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Der Erpresser von Edinburgh: Während eines Aufenthaltes in Edinburgh lernt Sherlock Holmes Sir McIntyre kennen. Dieser wird erpresst und teilt seine Sorgen dem Detektiv mit. Holmes begibt sich zu den Ermittlungen in das herrschaftliche Anwesen des Sirs. Mit seinen außergewöhnlichen Talenten findet er schnell des Falles Lösung. Dann jedoch kommt es zu einem folgenschweren Gespräch mit seinem Auftragsgeber. Der neue Außenminister: Das Jahr 1888 erweist sich als eines der schwierigsten für Sherlock Holmes. Die Schemen eines neuen, unerhöhrten Feindes zeichnen sich in der Londoner Unterwelt ab. Holmes Warnungen werden in den Wind geschlagen, er sieht sich in einem einsamen Kampf, nur gestützt von seinem Freund Dr. Watson. Wilson: Bei dem Versuch, eine alte Rechnung zu begleichen, stößt Sherlock Holmes auf eine Spur zu Wilson, dem berüchtigten Kanarientrainer aus dem East End in London. Er beschließt, ihm das Handwerk zu legen. Doch zunächst bittet ihn Inspektor Forbes bei der Mithilfe in einem Mordfall, der sich ganz überraschend mit den Spuren kreuzt, die Holmes verfolgt.
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© 2022 Francis London
Inhalt
Der Erpresser von Edinburgh 1
Prolog 1
Der Fall 4
Epilog 39
Der neue Aussenminister 41
Zeitleiste Professor Moriarty 88
Wilson 91
Prolog 91
Der Fall 96
Epilog 116
Glossar 121
Zeitleiste (Auszug) 122
Leseprobe aus »In 80 Tagen um die Welt« 125
»Er sagte, dass Sie alles lösen könnten.«
»Da sagte er zu viel.«
»Dass Sie unbesiegt seien.«
»Ich bin schon vier Mal besiegt worden – drei Mal von Männern, einmal von einer Frau.«
»Aber was ist das schon, verglichen mit der Anzahl Ihrer Erfolge? «
Aus: Sherlock Holmes, Die fünf Orangenkerne, September 1887
Der König von Böhmen hatte uns nach Holmes‘ ablehnendem Abschied eilig verlassen, wir hörten nur noch das Rattern der Räder seiner Kutsche, als wir an einem sonnigen Frühlingstag im März des Jahres 1888 in St. John‘s Wood aus der Briony Lodge auf die Serpentine Avenue traten.
Ich lächelte einen Moment in mich hinein und hielt meinen Schritt inne, auf das mein Freund neben mich treten konnte. Er gesellte sich zu mir, sah die Straße auf und ab, eine Hand mit allen Zeichen einer gespielten Langeweile, lässig, allzu lässig in die Hosentasche gesteckt. Mein Freund hatte eine empfindliche Niederlage zu verkraften und knabberte schwer daran.
»Das war nun also die Zweite«, überraschte ich ihn mit ruhigen, fast nebensächlich hingeworfenen Worten.
Ich hatte mich auf diesen Moment mit viel Vergnügen vorbereitet. Nach all den vielen Erlebnissen, in denen mein Freund mich aufs häufigste verblüffen konnte, war ich doch gespannt darauf, ob er den Bogen zu den Erinnerungen schlagen können würde, die mir gerade durch den Kopf gingen.
Er zögerte für einen Moment. »Die Zweite?«, fragte er dann mit Verwunderung in der Stimme.
»Die Zweite«, bestätigte ich, als wäre damit bereits alles gesagt.
»Ich verstehe nicht ganz«, murmelte er, bereits mir zugewandt, plötzlich doch fast alarmiert in der Haltung seines Körpers, der Anspannung, die ich auf seinem Gesicht erkannte. Kamen auch seine Erinnerungen zurück?
»Ich denke, es ist noch kein halbes Jahr her, dass Sie zu John Openshaw noch von nur einer Frau sprachen, von der Sie geschlagen wurden. Mit dem heutigen Tage könnten Sie von zweien berichten.«
Holmes drehte sich mit einem schweren Aufstöhnen von mir weg.
Stille trat zwischen uns ein.
»Aber das war doch etwas ganz anderes«, versuchte er, mit schwacher Stimme, seinen Protest zu erheben. »Lady Maitland. Nein, nein, das war nicht zu vergleichen. Irene Adler ist von ganz anderer Klasse. Lady Maitland war, wie soll ich sagen, Lady Maitland und Sir Asquith, die beiden waren, nun ...«
»… waren attraktiv, anziehend, jung, …«, fuhr ich fort, meinen Freund aufzuziehen.
