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Während die Energie auf der Welt immer weiter ansteigt und damit die Emotionen der Menschen überkochen, sinkt die Energie in Lumenia immer weiter ab. Die Vision, die Taro vorausgesehen hat, ist immer noch ein fester Bestandteil der Zukunft. Es muss gehandelt werden. Und zwar schnell! Doch der Plan, den Quidea zur Problemlösung vorsieht, stößt auf Probleme und Unfrieden und führt schließlich zu einer Trennung zwischen Lucy und Nikolas. Alles scheint auseinander zu brechen. Und während auf der Welt das Chaos ausbricht und erneut ein Feind auftaucht, der auf Rache sinnt, ist Lucy schon wieder gezwungen, sich auf das Spiel der Götter zu konzentrieren und glücklich zu sein. Keine leichte Aufgabe. Doch Lucys Lichtblick ist ihre beste Freundin Miriam, die ihr immer zur Seite steht. Auch als Lucy erfährt, dass Nikolas nicht nur ihretwegen in ihre Welt zurückgekehrt ist, sondern weil er schon von Anfang an einen ähnlichen Plan verfolgt wie Taro. Doch das ist ein großes Geheimnis und sie muss all ihre Kräfte aufbringen, um zu erfahren, was Nikolas und die Lumenier wirklich in ihrer Welt im Schilde führen. Weitere Informationen zu der Buchreihe gibt es auf: www.euphoria-lane.de
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Seitenzahl: 236
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Verloren auf einer Reise, den Weg in der Tasche. Nie losgegangen, nie angekommen. In der unendlichen Weite des Alls bist du alles und überall!
1 Lumenia
2 Geheimnisse
3 Verschwunden
4 Chaos
5 Trennung
6 Marion
7 Aufbruch
8 Notfallplan
9 Mikas Ankunft
10 Taros Ankunft
11 Suche
12 Leid
13 Zukunftsvisionen
14 Eine heisse Spur
15 Die Wahrheit
16 Die Illusion der Trennung
17 Gefunden
18 Ein fester Beschluss
19 Spielen
20 Die Königin
21 Schatten
22 Die Wahrheit
23 Ein Beben der Freude
24 Ekstase
25 Der innere Kampf
26 Die Fahrt
27 Majas grosser Auftritt
Es war das Paradies. Dieses Land, in dem es kein Leid und keine Kämpfe gab. Dieses friedliche, glückliche Eiland mitten im Ozean, das von niemandem betreten werden konnte, der nicht im Besitz eines Portalschlüssels war. Von niemandem, außer von Nikolas Key. Schon zum zweiten Mal hatte er es geschafft, ein Portal zu öffnen und den schützenden Schild, der diese Insel umgab, zu durchbrechen. Und immer noch wusste niemand, wie er das geschafft hatte. Nicht einmal er selbst.
Nachdem die Aufregung der letzten Ereignisse ein wenig abgeklungen war, hatte Quidea, der König von Lumenia und Nikolas' Vater, eine Versammlung einberufen. Der Ältestenrat und einige der mächtigsten Lumenier des Landes hatten sich in seinem Büro eingefunden, um von Nikolas zu erfahren, was in jener Nacht geschehen war und um ein für allemal zu entschlüsseln, was ihn dazu befähigte, ohne Hilfsmittel ein Portal zu öffnen und den mächtigen Schutzschild zu durchbrechen, der das Land umgab wie eine hundert Meter dicke, energetische Mauer. Besonders die blaue Garde war sehr interessiert daran, denn sie war für die Portale zuständig und musste dafür Sorge tragen, dass niemand unbefugt das Land betrat oder es verließ. Sie waren diejenigen, welche die Sicherheit des Landes gewährleisteten – die Trennung vom Rest der Welt. Sie hatten die Portale mit Programmen verstärkt, die es einem Menschen, der sich in einem zu niedrigen Schwingungsniveau befand, unmöglich machten, dieses Land zu betreten. Lumenia verfügte über eine sehr hoch schwingende Energie, was dazu führte, dass sich Gedanken und Gefühle schneller manifestierten, als in niedrigeren Schwingungsebenen. Es war ein hohes Maß an Selbstkontrolle nötig, um in einem Land wie diesem leben zu können. Eine Selbstkontrolle, die nur gewährleistet war, wenn man sich selbst ebenfalls auf einem sehr hohen Schwingungsniveau befand. Deshalb war es für einen Menschen aus der anderen Welt unmöglich, ein Portal zu durchschreiten, ohne dabei zu Schaden zu kommen. Die blaue Garde hatte die hohe Energie der Portale, die um ein hundertfaches höher schwang, als die Energie des Landes selbst, so verstärkt und programmiert, dass ein Mensch mit niedriger Schwingung einen solchen Übertritt nicht überleben würde. Oder zumindest einen schweren körperlichen Schaden davontragen würde.
