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»Die Sprache ist atemberaubend schön und verführt zu einem völlig neuen Blick auf Gott und die Schöpfungsgeschichte.« PUBLISHERS WEEKLY Halb erfroren und dem Tode nahe strandet eine junge Frau auf einer geheimnisvollen Insel. Zu ihrem großen Glück wird sie von Gelehrten und Heilern gefunden, die bald erkennen, dass Lilly zu etwas ganz Besonderem berufen ist. Niemand Geringeres als Eva, die Mutter allen Lebens, lädt sie ein, Zeugin der Schöpfungsgeschichte zu werden und zu erfahren, was wirklich im Garten Eden geschah. Die dramatischen Ereignisse, die zur Vertreibung aus dem Paradies führen, bewegen Lilly zutiefst, und sie versteht, dass Gott sich von den Menschen niemals abgewandt hat. Ihre Aufgabe ist es nun, die Geschichte neu zu erzählen. William Paul Young hat bereits in Die Hütte zentrale spirituelle Fragestellungen neu beleuchtet und ein Millionenpublikum damit begeistert. In seinem neuen Roman zeigt er dem Leser eine ungewöhnliche und faszinierende Interpretation der ältesten Geschichte unserer Welt.
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Das Buch
Auf eine Insel zwischen unserer Welt und der nächsten wird ein Schiffscontainer an Land gespült. Darin entdeckt John, der Sammler, eine junge Frau, halb erfroren und dem Tode nah. Er nimmt sie auf und gemeinsam mit Heilern und Gelehrten pflegt er Lilly gesund. Sie ist diejenige, auf die sie gewartet haben, damit die Vorhersage in Erfüllung geht. Sie wird von Eva, der Mutter allen Lebens, selbst eingeladen, Zeugin der Schöpfungsgeschichte zu werden. Und so erfährt sie, was damals wirklich im Garten Eden geschah.
Der Autor
Der gebürtige Kanadier WILLIAM PAUL YOUNG wuchs als Sohn von Missionaren in Papua-Neuguinea auf und war selbst viele Jahre lang Mitarbeiter einer christlichen Gemeinde. Mit seiner Familie lebt er in Oregon, USA. Sein Roman Die Hütte ist ein Weltbestseller, der bereits über 25 Millionen Leser erreichte und 2016 verfilmt wurde.
www.wmpaulyoung.com
WILLIAM PAUL YOUNG
Wie alles begann
Aus dem Amerikanischen vonMaja Ueberle-Pfaff
Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Eveim Verlag Howard Books, ein Verlag von Simon & Schuster, Inc.
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ISBN: 978-3-8437-1331-3
© der deutschen Ausgabe 2016 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
© der Originalausgabe Eve 2015 by William Paul Young
All Rights Reserved.
Published by arrangement with the original publisher, Howard Books, a Division of Simon & Schuster, Inc.
Übersetzung: Maja Ueberle-Pfaff
Lektorat: Barbara Krause
Umschlaggestaltung: FranklDesign, München, nach einer Vorlage von the BookDesigners & Shutterstock
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Diese Geschichte ist meiner Schwester Debbie gewidmet. Ich bin ewig dankbar, dass ich dein Bruder sein darf.
GEFUNDEN
Unschlüssig, ob er diesen herrlichen Morgen mit stummen Gebeten würdigen oder sich ganz seiner staunenden Bewunderung überlassen sollte, saß John, der Bewahrer, an einen Baum gelehnt. Seine Zehen gruben sich in den kühlen Grund unter dem schon sonnenwarmen Sand. Vor ihm breitete sich ein leicht gekräuselter Ozean aus, der sich bis zum Horizont erstreckte, wo er in einen klaren kobaltblauen Himmel überging.
Die salzige Meeresbrise trug den Duft nach Eukalyptus, Myrrhe und den Blüten des Kosobaumes zu ihm herüber. John lächelte. So kündigte sie sich immer an – wie eine erste, liebevolle Umarmung. Er widerstand dem Impuls aufzuspringen und rückte stattdessen ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen, senkte den Kopf und atmete tief ein. Es war lange her.
Die hochgewachsene, feingliedrige ebenholzschwarze Frau nahm seine unausgesprochene Einladung an und setzte sich neben ihn. Mit der Zärtlichkeit einer Mutter zerzauste sie ihm das graumelierte Haar. Ihre spielerische Berührung sandte ein wohliges, beruhigendes Kribbeln den Rücken hinunter, und die Last, die er unbewusst trug, wurde leichter.
Er wäre gerne noch eine Weile so sitzen geblieben, aber ihre Besuche geschahen nie ohne Absicht. Dennoch zügelte er seine Neugier vorläufig und genoss die sanfte Zufriedenheit, die ihre Gesellschaft ihm gewährte.
Nach einer Weile gab er sich einen Ruck. »Mutter Eva?«
»John?« Ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste er, dass sie verschmitzt lächelte. So uralt und mächtig diese Frau war, sie strahlte doch immer eine ansteckende, kindliche Freude aus. Sie zog ihn zu sich heran und küsste ihn auf den Scheitel.
»Heute bist du hier seit …«, setzte sie an, und er beendete den Satz: » … seit genau einhundert Jahren. Wenn das der Grund für deinen Besuch ist, danke ich dir.«
»Zum Teil«, bestätigte Eva. »Hundert Jahre an ein und demselben Ort sind immer ein Grund zum Feiern.«
John stemmte sich hoch und klopfte sich den Sand von den Kleidern, bevor er Eva die Hand bot. Sie ließ sich von ihm aufhelfen, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Dichtes weißes Haar schmückte wie eine geflochtene Krone ihr von unzähligen Jahren gefurchtes Antlitz, das einer meisterhaften Skulptur ähnelte, modelliert aus Freude und Sorge. Durch ihr Strahlen glich sie mehr einem Kind als einer Matriarchin, ihre mahagonibraunen Augen funkelten erwartungsvoll.
Bevor Johns Fragen nur so aus ihm heraussprudeln konnten, brachte Eva ihn mit ihrer erhobenen Hand zum Schweigen.
»Denk daran: Eine gute Frage ist tausend Antworten wert.« Sie zwinkerte ihm zu. »Überlege sie dir gut.«
Er brauchte dafür nur einen Augenblick. »Wie lange?«, wollte er wissen. »Wie lange müssen wir noch warten, bis am Ende unsere Heilung vollendet sein wird?« Er ergriff Evas Hand und legte sie auf sein Herz.
»Viel früher, John, als an dem Tag, an dem ich dieselbe Frage gestellt habe.«
John atmete tief ein und ließ das bernsteinfarbene Licht auf sich wirken, das aus ihren Augen leuchtete. Er nickte.
