Zweite Kollektion - Francis London - E-Book

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Francis London

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Beschreibung

Der ägyptische Schatz: Der kühle Verstand von Sherlock Holmes wird mit einer Geistererscheinung konfrontier: Ist es wirklich möglich, dass der Geist von Sir Sydenham während einer Séance den unbekannten Bettler ermordet hat? Lady Monica Sydenham wendet sich an Sherlock Holmes, um das Mysterium aufzuklären, während dieser von Inspektor Gregson zu einem anderen Todesfall gerufen wurde, bei dem ein ehemaliger Major General der British Army ermordet wurde. Baker Street 221b: Es sollte nur ein kurzer Besuch werden, den Watson im Frühjahr 1903 bei seinem Freund Sherlock Holmes absolvieren wollte, da er ihn länger nicht besucht hatte. Doch ausgerechnet an diesem Abend erscheinen ganz überraschend zwei alte Bekannte in Holmes Wohnung und fesseln den Meisterdetektiv mit dem Rätsel einer verschwundenen Uhr, einer Aufgabe, die Holmes ganze Konzentration bedarf. Francis London führt seinen Sherlock Holmes in geschliffenen Dialogen und scharfen Gedankengängen durch eine außergewöhnliche Spurensuche. Tödliche Flucht: Ein spannender, actiongeladener Thriller aus dem Jahr 1904. Sherlock Holmes' größter Feind, Oberst Sebastian Moran, flieht aus dem Gefängnis und sehnt ein Wiedersehen herbei. Holmes setzt auf seinen langjährigen Späher, Shinwell Johnson, dieser entwirft einen Plan, der ein böses Ende in sich trägt.

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Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Der ägyptische Schatz

Baker Street 221b

Tödliche Flucht

Glossar

Zeitleiste (Auszug)

Leseprobe aus »In 80 Tagen um die Welt«

Impressum

© 2016 Francis London

[email protected]

Inhalt

Der ägyptische Schatz 1

Baker Street 221b 57

Tödliche Flucht 107

Glossar 173

Zeitleiste (Auszug) 174

Leseprobe aus »In 80 Tagen um die Welt« 175

Der ägyptische Schatz

Unter all den vielen, aufregenden und außergewöhnlichen Fällen, die ich mit meinem Freund Sherlock Holmes erleben durfte, waren meiner Erinnerung nach nur zwei, bei denen dieser Meister der kühlen Logik anscheinend von unheimlichen Geisterwesen herausgefordert wurde.

Es handelt sich zum einen um das schauerliche Erlebnis von Robert Ferguson aus Lamberley, das ich unter dem Titel „Der Vampir von Sussex“ erst im letzten Jahr veröffentlicht hatte. Der andere Fall trug sich weit früher zu, in den Zeiten, als der Ruf von Sherlock Holmes erst am Erblühen war und er beständig und ungeduldig auf der Suche nach neuen, ungewöhnlichen Abenteuern war, die seinem rastlosen Geist Nahrung, und bald auch meiner Feder Arbeit verschaffen würde.

Ich habe lange mit dieser Veröffentlichung gezögert, da es mir ein Anliegen ist, meine geschilderten Erlebnisse mit Sherlock Holmes als das, was sie sind, darzustellen, nämlich Kriminalfälle, die mit der Macht des Verstandes und der Logik erklärt und gelöst werden können, und nicht kindliche Schauermärchen, die einem zweifelhaften Hokuspokus das Wort reden. Die abgeklärten und ernsthaften Briefe, die ich als Antworten auf die Veröffentlichung des ersten Falles bekam, waren mir Bestätigung genug, dass ich auch den zweiten Fall aus diesem Metier meiner Leserschaft zur Kenntnis geben kann. Sherlock Holmes ließ mir bei der Veröffentlichung freie Hand, da er den Fall zwar als höchst amüsant, aber doch recht einfach einschätzte, eine Beurteilung, die ich, in Anbetracht der komplizierten Verwicklungen und ungeheuerlichen Zusammenhänge, die sich in diesem Fall widerspiegelten, nicht so recht zu teilen vermag.

Jedoch mag auch dieser Fall ein Lehrbeispiel dafür sein, wie es Sherlock Holmes gelingt, sich nicht in den Details zu verlieren, sondern unter Zuhilfenahme eben jener in der Lage ist, das große Bild zu erkennen und nachzuzeichnen.

