Evidenzbasierte Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung - Kuhl Jan - E-Book

Evidenzbasierte Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung E-Book

Kuhl Jan

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Beschreibung

Innerhalb der Erziehungs- und Bildungswissenschaft, der pädagogischen Praxis und auch der Bildungspolitik setzt sich immer stärker die Ansicht durch, dass die Unterrichtung, Förderung und Therapie von Kindern und Jugendlichen auf Grundlage fundierter empirischer Erkenntnisse erfolgen sollte. Innerhalb der deutschen Geistigbehindertenpädagogik hat sich dieser Ansatz der evidenzbasierten Praxis noch nicht so sehr verbreitet, wie in anderen Teildisziplinen der (Sonder-)Pädagogik.Dennoch gibt es, international und inzwischen auch vermehrt in Deutschland, eine substanzielle Anzahl fundierter Studien zur Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung in verschiedenen Inhaltsbereichen. Ziel des Buches ist es, die aktuelle Forschungslage zusammenzutragen und für weitere Forschung, insbesondere aber für eine evidenzbasierte Praxis nutzbar zu machen.Innerhalb des Buches soll es zwei Teile geben. Der erste Teil befasst sich grundlegend und inhaltsübergreifend mit dem Konzept der Evidenzbasierung, mit Grundprinzipien von Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung sowie mit empirischer Interventionsforschung. Im zweiten Teil befasst sich jeweils ein Kapitel mit einem ausgewählten Lern-/Entwicklungsbereich.

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Evidenzbasierte Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung

Evidenzbasierte Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung

Kuhl, Euker (Hrsg.)

Programmbereich Psychologie

Jan Kuhl

Nils Euker

(Hrsg.)

Evidenzbasierte Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

CH-3000 Bern 9

Tel: +41 31 300 45 00

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.hogrefe.ch

Programmleitung: Dr. Susanne Lauri

Lektorat: Edeltraud Schönfeldt, Berlin

Herstellung: Daniel Berger

Druckvorstufe: punktgenau gmbh, Bühl

Umschlaggestaltung: Claude Borer, Basel

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen

Printed in Germany Germany

1. Auflage 2016

© 2016 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95499-8)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75499-4)

ISBN 978-3-456-85499-1

Inhalt

Vorwort

Teil I

Kapitel 1

Evidenzbasierte Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung – Chancen und Grenzen des Konzepts

1.1 Evidenzbasierung in der Sonderpädagogik – Ausgangspunkte der aktuellen Diskussion

1.2 Evidenzbasierte Praxis als Gegenentwurf

1.3 Kritik und Grenzen des Konzepts

1.4 Kriterien für die Beurteilung von Evidenz

1.4.1 Erster Schritt: Keine fragwürdigen Konzepte verwenden

1.4.2 Zweiter Schritt: Evidenz von Methoden erkennen

1.5 Umsetzung von EbP

1.6 Besondere Probleme von EbP bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung

Literatur

Kapitel 2

Grundprinzipien des Unterrichts und der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung – Entwicklungs-, Ressourcen- und Lebensweltorientierung

2.1 Besonderheiten des Lernens von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung: Entwicklungs- oder Differenzansatz?

2.2 Beschreibung von kognitiven Prozessen anhand eines allgemeinen Modells

2.2.1 Arbeitsgedächtnis

2.2.2 Aufmerksamkeit

2.2.3 Langzeitgedächtnis und Vorwissen

2.2.4 Lernstrategien

2.2.5 Motivation und Selbstkonzept

2.2.6 Entwicklungsrückstand bei begrenzten kognitiven Ressourcen

2.3 Prinzipien von Unterricht und Förderung

2.3.1 Entwicklungsorientierung

2.3.2 Ressourcenorientierung

2.3.3 Lebensweltorientierung

Literatur

Teil II

Kapitel 3

Diagnostik und Förderung des erweiterten Lesens

3.1 Die Bedeutung der Kulturtechniken Lesen und Schreiben für Schüler im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

