes griff nach seiner Pfeife, stopfte und entzündete sie, während er sich langsam zu unserem Gast umdrehte. Dergestalt an die Regeln der Höflichkeit erinnert, stand unser Gast verlegen und unschlüssig zwischen den Sesseln vor dem Kamin. Er wirkte etwas unsicher ob seines eigenen Verhaltens, jedoch getrieben von den Ereignissen, über die er berichten wollte.
»Mein Name ist Sherlock Holmes, dies ist mein Freund Dr. Watson, mit wem haben wir beide die Ehre?«, versuchte Holmes das Gespräch in Gang zu bringen.
»Sie können mich als Kardinal Silvano ansprechen, ich bin aus dem Vatikan als Gesandter des Papstes in London, in einer Entourage von Unterhändlern. Ich spreche im Namen des Papstes, wenn ich Sie hiermit um Ihre Unterstützung in einer Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit und Diskretion bitte.«
Es war für mich immer noch ungewohnt, dass Holmes Ruf in ganz Europa bereits so hervorragend war, dass es niemanden von Rang und Namen mehr gab, der nicht wusste, dass in den delikatesten aller delikaten Fälle mein Freund Sherlock Holmes die erste Adresse für Hilfe und Unterstützung war. Es wurde in diesen Jahren nach dem Tod des Professors Moriarty fast schon eine Übung, die ich als regelmäßig bezeichnen konnte, jedoch muss ich sagen, dass ich diese neuen Entwicklungen immer noch nur schwer einordnen konnte, da meine Erinnerungen an die Baker Street mit dem trauten Junggesellenheim unserer gemeinsamen Zeit verbunden waren.
Holmes verstand, dass an ein ruhiges Gespräch nicht zu denken war, zu aufgeregt war unser Gegenüber. Er blieb also ebenfalls stehen, fixierte unseren Gast und fragte: »Erzählen Sie, Kardinal Silvano, was Sie bewegt. Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Hier in London«, begann Kardinal Silvano, »wird die katholische Kirche durch den Kardinal Tosca vertreten. Der Kardinal hat unsere Gespräche mit der anglikanischen Kirche, diese vertreten durch den Erzbischof von Canterbury, vorbereitet. Er ist in unserer Entourage der wichtigste Mann, ein exzellenter Kenner der Gegebenheiten vor Ort, beachtet und respektiert bei allen Gesprächspartnern, ein Mann der Kirche von ausgezeichnetem Ruf!«
Holmes hatte sich mit seinem Rücken an ein Bücherregal gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und lauschte aufmerksam den Schilderungen des Kardinals. Sein Nicken ermunterte den Kardinal, fortzufahren.
»Die Gespräche des heutigen Tages brachten nun endlich erste Annäherungen zwischen den unterschiedlichen Positionen des Papstes und denen des Erzbischofes und es ist nicht zu viel gesagt, dass die Kunst des Kardinals Tosca, auf seine Gesprächspartner einzugehen, sie zu bewegen und ihnen die gegenseitigen Beweggründe zu vermitteln, einen entscheidenden Anteil an den Erfolgen hatte.«
»Zum Ende der heutigen Gespräche verließ uns der Kardinal, um in seine Residenz zurückzukehren. Jedoch ergab sich für den Papst weiterer Gesprächsbedarf, so dass er mich ausschickte, um den Kardinal zu bitten, ihm heute Abend noch einmal beratend zur Seite zu stehen.«
»Ich rief unsere Kutsche und fuhr zur Residenz des Kardinals. Dort angekommen, fuhren wir auf den Hof, wir verließen die Kutsche und begaben uns zur Tür des Hauses. Niemand öffnete auf unser Klopfen, also versuchte ich, die Türe zu öffnen. Die Türe war unverschlossen und wir fanden unseren Weg in den ersten Stock des Hauses, in den Salon des Kardinals.«
Der Kardinal stockte in seiner Erzählung.
»Reden Sie weiter!«, trieb Holmes ihn an. Das Gesicht von Holmes hatte jeden weichen Ausdruck des begaben Musikers und Geigenvirtuosen längst verloren. Anspannung und Helligkeit spiegelte sich auf seiner Miene wieder, ein erwachender Jäger, der begierig eine neue Fährte wittert.