Während in dem ersterwähnten Fall die unheimlichen Geschöpfe Transsilvaniens die südliche Küste Englands zu bedrohen schienen, ist es in diesem Fall der Fluch eines ägyptischen Pharaos, dessen dunkle Macht die hoch angesehene Lady Sydenham in dem lebendigen, sommerlichen London unserer Tage fürchtete.

Es war an einem angenehmen Septembertag des Jahres 1884, als ich zur Mittagszeit aus dem Club kam. Dabei begegnete ich an der Haustüre unserer gemeinsamen Wohnung in der Baker Street einem Boten, der eine Depesche für Holmes überbringen wollte. Ich nahm sie entgegen und begab mich, die Treppe hoch, in unser Wohnzimmer, wo Holmes in seinem großen, behaglichen Lehnstuhl saß und recht gelangweilt in einem Stapel von Schriftstücken blätterte.

Ich übergab Holmes die an ihn gerichtete Depesche und wollte mich abwenden, als er mich, nach einem kurzen Blick auf eben jene Depesche, ansprach: „Nun, Doktor, ich sehe, dass Sie im Club Ihre wissenschaftlichen Arbeiten zur Dörrsucht fortgesetzt haben. Was haben Sie Neues erfahren? War das Archiv des Clubs ergiebig?“

Ich hatte mit Holmes darüber nicht gesprochen, konnte nicht erkennen, woher er darüber Bescheid wissen sollte und war für einen Moment überrascht, indes kannte ich diese Vorlieben von ihm schon zur Genüge. An diesem Tage entschied ich mich, zu versuchen, seiner Überraschung mit einer betont sachliche Haltung zu begegnen: „Um Ihre Frage direkt zu beantworten, Holmes: Meiner Ansicht nach würde die Dörrsucht als Todesursache für Säuglinge erheblich zurückgehen, wenn die Damen des Empires sich wieder auf die, bei uns aus der Mode gekommene, Methode besinnen würden, ihre Kinder durch Stillen zu ernähren und nicht durch den üblich gewordenen Getreidebrei.“

Ich machte eine kleine, rhetorische Pause, blickte ihn tadelnd an und fuhr dann fort: „Ich bin mir jedoch sicher, dass Ihre Frage weniger dem Interesse an der Medizin geschuldet ist, als dem Drang Ihres Geistes, das gegenwärtige Fehlen eines Falles dadurch zu kompensieren, dass Sie mich, durch eine für den durchschnittlichen Beobachter nicht wahrnehmbare Beobachtung, in Erstaunen versetzen wollen!“

Mit einer Geste der Bescheidenheit ergab ich mich aber dann seiner geistigen Größe: „Gut, ich räume ein, es ist Ihnen wieder einmal gelungen.“

An seinem sich entspannenden Gesicht erkannte ich, dass er dem nun beginnenden Spiel mit großer Freude entgegensah. Wie ein Verdurstender begierig jeden Tropfen aus der Flasche saugt, der ihn vor dem Tod bewahren könnte, so saugte auch Holmes‘ Geist, aus jeder sich bietenden Gelegenheit, jedes noch so kleine Quäntchen intellektuellen Genusses. Es würde auch wieder für mich ein Vergnügen sein, denn, in der Tat, Holmes‘ Fähigkeit, Kleinigkeiten zu beobachten und kombinieren zu können, waren in höchstem Masse erstaunlich und ein fortwährender Quell meiner Bewunderung für meinen Freund.

Nach einem Moment des Nachdenkens, den er mir großzügig und mit einer gewissen Neugier in seinen Augen gewährte, beschloss ich, zumindest zu versuchen, ihm auf seiner Ebene zu begegnen: „Teilweise kann ich Ihnen folgen, Holmes. Ihre Kenntnis darüber, dass ich an der Dörrsucht interessiert bin, begründet sich sicherlich auf meiner Nachlässigkeit, meine Studienbücher herumliegen zu lassen.“

Sein zufriedenes Lächeln bestätigte meinen Schluss und machte mich stolz. Gespannt begab ich mich nun auf die Spur, auch den Rest des Rätsels zu erforschen: „Ich frage mich aber, wie sie bei der großen Anzahl an Themen, die in meinen medizinischen Büchern behandelt werden, das richtige Thema erraten konnten!“

