Expressis Verbis - Nicole Frischlich - E-Book

Expressis Verbis E-Book

Nicole Frischlich

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Beschreibung

Manchmal klopft das Leben leise, manchmal pocht es laut. Wolken schieben sich vor und der Regen hört nicht auf. Es prasselt, und jeder Tropfen kann Veränderungen mit sich bringen. Du solltest lieber schweigen. Und doch möchtest du laut sein! Mut zur Stimme haben und dich erheben. Dieses Buch enthält persönliche Erlebnisse und Gedanken aus dem Leben der Autorin Nicole Frischlich. Sie offenbart sich schonungslos, auch sich selbst gegenüber. Es handelt von verschiedenen Themen wie dem Leben selbst, Ängsten, Narzissmus und dem Zusammenhalt in der Familie.

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Persönliches – in arte veritas

Kurzgeschichten und Erlebtes

Inhaltsverzeichnis

Gedanken

Abschied

Der neue Mensch

Eine lange Reise

Giftiger Moment

Die Härte zu sich

Musik

Ohne Verstand

Alles anders

Die Standard-Frau hat einen Mann bei VW

Mobbing der Lenker der Gesellschaft

Du bist doch eine von uns

Es ist nicht nur ein Foto

PART II

Narzissmus geht tiefer

Grenzen

Eine leise Melodie

Du darfst nicht reden

Justitia – oder ist Gewalt gegen Frauen zu billig?

Momente danach …

Erinnerung

Gedanken

Ich habe in den letzten Jahren eine längere Schreibpause eingelegt. Seit fast fünf Jahren habe ich mich nicht mehr an ein neues Buch gewagt. Obwohl ich ein weiteres fast fertiges Werk in der Schublade habe, fühlt es sich noch nicht vollständig an. Etwas fehlt. Ich weiß jedoch, dass ich eines Tages bereit sein werde, um es zu vollenden.

Worte lassen sich schnell finden, aber sie müssen auch gefühlt werden. In den letzten Jahren habe ich oft kleine lyrische Gedanken auf Englisch niedergeschrieben. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Manchmal ist unser Inneres jedoch ein ehrlicher Wegweiser und wir sollten ihm folgen.

In den letzten zwei Jahren sind auch immer wieder kurze Texte entstanden. Sie enthielten Erlebtes, Fiktives oder auch einfach Gedanken, die ich reflektieren wollte.

Durch meinen Umzug in ein anderes Bundesland haben sich viele Veränderungen ergeben. Das Leben bekameinen neuen Fluss. Beruflich bin ich in den letzten Jahren in die Welt des täglichen Journalismus eingetaucht.

Ich habe erfahren, dass an jeder Ecke ein Thema wartet, das nur einen Namen braucht. Begegnungen mit vielen Menschen haben mich viel gelehrt. Sie berichten über alle Höhen und Tiefen des Lebens. Über einzelne Momente und Erlebnisse, die für immer festgehalten werden. Über Manipulation oder auch Eigensinn.

Besonders fasziniert hat mich die Lokalpolitik, die Sorgen und Nöte, aber auch die Traditionen einer ländlich geprägten Landschaft.

Die Gesichter der Menschen sagen oft mehr als ihre Worte. Man muss nur hinschauen, um das Leben zu verstehen. Ich bin dankbar für diese Erfahrungen, die mir viel für mein eigenes Leben mitgegeben haben.

Wenn ich Dir zuhöre, Dir in die Augen sehe, dann sehe ich mehr, als ich jemals verstehen werde.

Abschied

Abschied. Ein Wort, das gleich ein ganzes Konvolut an Emotionen mitreißt. Es hallt tief in der Seele und trägt viele Koffer voller Erinnerungen mit sich. Meist sind sie tiefgehend, selten flüchtig. Sie hinterlassen viel und benötigen kaum Worte.

Ich habe über dieses Wort nachgedacht. Was löst das Wort „Abschied“ in mir aus? Geht es um Menschen, die einen beständigen Anteil in meinem Leben hatten und aus unterschiedlichen Gründen verschwanden? Oder symbolisiert der Abschied auch den Verlust von Gegenständen und Besitz? Abschied von der Lieblingsjeans oder den heruntergelatschten Schuhen, die in den Müll wandern mussten? Geht es nicht auch um Aufgaben, die ich munter vor mir hergeschoben hatte und deren Erledigung aus vollkommen unterschiedlichen Gründen zu diffizil waren? Oder mich einfach die pure Trägheit gelenkt hatte?

