Es weihnachtet sehr - Helga Gurtner - E-Book

Es weihnachtet sehr E-Book

Helga Gurtner

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Beschreibung

20 Kurzgeschichten rund um Weihnachten, die auf persönlichen Betrachtungen der Autorin beruhen und die, sofern sie nicht schon irgendwann irgendwo in der Form passiert sind, es wert wären, wahr zu werden.

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Prolog:

Die Autorin hat hier einige Geschichten rund um Weihnachten zusammengetragen, die allesamt aus ihren Beobachtungen entstanden sind und die, falls sie sich nicht schon irgendwann irgendwo in der Form ereignet haben, es wert wären, wahr zu werden.

FROHE WEIHNACHTEN

UND EIN GLÜCKLICHES NEUES JAHR

DAS SCHÖNSTE AN WEIHNACHTEN SIND DIE LEUCHTENDEN AUGEN DER KINDER

20 KURZGESCHICHTEN

RUND UM WEIHNACHTEN

INHALTSVERZEICHNIS

Der Weihnachtsmuffel

Der alte Tannenbaum

Weihnachten fällt aus

Der traurige Weihnachtsmann

Das Weihnachtsbaby

Cookie kehrt heim

Weihnachten in Australien

Die kleine Schneeflocke

Besuch auf dem Weihnachtsmarkt

Katze Ninas erste Weihnachten

Die Weihnachtshunde

Weihnachten - wie es früher war

Das perfekte Geschenk

Das Christkind kommt zu Leila

Der Weihnachtsengel

Nachts im Kellerstübchen

Das verlorene Jesuskind

Die einsame alte Frau

Die Leere nach dem Weihnachtsfest

Christkind im Caritasheim

DER WEIHNACHTSMUFFEL

Als wir uns zum ersten Mal begegneten, nahm ich vage wahr, dass er mich immer wieder verstohlen von der Seite ansah. Was mochten sich bloß hinter seiner gerunzelten Stirn für merkwürdige Gedanken eingenistet haben. Ich sah ihm direkt in sein von Falten zersägtes Gesicht mit den graublauen Augen, umrahmt von ungepflegten, langen, grauen Haarsträhnen und einem ebensolchen Bart. Er trug einen alten schäbigen Tweed-Mantel, dessen beste Zeit längst vorbei war und der, weil keine Knöpfe mehr vorhanden waren, den Blick freigab auf eine viel zu große Hose, die mit einer Schnur zusammengebunden war. Das graugrüne Hemd war sicher einmal bunt kariert und die Hose hatte bestimmt auch einmal besser ausgesehen. Die Schuhe, die er trug, waren früher einmal dunkelblaue Sportschuhe mit weißen Streifen gewesen, doch jetzt sahen sie verblasst und dreckig aus. Er war mager und streckte mir seine knochige Hand entgegen, die einen alten, zerschlissenen Hut in der Hand hielt. Darin befanden sich ein paar Geldstücke und mehrere Scheine.

Ich kramte in meiner Handtasche nach meiner Börse, öffnete sie und fand darin mehrere Münzen, die ich in seinen Hut warf. Er musterte mich, bedankte sich mit den Worten: „Küss die Hand, gnädige Frau. Vielen Dank. Gott segne sie!“ Verlegen stand ich da und wusste nicht, was ich erwidern sollte. Also nickte ich und ging eiligen Schrittes davon.

Der Anblick des Bettlers ließ mich nicht mehr los und ich blickte mich immer wieder nach ihm um. Er lehnte an einer Mauer eines Geschäftes, das weihnachtlich geschmückt war. In der Auslage stand ein Weihnachtsmann, der einen Sack voll Geschenke in seiner Hand hielt. Vom oberen Fensterrand hingen weiße Weihnachtssterne, die gleißendes Licht verbreiteten. Am Boden der Auslage waren Wattebausche ausgelegt, die den Schnee darstellen sollten. Einige Päckchen - in goldenes Weihnachtspapier gewickelt – lagen darin. Es war ein Spielwarengeschäft. In der Adventzeit hatten die Verkäufer wohl Hochsaison. So viele Kinder wollten beschenkt werden.

Daneben gab es eine Konditorei, wo neben den üblichen Torten und Backwaren auch Weihnachtsbäckerei angeboten wurde. Ein paar Tische und Sessel luden die schwer beschäftigten Weihnachtseinkäufer zum Verweilen ein. Hier gönnte man sich eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen, bevor es weiter ging. Schließlich musste man ja noch ein Geschenk für die beste Freundin finden, oder für eines der beiden Kinder, oder ……..

