Die Wut im Bauch - Helga Gurtner - E-Book

Die Wut im Bauch E-Book

Helga Gurtner

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Beschreibung

Das Buch ist eine Autobiographie. Es beschreibt mein Leben mit der großen Aufgabe, ein behindertes Kind und eine demente Mutter zu betreuen, bei der ich manchmal an meine Grenzen stoße. Das Buch zeigt auch die verschiedenen Verhaltensweisen an, wie mit der Herausforderung umgegangen wird - in der Hauptsache der Unterschied zwischen meinem Mann und mir. Letztendlich soll es aber auch allen, die ebensolche Schicksale durchleben, Mut machen. Es gibt immer einen Weg, man muss sich nur seinem Schicksal stellen, es akzeptieren und das Beste daraus machen!

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Als ich noch täglich brav zur Arbeit fuhr, wie Milliarden anderer Menschen auf unserem Kontinent, hatte ich mir vorgenommen, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben, nicht zuletzt deshalb, weil ich mir meinen ganzen Kummer von der Seele schreiben möchte, denn ich habe einiges aufzuarbeiten.

Nunmehr, mit 63 Jahren - ich habe soeben erst Geburtstag gefeiert - mache ich mir endlich Luft, damit ich wieder frei atmen kann, denn der Druck, der schon jahrelang auf meiner Seele lastet, hindert mich beim Atmen und lässt meine Schultern nach vorne abhängen, sodass ich seit Jahren mit übermäßigen Verspannungen kämpfe, die man weder mit Physiotherapie noch mit Medikamenten bekämpfen kann. Trotzdem bin ich, so paradox dies auch klingen mag, bis heute Optimist und finde an jeder Situation etwas Positives, ganz im Gegensatz zu meinem Mann, der sich mehr und mehr selbst aufgibt, in Allem nur Negatives sieht und sich in Krankheiten flüchtet, weil er meiner Meinung nach bis heute sein Schicksal nicht akzeptiert hat!

Das Leben hat es nicht sehr gut gemeint mit meinem Mann und mir. Beide haben wir

Inhaltsverzeichnis

„Die Wut im Bauch“

Microcephalie.

„Warum Ich?“

„Slow Down and Take it Easy!“

„DIE WUT IM BAUCH“

Deshalb schreibe ich unsere Geschichte auf, um anderen Menschen zu zeigen, dass man mit jedem Schicksalsschlag fertigwerden kann. Man muss sein Schicksal nur akzeptieren lernen.

Aus Rücksicht auf die Personen, die in diesem Buch beschrieben sind, habe ich keine, bzw. geänderte Namen genannt!

Meine Mutter hat meinen Vater, den sie nie geheiratet hat, verlassen, als ich noch ein Baby war. Angeblich hat er sie mit ihrer Cousine betrogen, während sie mich gerade entbunden hat! Na ja, wenn´s wahr ist, ist das schon ein Grund, ihm den Rücken zu kehren. Trotzdem liebte ich meinen Vater als Kind abgöttisch, ja sogar bis zu seinem Tod. Er wurde 74 Jahre alt. Mein Vater war Schlosser und meine Mutter Hilfsarbeiterin und später Hausbesorgerin.

Als ich etwa vier Jahre alt war, lernte meine Mutter meinen Stiefvater kennen. Anfangs machte er auf mich einen guten Eindruck, er brachte mir immer „Frit-Zuckerl“ mit, die ich so sehr mochte, doch als die beiden geheiratet hatten, lernte ich seinen wahren Charakter kennen. Er war ein Choleriker, der sich zweimal täglich betrank. Ein Muttersöhnchen, der ohne seine geliebte Mutter kaum zurechtkam. Sie starb in dem Jahr, als ihr Sohn 49 Jahre alt geworden war. Da er ihren Tod nicht verwinden konnte, ging er als Lokführer der ÖBB in Pension und gab sich fortan seinem Schmerz hin, indem er dem Alkohol hoffnungslos verfiel.