»Aber ich bin wegen des heutigen Tages gekommen, John. Heute wird mein Kind in eure Welt hineingeboren.«
John runzelte die Stirn. »Dein Kind? Aber Mutter Eva, sind wir nicht alle deine Töchter und Söhne?«
»Ja, das seid ihr«, bestätigte sie. »Doch wir wissen seit Langem, dass es Drei gibt, die für uns alle stehen und uns vertreten. Die Eine, der das Versprechen des Samens gegeben wurde, die Eine, deren Samen den Kopf der Schlange zertreten wird, und die Eine, die für immer mit dem Samen vereint sein wird. Die Mutter, die Tochter, die Braut. Die Ankunft des Mädchens weist darauf hin, dass das Ende begonnen hat.«
Vor lauter Verblüffung nahm John nur am Rande wahr, wie Eva einen Kieselstein aufhob und damit zum Wasser ging, doch er folgte ihr instinktiv, als hätte er keinen eigenen Willen. Sie warf den Stein in hohem Bogen über das Meer, und die beiden sahen zu, wie er fast ohne Aufspritzen in die grünlichen Fluten eintauchte.
»John«, sagte Eva, »im Ozean des Universums können ein einziger Stein und seine Kreiswellen alles für immer verändern.«
John ließ eine kleine Welle über seine Zehen schwappen, die beim Zurückfließen Sand unter ihnen mit sich nahm. Evas Nähe empfand er immer als heilsam und verwirrend zugleich.
In diesem Augenblick durchschnitt eine schrille Stimme ihre Zweisamkeit. »John, du alter Trödler!«
Er drehte sich um. Während Evas Düfte ihn noch wie ein Lebewohl umwehten, fuhr ihm eine erfrischende, kühle Meeresbrise in den Nacken.
Vor ihm stand Letty, und als er sich nach Eva umschaute, war sie fort.
»Die Strandgutsammler rufen seit über einer Stunde nach dir, und da du der einzige Bewahrer im Umkreis von über hundert Kilometern bist …«
John wandte sich wieder dem Meer zu, suchte sich einen glatten Kieselstein und warf ihn mit Schwung in die Luft, damit er elegant und möglichst geräuschlos mit der scharfen Kante ins Wasser eintauchen würde. Warum ihn so ein kleines Erfolgserlebnis immer noch freute, war ihm selbst ein Rätsel.
»Wozu die Eile«, murmelte er ungehalten, als Letty eifrig herantrippelte, und hob widerspenstig den nächsten Stein auf.
Letty war ein kleines Hutzelweiblein, kaum einen Meter groß, mit einem Krückstock, einem Schultertuch und verschiedenen Socken in verschiedenen Schuhen. Sie sah aus wie ein rundlicher, verschrumpelter Apfel, der zu lange in der Sonne gelegen hatte. Ihr Blick war stechend, sie hatte eine Hakennase und fast keine Zähne mehr im mürrisch verzogenen Mund. Ihr Stock hätte ohne Weiteres als Zauberstab durchgehen können, und jetzt war er direkt auf John gerichtet. Als John ihre Anspannung bemerkte, ließ er den Stein fallen.
»Letty?«
Sie sprach betont langsam und deutlich. »Am frühen Morgen wurde heute vor der Küste ein großer Metallcontainer entdeckt, an Land gezogen und geöffnet. Die Gelehrten haben bereits herausgefunden, dass er in Echtzeit von der Erde hergetrieben ist.«
»Das passiert nicht zum ersten Mal«, sagte John.
»Wir haben ihn geöffnet und die Überreste von zwölf Menschen gefunden, alles junge Frauen, bis auf einen Mann.«
»Du lieber Gott!«, entfuhr es John, und es hätte ebenso gut ein Gebet wie ein Ausruf sein können.
»In dem Container scheinen Menschen über große Entfernungen transportiert worden zu sein, wahrscheinlich an Bord eines großen Frachters. Da kein anderes Strandgut angeschwemmt wurde, nehmen wir an, dass man ihn absichtlich über Bord geworfen hat, aber erst nachdem die Mädchen darin exekutiert worden waren. Zum Glück, wenn man bei einer solchen Tragödie überhaupt von Glück sprechen kann …«
John ließ sich in den Sand fallen und legte den Kopf auf die Knie. Die Wärme des Tages und die sanfte Brise kamen ihm auf einmal wie ein Hohn vor. Evas Lebensfreude hatte sich zusammen mit ihr verflüchtigt.
Wut und Kummer stiegen in ihm auf. Da spürte er Lettys kleine Hand auf seiner Schulter.
»John, wir dürfen es der Schattenkrankheit nicht erlauben, in unsere Herzen einzudringen. In diesem beschädigten Kosmos empfinden wir nun einmal Schmerz. Wir empfinden Wut, zu Recht, aber wir dürfen den Zugang zur Freude nicht verlieren, die jenseits unseres Verstandes existiert. Das alles zu fühlen bedeutet, dass wir lebendig sind.«
Er nickte. »Du sagst, diese Menschen seien alle weiblich, außer einem?«
»Ja, ein Mann mittleren Alters ist auch dabei. Vorläufig lautet die einhellige Meinung, dass er versucht hat, die Mädchen zu beschützen. Dahinter verbirgt sich zweifellos eine Geschichte, aber es könnte lange dauern, bis wir sie vollständig rekonstruieren können.«
»Ich will die Mädchen nicht sehen …«
»Keine Sorge. Die Körper wurden ins Heiligtum der Trauer überführt und werden gerade für die morgige Feuerzeremonie vorbereitet. Im Moment bist du gehalten, das zu tun, was nur du tun kannst … damit die Strandgutsammler den Container auseinandernehmen können und die Künstler sich einfallen lassen, wie wir dieser Kinder würdig gedenken können.«
John schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, dem Himmel zugewandt. Er wünschte, sein Gespräch mit Eva hätte nicht mit einer so deprimierenden Nachricht geendet.
»Nun geh schon«, ermutigte Letty ihn, »die anderen warten.«
John war überrascht, wie groß der Container war. Er maß mindestens zehn Meter und war so schwer, dass ihn die Transporteure mit einem guten Dutzend ihrer Tiere über Baumstämme hatten aus dem Wasser ziehen müssen. Hinter dem Behälter hatten sich auf dem sandigen Ufer der Bucht tiefe Spurrillen eingegraben. In mehreren Zelten waren Tische aufgestellt worden, auf denen sich der Inhalt des Containers stapelte: Kleidungsstücke, Decken und ein paar Plüschtiere. Es war kälter an diesem Strandabschnitt, als hätte sogar die Sonne ihr wärmendes Gesicht abgewandt.
John holte ein kleines Kästchen aus seiner Tasche, klappte es auf und steckte sich einen Ring an, den er so lange drehte, bis eine Art Prägestempel richtig eingestellt war. Nun würde alles, was er mit diesem Ring berührte, einen Datumsstempel tragen und später in sein Haus, die »Zuflucht«, gebracht werden, wo es gelagert, untersucht und dokumentiert würde. Aus der anderen Tasche zog er ein Paar dünne Handschuhe, die er sich überstreifte.
Der erste Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregte, war ein kleiner schwarzer Aktenschrank mit drei verschlossenen Schubladen. Er markierte ihn mit seinem Ring. Das Schränkchen fühlte sich kalt an. John winkte eine Handwerkerin zu sich, die sich mit Schlössern und Schlüsseln auskannte und den Schrank in wenigen Sekunden öffnete, sodass John den Inhalt inspizieren konnte. Er fand, was er erwartet hatte: Ordner mit Aufzeichnungen und Informationen, Ladelisten, Rechnungen und verschiedene andere Dokumente.
