Es sind doch nur Männer - Waltraud Krannich - E-Book

Es sind doch nur Männer E-Book

Waltraud Krannich

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Beschreibung

"Es sind doch nur Männer" Frauentragik in den Zeiten des Patriarchat Die wahren Geschichten dieses Buches erzählen über die Abhän-gigkeit der Frauen vom männlichen Geschlecht in den Zeiten des Patriarchats, in denen allein dem Mann Geist, Vernunft und Stärke zuge-schrieben wurde, dem weiblichen Geschlecht hingegen Schwachheit, Sünde und Unvernunft. Zu Gehorsam gegenüber ihrem Vater oder Ehegatten als Oberhaupt und Vormund gezwungen, war die Entscheidungsfreiheit über ihren Lebensweg, ihre Kinder und ihr Eigentum gering. Wie unglücklich unter solchen Voraussetzungen ihre Existenz sein konnte, zeigen die tragischen Geschehnisse, von denen dieses Buch am Beispiel der historischen Ereignissen erzählt.

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Männer sind es gewöhnt, Frauen herauszufordern, nur weil es Frauen sind. Also sollte eine Frau ihnen Kontra geben auf ihre Weise – es sind doch nur Männer.

Nach einem Ausspruch von Queen Elizabeth I.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Eine Seele voller Schatten

Anna von Sachsen (1544 – 1577)

Wilhelm von Oranien (1533 – 1584)

Mein herzlieber Herr und Feind

Sidonia von Sachsen (1518 – 1575)

Erich II. zu Braunschweig - Lüneburg (1528 -1584)

Ein Fetzen von Augusts Hose

Sophia von Taubenheim (um 1546 – 1585)

Hans von Taubenheim (um 1510 – um 1587)

Herr, warum schläfst du?

Elisabeth von Sachsen (1552 – 1590)

Johann Casimir von Pfalz-Simmern (1543 – 1592)

Der boshafte Kusstaler

Anna von Sachsen (1567 – 1613)

Johann Casimir von Sachsen-Coburg (1564 – 1633)

Die royale Aussteigerin

Luise von Toskana (1870 – 1947)

Friedrich August III. von Sachsen (1865 – 1932)

Sophie als Kurprinz

Sophie Sabine Apitzsch (1692 – 1752)

Das unvollendete Ehe-Spiel

Queen Elizabeth I. (1533 – 1603)

Quellenverzeichnis

Anmerkungen (Fußnoten)

Vorwort

Jeder Tag ist ein unaufhaltsamer Schritt im Jahrhunderttakt. Jedes Leben ist einzigartig. Es entsteht und vergeht begrenzt in Zeit und Raum. Für keinen Menschen ist die ganze Vielfalt der Welt erfassbar, weder räumlich noch zeitlich. Was Menschen vergangener Zeiten antrieb, was sie glücklich machte, weshalb sie litten und starben, wird uns selten bewusst. Dennoch gleichen ihre Freuden, Sorgen und Zwänge den unseren mehr, als wir meist ahnen. Sie zu erkennen bedeutet, heutige Probleme besser zu verstehen und lösen zu können.

Die wahren Geschichten dieses Buches erzählen über die Abhängigkeit der Frauen vom männlichen Geschlecht in den Zeiten des Patriarchats, in denen allein dem Mann Geist, Vernunft und Stärke zugeschrieben wurde, dem weiblichen Geschlecht hingegen Schwachheit, Sünde und Unvernunft. Zu Gehorsam gegenüber ihrem Vater oder Ehegatten als Oberhaupt und Vormund gezwungen, war und ist die Entscheidungsfreiheit von Frauen über ihren Lebensweg, ihre Kinder und ihr Eigentum oft gering. Wie unglücklich unter solchen Voraussetzungen ihre Existenz sein kann, zeigen die tragischen Geschehnisse, von denen dieses Buch getreu den historischen Ereignissen erzählt:

die Tragödie einer Kurfürstentochter, deren Leben im Alter von 32 Jahren grauenhaft endet,

das Ehedrama einer Herzogin, die von ihrem Gatten in einen Hexenprozess verwickelt wird,

der Prozess gegen eine Gutsherrin, die als Zauberin und Ehebrecherin angeklagt und enthauptet wird,

die unglückliche Ehe eines Fürstenpaares in einer Zeit religiöser Intoleranz;

die Trostlosigkeit einer jungen Herzogin, die hypnotisiert, vergewaltigt und lebenslang eingesperrt wird,

die Tragik einer Prinzessin, die aus einem Fürstenhof flieht und einsam stirbt,

die Abenteuer und Bedrängnisse eines Bürgermädchens, das monatelang für einen Prinzen gehalten wird,

der bewusste Verzicht einer Königin auf Heirat und privates Glück.

Die bestürzenden Schicksale dieser acht Frauen machen uns bewusst, wie sehr sich seitdem die Zeitverhältnisse geändert haben, sind wir doch dabei, die Wege für ein besseres Miteinander der Geschlechter zu ebnen. Doch die gestrigen Zeiten sind noch nicht überwunden. Noch immer besteht die Gefahr, in alte Irrtümer zu verfallen.

Weil patriarchalische Strukturen noch mächtig sind.

Weil heutige Frauen zwar vor dem Gesetz gleichberechtigt sind, aber nicht selten benachteiligt werden oder Gewalt ausgesetzt sind.

Zu wissen, was gestern geschah, hilft uns Heutigen, es besser zu machen als die Menschen von gestern. Morgen werden wir die von gestern sein. Wenn die von morgen nicht beherzigen, was heute geschah, wird sich das Rad der alten Fehler immer weiter drehen.

Was schon vor beinahe 500 Jahren die katholische Heilige Teresa von Avila erkannte, hat immer noch Gültigkeit:

"Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Guten begabte Geister zurückstößt, nur weil es sich um Frauen handelt."

Eine Seele voller Schatten

Das Schicksal der Herzogin Anna von Sachsen (1544 bis 1577)

"Ist eine Seele umnachtet,

so schleicht sich die Sünde in sie hinein.

Nicht derjenige ist der Schuldige, der die Sünde begeht,

sondern der die Nacht geschaffen hat."

Victor Hugo, Die Elenden

Geboren als einzige Tochter des Kurfürsten Moritz.

Verheiratet mit Wilhelm von Oranien, dem Heros der Niederlande.

Entbunden von sechs Kindern.

Verbannt in eine entlegene Höhenburg.

Gestorben in einem zugemauerten Raum des Residenzschlosses von Dresden fünf Tage vor ihrem 33. Geburtstag.

Anonym begraben im Dom zu Meißen ohne jedes Gedenkens.

Keiner hatte Mitleid mit ihrer armen Seele.

Wie kam es zu diesem erschreckenden Lebenslauf?

Historische Dokumente aus der Zeit der unglücklichen Prinzessin veranlassen zu neuer Deutung.

Eine Jugend voller Verhängnis

"Es ist ein Mädchen", sagt lächelnd die Wehfrau zu der erschöpften jungen Mutter und legt ihr ein winziges, in Tücher gehülltes Kind in den Arm.

Man schreibt den 23. Dezember 1544. Im Dresdener Residenzschloss sind die siebzehnjährige Agnes von Hessen und der dreiundzwanzigjährige Herzog Moritz von Sachsen soeben Eltern geworden. Es sind bewegte Zeiten, Europa ist im Umbruch. Im Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus überschlagen sich die Ereignisse. Drei Jahre nach Annas Geburt übernimmt nach dem Schmalkaldischen Krieg 1547 ihr Vater Herzog Moritz mit ungeheurem Machtgewinn für Kursachsen die Kurwürde. Als Haupt der antikaiserlichen Opposition macht sich der junge Kurfürst die fanatischen Katholiken zum Feind. 1553 löst sein Tod nach der Schlacht von Sievershausen Entsetzen aus. Da ist seine Tochter neun Jahre alt. Kurz darauf entsteht in Dresden das Moritzmonument. Auf ihm übergibt Moritz seinem Bruder August symbolisch das Kurschwert. Neben ihm steht mit gefalteten Händen seine trauernde Witwe Agnes. Ein Mantel umhüllt ihren Körper, ihr Mund ist mit einer Klagbinde bedeckt. Den neuen Kurfürsten begleitet seine prachtvoll gewandete Frau Anna von Dänemark. Erwartungsvoll blickt sie himmelwärts.

Über Annas Leben liegt von Kindheit an ein Verhängnis. Nach dem Tod ihres Vaters erlebt sie nur noch zwei Jahre lang Geborgenheit bei ihrer Mutter, dann heiratet der Thüringer Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen, der Mittlere, die junge Witwe. In Weimar kann Agnes nicht Wurzeln schlagen, schon ein halbes Jahr später stirbt sie an 'hitzigem Fieber'. Mit elf Jahren ist ihre Tochter Anna Vollwaise. Die Zeit, in der die Eltern ihr Geborgenheit bieten und den Keim für ein ausgeglichenes Selbstwertgefühl legen konnte, war zu kurz, als dass sie fähig geworden wäre, später selbst Ausgeglichenheit auszustrahlen.