Lucy hatte diese Schutzvorrichtung am eigenen Leib erfahren und erinnerte sich mit Schrecken an die Schmerzen und ihre kurzzeitige Erblindung. Grausam, dachte sie, während sie neben Nikolas saß und seine Hand streichelte, um ihm zu zeigen, dass sie ihm in diesem wichtigen Moment seines Lebens beistand. Er hatte großen Respekt vor dem Ältestenrat und den Lumeniern, die ihn alle anstarrten und eine Antwort von ihm verlangten.
»Aber notwendig!«, sagte plötzlich ein blauer Gardist auf Lucys Gedanken hin.
Lucy sah auf und blickte in sein ernstes Gesicht. Er war schön. So wie jeder Lumenier. Sie hatte mittlerweile aufgehört, sich darüber zu wundern. Aber in seinem Gesicht war auch etwas Hartes, Kaltes, das Lucy auf sein starkes und womöglich etwas übertriebenes Pflichtbewusstsein schob.
Nikolas kicherte leise, doch der Gardist blieb ernst und kam einen Schritt auf Lucy zu. »Diese Schutzvorrichtung ist ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem, Lucy Meier!«, brachte er mit schneidender Stimme hervor.
»Key!«, sagte Nikolas, legte schützend einen Arm um Lucy und warf Ren, dem blauen Gardisten, einen warnenden Blick zu. »Zumindest bald«, fügte er noch etwas milder hinzu und lächelte dann Lucy an.
Ren wich beschwichtigt zurück und räusperte sich. Lucy spürte, dass sie mit ihren Gedanken einen wunden Punkt bei ihm getroffen hatte. Es gefiel ihm nicht, dass Menschen aus der anderen Welt sein Land betraten und es gefiel ihm noch weniger, dass Nikolas dieses ausgeklügelte Sicherheitssystem schon zum zweiten Mal lahmgelegt hatte. »Ist dir klar, Lucy Key«, fragte er vorsichtig, »was geschehen würde, wenn ein Mensch ohne jegliche Selbstkontrolle dieses Land betritt?«
Lucy wusste, dass man hierzulande mit seinen Gedanken und Gefühlen großen Schaden anrichten konnte. Aber was genau passieren konnte, war ihr nicht klar.
»Es kann zu großen Katastrophen führen«, erklang eine weibliche Stimme aus der hintersten Ecke des Raumes. Alea lehnte am Bücherregal und hatte dem Treffen bisher nur als stille Beobachterin beigewohnt. Doch jetzt kam sie näher in den Raum. »Die blaue Garde sorgt mit diesen Programmen dafür, dass ein Mensch nach einem solchen Übertritt nicht mehr in der Lage ist, irgendeinen Schaden in diesem Land anzurichten«, erklärte sie. »Deine Erblindung war kein Zufall, Lucy. Es ist so vorgesehen, dass die Programme der Portale die Sinne weitestgehend abschalten, um das Geheimnis unseres Landes zu bewahren.«
Lucy sah Alea erschrocken an. Sie konnte die Sorge der Lumenier einerseits verstehen, aber andererseits war sie erschrocken darüber, dass es die sonst so friedliebenden Lumenier in Kauf nahmen, dass ein Mensch bei einem Übertritt solch einen Schaden davontrug oder sogar daran starb. Bei ihren Gedanken senkten alle die Köpfe.
Doch der König bewahrte sein immerwährendes Lächeln, schlug ein Bein über das andere und sagte mit ruhiger, väterlicher Stimme: »So etwas wird nie geschehen, Lucy. Wir wissen es zu verhindern, dass ein Mensch, der nicht in der Verfassung ist, ein Portal zu durchschreiten, je einen Portalschlüssel in die Finger bekommt. Dass du es geschafft hast, war nicht vorherzusehen, da du eine unglaublich starke Fähigkeit entwickelt hast, deine Gedanken vor Nikolas und vor jedem anderen Lumenier zu verbergen.«
Lucy sah hinüber zu Taro, der mit seinem Stuhl ganz an den Rand des Raumes gerückt war und mit verschränkten Armen und gelangweiltem Gesicht eher auf dem Stuhl lag, als darauf zu sitzen. Er blickte aus dem Fenster, als würde ihn dieses Gespräch gar nicht interessieren. Doch, als er spürte, dass Lucy ihn ansah, huschte ein Lächeln über seine Lippen. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie eine solch starke Fähigkeit überhaupt erst hatte entwickeln können und er war es auch gewesen, der ihr – unabsichtlich – dabei geholfen hatte, sie bis zur Perfektion zu trainieren.
