Vera will leben - Helga Gurtner - E-Book

Vera will leben E-Book

Helga Gurtner

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Beschreibung

Vera ist ein sogenanntes Schreikind. Da sie sich durch nichts beruhigen lässt, sucht ihre gestresste Mutter eine Schamanin auf, die das Kind beruhigen kann. Es scheint alles gut zu werden, doch mit 14 Jahren kränkelt das Mädchen und fällt ins Koma. Ihrer Mutter gelingt es, sie mit der Hilfe eines Priesters, sie ins Leben zurückzuholen. Im Krankenhaus begegnet sie einem Mädchen mit ähnlichem Schicksal und findet heraus, dass Celina ihre biologische Schwester ist. Gemeinsam und mit Hilfe ihrer Familien gehen sie auf die Suche nach der Wahrheit. Sie finden den biologischen Vater der beiden Mädchen, die durch eine Samenspende gezeugt worden waren und die Nebel um ihre Herkunft lichten sich langsam.

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Prolog:

Die Autorin wurde in Wien geboren, lebt nunmehr schon viele Jahre im Mittleren Burgenland, ist verheiratet, Mutter eines Sohnes und hatte schon in jungen Jahren einen Hang zum Schreiben. Sie schuf sich eine Parallelwelt, denn die ihre war freudlos und trist. Während ihrer vierzigjährigen Tätigkeit schrieb sie immer wieder für ihre Kolleginnen und Kollegen Gedichte, verfasste sie Kurzgeschichten für Firmenfeiern und nahm sich fest vor, sobald sie das Pensionsalter erreicht hatte, ihr erstes Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Mittlerweile sind es schon einige Geschichten, die ihrer Feder entstammen. Geschichten, die das Leben schrieb, Geschichten aus ihrem eigenen Leben und Kurzgeschichten für junge und für alte Menschen.

Sie entwirft auch sogenannte personifizierte Kinderbücher, bringt dort nach Wunsch der Auftraggeber ihre eigenen Ideen ein und illustriert sie entweder aus ihrem eigenen Bilderarchiv oder von bereitgestellten Fotografien.

Das personifizierte Kinderbuch. Ein Geschenk, das Sinn macht. Eine Geschichte, die das Kind betrifft, mit der es sich identifizieren kann.

„Vera will leben“ ist die Geschichte von einem Mann, dessen Vater in jungen Jahren eine Tat begangen hat, für die es nur eine Strafe gibt: Der Fluch über seine ganze Familie und besonders über alle seine Nachkommen. Aber auch er versündigt sich und wünscht einem Menschen den Tod. Dafür muss er büßen.

Es passieren so viele schlimme Dinge in seinem Leben. Dann endlich, als er denkt, dass ihn ein Hauch von Glück berührt hat, als er seine beiden Töchter Celina und Vera kennenlernt, die durch seine Samenspende künstlich gezeugt wurden, wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert und muss erkennen, dass man seinem Schicksal nicht entrinnen kann.

VERA WILL LEBEN DIE SUCHE NACH DER WAHRHEIT

Vera Lorenz wurde künstlich gezeugt, weil ihre Eltern kein Kind bekommen konnten. Deshalb wurde eine Eizelle der Mutter befruchtet. Der Samenspender war dem Ehepaar Lorenz unbekannt, denn die Betreiber der Samenbank waren zum Schweigen gezwungen. Als Vera zur Welt kam, war sie ein schreiendes Nervenbündel, das ihre Eltern ständig an den Rand der Verzweiflung brachte. Herbert Lorenz verließ seine Frau, weil er mit den Nerven völlig am Ende war. Ella Lorenz hörte nie wieder etwas von ihm.

Ella, eine hagere Frau mit kurzem, grau meliertem Haar, stets sehr damenhaft gekleidet, versuchte alles, um das Kind zu beruhigen. Stundenlang hielt sie Vera am Arm, doch sie schrie oft nächtelang durch. Frau Lorenz wusste keinen Rat mehr und ging mit ihr zu einer sogenannten Heilerin. Al Maira hieß die selbsternannte Schamanin. Sie war eine alte Frau mit tiefen Falten im braungebrannten, ledernen Gesicht.

Sie trug ein bodenlanges, indianisch anmutendes Kleid und ihr schneeweißes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der mit einem hellen Band aus Leder gebunden war. Auf dem Kopf trug sie ein einfaches schmales Lederband, von dem seitlich einige kleine, bunte Kugeln herabhingen, die auf einer Schnur aufgefädelt waren. Der Raum, in dem sie Ella und Vera empfing, war seltsam eingerichtet.

Viele kleine Behälter mit verschiedenen Kräutern standen auf Regalen, ein dunkelroter Teppich lag auf dem Holzboden, die Vorhänge waren aus Purpur, der Tisch und die Stühle waren aus massivem Holz gezimmert, es herrschte düsteres Licht. Ein rabenschwarzer Vogel saß in einem goldenen Käfig und krächzte, als ob er die Besucher begrüßen wollte.

