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Was ist wahr? Was ist falsch? Bereits in seinem Roman Die Hütte war es William Paul Young wichtig, die Nähe zwischen Gott und den Menschen hervorzuheben. In seinem neuen Buch lädt er uns ein, über Auffassungen nachzudenken, die wir gemeinhin über Gott haben. Oft machen wir uns gar keine Gedanken, ob diese wahr oder falsch sind. Dem möchte er auf den Grund gehen und hat 28 solch gängiger Aussagen wie »Gott ist Christ« oder »Es ist alles nur Zufall« gesammelt und stellt sie zur Diskussion. Warum sagen wir häufig »Gott ist Liebe« und klammern die Beziehungsebene aus? Warum sagen wir nicht einfach »Gott liebt dich«? Der Autor zeigt, wie wir uns mit unseren Gedanken unsere eigene Welt erschaffen und warum viele unserer Ansichten mehr mit uns selbst als mit Gott zu tun haben. Mit seinen Überlegungen zu diesen scheinbar gültigen Wahrheiten fordert Young den Leser heraus und setzt Impulse für ein neues Gottesverständnis.
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Das Buch
Jedes Kapitel bezieht sich auf eine Aussage, an die ich einst glaubte und von der ich mich im Laufe meiner inneren Entwicklung allmählich löste. W.P.Young
In allen Büchern von William Paul Young ist ein zentrales Motiv zu entdecken: die Nähe und Verbundenheit zwischen Gott und dem Menschen. Erstmals geht er diesem Anliegen in einem Sachbuch nach und lädt uns ein, über Auffassungen nachzudenken, die wir gemeinhin über Gott haben. Oft machen wir uns gar keine Gedanken, ob diese wahr oder falsch sind. Dem möchte er auf den Grund gehen und so hat er achtundzwanzig gängige Aussagen wie »Gott ist Christ« oder »Es ist alles nur Zufall« gesammelt und stellt sie zur Diskussion. Warum sagen wir häufig »Gott ist Liebe« und klammern die Beziehungsebene aus? Warum sagen wir nicht einfach »Gott liebt dich«?
Der Autor zeigt anhand von Gesprächen und Erlebnissen anschaulich, wie wir mit unseren Gedanken unsere eigene Welt erschaffen und warum viele unserer Ansichten mehr mit uns selbst als mit Gott zu tun haben.
Der Autor
Der gebürtige Kanadier William Paul Young wuchs als Sohn von Missionaren in Papua-Neuguinea auf und war selbst viele Jahre lang Mitarbeiter einer christlichen Gemeinde. Mit seiner Frau Kim und seinen sechs Kindern lebt er in Oregon, USA. Bekannt wurde er durch seinen Weltbestseller Die Hütte, der auch verfilmt wurde. Seine Romane standen wochenlang auf der Spiegel Bestsellerliste.
WILLIAM PAUL YOUNG
Lügen, die wir uns über Gott erzählen
Aus dem Amerikanischen von Jochen Winter
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ISBN 978-3-8437-1643-7
Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Lies We Believe About Godim Verlag Howard Books, ein Verlag von Simon & Schuster, Inc.
© der deutschen Ausgabe 2017 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
© der Originalausgabe Lies We Believe About God 2017 by William Paul Young
All Rights Reserved.
Published by arrangement with the original publisher, Howard Books, a Division of Simon & Schuster, Inc.
Übersetzung: Jochen Winter
Lektorat: Barbara Krause
Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin, nach einer Vorlage von Howard Books, a Division of Simon & Schuster, Inc.
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Für Scott Closner, meinen besten Freund. Du warst der erste Mensch in meinem Leben,der mir sagte, du würdest niemals fortgehen, egal, welch schlimmen Unfug ich auch treibe. Danke!
Für Tim, meinen Bruder. Du hast ein Leben mit Fragen gelebt, zumeist unausgesprochen – Fragen jedoch über Dinge, die wichtig sind.Du bist wichtig! Ich liebe dich!
Einleitung
Dieses Buch geht auf eine Reihe von Tweets zurück, die ich schrieb und unter dem Titel zusammenfasste: Wörter, die Sie niemals von Gott hören werden. Meine Liste enthält etwa 125 solcher Aussagen, zum Beispiel:
Ich führe Buch über deine Fehler.