Die unterste Schublade enthielt Mappen mit knappen persönlichen Daten der Mädchen, darunter jeweils ein Porträtfoto. Größe, Gewicht, Alter, Gesundheitszustand. Die Namen waren offensichtlich Decknamen; jedes der Mädchen hieß wie ein Land der Erde, beginnend mit den Buchstaben des Alphabets – Ägypten, Bolivien, Chile, bis hin zum Libanon. John starrte die Bilder an. Die Augen auf den Fotos öffneten sich wie Fenster zu zwölf Lebensgeschichten, die eine angemessene Trauer erforderten.
John wollte gerade die Schublade schließen und weitergehen, als ihm ein Gedanke kam. Er zählte die Mappen. Zwölf, wie Letty gesagt hatte. Aber da stimmte etwas nicht! Letty hatte den Mann mitgezählt. John zählte noch einmal nach. Zwölf Fotos, zwölf junge Mädchen. Das bedeutete, dass ein Mädchen fehlte. Vielleicht hatte es fliehen können, oder aber die Unterlagen waren falsch. Diese Diskrepanz ließ ihm keine Ruhe.
Hatte Eva vorhin etwa von einem dieser Mädchen gesprochen?
Aus einer Eingebung heraus verließ er das Zelt und ging die wenigen Meter zum Container hinüber. Neben der Tür standen aufgereiht die schützenden Stiefel für die Arbeiter, die man später gründlich säubern und dekontaminieren würde. Er suchte sich ein Paar in seiner Größe.
Ein Ingenieur begrüßte ihn. »Hallo, John. Eine schreckliche Tragödie.«
John band sich die Schnürsenkel zu und nickte. »Ich will kurz hinein und etwas an den Aufzeichnungen überprüfen. Muss ich auf etwas achten?«
»Nein, es liegt immer noch allerlei Kram herum, den wir durchgehen sollten, aber alles Wichtige haben wir schon herausgeholt.«
John nickte traurig.
»Außerdem haben wir gerade erst das Kühlaggregat abgeschaltet. Es ist immer noch eiskalt da drinnen. Wahrscheinlich ist es kaputt und steckt im Kühlmodus fest, was ein Segen ist. Die Leichen waren fast steifgefroren. Sei vorsichtig, es ist ziemlich rutschig.«
Die Türen knarrten, ließen sich jedoch mühelos öffnen, und Sonnenlicht flutete ins Innere. Flackernd schaltete sich die Innenbeleuchtung an, was auf ein von der Kühlung unabhängiges Batteriesystem hindeutete. Nach den ersten Schritten merkte John, dass er unwillkürlich den Atem angehalten hatte. Er ließ ihn durch die zusammengebissenen Zähne entweichen, und die Luft verteilte sich in Form von Dampfwölkchen im Raum.
Der Laderaum war ungefähr zu einem Drittel mit größeren Gegenständen gefüllt – Kisten, Matten, Plastikbehälter –, daneben lagen Papierabfall und Müll. Irgendwann würde er dieses Durcheinander sichten müssen. An den Wänden und am Boden des metallenen Sarges klebte gefrorenes Blut. Vorsichtig wich John den Flecken aus. Jedes Geräusch, das er verursachte, hallte unnatürlich laut durch die Stille.
Am hinteren Ende sah er den Ventilator einer Kühlanlage, der sich nicht mehr bewegte und auf dessen Flügeln sich bereits Eis zu bilden begann. Er vergewisserte sich durch einen schnellen Blick nach allen Seiten, dass es keinen verborgenen Winkel gab, in dem sich das fehlende Mädchen verstecken konnte.
Ein ungewöhnliches Detail allerdings fiel ihm auf. Am hinteren Ende der Containerwand, in der Nähe des Kühlaggregats, ragte ein Metallrahmen etwa einen halben Meter aus der Wand. John ging vorsichtig auf ihn zu und nahm ihn genauer in Augenschein. Unter dem Rahmen waren Scharniere angebracht, und als er mit den Fingern über das Wandstück darüber fuhr, stieß er auf zwei große Klemmen. Vermutlich würde, wenn er sie öffnete, die ganze Vorrichtung nach außen und unten klappen. Ein Schlafplatz vielleicht, eine Art Koje oder herausziehbare Tischplatte? Für einen Bewacher womöglich?
Er zögerte. Dann blies er sich in die Hände und zog die Klemmen auf, die mit einem dumpfen Klacken aufsprangen. Als er die Metallplatte nach unten ließ, spürte er die beißende Kälte des Stahls durch die dünnen Handschuhe an Fingern und Handflächen. Die Platte war schwer, und er musste sich mit einer Schulter dagegen stemmen, bis sich die starken Ketten an beiden Enden vollständig abgespult hatten. Endlich hielten sie die Platte in horizontaler Lage ein Stück über dem Boden. Und da fand er sie.
Jemand hatte das junge Mädchen in den viel zu engen Raum gepfercht, die Liege hochgeklappt, und sie hatte nicht genügend Platz gehabt. Man hätte meinen können, dass sie friedlich schlief, wenn auch mit seltsam verdrehten Gliedmaßen und stark nach unten geneigtem Kopf, wäre nicht ihr ganzer Körper von Schnitten und Rissen übersät gewesen, aus denen, als der Druck nachließ, eine Flüssigkeit sickerte. Ein Fuß war fast vollständig abgetrennt. John starrte wie aus Raum und Zeit gefallen auf den gefrorenen Körper.
Dann drehte er sich um und verließ den Container, zu schockiert, um dem geronnenen Blut auszuweichen. Er musste Menschen holen, die es gelernt hatten, mit so etwas umzugehen.
»Ich habe noch ein Mädchen gefunden«, schrie er aufgewühlt und löste damit eine hektische Betriebsamkeit aus. Noch während er die Stiefel aufschnürte und auszog, stürzte jemand an ihm vorbei in den Container. John ging zurück zu dem Zelt, in dem er das Schränkchen gestempelt hatte, setzte sich davor und ließ sich gegen die Zeltplane sinken.
»Gott, wie kann es sein, dass Du uns immer noch liebst?«, flüsterte er und blickte zum Container hin. »Bitte schenke ihr Deinen Frieden.«
Das geschäftige Hin und Her veranlasste ihn jedoch, wieder aufzustehen. Kurz darauf kam ein Transporteur zum Zelt gerannt. Der Mann umarmte ihn stürmisch.
»John! Das Mädchen, das du gefunden hast – es lebt noch! Knapp, aber es lebt.« Strahlend umarmte ihn der Mann gleich noch einmal. »Du bist jetzt ein Finder, John!«, rief er im Hinauslaufen. »Wer hätte das gedacht!«
John schlug die Hände vors Gesicht. Er fühlte sich wie benommen. Wenn dieses Mädchen Evas Kind sein sollte, so war es eine traurige und qualvolle Geburt, eine Geburt inmitten von Blut und Wasser. Wie sollte aus so viel Bösem etwas Gutes entstehen?