Auf dem Totenbett hat ihr Vater in seinem Testament seinem Bruder August aufgetragen, „sich unserer lieben Tochter mit Treuen anzunehmen […] und, wann sie erwächst, sie ehelich auszustatten“. Dieser lässt seine Nichte in Dresden die standesgemäße Versorgung, Bildung und Erziehung adliger Fürstentöchter zuteilwerden. Er und seine Frau Anna haben selbst schon drei kleine Kinder, und alle ein, zwei Jahre kommt ein weiteres hinzu. Eine gemeinsame Unterrichtung des Kuckucks im eigenen Nest mit ihren wesentlich jüngeren Kindern ist wegen des Altersunterschieds schwer möglich. Unter der Obhut einer Hofmeisterin wächst die empfindsame und schwierige kleine Prinzessin als unwillkommener Pflegling betreut von dienstbaren Geistern auf, denen sie schon bald selbst Befehle erteilen kann. Zwar umgeben sie Reichtum und Pracht, aber sie erfährt keine liebevolle Zuwendung. Eigenschaften wie Wohlwollen, Mitgefühl, Nachsicht und Duldsamkeit lebt ihr keiner vor. Ihre Pflegemutter, die strenge, pflichtbewusste Kurfürstin Anna, sagt ihr einen harten Kopf nach. Es gibt kein authentisches Zeugnis darüber, wie sie die Einflüsse verkraftet, von denen so gut wie keiner auf enger Vertrautheit mit Menschen beruht, die sie gernhaben. In ihrem späteren Verhalten spricht alles dafür, dass sie dringend jemanden gebraucht hätte, der ihr Liebe gibt und an dem ihr Herz hängt. Lebenslang wird sie unter innerer Einsamkeit leiden und ihr der harmonische Umgang mit anderen Menschen schwer fallen.

Was Prinzessin Anna schon als Kind mit Stolz erfüllt, ist das Bewusstsein, die Tochter eines ganz besonderen Fürsten zu sein. Ihr Denken, Fühlen und Wollen ist fixiert auf die kurze Erinnerung an ihre Eltern und auf sich selbst. Das zeigt sich schon bald an den Folgen. Am Dresdner Hof gilt sie als Störenfried. Ihr Vater Moritz hat ihr ein hitziges und eigenwilliges Wesen in die Wiege gelegt. Sie gilt als unausgeglichen, empfindlich und wenig fügsam. Bereits in der Kindheit entbrennen ihretwegen Streitereien und Konflikte.

Der Bräutigam aus Brabant

Am 17. Dezember 1560 liest die Kurfürstin erstaunt ein glühendes Geständnis: "[…] so kann ich doch nicht unterlassen, Euer Lieben mit diesem kleinen Brieflein ganz untertänigst zu ersuchen, Sie wolle sich die bewusste Sache befohlen sein lassen und darin das Beste zu tun, damit ich recht bald der Marter ledig werde. Denn wenn E. L. wüssten, wie mir das Würmlein Tag und Nacht das Herz durchfrisst, so würde Sie sonder Zweifel ein großes Mitleid mit mir haben.“

Das "Würmlein" ist Anna von Sachsen. Was für ein ungewöhnlich charmantes Kompliment für die jugendliche Prinzessin! Geschrieben von einem gestandenen Mann, dem zehn Jahre älteren Wilhelm von Oranien. Das Mädchen, um dessen Hand er anhält, ist immerhin eine sehr gute Partie – die Nichte eines mächtigen, reichen protestantischen Kurfürsten mit vielen Erbgütern. Ihr Vater Moritz hat testamentarisch verfügt, dass sie bei ihrer Hochzeit wenigstens fünfzehn Jahre alt sein muss, und so alt wird sie gerade.

Wilhelm I. Graf von Nassau-Dillenburg ist auch Prinz von Oranien. Er hat als Elfjähriger seinen kinderlosen Vetter René von Chalon beerbt und besitzt seitdem große Ländereien in den Niederlanden und im Fürstentum Orange an der Rhône. Dafür musste der protestantische Junge katholisch werden und sich auf Schloss Breda in Brabant erziehen lassen. Weil es Wilhelm als Edelknabe Karls V. verstand, schweigend gut zuzuhören, hat er den Beinamen "Der Schweiger" bekommen. Mit der Zeit gibt der Jüngling kluge Antworten, macht rasch Karriere und huldigt dem süßen Leben. Als 1555 Philipp II. als neuer König von Spanien und Herrscher über die Niederlande einflussreiche Posten besetzt, wird Wilhelm von Oranien Statthalter von sechs niederländischen Provinzen. Mit 18 Jahren heiratet er die schöne Anna von Egmond, Gräfin von Buren. Sie haben zusammen zwei Kinder. Ihr früher Tod ist für ihn ein schwerer Schlag. An seinem Vater in Dillenburg schreibt er betrübt:

“Ik weet dit anders niet te dragen, dan dat ik het in de eerste plaats de Almachtige als de enige troost overgeef.” –

"Ich weiß es anders nicht zu tragen, als es an erster Stelle dem Allmächtigen als einzigen Trost zu übergeben."

Einige Zeit danach sucht Wilhelm von Oranien eine neue Gemahlin. Seine Wahl fällt auf blutjunge sächsische Herzogin Anna. Wieso wirbt ein reicher Statthalter des katholischen Königs um eine protestantische Fürstentochter? Die Antwort gibt er am 17. März 1560 selbst in einem Brief an seinen Schwager Günther von Schwarzburg: Eine solche Ehe "wird mir und den Meinen große Ehre und Wohlstand bringen." Ehre, weil Anna von Sachsen als Tochter eines Kurfürsten im Rang weit über ihm steht. Er ist ein Graf aus dem Hause Nassau-Dillenburg. Prinz ist er nur als Oranier. Seine Hauptbesitzungen liegen in den Niederlanden, und dort ist er ein Vasall von Philipp II. Das sind die dynastischen Motive. Wohlstand, weil der Reichtum ihres Ziehvaters August für den Prinzen von Vorteil ist. Zwar hat er selbst prächtige Liegenschaften, aber durch sein verschwenderisches Leben und wegen seiner Ausgaben als Diplomat und Armeeführer ist er verschuldet.

Noch etwas kommt hinzu, das den Ausschlag gibt: Wilhelm erhofft sich durch den Protestantismus des sächsischen Kurfürsten Unterstützung im Kampf der Niederländer gegen die spanische Herrschaft. Annas Vater Moritz legte sich mit dem Kaiser an, und ihr Großvater Philipp von Hessen war ein Anführer der deutschen Protestanten. Anna von Sachsen ist für Wilhelm somit eine logische Option.

Noch eine Kleinigkeit gilt es zu klären. Ist sie wirklich so 'wenig ansehnlich' und 'ungeschickten Leibes', wie er gehört hat? Das könnte ihn abschrecken. Er besorgt sich ihr Porträt, und darauf schaut ihn eine hübsche junge Frau an. Eines Tages erscheint Graf Günther von Schwarzburg in Dresden, um sich in dessen Auftrag die Prinzessin anzusehen und zu sondieren, wie die Erfolgsaussichten auf Annas Hand sind. Kurfürst August äußert Bedenken, sagt aber nicht nein. Insgeheim wäre er sogar froh, die widerspenstige Tochter seines Bruders loszuwerden. Und schwerlich würde sich ein besserer Freier als der Prinz von Oranien finden lassen.

Dennoch ist die Religion der Braut ein Problem. Philipp II. wird nicht tolerieren, dass der Principe Guillermo de Orange, wie Wilhelm in Spanien genannt wird, als einer seiner wichtigsten Männer in Holland eine Protestantin heiratet. Eine Ehe mit einer Fürstentochter aus dem Mutterland Luthers wäre unvereinbar mit spanischen Interessen. Wie soll der Oranier als Statthalter aufsässiger Provinzen Ketzer und Hetzer verfolgen, wenn er selbst eine Lutheranerin zur Frau hat? Undenkbar! Er war doch vormals selbst protestantisch, wie schnell kann er rückfällig werden. Doch Wilhelm setzt auf die junge Prinzessin aus dem reichen, mächtigen Kursachsen. Warum kein doppelzüngiges Spiel, wenn es dem erstrebten Zweck dient? So scheut er sich nicht, Philipp II. schriftlich zu versichern:

"[…] es gibt nichts, was mir so am Herzen liegt, wie unsere wahre katholische Religion: darauf kann sich Eure Majestät ganz und gar verlassen".

Damit sein Eheprojekt Fahrt aufnimmt, begibt er sich höchstpersönlich zwei Wochen lang nach Dresden. In gewichtigen Gesprächen kann er den misstrauischen Kurfürsten auf seine Seite ziehen. Das fällt ihm nicht schwer, denn die Ehe wäre für Annas Onkel zugleich eine hervorragende Gelegenheit, seinen Status und seinen Reichtum zu demonstrieren und sein adliges Netzwerk zu stärken.