Du bist das Kind, das ich nie wollte.
Deine kostbarsten Lügen kannst du ruhig für dich behalten.
Du hast Jesus überschätzt.
Ich brauche dich.
Sie sehen, worum es hier geht. Wenn wir unser Augenmerk auf das Negative richten (auf das also, was Gott nicht sagen würde), können wir das Positive aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Eine derartige Übung ist oft unangenehm, weil sie uns vielleicht dazu bringt, die eigenen Grundsätze und Annahmen in Frage zu stellen, aber allein das wäre schon überaus lohnend. Möglicherweise ist so eine innere Prüfung gar erhellend und hilfreich. Indem wir uns vergegenwärtigen, was Gott unsnicht mitteilen würde, sind wir in der Lage, Vorstellungen zu untersuchen, die wir für richtig halten, und Lügen zu entlarven, die wir uns über Gott einreden. In meinem RomanEve (Eva. Wie alles begann) vertritt eine der Figuren im ersten Kapitel jene Auffassung, die für manche Leser zunehmend an Bedeutung gewonnen hat: Eine gute Frage ist tausend Antworten wert. Überlege sie dir sorgfältig.
Die Welt, in der ich aufwuchs, legte keinen großen Wert auf Fragen. Bestenfalls waren sie ein Zeichen der Unwissenheit – und schlimmstenfalls ein Beweis für Auflehnung. Wer immer unserer Theologie, Wissenschaft oder auch nur unserer Meinung widersprach, galt als Feind und Zielscheibe. Einzig die Gewissheit zählte.
Während ich – hoffentlich mit Anstand – älter wurde, ging es in meinem Leben immer mehr um die gute Frage und die tausend Antworten als um die Überzeugung, recht zu haben. Ich brauchte lange, um ein aufmerksamer Zuhörer zu werden, der nicht bloß lauscht, um den eigenen Standpunkt zu verteidigen oder Erklärungen abzugeben, sondern zulässt, dass ein Gespräch ihn herausfordert und unter Umständen seine gewohnten Sichtweisen verändert.
In jüngeren Jahren präsentierte ich mich gerne als ein intelligenter und rational denkender Mensch. Dieses Image erlaubte mir, mich hinter meinen Ideen zu verstecken, die Unordnung des realen Lebens und authentischer Beziehungen nach besten Kräften zu meiden. Ich benutzte meine persona als Abwehrmechanismus und Sicherheitswand, um die Leute auf Abstand zu halten. Ich glaubte, ihnen damit ein Schnippchen zu schlagen. Als sich herausstellte, dass ich tatsächlich clever war, obendrein kreativ, wurde ich noch darin bestärkt, in meiner abgehobenen Position zu verharren und den anderen durch Worte zu schaden. Sie, liebe Leser, hätten mich vielleicht aufgrund meiner überzeugenden Argumentation respektiert, mich aber nicht wirklich gemocht.
Zum Glück habe ich mich inzwischen sehr verändert. Das Haus meiner Seele wurde auf schmerzliche Weise in seine Bestandteile zerlegt und mein gebrochenes Herz dann einem mühevollen Wiederaufbau unterzogen. Und wie bei jedem Menschen bleibt auch in meinem Innern noch viel Arbeit zu leisten, gemäß dem unaufhörlichen Prozess des Seins und des Werdens.
Ich wurde im Sinne der evangelisch-protestantischen Überlieferung großgezogen. Doch es gibt kein reines Erbe: Das Schöne und Erbauliche ist unauflöslich verwoben mit dem Hässlichen und Schädlichen. Immer wieder schlängeln sich Halbwahrheiten und sogar Lügen in unsere Herzen. Wie Schimmel, der ein Kunstwerk befallen hat, muss diese eindringende Dunkelheit sorgfältig beseitigt werden, damit das Ursprüngliche und Schöpferische keinen Schaden nimmt.