»Entschlossen bösartig!«, fiel Holmes mir entschieden ins Wort.
Ich schwieg und hob dann abwägend die Hand. »Und doch war jene die Erste«, bestand ich schließlich noch ein weiteres Mal auf meinem Standpunkt.
Holmes hob winkend die Hand, um eine vorbeikommende Droschke anzuhalten, sicherlich eine sehr willkommene Gelegenheit zur Flucht aus den Erinnerungen an diese dunklen Tage. Er riss den Verschlag auf und ließ sich auf den Sitz fallen. »Schreiben Sie diese Geschichte doch auf und kommen Sie gelegentlich bei mir vorbei, ich lese diesen Fall gerne gegen!« Ärger stand in seinem Gesicht. Dann klopfte er mit seinem Spazierstock energisch gegen das Dach der Kutsche, ließ antraben und entschwand meinen Blicken.
Diese Geschichte, auf die ich mich bezogen hatte, lag jedoch bereits mehrere Jahre zurück und ich hatte sie schon damals zu Papier gebracht. Es war, so scheint mir, eines der bemerkenswertesten Abenteuer, die ich mit meinem guten Freund in all den Jahren erleben durfte. So erschien ich bereits am frühen Nachmittag wieder in der Baker Street und legte Holmes meine Aufzeichnungen vor, denn ich war außerordentlich gespannt darauf zu erfahren, ob Holmes mir je die Erlaubnis geben würde, diesen Fall zu veröffentlichen.
Er griff begierig zu und begann zu lesen.
Es muss in dem Jahr gewesen sein, in dem auch unser Abenteuer mit dem beklagenswerten Medizinerkollegen Grimesby Roylott stattfand, der ein so tragisches aber doch selbstverschuldetes Ende nahm. Vermutlich war es mitten im Frühling jenes Jahres oder vielleicht auch schon seinem Ende zu. Nein, wenn ich mich richtig erinnere, dann war es Anfang Juni, ja, ich bin mir jetzt sicher. Es war Anfang Juni, Holmes und ich hatten uns damals die Funktionsweise der Camera Obscura angesehen. Was für eine spannende Technik, wenn man davon liest, aber um wie viel mehr beeindruckend, wenn man sie im Tower zu Edinburgh in Gebrauch sieht. Oder, um es mit den Worten von Holmes auszudrücken: »Um die Ecke zu sehen ist für mich genauso erleuchtend, wie um die Ecke zu denken!«
Als er das damals sagte, setzte er mit seinen Händen einen kräftig gemalten Punkt in die Luft, wie als Ausdruck seines entschiedenen Vergnügens, dass sich sein Geist mit dieser magisch erscheinenden Technik messen konnte.
Das eigentlich Denkwürdige begann aber, als wir im Port O’Leith saßen und einen Schafsmagen mit fein gehackten Innereien, zerstampfte Kartoffeln und Rüben genossen, eine Spezialität, zu welcher der gereichte Whiskey hervorragend passte. An jenem Abend machten wir die Bekanntschaft von Sir Compton McIntyre. Sir McIntyre war ein sehr eleganter, freundlicher, älterer Herr, den wir überraschenderweise in einer Bar kennenlernten. Überraschenderweise, weil diese Bar nicht zu ihm zu passen schien, da sie überwiegend von jungen Männern besucht war. Eine Altersgruppe, zu der wir, mein Freund Holmes und ich, damals noch gehörten. Auch wenn ich mich gelegentlich der Illusion hingebe, dass sich daran noch nichts geändert hat, so muss ich doch zugeben, dass wir zwischenzeitlich der Jugend entwachsen sind. Die lange Liste unserer gemeinsamen Fälle legt ein beredtes Zeugnis davon ab.
Wir gerieten an der Bar in ein anregendes Gespräch, in dessen Verlauf Holmes von seiner Profession als Detektiv und ich von der meinigen als Veteran des militärärztlichen Dienstes zu sprechen kamen.