Das hast du schon vorher ganz gut drauf gehabt, Süße!, hörte sie seine tiefe Stimme in ihrem Kopf.
Hör auf, mich Süße zu nennen!, schlug sie ihm gedanklich entgegen.
Taro schmunzelte. So ging das seit Wochen. Es machte ihm offenbar Spaß, sie zu necken und Nikolas dabei bis zur Weißglut zu reizen. Lucy streichelte erneut über seine Hand, um zu verhindern, dass er sich zu sehr aufregte und Taro vermutlich wieder etwas an den Kopf schmiss. So wie letzte Woche.
Nikolas lachte leise. In seinen Gedanken spielte sich die Szene ab, in der Taro wie ein Baum umgefallen war, weil ihn Nikolas' Energieblitz direkt an der Stirn getroffen hatte. Lucy musste ebenfalls lachen, als sie das Szenario in seinem Kopf sah.
Ein tiefes Räuspern aus Quideas Kehle ließ sie aber sofort verstummen. »Jedenfalls…«, brummte er etwas missmutig, jedoch mit einem kleinen Lächeln im Gesicht, »passen wir schon auf, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt, Lucy. Denn natürlich wollen wir nicht, dass jemand zu Schaden kommt. Selbst ohne diese verstärkenden Programme ist ein Portal eine gefährliche Angelegenheit für einen Menschen in niedriger Schwingung. Der Schutzschild ist einfach zu mächtig, um ihn einfach so zu durchbrechen.« Dabei sah er wieder Nikolas an. »Und deshalb ist es von äußerster Wichtigkeit für uns, zu erfahren, wie Nikolas diesen unmöglichen Sprung geschafft hat.«
»Vielleicht liegt es an der sinkenden Energie«, sagte Alea nachdenklich. Das Sonnenlicht, das in den Raum fiel, spielte in ihren roten Locken und ließ sie leuchten wie ein aufgewühltes Flammenmeer, was ihre Worte nur umso dramatischer klingen ließ. »Der Schutzschild wird schwächer.«
»Nein!«, stieß Ren hervor. »Wir haben bereits herausgefunden, dass sich die steigende Energie der Gegenwelt der unseren anpasst und es nur den Anschein hat, als würde der Schild schwächer werden. Wir haben alles unter Kontrolle. Die Energie ist genauso hoch, wie noch vor zwei oder drei Jahren.«
»Schon mal mit der Energie von vor sechs Jahren verglichen?«, brummte Taro und ballte dabei seine Hände zu Fäusten.
Nikolas' Hand unter Lucys Berührung tat es ihm sofort gleich und bebte vor Anspannung. Lucy sah zuerst Nikolas überrascht an und blickte dann zu Taro hinüber. In seinem Gesicht entdeckte sie plötzlich wieder die altbekannte Kälte, die aber im nächsten Moment wieder verflog, als er den Kopf senkte und die Stirn in tiefe Falten legte. Sie versuchte, in seinen Gedanken herauszufinden, wovon er sprach, doch in seinem Kopf war es still geworden. Unheimlich still. So still wie früher. Und als sie sich im Raum umsah, bemerkte sie, dass nicht nur er seine Gedanken hatte verstummen lassen, sondern jedes einzelne Mitglied dieser Versammlung. Sogar Nikolas. Es war gespenstisch. Die Gedanken und Gefühle, die Lucy sonst ununterbrochen durch das Bewusstsein flossen und ihr immer und überall verrieten, was in den Menschen in ihrer Umgebung vorging, waren mit einem Schlag nicht mehr da. Es war totenstill. Die Damen und Herren des Ältestenrats, die neben Quidea saßen, starrten betreten den Fußboden an und Alea ging wieder zurück in ihre Ecke, um dort beschäftigt an ihrer Uniform zu zupfen.
Was war denn vor sechs Jahren?, fragte Lucy Nikolas in Gedanken und wusste im selben Moment, dass sie vermutlich keine Antwort von ihm erhalten würde. Und tatsächlich – er sah sie nicht einmal an.
Eine Frau des Ältestenrats, die kaum älter als 40 wirkte, sagte nun: »Das kann nicht sein. Nikolas hat schon als kleiner Junge ein Portal ohne einen Schlüssel durchschritten und damals…«, sie hielt kurz inne und sprach dann lauter und bestimmender weiter. »Wir sollten uns lieber auf Nikolas konzentrieren. Die sinkende Energie des Landes ist ein anderes Thema und sollte zu einem anderen Zeitpunkt diskutiert werden.«
Die Energie sinkt tatsächlich?, fragte Lucy erneut in Gedanken.