»In diesem Zimmer fanden wird den Butler des Hauses vor. Er stand ratlos vor einem Sofa!«
Holmes senkte den Kopf und schien dem Kardinal jedes Wort von den Lippen saugen zu wollen.
»Auf dem Sofa saß, oder eher lag, der Kardinal Tosca. Tot, offensichtlich. Der Butler hatte ihn gerade erst aufgefunden. Ich gab sofort Alarm, schickte meine Begleiter auf die Straße. Schnell war ein Konstabler gefunden, der weitere herbeirief. Der Hof und das Haus wurden gesichert, die Suche nach dem Täter begann!«
»Täter? Haben Sie Anlass zu glauben, dass es sich um Mord handelt?«
Die Verlegenheit unseres Klienten wuchs ins Unermessliche: »Mr. Holmes, wie soll ich es zum Ausdruck bringen. Die Curie ist eines der bedeutendsten Machtzentren der Welt, dessen Beeinflussung ...«
Er brach ab und lies den Satz im Raum stehen.
»Es ist unbedingt nötig, dass dieser Fall ohne jeden verbleibenden Zweifel aufgeklärt und bei aller Diskretion einer Lösung zugeführt wird, die es uns erlaubt etwaige Gefährdungen zu erkennen, um ihnen begegnen zu können! Ich möchte betonen, dass ich selbst den Kardinal gerade eine Stunde vorher zu seiner Residenz gebracht hatte, er war ein gesunder, starker Mann, ich kann mir nichts denken, wie er sonst ums Leben gekommen sein sollte.«
Es dauerte nicht lange und wir saßen in der päpstlichen Kutsche und fuhren durch das abendliche London der Residenz des Kardinals entgegen. Die Straßen waren bereits leer, so dass wir rasch vorankamen, in den Häusern wurde es ruhig, die Stadt begann schläfrig zu werden. Über die Waterloo Brücke überquerten wir den großen Fluss mit seinen träge dahinschwimmenden Lastkähnen und erreichten schließlich die Borough Road, das Ziel unserer kurzen Fahrt.
Wie verändert war hier das Bild, das sich uns auf der Straße bot! Eine große Zahl von Konstablern war auf der Straße, sie durchsuchten Häuser, sicherten Hofeinfahrten und kontrollierten Passanten. Als wir die Residenz des Kardinals erreichten, wurde uns am Hoftor die Einfahrt verwehrt.
Auch das päpstliche Wappen an der Kutsche, die hochherrschaftlichen Pferde, das gute Zureden des Kutschers vermochten es nicht, den Konstabler am Tor zu überzeugen. Erst als Holmes aus der Kutsche stieg, zauberte seine bekannte Erscheinung Respekt und Bewunderung auf das Gesicht des Konstablers, er trat zur Seite und bat uns, in den Hof einzufahren. Holmes folgte uns zu Fuß, tief versunken in den Anblick des Hofes, des Gebäudes, bereit alles zu sehen, alles aufzunehmen was von Bedeutung für den Fall sein konnte.
Auch wir verließen die Kutsche. Holmes Vorgehen abwartend, eilten auch wir nicht direkt in das Haus, sondern blieben an der Kutsche stehen. Holmes stand in der Mitte des Hofes und begutachtete mit nachdenklichem Gesicht das Anwesen. Die dreistöckige Residenz des Kardinals hatte einen einstöckigen Anbau für das Personal und die Wirtschaftsräume, sowie einen Stall, der im Anschluss daran errichtet war. Eine Treppe führte zu der erhabenen Eingangstüre, die eher eine Pforte war. Da es bereits dunkel war, verzichtete Holmes auf eine weitere Betrachtung des Bodens und betrat gemeinsam mit uns das Gebäude. Der Konstabler, der die Türe bewachte, führte uns über die Treppe einen Stock höher in den Salon des Kardinals.
In diesem Raum standen zwei Personen. Einer davon war der uns aus vielen Fällen bekannte Inspektor Lestrade, der andere der Butler des Hauses. Lestrade schritt auf uns zu, erstaunt, aber doch erfreut, uns zu sehen. Wir schüttelten zur Begrüßung die Hände.