Sir McIntyre war von den kleinen Kostproben, die ich von der Arbeit meines Freundes zum Besten gab, derart beeindruckt, dass es ihn drängte, ihn in ein dunkles Geheimnis seines momentanen Daseins einzuweihen: »Junger Mann, ich würde sie gerne dazu auffordern, mich in mein Heim zu begleiten. Dort könnte ich Ihnen ein Rätsel präsentieren, zu dem ich selbst bisher keine Lösung gefunden habe.« Dann, mit einem Seitenblick auf mich ergänzte er: »Ihr Begleiter ist selbstverständlich ebenso eingeladen.«
Ich verstand, dass diese geheimnisvolle Einführung mehr als nötig dazu angetan war, in Holmes die unwiderstehliche Verlockung zu wecken, diesen Herrn zu begleiten. Sir McIntyre brachte uns in eines der vornehmen Viertel von Edinburgh und führte uns dort zu seiner Villa. Die Nacht war bereits hereingebrochen, ein aufmerksamer Diener entzündete Kamin und Lampen im Salon. Auf der einen Seite stand, vor einer großen Bücherwand, der mächtige Schreibtisch von Sir McIntyre. Dort nahmen wir Platz, er hinter dem Schreibtisch, Holmes auf dem Sessel davor. Ich zog mir einen weiteren Stuhl heran und setzte mich neben ihn.
McIntyre nahm einen kleinen, vergoldeten Schlüssel von einer Halskette, die er verborgen unter seinem Hemd getragen hatte und ließ mit gewichtiger Miene eine der Türen des mächtigen Mobiliars zur Seite gleiten. Aus dem dahinter verborgenen Fach holte er einen metallenen Behälter hervor, den er sorgsam vor sich stellte. Mit einem weiteren Schlüssel öffnete er das Schloss dieses Kästchens und klappte den Deckel nach hinten. Nach einem bedeutsamen Blick in Holmes‘ Richtung, entnahm er dieser privaten Schatztruhe einen Briefumschlag, den er ihm mit den Worten reichte, dass er diesen Brief heute Morgen zugestellt bekommen hatte.
Ich beobachtete, wie Holmes den Brief mit Aufmerksamkeit entgegennahm und ihn zwischen seinen Fingern hin und her drehte. Es handelte sich um einen einfachen, cremefarbenen Umschlag ohne Absender oder Adressat. Ich sah, dass der Brief durch eine Gummierung verklebt und mittels eines Brieföffners an der dafür vorgesehenen, oberen Kante aufgeschnitten worden war. »Sie haben diesen Brief persönlich geöffnet?«, vergewisserte Holmes sich beim Hausherrn. Dieser bestätigte seine Vermutung.
Holmes warf mir einen Seitenblick zu und nickte mit zufriedener Miene. Allein durch diese Geste war es ihm wieder einmal gelungen, mich in seinen Bann zu ziehen. Ich rutschte erregt auf meinem Sitz hin und her. »Na, lesen Sie schon vor!«, forderte ich ihn mit ungeduldiger Stimme auf.
Holmes öffnete mit einer bedächtigen Bewegung den Umschlag, zog ein Blatt Papier heraus und klappte es auf. Er beugte sich in seinem Sessel etwas nach vorne, um in den Genuss des Lichtes der Gaslampe zu kommen, die unser Gastgeber auf seinem Schreibtisch stehen hatte.
»Die typische Charakteristik einer weiblichen Handschrift«, murmelte er, bevor er noch angefangen hatte, den Inhalt des Briefes zur Kenntnis zu nehmen.
Ich lehnte mich zurück, ahnte ich doch, dass Holmes uns nunmehr eine seiner außergewöhnlichen Analysen präsentieren würde. Wie ein Chirurg mit einem Seziermesser, so schnitt sein präziser Verstand, gelenkt durch seine Beobachtungsgabe durch das wirre Dickicht des äußeren Anscheins, um das sich dahinter verbergende Wesen zu enthüllen und freizulegen. Ich beobachtete, wie Holmes Augen unserer Welt entrückten, er sich das Wesen des Verfassers des Briefes vergegenwärtigte, das sich ihm mittels der Charakteristik der Schrift offenbarte. Dieser intensive Vorgang seiner Analyse faszinierte mich ein ums andere Mal, es war eine dieser Fähigkeiten, die sich stets als zuverlässige Stützen der erfolgreichen Arbeit meines Freundes erwiesen.
»Die Schrift ist auf den ersten Anschein sehr weiblich«, nahm mein Freund den Faden wieder auf, »in der allgemeinen Ausprägung rund und verspielt, der Abstand zum Seitenrand ordentlich gehalten, das Bewegungsbild der Wörter auf Anhieb als anmutig zu klassifizieren.«
Ich nickte gedankenverloren, wie zur Zustimmung, hatte ich doch selbst in meinen medizinischen Fortbildungen gelernt, die Handschrift eines Patienten zur vorläufigen Einordnung eines möglichen Krankheitsbildes heranzuziehen. Allerdings war es mir nie gelungen, so tief in die Diagnose des menschlichen Wesens einzudringen, wie mein Freund es vermochte.