3.1.1 Schriftsprachunterricht in der Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (SfGE)

3.1.2 Sichtwechsel in den 1980er Jahren

3.1.3 Lesen hält Einzug in das Curriculum der SfGE

3.2 Konzept des erweiterten Lesens

3.2.1 Der weiter gefasste Lesebegriff in der SfGE

3.2.2 Der erweiterte Lesebegriff im Kontext von Schriftspracherwerbsmodellen

3.2.3 Kann jedes Kind lesen lernen?

3.2.4 Lesen in der SfGE: Zur aktuellen Situation

3.3 Diagnostik der erweiterten Lesefähigkeit

3.4 Förderung der erweiterten Lesefähigkeit

Literatur

Kapitel 4

Diagnose und Förderung des lautorientierten Lesens und Schreibens

4.1 Bedeutung von lautorientierter Lese- und Schreibkompetenz für Kinder und Jugendliche mit intellektueller Beeinträchtigung

4.2 Schriftspracherwerb im engeren Sinne und internationale Forschungsbefunde

4.2.1 Entwicklung von Lese- und Schreibkompetenz

4.2.1.1 Logografische Phase

4.2.1.2 Die alphabetische Strategie, wichtige Vorläuferkompetenzen und Schwierigkeiten beim Erwerb

4.2.1.3 Orthografisches Lesen

4.2.1.4 Automatisiertes Lesen

4.2.1.5 Einfluss kognitiver Fähigkeiten auf den Schriftspracherwerb

4.2.1.6 Zusammenfassung

4.2.2 Diagnose von lautorientierter Lese- und Schreibkompetenz

4.2.3 Förderung des lautorientierten Lesens und Schreibens

4.2.3.1 Research-based techniques for teaching reading skills to students with Intellectual Disabilities

4.2.3.2 Eine empirische Untersuchung zur lautorientierten Leseförderung im deutschen Sprachraum

4.3 Diagnose und Förderansätze für den deutschen Sprachraum

4.3.1 Diagnostik

4.3.2 Förderung

Literatur

Kapitel 5

Diagnostik und Förderung mathematischer Kompetenzen

5.1 Mathematische Bildung von Schülerinnen und Schülern mit einer intellektuellen Beeinträchtigung

5.2 Entwicklung des Zahlbegriffs und Aufbau numerischer Kompetenzen

5.2.1 Entwicklung numerischer Kompetenzen

5.2.1.1 Modell der Zahlen-Größen-Verknüpfung

5.2.1.2 Entwicklung von Zählkompetenzen

5.2.1.3 Bedeutung nichtnumerischer Kompetenzen

5.2.2 Numerische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit einer intellektuellen Beeinträchtigung

5.3 Diagnose von numerischen Kompetenzen

5.3.1 Grundsätzliche Überlegungen

5.3.2 Einsatz des TEDI-Math bei Personen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung

5.3.2.1 Variation der Stimuluskomponenten

5.3.2.2 Responseanforderungen

5.4 Evidenzbasierte Förderung

5.5 Förderung bei schwerer und schwerster intellektueller Beeinträchtigung

5.6 Mathematische Förderung im inklusiven Unterricht

5.7 Fazit

Literatur

Kapitel 6

Diagnostik und Förderung lautlicher Sprache

6.1 Wie erwerben Kinder Sprache, und wie kommt es zu Spracherwerbsproblemen?

6.2 Ein theoretisches Rahmenmodell für die Diagnostik und Förderung von Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen

6.2.1 Phase 1: Vorsymbolisches Handeln

6.2.2 Phase 2: Implizites Symbolwissen

6.2.3 Phase 3: Implizites Sprachwissen

6.2.4 Phase 4: Explizites Sprachwissen

6.3 Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung

6.3.1 Warum sollten standardisierte Verfahren eingesetzt werden?

6.3.2 Welche Testverfahren sind bei Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen geeignet?

6.3.3 Besonderheiten bei der Auswertung standardisierter Verfahren bei Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen

6.3.4 Welche Kompetenzen muss die diagnostizierende Person mitbringen?

6.3.5 Wie erfolgt die maßgeschneiderte Aufgabenauswahl?

6.3.6 Das Konzept der entwicklungsorientierten Sprachdiagnostik (Aktas, 2004, 2012a)

6.4 Entwicklungsorientierte Sprachförderung bei Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen

6.5 Befunde über Sprachförder- und Therapieansätze bei Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen am Beispiel des Down-Syndroms