Man hatte doch so viele zu beschenken. Schließlich wollte man ja niemanden verletzen. Und es war nicht leicht, in einer Zeit, in der jeder alles hatte, jemandem etwas zu schenken, was er nicht schon im Überfluss zu Hause hatte und womit man auch wirklich Freude schenkte.

Viele Menschen waren achtlos an dem Bettler vorbeigegangen, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn, ihm eine Münze in den Hut zu werfen. Es waren meistens ältere Leute, denen man ansah, dass sie daheim nichts im Überfluss hatten, die anhielten, um ein paar Geldstücke aus dem alten zerschlissenen Börserl zu kramen.

Eine alte Frau, die sich schwer auf ihren Stock stützte, blieb stehen und sprach den Mann an: „Mit ihnen hat es das Schicksal auch nicht gut gemeint, was?“ Er nickte und bedankte sich höflich für die Spende. Sie blieb stehen, musterte ihn und sagte: „Da plagt man sich sein ganzes Leben ab und was bleibt einem dann zum Schluss?“

Der Bettler wartete geduldig ab, dass sie fortfahren möge, doch sie schüttelte nur den Kopf und schlenderte langsam davon.

Es war eine lange Einkaufsstraße gegenüber der U-Bahnstation, in der der Mann stand. Alle Geschäfte waren bunt beleuchtet, strahlten um die Wette und lockten die zahlreichen Besucher an, die ihre Weihnachtseinkäufe tätigten. Da waren auch eine Reihe weihnachtlich geschmückter Stände, in denen VerkäuferInnen mit gestrickten Handschuhen ohne Fingerlinge standen, damit es ihnen in den Fingern nicht so fror, denn es war ein nasskalter Dezembertag, der erste lange Einkaufs-Samstag im Advent und selbst die vielen Lichter konnten einen nicht erwärmen. Da war ein Punschstand, der für caritative Zwecke verkaufte und einer, der bunte Kerzen feilbot. Ein anderer Stand verkaufte Weihnachtsdekoration, wieder ein anderer hübsche bunte Wollmützen und Handschuhe, dazu die passenden Schals. Ein Stand bot Bücher, DVD´s und CD´s an. Es gab noch einen Stand mit selbst hergestellten Holzfiguren und Tischdekorationen, sowie Adventkränzen, die aus einer geschützten Werkstatt stammten. Ein anderer Stand wiederum bot bunte Pullover an, die von fleißigen Hausfrauen selbst gestrickt worden waren. In einem geschützten Hauswinkel stand ein Maronibrater, der auch gebratene Erdäpfel verkaufte. Ich nahm mir eine Tüte frischer, warmer Maroni mit, auf die ich mich stets ein ganzes Jahr freute, denn die gab es hier nur in der Weihnachtszeit.

Ich sah mich um und mir schoss ein Gedanke durch den Kopf. Ich verglich die Menschen mit Jägern, die nach einer Beute jagten und nicht eher aufgaben, bis sie sie erlegt hatten. Genauso verhielten sie sich doch, nicht wahr?!

Langsam schlenderte ich die Straße entlang. Früher, so erinnerte ich mich, war auch ich vom Jagdfieber getrieben durch die Geschäfte geeilt, um für alle ein passendes Weihnachtsgeschenk zu finden. Auch ich hatte mich einmal durch die Menschenmengen gekämpft, war in überhitzten Kaufhäusern herumgerannt und war dann abends todmüde ins Bett gefallen, nachdem mir die Erkenntnis gekommen war, dass ich nicht einmal die Hälfte meiner Einkäufe erledigt hatte. Also, auf ein Neues am nächsten Einkaufssamstag. Doch seit ein paar Jahren ist es damit vorbei. Ich habe mit meinen Angehörigen und FreundInnen vereinbart, dass wir uns nicht mehr beschenken. Es war doch viel wichtiger, Zeit miteinander zu verbringen, denn man wusste ja nie, wieviel Zeit man noch hatte. Ich sage das aus Erfahrung, denn in den letzten Jahren habe ich viele wertvolle Menschen verloren, die mir viel bedeuteten. Einige waren noch sehr jung, als sie für immer gingen und einige hatten einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie endlich erlöst wurden.