Holmes griff neben sich und nahm eines meiner Bücher von dem kleinen Beistelltisch, auf dem er es erkennbar einer Untersuchung unterzogen hatte, denn seine Lupe, ein kleines Radiermesser und eine Petrischale lagen daneben. Er hielt mir das geschlossene Buch so entgegen, dass ich auf die Seiten blicken konnte. Er wies mich auf die gelblichen Verfärbungen an den Blättern hin und erklärte mir, dass es bei einem Lehrbuch einfach sei, zu erkennen, ob es lediglich ein einzelnes Thema sei, das der eifrige Student zu vertiefen trachte, da dieses Streben deutlich erkennbare Gebrauchsspuren hinterließ: „Es liegt in der Natur des Lernens als einem Prozess, der der beständigen Wiederholung bedarf, dass sich die Seiten des besonderen Interesses in einem Buch einer erkennbaren Abnutzung beugen müssen. Dieser Teil der Beobachtung war also nicht allzu schwer. Etwas anderes, Watson, war es, zu erkennen, dass dieses literarische Kunstwerk auch zeigt, dass es Mrs. Hudson sein muss, die es geduldig und regelmäßig in das Regal zurückstellt. Ich vermute, dass das immer dann passiert, wenn sie den Tisch decken möchte.“

Diese Ergänzung interessierte mich: „Woran erkennen Sie die Spuren von Mrs. Hudson?“

„Auf der Hülle befinden sich kleinere, schwärzliche Verfärbungen. Sie sind mit dem bloßen Auge absolut nicht zu erkennen, mit der Lupe hingegen ...“, er ließ den Satz in der Luft hängen, drehte das Buch und musterte kritisch den Buchumschlag.

„Es erschien mir plausibel, dass diese Spuren vorhanden sein müssen, deswegen habe ich danach gesucht und sie auch gefunden. Der geschulte Geist lenkt die Beobachtung dorthin, wo die Erkenntnisse zu erwarten sind, auch dann, wenn sie dem unbewaffneten, menschlichen Auge unter allen Umständen verborgen bleiben müssen. Der Geist, Watson, sieht mehr als das Auge.“

Er wies mit einem Finger auf den Einband: „Ich habe mir erlaubt, mit dem Radiermesser an einer unbedeutenden Stelle eine kleine Schicht des Äußeren zu entfernen und in der Petrischale zu sammeln. Ich zweifele nicht daran, dass es sich um Kohle handelt, eine nähere Untersuchung wird es zutage treten lassen.“ Er wies mit seiner Hand in Richtung des fleckenübersäten Kieferntisches, auf dem sich die Ansammlung seiner chemischen Instrumente befand.

„Die Kohle könnte doch aber auch von meinen Fingern kommen, Holmes!“, wandte ich listig ein, um ihn herauszufordern, gespannt darauf, was er nun entgegnen könne.

Holmes lächelte mich an: „Nein, Watson, das ist nicht möglich, weil es September ist. Wir haben den Kamin seit jenen eiseskalten Apriltagen nicht mehr geheizt, als dieser unangenehme Sturm über London blies, der von Colonel Kingsley für den Einbruch in die Lodge von Mrs. Brookmyre genutzt wurde. Sie erinnern sich sicherlich?“

Er wartete auf mein bestätigendes Nicken und nahm den Faden wieder auf: „Mrs. Hudson hingegen, hantiert jeden Tag mit Kohlen, um so fantastische Wunderwerke, wie zum Beispiel eine Gänsebrust mit Rotkohlsalat herbeizuzaubern.“ Er sog bei diesen Worten mit der Nase die Luft ein, um den aus der Küche emporsteigenden Gerüchen das Geheimnis des nahenden Mittagessens zu entlocken.

