Evolution 1 - Jan David Clavijus - E-Book

Evolution 1 E-Book

Jan David Clavijus

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Beschreibung

Von einem neuen Haushaltsroboter bis zu einem gescheiterten Frankensteinprojekt reicht die Thematik der hier versammelten Geschichten, in deren Mittelpunkt eine nicht immer perfekte künstliche Intelligenz steht. Pointiert erzählt und garantiert spannend bis zur letzten Seite.

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Jan David Clavijus

Evolution 1

sf-Erzählungen

Weitere Titel der Reihe 'Evolution':Das Geheimnis von Solthenau

Inhaltsverzeichnis

Freddy

Frankenstein 6.0

Der letzte Chinese

Evolution

Impressum

Freddy

Freddy nahm ihr den Hut ab und legte ihn behutsam auf die Garderobe. Seine Bewegungen hatten etwas leichtes, waren aber zielsicher und entschlossen. Außerdem sah er umwerfend aus. Madelaines Neuerwerb war einfach ein Hammer. Daniela konnte nicht anders, als ihn jedes Mal aufs Neue zu bewundern.

„Ich bereite gerade das Essen vor“, sagte Freddy und Daniela lief ein wohliger Schauer den Rücken hinab.

Sie lächelte Freddy an und warf unwillkürlich einen Blick in den großen Spiegel im Flur. Schnell ordnete sie ihr Haar. Die freundlichen Gesichtszüge Freddys waren genau berechnet. Nicht zu aufdringlich und dennoch entgegenkommend.

„Wann ist Madelaine zurück?“

Freddy lächelte noch immer, erwiderte aber nichts. Im Spiegel sah Daniela, wie sein Lächeln breiter wurde, bis es eine Karikatur war. Sie wandte sich überracht um. Freddys Augen flackerten. Ihr tiefes Himmelblau färbte sich rot.

Ein Reset?

Daniela fragte sich, ob sich für einen Haus-Mat so ein Reset wie ein Orgasmus anfühlte. Sie unterdrückte ein Grinsen, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob Freddy im Moment überhaupt irgendetwas mitbekam. Nach ein paar Sekunden lächelte Freddy wieder auf seine gewinnende Art. Nur die Augen flackerten noch rötlich.

„Abenddiner.“

Daniela überkam ein ungutes Gefühl.

*

Die Halle war mit grünen Fliesen ausgelegt, die offensichtlich vor kurzem einer gründlichen Reinigung unterzogen worden waren, da sich in ihnen die Umrisse der Hall spiegelten. Unter der Decke leuchteten hunderte kleiner Lampen vor einem blauen Hintergrund. Die Türen der Untergrundbahn schlossen sich geräuschlos hinter Madelaine. Sekunden später verschwand die Bahn, die von einem Autopiloten gesteuert wurde, in dem eiförmigen Tunnel. Die wenigen Menschen, die den Waggons entstiegen waren, wirkten verloren in dem riesigen, kugelförmigen Gewölbe. Ihre Bewegungen spiegelten sich in den makellosen Fliesen, krumm, schief, verzerrt, während sie in Richtung der Ausgänge strebten. Der eigentliche Ansturm stand noch aus. Madelaine hatte das große Glück, ein paar Stunden vor der täglich einsetzenden Rushhour Feierabend zu haben. In einer Stunde würde der U-Bahnhof überborden von einer dichtgedrängten Menschenmasse. Madelaine ließ sich von einem der gläsernen Lifte nach oben tragen. Die winzigen Kopfhörer, die mit dem Internet verbunden waren, hüllten sie in die elektronischen Klänge der Venus-Girls, ihrer derzeitigen Lieblingsband, die mit großem Einsatz ihre erste Liebesnacht besangen und dabei spitze Schreie ausstießen.

Bereits von der U-Bahn-Station aus konnte Madelaine ihr Haus sehen. Eines jener Einfamilienhäuser, die in dieser Wohngegend zu hunderten anzutreffen waren: Fertigbauweise in leuchtenden Farben, in Madelaines Fall kirschrot, sowie Dächer aus einem speziellen Kunststoff, um die Vorgärten vor der intensiven Sonnenstrahlung zu schützen. Madelaine hatte auf ihre nackten Arme und Beine – sie trug ein schwarzes Top und einen bis knapp über die Knie reichenden knallgelben Minirock – eine Creme mit hohem Hautschutzfaktor aufgetragen. Die leichte Bräune stand ihr gut, vor allem wegen ihrer Blonden Haare, die sie ungezügelt auf ihre Schultern fallen ließ.

