Erwachsene sind auch Menschen - Lise Gast - E-Book

Erwachsene sind auch Menschen E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Heute geht es in die Schweiz zum Skifahren. Julie und Dörte freuen sich schon. Sie fahren zusammen mit ihrem Vater und seiner zweiten Frau, Meike. Die Mutter von Julie und Dörte ist schon vor Jahren gestorben. Meike haben die beiden Mädchen aber schon längst als neue Mutter akzeptiert. Nur manchmal gibt es bei Erziehungsfragen ein paar Uneinigkeiten zwischen dem Vater und Meike. Aber eigentlich ist alles gut – und zugegeben, Julie und Dörte machen es den Eltern auch nicht immer einfach...man muss bei den beiden auf alles vorbereitet sein!ERWACHSENE SIND AUCH MENSCHEN ist ein lustiges und unterhaltsames Buch, das mit viel Spaß und Freude von den Streichen der frechen Julie und ihrer Schwester Dörte erzählt. -

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Lise Gast

Erwachsene sind auch Menschen

Saga

Erwachsene sind auch Menschen

© 1973 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711509340

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

In den Bergen

Lieber Vater!

Wie geht es Dir? Mir geht es gut. Ich habe von Amerika geträumt, dabei fahren wir heute in die Schweiz.

Viele Grüße, Deine Julie.

P. S. Eben ist mir Deine Wiskyflasche umgekippt. Sie ist nicht kaputt, nur ausgelaufen.

2. P.S. Vorsicht im Flur, Guido hat einen Teich gemacht.

Diesen kleinen Brief fand der Vater auf dem Frühstückstisch vor, geschrieben von seiner jüngsten Tochter Julie, die eigentlich Juliane hieß. Julie war 11 Jahre alt und liebte es, sich schriftlich auszudrücken. Solche kleinen Briefe schrieb sie mit Vorliebe an Menschen und Tiere; sie hatte damit angefangen, als sie gerade einigermaßen schreiben konnte. Damals hatte sie unendlich viele Fehler gemacht, jetzt stimmte nur das Wort »Whisky« nicht.

Der Vater lachte. Was hatte seine Tochter überhaupt in seinem Zimmer zu suchen? Was ging sie gar sein Whisky an? Warum wischte sie Guidos Teich nicht selbst auf? Immerhin nett, daß sie ihn aufmerksam machte.

Er gab den kleinen Brief seiner Frau. Meike war seine zweite Frau. Die Mutter von Dörte und Julie war schon vor Jahren gestorben. Meike und er hatten vor einigen Monaten geheiratet. Die Kinder kannten sie schon lange und hatten nichts dagegen, sie als neue Mutter zu bekommen. Jetzt, da Meike es wirklich geworden war, wußten sie manchmal nicht, wie sie sich verhalten sollten und stellten sich hin und wieder etwas widerborstig an.

Meike konnte über den Brief nicht lachen. Sie hätte nicht gewußt, wie sie sich hätte verhalten sollen, wenn er an sie gerichtet worden wäre.

»Schimpfst du nicht?« fragte sie. »Ich meine nicht, daß du solltest, aber früher hätte man...«

»Ach was,« antwortete der Vater, »in der Flasche war nicht mehr viel drin. Und ich will mir die gute Laune nicht verderben lassen. Wo sie nur bleiben? Dörte, Julie!« rief er laut.

Die beiden erschienen am Frühstückstisch. Beide waren blond und blauäugig, und doch sahen sie ganz verschieden aus. Dörte, 13 Jahre alt, hatte ein schmales Gesicht und große, runde dunkelblaue Augen. Ihr Haar war halblang und ganz gerade; die Ponyfransen fielen ihr fast bis in die Augen. Julies Augen waren schmal und von dichten, kurzen und dunklen Wimpern gesäumt, und sie guckten immer ganz fix in der Gegend umher. Sie hatte einen großen Mund. Ihr Haar war ganz kurz geschnitten und ließ die Ohren frei. Sie kämmte sich eigentlich nie.

Die beiden setzten sich ohne Begrüßung an den Tisch.

»Guten Morgen, sagt der Bauer, wenn er in die Stadt kommt,« sagte der Vater.

»Morgen,« murmelte Dörte. Morgens konnte man gar nichts mit ihr anfangen.

Julie strahlte ihren Vater schnell an. Dieser Schnack war neu, sie würde mit ihm im Internat großen Erfolg haben.