„Gut, Holmes, soweit also Ihre Entdeckung, mit welchem Thema ich mich beschäftigt habe. Ich muss zugeben, dass ich von Ihrer Fähigkeit beeindruckt bin, sich präzise auch diejenigen Begriffe zu merken, die doch so überhaupt nicht zu Ihren Wissensgebieten gehören. Das ist bemerkenswert!“

„Das, Watson ist nur eine Frage der inneren Einstellung und der Disziplin, sich nicht von Unwesentlichem ablenken zu lassen.“

Die Kriterien, nach denen Holmes Wesentliches und Unwesentliches trennte, sind mir bis heute verschlossen geblieben. Ich muss jedoch einräumen, dass er diesen Sachverhalt erstaunlich häufig korrekt einschätzte und so ging ich davon aus, dass es nur sehr wenige Situationen gab, in denen man ihn unvorbereitet finden würde, möglicherweise gar keine.

Um meine wachsende Neugier zu befriedigen, forderte ich ihn auf: „Kommen wir zu der nun zwangsläufig folgenden, offenen Frage, deren Beantwortung Sie bestimmt begierig entgegensehen, Holmes.“

„Ich bin mir sicher, dass ich nicht der Einzige bin, der an der Beantwortung dringend interessiert ist“, warf Holmes leichthin ein.

Ich bestätigte das mit einem Lächeln und einem leichten Nicken und schob die Frage nach: „Wie kommen Sie darauf, dass ich im Club, mithilfe der Bücher der dortigen Bibliothek, meine Studien fortgesetzt habe?“

„Ganz einfach, ich sehe es Ihrer Nase an: Die Abdrücke darauf sind von Ihrer Lesebrille.“

Er klatsche zufrieden in die Hände, ich aber schüttelte den Kopf, um meinen Widerspruch zu verdeutlichen: „Das ist nicht überzeugend, Holmes, Ihnen ist bekannt, dass ich immer die Zeitung im Club lese. Das Tragen der Lesebrille ist nicht ungewöhnlich und muss nicht mit meinen Studien zusammenhängen.“

„Dass Sie nicht die Zeitung gelesen haben, Watson“, fuhr Holmes fort, „das schließlich sehe ich dieser Depesche an!“

Ich gab mich dem triumphierenden Blick seiner Augen geschlagen und forderte ihn mit einer Kopfbewegung auf, die Auflösung des Rätsels zum Abschluss zu bringen.

„Die Depesche zeigt mir, dass Ihre Hände sauber sind“, er zwinkerte mir mit dem rechten Auge zu, „bei der erbärmlichen Qualität der Druckerschwärze, mit denen unsere Zeitungsverleger vorlieb nehmen, müssten Sie diesbezügliche, schwarze Abdrücke auf der Depesche hinterlassen haben, so Sie denn im Club Zeitung gelesen hätten. Dies aber ist nicht der Fall.“

Während ich noch einen Moment benötigte, um seine großartigen Schlussfolgerungen gedanklich nachvollziehen und würdigen zu können, öffnete er bereits die Depesche und überflog die Nachricht.

Ich wollte mich abermals umdrehen, um mich nun endlich meinen Geschäften zuzuwenden, musste indes ein zweites Mal meine Bewegung unterbrechen, da mich eine Veränderung an seiner Mimik in den Bann zog. Ich nahm verwundert zur Kenntnis, dass Holmes seine Stirn in ganz ungewöhnliche Falten gelegt hatte, Falten einer Art, wie ich mich nicht erinnern konnte, dass ich sie so schon einmal bei ihm bemerkt hätte.

Ich sollte freilich sogleich erfahren, was es war, das meinen Freund in solche Ratlosigkeit versetzt hatte: "Watson!", rief er im Ausdruck höchsten Erstaunens aus, "ich werde mich heute wohl mit einem Fall zu beschäftigen haben, zu dem mir jegliche Erfahrung fehlt und zu dem ich über keinerlei Nachschlagewerke verfüge."

Er drehte sich unschlüssig zu seinem Buchregal um und wies mit der Hand auf die Sammlung der wohl außergewöhnlichsten Ratgeber, Referenzen und Abhandlungen, die man in ganz London finden konnte: "Jahre der Mühe, Arbeit und Leidenschaft habe ich in diese Sammlung gesteckt und doch wird sie sich für die kommende Aufgabe als wertlos erweisen!"

Er schüttelte ungläubig den Kopf: "Ich werde mich auf einen mühsamen Fußmarsch durch unbekanntes Terrain vorbereiten müssen."