Das vorliegende Buch widmet sich also nicht der Darstellung von Gewissheiten. Keine der hier durchgeführten Untersuchungen von »Lügen« resultiert in einer endgültigen oder uneingeschränkten Ansicht über das betreffende Thema. Eher sind sie gleichsam Kostproben umfassenderer Überlegungen oder Gespräche. Jedes Kapitel bezieht sich auf eine Aussage, an die ich einst glaubte und von der ich mich im Laufe meiner inneren Entwicklung allmählich löste. Vielleicht werden Sie sich mit manch einer identifizieren, nicht aber mit anderen, um meinen Schlussfolgerungen dann zuzustimmen oder nicht. Einige dieser Vorstellungen mögen mit besonderen Herausforderungen verbunden sein, andere naiv und belanglos erscheinen. Auch darin bekundet sich das einzigartige Wunder unserer Lebensreise sowie die Schönheit des Dialogs und der zwischenmenschlichen Beziehung.
Mit einer Gestalt in der Bibel identifiziere ich mich am meisten, nämlich mit dem Blindgeborenen, von dem in Johannes 9 die Rede ist. Meine bisherige Reise war ein langwieriger Lernprozess, um zu sehen – hier zum ersten Mal, dort mit umso größerer Klarheit. Ungeachtet meiner weitläufigen Studien mangelt es mir an der Tiefgründigkeit zahlreicher Theologen, die sich der Erforschung biblischer Texte und Ideen verschrieben haben. Nichtsdestotrotz bin ich dankbar für ihre Arbeiten, lese sie und lausche ihnen, als würden mir dadurch wertvolle Geschenke zuteil.
Bei Ihrer anschließenden Lektüre werden Sie vieles über meine Persönlichkeit erfahren. Die Neuausrichtung meiner Theologie geschah nicht mühelos, hat mich jedoch positiv beeinflusst. Dank jener inneren Bewegung bin ich heute ein besserer Ehemann, Vater, Sohn, Freund und Mensch. Falls mein Wort keine Klärung bewirkt, dann hoffentlich mein Leben. Es gibt Zeiten, in denen ich – mit dem Ausdruck meiner Lieblingsfigur im Johannesevangelium – nur ein Bekenntnis ablegen kann: »Ich war blind, nun aber sehe ich.«
An dieser Stelle möchte ich Sie darum bitten, die nachfolgenden Botschaften großzügig sowohl als Freunde wie auch als Gegner zu betrachten. Die Ersteren, weil das, was Ihnen hier und jetzt kostbar ist, am Ende nicht weniger kostbar sein soll. Die Letzteren, weil wir alle darauf angewiesen sind, dass unsere Grundsätze und Annahmen manchmal hinterfragt und einer Prüfung unterzogen werden müssen, damit wir Augen haben, um zu sehen, Ohren, um zu hören. In den Schriften der Theologen, Philosophen, Psychologen und Wissenschaftler habe ich zugleich Freunde und Gegner gefunden. So kann ich ihnen genauer zuhören und gestatten, dass sie mit ihren Überzeugungen den Boden meines Herzens und meines Geistes umgraben, Unkräuter samt Wurzeln ausreißen, Samen säen, dann die Keimlinge wässern und einige gar zur Reife bringen. Dieser Prozess ist nicht immer ein Vergnügen, aber er entschädigt für den Aufwand.
Letztlich sitzen wir alle in einem Boot. Ihre Gesundheit ist meine Gesundheit. Ihr Verlust ist mein Verlust. Oft aber neigen wir dazu, eine Lüge zu glauben statt der Wahrheit Zugang ins Innere zu gewähren, wo sie unsere zum Selbstschutz errichtete Festung ebenso erschüttert wie die Sicherheit unserer Vorurteile. Der Dialog sollte niemals ein Mittel sein, das Gegenüber zu beherrschen oder mit Gewissheiten zu überhäufen, sondern jenen Respekt bezeigen, der dem Wesen der Beziehung entspricht. Wir alle brauchen neue Perspektiven, um zu sehen. Jedenfalls gilt das für mich.
Es sei noch einmal betont: Dieses Buch setzt sich aus einer Reihe von Essays zusammen, um bestimmte, miteinander verbundene Vorstellungen zu untersuchen, die mir als Lügen erscheinen – Lügen, die ich früher glaubte und die weiterhin viele von uns mehr oder weniger stark beeinträchtigen. Mein Freund, der Theologe Dr. C. Baxter Kruger, Autor von The Shack Revisited (Wie wir Gott begegnen. Die Hütte und das neue Bild von Gott), Patmos, Across All Worlds, Jesus and the Undoing of Adam, The Great Dance und anderer Bücher, hat ein Nachwort geschrieben, das die religiösen Voraussetzungen meiner Idee von Wahrheit fachkundig umreißt. Damit gibt er dem ganzen Buch einen würdigen Rahmen.