Die Frau holte aus einem der alten Kästen eine goldfarbene Dose, entnahm ihr ein Kraut, das merkwürdig duftete, legte es der Kleinen auf die Stirn. Dann fasste sie das Kind an und murmelte unverständliche Worte dazu, bis das Baby zu schreien aufhörte.

Verwundert sah Frau Lorenz ihre Tochter an und fragte die Heilerin: „Wie haben sie das gemacht, Al Maira?“ „Ich habe den bösen Geist vertrieben, der das Kind beherrscht. Aber er wird wiederkommen, sobald ihn meine Aura nicht mehr stört“, sagte sie mit tiefer Stimme. Sie gab der Mutter Anweisungen, womit sie ihre Tochter behandeln und welche Gebete sie dabei sprechen sollte.

Dann entließ sie die Frau mit ihrem Baby und wünschte den beiden noch Glück und Frieden.

Tatsächlich schien es so, als hätte der Besuch bei der Schamanin ein Wunder vollbracht. Vera entwickelte sich prächtig, war ein ruhiges braves Kind und machte ihrer Mutter viel Freude. Sie wurde ein bildhübsches schlankes Mädchen mit langen braunen Haaren, die sie gerne zu einem lustigen Pferdeschwanz zusammenband. In ihren rehbraunen Augen befand sich ein schwarzer Punkt, der ihr besonderes Markenzeichen war.

Als Vera vierzehn Jahre alt war, begann das Drama seinen Anfang zu nehmen. Vera fühlte sich müde und krank, hatte ständig irgendwo Schmerzen, war unkonzentriert und nervös und reagierte häufig sehr aggressiv. Ihre Leistungen in der Schule sackten rapide ab und Vera wurde immer mehr ins Abseits gedrängt, hatte keine Freundinnen und wurde überall gemieden. Oft saß sie stundenlang an ihrem Computer und betrat virtuelle Räume, um dort mit anderen Usern in Kontakt zu treten.

Wenn die Mutter sie rief, aus welchem Anlass auch immer, reagierte sie gereizt und zornig.

Frau Lorenz, die seit der Trennung von ihrem Mann, keine Beziehung mehr eingegangen war, konnte sich die Veränderung ihrer Tochter nicht erklären.

Sie suchte mit ihrer Tochter zahlreiche Ärzte auf, doch niemand konnte ihr helfen. Dann bekam sie von einer Freundin die Adresse eines Psychiaters, der ihr manische Depressionen attestierte. Dr. Neuhaus gab der jungen Patientin, die sich im Übrigen sehr gesträubt hatte, ihn aufzusuchen, ein paar Pillen und verordnete ihr eine Gruppentherapie. Dort sollte sie lernen, ohne Computer Kontakte zu knüpfen und auf verbalem Wege mit Menschen zu kommunizieren. Sie sollte sich öffnen und über Probleme sprechen, so sie welche hatte, die sie ihrer Mutter verschwieg. Vera hatte keine Lust, an diesen Treffen teilzunehmen, doch da die Mutter sie stets begleitete, in einem Nebenraum auf sie wartete und sie danach wieder nach Hause brachte, blieb ihr nichts anderes übrig, als mitzumachen.

Ziemlich desinteressiert saß sie in der Runde, machte ein gelangweiltes Gesicht, gähnte und es fiel ihr nicht im Traum ein, sich einzubringen. Ein paar Mal sah sie auf die Uhr. Na endlich, nur noch fünf Minuten, dann hatte sie es überstanden.

Die Sitzungen brachten nichts. Auch die Tabletten schienen keinerlei Wirkung zu haben. Also dachte Frau Lorenz nach, wie sie ihrer Tochter helfen konnte. Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter blockte Vera kategorisch ab.

Eines Tages saß Frau Lorenz mit ihrer Tochter im Wartezimmer eines Zahnarztes, als ihr Blick auf eine der alten Zeitschriften fiel. Es lag im Regal, das im Wartezimmer stand. Gerade als Vera aufgerufen wurde, nahm sie die Zeitung in die Hand und las einen Artikel über eine Schamanin, die ein junges Mädchen geheilt hatte und bei der Sitzung tot umgefallen war.

Ihr Name war Al Maira. Das war doch jene Schamanin gewesen, die auch Vera geheilt hatte. Dann fiel ihr ein, was die Alte damals zu ihr gesagt hatte:

„Ich habe sie vom bösen Geist befreit, doch er wird wiederkommen, sobald ihn meine Aura nicht mehr stört.“ Was hatte sie damit wohl gemeint? Frau Lorenz blickte auf das Datum der Zeitung und erschrak. Es war just der Tag, an dem die Probleme mit ihrer Tochter angefangen hatten. Konnte das ein Zufall sein? Hatte die Alte gemeint, wenn ihre Aura den Geist nicht mehr stört, dass das nur nach ihrem Tode zutreffen konnte? Wenn es so war, wie konnte sie dem Mädchen helfen? Wie ließ sich der böse Geist vertreiben? Sollte sie einen Exorzisten engagieren, um sie von dem Bösen zu befreien?

Oder sollte sie noch einmal einen Schamanen aufsuchen?