Es gab viel Streit zwischen meiner Mutter und meinem Stiefvater. Da meine Mutter auch gerne mal ein Gläschen zu viel trank und mit ihren Arbeitskollegen öfter nach der Arbeit ausging, kam es einmal zu einem heftigen Streit, der meine Mutter veranlasste, im Nachthemd zwei Stockwerke in unserem alten Haus hoch zu rennen, in dem wir wohnten, um sich dort aus dem Fenster zu stürzen. Da ich ihr, ebenfalls im Nachthemd, nachlief und sie weinerlich anflehte, sich nicht umzubringen, gab sie ihren Plan schließlich auf, ließ sich willenlos von mir zurück in unsere kleine Wohnung bringen, wo ich versuchte, sie zu beruhigen. Mein Stiefvater hatte in der Zwischenzeit sein Bett mit dem Klo verwechselt und ungeniert hineingepinkelt. Es stank fürchterlich und meine Mutter bekam erneut einen Wutanfall. Sie packte mich, so wie ich war, und wollte mich um ein Uhr nachts zu meinem Vater bringen.

Draußen war es grimmig kalt, Schnee lag und ich trug nur meine Hausschuhe und einen leichten Mantel über dem Nachthemd. Da ich nicht aufhörte zu weinen, nahm sie mich plötzlich in den Arm, strich mir durchs zerzauste Haar und drehte um.

Zu Hause hatte sich der Stiefvater bereits in sein übel riechendes Bett gelegt und schlief sich nun seinen Rausch aus. Meine Mutter, die nicht minder betrunken war, legte sich endlich auch in ihr Bett und schlief sofort ein. Ich verzog mich in mein kleines Kabinett, wo ich bis zum Morgengrauen kein Auge zubekam. Es war einer jener Nächte, derer sollte es noch viele geben, wo ich nur Angst hatte, dass der Streit von neuem aufflammte und wo ich mir wünschte, bei meiner Großmutter bleiben zu dürfen, die ich über alles liebte und der ich von meiner Mutter weggenommen wurde, weil sie zuckerkrank war und sich täglich spritzen musste.

Meine Großmutter war damals mindestens genauso traurig gewesen, wie ich. Die Mutter meines Stiefvaters, die zuvor in dem kleinen Kabinett gewohnt hatte, erreichte schließlich, dass ich in ein Internat gebracht wurde, aus dem ich nur alle paar Wochen nach Hause durfte. Dann schlief ich eine Nacht zwischen meinen Eltern, um dann von meiner Mutter am Sonntag mit der Bahn wieder ins Heim gebracht zu werden. Zu den langen Ferien durfte ich auch etwas länger zu Hause bleiben, doch da die Wohnung nur aus Küche, Zimmer und Kabinett bestand, schlief ich stets zwischen meinen Eltern.

Wir hatten damals einen der ersten Schwarzweiß-Fernseher. Wenn meine Eltern Krimis ansahen, musste ich verkehrt herum liegen, das heißt, ich lag mit den Füßen bei deren Kopf und hatte umgekehrt deren Füße dicht an meinem Gesicht!

Erst als die Mutter meines Stiefvaters verstarb, durfte ich nach Hause. Ich ging damals in die erste Hauptschulklasse und war in einem anderen Internat untergebracht worden, weil es in dem vorherigen keine Hauptschule gab. Es lag näher an unserem Wohnort. Ab der zweiten Hauptschulklasse besuchte ich eine öffentliche Schule, wo ich ein Mädchen kennenlernen durfte, mit dem ich bis heute gut befreundet bin.