Madelaine wusste, dass ihr Mann wieder spät nach Hause kommen würde. Deshalb hatte sie die nächsten Stunden bereits verplant. Ein paar neue Cyberspace-Programme warteten darauf, ihrer Freundin Daniela vorgeführt zu werden. Darunter eine Reise in den Krater des Vesuvs, begleitet von Elektrorock. Eine geile Angelegenheit. Lavabrocken, die an einem vorbeischossen, überall Feuer und Glut. Und dann noch ein Spaziergang durch das antike Rom, seine Paläste, Privatwohnungen und Bordelle. Die Vorfreude auf diesen Zeitvertreib und das Gefühl, dass keinerlei lästige Hausarbeit auf sie wartete, ließen Madelaines Schritte beschwingter werden. Ihre Stöckelschuhe knallten auf den Pflastersteinen. Kein Putzen, kein Kochen, kein Wäschewaschen, kein Nähen, kein Bügeln. Dafür der Vesuv und Rom. Freddy hatte schließlich seit fast zwei Monaten alles im Griff, was auch nur an Hausarbeit erinnerte. Freddy war ein Haushaltsautomat mit der Typenbezeichnung House-Mat 2.0. 'Brown Edition', was bedeutete, dass sein Teint leicht gebräunt war. Ausgezeichnet mit der Note A* vom internationalen Verbraucherschutz-Team.

Freddy war ein echter Hausfreund, mit einer sonoren Stimme, die Madelaine unter die Haut ging. Warm und vibrierend. Er war perfekt. In allem. Das unterschied ihn von Rinaldo, ihrem Ehemann. Aber Rinaldo war schließlich nur ein Mensch. Ein Mann, der sich im Urlaub ungern rasierte und seine Socken zu spät wechselte. Vor allem aber ein Mann, der mit seiner Karriere verheiratet war.

Die ersten Wochen nach dem Erwerb von House-Mat 2.0 waren eine echte Umstellung für Madelaine gewesen. Sie konnte keinem ihrer Hobbys nachgehen, ohne das Gefühl zu haben, den Haushalt zu vernachlässigen. Gleichgültig, ob sie gerade in eine ihrer Cyberspace-Welten eingetaucht war, oder mit Freundinnen zusammensaß, immer glaubte sie, sich um etwas kümmern zu müssen, irgendeine Kleinigkeit, von der sie sich nicht vorstellen konnte, dass ein Automat in der Lage war, sie ordentlich zu erledigen. Diese Zeiten waren vorbei. Es kam nur noch selten vor, dass Madelaine einen Handgriff im Haus erledigte. Wenn es doch einmal instinktiv passierte, ließ sie, sobald sie es bemerkte, alles liegen und stehen, und rief nach Freddy, der die Arbeit dann ohne Murren zu Ende brachte. Anders als Rinaldo, der schon jammerte, wenn er den Mülleimer nach draußen bringen sollte während der Fernseher lief.

Madelaine war zunächst skeptisch gewesen, als der Verkäufer mit einer fast schon unverschämten Penetranz House-Mat 2.0 anpries und alle nur erdenklichen Einsatzmöglichkeiten aufzählte. Selbst als man ihr eine Probezeit von einer Woche einräumte, hielt sich Madelaines Begeisterung in Grenzen. Ein kochender und fensterputzender Automat schien ihr eher eine Gefahrenquelle, als eine Hilfe zu sein. Als dienstbare Geister, wie es House-Mat 0.5 einer gewesen war, zuständig fürs Staubsaugen, oder Einkaufskisten tragen, waren Madelaine Haushaltsautomaten schon immer willkommen gewesen, als Allroundmaschinen allerdings hatte sie die Automaten immer mit Skepsis betrachtet. Das änderte sich mit Freddy.

Als die Woche Probezeit vorüber war, waren Madelaines Bedenken wie weggeblasen. House-Mat 2.0 entpuppte sich als wahrer Quantensprung der Haushaltstechnik. Es gab nichts, was dieser Automat in seinem Einsatzgebiet nicht beherrschte. Und dabei sah er auch noch so süß aus, wenn er mit seinen großen Augen und seinem breiten Lächeln durch die Wohnung wirbelte, oder elegant die Fenster entlang schwebte. Zum verlieben. Er hatte unschuldige blaue Augen, die Madelaine instinktiv zum Lächeln brachten. Vollständig ins Schwärmen geriet Madelaine allerdings, wenn Freddy bei gedämpftem Licht mit seiner vibrierenden Stimme Lieder von Leonard Cohen sang und dabei geräuschlos die Spinnweben aus den Ecken saugte.