Trotz seiner klagenden Stimme entging es mir nicht, dass ihn eine eigentümliche, freudige Erregung befallen hatte. Er wandte sich mit schnellem Schritt zum Kamin, wo er nach seiner Pfeife griff, ging einen Schritt weiter, legte mit einer fahrigen Bewegung die Pfeife zur Seite, nahm gedankenverloren seine Violine in die Linke, den Bogen in die Rechte und hob sie ans Kinn, ohne zu spielen, ja sogar ohne die ihm so eigenen Kratzlaute zu erzeugen, die er in Zeiten angelegentlichen Nachdenkens von seiner Violine zu erzwingen pflegte.

Er schien seine eigenen Handlungen nicht zur Kenntnis zu nehmen und sah schließlich, mit nach wie vor erstauntem Blick, aus dem Fenster. Seine Augen waren offen, wie die eines neugierigen kleinen Jungens, sein sonst so abgeklärter, häufig auch gelangweilter Blick, war einer aufgeregt kindlichen Begeisterung gewichen.

Ich erinnerte mich nur eines Momentes, in dem ich bei ihm Ähnliches schon beobachtet hatte: Seine Haltung war dieselbe, wie an jenem Tag, als er mir die Geschichte von der Gloria Scott erzählte, auch damals war immer wieder sein jugendlicher Stolz zum Vorschein gekommen, seine Begeisterung über die Erlebnisse in jenen Jahren, als er zu seiner Berufung fand, als das, was heute für ihn Routine ist, seine Intuition schärfte und sein Wesen bildete. In diesen seltenen Momenten überdeckte seine Begeisterung für seine ungestüme, jugendliche Kraft die analytische Nüchternheit seines heutigen, kühlen Wesens.

"Holmes!", lachte ich überrascht auf, "so kenne ich Sie ja gar nicht. Was hat Sie denn in eine solche Begeisterung versetzt."

Dergestalt aus seiner Trance gerissen, kehrte er wieder zurück in unsere Welt und fragte mich nach einem kurzen Moment des Nachdenkens ganz unvermittelt: "Was halten Sie von Séancen, Watson?"

"Séancen?", rief ich erstaunt aus, "was zum Himmel bewegt Sie dazu, sich um diese abstruse Volksbelustigung zu scheren?"

"Diese Depesche, Watson. Wir erwarten eine Klientin, die in einem, nicht näher geschilderten, Fall unsere Hilfe bei einer Frage bezüglich einer Séance haben möchte. Hören Sie selbst!"

Er blickte wieder auf das Telegramm und las laut vor: "Befürchte Mitschuld am Tod des Bettlers. Mord durch meinen verstorbenen Ehemann bei einer Séance heute Nacht. Komme zu Ihnen. Lady Monica Sydenham"

Es waren diese bedeutungsschwangeren Worte, die Holmes und mich direkt in einen Fall führten, der so außergewöhnlich war, dass es mich, auch heute noch, rückblickend erschauert.

Holmes blickte mich interessiert über den Rand des Blatt Papieres hinweg an und fragte: "Das Telegramm scheint von der Dame in höchster Erregung aufgegeben worden zu sein. Helfen Sie mir weiter, Watson! Was wissen Sie über Séancen?"

"Bei einer Séance, Holmes, nimmt ein Mensch mit außergewöhnlichen, spirituellen Kräften, ein sogenanntes Medium, Kontakt zu längst verstorbenen Personen auf und ermöglicht es so, anderen Anwesenden mit diesen in Kontakt zu treten. Dieses Phänomen war schon zu meiner Studienzeit bekannt und, mit Verlaub, schon damals der Wissenschaft suspekt."

Ich gab Holmes weitere Einblicke in das, was während einer Séance normalerweise getan wird, um die Klienten zu verwirren und sie auf diesem Wege von der wahrhaften Existenz der Geistererscheinungen zu überzeugen. Ich schilderte ihm auch, wie wir während unserer Zeit an der Universität alle Anstrengungen unternommen hatten, die vorgeblichen Phänomene zu entkräften. Selbst war ich noch nie bei einer privaten Séance anwesend gewesen und brachte Holmes gegenüber zu Ausdruck, dass ich dies für eine höchst vergebliche und überflüssige Übung halten würde.