Für einige werden die hier dargelegten Auffassungen innovativ und vielleicht sogar transformativ sein, gelegentlich aber auch unbequem. Keine Sorge, bleiben Sie entspannt. Ihr ursprünglicher Lehrer ist der Heilige Geist; Gott, dem Sie vertrauen können und der Sie bestens kennt, wird Ihnen zuverlässig den Weg in die Wahrheit weisen, die Jesus ist.
Seien Sie versichert: Auf den folgenden Seiten biete ich keine vollständigen oder abschließenden Lösungen. Mit dem Älterwerden wird mir umso deutlicher bewusst, was ich nicht verstehe. In diesen Texten entwickle ich Ideen und werfe Fragen auf, die zum Nachsinnen anregen – mit der Hoffnung, dass unsere inneren Augen aufgetan werden, dass wir Gottes Güte und immerwährende Liebe deutlicher wahrnehmen und endlich entdecken, wer wir in dieser Großen Umarmung eigentlich sind.
1
»Gott liebt uns,mag uns aber nicht.«
Im Norden der kanadischen Provinz Alberta herrscht tiefer Winter. Die Temperatur liegt deutlich unter null; es ist einer jener derart kalten Tage, an dem sich die Nasenhaare anfühlen wie kleine, in die Nasenlöcher gesteckte Stacheln und jeder ausströmende Atem eine eigene Nebelbank bildet. Unweit von diesem Ort kam ich in den nördlichen Prärien zur Welt.
»Wenigstens ist’s ’ne trockene Kälte«, wirft jemand ein, was zwar stimmt, aber nur ein schwacher Trost ist.
Wir betreten das Gebäude, und ich lege die Schutzschichten meiner Kleidung ab, tausche sie ein gegen die Wärme im Innern der Haftanstalt. Wir befinden uns in einem Frauengefängnis. Die Insassinnen, die mich gebeten haben, ihnen einen Besuch abzustatten und über meine Arbeit zu sprechen, sagten, Dutzende Exemplare von DieHütte hätten hier die Runde gemacht und einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die Regierung gewährte den Frauen eine kurze »Unterbrechung« vom eintönigen Alltag – mit der Aufforderung, über ihr Leben und ihre bisherigen Entscheidungen nachzudenken, wozu Menschen außerhalb dieser Mauern selten Gelegenheit haben. Die Frauen werden heute aus freien Stücken eine Stunde mit mir verbringen. Ihre Gegenwart empfinde ich als ein besonderes Geschenk.
Wer Augen hat zu sehen, wird hinter rauen Schalen und in versteinerten Herzen vielerlei Wunder entdecken. Die meisten Frauen sind wegen einer dramatisch schiefgelaufenen Beziehung in dieser Haftanstalt. Ihre erlittenen Treuebrüche und Verluste sind sichtbar in der zur Schau getragenen Trotzhaltung oder einer kaum verborgenen Scham. Unter all den Verwundeten und Ausgestoßenen fühle ich mich fast wie zu Hause. Das sind meine Leute, unsere Leute.
Ich weiß nicht mehr, über welches Thema ich gesprochen habe. Wahrscheinlich über die Gefängnisse in meinem Leben, über Orte, die für mich einen großen Wert bekamen, weil ich außer ihnen keine kannte. Darüber, wie wir an der Gewissheit unseres Schmerzes festhalten, statt das Wagnis einzugehen, einem Menschen jemals wieder zu vertrauen. Tief verletzte Seelen im Raum begannen zu weinen. Bruce Cockburn, der kanadische Dichter und Musiker, würde dies als rumours of glory deuten, als Zeichen der Verheißung. Verlorene Münzen, verlorene Schafe, verlorene Söhne, aber nicht irgendwelche. Das sind meine Söhne, meine Schafe und meine Münzen.