„Himmel ihn doch nicht so an“, hatte Rinaldo einmal verärgert gesagt und es hatte ein paar Sekunden gedauert, bis Madelaine kapierte, dass Rinaldo ernsthaft wütend war. Dass sie ihrem Mann damals keine spontane Antwort auf diesen Vorwurf geben konnte stimmte Madelaine nachdenklich. Vielleicht hatte sie ihn wirklich angehimmelt. Freddy war ein Automat. Das musst sie sich immer wieder vor Augen führen. Aber einer, den man gerne um sich hatte. Hinzu kam, dass Freddy eine Allzweckwaffe für den Haushalt darstellte. Sogar das Vordach über dem Garten wurde von ihm gereinigt. Als echtes Plus stellte sich heraus, dass seine Programmierung sehr einfach, sowie Betriebskosten und Unterhalt äußerst preisgünstig waren. Ein Prachtstück. Eine echte 'Knubbeltonne', wie Daniela einmal bemerkt hatte. Zuverlässiger als jeder englische Butler, und charmanter als jeder Latin-Lover.

House-Mat 0.5 wurde nach der Probewoche in Zahlung gegeben, und House-Mat 2.0 übernahm die Kontrolle im Haushalt, ausgestattet mit Madelaines vollstem Vertrauen und einem richtigen Namen, den man mit einem Passwort einspeichern konnte: Freddy oder Freddylein.

Hin und wieder ertappte sich Madelaine dabei, dass sie sich nachmittags, wenn sie nach Hause kam, auf Freddy freute, zumal der Automat jeden, der das Haus betrat mit einem freundlichen "Guten Tag", begrüßte und dem Betreffenden die vielseitig einsetzbaren Greiffinger entgegenhielt um Mäntel oder Taschen in Empfang zu nehmen. Manchmal wünschte sich Madelaine sogar, mit Freddy private Gespräche zu führen. Der eine oder andere Versuch in diese Richtung war allerdings nicht besonders glücklich verlaufen. Einmal hatte sie Freddy gebeten, sich zu ihr zu setzten und hatte ihm von ihren Problemen mit Rinaldo erzählt, von ihrer Einsamkeit – trotz der Halbtagsstelle – und von ihrer Eifersucht. Die neue Sekretärin war genau Rinaldos Beuteschema. Blond und dünn. Madelaines Meinung nach auch dumm.

Zunächst hatte Freddy sie mit seinen hellblauen Augen aufmerksam angesehen, dann hatte er allerdings deutlich sichtbar in den Sleep-Modus umgeschaltet und seine Augen waren unaufmerksam und stumpf geworden. Er war eben am Ende doch nur ein Automat.

Das bewiesen auch einige Softwareprobleme die nach und nach zutage traten. So konnte Freddy nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden und wünschte immer einen 'guten Tag'. Selbst abends, wenn Madelaine und ihr Mann zu Bett gingen tönte es freundlich:

„Ich wünsche einen guten Tag. Schlafen sie gut.“

Ein Programmierfehler, der aber, so hatte man Madelaine versichert, kostenlos behoben würde, sobald sie ihn ins Reparaturcenter brachte, wo auch die jährlichen Wartungen stattfanden.

Madelaine störte diese kleine Fehlfunktion nicht sonderlich, und selbst wenn Freddy sie einmal überhaupt nicht beachtete, wie erst vor wenigen Tagen geschehen, schien ihr dieser Fauxpas zwar ärgerlich, aber nicht von großer Bedeutung zu sein. Solche Dinge kamen selbst bei Rinaldo vor. Der Unterschied war allerdings, dass der Fehler bei Freddy im Zuge der nächsten Wartung behoben werden konnte. Auf die Funktionstüchtigkeit von House-Mat 2.0 gab es schließlich nicht weniger als fünf Jahre Garantie. Bei Rinaldo war es kein einziger Tag gewesen.

Als Madelaine den Garten betrat, strömte ihr der Duft von Begonien und Rosen entgegen, der von dem Glasdach eingefangen wurde, und deshalb um so intensiver in der Luft lag. Er mischte sich mit dem lustvollen Gesang der Venus-Girls und wohlige Schauer jagten über Madelaines Rücken. Sie freute sich auf Daniela, freute sich auf die mächtig hochschießende Lava des Vesuvs, und freute sich auf eigentümliche Weise auf Freddy. Freddy war der einzige Mann – Madelaine hatte beschlossen, dass House-Mat 2.0 ein Mann sein musste – der sie nicht von oben bis unten musterte, wenn sie sommerliche Kleidung trug. Das gefiel ihr durchaus, baute aber auch eine eigenartige Spannung zwischen Freddy und ihr auf. Es war verrückt, aber manchmal wünschte sie sich, dass Freddy sich nach ihr umdrehen würde.