Ich war während meiner Schilderungen etwas ungehalten. Menschen, die an Geistererscheinungen und Ähnliches glaubten, fanden nur wenig mein Interesse, am wenigsten hätte ich es vermutet, dass ich hier in unserer Wohnung in der Baker Street, die ich geradezu für eine Festung der kühlen Logik hielt, jemals einem derartigen Thema begegnen würde.

"Wenn Sie meinen Rat haben möchten, Holmes", schloss ich meinen Vortrag, "so sage ich Ihnen, dass wir Séancen in das Reich der Fantasie verweisen sollten!"

Ich verkündete dies mit der bestimmten Stimme eines studierten Mediziners, der bereits mehr als einmal mit Patienten in Kontakt gekommen war, die Geistererscheinungen als glaubhaft oder gar ursächlich für erlittenes Leid geschildert hatten.

Holmes hatte zu meiner Freude wieder jenen nachdenklichen und nüchternen Gesichtsausdruck angenommen, der mir das beruhigende Gefühl vermittelte, der zuverlässige Denker zu sein, als den ich ihn kannte. Er hatte seine Pfeife gestopft und entzündet.

Seine darauffolgenden Worte jedoch, schienen meinem Eindruck zu widersprechen.

“Ich bin dem Okkultismus nicht abgeneigt, Watson”, sagte er, an seiner Pfeife ziehend, “jeder Mensch, der ernsthaft wissenschaftliche Methoden verfolgt und anwendet, weiß schließlich, dass wirklich gar nichts vollständig ausgeschlossen werden kann. Ich fand Ihre Schilderungen höchst interessant und bedenkenswert.”

Trotz der ernsten Stimme meines Freundes konnte ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sein nüchterner Geist sich wirklich mit Phänomenen beschäftigen würde, die die meisten von uns längst in den Bereich von Unterhaltung oder gar Betrug verwiesen haben. So bedauerlich es war, so war doch vor einigen wenigen Jahren eine okkulte Welle aus den Staaten zu uns ins Empire geschwappt, die ihren Niederschlag in den zweifelhaften Séancen in den bürgerlichen Wohnzimmern unserer Zeit fand.

Ich entnahm Holmes‘ Ausdruck, dass die Depesche und unsere Unterhaltung darüber sein Interesse geweckt hatte.

“Bedenken Sie, wie häufig Sie selbst mir bereits vorgeworfen haben, dass meine Erkenntnisse auf übersinnlichen Kräften beruhen müssten”, erklärte er, “was also sollte daran ungewöhnlich sein, dass ich es für möglich halte, dass es Menschen gibt, die anders – und mehr – sehen können als ich?”

“Wobei wir im Falle einer Séance eher von 'mehr hören' sprechen müssten, da sie doch in einem abgedunkelten Raum stattfindet”, fügte er mit einem schalkhaften Lächeln hinzu, wurde jedoch gleich wieder ernst, “es ist doch denkbar, dass empfindsamere Menschen als Sie und ich es sind, Dinge beobachten oder Empfindungen haben können, die Ihnen oder mir nicht zugänglich sind.”

Nach einer ganz kurzen Pause des Nachdenkens, in der mir jedoch die gespannte und erhöhte Konzentration in seinen Augen nicht entgangen war, ergänzte er einen erstaunlichen Wunsch: “Ganz im Gegensatz zu dem, was Sie von mir erwarten würden, lieber Watson, wäre ich sogar davon angetan gewesen, an dieser Séance der Lady Sydenham teilgenommen zu haben, in deren Verlauf der Geist ihres verstorbenen Mannes einen Bettler tötete.”

„Wieso eigentlich einen Bettler, Watson?“, unterbrach er seinen Gedanken, „wie kommt ein Bettler zu einer Séance in das Anwesen der Sydenhams?“

Mit einer kurzen Handbewegung tat er aber dieses Thema ab und schloss mit den Worten: „Wir werden diese Erklärung von Lady Sydenham bei ihrem Besuch selbst erhalten.“

Dann wandte er sich dem Tisch zu, auf dem die Zeitungen des heutigen Tages lagen: "Lassen Sie uns aber nun zunächst nach den Fakten sehen, wie sie die Zeitungen berichten. Über einen toten Bettler habe ich von heute morgen nichts in Erinnerung, jedoch gibt es einen mysteriösen Todesfall in Covent Garden, der dem Daily Telegraph sogar ein Foto wert ist. War es Ihnen neben Ihren Studien heute schon vergönnt, die Zeitung zu lesen?“

Die Verwendung des Wortes 'vergönnt' entlockte mir einen Seufzer.