6.5.1 Förderschwerpunkt Lautbildung

6.5.2 Förderschwerpunkt intentionale Kommunikation

6.5.3 Förderschwerpunkt symbolische Kommunikation

6.5.4 Förderschwerpunkt Auf- und Ausbau des Wortschatzes

6.5.5 Förderschwerpunkt Ableitung und Anwendung von Sprachregularitäten

6.6 Quintessenz

Anhang

Literatur

Kapitel 7

Unterstützte Kommunikation

7.1 Grundlagen der Unterstützten Kommunikation

7.2 Diagnostik

7.3 Methoden der UK

7.3.1 Körpereigene Verfahren (unaided)

7.3.1.1 Basale Kommunikationsmittel

7.3.1.2 Handzeichen, Gesten und Gebärden

7.3.2 Externe Hilfen (aided)

7.3.2.1 Greifbare Symbole (Tangible Symbols)

7.3.2.2 Grafische Symbole und Symbolsysteme

7.3.2.3 Elektronische Hilfen (Talker)

7.4 Fazit

Literatur

Kapitel 8

Diagnostik und Förderung sozial-adaptiver Kompetenz

8.1 Sozial-adaptive Kompetenzen

8.1.1 Dimensionen sozial-adaptiver Kompetenzen

8.1.2 Diagnostik des adaptiven Kompetenzniveaus

8.1.3 Probleme bei der Interpretation diagnostischer Ergebnisse

8.1.4 Einflussfaktoren auf adaptive Kompetenzen

8.2 Förderschwerpunkt: Praktische Kompetenzen

8.2.1 Exkurs: Förderung des selbständigen Toilettengangs

8.3 Förderschwerpunkt: Soziale Kompetenzen

8.3.1 Soziale Kompetenz, soziale Kognition und soziale Fertigkeiten

8.3.2 Soziale Kompetenzen bei intellektueller Beeinträchtigung

8.3.3 Fremdeinschätzungen, direkte Beobachtung und Befragung

8.3.4 Mehrebenen-Konzepte zur Förderung sozialer Kompetenzen

8.3.5 Exkurs: Förderung sozialer Kontaktbereitschaft bei sehr schwerer Behinderung

8.4 Perspektiven der Förderung unter inklusiven Bedingungen

Literatur

Kapitel 9

Diagnostik und Intervention bei problematischen Verhaltensweisen

9.1 Bedeutung des Inhaltsbereiches

9.1.1 Begriffsbestimmung

9.1.2 Prävalenz, Beginn und Folgen

9.2 State of the Art

9.2.1 Die Funktionalität problematischer Verhaltensweisen

9.2.2 Diagnostik

9.2.2.1 Basisdiagnostik

9.2.2.2 Spezifische Diagnostik

9.2.2.3 Funktionale Diagnostik

9.2.3 Förderung und Intervention

9.2.3.1 Löschung

9.2.3.2 Differentielle Verstärkung

9.2.3.3 Funktionales Kommunikationstraining

9.2.3.4 Positive Verhaltensunterstützung (PVU)

9.2.3.5 Snoezelen

9.2.3.6 Musikalische Angebote

9.2.3.7 Gentle Teaching

9.3 Künftige Forschung

Literatur

Kapitel 10

Diagnostik und Förderung bei Autismus

10.1 Autismus und intellektuelle Beeinträchtigung

10.2 Ursachendiskussion und (neuro)psychologische Erklärungsmodelle

10.3 Diagnostik

10.4 Förderung und Intervention

10.5 Fazit und Perspektiven

Literatur

Die Autorinnen und Autoren

Personen- und Sachregister

Vorwort

Die PISA-Untersuchungen, die öffentliche Diskussion der Hattie-Studie und die verstärkt empirische Ausrichtung der deutschsprachigen Bildungswissenschaft und Pädagogik bereiteten den Boden, auf dem sich das Konzept der Evidenzbasierten Pädagogik und Praxis in der deutschen Bildungslandschaft zu etablieren beginnt. Diese Entwicklung ging auch an der Sonderpädagogik nicht spurlos vorüber. Schon 2003 wiesen Runow und Borchert darauf hin, dass Grund- und Förderschullehrkräfte kaum in der Lage sind, die empirisch ermittelte Effektivität von Fördermethoden zu beurteilen, und forderten eine Umorientierung der gängigen Praxis. Auch Grünke (2006) plädiert dafür, die empirische Wirksamkeitsforschung bei der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen stärker zu beachten. Die erste explizite Diskussion von Begriff und Konzept der Evidenzbasierten Praxis (EbP) in Zusammenhang mit sonderpädagogischer Förderung dürfte allerdings von Nußbeck (2007) stammen. Seitdem sind einige Publikationen zu dieser Thematik erschienen. So fand in den Jahren 2012 und 2013 in der Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete ein reger Diskurs zur Evidenzbasierung von Sprachheilpädagogik und Logopädie statt.