»Holmes, wie haben Sie von diesem Fall erfahren?«
»Dieser Kardinal hier«, Holmes deutete bei diesen Worten auf Kardinal Silvano, »hat uns im Auftrag des Papstes hierhergebeten. Aber, Lestrade, ist es denn wirklich ein Fall?«
»Ich geben Ihnen gerne Gelegenheit, dies zu beurteilen.« Mit diesen Worten trat Lestrade beiseite und eröffnete uns den Blick auf den Raum.
Es handelte sich um einen großen, gut eingerichteten Salon mit einer großen Fensterwand und zwei Türen. Durch die eine hatten wir das Zimmer gerade betreten, die andere war geschlossen. Eines der Fenster stand offen. Auf dem Sofa befand sich, in halb liegender Position, der Kardinal Tosca oder besser gesagt, seine sterbliche Hülle.
Holmes näherte sich dem Tisch, auf dem ein leeres Glas stand. Die Spuren am Rand des Glases wiesen darauf hin, dass daraus getrunken worden war. Ohne es zu berühren, roch Holmes daran und hob bedeutsam die Augen. Sorgsam näherte er sich dem Gesicht des Kardinals und sog auch dort die Luft ein. Ich fand dieses Verhalten von Holmes sehr befremdlich, insbesondere, da der Kardinal zu seinen Lebzeiten eine hohe Respektsperson gewesen war, jedoch schien Holmes mit dem Ergebnis dieser seltsamen Untersuchung durchaus zufrieden.
Holmes wurde durch einen eintretenden Konstabler aus seiner Konzentration gerissen, dieser meldete Lestrade, dass die unmittelbare Umgebung abgesucht war und keine verdächtigen Personen vorgefunden worden waren. Holmes runzelte die Stirn, ob dies angesichts der Störung seiner Untersuchung oder ob der Nachricht selbst konnte ich nicht erahnen.
»Was meinen Sie, Holmes«, fragte Lestrade, »gibt es noch Gründe meine Leute hier zu behalten?«
»Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass Kardinal Silvano sich eine diskrete Untersuchung gewünscht hätte, sehe ich keinen Grund, ihre Leute noch länger um den verdienten Feierabend zu bringen«, antwortete Holmes in aller Ruhe, während er nachdenklich seinen Blick über den toten Kardinal schweifen ließ.
Angesichts dieser offensichtlichen Kritik reagierte Lestrade etwas verärgert: »Sie werden sicherlich einsehen, Holmes, dass es für mich als den verantwortlichen Inspektor nicht so einfach ist, alle Wünsche zu erfüllen. Es gibt schließlich Vorschriften, wenngleich Sie sich diesen eher selten zu beugen scheinen.«
»Das ist eine Annehmlichkeit, die mein Beruf mit sich bringt«, meinte Holmes mit einem Lächeln.
Lestrade entließ den Konstabler mit der Anweisung, die Suche einzustellen und die Mannschaften abzuziehen.
Holmes etwas kühle Art führte schon häufiger zu kleineren Auseinandersetzungen mit den ermittelnden Inspektoren. Wenngleich Holmes diese niemals eskalieren ließ, so stellte er doch beständig sicher, dass kein Zweifel daran aufkam, dass seine Methoden sich von denen der Polizei unterschieden.
Nach dem Abzug der Konstabler beruhigte sich die Lage in Haus und Hof der Residenz merklich. Eine gewisse abendliche Stille senke sich auch über dieses Haus. Dies war Holmes sicherlich recht, er zog es vor wenn sich sein Geist ungestört und in Ruhe entwickeln konnte.
»Wer hat heute Abend das Haus betreten?«, wandte sich Holmes an den Butler.
»Niemand, Sir. Nur der Kardinal selbst, nach seiner Rückkehr am frühen Abend und das Personal. Es ist niemand sonst zu Besuch gewesen.«
Holmes nickte nachdenklich. »So müsste also der Täter einen anderen Weg gewählt haben als den, durch die Türe und die Treppe hoch?«
»Ich denke, er müsste durch das offene Fenster eingestiegen sein«, mutmaßte der Butler.