ANFÄNGE
Alles in ihrem Inneren explodierte. Alles schmerzte.
Doch warum? Ihre Erinnerung versagte.
Bilder stürzten übereinander. Lichtblitze stießen zu wie Schwerter, durchbohrten sie. Schroffe Geräusche – dissonant, schrill, furchterregend – lösten eine panische Angst aus. Ihr Atem ging schnell und stoßweise und rauschte in ihren Ohren.
Dann wieder ein Lichtblitz, der sich zu einem quälend grellen Lichtschein ausweitete. Schemenhafte Bewegungen, Musik … Streicher? Eine schwarze Frau, die sich erst in einen braunhäutigen Mann verwandelte, dann in eine rote Samtfliege. Zusammenhangloses Zeug. Sie musste aufwachen, unbedingt. Versuchte es. Konnte es nicht.
In ihrem Kopf tobte ein Hurrikan über dem tosenden Meer … eine Monsterwelle überspülte sie, drückte sie unter Wasser. Sie schnappte nach Luft … eine Wasserkaskade … sie bekam keine Luft mehr …
Als die Dunkelheit sie in sich aufnahm, begrüßte sie sie wie einen Freund.
Sie wurde von einem unbekannten Gesicht geweckt, das sich über sie beugte. Verschwommene Konturen. Eine Stimme? Wo war sie? Wer war sie? Sie kniff die Augen zusammen, aber die Bilder ließen sich nicht ausblenden. Ihre Lungen brannten. Die Luft war schwer. Flüssig. Diesmal waren die Schatten siegreich. Sie rückten immer näher an sie heran und verschluckten sie. Ein schwacher weißer Lichtschein schrumpfte zu einem Punkt und löste sich im Nichts auf.
Sie schrie. Was ist mit mir los? Kein Laut drang aus ihrer Kehle.
Unzusammenhängende, von Geräuschen begleitete Erinnerungsfetzen – oder waren es Träume, Halluzinationen? – verzerrten sich in ihrem Kopf zu Schreckensbildern wie in einem Spiegelkabinett. Sie zuckte zurück, versuchte sich zu verstecken, unsichtbar zu machen. Aber wohin konnte sie schon? Aus ihren erstickten Schreien wurde ein verzweifeltes Schluchzen.
Auf ihrer Stirn ein warmes Tuch. Tröstlich. Und ein stechender Geruch, dem sie keinen Namen geben konnte. Er drang in sie ein, floss durch die Kehle bis in den Bauch, in Arme und Beine, bis in die Zehen und Fingerspitzen. Eine unwiderstehliche Erleichterung. Der Geräuschpegel ließ nach. Stille senkte sich auf sie.
Sie schlief wieder ein.
Als sie das nächste Mal erwachte, drang in der diffusen Stille der Nacht ein Gespräch an ihre Ohren.
»John.« Eine hohe und schrille weibliche Stimme. »Diese junge Frau ist eine Anomalie. Die Heiler versuchen, etwas über ihre Herkunft herauszufinden, aber ihr genetischer Code treibt sie zum Wahnsinn. Keiner von uns hat je so etwas gesehen! Es ist absurd!«
Ein Mann antwortete in einem ruhigen, freundlichen Tonfall: »Gott tummelt sich anscheinend gern im Bereich des Unmöglichen und Absurden.«
Das Mädchen befahl ihren Augenlidern, sich zu öffnen. Sie weigerten sich. Ein Gewicht, das dem Mädchen alle Kraft raubte, schien sie niederzudrücken. Warum kann ich mich nicht bewegen?
»Sie werden mehr Zeit brauchen, dieses Rätsel zu lösen«, sagte die Frau mit der hohen Stimme.
»Wir werden viel Zeit haben. Mit ihrer Genesung wird es nicht so schnell vorangehen.« John seufzte. »Ich verstehe nicht viel, Letty, aber eines weiß ich: Das Mädchen ist zu meiner persönlichen Anomalie geworden!«
Letty lachte. »Schau mal an! Du klingst ja plötzlich so fürsorglich und weichherzig!«
Das Mädchen mobilisierte alle Kräfte. Aufwachen! Aufwachen! Der Raum um sie her füllte sich mit Schmerz. Ihr Körper schien in Schieflage zu geraten. Sie kämpfte gegen das Gefühl des Fallens an.
»Manchmal wundere ich mich über mich selbst!« John gluckste leise. »Warum ich? Was glaubst du? Warum hat Eva meine Mitwirkung gewollt?«
»Vielleicht weil du ein Zeuge warst?«
»Und was hat das mit dem Mädchen zu tun?«
Die Frau, die Letty hieß, summte als Antwort eine fröhliche Melodie. Das Schwindelgefühl hörte abrupt auf. Der Körper fand sein Gleichgewicht wieder. Die Stimmen wurden leiser. Das Mädchen schwamm in einem See des Friedens.
Tochter. Eine neue Stimme drang aus der Ferne an ihre Ohren. Tochter.
Der Duft von Gewürzen und Blumen lag in der Luft. Sie spürte eine federleichte Berührung auf dem Handrücken. Warm. Weich. Wohltuend.
Mein Kind.
Was für ein Kind? Als das Mädchen noch einmal ihre gesamte Willenskraft zusammennahm, konnte sie die Augen öffnen.
Neben ihrem Bett stand eine schwarzhäutige Frau. Sie war jung und alt, königlich und schlicht, zart und stark. Lächelnd beugte sie sich über das Mädchen und küsste es auf die Stirn.
Das Mädchen brachte nur ein Flüstern zustande. Wer bist du? Es schienen gedämpfte Laute angebracht, aber dann fragte sie sich, ob sie die Worte nicht nur gedacht hatte.
Ich bin deine Mutter. Du bist die Zeugin. Komm und sieh!, flüsterte die Frau, ohne die Lippen zu bewegen. Ihre langen Finger legten sich um die Handgelenke des Mädchens und hoben sie hoch, als wäre sie schwerelos und nicht ans Bett gefesselt.
Meine Mutter? Bei dem Wort Mutter stieg Bitterkeit in dem Mädchen auf. Es war alles so verwirrend. Sie wollte nicht weg von hier.
Komm, meine Tochter. Komm mit und werde Zeugin der Schöpfung, der Vollkommenheit, die deinen misshandelten Körper und deine wunde Seele heilen wird!
Das Mädchen wehrte sich gegen den sanften Griff und versuchte, sich den schlanken Fingern zu entwinden, aber es gelang ihr nicht. Ein Luftkuss auf der Wange löste in ihr ein Gefühl aus, als würde sie pfeilschnell in die Höhe schießen – und nun war sie es, die sich hilfesuchend an die Hand der Frau klammerte. Fassungslos sah sie, was sie unter sich zurückgelassen hatte: ihren eigenen Körper, aus dem sie gerade aufgestiegen war. Ihren halbtoten, geschundenen, bandagierten Körper. Er lag unter einem Gewirr von Gurten, Schläuchen und Kabeln, die an im Hintergrund surrende Maschinen angeschlossen waren.