Und Anna, das naive, stolze Mädchen? Der gutaussehende Prinz mit den weltmännischen Manieren wird ihr vorgestellt. Eine Verbeugung, ein tiefer Blick in ihre Augen, ein Lächeln für sie ganz allein, und schon ist die Fünfzehnjährige dahingeschmolzen. Die Hofdamen tuscheln von Liebschaften vor und in seiner Ehe. Anna ist entrüstet:

„Ich kann nicht wissen, wer solche Lügen aufgebracht hat, aber das weiß ich gewiss und fürwahr, dass es eine gar freundliche, holdselige Ehe in Liebe und Treue war.“

Als sie schließlich doch nicht umhin kann, dem Hofgeschwätz einigen Glauben zu schenken, erwidert sie:

„Er ist ein schwarzer Verräter, aber ich habe keine Ader an meinem Leibe, die ihn nicht herzlich lieb hätte.“ ‚Schwarz‘ ist damals ein Synonym für katholisch.

Nur weg aus dem Schloss von Dresden, in dem keiner sie liebt, nur in seine Arme fliegen, alles andere wird sich finden, so mag sie gedacht haben. Einzig und allein ihn, den Prinzen von Oranien, und keinen anderen möchte sie zum Gemahl. Annas Temperament und ihr Eigensinn sind damals schon weithin bekannt. Eine sächsische Hofdame schreibt zu der geplanten Heirat an die Pfalzgräfin Elisabeth von Simmern, eine Schwester des Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz:

"[…] mögen Euer Fürstlich Gnaden gewiss glauben, dass niemand sie dazu beredet und noch viel weniger gezwungen oder gedrungen hat. Denn E. F. Gn. kennen ja Fräuleins Kopf und Sinn und wissen, dass sie sich wahrlich nimmermehr bereden und zwingen lassen wird, sondern dass sie immer eigenwillig darauf besteht, was sie sich vornimmt. Gar oftmals habe ich sie sagen hören, niemand von der ganzen Verwandtschaft solle ihr einen Gatten aufschwatzen, der ihr nicht gefalle.“

Als Wilhelm abgereist und bis Leipzig gekommen ist, haben ihm Boten schon drei glühende Liebesbriefe von ihr übergeben. Er scheint von ihr beeindruckt zu sein, wenn auch seine Sehnsucht schwerlich allzu sehr ihrer Person gelten mag. Gegen vier mächtige Partner hat er das 'Simultanspiel' um Anna schon gewonnen, gegen Philipp II., Kurfürst August, gegen den Kardinal Nicolas Perrenot de Granvelle, einen Juristen und Staatsmann im Heiligen Römischen Reich, und gegen Margarete von Parma, die Statthalterin der habsburgischen Niederlande in Brüssel. Nur noch einen gilt es zu überzeugen, Annas Großvater, Landgraf Philipp von Hessen, der zusammen mit Kurfürst August ihr Vormund ist. Als Wilhelms letzter und zähester Widersacher betrachtet er Annas Neigung zu dem Prinzen als Kinderkram. Am 3. März 1561 verfasst er einen beschwörenden Brief an den Freier in Brabant. Wie prophetisch seine Worte sind, wird er nicht mehr erleben.

"Dass wir nun ein solch jung Fräulein und unser eigen Fleisch und Blut in solche abgöttische Gräuel und Irrtum […] stecken lassen und sie dadurch entweder in Verlust des ewigen oder zum wenigsten in Gefahr des Zeitlichen Heils setzen sollten, bitten wir, E. L. wollen bei sich selbst bedenken, wie wir doch solchs nicht allein vor Gott, sondern auch vor der Welt mit einigen Ehren verantworten konnten."

Anna antwortet ihm, sie achte seine Fürsorge, doch sie sei ein ehrliches Fräulein und müsse das Versprechen halten, das sie dem Prinzen gegeben habe. Sie denke nicht daran, in ihrem Glauben schwankend zu werden. Gewitzt fügt sie hinzu, der Apostel Paulus habe gesagt, ein ungläubiger Mann werde durch ein gläubiges Weib geheiligt. Philipp von Hessen merkt, ihre Liebe zu Wilhelm brennt lichterloh. Widerwillig entschließt er sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie gedächte ihn "nimmermehr zu vergessen, und wenn es der ganzen Welt leid wäre", lässt sie dem Prinzen ausrichten, als sie seinen Schwager auf den Naumburger Fürstentag trifft, wohin sie ihr Onkel August mitgenommen hat. Er solle ihm "viel hunderttausendmal gute Nacht" von ihr wünschen, bittet sie in sehnsuchtsvoll.

Ach, ein Schauspiel nur!

Der Ehevertrag wird in Torgau abgeschlossen. Annas Mitgift beträgt 100.000 Taler. Großvater Philipp hat resigniert und steuert 50.000 Gulden bei. 70.000 Taler bekommt Wilhelm sofort nach der Eheschließung von Kurfürst August bar in die Hand. Weitere 30.000 Taler wird er aus dem Erbe von Annas verstorbener Mutter beim Tod ihres zweiten Ehemannes erhalten. Der Prinz bringt als Morgengabe zur persönlichen Verfügung seiner Gemahlin 10.000 Taler ein. Als Wittum und Sicherheit übereignet er ihr eine nassauische Herrschaft im heutigen Belgien und zwei Herrschaften in den Niederlanden.

Am 24. August 1561 findet in Leipzig im großartigen, erst kurz zuvor erbauten Renaissance-Rathaus ihre überaus prachtvolle Hochzeit statt. Wilhelm von Oranien hat mit seiner Eskorte und 1100 Pferden eine weite Reise angetreten. Kurfürst August zieht ihm mit seinem schwarzgelb gekleideten Gefolge mit Pauken und Trompeten entgegen. Zu ihnen gesellt sich eine Auslese europäischer Fürsten. Nur einer fehlt – Annas Großvater Philipp aus Kassel. Als ein kluger, erfahrener Kopf will er beim ersten Akt eines Eheschauspiels, für das er eine Tragödie ahnt, weder Mitspieler noch Zuschauer sein.

Auf den Treppenstufen des Rathauses am Marktplatz tritt Anna in ihrem perlenbesetzten Kleid aus kostbaren Stoffen ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Acht Monate sind vergangen, seit sie ihren Bräutigam zum ersten und einzigen Mal gesehen hat. Als Wilhelm endlich auftaucht, klopft ihr Herz zum Zerspringen. Er steigt aus der Kutsche, und unter den Augen Hunderter von Menschen kommt ihm seine Braut wider alle Gepflogenheit mit strahlendem Lächeln zwei Schritte entgegen. Am Nachmittag versammeln sich die hochrangigen Gäste vor Annas Zimmer und führen sie in einer Prozession zum Bankettsaal. Unter der Kassettendecke aus Eichenholz legt der evangelische Theologe Johann Pfeffinger die Hände des Brautpaares ineinander und vollzieht die Trauung. Für die Zeremonie des Beilagers wird das frisch verheiratete Paar durch das lange Spalier der prunkvoll gekleideten Gäste zu einem vergoldeten Vorhangbett in der Mitte des Saales geführt. Sie setzen sich nebeneinander auf das symbolträchtige Möbelstück. Für einen Moment wird eine Decke über sie gezogen und die Ehe damit sinnbildlich vollstreckt. Anna lächelt verlegen, der Bräutigam nimmt es gelassen. Um sie herum stehen die hohen Herrschaften Kopf an Kopf. Man spart nicht mit launigen Ermahnungen für christliches Eheverhalten. Gelächter und Gemurmel von allen Seiten. Diener lassen Schalen mit gewürztem Wein und Süßigkeiten herumreichen. Wallonische Musiker und ein Kirchenchor untermalen die Festivität musikalisch. Um „allda am fürstlichen Beilager Kurzweil damit zu treiben“, hat Kurfürst August 22 Fleischerhauer aus Zwickau kommen lassen. Sie schleudern „mit der Kuh- oder Ochsenhaut gerüstet“ einen verkleideten Mann in die Luft und fangen ihn wieder auf. Es ist nicht überliefert, ob Anna und Wilhelm Spaß an dieser derben Lustbarkeit hatten.

Am Abend frönen die Gäste für viele Stunden einem köstlichen Hochzeitsmahl. Erst spät in der Nacht kann sich das Brautpaar wirklich zusammen unter eine Decke legen, aber die Nacht ist kurz. Am nächsten Morgen ist ihr gemeinsamer Kirchgang an der Reihe, denn die Ehe muss auch kirchlich sanktioniert werden. Dass die Nikolaikirche ein evangelisches Gotteshaus ist, nimmt der weltgewandte Prinz in spanisch-katholischen Diensten gleichmütig hin.

"Halte er seine junge Frau fleißig zu christlichem Lebenswandel an", legt ihm Annas Ziehmutter ans Herz.