»Sicherlich«, sagte Holmes, »das ist naheliegend.«
»Soll ich den Herrschaften einen Tee bringen?«, fragte der Butler, sich wieder auf seine eigentlichen Aufgaben besinnend.
Diesem Angebot stimmte ich mit Begeisterung zu, aus Erfahrung wusste ich, dass es einige Zeit dauern würde, bis Holmes seine Untersuchungen abgeschlossen haben würde. Wenngleich ich es stets genoss, Holmes bei seiner Arbeit zuzusehen, so würde doch eine Tasse guten Tees die Zeit auf das angenehmste verkürzen.
Wie ich erwartete, wandte sich Holmes nun dem Fenster zu. Ähnlich wie der Butler, sah auch ich dies als den offensichtlichen Fluchtweg des Täters. Dort waren die Spuren zu erwarten, die uns wichtige Hinweise geben würden. Mit der von ihm gewohnten Gründlichkeit untersuchte Holmes den Rahmen und die Verriegelung des Fensters und blickte lange und nachdenklich in den Hof.
»Die Verschlüsse dieser Fenster sind spielend zu öffnen, auch von außen«, bemerkte er.
»Wir haben den Hof untersucht«, sagte Lestrade, »es gibt an der Rückseite des Wirtschaftsgebäudes allerlei Gerät, auch eine Leiter befindet sich dort, die möglicherweise verwendet wurde.«
»Der Boden im Hof ist gepflastert, der Sims des Fensters aus Stein. Hier werden wir leider keine Spuren finden«, fügte Holmes den Bemerkungen von Lestrade hinzu. Er steckte seine Lupe wieder in die Tasche und sah einen Moment sinnierend aus dem Fenster.
»Was meinen Sie zur Todesursache, Lestrade?«, wandte er sich an den Inspektor von Scotland Yard.
»Ohne Zweifel Gift. Der bittersüße Geruch von Mandel haftet sowohl am Glas, als auch am Verstorbenen. Sobald wir hier fertig sind, werden wir die Leiche abtransportieren und dies untersuchen lassen.«
Holmes nickte nachdenklich und zustimmend. »Die Todesursache ist sehr offensichtlich. Jeder Laie würde darauf kommen.«
»Wohin führt diese Türe?«, wandte sich Holmes an Lestrade.
»Diese Türe führt zum Schlafgemach des Kardinals.«
Holmes machte zwei, drei Schritte darauf zu, um seine Untersuchungen dort fortzusetzen, wurde aber von einer Bemerkung von Lestrade aufgehalten: »Die Türe ist verschlossen.«
Holmes unterbrach seine Bewegung und wandte sich mit verwunderten Augen um: »Wo befindet sich der Schlüssel?«
»Das ist bisher nicht geklärt. Der Butler sagte aus, dass er normalerweise von innen steckt. Er ist bereits damit beauftragt, den Ersatzschlüssel zu besorgen. Ich gehe davon aus, dass dies nicht wesentlich ist, der Tod des Kardinals trat ohne Zweifel in diesem Raum ein.«
Holmes näherte sich langsam der Tür, betrachtete sorgfältig den Teppich und den Boden davor. Schließlich kniete er sich vor die Türe und brachte sein Auge zum Schlüsselloch, um einen Blick in das Innere des Raumes zu erhaschen. Ich bemerkte, wie er zuckte und dann seinen Kopf wandte, um seinen Blick wieder über den Raum schweifen zu lassen, in dem wir standen. Er holte tief Luft.
Ich verstand, dass Holmes versuchte die Gerüche im Gebäude einzuordnen und tat es ihm gleich. Aber dort, wo ich stand, konnte ich den Geruch der Mandeln nicht wahrnehmen, ich war zu weit von den Gläsern und der Leiche entfernt. Für mich gab es keine auffälligen Gerüche.
Holmes stand zögernd auf und ging ein, zwei Schritte von der Türe weg, zurück in Richtung auf das Sofa, als die Haushälterin endlich mit einem Tablett mit Tee erschien.