Dieses Mal nickte Nikolas.
Aber ich dachte, es war ein Irrtum.
Das dachten wir auch, antwortete er.
Lucy hielt weiterhin Nikolas' Hand, während sich das Gespräch fortführte und die Mitglieder der Versammlung allesamt versuchten, in Nikolas' Erinnerungen herauszufinden, wie er den Schutzschild überwunden hatte. Immer und immer wieder sah Lucy in seinen Gedanken zu, wie er an einem See stand und ohne zu zögern in das Wasser sprang, um Lucy zur Hilfe zu eilen. Das Portallicht zuckte auf und schnappte nach ihm, als habe er einen dieser mächtigen Schlüssel aktiviert. Doch alle wussten, dass in jener Nacht alle Portalschlüssel beschädigt gewesen waren und so spielten sie diese Szene mit Staunen immer und immer wieder in seinen Erinnerungen ab, um endlich sein Geheimnis zu lüften. Nach zwei weiteren ermüdenden Stunden, wurde das Gespräch jedoch erfolglos beendet und vertagt. Die blaue Garde verließ den Raum mit der Ankündigung, dass sie das Sicherheitssystem verschärfen würden und die restlichen Mitglieder warfen Nikolas einen letzten erstaunten Blick zu, bevor sie die Tür hinter sich schlossen. Auch Taro und Alea gingen mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck und als Lucy und Nikolas mit Quidea allein waren, versuchte sich Nikolas erneut seinem Vater zu erklären.
»Du weißt, ich würde es euch wissen lassen«, sagte er leise. »Aber ich kann beim besten Willen nicht erklären, was ich…«
»Ich weiß, mein Sohn«, unterbrach Quidea ihn sanft, kam auf ihn zu und umfasste liebevoll seine Schultern. »Wir werden es schon herausfinden. Ich bin mir sicher, dass wir irgendetwas übersehen. Etwas Elementares.« Er senkte den Blick und schien sich in Nikolas' weißem Hemdkragen zu verlieren. Doch nach einem kurzen Moment sah er ihm wieder in die Augen. »Es hat alles seinen Sinn und ich denke wir werden zu der Antwort geführt werden, wenn wir sie nicht erzwingen. Du weißt…«
»Keine Absicht«, vollendete Nikolas seinen Satz lächelnd und nickte.
»Jetzt geh dich um deine Frau kümmern«, sagte Quidea lächelnd und zwinkerte Lucy dabei zu. »Ihr habt heute noch etwas Bedeutendes vor.« Dann schob er die beiden aus der Tür und winkte ihnen noch fröhlich zu, als sie durch den Korridor schritten.
»Ich mag deinen Vater«, sagte Lucy. »Er wirkt immer so unbeschwert und entspannt.«
»Ja«, lachte Nikolas, »er ist ein gutes Vorbild für Euphoria, oder?«
Lucy nickte energisch. »Nur schade, dass er heute nicht dabei sein wird. Er würde unsere Verlobungsfeier bestimmt auflockern.« Außerdem, dachte Lucy weiter, wäre ihre Familie so beeindruckt von ihm, dass sie es nicht wagen würden, auch nur einen zweifelnden Gedanken über Nikolas oder diese Verlobung zu hegen. Nachdem sie vor ein paar Wochen von Hilar eingeweiht worden waren und zunächst alles, was er gesagt hatte, akzeptiert und für wahr befunden hatten, zweifelten sie mittlerweile wieder daran, dass es ein Land wie Lumenia wirklich gab und nervten Lucy mit ihren Fragen und ihren Sorgen. Sie befürchteten, ihre Tochter habe sich auf eine Gruppe Scharlatane eingelassen oder auf eine Sekte. Natürlich waren sie auch nicht so glücklich darüber, dass sie einen solchen Scharlatan heiraten würde, aber was sollten sie tun? Sie war eine erwachsene Frau und traf ihre eigenen Entscheidungen. Doch insgeheim wünschten sie sich manchmal, sie wäre noch ein Kind und wäre unter ihrem Einfluss und nicht unter dem einiger übersinnlicher Spinner, wie sie sie nannten. Es würde ein langer Tag werden, dachte sich Lucy.