Und wenn der plötzliche Ruck dann doch vorhanden war und ich es irgendwie bewältigt hatte, mit Mühe und viel Motivation - ist das nicht auch etwas, was das Wort Abschied aussagt?

Jeder Traum, den meine noch kindliche Seele gesponnen hatte und der im Laufe der Jahre in fremde Welten gewandert ist?

Sind es nicht auch diese Abschiede von geliebten Menschen, deren Abschied ohne Wiederkehr sein wird?

Meine erste Erinnerung stammt aus der Zeit, als ich den Kindergarten besuchte. Dort entwickelte sich eine erste, zarte Freundschaft zu einem Mädchen. Sie trug sogar den gleichen Vornamen wie ich.

Wir verbrachten viel Zeit miteinander, nicht nur im Kindergarten, sondern auch nachmittags. Irgendwann zog sie weg. Im Kindergarten fehlte etwas. An den Nachmittagen fehlte etwas.

Diese Lücke, die ein Mensch hinterlassen kann, war in meinem damaligen Alter zwischen vier und fünf Jahren eine erste Erfahrung. Das Begreifen, dass eine Veränderung jederzeit geschehen kann. Plötzlich ist da ein Gefühl, eine Lücke, die sich anders anfühlt. Ein leerer Platz.

Der nächste Abschied, an den ich mich erinnere, war der, als wir selbst umzogen. Ich vermisste meine alte Grundschule, die Lehrerin und alle vertrauten Gesichter meiner Mitschüler und Mitschülerinnen.

Abends lag ich im Bett und stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte. Es waren Menschen, mit denen ich jahrelang etwas von mir geteilt hatte. Sie hatten auch etwas von sich mit mir geteilt und plötzlich waren sie weg. Neue Menschen zogen in den Alltag ein und ich wusste nicht, wie ich mit ihnen umgehen sollte. Sie waren mir fremd und auch nicht ganz geheuer. Und schlimmer – sie blieben mir unbekannt und waren ganz anders. Ich entdeckte Eigenschaften, die mir fremd waren.

Immer wieder traten Menschen in mein Leben. Ob im Urlaub oder in der Freizeit, ob in der Schule oder zuhause. Manche Begegnungen verblieben einmalig und wurden wieder vergessen, andere kleben noch heute wie ein altes Pflaster fest. Die Zeit ist nur eine Randfigur.

Abschiede füllen und leeren unsere Seele zugleich. Den Abschied umarmen wir ungern. Wir lassen ihn lieber nicht in unser Leben. Abschiede können tief schmerzen oder Wege der Unendlichkeit eröffnen.

Im Laufe der nächsten Jahre folgten noch so viele Abschiede - eine unglaubliche Vielzahl, bei der der Einzelne plötzlich verstummt und nur ab und zu noch die Hand aus den Wellen heben kann. Noch heute schiebe ich manche Aufgaben zähneknirschend vor mir her und wenn Mut und Motivation mich überfallen haben, feiere ich den Abschied.

Den Abschied von meiner Unlust, meiner eigenen Lethargie. Je älter ich werde, desto klarer begreife ich, was ein Abschied mit uns macht. Dazwischen gibt es auch die Partnerschaften - die Menschen, die dir ganz nah wurden. Sie wurden dir oft näher als du dir selbst jemals sein kannst. Und das ohne es wirklich erklären zu können.

Abschied - das ist nicht nur ein Wort. Abschied ist etwas, was ohne Fragen und Antworten bleibt. Irgendwann stehst du alleine da und winkst den Erinnerungen zu. Munter und traurig zugleich, aber du weißt, dass es einfach so sein muss.

Au revoir

Der neue Mensch

Das Vorausdenken hat uns schon immer beschäftigt. Doch oft impliziert es ein Leben voller "Vereinfachungen". Wir sehnen uns nach einer Welt, in der wir Verantwortung abgeben können: Wir möchten Auto fahren, ohne nachdenken zu müssen, Nahrung kaufen und Sport treiben, ohne uns dabei anstrengen zu müssen.

Wir wünschen uns ein umfangreiches Wissen, aber ohne mühsames Vokabellernen. Eine Stimme, die uns erfolgreich durchs Leben führt, und Gesundheit, die niemals Schmerzen bereitet. Wir wünschen uns ein einfaches und geregeltes Leben. Das wäre doch herrlich und fein, oder nicht?