"Wohl, wohl, doch soll sich die Prinzessin nicht allzu sehr mit melancholischen Dingen bemühen", entgegnet Wilhelm munter, "sondern dass sie statt der Heiligen Schrift den Amadis von Gallien und dergleichen kurzweilige Bücher, die amore traktieren, wolle lesen".

Die Kurfürstin schaut missbilligend zur Seite, sie findet seine Anspielung auf den beliebten Ritterroman unpassend und ist überzeugt, dass er in religiösen Dingen viel nachzuholen hat. Wie gut, dass sie nicht weiß, dass er insgeheim die ganze Spaltung des Christentums in Katholisch, Evangelisch, Calvinistisch usw. als abwegig ansieht.

Angefangen mit einem Ringelstechen auf der Stechbahn vorm Rathaus, vertreibt man sich nach dem Gottesdienst bei der Brautparty und dem Festgelage ausgiebig die Zeit mit üppigem Schmausen, Tanz, Turnieren, Mummenschanz und Feuerwerk. Es sei eine königliche Hochzeit, wie sie noch niemand je zuvor in Leipzig gesehen habe, schreibt danach ein Beobachter. Die Herrschaften sollen 3600 Eimer Wein und 1600 Fass Bier getrunken haben, von den ungeheuren Mengen an Speisen, die in ihren Mündern verschwanden, ganz zu schweigen. Für die Händler, Bauern und Wirtsleute mag es ein lohnendes Geschäft gewesen sein. Sogar gereimt wurde darüber.

"Do sah man manchen tapfern Mann

Ritterlich stechen auf der Bahn,

Auch über die Planke man stach,

Manch Ritter do sein Spieß zerbrach."

Wunsch und Wirklichkeit

Bei der Fahrt nach Brabant ins Schloss ihres Gemahls zeigt Anna plötzlich ihr zerbrechliches Gemüt. An der Grenze zu Hessen sind unerwartet zwei Gesandte ihres Großvaters aufgetaucht, um dem jungen Paar eine glückliche Reise zu wünschen. Die Sechszehnjährige ist davon völlig überrascht, die Begegnung wühlt sie auf. Weinend bittet sie, ihrem Großvater auszurichten, er möge sie nie verlassen. Sie wird ihn nicht wiedersehen. Beim Zwischenaufenthalt im elterlichen Schloss ihres Mannes in Dillenburg dankt sie ihm schriftlich, dass er "seiner armen verlassenen Muhme 1) gedacht hat".

Diese Rede einer jungverheirateten Frau ist seltsam, so als würde sie sich schon jetzt einsam fühlen. Was in Anna vorging, klingt wie eine Ahnung kommenden Unheils. Sie ist gerade dabei, in ihrem eigenen, freudig ersehnten Leben anzukommen, doch scheint ihr bange zu sein vor all dem Fremden, das auf sie einstürzt und auf das sie nicht vorbereitet ist. Möglicherweise hat sich unterwegs etwas für sie Bedrückendes zugetragen, Kleinigkeiten vielleicht, aber für sie beängstigend. Kein Brief, kein Bericht gibt darüber Auskunft, es lässt sich nur einiges vermuten. Wilhelm von Oranien kam mit einer großen Kavalkade nach Leipzig. Auf der langen Rückreise wird er sich mit seiner Gefolgschaft in ihrer Heimatsprache unterhalten haben für Anna eine unbekannte Welt. Sie wird so gut wie nichts verstanden haben, denn sie kennt nur ein paar Brocken Französisch. Das mag sie als beschämend empfunden haben und sich ausgegrenzt vorgekommen sein. Wäre sie ein Prinz, hätte man sie fremde Sprachen gelehrt, damit sie sich in Europas Höfen verständigen kann. Aber sie ist ja nur eine Frau, eine Prinzessin, die vor allem dazu da ist, die fürstliche Ahnenreihe zu verlängern.

Im Schloss von Breda, Wilhelms Residenz, erwartet das Paar ein festlicher Empfang. Wie anders ist hier alles als im Dresdener Schloss nahe der Elbe, hinter dessen Fassaden unter "Vater" August und "Mutter" Anna protestantische Biederkeit herrscht. Aber hier führt Wilhelm als Edelmann seit Jahren ein glanzvolles, weltoffenes Haus. An die 250 Personen wirbeln täglich durch die Räume. Seine Küche ist berühmt, seine Hofhaltung üppig, getanzt wird bis spät in die Nacht. Ungezwungene Sitten und ein freier Ton bestimmen die Atmosphäre.

"Ich bin glücklich wie eine Königin", versichert Anna zunächst, denn so fühlt sie sich von Wilhelm behandelt. Ihr Herz brennt in heißer Liebe zu ihm, sie bemüht sich, ihn nicht zu enttäuschen. Aber wie soll sie, eine blutjunge, unerfahrene Frau aus dem Ausland, in diesem reichen, mondänen Schloss als Herrin und Hausfrau walten? Sie ist hineingeraten wie eine Biene in einen fremden Bienenstock, in dem es wimmelt von Leben. Niemand hat sie darauf vorbereitet. Niemand hat sie über die ungeschriebenen Gesetze dieses Hauses aufgeklärt. Wie soll sie die Intrigen hinter der Fassade dieses Hofes durchschauen? Wie soll sie verstehen, kluge Anweisungen zu geben? Es fehlen ihr die Reife, die Lebenserfahrung, doch auch Milieu- und Sprachkenntnisse. Die einheimische Elite spricht Französisch. Amüsieren sich Wilhelm und seine Gäste miteinander, so versteht sie kaum etwas und fühlt sich ausgeschlossen. Die Dienstboten verständigen sich auf Holländisch oder Flämisch. Anna kann lange wenig verstehen, es fällt ihr schwer, als Herrin zu fungieren. Fortwährend fühlt sie sich belächelt, bespöttelt, fehl am Platz und überfordert. Hinzu kommen ihre baldigen ersten Schwangerschaften.

Zu Annas Unterstützung ist als Hofmeisterin – als Oberste der weiblichen Dienstboten – die verwitwete Sophie von Miltitz mit nach Breda gekommen, dazu zwei junge sächsische Adelsfräulein. Schon nach kurzer Zeit sehnen sich die drei zurück ins sittenstrenge Sachsen. Es befremdet sie, dass die Hofdamen darin wetteifern, ihren Busen zur Schau zu stellen und ihre Busenknospen mit diamantbesetzten Ringen und Käppchen zu verzieren. Sie haben nicht den Eindruck, dass der niederländische Hochadel viel von ehelicher Treue hält. Die Hofmeisterin Miltitz schreibt nach Dresden, die guten Mädchen hätten sich gar züchtig verhalten wie ehrliche Jungfrauen, aber "die armen Kinder haben sich mit etlichen Sitten des Niederlandes nicht einlassen wollen, sonderlich sich nicht wollen küssen lassen, so seint die guten Kinder so veracht worden, dass sie ein jedermanns Spott müssen sein".

Auch sie selbst kehrt den Niederlanden bald den Rücken. So bleibt die Prinzessin ohne den Rückhalt und die Unterstützung erfahrener Frauen aus ihrer Heimat. Der ausschweifende Lebensstil verlockt sie, und zugleich verunsichert er sie. Zudem entspricht es so gar nicht ihrem Wesen, immer freundlich und ausgeglichen zu reagieren. Sie macht sich unbeliebt mit ihrer bisweilen spröden und impulsiven Art. Nicht lange, und es kommt bei Hofe zu peinlichen Auftritten mit der Dienerschaft und Differenzen mit Hofdamen, so mit der Gattin des Grafen Egmond. Der katholische Kardinal, Minister de Granvelle, berichtet dem spanischen König, "dass sich die Madame d' Edmond überall vor die Prinzessin vorzudrängen sucht, könnte mit der Zeit Neid erwecken". Zwischenfälle dieser Art sorgen in den holländischen Fürstenhäusern und weit darüber hinaus für Gesprächsstoff. Wilhelms Schwester Katharina von Schwarzburg schreibt verächtlich:

"Es wird je länger, je ärger mit der Person und noch allerlei, welches ich nicht schreiben darf."

Schon das Wort "Person" macht deutlich, wie abfällig sie über Anna denkt und wie angespannt die Atmosphäre in Breda offenbar war. Wilhelm sind solche bestürzenden Szenen, durch die er zwangsläufig mit ins Gerede kommt oder sich einmischen muss, zutiefst zuwider. Sein gute Einvernehmen mit Anna leidet darunter. Für sie wird vieles, was um sie herum geschieht, schier unerträglich. Es nützt wenig, dass er ihr empfiehlt, statt missmutig dreinzuschauen lieber zu lernen, wie man einen schnellen, munteren Springtanz, die fröhliche Galliarde, tanzt. Sie weiß wenig darüber, was ihren einflussreichen Gemahl außer Haus beschäftigt, ob es mehr gibt als nur dienstliche Angelegenheiten. Über seine vergangenen Liebesaffären weiß sie ebenfalls nichts, doch spricht einiges dafür, dass Wilhelm eine ehemalige Liaison aufgegeben hat. Nichtsdestoweniger ist die Gerüchteküche unentwegt am Brodeln. Im Dezember 1561 bemerkt Graf Günter von Schwarzburg spöttisch,

"er hoffe, der Prinz werde sich nunmehr im Ehestand so wohl befinden, dass er nicht mehr Barbara von Live und andere besuche, sondern bald einen jungen Kerl hervorgestoßen habe".