Interessanterweise ist es mit Blick auf die Förderung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung der kommunikative Bereich (in der Form von Unterstützter Kommunikation), in dem das Konzept der EbP erstmals aufgriffen wurde (Nußbeck, 2013; Schlosser & Wendt, 2008). Allerdings sind dies bisher die unseres Wissens einzigen Beiträge der deutschen Geistigbehindertenpädagogik zur Frage der Evidenzbasierung von Unterricht und Förderung. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind mehrschichtig und werden in Kapitel 1 dieses Buchs diskutiert.

Für uns ist die Verwendung von wirksamkeitsüberprüften Konzepten, Methoden und Materialien, soweit dies möglich ist, eine Frage der Verantwortung gegenüber den Menschen, mit denen wir pädagogisch arbeiten. Dies war es auch, was uns zu dieser Herausgabe motivierte, die den Anspruch hat, den Diskussionsstand zum Thema Evidenzbasierung in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung zusammenzufassen.

Der Aufbau des Buches ist denkbar einfach. Teil I besteht aus zwei grundlegenden, in die Thematik einführenden Kapiteln. Teil II befasst sich mit verschiedenen Förder- und Unterrichtsbereichen. Die Auswahl der Bereiche richtete sich nach der Bedeutsamkeit, aber auch danach, ob bereits ein Mindestmaß an evidenzbasierten Förderansätzen vorliegt. Genau dieses Doppelkriterium führte dazu, dass der sprachlich-schriftsprachliche Bereich mit vier Kapiteln leicht überrepräsentiert ist.

Bei der Benennung der Personengruppe haben wir den Terminus «intellektuelle Beeinträchtigung» gewählt. Dies geschieht in der Absicht, eine größere Vergleichbarkeit und Anschlussfähigkeit an den international inzwischen gebräuchlichen Begriff Intellectual Disability herzustellen. Unser definitorisches Verständnis von intellektueller Beeinträchtigung orientiert sich an internationalen Gepflogenheiten. Nach diesem Verständnis ist eine intellektuelle Beeinträchtigung charakterisiert durch schwerwiegende Einschränkungen in den Bereichen der Intelligenz (IQ < 70) und des adaptiven Verhaltens (AAIDD, 2010; Schalok, Luckasson & Shogren, 2007). Alternativ wird aber in diesem Sammelwerk, bei vorhandenem Schulbezug, auch der schulrechtliche Begriff «Förderschwerpunkt geistige Entwicklung» verwendet.

Wir möchten uns ganz herzlich bei allen bedanken, die an der Entstehung dieses Buchs beteiligt gewesen sind, und hoffen, dass es bei Wissenschaftlern, aber auch bei Praktikern auf Interesse stößt.

Jan Kuhl & Nils Euker

Literatur

AAIDD – American Association on Intellectual and Developmental Disabilities (2010). Intellectual Disability – Definition, Classification, and Systems of Support (11th ed.). Washington, DC: American Association on Intellectual and Developmental Disabilities.

Grünke, M. (2006). Zur Effektivität von Fördermethoden bei Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen. Kindheit und Entwicklung, 15, 239–254.

Nußbeck, S. (2007). Evidenz-basierte Praxis – ein Konzept für sonderpädagogisches Handeln? Sonderpädagogik, 37, 146–155.

Nußbeck, S. (2013). Evidenzbasierte Praxis in der Unterstützten Kommunikation. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 82, 11–21.

Runow, V. & Borchert, J. (2003). Effektive Interventionen im sonderpädagogischen Arbeitsfeld – ein Vergleich zwischen Forschungsbefunden und Lehrereinschätzungen. Heilpädagogische Forschung, 29, 189–203.

Schalock, R.L., Luckasson, R.A. & Shogren, K.A. (2007). The renaming of mental retardation: Understanding the change to the term intellectual disability. Intellectual and Developmental Disabilities, 45, 116–124.