»Vielen Dank für deinen Brief,« sagte der Vater, »was wolltest du eigentlich in meinem Zimmer?«

»Briefpapier, um dir zu schreiben.«

»Was wolltest du mir denn schreiben?« fragte der Vater. »Im Brief steht eigentlich nur, daß du meinen Whisky ausgekippt hast. Whisky schreibt man übrigens mit h nach dem W.«

»Ich wollte dir nur einfach schreiben,« sagte Julie, »und außerdem steht noch mehr in dem Brief. Habe ich nicht erwähnt, daß ich von Amerika geträumt habe? Whisky haben wir in Englisch übrigens noch nicht gehabt.«

»Kriegt ihr auch nicht«, sagte Dörte mit vollem Mund.

Die Familie frühstückte friedlich weiter.

»Und Guidos Teich, kam der nicht auch in deinem Brief vor?« fragte der Vater. Meike hatte vielleicht recht, man sollte etwas strenger mit den Kindern sein. Nicht gerade schimpfen ...

»Hab ich aufgewischt«, sagte Julie. Der Vater war zufrieden. Nein, nein, seine Töchter waren tadellos. Er war richtig stolz.

Sie fuhren mit Petes Auto, einem VW-Variant. Es wäre fast unmöglich gewesen, das Gepäck von vier Personen, die Schier, die Schistiefel und die vielen Vorräte in Vaters unpraktischem Auto unterzubringen. Sie hatten ein Ferienhäuschen in der Schweiz gemietet, ein sogenanntes »Chalet«, mit Freunden und Verwandten zusammen. Sie wollten sich selbst verpflegen und hatten Unmengen von Konserven eingekauft.

Der VW-Variant gehörte Pete und Anne. Anne war die Schwester von Dörtes und Julies richtiger Mutter, eigentlich ihre Halbschwester. Sie wohnte im selben Ort wie Dörte und Julie und hatte drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, ein Kind hübscher als das andere. Der Älteste, David, war gerade in die Schule gekommen.

Die Einpackerei zog sich in die Länge. Julie nahm eine Menge Bücher mit, eine ganze Bibliothek. So wie manche Erwachsene nicht ohne Zigaretten leben können, war für Julie ein Leben ohne Bücher undenkbar. Anne und die drei Kinder winkten hinter dem abfahrenden Auto her. Keinem fiel auf, daß Guidos Gekläff fehlte.

Sie sangen im Auto; die beiden Mädchen kannten viele Lieder. Dörte konnte, im Gegensatz zu ihrer Schwester, sehr gut die Stimme halten. Als Julie einmal bei einem mehrstimmigen Lied ganz daneben sang, drehte sich Meike um. Julie hatte sich die Finger in die Ohren gebohrt, um sich nicht von den anderen ablenken zu lassen. Es störte sie nicht, daß sie den ganzen Verein damit durcheinanderbrachte.

Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt keinen Menschen mit größerem Selbstbewußtsein als Juliane Wulff, dachte Meike.

»Glaubst du, daß wir an der Grenze Schwierigkeiten bekommen werden, wegen der vielen Eßwaren?« fragte sie ihren Mann. Keiner wußte genau, ob es erlaubt war, so viele Nahrungsmittel in die Schweiz einzuführen.

»Nein«, antwortete der Vater, »wir werden das Zöllnerspiel spielen, damit sind wir noch über jede Grenze gekommen.« Die beiden Mädchen quiekten vor Vergnügen.

Die Grenze kam. Deutsche Zöllner, dann Schweizer Zöllner.

»Papa, ich muß mal«, maulte Julie ungezogen.

»Das geht jetzt nicht, warum hast du das nicht vorher gesagt«, antwortete der Vater unfreundlich. »Papa« sagte sonst nie eines der Kinder.

»Ich hab Hunger«, sagte Dörte weinerlich, während der Vater die Hand zum geöffneten Autofenster hinausstreckte, um die Pässe wieder in Empfang zu nehmen.

»Vorhin wolltest du nicht, das hast du jetzt davon«, sagte der Vater streng.

»Ich will was trinken«, quengelte Julie.

»Ruhe dahinten«, schnauzte der Vater.

Der Zöllner reichte ihm die Pässe zurück und warf einen vorwurfsvollen Blick auf die ungezogenen Kinder. Der Vater bedankte sich und fuhr los.

»Warum hat denn der Zöllner so ein dummes Gesicht?« fragten jetzt beide Kinder wie aus einem Mund.

Der Vater gab Gas, und alle drei, der Vater und seine beiden Töchter, brachen in schallendes Gelächter aus.