Sogar im fernen Dresden ist man bald über die Zwistigkeiten in Breda informiert. Um die Wogen zu glätten und das Gerede abzutun, schreibt Wilhelm am 12. Mai 1562 an den Kurfürsten, es sei alles nur das Geschwätz böser und neidischer Leute, dass es Unfrieden gäbe und er seine liebe Gemahlin drangsaliere. Er versteht es, solches Gerede scheinbar nicht ernst zu nehmen und ironisch abzutun:

"Gott der allmächtig werde dies erdicht Geschrei meines verdächtigen blutgierigen Gemüts auf bessere Wege und fürnämlich dahin schicken, dass Euer Churfürstl. Gn. […] [es] spüren und befinden werde."

Wilhelms Beziehung zum sächsischen Kurfürsten August ist in den ersten Jahren seiner Ehe noch recht freundschaftlich. Er sendet ihm vertrauliche Mitteilungen über politische und militärische Vorgänge. Persönlich treffen sie 1562 zur Kaiserwahl in Frankfurt wieder aufeinander. Wiederholt erweisen sie sich Gefälligkeiten. So bittet der Prinz um Zollfreiheit für den Transport von Sandsteinblöcken aus Pirna für das Stadthaus von Antwerpen, und der Kurfürstin schickt er italienischen Samen für ihren Garten.

1562 halten sich Anna und Wilhelm im repräsentativen Stadthof von Brüssel auf. Am 12. Mai schreibt sie einen Brief an den Kurfürsten. Ihren Worten ist zu entnehmen, dass sie meint, sich verteidigen zu müssen, da sie befürchtet, etwas falsch zu machen und einen Rüffel von ihrem Pflegevater und Onkel zu erhalten:

"Durchlauchtigster hochgeborner Fürst, freundlicher, herzlieber Herr Vatter. […]. Ich bitte auch E. L., Sie wollen nicht zweifeln, dass ich bei meinem Glauben und bei der christlichen Religion nicht bleiben werde […]. Ich werde auch von keinem Menschen darum angefochten. Ich kann auch E. L. […] nicht vorhalten, dass es mir an Leibes Gesundheit und sonst allenthalben glücklich und wohl ergehet, […] denn es [ver]hält sich mein freundlicher herzlieber Herr und Gemahl als sehr freundlich und wohl gegen mich."

Sie verschweigt, dass sie sich häufig ungerecht angegriffen und von Feinden umgeben fühlt. Auch dass sie jetzt schwanger ist, erfährt er nicht von ihr. Ihre bleibende Anrede für ihn lautet im Stil der Zeit förmlich "durchlauchtigster hochgeborner Fürst und freundlicher herzlieber Herr Vatter". Nichts deutet auf ein herzliches persönliches Verhältnis zwischen ihnen hin.

"Niemals verlässt sie ihr Zimmer"

Am 31. Oktober 1562 bringt Anna ihr erstes Kind zur Welt – keinen "jungen Kerl", wie Gunther von Schwarzburg in seiner Abspielung erhoffte, sondern ein zartes kleines Mädchen. Während seiner Reise nach Frankfurt/ M. berichtet Wilhelm der Kurfürstin, dass

"[…] mein freundliche herzliebe Ehegemahel am vorgangen Allerheiligen Abend zwischen elf und zwölf Uhren in der Nacht […] gnädiglich entbunden und mit einer jungen Tochter begnadet hat. Und weil die junge Tochter etwas schwach auf die Welt kommen, dass man sie alsbald mit der heiligen Tauf vorsehen müssen."

Ihr kleines Mädchen stirbt bald darauf. Wie jämmerlich sich Anna danach gefühlt haben mag, überliefert kein historischer Bericht. Schon bald darauf ist sie wieder schwanger. Es ist die Zeit, in der sich Wilhelm in Frankreich aktiv am 1. Hugenottenkrieg beteiligt. Seinerseits erhofft er sich von den französischen Protestanten Unterstützung für den niederländischen Befreiungskampf. In den sich verschärfenden Unruhen in den niederländischen Provinzen Spaniens sind er, Graf Lamoral von Egmond und Admiral Graf von Hoorn die führenden Köpfe unter jenen, die sich trauen, Philipp II. Paroli zu bieten. Für seine junge Frau bleibt wenig Zeit, sie muss oft ohne ihn zurechtkommen und fühlt sich einsam. Mitunter spürt sie Sehnsucht nach der alten Heimat. An die Kurfürstin Anna schreibt sie am 18. Juni, dass sie „hier niemand habe“.

Ein Jahr nach dem Tod ihrer ersten Tochter bringt Anna am 5. November 1563 wieder ein Kind zur Welt, erneut ein Mädchen. Nicht lange danach ist sie wieder guter Hoffnung und noch reizbarer als sonst. Sie hat Angst vor der Entbindung, denn der Tod im Kindbett ist keine Seltenheit. Am 29. Oktober 1564 bedankt sich die Hochschwangere bei ihrer Ziehmutter in Dresden für die übersandten 'Hirschkreuzlein'. Es ist ein Pulver, das damals aus zwei kleinen kreuzförmigen Knochen im Herzen eines Hirsches gewonnen wird und als Mittel bei Geburtsnöten gilt.

"Durchlauchtigste hochgeborne Fürstin, freundliche herzliebe Frau Mutter ich habe E. G. Schreiben sampt den überschickten Hirschkreuzlein, darum ich E. G. hatt geschrieben und gebeten, empfangen und tue mich solches gegen E. G. auf das allerdienstlichst bedanken und wollte wohl, dass ich zu einigen Dingen E. G. hierzuland möcht dienen. Ich sollt es mir vor ein groß Glück achten."

Kurz vor ihrem 20. Geburtstag gebiert Anna ihr drittes Kind – endlich ein Junge. Nach ihrem Vater erhält er den Namen Moritz. Der kleine Prinz wird mit ungeheurem Prunk durch ein Spalier von Fackelträgern zur Kapelle getragen und katholisch getauft. Die Wände sind mit kostbaren Teppichen geschmückt, die Tische biegen sich unter dem Silber- und Goldgeschirr, angefüllt mit Köstlichkeiten aus Wilhelms Küche, die der großen Gästeschar zu Musik und Feuerwerk serviert werden. Die häufigen Schwangerschaften, die Belastungen als Schlossherrin, denen Anna als unerfahrene junge Frau nicht gewachsen ist, haben ihr so zugesetzt, dass sie sich immer mehr zurückzieht. Sie ist der höfischen Welt im Schloss von Breda und den ihr feindlich erscheinenden Intrigen nicht gewachsen. In einem seiner Pflichtberichte nach Madrid schreibt Kardinal de Granvelle im April 1565:

„Niemals verlässt sie ihr Zimmer, weder zum Soupieren noch zum Dinieren [...] Ihr Zimmer ist nur von Kerzenlicht erleuchtet, weil sie die Vorhänge den ganzen Tag geschlossen hält."

Ihre große Empfindlichkeit gegenüber vielen als verletzend empfundenen Reizen und ihre heftigen Gegenreaktionen sind möglicherweise erste Anzeichen einer krankhaften psychischen Verfassung, wofür sie durch Vorfahren ihrer Mutter erblich belastet ist. In dem Jahr halten sich Wilhelms Mutter Juliana und drei seiner Geschwister in Breda auf, doch für Anna scheint sich dadurch kaum etwas zum Positiven zu verändern. Die Familie scheint ihren Nöten aus dem Weg zu gehen, keiner will sich ihretwegen mit jemandem anlegen. Wie viel besser könnte es um sie stehen, wenn Anna Menschen um sich hätte, die verständnisvoll wären und zu ihr hielten. Sie wartet sehnsüchtig auf ein Wiedersehen mit ihren Verwandten, doch ihre flehentlichen Briefe finden kein Gehör. Besonders hat es sie "herzlich verlangt", ihren Großvater wiederzusehen, doch er ist krank und kann nicht mehr reisen.

Bittruf einer gefährdeten Seele

Zahlreiche Briefe Annas von Sachsen aus dieser Zeit spiegeln ihr Denken und Fühlen wider. Es ist bewegend, noch nach über vier Jahrhunderten in Briefen aus ihrer Hand etwas über ihre inneren Qualen, Hoffnungen und Wünsche zu erfahren. Die tote Materie des Papiers bewahrt etwas davon, das Anna antrieb, sich mit der Feder in der Hand über ein Blatt Papier zu beugen. Sich in die von ihr geschriebenen Briefe zu vertiefen ist hilfreich bei dem Bemühen, ihre Widersprüchlichkeit zu verstehen und mit mehr Einfühlungsvermögen über sie zu urteilen, statt sie vorschnell zu verurteilen oder dem Vergessen anheim zu geben, wie das lange geschehen ist.