Im Speisesaal der grünen Garde war es bis auf Taro, Paco, Linn, Hilar und Miriam völlig leer. Als Lucy herein kam und ihre beste Freundin erblickte, winkte sie ihr fröhlich zu und erhielt ein überschwängliches Bild von ihr, was Hilar gerade mit ihr gemacht hatte. Lucy lachte, als sie sah, wie er sie vor wenigen Augenblicken auf einem der leeren Tische ausgekitzelt hatte.
»Wie war's?«, fragte Paco neugierig, als sich alle an den gedeckten Tisch gesetzt hatten.
Nikolas und Taro gaben ihren Freunden einen kurzen Abriss der Versammlung, beendeten das Thema jedoch so rasch und abrupt wieder, dass sich Lucys Feingefühl meldete und ihr wie eine leise, nervige Stimme immer wieder ins Bewusstsein flüsterte, dass da noch irgendetwas war, worüber sie nicht sprechen wollten. Und dass niemand auf ihre Gedanken, die sie sich darüber machte, reagierte, bestätigte ihr, dass sie richtig lag. Jedoch beschloss sie erst einmal, kräftig zu essen, um sich für den Rest des Tages zu stärken. Sie würde jeden Funken Lumenischer Energie brauchen, den sie sich einverleiben konnte. Sie schlug sich den Bauch mit exotischen Früchten voll, aß eine halbe Schüssel Nüsse dazu und verdrückte noch einen großen Teller mit einem gelben Brei, von dem sie nicht sagen konnte, woraus er überhaupt bestand. Aber er schmeckte grandios! Er war nur leider – leider – von sehr weicher Konsistenz und tropfte Lucy, als sie den letzten Happen zu ihrem Mund führte, auf ihre Brust. Ein kleiner Moment, ein winziges Missgeschick und die friedliche Stimmung, das fröhliche Beisammensein kippte und mündete in einer Katastrophe. Warum hatte sie es nicht kommen sehen? Warum hatte es keiner von ihren Freunden kommen sehen? Warum hatte Taro sich nicht unter Kontrolle?
Es geschah innerhalb von Sekunden. Sie hatte nicht bemerkt, dass Taro sie schon die ganze Zeit beim Essen beobachtet und seine helle Freude dabei gehabt hatte. Und sie hatte auch nicht bemerkt, dass Nikolas wiederum ihn dabei aufmerksam beobachtet hatte. Sie hatte ebenfalls nicht mitbekommen, dass jeder an diesem Tisch ein wachsames Auge auf die beiden gehabt hatte, denn wenn Nikolas und Taro aufeinander trafen, war nichts vorhersehbar. Gerade hatten sie noch darüber gesprochen, welche Auswirkungen es in Lumenia haben konnte, wenn jemand die Kontrolle über sich verlor. Und hier war sie nun. Die Situation, die alle gefürchtet hatten.
Es ging rasend schnell. In dem Moment, in dem der Brei auf Lucys Brust tropfte, schoss Taro – vermutlich versehentlich – ein lüsterner Gedanke durch den Kopf, den er kurz darauf sofort versuchte, abzuschotten. Aber es war zu spät. Sein Blick schoss zu Nikolas, dieser sprang von seinem Stuhl auf und Lucy fiel vor Schreck der Löffel aus der Hand. Linn, diejenige, die es mehr als jeder andere verstand, Energien zu harmonisieren, versuchte sofort zu schlichten, sprang ebenfalls auf und hob beschwichtigend die Hände.
»Kontrolle!«, rief sie.
Aber Nikolas bebte vor Wut. Lucy wusste nicht, warum es ihn immer noch so reizte. Er kannte Taro doch. Er wusste, dass er Lucy liebte und dass ihm manchmal Gedanken durch den Kopf gingen, die über Freundschaft hinaus gingen. Und er wusste auch, dass Lucy bei Taro niemals auf mehr als auf Freundschaft eingehen würde. Das wusste er doch. Oder?
Zum letzten Mal, donnerte Nikolas' Stimme durch die Köpfe aller Anwesenden, die so still waren, dass Nikolas' Worte in ihren Gedanken grollten, wie ein Gewitter, sie ist meine Frau!
Taro ließ sich nicht dazu verleiten, ihn jetzt noch mehr zu reizen, also verkniff er sich sein Grinsen, von dem er wusste, dass es ihn auf die Palme brachte. Er konterte mit einem ruhigen: Aber wir lieben sie beide, Bruderherz.