Schon wollte sie einen sogenannten Heiler kontaktieren, den sie im Internet gefunden hatte, als das Mädchen, das gerade von der Schule nach Hause gekommen war, plötzlich zusammensackte und reglos auf dem Boden liegenblieb.

Erschrocken kniete sich Ella Lorenz auf den Boden neben ihre Tochter, tätschelte ihre Wange und schrie: „Vera, mein Liebling, was ist mit dir? Wach auf, bitte.“

Doch Vera rührte sich nicht. Veras Mutter rannte in die Küche, wo ihr Handy lag und rief den Notruf an. Es dauerte keine zehn Minuten, dann stand der Notarzt vor der Tür. Frau Lorenz ließ ihn ein und führte ihn ins Wohnzimmer, wo Vera seltsam verkrümmt auf dem Teppichboden lag.

Sie atmete nur schwach und der Puls war kaum zu spüren. Der Notarzt stabilisierte sie und die Rettung brachte sie mit Blaulicht und Folgetonhorn ins Krankenhaus.

Dort wurde sie sofort auf die Intensivstation gebracht. Sie war weiterhin nicht ansprechbar. Tagelang versuchten die Ärzte alles, sie wieder zurückzuholen, doch Vera lag weiterhin im Koma. Ihre Mutter besuchte sie täglich, blieb oft stundenlang neben ihrem Bett sitzen, tätschelte die Hand ihrer Tochter und sprach leise zu ihr: „Bitte, Liebling, wach auf, mein Kleines. Du darfst mich nicht im Stich lassen.“ Doch Veras blasses Gesicht blieb reglos. Aus ihrem Mund ragte ein Schlauch, mit dem sie künstlich beatmet wurde. Überall waren Maschinen, die ihre Vitalfunktionen messen sollten. Ihr einst wunderschönes braunes Haar klebte an ihrem Gesicht. Ein paar Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Frau Lorenz legte ihre Hand an die Schläfe ihrer Tochter. Sie war heiß. Vera hatte hohes Fieber. Still saß die Mutter nun neben ihr und weinte.

Plötzlich regte sich der Körper ihrer Tochter. Sie begann zu zittern, warf sich unruhig hin und her und dann hörte Frau Lorenz, wie sie mit fremder, tiefer Stimme zu ihr sprach: „VERA WILL LEBEN!“ Frau Lorenz beugte sich über ihre Tochter, versuchte sie zu beruhigen, denn sie schlug nun um sich und schrie undeutliches Zeug.

Sie wollte sich die Infusionsnadel aus ihrer Hand herausreißen und griff an den Beatmungsschlauch. Frau Lorenz drückte den Schwesternknopf und konnte gerade noch verhindern, dass ihre Tochter sich den Beatmungsschlauch aus dem Mund riss. Die angeschlossenen Geräte überschlugen sich, das Alarmsignal wurde immer lauter und schriller und Vera schlug nun mit den Füßen ständig gegen die Bettkanten. Der herbeieilenden Schwester verschlug es die Sprache. Sie piepte einen Arzt an und sagte zu Frau Lorenz: „Das sieht ja beinahe so aus, als sei sie vom Teufel besessen!“

Der diensthabende Arzt spritzte ihr ein starkes Beruhigungsmittel. Danach unterhielt er sich mit der Mutter: „Was ist passiert, Frau Lorenz?“ fragte er. Sie antwortete: „Herr Primar, sie werden es mir nicht glauben. Plötzlich hat sie mit tiefer Stimme gesprochen. Sie hat gesagt – VERA WILL LEBEN -. Was hat das alles zu bedeuten, Herr Doktor? Ist meine Tochter besessen?“

„Das wollen wir doch nicht hoffen, Frau Lorenz. Ich habe ihr jetzt Valium gespritzt, das sie erst einmal für eine Weile ruhigstellt. Danach sehen wir weiter. Sie sollten jetzt besser nach Hause gehen und ein wenig schlafen. Hier können sie ohnehin nichts mehr tun.“

Frau Lorenz befolgte den Rat des Arztes und fuhr nach Hause, wo sie in einen leichten, traumlosen Schlaf fiel.

Als sie erwachte, klingelte das Telefon. Frau Lorenz hob den Hörer ab und fragte: „Wer ist da?“ Aus dem Telefon erklang eine tiefe Stimme: „VERA WILL LEBEN!“ Erschrocken ließ sie das Handy zu Boden fallen. Sie hatte Angst. Was war das? Wer wollte sie um den Verstand bringen? Sie hob das Telefon auf und horchte, ob noch jemand am anderen Ende der Leitung war, doch die Verbindung war unterbrochen. Ella Lorenz sah sich die Anrufliste an, doch es war keinerlei Eintrag darin zu finden.

Was sollte sie nur tun? Vor einem Jahr hätte sie noch ihre Eltern anrufen können, doch die waren mit dem Auto tödlich verunglückt. Schon lange hatte sie keine Freundschaften mehr gepflegt, denn das Mädchen hatte all ihre Kraft und Zeit gekostet. Trotzdem hatte sie sich nie einsam gefühlt. Bis jetzt.