In ihrem Brief vom 9. Februar 1565 an ihren "herzlieben Herrn Vater" Kurfürst August von Sachsen, verfasst mehr als zwei Jahre vor der Flucht mit Wilhelm aus Brabant, bedankt sie sich für den Besuch des kurfürstlichen Rates Abraham Bock, die Geschenke anlässlich der Taufe ihres Sohnes und die "gute väterliche Zuneigung" ihres Ziehvaters. Sie fleht ihn um Hilfe an, da sie keinen Menschen habe, der ihr in Breda mit Rat und Tat zur Seite stehe.

„Ich habe Bock befohlen, über meinen Zustand ausführlich …“

Verkleinerte Fotokopie

der Fortsetzung dieses Briefes2

mit Transkription

siehe nächste Sei te!

"… nach der lenge erzellen hat vnd bitt e. g. sie wollen doch solches mittel suchen dan es soldte mir die leng zu schwer fallen das ich nicht so fil als einen menschen bei mir soldt haben der mich mitt threwen meinett das welche dan man sucht zu vorhindern vnd die hinweg thuet die mir von threuwen Herzen dienen und komp solches alles her von boßen leutten die suchen zwißen meinen hern vnd mir vneinikeit anzurichten das welche dan vornemlich ist meiner heren bruder graf ludewick von nassau vnd wilburg die da billich sollten die sein die solches sollten zum besten keren ob es andere theten so habe ich nicht konnen unterlaßen e. g. solches zu laßen wißen. Ich wil geschweigen die schme vnd schandt wordt so ich theglich mus horen vnd leiden ob mir solches zu Herzen geet das weis gott der her. Ich soldt noch geduldt haben gehadt vnd e. g. nicht mitt meinem klagen beimuett so ich nicht beifände das nicht allein andere sondern auch mein Her selbst der ist der kegen mich thuett. Der billich mich vor dem vnrecht so andere mir theten soldt beischützen diweil ich hir zu…"

Transkription von Annas obigem Briefauszug:

[Ich habe Bock befohlen, über meinen Zustand] „ausführlich [zu] erzählen und bitte E. G., Sie wollen doch [ein] solches Mittel suchen [mir zu helfen], denn es würde mir auf Dauer zu schwer fallen, nicht einen Menschen bei mir zu haben, der treu zu mir steht, [gerade] das, was man zu verhindern sucht und [indem man] die hinwegtut, die mir mit treuem Herzen dienen; und [es] kommt das alles her von bösen Leuten, die zwischen meinem Herrn und mir Uneinigkeit anzurichten suchen; was vornehmlich meines Herrn Bruder Graf Ludwig von Nassau-Weilburg ist, die ja eigentlich die sein sollten, die solches zum Besten wenden sollten […] so habe ich nicht unterlassen können, das E. G. wissen zu lassen. Ich will schweigen über die Schmäh- und Schandworte, die ich täglich hören und erleiden muss. Wie mir das zu Herzen geht, das weiß Gott der Herr. Ich würde noch Geduld haben und E. G. nicht mit meinem Klagen behelligen, wenn ich nicht fände, dass nicht nur andere, sondern auch mein Herr selbst der ist, der so gegen mich handelt. Der mich eigentlich vor dem Unrecht, das andere mir antun, beschützen sollte, weil ich hier in…“

Transkribierte Brieffortsetzung:

„…diesem Land niemanden habe, bei dem ich Trost und Zuflucht finden könnte als nur bei meinem Herrn. Das ist mir ein so unerträgliches Kreuz, dass ich es nicht unterlassen kann, E. G. das anzuzeigen, denn ich habe sonst niemanden als E. G., bei dem ich Trost suchen möchte. Und ich bitte E. G. aufs Allerkindlichste und Freundlichste, E. G. wollen solche Mittel suchen [mir zu helfen], denn es ist mir auf die Dauer nicht möglich, so zu leben. Ich habe Geduld gehabt drei Jahre lang, ich sehe, ich erreiche nichts damit, sondern es wird jeden Tag ärger […]. Breda, den 9. Februar 1565"

E. G. gehorsame Tochter, weil ich lebe, Anna g h [geborene Herzogin] zu Sachsen, Prinzessin zu Oranien"

Zuerst begeistert, durch die Heirat ihrer Zieheltern zu entkommen, fühlt Anna sich in einem ihr fremden Land mit ungewohnten Gepflogenheiten bald aufs Schlimmste isoliert, ja von Feinden umgeben. Wilhelm von Oranien, der sich durch seine kritische Haltung gegenüber der spanischen Herrschaft in einer schwierigen Situation befindet, steht ihr durchaus bei, aber kann ihre Gemütsverfassung und ihre Reaktionen oftmals nicht nachvollziehen.

Tumult um Annas Ehe

Die Misstöne in ihrer Ehe sind inzwischen Thema Nr. Eins im Hofklatsch. Ihr Onkel, Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, der älteste Sohn ihres Großvaters, schreibt ihr am 8. Juni 1565:

"Herzliebe Muhme, ich kann aus ganz treuem Herzen […] nit verhalten, dass […] sich etliche böse Leut' sollen unterstehen, Unwillen und Missgunst zwischen. E. L. und derselben Herrn und Gemahl anzurichten."

Zwar glaube er den Gerüchten nicht, aber die seien schon weit gedrungen, deswegen ermahne er sie, an ihre Verwandten und Freunde zu denken und sie vor Schande zu bewahren. In einem Brief nach Dresden schreibt er August, vor drei Jahren sei ihm über Wilhelm von Oranien von „allerhand Handel [mit] anderen Weibern“ berichtet worden. Beweise, dass Wilhelm in dieser Zeit tatsächlich jemals die eheliche Treue gebrochen hat, gibt es nicht.

Anna erhofft sich vergebens Hilfe von der Verwandtschaft. Das Kurfürstenpaar ist sich einig, dass an all der Zwietracht vor allem ihr ‚cholerisches Blut‘ schuld ist. Dazu seien schon "allerlei Kundschaft und Berichte" eingegangen. August schreibt ihr, sie solle doch an die erste Zeit ihrer Ehe denken, als sie so glücklich war, wieso nun solche Klagen? Weil er offenbar nicht glaubt, dass seine Mahnungen ausreichen, schickt er den Erbmarschall Hans Löser nach Brabant. Zugleich fordert er den Prinzen in einem "Memorial" auf, alles für die christliche Eintracht mit Anna zu tun. Er wisse aus eigener Erfahrung, "dass im Ehestand einer dem anderen viel zu gut halten und sonderlich mit den Weibsbildern als schwachen Gefäßen oftmals Geduld müsste gehabt werden". Was Anna betreffe, so "könnte wohl auch sein, dass sie von Natur etwas hitziger und heftiger wäre, wir wie dann selbst von Kindheit auf an ihr gemerket, dass sie zum Zorn her geneigt".

Der Prinz von Oranien will sich das Wohlwollen seines Schwiegervaters nicht verscherzen. Am 26. Juni 1565 schreibt er ihm, dass er "die Gnad, Ehr und Freundschaft […] nicht gering acht", die er ihm mit dieser Heirat bewiesen habe. Damit August erfahre, dass er keinen Hass oder Groll gegen seine Frau hege, habe er den Herrn Löser gebeten, mit den Personen zu reden, die täglich um sie sind, um „den rechten Grund zu wissen, woher es kommt, das die Sachen nicht so sind, wie sie sein sollten". Eine hinterlistige Bitte? Seine Diener werden gewiss nichts gegen ihn vorbringen, sie sind ja von ihm abhängig.

Anna hat das Gezischel, das ihretwegen herrscht, in Aufregung versetzt. Am gleichen Tag wie ihr Gemahl schreibt sie gleich zwei demütige Briefe an ihre Zieheltern.

Der herzliebe Vater möge "nicht zweifeln, dass ich […] erkenn, dass diese Ermahnung niemand besser kommt als zu meinem selbst Nutzen und Frommen, und wär' mir leid, dass ich sollt leben, [wenn] meine Freund und Verwandten sollten Schand' und Betrübung von mir haben". […] "Ich wollt viel lieber tot sein."