»Schluss jetzt!«, rief Lucy wütend und wischte sich ärgerlich den Brei von der Brust. »Ihr benehmt euch wie Kinder!«
»Lucy«, hauchte Linn und machte eine beruhigende Geste. »Ruhig. Nicht du auch noch.«
Lucy versuchte, sich sofort wieder zu beruhigen, aber irgendetwas sagte ihr, dass es zu spät war. Plötzlich schoss Taros Stuhl nach hinten und er entfernte sich mit einem entsetzlichen Schrecken im Gesicht einige Schritte vom Tisch. Auch Paco sprang auf, nahm Linns Hand und zog sie vom Tisch weg. Hilar tat dasselbe mit Miriam und Nikolas schnappte sich Lucy und zog sie mitten in den Raum. Dabei sah er nach oben und schien eine Stelle zu suchen, an der kein Kronleuchter von der Decke hing. Und dann geschah es. Ein gewaltiges Beben erschütterte das Gebäude! Es wurde so sehr hin und her geschüttelt, dass die Tische laut gegeneinander krachten, die Stühle umkippten und durch den Raum rutschten und das Geschirr klirrend auf den Boden fiel und zersprang. Die Kronleuchter schwankten gefährlich hin und her, es knarrte unheimlich und man konnte ein Reißen hören, als würde das Gebäude auseinanderbrechen. Dann löste sich einer der Kronleuchter von der Decke und krachte mit einem lauten Scheppern auf den Steinboden.
Lucy stieß einen Angstschrei aus, verlor das Gleichgewicht und schwankte zu Boden.
»Jetzt keine Angst, Lucy!«, hörte sie Taros Stimme rufen.
Sie wusste, dass ihre Angst alles nur noch schlimmer machen würde – zumal sie ihre telekinetischen Ausrutscher immer noch nicht so gut unter Kontrolle hatte – aber sie konnte sie kaum noch kontrollieren. Die bebende Erde unter ihren Füßen und das Gefühl, dieser Gewalt völlig ausgeliefert zu sein, löste eine Todesangst in ihr aus. Nikolas half ihr sofort auf, nahm sie in den Arm und versuchte, ihre Angst mit seinen eigenen Emotionen zu kontrollieren. Sie spürte, wie sich seine ruhige Ausstrahlung wie ein Balsam auf ihr aufgewühltes Gemüt legte und sie ruhiger wurde und sie hörte, wie er eine Art Formel in einer fremden Sprache vor sich hin murmelte. Paco, Hilar, Taro und Linn taten dasselbe. Als Lucy über Nikolas' Schulter blickte, sah sie, wie die Lumenier mit geschlossenen Augen dastanden, murmelten und eine unsagbare Energie ausstrahlten, die den Raum hell erleuchtete. Sie versuchten, das Beben zu stoppen. Zum ersten Mal sah Lucy die wahre Macht der Lumenier. Hatte sie bisher immer nur kleine Kunststücke ihrer Kraft gesehen, wie das Feuern mit Energieblitzen oder das außer Kraft setzen der Schwerkraft, bekam sie jetzt ihre wahre Größe zu Gesicht. Sie waren völlig gelassen. Angesichts dieser gefährlichen Situation konnte man nur Frieden in ihren Gesichtern sehen. Aus ihren Körpern kam flirrende Energie und es wehte warmer Wind durch den Raum, der auf der Haut kribbelte wie Strom. Ihr Bewusstsein dehnte sich spürbar auf den ganzen Raum aus, auf das ganze Gebäude und bald spürte Lucy nur noch Frieden. Frieden, Harmonie und Kraft. Eine solche Kraft, dass ihr schwindelig wurde und ihr langsam die Beine weg sackten.
In diesem Moment stoppte schlagartig das Beben. Von einer Sekunde auf die andere war es einfach vorbei und ließ eine unheimliche Stille zurück.
Lucy war völlig benommen. Sie beobachtete, wie Taro und Paco aus dem Raum stürmten. Taro rief: »Bring sie in Sicherheit!«, bevor er aus der Tür verschwand, woraufhin Nikolas sofort Lucys Hand nahm und sie mit Hilar und Miriam aus dem Raum führen wollte. Aber ihre Beine waren so weich wie Pudding und sie hätte sich lieber flach auf den Boden gelegt und wäre mit der Welt verschmolzen, als jetzt zu laufen. Also hob Nikolas sie hoch und trug sie hinaus. Miriam schien das Laufen leichter zu fallen. Sie lief in dem lichtdurchfluteten Korridor neben ihr her und fragte immer wieder, ob alles in Ordnung sei.