Einen Moment lang war alles still. Entsetzt hielt das Mädchen den Atem an und kämpfte gegen eine jähe Übelkeit an.
Wie viele Male kann ich sterben?, dachte sie.
Nein – nicht Tod, sagte die Mutter. Leben. Komm mit und sieh. Ich verspreche dir, dass du nicht enttäuscht sein wirst.
Und dann gab sie die Hand des Mädchens frei.
Das Mädchen machte die Augen fest zu, um die aufsteigende Angst von sich fernzuhalten. Doch statt zu fallen, schwebte sie. Eine fremdartige Wärme flutete über sie hinweg, etwas Zähes, Öliges, das sich ihrer bemächtigte und sie zugleich wohltuend in sich barg. Doch dann schlüpfte die Substanz in ihren Mund. Die Erkenntnis, dass sie diesen glitschigen Schlamm schluckte, brachte sie wieder an den Rand der Panik. Sie schnappte nach Luft, woraufhin noch mehr Flüssigkeit in ihre Lungen floss.
Erst als sie merkte, dass sie nicht erstickte, entspannte sie sich nach und nach ein wenig.
Eine Flüssigkeit, die sich einatmen lässt? Unmöglich! Verrückt!
Mit weit geöffneten Augen ließ sie sich durch einen unsichtbaren Kosmos treiben. Sie widerstand dem Impuls, einen Anker, einen Halt in der Zeit oder im Raum zu suchen, an dem sie die Erinnerung festmachen konnte. Fast fühlte sie sich frei.
Ein tiefer Friede durchflutete sie, eine Ahnung, dass sie nicht allein gelassen wurde. Jemand wusste, dass es sie gab, wenn auch nur die Frau mit der ebenholzschwarzen Haut, die behauptete, ihre Mutter zu sein. Komm mit und sieh, hatte sie gesagt. Schau her. Aber das Universum, durch das sie trieb, war leer, verwaist und formlos.
Zorn regte sich in ihr. Wie unangenehm vertraut ihr das war – erst der Köder, und unmittelbar darauf verlassen zu werden.
Sie schwebte und hätte nicht sagen können, ob für eine Nanosekunde oder eine Million Jahre. Es gab keine Möglichkeit, den Unterschied zu erkennen. Es gab nichts zu beobachten, nichts zu sehen.
Dann ein lauter Knall. Sie schrak zusammen und zitterte. Unwillkürlich reckte sie den Hals, der Lichtexplosion entgegen. Innerhalb von Sekundenbruchteilen verteilte sich das Licht, überwältigende Energien und Informationen gingen von ihm aus, rasten auf das Mädchen zu, an ihm vorüber. Da war Farbe. Da war Gesang. Da waren Feuer und Jubel und Blut und Wasser. Da waren Stimmen – einzelne und viele, anschwellend und zupackend –, die sich mit der Leere vereinten.
Chaos und Materie prallten aufeinander, wodurch Verspieltheit und Kraft wie Funken davonstoben und Energie, Raum und Zeit erzeugten. Am Rand applaudierten anmutige Wesen dieser Darbietung, und ihre Hochstimmung brach aus ihren Handflächen hervor wie glänzende Wassertropfen, glitzernde Schweißperlen, schimmernde Juwelen. Harmonien rankten sich um eine zentrale Melodie, und in der Gesamtheit ergab sich ein ungeheures Klanggewirr.
Sie fühlte sich größer als eine Galaxie und kleiner als ein Partikel. Um sie herum riss ein Freudentaumel die Substanz der Dinge auseinander und setzte sie wieder zusammen. Eine Flut von Stimmen erhob sich und hüllte sie in ein Bukett von Aromen. Weihrauchduft verwandelte sich in eine sehnsuchtsvolle Ballade, eine tänzerische Choreographie des Seins und der Einheit. Und um alles herum und durch alles hindurch vernahm man nicht Eine, nicht Zwei, sondern Drei Stimmen – und doch nur Eine. Ein herrliches, dröhnendes Gelächter voller Güte.
Der Große Tanz, bestätigte eine Stimme.
Der Tanz der Mutter? fragte sich das Mädchen.
Dies ist der große Anfang.
Das Mädchen drehte sich auf der Suche der Stimme in der Flüssigkeit einmal um sich selbst. Wo war die Frau? Zaghaft rief sie: »Mutter?«
»Ah, endlich wach, wie ich sehe, und nicht nur ein paar Sekunden. Willkommen im Land der Lebenden und in der Zuflucht.«
Die Stimme klang vertraut. Das musste John sein. Seine Stimme war fest und ganz und gar unauffällig, aber verglichen mit dem, was sie gerade erlebt hatte, empfand sie diese Normalität fast schon als ein wenig enttäuschend.
Toll, dachte sie. Ich bin schon wieder gestorben, und das hier ist die Hölle und in ihr ist ein Mann.
Sie versuchte, ihm das Gesicht zuzuwenden. Hörte ihn »Nicht!« schreien.
Zu spät. Ein stechender Schmerz presste ihren Nacken wie eine Schraubzwinge zusammen. Am Rand ihres Blickfelds sammelte sich Nebel, der auf die Mitte zu waberte. Sie gab auf. Das Letzte, was sie hörte, als das immer dunklere Grau sich auf sie senkte, war die unauffällige Stimme, die aufgebracht seufzte: »Und schon macht sie sich wieder davon …«
Etwas Weiches wischte ihr sanft übers Gesicht. Ein Flüstern.
Was du gesehen hast, war der Schoß der Schöpfung und seine Erschaffung. Was du gehört hast, war die allererste Empfängnis. Nun erwarten wir die Ankunft des Kindes.
Die Augen des Mädchens weiteten sich, und sie sah, dass sich der Kosmos immer noch entfaltete, durchdrungen von unbekümmerter Freude und unablässig in Bewegung.
Du meinst … das hier ist der Anfang der Welt?
Die allererste Geschichte. Die Stimme, die sprach, war körperlos, außen und innen, überall und nirgends.
Das Mädchen war noch nicht überzeugt. Der Urknall?
Als Antwort ertönte ein tiefes Gelächter. Aus dem Klang wurde ein goldenes Seil aus sichtbaren Harmonien und Melodien, die sich wie Teppichfäden miteinander verwoben, durchsetzt von Edelsteinen und Feuer, verflochten mit Glaube, Hoffnung und Liebe.
Der Schoß der Schöpfung wuchs und expandierte, dehnte sich weiter aus. Er war machtvoll, wild und ungezähmt, gleichzeitig geordnet und präzise.
Das Mädchen war fasziniert und beunruhigt. Erwartungsvoll und zynisch. Angezogen und abgestoßen. Sie kannte diese Geschichte – und auch wieder nicht.
Oder doch?
Es war alles so wunderschön und erschreckend. Inmitten des herrlichen Tumults tauchte eine kleine blaue Kugel auf, die sich drehte, zerbrechlich und ungeschützt.