Im Dezember 1565 geraten Anna und ihr Gemahl vor dem Hofstaat und den Gästen heftig aneinander. Ein Informant berichtet dem Minister Granvelle: Seines Herrn „häusliches Leid ist so arg und allgemein bekannt, dass jedermann davon spricht. Seine Frau flucht dem Geschlecht, in das sie versetzt wurde“. All das Geschwätz rundum ist demütigend und peinlich für beide, aber die folgenden Ereignisse zeigen, dass Anna sich nicht ändert. Ihre schwierige Wesensart, die Missklänge am Hof von Breda, ihre zunehmende Uneinigkeit mit Wilhelm wie auch die Belastung durch die Schwangerschaften machen ihr das unmöglich. An Wilhelms Hof gibt es wenige, zu denen sie ein gutes Verhältnis hat und auf deren Meinung sie etwas gibt. Wilhelm gebraucht einen Trick, um seine Frau zur Vernunft zu bringen: Er setzt einen Brief an den Kurfürsten auf, in dem er sich bitter über Anna beklagt. Sie habe nicht eingehalten, die was sie dem Marschall Löser gab, , rede hinter seinem Rücken abfällig über ihn und bringe seine deutsche Verwandtschaft in Misskredit. Eines Abends habe sie beim Essen in Gegenwart von Gästen so böse Schmähworte gerufen, dass sich jedermann gewundert habe, dass er das dulde. Diesen Brief liest er Anna vor. Sie gelobt Besserung, und er schickt den Brief nicht ab.

Aber wie lange wird die überaus sensible und reizbare Anna ihr Versprechen halten können? In ihrer depressiven Verstimmung gewöhnt sie sich an, schon morgens Wein zu trinken und sich vor dem Schlafengehen einen Schlummertrunk zu gönnen. Es ist schwer zu sagen, wieviel Mitschuld Wilhelm von Oranien trägt, dass ihre Ehe zunehmend in die Brüche geht. Nach ihrer Hochzeit hat sie jedes Jahr ein Kind bekommen, jetzt ist sie seit drei Jahren nicht mehr schwanger, auch das könnte ein Hinweis auf ihre eheliche Disharmonie sein.

Im Januar 1566 beschwert sie sich in einem verzweifelten Brief an ihren Onkel Wilhelm in Kassel über ihren "herzlieben Herrn und Gemahl". Sie erwägt sogar ihre Trennung – ein unerhörter Gedanke damals – und äußert Selbstmordgedanken. Er antwortet ihr postwendend und predigt ihr wiederum nur das Übliche: Sie solle sich „in allen Dingen gehorsam zeigen, ihm nachgeben, sich verschwiegen, freundlich und holdselig gegen ihn beweisen“. Es könnten nur „etliche leichtfertige Leute" schuld sein, die sich bei ihm einschmeicheln wollen. Sie solle sich die schweren Gedanken aus dem Kopf schlagen und fleißig die Heilige Schrift lesen.

Ein schlimmes Unglück überschattet zusätzlich ihre Ehe. Im März 1566 stirbt im Alter von 15 Monaten der kleine Moritz, ihr ganzer Stolz. Sonderbar, in Annas Post ist darüber kein Zeichen der Trauer zu finden. Es ist, als stelle sie sich aus Selbstschutz nicht dem Herzweh um ihr Söhnchen, als versuche sie, solche schmerzhaften Emotionen zu verdrängen. Immer häufiger zieht sie sich von allen zurück. Zu der Zeit schreibt sie ihrem Onkel, sie habe sich ihrem lieben Gemahl und seinen Verwandten gegenüber zwar immer entgegenkommend verhalten, aber leider sei all ihre Mühe umsonst gewesen. Daran seien nur "böse Mäuler" schuld, die ihrem Gemahl "alle Tag neue Dinge einblasen, auf dass sie mögen Unfried' machen". Die Rede ist von Dienern, mit denen sie Ärger hat. Immerhin gibt es noch Gemeinschaft mit ihrem Ehemann. Als ihr Onkel Wilhelm eine Prinzessin aus Württemberg heiratet, schreibt sie ihm, darum "schickt auch mein freundlicher, herzlieber Herr und Gemahl E. L. die Pflanzen von den Rosen und Jasminen, auch von andern Blumen, so man hierzuland hat und wünsche, dass. e. L. mögen Lust und Freud' daran haben".

Für Wilhelm von Oranien sind die häuslichen Probleme eine außerordentliche Belastung, denn sein Leben ist sehr angespannt. Er ist ein diplomatischer Fürsprecher der reichen holländischen Patrizier und Adligen, die immer weniger gewillt sind, sich der spanischen Krone zu fügen. Oft muss er sich in seinen Provinzen aufhalten, wo der Hass gegen das Königreich Spanien heftig gärt. Dort verfolgt man mit hämischer Freude, wie die Ehe ihres Statthalters mit der sächsischen Protestantin in die Brüche geht. Dennoch versucht Wilhelm immer noch, mit seiner psychisch angegriffenen Frau in Eintracht zu leben.

Die Flucht nach Dillenburg

Im Februar 1566 verlangen niederländische Edelleute in einer Petition die Abschaffung der Inquisition und der Protestantenverfolgung und fordern die Erneuerung ihrer ständischen Freiheiten. Hunderte von Adligen schließen sich im Geusenbund zusammen. Wilhelm von Oranien ist einer ihrer Anführer. Herzog von Alba, bekannt für seine gnadenlose Energie, zieht mit 15.000 Soldaten und ausgedehnten Vollmachten gegen die aufmüpfigen Niederlande zu Felde, um deren Widerstand zu brechen. Durch ein Sondergericht, den sogenannten Blutrat von Brüssel, lässt er mehr als 6000 Aufständische hinrichten. Diese unmenschlichen Aktionen provozieren neue Aufstände, die das ganze Land erfassen. Von den Statthaltern wird ein Treueeid auf die spanische Krone verlangt. Wilhelm von Oranien verweigert ihn, keine Gewalt kann ihn dazu zwingen. Damit würde er seine Freunde, seine Gemahlin und sich selbst zur Schlachtbank führen.

"Der König würde nach den Niederlanden kommen, und er kenne den König. Der König würde es nimmermehr dulden, dass einer von seinen Dienern eine Lutheranerin zur Gemahlin habe, und darum habe er beschlossen, sich mit seiner ganzen Familie freiwillig zu verbannen."

Es ist ein schwerer Entschluss für ihn, mit seiner Familie die Niederlande für lange Zeit, vielleicht für immer zu verlassen. Mit seiner Flucht verliert er seine hiesigen Besitzungen, doch es gibt kein Zögern, es geht ums Überleben. Unverzüglich tritt er aus dem Dienst des spanischen Königs. Von nun an will er vom Ausland her für die Freiheit der Niederlande kämpfen. Die Zeit des Redens und Bittens ist vorbei, nur an der Spitze eines Heers kann er hoffen, im Sinne der Niederlande auf die politische Entwicklung einwirken und die spanischen Feldherren besiegen zu können. Vergeblich versucht er, die Grafen Egmond und Hoorn zu überzeugen, es ihm gleichzutun.

In gebotener Eile beginnen Wilhelm und Anna ihren Flucht aus Breda vorzubereiten. Da es nur eine Frage der Zeit ist, dass all ihre Güter beschlagnahmt werden, wird Wagen auf Wagen mit wertvollen Teppichen, feinem Geschirr und all dem anderen beladen, was den Spaniern und ihren Vasallen nicht in die Hände fallen soll. Als einziger von ihren Verwandten hat ihr Onkel, Landgraf Wilhelm in Kassel, ihr in seinen Briefen im Gegensatz zu ihren Dresdner Pflegeltern immer wieder sein gütiges Verständnis bewiesen. Nicht umsonst trägt der gebildete Fürst den Beinamen "der Weise". Der Sternenkatalog aus seinem Observatorium ist doppelt so genau wie der des Astronomen Tycho Brahe, der als der größte Sternenkundler seiner Epoche gilt. In ihrer letzten Nachricht aus Breda teilt Anna ihm mit, dass sie wieder mit einer Leibesfrucht gesegnet sei.

Am 23. April 1567 setzt sich eine mit Pferden bespannte Wagenkolonne nach der hessischen Burg Dillenburg in Bewegung. In der Kutsche hängen Anna und Wilhelm stundenlang ihren sorgenvollen Gedanken nach. Trotz aller äußeren Pracht ist Anna in Breda nur kurze Zeit glücklich gewesen. Sie hat sich danach gesehnt, das 'gottlose Volk' der Niederlande zu verlassen, doch auch die Zukunft verheißt nichts Gutes. Bei der Stippvisite auf der Burg nach der Hochzeit hat sie die Mutter ihres Mannes Juliana, geborene Gräfin zu Stolberg, und einige seiner Geschwister kennengelernt. Seitdem sind ihre Gefühle zwiespältig. Wilhelm von Oranien sitzt mit sorgenvoller Miene neben ihr. Ihn bedrückt die Ungewissheit, wie er künftig die politischen Kämpfe in den Niederlanden erfolgreich in Gang bringen und sich gleichzeitig um seine Familie kümmern kann.