Dann legte er den Brief vor sich auf die dunkelgrüne Schreibtischunterlage. Das warme Licht der Schreibtischlampe verstärkte den edlen und weichen Eindruck des Papiers. »Es ist ein teures, schweres Papier, das mit einem Messer unter Zuhilfenahme eines ordentlichen Falzes am unteren Rand gekürzt wurde«, murmelte er Erklärungen zu seinen Beobachtungen.
»Das Blatt liegt auf eine einwandfrei rechteckige Form gekürzt vor mir. Dieser Umstand gilt mir als Beleg, dass die Person, die diesen Brief verfasst hatte, dies in aller Ruhe und ohne Erregung tat. Eine Erkenntnis, die umso wichtiger ist, als dass sowohl der Inhalt des Textes, als auch die detailliertere Analyse der Schrift ganz anderes als wahrscheinlich darlegen würden.«
Dann richtete er sich unerwartet schnell auf und ließ sich nach hinten gegen die Lehne des Stuhles fallen: »Die Schnittkante interessiert mich, Watson. Nicht wegen des sich abzeichnenden Kriminalfalles, sondern weil ich seit geraumer Zeit an einer Monographie über Papiersorten arbeite. Jede Papiersorte unterscheidet sich von anderen beispielsweise in der Farbgebung, aber eben auch in der Länge, sowie der Struktur seiner Fasern. Hat man das Glück, dass ein Papier, wie im vorliegenden Fall, nicht mit der Schere durchschnitten, sondern mit einem Messer getrennt wurde, so öffnet sich dem aufmerksamen Betrachter der Blick in die inneren Strukturen.«
Er zog begierig seine Lupe aus der Jackentasche und vergnügte sich einen Moment mit der genauen Beobachtung des Aufbaus des Papiers. Auf seinem kleinen Notizblock verfertigte er dazu emsig Notizen, die er nach getaner Arbeit in seinem Jackett verstaute.
»Nun allerdings werde ich mein Streben der Schrift zuwenden, Sir McIntyre«, beruhigte er den Herrn des Hauses, der bereits anfing, Ungeduld zu zeigen.
»Weiblich, Sir, wie bereits erwähnt. Alle typischen Aspekte der weiblichen Schrift treten klar zutage. Die runden, flüssigen Buchstaben, insbesondere dann, wenn es sich um große Lettern handelte, die weiche Unterlänge des kleinen »g’s«, die eher großen, jedoch sehr regelmäßigen Abstände zwischen den Wörtern, die das Harmoniebedürfnis der Schreibenden betonen, all dies legte für den Kenner unübersehbar dar, dass es eine Frau gewesen sein muss, die das Schriftstück verfasste.«
Er reichte mir das Blatt: »Sehen Sie selbst, Watson und lesen Sie bitte den Inhalt laut vor!« Dann lehnte er sich abermals in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen, wobei mir der Ausdruck seines Gesichts äußerste Konzentration versicherte.
Ich nahm das angebotene Papier zu Hand und lehnte mich in Richtung der Lampe nach vorne, um den Brief lesen zu können:
Sehr geehrter Sir McIntyre,
darf ich sie darauf aufmerksam machen, dass mir Ihre Verbindung mit Ihrer Nichte Lady Catherine Maitland in allen Details der Vorkommnisse der letzten Monate bekannt ist? Es existieren genaue Notizen zu den Zeiten, Orten und Umständen Ihrer Tête-à-Têtes. Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Unterlagen gegen Zahlung eines angemessenen Betrages zu überlassen. Sie stehen unter meiner Beobachtung, ich werde mich zu gegebener Zeit wieder bei Ihnen melden.
Hochachtungsvoll!
Welche ein bemerkenswerter Brief, der allerdings ohne jede Unterschrift endete. Holmes hatte tief in sich gekehrt gelauscht, lehnte sich dann nach vorne und saß da, die Ellenbogen auf den Armlehnen, die Fingerspitzen aneinander und die Stirn gegen die Daumen gepresst. Nun nahm er das Gespräch wieder an sich: »Interessant an diesem Schreiben ist, dass es dem Absender nicht dringlich scheint, zur Kasse zu schreiten. Wesentlich bedeutsamer scheint ihm die offensichtliche Drohung zu sein, die dieser Brief enthält.«
Eine Drohung? Das war mir entgangen. Holmes reagierte mit einem spöttischen Lächeln auf meine Verblüffung. »Die enthüllte Tatsache, dass der Schreiber des Briefes Sir McIntyre beobachtet«, fügte Holmes erklärend hinzu.