Die Schulzeit war, hinterher betrachtet, eigentlich die Zeit, wo ich noch relativ glücklich war, obwohl ich meinen Stiefvater nicht mochte. Eine seiner cholerischen Attacken mir gegenüber hätte um ein Haar schlimm ausgehen können. Er warf mit einem gusseisernen Reindl nach mir, weil ich mich weigerte, die Tomatensoße, in der der Löffel steckenblieb, zu essen. Hätte ich mich nicht geistesgegenwärtig geduckt, hätte es mich getroffen. Nicht auszudenken, wenn es mir auf den Schädel gekracht wäre! Auch sein fettes Szegediner Krautfleisch war jedes Mal eine Strafe für mich, denn die Fettaugen schwammen darin, weil er nur den Bauchspeck vom Schwein dafür verwendete. Da ich mit etwa neun Jahren an einer Lebererkrankung laborierte, die eine der Internatsschülerinnen eingeschleppt hatte und an der das halbe Internat erkrankt war, vertrug ich kein Fett und musste beim Essen sehr aufpassen. Mir war oft schlecht und ich war als zehnjähriges Mädchen so dünn, dass ich auf Erholung geschickt wurde. Doch mein Stiefvater nahm keinerlei Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand. Er konnte es partout nicht ausstehen, wenn ich die von ihm mehr schlecht als recht zubereiteten Speisen nicht essen wollte. Er schrie mich jedes Mal an und erzählte es abends meiner Mutter, die mich ebenfalls maßregelte.

Wir wohnten in einem alten Haus, die Toiletten waren auf dem Gang, es gab kein Wasser in den Wohnungen, das holte man sich ebenfalls vom Gang, aus der Bassena. Eines Tages, ich war etwa 9 Jahre alt, holte ich mit der weißen gusseisernen Kanne, die dafür eigens angeschafft worden war, wieder einmal Wasser vom Gang, das wir für den Abwasch und die Körperhygiene benötigten. Die Kanne war sehr schwer, wenn man sie bis oben hin anfüllte und so kam es, dass sie mir aus der Hand glitt, just als ich die Wohnungstür hinter mir schließen wollte.

Das Wasser ergoss sich auf dem Küchenboden, der mit einem uralten PVC Belag ausgestattet war. Mein Stiefvater war gerade im Dienst. Ich war mit seiner Mutter allein zu Hause. Es war zu jener Zeit, als ich an der Lebererkrankung laborierte und wegen der immer noch möglichen Ansteckungsgefahr noch nicht wieder ins Internat zurückkehren durfte. Die alte Frau schimpfte fürchterlich und ich musste mich auf den Boden knien und mit einem Tuch das Wasser aufsaugen und danach die Küche aufwaschen. Als ich damit fertig war, befahl mir die Alte, die Kanne nochmals anzufüllen. Diesmal gab ich besonders gut acht, damit mir nicht noch einmal ein solches Malheur passierte.

Am Nachmittag kam mein Stiefvater nach Hause, der von seiner Mutter prompt über den Vorfall unterrichtet wurde. Er schrie mich an und drohte mir, auch meine Mutter darüber zu informieren, was er auch tatsächlich tat, als sie wenig später nach Hause kam. Von ihr bekam ich eine schallende Ohrfeige, weil ich es gewagt hatte, ihr zu widersprechen. Sie hatte mir vorgehalten das Wasser absichtlich verschüttet zu haben, um die alte Frau zu ärgern. Es war aber tatsächlich ein ungewolltes Missgeschick gewesen.

Eigentlich hätte ich froh sein müssen, im Internat zu leben, denn dort waren die Hygieneverhältnisse besser und alles in alle Schwestern und Erzieherinnen waren sehr nett, aber auch sehr streng. Wir Kinder halfen sowohl im Haus als auch im Garten mit, wurden katholisch erzogen und hatten gute Lehrerinnen. Es gab auch viele Tiere im Internat. Die Nonnen hielten Schweine und Hühner für den Eigenbedarf des Klosters. Es gab auch zwei Bernhardiner als Wachhunde und sieben Pekinesen zum Spielen. Darüber hinaus gehörten dem Kloster einige Weingärten und ein großer Gemüse- und Obstgarten.