Die brave Frau war schon lange in den Diensten des Kardinals gestanden. Obwohl sie wissen musste, dass sie den Toten in diesem Zimmer antreffen würde, war der Anblick doch zu viel für sie. Sie schaffte es nur einige Schritte in das Zimmer, dann fiel sie beim Anblick des Toten mit einem Seufzer in Ohnmacht. Das Silbertablett mit den Tassen und der Kanne fiel mit einem lauten Scheppern zu Boden.
Ach Sherlock Holmes! Sein brillanter Geist, die Schärfe seines Verstandes und seine Fähigkeiten, auch in ausweglosen Situationen eine Lösung zu finden, steht in so krassem Gegensatz zu seiner mangelnden Empathie, insbesondere gegenüber Vertretern des anderen Geschlechtes. Während Lestrade und ich der Dame zur Hilfe eilten, betrachtete Holmes die Szenerie mit eigentümlicher Faszination. Er stand direkt neben der Haushälterin, doch er bückte sich nicht nach der Frau, sondern stand mit gesenktem Kopf da und blickte nach unten auf das Chaos von Teetassen, Zucker und Tablett, als könnte er daraus die Lösung für diesen Mordfall erkennen.
Erst als Lestrade und ich die arme Frau auf einen Sessel hievten, kniete Holmes sich auf den Boden nieder und spielte mit dem Silbertablett. Dann beobachtete er es intensiv und nachdenklich, während er es still in seiner Hand hielt. Schließlich ließ er es fallen und stand ungeduldig auf.
Seit langen Jahren habe ich mit Holmes gearbeitet, ich kenne seinen Ausdruck, seine Mimik und Gestik und so war mir klar, dass er dieser Szene eine besondere Bedeutung beimaß. Soviel ich jedoch nachdachte, gelang es mir nicht, eine Verbindung herzustellen, zwischen dem toten Kardinal und dem verschütteten Tee.
Holmes trat unruhig von einem Bein auf das andere und wandte sich schließlich ungeduldig an Lestrade: »So lassen Sie doch endlich die Haushälterin in Ruhe. Es ist ja nichts passiert und Doktor Watson wird sich sicherlich aufopfernd um sie kümmern. Es liegt schließlich in seiner Profession!«
Ich kannte dieses Verhalten von Holmes. Wie ein Rennpferd in der Startbox ungeduldig mit den Hufen scharrt, so fühlte sich Holmes in den Umständen gefangen. Er wusste, was er unternehmen wollte, aber er war auf etwas gestoßen, das ihn daran hinderte umzusetzen, was sich in seinem brillanten Gehirn bereits manifestiert hatte. Er schwieg jedoch und übte sich in Zurückhaltung und Beherrschung. Ein Zimmermädchen kam, alarmiert durch die Geräusche des fallenden Tablettes, hinzu und entfernte die Scherben und das Chaos, das sich durch diesen Zwischenfall ergeben hatte.
Holmes saß auf einem Sessel gegenüber der Haushälterin, hatte die Ellenbogen auf den Lehnen aufgestützt und die Fingerspitzen zusammengepresst. Seine Augen halb geschlossen, vermittelte er mir den Eindruck einer gespannten Feder, die nur auf den erlösenden Impuls wartete, um auseinander zu schnellen. Was war es, das ihn so unruhig machte? Ich versuchte unauffällig die Haushälterin zu beobachten. Sie erholte sich zunehmend. Ich hatte ihr ein Fläschchen Riechsalz unter die Nase gehalten, das hatte ihre Lebensgeister geweckt.
Nach kurzer Zeit betrat auch der Butler wieder das Zimmer. Er hatte nicht nur dafür gesorgt, dass die Haushälterin den Tee brachte, sondern sich auch um den Ersatzschlüssel für das Schlafgemach des Kardinals bemüht. Aufgefordert von Lestrade, ging er zur Tür des Schlafgemaches, steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte um. Die Tür öffnete sich in den Salon hinein, er ging einen Schritt beiseite, um Lestrade den Vortritt zu lassen, der bereits mit großem Interesse herangetreten war.