Also war Weihnachten ab sofort kein Konsumrausch mehr für uns, sondern ein friedliches Miteinander bei einem schön geschmückten Weihnachtsbaum, einem guten Abendessen und in familiärer Runde. Keiner von uns ließ sich mehr von dem hektischen Treiben rundherum anstecken. Deshalb flanierte ich durch die hell erleuchteten Geschäftsstraßen ohne Eile, denn der Christbaum stand in unserem Garten. Mein Mann musste ihn nur noch absägen. Der Baum hatte ein paar Jahre gebraucht, bis er groß genug war, uns als Weihnachtsbaum zu erfreuen. Wir würden, wie in jedem Jahr, dann wieder einen neuen kleinen Baum pflanzen, der uns in ein paar Jahren Weihnachten verschönern sollte.

Als ich an diesem Tag nach Hause kam, erzählte ich meinem Mann von dem Bettler. Zunächst wollte er abfällig und vorschnell über ihn urteilen, doch ich sagte: „Man soll niemanden vorverurteilen. Man weiß ja nicht, welches Schicksal er zu tragen hat. Jeder, dem ein solches erspart geblieben ist, sollte froh und dankbar sein!“

Er murmelte noch etwas in seinen Bart hinein, drehte sich um und widmete sich wieder seinem Computerspiel. Wie gut wir es doch hatten. Ein kleines Haus mit Garten, wunderbare neue Möbel, Zwei Fernseher und zwei Computer. Ein tolles Auto in der Garage und was viel mehr wog, wir hatten genug zu essen. Wenn wir auch so manches Problem hatten, wir lebten nicht schlecht. Wir mussten nicht frieren und wir hatten ein warmes weiches Bett. Um wieviel schlechter ging es da dem armen Mann, der tagtäglich in der Einkaufsstraße stand, um sich das Nötigste zum Leben zu erbetteln.

Ich beschloss, am nächsten langen Einkaufs-Samstag noch einmal die Fußgängerzone entlang zu schlendern und Eindrücke zu sammeln. Auch wollte ich nach dem Bettler Ausschau halten. Diesmal würde ich ihn ansprechen und ihn zu einem Imbiss einladen. Ich war neugierig und wollte wissen, wie es dazu gekommen war, dass er auf der Straße lebte und seinen Lebensunterhalt erbetteln musste.

Tatsächlich stand er wieder vor der U-Bahnstation, angelehnt an die Mauer des Geschäftes. Diesmal hatte er eine Mütze auf dem Kopf und gestrickte Handschuhe an seinen Händen. Unter dem Mantel trug er einen abgetragenen Pullover.

„Gott sei Dank“, dachte ich bei mir. „Er ist heute wärmer angezogen. Der erfriert ja sonst noch.“ Die alten, abgetragenen Sportschuhe hatte er durch Stiefel ersetzt, die zwar jämmerlich aussahen, aber dafür bestimmt wärmten, denn man konnte deutlich am herunterhängenden Schaft sehen, dass sie gefüttert waren. Der Zipp an seinem linken Stiefel war nur bis zur Hälfte geschlossen. Er war wohl kaputt. Ich stand ein wenig unschlüssig vor ihm. Sollte ich ihn tatsächlich ansprechen? Was wenn er zu stolz war, um meine Einladung anzunehmen? Einerseits schämte ich mich für meine Feigheit, andererseits – was würden die Leute von mir denken, wenn ich plötzlich mit einem Bettler in einen Imbissladen kam? Sollte ich ihm vielleicht nur etwas Geld geben, damit er sich selbst versorgte? Schon wollte ich weitergehen, da sagte er plötzlich zu mir: “Sie sehen aus, als bedrücke sie etwas.“

„Nein, ich“ …. stotterte ich. Er wartete geduldig, bis ich weitersprach. „Ich wollte sie eigentlich zu einem Imbiss einladen! Endlich war es heraus. Er sah mich staunend an. Dann entgegnete er: „Das wäre furchtbar nett. Ich habe schon mächtigen Hunger!“

Er hob seinen auf dem Boden liegenden Hut auf, nahm die Münzen und Geldscheine heraus, steckte sie in seinen Mantelsack und folgte mir. Um die Ecke war ein großer Marktplatz mit vielen Obst- und Gemüseständen, einigen Fleischhauern und einem kleinen Imbiss. In diesen dirigierte er mich. Es gab dort heiße Klobasse und Frankfurter mit Senf und frischem Brot. Da standen ein paar Tische, wo man sein Papiertablett mit Wurst und Brot auflegen konnte. Sessel gab es keine. Ich fragte ihn, was er essen wolle und bestellte für uns beide. Als ich nach dem Getränk fragte, sagte er, er würde gerne ein Bier trinken. Also holte ich noch ein Krügel Bier und ein Mineral. Ich bezahlte und gesellte mich zu ihm an den Tisch. Während er sich hungrig auf seine Wurst stürzte, fragte ich ihn nach seinem Namen.