Trotzdem hatte ich stets Heimweh. Mein leiblicher Vater besuchte mich manchmal, aber dann gründete er eine Familie und alsbald stellte sich Nachwuchs ein. Seine Besuche wurden seltener, bis sie schließlich ganz ausblieben. Ich habe eine Halbschwester, die ich allerdings nur ein paar Mal in meinem Leben getroffen habe. Zuletzt beim Notar, als die Verlassenschaft meines Vaters abgehandelt wurde. Einige Male versuchte ich, Kontakt mit meiner Schwester aufzunehmen, doch sie hatte keine Lust und so gab ich es bald traurig, aber geläutert auf.

Bevor mein Vater starb, besuchte ich ihn noch gelegentlich, doch diese Besuche waren nicht sehr häufig und meist auch sehr kurz. Meinen Mann und mein Kind wollte er nicht kennenlernen. Daran war meine Mutter nicht ganz unschuldig. Sie hatte ihn angerufen und meinen Mann als Taugenichts dargestellt. Auch erfuhr er, dass ich einen geistig behinderten Sohn geboren hatte. Da mein Vater die letzten Arbeitsjahre als Schlosser in einem bekannten psychiatrischen Krankenhaus verbrachte, in dem sowohl seine Frau als auch seine Tochter als Krankenschwester tätig waren, war es nur zu verständlich, dass er meinen Sohn nicht sehen wollte. Es tat mir zwar im Herzen weh, doch konnte ich ihn verstehen. Zwei Tage vor seinem Tod besuchte ich ihn ein letztes Mal. Er lag auf der Intensivstation im Krankenhaus. Meine Schwester hatte mich glücklicherweise über den Zustand meines Vaters informiert, sodass ich Abschied nehmen konnte.

Meine Großmutter, die ich über alles liebte, war schwer zuckerkrank - wie schon erwähnt - und musste sich täglich mehrmals Insulin spritzen. Bis zu meinem siebenten Lebensjahr durfte ich bei meiner Großmutter wohnen. Ich half ihr im Haushalt, ging für sie einkaufen und saß oft stundenlang auf ihrem Schoß, sah ihr beim Nähen zu, denn sie nähte damals für viele Leute, um sich mit dem bisschen Geld, das sie dafür bekam, über Wasser zu halten. Sie hatte vier Kinder großgezogen, konnte nicht arbeiten gehen und lebte von den Geldzuwendungen ihrer vier Kinder.

Soweit ich mich erinnere, war meine Großmutter zu ihren Enkelkindern immer sehr lieb und auch spendabel. Sie teilte die letzten paar Schillinge mit ihnen, um ein Eis oder Naschwerk für sie zu kaufen. Neben mir gab es noch meinen Cousin, der bei Oma wohnte. Seine Mutter hatte ihn eines Tages zu Oma gebracht und sich mit den folgenden Worten ihres Kindes entledigt:

„dein Sohn hat mich geschwängert, obwohl ich schon drei Kinder habe. Ich wollte kein viertes Kind. Du bist seine Mutter, also sorge du für seinen Sohn Pauli. Da sind ein paar Windeln und Babynahrung. Mehr habe ich nicht!“

Großmutter stand der Mund offen vor Staunen. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Natürlich nahm sie sich des Kindes an und lief im Haus, in dem sie wohnte, zu Leuten, die kleine Babys hatten, um sie zu bitten, ihr ein paar Babysachen zum Anziehen, ein Fläschchen und einen Lutscher, sowie ein paar Spielsachen zu geben.

Tatsächlich brachte sie erstaunlich viele Sachen mit nach Hause und kümmerte sich fortan liebevoll um den kleinen Pauli. Als ich zu ihr kam, war mein Cousin bereits neun Jahre alt. Ich dagegen war erst knappe vier.

Meine Großmutter lehrte mich Kartenspielen. Beinahe täglich spielten wir Jolly, manchmal bis spät in die Nacht, als ich noch nicht zur Schule ging.