Das war das Zöllnerspiel.

Meike fand es nicht sehr erzieherisch.

Kurze Zeit darauf machten sie eine Rast. Julie verschwand im Hintergrund des Autos, und plötzlich hörte man ein Fiepen und ein kurzes Kläffen.

Guido!

»Bist du von Sinnen?« fragte der Vater. »Es ist streng verboten, Hunde ohne speziellen Gesundheitsausweis in die Schweiz einzuführen.«

Da war selbst Julie betreten. In das Schidorf konnten sie den Hund unmöglich mitnehmen, es würde sicher kontrolliert, ob er den Gesundheitsausweis hätte. Zurückfahren konnten sie nicht, es wäre viel zu spät geworden, und außerdem hatte keiner Lust, an dem »Zöllner mit dem dummen Gesicht« noch einmal vorbeizufahren. Guter Rat war teuer.

»Ich habe eine Freundin in der Nähe von Genf«, sagte Meike. Genf war ein kleiner Umweg, aber es schien der einzige Ausweg zu sein. Vom nächsten Ort aus telefonierte Meike mit ihrer Freundin. »Wir können kommen, sie freut sich«, sagte sie, als sie aus dem Telefonhäuschen herauskam.

Die Freundin war Hamburgerin wie Meike. Sie hatte zwei Kinder. Markus war neun Jahre alt, dunkelhaarig und verträumt. Die beiden Mädchen konnten eine gewisse Bewunderung nicht unterdrücken, weil er Französisch fast so gut konnte wie Deutsch; er ging in eine französische Schule, und zu Hause wurde nur deutsch gesprochen. Die siebenjährige Beate hatte schnurgerades, hellblondes Haar, zornig blitzende Augen und viele Sommersprossen. Ihr entging nichts. Ihre Mutter Frauke war sehr hübsch. Sie hatte das gleiche dichte, braune Haar wie Markus, das sie lose auf dem Hinterkopf aufgesteckt trug, blaue Augen und einen großen Mund. Die Wohnung war geräumig, teils modern, teils mit alten Möbeln ausgestattet.

»Das finde ich fabelhaft von dir, Julie, daß wir durch deine Liebe zu Guido zu eurem Besuch gekommen sind. Ich wollte euch schon so lange kennenlernen. Wirklich, Julie, ich bin dir so dankbar.«

Sie ging mit großen, ruhigen Bewegungen im Zimmer umher, und im Nu war der Kaffeetisch gedeckt. Julie aalte sich.

Sie blieben länger, als sie vorgehabt hatten. Die Mädchen gaben den beiden Kindern Vorschriften, wie Guido zu versorgen sei. Markus fragte hin und wieder nach dem Grund. Beate wollte alles besser wissen, und nach kurzer Zeit lag sie sich mit Julie in den Haaren.

»Jetzt ist es erst einmal unser Hund, jetzt haben wir zu bestimmen«, brüllte sie, »sonst könnt ihr ihn ja wieder mitnehmen.« Sie wußte, daß sie am längeren Hebel saß und nützte es schamlos aus.

»Du mußt auch an seine Zukunft denken und nicht so egoistisch sein und ihn nur verwöhnen!« schrie Julie zurück. Die Erwachsenen sahen sich an.

»Wie weise, meine Tochter«, sagte der Vater. »Wo hast du denn das her? Ich wünschte, du würdest dir diesen Gedankengang bei meinen Erziehungsversuchen auch ab und zu vor Augen führen.«

Die Fahrt von Genf aus zog sich endlos in die Länge. Keiner wollte mehr singen oder erzählen. Von Schnee war nichts zu sehen, nur der Vater wußte zuversichtlich, daß es in dem Bergdorf welchen geben würde. Bis kurz vorher war die Straße trocken, und dann war ganz plötzlich alles eingeschneit.

Das Dorf bestand fast nur aus Ferienhäusern; außer ihnen gab es noch eine Kirche, einige Selbstbedienungsläden und mehrere Hotels. In eines ging der Vater hinein und wollte den Schlüssel für das Chalet holen. Die beiden Mädchen, die eben noch schläfrig in ihren Sitzen gehangen hatten — Meike fragte sich, wann sie nun endlich zu quengeln anfangen würden — stürzten hinaus und bewarfen sich mit Schnee. Es war Pulverschnee, so daß die Sachen nicht richtig naß wurden. Dann hopsten sie in Schneewehen, aus denen sie sich mit viel Mühe und noch mehr Geschrei wieder herausbuddelten. Von Müdigkeit war keine Spur mehr zu merken.