Lucys Zunge war schwer. Sie konnte kaum sprechen. »Weiß nich«, nuschelte sie. So war es ihr das letzte Mal ergangen, als Taro auf dem Tanz der Götter seine geballte Energie auf sie abgefeuert hatte. »Das habt ihr jetzt davon«, murmelte sie weiter und versuchte angestrengt Nikolas in den Arm zu kneifen. »Ihr Streithähne.«
Sie bekam seine Antwort nur am Rande mit. Sie schien in einen schwebenden, tranceartigen Zustand abzudriften, in dem sie das Geschehen nur noch aus der Ferne wahrnehmen konnte. »Das lag nicht an uns, Lucy«, sagte er besorgt. So besorgt, dass es sie tief in der Seele schmerzte.
»Geht es wieder?« Miriam saß direkt vor ihr und sah sie mit großen Augen an. So schöne Augen. Graugrün und so hell, fast transparent. Wie Kristalle funkelten sie. Lucy betrachtete sie fasziniert und seufzte. Wie konnten Augen so schön sein? Sie wollte sie für immer ansehen. Für immer darin versinken und sie lieben. Wie fühlte es sich an, mit ihnen die Welt zu betrachten? Es musste eine Offenbarung sein.
»Sie ist immer noch benommen«, lachte Miriam und wandte sich Nikolas zu, der sich nun ebenfalls zu Lucy setzte.
Auch seine Augen waren so schön. So blau. So hellblau wie der Himmel. Er war der Himmel. Der Himmel auf Erden. Sie würde den Himmel heiraten.
»Lucyyy«, lachte Nikolas.
So ein schönes Lachen. So wunderwunderwundersch...
Plötzlich schüttelte sie jemand. »Komm zu dir, Süße!« Miriams Stimme klang wunderbar. So zart und weiblich. »Was machen wir denn jetzt? Sie ist ja total high! Eure Energie vorhin war wohl zu viel für sie. Sollen wir Linn holen?«
»Hm«, machte Nikolas. Wie sinnlich es klang.
»Oder sollen wir sie besser so lassen?«, fragte Miriam jetzt und stellte sich mit verschränkten Armen vor sie, wobei ihre Brüste ein wenig aus ihrem Kleid quollen. Wie schön das aussah. Hilar fiel das ebenfalls auf. Miriam lachte sich halb kaputt. »So würde sie vielleicht besser mit den Gedanken ihrer Familie klarkommen!«, prustete sie.
Plötzlich knallte Lucy auf den Boden der Tatsachen zurück. »Familie?«, fragte sie. Der Nebel lichtete sich und ihr Kopf wurde plötzlich wieder klar. »Sind sie schon da?«
»Aha«, lachte Hilar. »Jetzt wissen wir, wie wir dich wieder auf den Boden kriegen, wenn so etwas noch mal passiert.«
Nikolas lachte ebenfalls. »Nein, noch nicht«, antwortete er auf Lucys Frage. »Aber wir sollten uns langsam fertig machen.«
Lucy sah an sich hinunter. Sie trug nur ein T-Shirt. Hatte Nikolas sie umgezogen? »Wie lange habe ich geschlafen?«
Nikolas sah auf seine Armbanduhr. »Ja, habe ich. Und etwa vier Stunden.«
Lucy fiel aus allen Wolken. Es kam ihr vor, als sei nur eine Minute vergangen, seit… »Habe ich das geträumt?«, fragte sie Nikolas entsetzt und hoffte, er würde ja sagen. Aber er schüttelte langsam mit dem Kopf.
»Wir stellen schon mal das Essen raus«, teilte Hilar mit und zog Miriam aus dem Zimmer.
»Danke!«, rief Nikolas ihnen hinterher.
»Was ist da passiert?«, fragte Lucy erschrocken, als die Bilder des Bebens in ihrer Erinnerung aufflammten. »Und wie konntet ihr euch überhaupt so gehen lassen? Ihr wisst doch genau…«
Nikolas machte eine beruhigende Geste mit den Händen. »Es lag nicht an uns, Lucy«, sagte er erneut. »Nicht an mir«, verbesserte er sich. »Taro hatte sich die ganze Zeit – bis auf diesen einen Gedanken – völlig unter Kontrolle. Ich war derjenige, der die Nerven verloren hat. Aber ich habe das Beben nicht ausgelöst.«
Sein Gesicht wirkte ernst und viel zu besorgt. Und das war kein gutes Zeichen. Nikolas war selten besorgt. Er kannte den Ausgang einer Situation immer schon, bevor die Situation überhaupt entstand und handelte entsprechend. Entweder akzeptierte er sie vollständig oder er änderte sie. Also hatte er niemals Grund, sich um irgendetwas Sorgen zu machen. Umso beunruhigender wirkte sein Gesichtsausdruck auf Lucy. Er bedeutete nichts Gutes. Lucy rutschte näher zu ihm und berührte seine Hand. Dabei senkte Nikolas den Blick und strich mit einem Finger über ihren Verlobungsring.