Es hatte sich in unserer kleinen Wohnung über die Jahre eine Angewohnheit eingeschliffen, die von mir nur schwer zu ertragen, von Holmes jedoch noch schwerer zu ändern war.

Wie so häufig, hatte er auch heute vor mir gefrühstückt und war, als ich am Morgen in unser Wohnzimmer kam, tief in die Lektüre der Zeitung versunken. Dagegen ist nichts einzuwenden, ich mache mir nichts daraus, in einer Zeitung zu lesen, die bereits vorher von jemand anderen durchstöbert wurde.

Holmes jedoch legte sich zu seiner Lektüre stets eine Schere, Klebstoff, einen Notizblock und Schreibzeug parat.

Wenn er dann allerdings, zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse, unsere gemeinsame Zeitung zerschnitt, oder häufiger sogar ungeduldig zerriss, die Artikel neu sortierte und mit Klebstoff in einem seiner Sammelbücher unter neuen Stichworten fixierte, so stieg so manches Mal der Ärger in mir empor!

Ich hatte ihn häufig mit lauter Stimme aufgefordert, dies zu unterlassen und ihn darauf hingewiesen, dass ich gerne zum Frühstück eine Zeitung lesen wolle, deren Artikel nicht auf das unsinnigste verstümmelt waren, weil zufälligerweise ein umseitiger Artikel seiner Sammelwut zum Opfer gefallen war.

Holmes ließen diese Proteste jedoch ungerührt, er verwies mich dann auf den Gewinn, den wir beide dadurch haben würden, dass er die Nachrichten der richtigen Sortierung zuführen würde und forderte mich auf, die Neuigkeiten der letzten Zeit aus den Zusammenstellungen seiner collagenartig gestalteten Aufzeichnungen nachzuvollziehen. Meine Argumentation, dass es durchaus Unterschiede in den Interessen gäbe, die mir eine andere Auswahl an Artikeln als wichtig erscheinen ließe, quittierte er nur mit einem geradezu ungläubigen Erstaunen.

In dieser Frage waren unsere Ansichten freilich so unvereinbar wie Feuer und Wasser, so unanfechtbar gegensätzlich, wie die zwei Pole eines Magneten!

Meine Leidenschaft, in große Bücher geklebte, schwarz-weiße Puzzles, mehr oder weniger erkennbar strukturierter Nachrichtenknäuel, gedanklich zu entwirren und den dazugehörigen handschriftlichen Notizen von Holmes den Sinn zu entreißen, war gering. Auf einige wenige, zwar hoffnungsvolle, letztlich aber vergebliche Versuche meinerseits, hatte sich schon vor langer Zeit Ernüchterung eingestellt und so begann ich, die Gewohnheit zu entwickeln, die Zeitungen im Club zu lesen oder mich von Holmes über die wichtigen Inhalte unterrichten zu lassen.

Auch dieses Mal war der entsprechende Artikel bereits seiner Sammlung zugeordnet, so griff er zu dem Ausschnitt und reichte ihn mir. Diesen Ausschnitt zierte ein unangenehmes Bild, das eine blutige Leiche zeigte, dergestalt, dass sogar das Gesicht zu erkennen war.

Als ich gerade anfing, den Artikel zu überfliegen, hörten wir Schritte auf der Treppe. Seufzend legte ich den Artikel zur Seite: „Um diesen Mord werde ich mich später kümmern, ich schlage vor, wir lauschen zunächst der Erzählung von Lady Sydenham.“

Holmes schüttelte jedoch mit einem Lachen verneinend den Kopf: „Diese Erwartung wird enttäuscht werden, Watson!“, aber bevor er fortsetzen konnte, um eine Erklärung abzugeben, wurde die Türe aufgerissen und Inspektor Tobias Gregson stand, mit hochrotem Gesicht, in der Türe.

„Inspektor“, begrüßte ihn Holmes freundlich mit einem Seitenblick auf mich, „Ihre Fußtritte klingen nicht so elegant wie die einer Lady, Sie sind mir aber trotzdem auf das herzlichste willkommen. Treten Sie ein!“

Der Inspektor sah einen Moment ratlos auf seine Füße, schob die Verwirrung aber sogleich zur Seite und trat schnellen Schrittes auf uns zu, um uns zu begrüßen.