»Der Schlüssel ist schon abgeholt worden, wahrscheinlich von Sus und Fritz«, sagte der Vater.

Sie konnten mit dem Auto nicht ganz bis zum Chalet heranfahren. So nahmen sie so viel Gepäck, wie sie tragen konnten, und stiefelten los. Sie klopften an die Tür, und Susanne und Fritz stürzten heraus. Fritz war Vaters jüngster Bruder, groß, blond, mit blauen Augen. Er hatte unmöglich lange Beine und wunderschöne Hände. Seine Frau Sus war noch ganz jung. Man kannte sie nicht anders als vergnügt, mit den Mädchen alberte sie herum, als sei sie selber noch ein Kind. Sie hatte die grünsten Augen, die man sich denken konnte, dazu schulterlanges Haar und jeden Tag eine andere Frisur. Wo Sus war, gab es keine Probleme, nicht mit Sachen holen und auspacken; die Betten hatte sie längst bezogen, das Feuer im Kamin brannte — wohl eher Fritzens Werk —, und im Handumdrehen stand eine köstliche, heiße Suppe auf dem Tisch.

Am nächsten Tag schneite es. Die Erwachsenen machten lange Gesichter. Damit hatte niemand gerechnet. Für sie selbst war es nicht so schlimm, sie konnten sich ja erst einmal ausruhen, sich unterhalten und an die Höhenluft gewöhnen. Sie glaubten aber, die beiden Mädchen würden sich langweilen.

Im Gegenteil! Dörte und Julie schnallten ihre Schier an und inspizierten die Gegend. Bald fanden sie einen Lift, nicht weit von ihrem Ferienhäuschen entfernt; er war zwar nicht sehr lang, aber länger als die Lifts, die sie bisher kannten. Sie fuhren schnell zum Haus zurück und baten den Vater um Geld für die Liftkarten.

»Ihr könnt doch gar kein Französisch«, sagte der, »wie wollt ihr denn dann die Karten kaufen.«

Sus und Fritz erboten sich mitzugehen. Sie kauften Karten mit 50 Fahrten für jedes Kind. »Paßt nur auf, daß ihr sie nicht verliert, vor allem du, Julie. Sie sollen lange reichen.«

»Ja, ja, schon gut.« Die beiden drängelten los.

Es war ein Tellerlift, den sie von zu Hause nicht kannten. An einer langen Spirale war eine Art Teller befestigt, den man zwischen die Beine nehmen mußte. Man durfte sich nicht draufsetzen, sondern mußte sich von dem Teller schieben lassen. Julie fiel mehrere Male heraus, weil sie sich auf den Teller setzte, es tat aber nicht weh. Bald fuhren sie wie die Verrückten, ohne sich die kleinste Pause zu gönnen. Es schneite immer noch, man konnte das Ende der Piste nicht sehen. Sie fuhren mit drei Jungen in ihrem Alter um die Wette; die Jungen trugen rote Sturzhelme und sprachen Französisch. Sie merkten nicht, daß ihre Kleider naß wurden vom Schnee, es fror sie nicht, sie tobten wie die Besessenen und vergaßen Ort und Zeit. Plötzlich sahen sie den Vater und Meike oben stehen, aber sie winkten ihnen nur zu und rasten wieder hinunter. Julie paßte nicht auf und fuhr mit einem der französischen Jungen zusammen.

»Paß doch auf«, schrie sie, und der Junge sagte: »Pardon.«

Oben fing der Vater seine beiden Töchter ab.

»Kommt nach Hause«, sagte er. »Es ist bald drei Uhr. Habt ihr keinen Hunger?«

Drei Uhr!

»Wie oft seid ihr denn gefahren?« fragte Meike.

Sie zählten auf ihren Liftkarten die abgefahrenen Fahrten nach. Julie war 35 mal und Dörte 34 mal gefahren.

»Bloß weil ich dem Jungen geholfen habe, der hingefallen war, sonst wären wir gleichviel«, verteidigte sie sich.

»Ihr seid ja größenwahnsinnig. Ich dachte, die Liftkarten würden den ganzen oder halben Urlaub reichen.«

Die Mädchen lachten und sagten: »Pah«, denn sie wußten genau, daß der Vater nicht böse war, im Gegenteil, er war stolz auf seine Kinder.

Sinn für Geld haben sie nicht, stellte Meike insgeheim fest.