Dies ist der Ort, an dem die Schwangerschaft sich bald in Wasser, Blut und Staub vollenden wird! Hier wird das Kind geboren. Und du wirst die Zeugin dieses Ereignisses sein, meine Tochter. Du bist eine Zeugin der Anfänge.
Die Worte marterten ihr Gehör. Sie waren hart und klangen nach Religion. Sie rissen eine innere Wunde in ihr auf.
Nein.
Es geschieht dir zuliebe, meine Tochter. Es ist ein Geschenk an dich und jeden Mann und jede Frau, die unter diesem aufkeimenden Licht geboren werden.
»Nein.« Sie hatte laut gesprochen. Das Wort bohrte sich in die Schönheit wie ein vergifteter Pfeil. »Ich bin keine Zeugin. Und ich will keine sein.«
Das Universum flackerte und erlosch.
Eine andere Melodie, ein kunstloses Summen und Zungenschnalzen, zog sie abrupt auf ihr Bett zurück. Der Kontrast zwischen diesen belanglosen Tonfolgen und den atemberaubenden Harmonien der Schöpfungsmusik war deprimierend. Es war, als verenge sich ein gewaltiger, tosender Wasserfall unversehens zu einem kläglichen, dünnen Rinnsal, das in ein stehendes Gewässer tröpfelt.
Doch sie war auch erleichtert.
Jemand summte eine Melodie, die sie nicht erkannte, trällerte ein Lied ohne Worte. Als das Mädchen kraftlos hustete, brach das Gesumm sofort ab. Schritte näherten sich ihrem Bett.
»Wollen wir es noch einmal versuchen?« Dieselbe Männerstimme wie vorher. John. Diesmal sah sie seine Gesichtszüge, wenn auch so verschwommen, als würde sie vom Grund eines Ozeans nach oben blicken. Ein braunhäutiger Mann mit einem kurzen Bart, buschigen Augenbrauen und graumelierten schwarzen Haaren. Seine Bewegungen verursachten ihr Übelkeit, und sie schloss rasch die Augen.
Das Summen setzte wieder ein, diesmal an einer anderen Stelle.
Der Mann wischte dem Mädchen sanft die Tränen fort, die sich unter dem Verband gesammelt hatten, der fast ihr gesamtes Gesicht bedeckte. Sie zuckte bei seiner Berührung zusammen und wollte protestieren. Aber sie konnte den Unterkiefer nicht bewegen. Er steckte in einer Art Käfig, der in ihrem Mund einen stark metallischen Geschmack hervorrief. Das Schlucken bereitete ihr Mühe. Wieder geriet sie durch das Gefühl des Eingesperrtseins an den Rand der Panik.
»Schon gut, immer sachte.« Der beruhigend und tröstlich gemeinte Ton verstärkte ihre Übelkeit nur noch. »Ich kann mir vorstellen, dass du gerade völlig durcheinander bist. Du hast sicher tausend Fragen. Ich habe jedenfalls viele. Halt, versuch nicht zu sprechen«, setzte er rasch hinzu, »es wird noch nicht funktionieren. Aber sie meinen, dass es bald wieder geht.« John stellte sich neben das Bett. »Wenn du verstehst, was ich sage, mach bitte die Augen weit auf und blinzele einmal für ja und zweimal für nein.«
Sie blinzelte einmal.
»Damit ich ganz sicher sein kann: Das war ein einzelnes Blinzeln für ja, richtig? Keine zufällige Reaktion oder ein schlechtes Timing meinerseits? Einmal für ja und zweimal für nein, das hast du verstanden?«
Sie empfand einen Anflug von Ärger und war versucht, sich bewusstlos zu stellen. Das Eingesperrtsein und Johns Anweisungen widerstrebten ihr. Trotzdem gehorchte sie.
Blinzel.
»Ausgezeichnet.« Er klang ehrlich erfreut. »Gut. Ich möchte nicht immer weiterquatschen, so toll finde ich meine Stimme nun auch nicht. Hm?«
Sie war verwirrt und beschloss, zweimal zu blinzeln. Hatte er ihr eine Frage gestellt?
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Das ist unser erster Versuch, ein richtiges Gespräch zu führen. Ich muss mich mehr anstrengen. Wie wäre es, wenn ich am Ende jeder echten Frage ein ›ja‹ oder ›nein‹ anhänge? Würde dir das helfen? Ja oder nein?«
Sie blinzelte.
»Gut. Dann will ich mich zuerst einmal vorstellen. Mein Name ist John, und du wirst in meinem Haus betreut, das die meisten ›Zuflucht‹ nennen. Mit uns im Raum ist derzeit die kratzbürstige und etwas zu kurz geratene Letty …«
»Er meint klein, Schätzchen«, ertönte eine schrille Frauenstimme. Die unverhoffte Anwesenheit einer Frau im Zimmer beruhigte das Mädchen.
»Ich bin klein und älter als er, und er ist neidisch auf beides«, kicherte die Alte. »Und falls du dir Sorgen machst, Schätzchen, du bist vollständig bekleidet und zugedeckt, und außer mir gibt es noch mehr Frauen, die über dich wachen. Obwohl du von John wirklich nichts zu befürchten hast.«
Das Mädchen sah verschwommen, wie der Mann seinen Kopf drehte und die unsichtbare Person anlächelte. »Letty, ich könnte dir einen Hocker holen, damit sie dich sehen kann.«
»Das ist vorläufig nicht nötig, John. Ich bin nur eben vorbeigekommen, um nach deinem Schützling zu sehen und dir zu sagen, dass drei Fremde zu unserer Gemeinschaft gestoßen sind. Gelehrte, die, nach ihrem Äußeren zu urteilen, von sehr weit her kommen. Sie wollen mit dir und dem Mädchen sprechen. Das ist alles.« Das Gesumm setzte wieder ein, und damit war klar, dass es von Letty stammte.
Der Mann wandte sich wieder dem Mädchen zu. »Kennst du deinen Namen, ja oder nein?«
Blinzel. Blinzel.
»Nein? Hmm, dann muss ich annehmen, dass du auch nicht weißt, woher du kommst und nicht einmal aus welcher Zeit. Keine Frage, nur eine Beobachtung.« Das Mädchen schloss gelangweilt die Augen. Warum ging er nicht endlich weg? Sie wollte schlafen.
»Erinnerst du dich überhaupt daran, wie du hergekommen bist, ja oder nein?«
Blinzel. Blinzel.
In der nächsten Viertelstunde stellte er eine Frage nach der anderen. Aber die Kommunikation verlief sehr einseitig, und der ständige Anspruch, sie möge doch antworten, strengte sie an und frustrierte sie.
Nein, sie erinnerte sich nicht daran, woher sie kam, und auch nicht an ihre Familie. Sie war ein Mensch und eine Frau, das wusste sie, und dass er danach fragte, fand sie eigenartig.
Ja, sie hatte Schmerzen.
Das stimmte wirklich – ihr Kopf hämmerte im Takt ihres Pulsschlags –, aber nein, die Zehen konnte sie nicht krümmen und auch nicht die Füße bewegen, und sie spürte nichts, wenn er dagegen tippte. Sie konnte die Augenbrauen hochziehen, die Stirn runzeln und blinzeln, aber das war alles, was ihr an Mimik geblieben war.