„Sie haben es sicherlich schon aus der Zeitung erfahren?“, hob er, mit einem Blick auf die papierene Unordnung auf unserem Tisch, dienstfertig an, über das ihm Sorgen bereitende Thema zu sprechen.

„Sie meinen den Todesfall von Covent Garden?“, erkundigte sich Holmes, „ich bin darüber informiert, aber vielleicht schildern Sie kurz den Fall aus Ihrer Sicht, das würde auch Dr. Watson auf den aktuellen Stand bringen, er war am heutigen Morgen mit den Wissenschaften beschäftigt.“

Der Inspektor dreht sich zu mir um: „Heute Morgen fiel einem unserer Konstabler in Covent Garden eine ungewöhnliche Menge an Laub auf, das vor einer Hecke lag. Seine nähere Inspektion brachte zu Vorschein, dass sich dort eine Leiche befand.“

Er wandte sich Holmes zu, um für die Umsicht seiner Kollegen Anerkennung zu finden, die ihm Holmes mit einem Nicken gewährte.

„Wir wurden gerufen und untersuchten den Tatort. Der Tote war mit zahlreichen Messerstichen umgebracht worden und lag in einer bemerkenswert großen Blutlache. Das jedoch, Mr. Holmes, ist es nicht, was mich hertrieb“, er machte nach diesem Satz eine bedeutungsschwangere Pause und sah Holmes an.

„Die näheren Untersuchungen am heutigen Morgen förderten zutage, dass es sich um Major General Alan Pinter handelte, einen hohen Offizier der British Army. Sie können sich vorstellen, dass sein Tod eine gewisse Aufregung in höheren Kreisen erzeugt.“

Holmes hatte in seinem Sessel Platz genommen und verfolgte mit aufmerksamer Miene die Schilderung: „Erzählen Sie mir mehr zu Major General Pinter, Inspektor. Ich möchte ungern meine Nachschlagewerke zu Rate ziehen, da ich gerade an meinen Sammlungen arbeite; es wäre mir angenehm, wenn ich nicht einen der Bände aus meiner Sortierarbeit herausnehmen müsste.“

„Der Major General war mit General Graham während des Urabi-Aufstandes in Ägypten. Er ist vor zwei Jahren während der Schlacht von Tel-el-Kebir durch einen Unfall mit einem Geschütz erblindet und verließ dann, bei der Rückkehr nach Kairo, die Armee. Wir wissen nicht, wo er sich zwischenzeitlich aufhielt, bevor man ihn heute Morgen als Leiche in Covent Garden wiedergefunden hat.“

„In der Zeitung steht, Mr. Holmes, dass Major General Pinter erstochen wurde. An der Leiche fand ich jedoch Auffälligkeiten, die ich sehr gerne mit Ihnen besprechen würde. Am besten, angesichts der Leiche selbst.“

„Diesem Wunsch komme ich gerne nach, Inspektor, dieser Fall scheint mir sehr interessant zu sein“, schloss Holmes die Unterhaltung und stand aus seinem Sessel auf, „ich werde Sie im Verlaufe des Tages im Yard besuchen. Zunächst aber muss ich noch auf eine Besucherin warten. Sagen Sie, Inspektor, über einen toten Bettler haben Sie heute noch nichts zu berichten?“

„Einen toten Bettler?“, der Inspektor blinzelte entgeistert mit den Augen, „Mr. Holmes, wenn Sie davon reden, dann wird es wohl eine solche Leiche geben, aber wir beim Yard …“

Holmes unterbrach ihn gutmütig: „Nein, Inspektor, es war nur so daher gesagt. Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich muss Sie jetzt verabschieden.“

Es war nur wenige Minuten später, Holmes saß ruhig und nachdenklich in einem Sessel, während ich versuchte, in den verbliebenen Resten der Zeitungen einen Artikel über einen Bettler zu finden, als das Klingeln unserer Türglocke in die häusliche Stille drang, gefolgt von zögerlichen, langsamen Schritten auf der Treppe.

---ENDE DER LESEPROBE---