Ich beende meine Rede, und nur wenige ziehen sich zurück. Andere warten, damit ich ihr Exemplar signiere. Ich umarme jede, was sicherlich eine Verletzung sämtlicher Vorschriften darstellt. Doch schon seit einer Weile habe ich mit solchen Normen gebrochen, und niemand stört sich an meinen heiligen Begegnungen. Eine Frau steht wartend da, ihr Körper emotionsgeladen. Sobald ich sie einfach in die Arme nehme, ist es, als würde eine Energie freigesetzt, die den Damm in ihr zum Einsturz bringt. Minutenlang schluchzt sie hemmungslos. Ich flüstere: Macht gar nichts, ich habe andere Hemden dabei, ich halte Sie, Sie sind in Sicherheit. Mir ist unbegreiflich, wie viel Elend, wie viel Menschlichkeit durch diese eine kurze Berührung flutet, aber sie ist echt und instinktiv und herzzerreißend.
Schließlich legt sich ihre Aufregung so weit, dass sie die Sprache wiederfindet.
»Glauben Sie wirklich«, stammelt sie leise, »dass Papa mich lieb hat?«
Da ist sie, die gewaltige Frage, und dieses zarte menschliche Geschöpf vertraut sie mir an. Selbst diejenigen, die Gottes Existenz leugnen, wollen unbedingt erfahren, ob die Liebe existiert und ob sie weiß, wer wir sind. Mehr noch, wir werden von innen her dazu getrieben, die Frage an das nahe oder übermächtige Du zu riskieren: Siehst du irgendetwasin mir, dasliebenswert ist, das genügt, das der Liebe würdig ist?
Im Roman DieHütte gibt es eine Szene, in der Mackenzie, die Hauptfigur, mit der Infragestellung seiner grundsätzlichen Annahmen konfrontiert wird. Er begegnet Sophia, der göttlichen Weisheit, und sie fragt ihn nach der Liebe zu seinen Kindern. Im Besonderen möchte sie wissen, welches der fünf er am meisten liebe.
Sogar nur mäßig gesunde Eltern würden meinen, dass diese Frage unmöglich zu beantworten sei. Meine Frau Kim und ich haben sechs Kinder. Als das erste geboren wurde, konnten wir uns nicht vorstellen, ein weiteres Kind lieben zu können. Das erste beanspruchte all unsere Liebe. Doch als dann das zweite zur Welt kam, tat sich plötzlich eine neue Tiefe der Liebe auf, die entweder noch gar nicht vorhanden oder uns vor seiner Ankunft verborgen gewesen war. Als würde jedes Kind ein Geschenk der Liebe mit sich führen, das in den Herzen der Eltern verwahrt wird.
In jener religiösen Subkultur, wo ich aufwuchs, wussten wir alle, dass Gott Liebe ist. Wir sagten und sangen es die ganze Zeit, bis die Botschaft nicht mehr allzu viel bedeutete. Sie drückte einfach die Art und Weise aus, wie Gott ist. Ähnlich dem Enkelkind, das erklärt: »Aber ihr müsst mich lieben. Ihr seid meine Großeltern.«
Doch die Aussage: GottistLiebe beantwortet nicht unsere obige Frage, stimmt’s? So habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, den Satz Gottliebt dich umzuformulieren, und statt auf Gott beziehe ich ihn auf das Objekt Seiner unbedingten Liebe – auf uns. Daher sagt Papa in DieHütte immer wieder: »Ich habe sie (oder ihn) besonders lieb.« Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen dieser Äußerung: Ichliebedich, die zuerst mich betrifft, und jener: Ichhabedichbesonderslieb, die vor allem dich betrifft. Beide sind korrekt, aber die letztere durchdringt die Unruhe unserer Seele und gibt zu verstehen: »Ja, ich weiß, du liebst mich, aber kennst du mich und magst du mich? Du liebst, weil du eben so bist, doch ist da etwas an mir, das der Liebe wert ist? Siehst du mich – und magst du, was du siehst?«
»Glauben Sie wirklich«, stammelt sie leise, »dass Papa mich lieb hat?«
Ich drücke sie fest an mich. »Ja«, flüstere ich zurück, während wir beide in Tränen ausbrechen. »Papa hat Siebesonders lieb!«
Kurz darauf scheint sie ihre Gefühle ein wenig im Griff zu haben und schaut mich zum ersten Mal direkt an.
»Das ist alles, was ich wissen musste. Das ist alles, was ich wissen musste.«
Nach einer weiteren Umarmung geht sie davon und lässt mich mit dem Gedanken zurück: Du Liebe, das ist alles, was jeder von uns wissen muss!
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