„In meinem früheren Leben hieß ich Gerhard Bucher. Aber jetzt bin ich für alle nur noch der Geri. Verraten sie mir auch ihren Namen?“ Ich nannte ihn und fragte vorsichtig weiter, ob er denn bei der Kälte ein ordentliches Nachtquartier hatte. Er erzählte mir, dass er jede Nacht in die Gruft – einer Caritaseinrichtung für obdachlose Menschen - schlafen kam. Dort bekam man auch eine warme Suppe und ein wenig Brot und Wurst. Am Morgen gab es Kaffee und Butterbrot. Danach musste man die warme Stube wieder verlassen. Eine Möglichkeit zur Körperhygiene gab es dort auch und man konnte sich warme Kleidung besorgen.

Ich fragte ihn, wie er seine Tage verbrachte. Er erzählte mir, dass er zunächst herumstreifte, um sich warmzuhalten und am Nachmittag suchte er dann seinen Stammplatz neben der U-Bahnstation auf, denn nachmittags kamen die Leute einkaufen und waren einigermaßen spendierfreudig, besonders weil Weihnachten nahte und man sich irgendwie schuldig fühlte, dass es einem gut ging, während andere Menschen hungerten und nichts hatten, als das, was sie auf ihrem Leib trugen.

Ich bat ihn, mir aus seinem früheren Leben zu erzählen. Er zögerte, doch dann begann er:

„Ich hatte eine wunderschöne Frau und einen kleinen Jungen. Meine Frau war Krankenschwester und ich arbeitete als Verkäufer in einer großen Firma. Als mein Sohn drei Jahre alt war, wurde er krank. Er fieberte und wir brachten ihn ins Krankenhaus, doch die Ärzte konnten ihn nicht heilen. Er hatte Gehirnhautentzündung nach einem Zeckenbiss und lag einige Wochen im Koma. Als er erwachte, war er schwer behindert. Seine Pflege kostete viel Geld, das wir nicht hatten. Ich nahm einen Kredit auf. Meine Frau blieb zu Hause und kümmerte sich um unseren Sohn. Ich selbst verlor meinen Job, weil meine Umsätze stark nachließen. So sehr ich mich auch bemühte, eine neue Stelle zu finden, es gelang mir nicht. Entweder war ich zu alt, oder zu qualifiziert. Es gab immer einen Grund mich abzulehnen. Manche Firmen fanden es nicht einmal nötig, mir zu antworten. Das AMS schickte mich zu diversen Firmen, die mich allesamt nicht beschäftigen wollten, als ich von meinem Sohn erzählte. Das Arbeitslosengeld wurde immer weniger. Das Pflegegeld für meinen Sohn konnte unsere Situation auch nicht verbessern. Ich war verzweifelt und begann zu trinken. Dann kam Weihnachten und wir hatten nichts, was wir unserem Sohn unter den Christbaum legen konnten, denn wir hatten schon überall Schulden. Ich konnte und wollte kein Weihnachtsfest mehr feiern. Weder mit ihr und unserem Sohn, noch mit ihren Eltern. Ich selbst hatte Vater und Mutter schon früh verloren und es war kurz vor Weihnachten passiert. Sie kamen bei einem Autounfall ums Leben. Seit damals war ich stets ein Weihnachtsmuffel gewesen. Erst als ich meine Frau kennenlernte und wir unseren Sohn hatten, spielte ich den beiden zu Liebe mit, doch im Inneren meines Herzens hasste ich Weihnachten.“ Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas und fuhr fort: „Es kam, wie es kommen musste. Eines Tages, als ich betrunken nach Hause kam, lag ein Zettel auf dem Küchentisch. Darauf stand, dass mich meine Frau mit meinem Sohn verlassen hatte. Ich sollte nicht nach ihr suchen, denn sie wollte nichts mehr von mir wissen. Nun ließ ich mich noch mehr gehen. Einige Zeit später flatterte die Scheidungsklage in meinen Postkasten und als ich, nicht ganz nüchtern, im Gerichtssaal erschien, dauerte es keine fünf Minuten, bis ich geschieden und ein freier Mann war. Das Sorgerecht für meinen Sohn bekam natürlich meine Frau.