Doch sitzen wir inmitten der Stadt und starren auf die vorbeieilenden Körper, fühlen uns oft genau in diesen Momenten unbehaglich. Vor kurzem schickte mir ein Künstlerfreund ein Bild, das einen Mann seitlich aus dem Fenster starrend, zeigt. Das Bild war in monochromen Farben gehalten. Die Worte, die ich dazu las, ließen mich schaudern: "Ich habe diesen Kerl heute bei Starbucks gesehen. Er hatte kein iPhone, kein Tablet und kein Laptop. Er saß einfach nur da und trank Kaffee. Irgendwie unheimlich."

Ich fühlte mich ertappt. Wie oft saß ich schon in der Stadt in einem Café und zog mein Smartphone hervor, nur um in eine andere Welt einzutauchen, ohne das Geschehen um mich herum zu beachten. Lag es daran, dass es uninteressant war oder dass es meine Sinne nicht ansprach? Trank ich überhaupt meinen Kaffee oder schüttete ich nur etwas in meine Kehle?

Früher ging ich in Cafés, um zu schreiben. Ich hockte vor meinem Laptop und hämmerte Buchstabe für Buchstabe zusammen. Auch hier floh ich vor der Realität und tauchte ganz in meine Welt der Fantasie und Erinnerungen ab. Als junges Mädchen saß ich oft mit einem Buch und Kakao in Cafés.

Manchmal locken und verlocken mich Gedanken, die Zeit zurückdrehen zu können. Was wäre, wenn wir "schändlich Verlaufenes" korrigieren oder mit verbalen Angriffen anderer Menschen klüger umgehen könnten? Oft fehlen uns bei spontanen, verbalen Übergriffen schlichtweg die passenden Worte. Erst viel später spielen wir diese Situation erneut durch und wissen zu reagieren.

Wie viel einfacher wäre es, wenn uns ein Implantat zum Optimum führen würde? Oder was wäre, wenn wir durch die Zeit springen könnten? Es wäre auch spannend, ein Paralleluniversum zu erforschen.

Unendlich viele Möglichkeiten würden sich bieten und das Leben optimieren! Zumindest denken wir das oft. Ein Geflecht von Entscheidungen würde sich entwickeln, wenn wir einfach zögern, eine Wahl zu treffen. Wir würden gerne in die Zukunft sehen und die Kontrolle über alles haben, um mit minimalem Risiko ein erfolgreiches Leben zu führen. Wir würden uns gerne auf eine technisierte "Alexa" verlassen, die uns mit weichen, tonalen Schlägen auf einen erfolgreichen Lebensweg bringt, ohne dass wir Verantwortung übernehmen müssen. Wenn alles so einfach wäre...

Schon jetzt übertragen wir der Technik viel Verantwortung, da sie immer mehr in unser Leben eindringt. Überwachung ist ein wichtiges Wort geworden, das uns zwar erschreckt, aber schon lange nicht mehr schockt. Wir digitalisieren immer mehr um uns und applaudieren dazu.

All´ dieses stört uns nicht, sondern wird zum festen Bestandteil unseres Alltags. Wie Ameisen hetzen wir durch den Tag, träumen von einem "einfachen Morgen" und hadern mit Durchhaltevermögen und Ängsten.

Werte, die das soziale Gefüge aufrechterhalten, werden immer öfter in Frage gestellt.

Aber negieren nicht oft nur die älteren Menschen mit erschreckten Blick und Respekt vor allem die die "technologischen Entwicklungen"?

Wird es jemals einen Stillstand geben? Ein Ende der Fahnenstange? Und wenn ja, werden wir es überhaupt bemerken?

Der neue Mensch muss in uns geboren werden

Friedrich Nietzsche

Eine lange Reise

Als Kind begreifst Du den Wert einer Familie noch nicht. Familie ist zumeist selbstverständlich. Sie ist immer da.

Aber Kinderohren hören zu. Sie hören Geschichten. Sie lauschen, wenn Oma und Opa von früher erzählen. Oft saß ich auf ihrem Schoß und hörte zu. Die Geschichten waren so fern, so ungewöhnlich. Fast als würdest Du sie gar nicht glauben. Denn eine solche Zeit war nicht vorstellbar. Sie erzählt aus dem Zweiten Weltkrieg. Wo vieles anders war. Als viele Tränen flossen und Menschen sich verloren. Wo Schutt, Asche und Hunger die Melancholie nährte.