»Wer dann?«, fragte sie vorsichtig.
Er atmete tief durch, bevor er antwortete. »Du erinnerst dich, was Alea über die Energie des Landes gesagt hat?«, fragte er, ohne sie anzusehen.
Lucy nickte. »Sie sinkt. Aber Ren war da anderer Meinung.«
Jetzt stand Nikolas seufzend auf und ging zum Kleiderschrank. »Ren versucht, wie wir alle, die ganze Situation mit der Macht seiner Gedanken und seiner Überzeugung zu verändern. So wie es Taro versucht hat. Nur mit anderen Mitteln«, erklärte er, als er Lucys Kleid für die Verlobungsfeier aus dem Schrank holte.
Lucy verzog das Gesicht, als sie sich an den alten Taro erinnerte, der über Leichen gegangen war, um seinen Plan umzusetzen. Und ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie sich daran erinnerte, was er damit hatte verhindern wollen. Sie sah das Bild erneut vor ihrem inneren Auge. Das Bild, das sie schon damals zutiefst schockiert hatte. Der Untergang Lumenias.
Nikolas schickte ihr in Gedanken ein erschreckend trauriges »Genau« und legte ihr dabei das Kleid aufs Bett.
Als Lucy dämmerte, was er ihr damit sagen wollte, wurde sie kreidebleich. »Du meinst… es ist noch nicht vorbei? Die Vision von Taro… wird trotz allem wahr werden?«
Jetzt zog sich Nikolas ein schwarzes Jackett über das weiße Hemd und nickte bedrückt.
»Nein!«, rief Lucy und sprang vom Bett auf. »Das kann doch nicht sein! Welcher Lumenier würde das zulassen? Ihr könnt das doch verhindern, oder? Ihr habt doch auch vorhin das Beben gestoppt.«
»Das tun wir schon, Lucy. Jeden Tag. Aber die Vision verändert sich nicht. Und das heißt, dass wir erst die Ursache beheben müssen, welche diese Katastrophe auslösen wird«, sagte er mit ruhiger Stimme, nahm Lucys Kleid vom Bett und drückte es ihr auffordernd in die Hand. Danach deutete er auf seine Armbanduhr.
»Und was für eine Ursache ist das?«, fragte Lucy, als sie sich das T-Shirt rasch auszog und umständlich in ihr Kleid schlüpfte.
Nikolas beobachtete sie dabei und grinste amüsiert. »Es können mehrere Faktoren sein, die behoben werden müssen.«
Jetzt redete er genauso wie Taro, dachte sich Lucy. Er hatte auch alle Faktoren aus dem Weg räumen wollen, welche die Katastrophe auslösen konnten. Deswegen hatte er sich mit Marius zusammen getan, Nikolas aus dem Land gejagt und versucht, die Energie dieser Welt rapide ansteigen zu lassen, um dadurch zu verhindern, dass Lumenia von den negativen Schwingungen dieser Welt in den Abgrund gerissen wurde.
Nikolas drehte den Kopf zur Seite, um Lucys Blick auszuweichen. Sie spürte, dass ihm ihre Gedanken unangenehm waren. Sie verstand jedoch nicht, wieso. Sein Gesichtsausdruck war kaum zu deuten. Es ging ihm ein kurzer Gedanke durch den Kopf, den Lucy jedoch nicht erfassen konnte. Dann dachte er plötzlich an Marius und erneut flammten Schuldgefühle in ihm auf.
Lucy ging seufzend zu ihm, nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und sagte mit sanfter Stimme: »Es war nicht deine Schuld, Niko. Du hast mich vor ihm gerettet. Er wollte mich erschießen! Also hör auf, dir darüber Gedanken zu machen, okay? Jeder andere hätte genauso gehandelt. Auch Taro! Er hat es mir gesagt.«
Nikolas berührte ihre Hände und nahm sie von seinem Gesicht. »Ich habe das nicht nur ihm angetan, Lucy. Sondern allen Menschen, die ihn geliebt haben.«
Lucy rümpfte die Nase. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass es solche Menschen in Marius' Leben gegeben haben konnte.
Nikolas schmunzelte über ihr Gesicht, wurde dann aber sofort wieder ernst. »Selbst er hatte Eltern und Geschwister, Lucy. Familie.« Schmerz spiegelte sich in seinen Augen. Ein tief sitzender Schmerz. »Menschen, die ihm nahegestanden haben und jetzt um ihn trauern.«