Der Gedanke löste erneut Angst aus, und das Pochen in ihrem Kopf wurde stärker, aber John erklärte ihr sofort den Grund für ihre Lähmung. Man hatte ihr bestimmte Heilkräuter und Medikamente gegeben, weil sie, um vollständig gesund zu werden, absolut ruhiggestellt werden musste. Das beruhigte sie ein wenig, warf aber gleich wieder neue Fragen auf, die sie nicht stellen konnte.
Der Mann lief im Raum umher, während er redete, und ab und zu klapperte oder knarrte etwas, und sie musste ihre Phantasie bemühen, um sich vorzustellen, was er da wohl machte.
John bezeichnete sich selbst als Bewahrer. In seiner Eigenschaft als Bewahrer lagerte er bei sich Gegenstände, die von der Meeresströmung an Felsbuchten in der Nähe seines Hauses angeschwemmt worden waren. Sie selbst lag seit mehreren Monaten in dieser Zuflucht.
›Angespült‹ worden war sie laut John am Ufer einer ›Insel‹ zwischen den Welten, als Opfer einer ›Tragödie‹ – eines grauenhaften, brutalen Vorfalls. Mit ihr war noch mehr Strandgut angeschwemmt worden: ein buntes Durcheinander aus Metall, Papieren, Spielsachen und Holz, Kunstgegenständen und anderen Überresten ihrer Zivilisation und Zeit. Man hatte alles in Kisten gepackt und in einem anderen Raum ganz in der Nähe untergebracht. Wenn sie wieder gesund war, würde sie alles durchsehen können.
»Ich hatte gar nicht vor, dich zu finden«, sagte John. »Schließlich bin ich ein einfacher Bewahrer und kein Finder.«
Anscheinend waren Finder immer auf geheimnisvolle Weise mit ihrem Fund verbunden. Wenn sie John richtig verstand, galt dieses Gesetz grundsätzlich im gesamten Universum.
Dem Mädchen gefiel die ganze Geschichte nicht. Sie sollte mit einem Mann eng verbunden sein? Sie bekam Angst. Ihr war zumute, als säße ein nervöser Wolf in ihrem Inneren.
Seine Erklärungen dauerten fast eine Stunde, und dann entschuldigte er sich weitere fünfzehn Minuten überschwänglich dafür, dass sein Redeschwall den Eindruck vermittelte, an ihrer – und damit auch seiner – Situation sei ganz allein sie schuld.
Das war gemein, dachte sie, denn damit fügte er ihr einen grausamen Schmerz zu, der nicht weniger wehtat als eine körperliche Wunde.
Bald darauf wurde sie jedoch von dem melodischen Singsang seiner Worte und dem ruhigen Summen im Hintergrund eingelullt. Sie konnte sich nicht mehr auf seine Ausführungen konzentrieren und wollte es auch nicht mehr. Erschöpft ließ sie sich vom Strom der Worte davontragen und hoffte auf eine tiefschwarze Dunkelheit ohne jegliche Erwartungen.
Sie hoffte vergebens.
LILLY UND DIE SCHLANGE
Das Mädchen schwebte langsam auf die Erdoberfläche zu und näherte sich einem kleinen, kahlen Hügel am Rand einer welligen Ebene, aus der Baumgruppen herausragten, die sich an manchen Stellen zu Wäldern verdichteten. Dahinter zog sich am rötlichen Horizont eine Hügelkette entlang, und noch weiter hinten ragten die Felszacken eines Gebirgszugs auf.
Sie nahm die großartige Szenerie kaum wahr, denn ihre Aufmerksamkeit wurde von dem gefesselt, was hinter ihr stattfand. Als sie sich neugierig umdrehte, fuhr sie erschrocken zurück. Über einem Hochplateau brauste ein gigantischer Sturm aus wirbelnder Energie und Wasser. Die Barriere reichte von rechts nach links und vom Erdboden bis zum Himmel, so weit das Auge reichte. Sie pulsierte, als wäre sie lebendig. Das Licht und die Hitze, die sie abstrahlte, glühte in jeder Zelle ihres Körpers nach.
»Mich verblüfft und bezaubert sie auch immer noch«, sagte eine Stimme neben ihr. Das Mädchen konnte sich kaum vom Anblick der Wand losreißen, aber die hochgewachsene, feingliedrige Frau interessierte sie dann doch mehr.
»Du bist diejenige, die sich Mutter nennt«, sagte sie. »Du bist nicht meine Mutter.«
Die Präsenz der Frau war noch greifbarer und überwältigender als die Sturmbarriere. Sie stand in aufrechter Haltung da, beeindruckender und schöner, als das Mädchen sie von ihrer ersten Begegnung in Erinnerung hatte. In ihrem ebenmäßigen Gesicht lagen klare dunkelbraune Augen mit goldenen Reflexen, und die zu Zöpfchen geflochtenen weißen Haare fielen ihr wie kleine Sturzbäche auf die Schultern. Ihr herrlich schimmerndes, farbenfrohes Gewand wallte unablässig, als passte es sich jedem Gedanken und jeder Geste an.
Lächelnd beugte sich die Frau vor, bis ihre Stirn die des Mädchens berührte.
»Ja, ich bin deine Mutter, Lilly«, flüsterte sie.
»Lilly?« Der Name brachte etwas in dem Mädchen zum Klingen, und sie wusste sofort, dass dies ihr Name war. »Mein Name ist Lilly? Oh Gott, ja, ich erinnere mich. Mein Name ist Lilly Fields!«
Da erst fiel ihr auf, was die Frau noch gesagt hatte. »Und du bist meine Mutter? Wie kannst du meine Mutter sein? Du bist so …«
»Schwarz?« Die Frau lachte so hell und fröhlich, dass Lilly sich trotz ihrer Verwirrung von ihr anstecken ließ. »Mein Liebes, wie schön ist das Schwarz, das alle anderen Farben enthält und bewahrt!«
»Ich weiß immer noch nicht, wer du bist. Wie heißt du?«
»Eva.«
»Du bist Eva? Die von Adam und Eva?«
»Ja, mein Kind. Eva, die Mutter aller Lebendigen! Was glaubst du, wo wir sind, Lilly?«
»Das weiß ich nicht«, stotterte Lilly. »In einem Traum oder Drogenrausch oder irgendeiner grässlichen Psychose?« Sie holte tief Luft. »Werde ich verrückt?«
Sie ließ den Kopf hängen und starrte auf den Boden, als käme von dort Hilfe für ihre konfusen Gedanken. Überrascht stellte sie fest, dass sie selbst auch ein durchscheinendes, makelloses Gewand aus flirrendem Licht trug, das sie schützend umhüllte. Sofort meldete sich die gewohnte Angst, entblößt und ausgeliefert zu sein, aber gleichzeitig fühlte sie sich ungewohnt sicher – ein Widerspruch, der ihr schwer zu schaffen machte.