McIntyre rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Ich warf einen nochmaligen Blick auf das Schreiben und verstand, was Holmes meinte. Ich riss unwillkürlich meinen Kopf hoch und sah Holmes mit einem furchtsamen Blick an, so spürbar war nun auch für mich dieses versteckte Übel. Holmes lächelte: »Es wirkt ungemein beängstigend, wenn man eine solche Drohung erkennt, nicht wahr, Watson?«
Widerwillig musste ich nicken. Dann legte ich den Brief mit einer entschiedenen Bewegung auf den Tisch zurück.
»Erzählen Sie mir lieber etwas, das mir selbst noch nicht aufgefallen ist, Mr. Holmes«, forderte Sir McIntyre von der anderen Seite des Schreibtisches meinen Freund in ungehaltenem Tonfall, mit einer allerdings recht unsicheren Stimme, auf. Er war verängstigt. Dieses kleine, sorgsam beschriebene Stück Papier hatte ihn in eine Lage gebracht, derer er sich nicht gewachsen fühlte.
»Der erste Eindruck legt nahe, dass es sich doch um einen einfachen Fall handeln muss«, gab mein Freund mit lauernder Stimme zurück.
»Sie meinen, wegen der offensichtlich vorliegenden Handschrift? Ja, das deutet auf eine schnelle Auflösung hin, wenn man, wie Sie, in der Kunst der Analyse geübt ist«, gab unser Gastgeber schnell zurück. Er sprach sehr hastig, eher murmelnd, er fühlte sich gehetzt.
Holmes jedoch ließ sich abermals tief in seine Gedanken versinken. Er wirkte genauso entspannt wie entrückt: »Ich habe der Tatsachen genug gesehen und bin begierig darauf, den möglichen Täter kennenzulernen. Oder, bezogen auf die Handschrift, die mögliche Täterin. Es tut mir leid, dass ich Sie zu diesen unangenehmen Einzelheiten fragen muss, Sir, trifft es denn zu, dass Sie eine Verbindung zu Ihrer Nichte unterhalten, deren Begebenheiten nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten?«
Unser Gastgeber räusperte sich und antwortet mit einer gewissen Verlegenheit: »Nun, das ist zutreffend, Mr. Holmes, wenngleich diese Verbindung bereits seit letztem Monat beendet ist. Trotzdem könnte mir aufgrund meiner gesellschaftlichen Position schwerer Schaden entstehen, wenn diese Kleinigkeiten einem breiten Publikum bekannt werden würden.«
»Eine diskrete Vorgehensweise Ihrerseits bei diesen Kleinigkeiten voraussetzend, erscheint es mir aufgrund des Inhalts des Briefes als fast zwingend, dass sich die Absenderin im Haus oder doch zumindest in Ihrem engsten Umfeld befindet. Die gebildete Wortwahl lässt es zusätzlich als äußerst unwahrscheinlich erscheinen, dass es sich hierbei um ein Mitglied Ihres Personals handelt. Wohnen Sie alleine in diesem Haus?« Er sah McIntyre scharf an.
»Nein, bei mir wohnen noch ein Neffe und eine Nichte.«
»Ihre Nichte ist die hier brieflich erwähnte Lady Catherine Maitland?«
Sir McIntyre nickte, während er tief Luft holte.
»Sie würden also eine drängende Notwendigkeit darin sehen, sich gegen Bezahlung in den Besitz der erwähnten schriftlichen Aufzeichnungen zu setzen?«, vergewisserte sich Holmes.
McIntyre nickte eilig und zustimmend, wobei mir nicht entging, dass ein roter Schatten über sein Gesicht flog und sich dort mit einer von mir unerwarteten Hartnäckigkeit festsetzte. Sir McIntyre war durch die Erwähnung der Vorgänge berührt. »Was mich außerordentlich durcheinanderbringt ist, dass ich mir allerdings nicht vorstellen kann, dass meine Nichte selbst diesen Brief verfasst haben würde. Worin läge der Sinn?«
»Keine voreiligen Überlegungen, Sir McIntyre«, wehrte Holmes ab, »zunächst würde ich Proben der Handschrift Ihrer beiden Verwandten, Ihres Neffen und Ihrer Nichte benötigen. Wir sollten uns einen umfassenden Überblick verschaffen, es macht doch den Eindruck, als würden es die Umstände ohne größere Anstrengungen erlauben.«
»Damit liegen Sie natürlich richtig. Entsprechende Proben der Handschriften kann ich Ihnen ohne Schwierigkeiten zur Verfügung stellen. Wenn Sie aber doch zweifelsfrei die weibliche Handschrift erkennen, wieso legen Sie auch Wert auf eine Handschriftenprobe meines Neffen?«
»Nun, zum einen lassen sich von einem künstlerisch begabten Menschen Handschriften imitieren.