Ihnen gegenüber sitzt seine zehnjährige Tochter Maria aus der ersten Ehe, die seit dem Tod ihrer Mutter zur Erziehung am Hof der Statthalterin Margarethe von Parma untergebracht war. Wilhelm hofft, dass sie schnell in Dillenburg heimisch wird, und vertraut dabei auf seine Mutter. Bekümmert denkt er an seinen zwölfjährigen Sohn Philipp, der an der Universität Leuven studiert. Er hat ihn in Flandern zurückgelassen, wo er ihn sicher glaubt. Später wird er erfahren, dass sein Sohn entführt und als Geisel nach Spanien gebracht worden ist. All seine Proteste werden zwecklos bleiben. Wie betrübt wäre er erst gewesen, hätte er damals schon gewusst, dass er seinen Sohn nie wiedersehen würde. Erst lange nach seinem Tod darf sein Erstgeborener wieder holländischen Boden betreten.

Mit ihrem Tross machen Wilhelm und Anna Zwischenstation im Schloss Siegen, wo es Anna gut gefällt. Hier findet Wilhelm Zeit, sich seiner hochschwangeren Frau zu widmen, und sie kommen sich wieder näher. Er sieht es als seine Pflicht an, so für sie zu sorgen, dass sie ihrem Stand und Herkommen gemäß leben und auskommen kann. In diesem Sinne schreibt er an seinen Schwiegervater, "was er in jetziger Zeit habe und künftig noch zuwege bringen könne, wolle er zum Besten seiner Gemahlin und seiner Kinder gern und willig anlegen. Aber es fehle auch an diesem Geringsten.“ Wie wird sich künftig Annas Pflegevater Kurfürst August verhalten? Wird er Wilhelm von Oranien als Verfolgten und später sogar Geächteten weiterhin seine hilfreiche Hand reichen, die er und Anna gerade jetzt dringend brauchen?

Auf der Dillenburg, Residenz der Grafschaft Nassau-Dillenburg, Wilhelms Geburtsort, erwartet sie im Vergleich zu Breda ein bescheidenes Leben. Aber die Familie hat ihr Möglichstes getan, dass sie sich wohlfühlen können. Wilhelms zwei Jahre jüngerer Bruder Johann ließ allerhand Räume für die Ankömmlinge herrichten. Am 14. November 1567 bringt Anna hier einen gesunden Sohn zur Welt. Sie geben ihm wieder den Namen Moritz. Für kurze Zeit scheint sich das Paar wieder eng verbunden zu fühlen. Auf dem Fest zur Taufe ihres Sohnes trübt eine Hiobsbotschaft die festliche Stimmung: Alle ihre Güter hat die spanische Krone beschlagnahmt. Wie froh und stolz wären sie in dieser Situation gewesen, hätten sie gewusst, dass ihr eben getaufter Sohn in den Niederlanden einstmals hohe Ämter bekleiden und die Armee anführen würde!

Anna fällt es schwer, auf der Burg Fuß zu fassen. Beim ersten gemeinsamen Essen nach ihrer Ankunft ist bemerkt worden, dass sie drei Maß Wein getrunken hat, Wilhelm dagegen nur zwei Maß. Sie fühlt sich ständig kritisch beobachtet, ist mit ihren Nerven am Ende und unverträglich, ja sie droht, wie schon in Breda, wieder mit Selbstmord. In einem Brief schreibt Wilhelms Schwägerin, die Gräfin Elisabeth von Leuchtenburg, 'die Person' stelle sich derart an, dass es nicht zu glauben sei, schon morgens nehme sie ein Maß Wein, nachmittags auch wieder und abends einen Schlaftrunk.

Wilhelm hofft auf einen guten Rat ihrer Verwandten. Er kennt die vorurteillose Haltung ihres Großvaters, der seinen Söhnen noch auf dem Sterbebett ans Herz gelegt hatte, sich um Anna zu kümmern. Und so sendet er einen Bevollmächtigten mit Instruktionen zu ihrem Onkel Wilhelm wie auch zu ihrem Pflegevater Kurfürst August. Das zeigt Wirkung. Aus Kassel reisen zwei Ratgeber an, und der Kurfürst schickt seinen Oberhauptmann Erich Volkmar von Berlepsch nach Dillenburg. Aber die sonst so unausgeglichene Anna genießt damals gerade die so seltene längere Anwesenheit ihres Mannes und die Freude über ihren kleinen Sohn. Darum ist sie ist zu dieser Zeit ausgeglichen und verträglich, ja sogar lustig, so dass Berlepsch auf die vom Kurfürsten angeordnete scharfe Ermahnung zu christlicher Eintracht mit ihrem Gemahl verzichtet. Anna verfasst freundliche Briefe nach Dresden.

E. G. sollen [...] meinen Herrn und Gemahl, mich samt unsern Kindern [...] noch so in ziemlicher Leibesgesundheit wissen, und wiewohl dass wir das Unglück, darin wir nun stecken, also den Vorlust von allen unsern Gütern und darnach die Schmähung, so man meinem Herrn und Gemahl antuet und alle die böse Zeitungen [Nachrichten], die wir täglich noch hören, die welche uns unser Unglück täglich erneuern, so als Berlubs [Berlepsch] Euer Gnaden wird ferner berichten, fallen bis in den Grund von unsern Herzen. So hoffen wir, daß Gott der Allmächtige soll [...] an seine Barmherzigkeit denken und der unmenschlichen Tyrannei [...] wehren, die in den Niederlanden geburdt [herrscht]. [...]. Datum Dillenburg, den 30. Martii 1568"

Politisch jagt eine Schreckensnachricht die nächste. Wilhelm erfährt, dass Graf Egmond und Admiral Hoorn, seine Mitstreiter im Widerstand gegen die spanische Herrschaft, am 5. Juni 1568 auf dem Marktplatz von Brüssel enthauptet worden sind. Egmonds Frau hat den Blutherzog Alba auf Knien vergeblich um das Leben ihres Gatten angefleht. Wilhelm hätte das gleiche Schicksal erlitten, wenn er nicht rechtzeitig geflohen wäre. Die Situation ist für ihn und seine Familie äußerst schwierig, aber sie sind zumindest in Sicherheit vor den spanischen Schergen, und so ist ihre Verbundenheit und ihr gegenseitiges Verständnis gerade in diesem ersten Jahr nach der Flucht am größten. Auch Annas erneute Schwangerschaft spricht dafür. Aber sie beklagt sich ständig übers die Dillenburger. Täglich bekomme sie zu hören, sie sei die Ursache seines "Verderbens" und des ganzen Hauses Nassau. Für Moritz ist es eine ständige Pein, dass Anna mit seiner Familie, die es ihnen doch so angenehm wie möglich zu machen versucht, nicht zurechtkommt. Er kann seine Frau im Grunde nicht von Mitschuld freisprechen. Noch dazu gibt es vieles anderes, das ihm am Herzen liegt. Er ist eisern entschlossen, den Kampf gegen die spanische Oberherrschaft aufzunehmen und zu organisieren. Das fordert seinen vollen Einsatz. Um zunächst ein Heer von 20.000 Reitern aufzustellen, muss er sich bei allen wohlwollenden Fürsten um Unterstützung bemühen. Um die nötigen Mittel aufzubringen, verpfändet er, was ihm geblieben ist, darunter Silbergeschirr , ja sogar Tapeten.

Im August 1568 macht er sich auf nach Brabant zum ersten großen Feldzug gegen Spanien. Ständig unterwegs, ist es ihm oft monatelang nicht möglich, sich um Anna zu kümmern. Für seine Ehe hat das verhängnisvolle Folgen. Unter seinen Verwandten fühlt sich die Vierundzwanzigjährige ohne ihn so fehl am Platz wie ein Fasan auf einem Hühnerhof. Auf der Dillenburg leide sie unter der "verächtlichen Gängelei", wie sie schreibt. Die scheelen Blicke, die Gesten, die herabgezogenen Mundwinkel – Anna registriert alles genau. Sie fühlt sich missachtet und ungerecht behandelt – eine unablässige Tortur für ihr labiles Selbstwertgefühl und ihr hohes Standesbewusstsein. Sie ist nicht imstande, Wilhelms Angehörigen einiges nachzusehen und ihnen freundlich entgegenzukommen, sondern kehrt ihre wehrhaften Stacheln heraus oder verkriecht sich grimmig gelaunt in einen Abwehrpanzer, der die notgedrungene Gemeinschaft schwer belastet. Es ist ein Teufelskreis: Je misstrauischer und widerborstiger Anna ist, umso argwöhnischer wird sie beobachtet und behandelt.

Am 18. Mai 1569 klagt sie in einem Brief an Kurfürst August, in Dillenburg verhalte man sich so, „als ob ich meines Herrn Buhlschaft und nicht eheliche Frau wäre“ [...], „das welches dann niemand übler kommt als meinen armen Kindern". Weil man ihr mit solchem Unwillen "zu Diensten" sei, wollte sie „lieber wohl Salz und Brot essen als länger so gequält zu sein“ und „lieber hundert Meilen ferner von sie“ sein als ihnen nahe zu kommen.

Der Ausdruck "zu Diensten"