Schlosser, R.W. & Wendt, O. (2008). Evidence-based Practice in der Unterstützten Kommunikation bei Menschen mit geistiger Behinderung. In S. Nußbeck, A. Biermann & H. Adam (Hrsg.), Sonderpädagogik der geistigen Entwicklung (S. 665–682). Göttingen: Hogrefe.

Teil I

Kapitel 1

Evidenzbasierte Förderung von Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung – Chancen und Grenzen des Konzepts

Jan Kuhl & Nils Euker

1.1 Evidenzbasierung in der Sonderpädagogik – Ausgangspunkte der aktuellen Diskussion

Derzeit existiert im sonderpädagogischen Feld eine unüberschaubare Vielzahl von Förderprogrammen und Interventionsmöglichkeiten. Allerdings finden sich auf diesem Markt der Möglichkeiten etliche Verfahren mit spektakulären Erfolgsversprechungen, aber ohne Wirksamkeitsnachweise (Nußbeck, 2007; Hartmann, 2013a). Für den Praktiker stellt es eine hohe Anforderung dar, aus dieser Vielfalt die richtigen Methoden für die sehr spezifischen Bedarfe und Problemlagen der einzelnen Schülerinnen und Schüler auszuwählen (Nußbeck, 2007).

Auf welcher Grundlage aber treffen Praktiker nun diese komplexen Entscheidungen? Dies mag im Einzelfall sehr unterschiedlich sein; grundsätzlich kritisiert eine Reihe von Autoren (z.B. Grünke, 2006; Mitchell, 2008), dass sich die Auswahl zu wenig an der nachgewiesenen Wirksamkeit von Fördermethoden orientiert. Heward (2003) geht sogar so weit, einen Artikel mit dem provokanten Titel «Ten faulty notions about teaching and learning that hinder the effectiveness of special education» zu überschreiben, in dem er beklagt, dass sich zu viele Lehrer im sonderpädagogischen Feld auf nachweislich unwirksame oder sogar kontraindizierte Annahmen und Konzepte stützen. Die Forschung, so Heward, habe zwar sinnvoll nutzbares Wissen produziert, aber trotzdem verwende man in der Sonderpädagogik zu wenig forschungsbasierte Instruktionsprogramme. Auch Grünke (2006) konstatiert, dass die Verbreitung von Fördermethoden in der Praxis in keinem Zusammenhang mit der in Studien nachgewiesenen Wirksamkeit steht. Über die Verbreitung von Fördermethoden liegen zwar keine validen empirischen Daten vor, aber es existieren Studien darüber, was Lehrkräfte über die Wirksamkeit von Methoden wissen. In einer Studie von Nougaret, Scruggs und Mastropieri (2005) zeigte sich, dass amerikanische Sonderpädagogen über recht fundierte Kenntnisse hinsichtlich der Wirksamkeit von Unterrichts- und Interventionsmethoden für lernschwache Schüler verfügen. Dies gilt für Lehrkräfte an deutschen Schulen leider nicht im gleichen Maß. So gelang es Förder- und Grundschullehrkräften in einer Studie von Runow und Borchert (2003) kaum, die empirisch ermittelte Effektivität von Fördermethoden korrekt zu beurteilen. Lediglich 4 der 20 zu bewertenden Methoden wurden einigermaßen adäquat eingeordnet. Erstaunlicherweise schnitten die Förderschullehrkräfte nicht besser ab als die Grundschullehrkräfte. Man möchte meinen, dass sich die Zeiten seit dem Erscheinen dieser Arbeit gewandelt haben und inzwischen vor allem junge Lehrerinnen und Lehrer gut über die Effektivität von Förderansätzen informiert sind. Eine Untersuchung von Hintz und Grünke (2009) legt indessen nahe, dass dem nicht so ist. In dieser Studie wurden rund 200 Studierende der Sonderpädagogik und des kombinierten Grund-, Haupt- und Realschullehramts aufgefordert, die Wirksamkeit von Interventionen für den Schriftspracherwerb von lernschwachen Kindern einzuschätzen. Dabei zeigte sich, dass beide Gruppen tendenziell die Effektivität von wirksamen Interventionen unterschätzen und von unwirksamen überschätzen. Die Sonderpädagogen hatten keinen Kompetenzvorsprung vor den Regelschullehrkräften und tendierten sogar stärker dazu, nachweislich untaugliche Methoden anzuwenden.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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