Ein kurzer Blick in den vorderen Teil des Rosenbeetes, in dem sich das Versteck für den Zweitschlüssel befand, verriet Madelaine, dass Daniela bereits da war. Daniela und Madelaine kannten sich noch aus der Zeit, als beide, jung und unverheiratet, die Berufsakademie besucht hatten. Auch jetzt noch steckten sie oft zusammen und ließen es sich nicht nehmen, mindestens einmal im Jahr auch etwas ohne ihre Männer zu unternehmen. Leider hing Daniela noch sehr an ihrem Haushaltsroboter, House-Mat 1.1, eine Vorgängerversion von House-Mat 2.0, die bereits beachtliches leistete, bei weitem aber nicht an Freddy heranreichte. Dadurch verschenkte Daniela, nach Madelaines fester Überzeugung, ein gehöriges Stück Lebensqualität.

Diese Gedanken waren es, die Madelaine durch den Kopf gingen, als sie die Haustüre öffnete und den Flur betrat. Etwas stimmte nicht. Die Fenster waren zwar blitzblank geputzt, und das Treppengeländer, das in das obere Stockwerk führte, wirkte wie fünfzehnmal gewienert, aber alle ansonsten vertrauten Gegenstände fehlten. Der graumelierte Teppich im Eingangsbereich war ebenso verschwunden, wie das Schuhregal oder der aus massivem Holz gefertigte, ausladende Garderobenständer. In einem bauchigen Blumentopf, der neben der Tür stand, fehlten die Hälfte der Vergissmeinnicht. Hatte Daniela die Sachen weggeräumt? Weshalb? Wohin? Und wo waren die Blumen?

Madelaine zog die Kopfhörer aus den Ohren und ließ sich den frivolen Gesang der Venus-Girls um den Hals baumeln.

"Daniela", rief sie, so laut es ihre Stimme, die durch den Schrecken ein wenig belegt war, zuließ. "Daniela - "

Keine Antwort. Aus der Küche drangen leise Geräusche. Freddy schien bei der Arbeit zu sein. Als Madelaine etwas verstört die Küchentüre öffnete, verstand sie die Welt nicht mehr. Der Anblick, der sich ihr bot, erinnerte an einen absurden Film. Auf dem Herd standen brodelnd ihre größten Kochtöpfe, aus denen Teile der Garderobe und Fetzen von Polstermöbeln ragten. Daneben stapelten sich, nass und klein gesägt, Teile das Schuhregals und des Garderobenständers. Eine Tür des Wohnzimmerschranks lag angesägt quer über dem Küchentisch. Überall dazwischen Bügelwäsche mit Brandflecken.

Freddy war eben dabei, das Bügelbrett, das ebenfalls in der Küche aufgebaut war, mit einem Teppichpflegemittel einzuschäumen. Das freundliche Lächeln war unverändert, die ansonsten hellblauen Augen Freddys allerdings hatten sich in rote, stechende Punkte verwandelt. Plötzlich drehte sich Freddy in einem Halbkreis um die eigene Achse, fuhr das in seinem Arm integrierte Allzweckmesser aus und versuchte, damit eines ihrer schwarzen Spitzenunterhemdchen zu zerkleinern. Madelaine brachte vor Schreck keinen Ton hervor. Das zarte Stück Stoff wurde blitzschnell in eine Gefriertüte eingeschweißt. Danach drehte sich Freddy mehrmals im Kreis und hielt, während er den blitzsauberen Küchenboden erneut schrubbte auf Madelaine zu. Madelaine wich ihm aus. Schritt für Schritt. Ihre Knie waren weich wie Butter und sie hatte Angst, den Halt zu verlieren. Freddy streckte ihr die Hand entgegen.

"Guten Tag", sagte er mit seiner warmen sonoren Stimme und es klang freundlich wie eh und je. Schließlich wandte sich der bis auf die roten Augen noch immer süß aussehende Freddy nach links, fuhr wieder sein Allzweckmesser aus und zertrümmerte die kleinen Glasfenster der Tür, die in den Flur führte.

Madelaine eilte mit zitternden Beinen ins Wohnzimmer, da ihr der Weg zurück in den Flur durch Freddy versperrt war.

"Daniela - "

Erst flüsterte sie den Namen, dann rief sie ängstlich nach ihrer Freundin.

---ENDE DER LESEPROBE---