Mein Opa war Musiker. Er beherrschte diverse Instrumente. Ob Saxophone, Klarinette oder Trompete. Im Zweiten Weltkrieg zog er zunächst nicht in die Schlacht, sondern spielte im Orchester. So reiste er viel. Im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, lernte er in Hamburg seine Frau kennen. Sie verliebten sich.

Meine Oma verließ Hamburg für ihre Liebe und kam mit ins Ruhrgebiet. Mitten zu Kriegszeiten in schwierigen Zeiten. Sie war jung, fühlte sich alleine trotz ihrer Liebe. Verlassenheit, sie vermisste ihre Familie, ihre Geschwister und besonders die Stadt Hamburg.

Im Ruhrgebiet war ihr zunächst vieles fremd. Es wurde noch viel schwerer, als mein Opa immer wieder in den Krieg zog. Sie wurde schwanger und fühlte sich alleine. Irgendwann erreichte sie die Nachricht, dass ihr Mann vermisst sei. Irgendwo, irgendwo in Russland. Er könnte tot sein.

Sie wartete, hoffte und hielt es irgendwann nicht mehr aus und kehrte hochschwanger zurück nach Hamburg, fand Zuflucht bei ihrer Familie. In Hamburg hagelte es zu dieser Zeit Bomben. Die Menschen kauerten mehr im Bunker, als dass sie in ihren Häusern saßen. Die schwangeren Frauen wurden aus der Stadt in Sicherheit geschafft. Meine Oma landete irgendwann in Neustadt an der Ostsee.

Dort sollte sie ihr Kind gebären. Nicht zwischen Schutt und Asche in Hamburg, wo ein Alarm den nächsten ablöste und nichts mehr funktionierte.

Meine Mutter wurde geboren. Nach einiger Zeit konnte meine Oma nach Hamburg zurückkehren. Ihr Mann war immer noch vermisst und vermutlich dachte sie zu diesem Zeitpunkt, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Dennoch raffte sie sich auf und fuhr wieder zurück ins Ruhrgebiet. Mit ihrem Baby zu den Eltern ihres Mannes. Dort gehörte sie hin. Vermutlich leitete sie die Hoffnung.

Der Krieg war schließlich nahezu verloren und vorbei. Aber sie konnte sich einfach nicht heimisch fühlen im Ruhrgebiet. Sie sprach stets von schweren Zeiten. Tage, die einfach vorbeigingen.

Sie beschrieb ihre Schwiegereltern als Fremde. Ihr „andere“ Religion hat auch eine Rolle gespielt. Die Schwiegermutter starb dann auch noch. Die Nachkriegszeit tat vielen Menschen weh.

Nichts gab es zu erfahren über ihren verschollenen Mann. Ob sie die Hoffnung aufgab? Ich weiß es nicht. In ihren Erzählungen, wenn ich auf ihrem Schoß saß, sprach sie es nie offen aus.

Sie hielt festen Kontakt zu ihren Geschwistern nach Hamburg und zu ihrer Mutter. Ihr eigener Vater war schon lange tot.

Meine Mutter war fast zwei, als ihr Vater nach Hause zurückkehrte. Wie ein Fremder. Zwei Jahre Gefangenschaft in Russland verändern einen Menschen, formen in um.

Das Ehepaar fühlte die Distanz – bei der ersten Begegnung mit ihrem Vater hatte meine Mutter geweint. „Hau ab!“, habe sie zu ihrem Vater gesagt.

Eine tiefe Mauer war da. Aber früher trennten sich verheirateten Paaren nicht so schnell. Man hielt sich aus. Irgendwie, weil es sein musste. Weil es sich gehörte.

Vermutlich war es ein schwieriger, innerer Kampf. Der introvertierte Mann, der zwei Jahre irgendetwas in Russland erlebt hatte, jedoch nie darüber sprach. Der Tag für Tag schwieg und weder seine Frau noch Tochter registrierte. Der Einzelgänger, der sein Lachen verloren hatte. Seine Frau hielt es irgendwann nicht aus. Bei einem Disput griff sie zu dem Kleinkind und setzte sich in den Zug Richtung Hamburg. Sie konnte nicht mehr, hielt ihren Mann nicht mehr aus. Er war ein Fremder für sie.

Die Leere kann aufrütteln. Die Stille motiviert auch das Trauma oder die Apathie wieder mehr das Wesentliche zu begreifen. Mein Großvater war geschockt.