»Wenn du mich wirklich kennen würdest«, murmelte sie mit niedergeschlagenen Augen, »wüsstest du, dass ich nicht hierher gehöre.«
»Mein Liebes«, sagte Eva, »kannst du denn jemals behaupten, dass du dich wirklich kennst?« Sie brach ab, und ihre nächsten Worte klangen gebieterisch und Respekt einflößend. »Ich spüre die Anwesenheit einer Anklage. Zeige dich mir!«
Lilly hörte ein Knacken im Gestrüpp, und gleich darauf schob sich der Kopf einer kräftigen Natter hervor. Die Schlange schien Eva nicht zu bemerken – oder sie tat wenigstens so – und richtete sich sofort drohend vor dem Mädchen auf. Lilly sprang erschrocken zurück. Die Schlange starrte ihr in die Augen und stellte ihre Haube auf. Ihre gespaltene Zunge fuhr tastend durch die Luft. Eva beobachtete sie mit undurchdringlicher Miene und verschränkten Armen.
»Was bist du?«, zischte die Schlange. »Ich habe deine Art noch nie gesehen.«
Lillys Hals war wie zugeschnürt. Sie wandte den Blick ab. »Nichts«, wisperte sie. »Ich bin nichts.«
»Laut deinem eigenen Urteil bist du nichts. Aber das Nichts hat eine Stimme, wer bist du also?«
»Niemand«, sagte Lilly. »Ich gehöre nicht hierher.« Seltsamerweise schien die Schlange bei jedem ihrer Worte zu wachsen.
»Kurios!« Die Schlange bog ihren Vorderkörper zurück, als wolle sie das Mädchen besser in Augenschein nehmen. »Dann sag mir doch, warum sind Nichts und Niemand hier?«
Darauf hatte Lilly keine Antwort.
Die Schlange legte den Kopf schief und ließ die Zunge vorschnellen. »Du bist eine merkwürdige, mir ganz unbekannte Gattung. Nichts weiter als eine Störung.« Damit ließ sie sich zu Boden fallen und verschwand. Lilly hatte Herzklopfen und fühlte sich irgendwie abserviert, aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Das Rascheln im Laub zeigte ihr an, wie schnell sich die Schlange entfernte.
»Was war das?«, fragte sie.
»Manchmal«, sagte Eva, »ist eine Schlange nur eine Schlange.«
»Aber sie hat mit mir geredet.«
»Manchmal ist eine Schlange aber auch mehr. Wenn eine Lüge zu viel Aufmerksamkeit erfährt, kann sie wachsen. Aber das ist es nicht, was mich beschäftigt. Sondern dass deine Anwesenheit anderen bekannt ist, und diese anderen sind dir nicht alle wohlgesinnt.«
Lilly schlang die Arme um sich. »Du machst mir ein bisschen Angst.«
»Hab keine Angst«, sagte Eva. »Ich habe gesehen, wie das alles hier entstanden ist.«
»Das alles …«, Lilly breitete die Arme aus, als wolle sie ihre Umgebung umfassen, »ist mehr als einmal passiert?«
»Nein, es hat sich nur einmal ereignet, und nun existiert es«, erwiderte Eva, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. »Und du bist hier, um es zu bezeugen.«
»Eva?« Impulsiv streckte Lilly die Hand nach der Frau aus. Ihrer beider Finger verflochten sich, und Lilly war überrascht, wie offen sie ihre Gedanken aussprechen konnte, ohne befürchten zu müssen, dass sie verurteilt oder bestraft wurde.
»Ja, meine Tochter.« Eva lächelte sanft und drückte Lillys Hand.
»Ich will keine Zeugin sein, egal, was das ist.«
»Es ist ein Privileg und eine Ehre.«
In Lillys Kehle bildete sich ein Kloß. Sie schämte sich und wusste nicht, warum.
»Das klingt für mich wie eine neue Möglichkeit zu versagen. Weißt du, ich hab's nicht so mit der Religion.«
Eva zog fragend die Augenbrauen hoch. »Von Religion habe ich nicht gesprochen.«
»Ich meine, die Geschichte kenne ich natürlich. Wahrscheinlich hab ich die mal gehört, als ich noch klein war. Gott erschafft die Welt, sie ist vollkommen, Gott erschafft den Mann, Gott erschafft die Frau, die Frau ruiniert alles …« Lilly zögerte. »Du müsstest doch eigentlich wissen, was ich meine, oder?«
Die goldenen Pünktchen in Evas Augen funkelten. »Was soll ich wissen?«
»Na ja, dass seitdem alle ziemlich sauer auf die Frauen sind. Gott kommt mir auch ziemlich wütend vor, jedenfalls meiner Erfahrung nach.«
»Und welche Erfahrung ist das?«
Ihr Gedächtnis ließ sie im Stich, wieder einmal. Lilly betrachtete ihre Finger, die immer noch mit Evas verschränkt waren, und plötzlich war ihr ohne jeden ersichtlichen Grund zum Weinen zumute.
»Lass mich nicht allein, okay?«, bat sie mit erstickter Stimme.
»Ich bin nie weit weg.« Evas Augen funkelten nicht mehr schelmisch, nun standen Tränen in ihnen. »Du bist schließlich meine Tochter, deshalb existiere ich bereits in dir, und du in mir.«
Nach dieser Zusicherung war Lilly wieder etwas beruhigt. Eva hob den Kopf, und Lilly folgte ihrem Blick. »Siehe«, sagte Eva, »die festgesetzte Zeit ist gekommen. Ich will dir ein Versprechen geben: Du wirst es nie bereuen, eine Zeugin zu sein.«
»Na, wieder in der Gegenwart angekommen?« Lilly konnte John nicht sehen, aber sie wusste, dass er es war, der gesprochen hatte, und war ein wenig verärgert, weil er sie aus dem Schlaf gerissen hatte.
»Ich habe dir beim Träumen zugesehen.«
Na, toll. Was für ein Widerling.
John lachte leise, als hätte er ihre Gedanken belauscht, aber er war nicht im Mindesten gekränkt. Lilly errötete vor Scham. »Wenn du träumst, bewegen sich deine Augen unter den Lidern, als wäre das, was du siehst, wirklich da.«
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Tatsächlich könnte das, was du siehst, wirklich da sein. Ich bin kein Traumexperte. Das ist nicht mein Fachgebiet. Ich sollte einen Gelehrten fragen. Jedenfalls warst du völlig versunken in dem … was immer es war.«
Versunken, dachte Lilly. Ja, das war das treffende Wort. An einem Ort, der irgendwo zwischen dem Schmerz, der langweiligen Normalität dieses Zimmers und der überwältigenden Erhabenheit ihrer lichten Visionen lag. Sie wollte keine Zeugin sein, aber sie wollte auch nicht von Eva getrennt sein. Etwas in ihrem Inneren veränderte sich, und der leuchtende Traum versank wie die Sonne am Abendhimmel.
Ihre Augenbrauen hoben sich fragend, und John versuchte eine Deutung. »Meinst du das Träumen oder die Gelehrten? Soll ich dir von den Gelehrten erzählen, ja oder nein?«
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