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Diese werkgetreue Umsetzung als Roman umfasst den Inhalt des sechsten Abenteuers aus den Piccolo-Comicheften 123-148 von Hansrudi Wäscher. Falk und Bingo sind auf dem Weg ins ferne Morgenland. Ihr Ritt erfährt eine Unterbrechung, als sie die Gelegenheit erhalten, an einem Turnier Fürst Hochwaldens teilzunehmen. Eine solche Gelegenheit lässt sich kein Edelmann entgehen, so auch nicht unsere Freunde. Das Turnier gerät jedoch zur Nebensache, als eine alte Legende Wirklichkeit wird. Ein Schrecken verbreitender Reiter ohne Kopf sinnt auf Rache an den Lebenden. Wer verbirgt sich hinter der unheimlichen Spukgestalt, die Falk eine heimtückische Falle stellt?
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Seitenzahl: 218
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Originalausgabe Juli 2017
Charakter und Zeichnung: Tibor © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators
Text © Achim Mehnert
Copyright © 2017 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen
Lektorat: Katja Kollig
Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz
Hintergrundillustration Umschlag: © ihervas – Fotolia.com
E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur
ISBN ePub 978-3-86305-254-6
www.verlag-peter-hopf.de
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Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,
Eduardstraße 48, 20257 Hamburg
www.hansrudi-waescher.de
Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
Falk Band 6
»Habt noch einmal von ganzem Herzen Dank«, verabschiedete Graf Engelbrecht von Eschenburg seine Gäste. »Und denkt daran, dass Ihr jederzeit willkommen seid!«
»Ich danke Euch. Auf dem Rückweg kommen wir ganz bestimmt vorbei«, versprach Falk. »Lebt wohl! Und lebt auch Ihr wohl, Fräulein Ursula.«
Der Winter lag hinter ihnen und mit den kalten Tagen und langen Nächten waren auch die düsteren Schatten gegangen. Das Grau lichtete sich; die Ränke des großen Wolfs lagen Monate zurück. Der Frühling verwandelte das Land in ein grünes und bald blühendes Paradies und für Falk und Bingo war die Zeit gekommen, ihre durch den einbrechenden Winter unterbrochene Reise fortzusetzen.
»Wartet, Ritter Falk«, bat die Tochter des Grafen.
»Ja, Fräulein Ursula?«
»Nehmt dies.« Die schwarzhaarige junge Frau, die ihm ihr Leben verdankte, reichte Falk ein Schmuckstück. »Damit Ihr uns nicht vergesst.«
»Ein Medaillon?« Als er es entgegennahm und öffnete, wurde ihm ganz warm ums Herz, und das lag nicht allein an dem milden Frühlingstag, dessen Sonnenstrahlen in den Burghof fielen. Aus dem Medaillon lächelte ihn ein Konterfei Ursulas an. »Vielen Dank. Wir kommen ganz bestimmt zurück!«
Mit diesen Worten stieg Falk in den Sattel. Bingo war bereits aufgesessen und wartete ungeduldig auf den Aufbruch. Seite an Seite trabten die Freunde an. Sie überquerten den Innenhof und ritten durchs Burgtor. Die Bohlen der herabgelassenen Zugbrücke klapperten unter den Hufen der Pferde, als die Gefährten das Tempo verschärften. Vor ihnen wand sich der sanft abfallende Weg ins Tal hinab, zwischen Tannen, und Eichen und Eschen, Buchen und Ahornen in lindem Grün. Die Luft war frisch und klar und trug allerlei Gerüche des Frühlings.
Als die Burg mit ihren Türmen und Zinnen hinter ihnen zurückblieb, brach Bingo in schallendes Gelächter aus.
»Was gibt es zu lachen?«, wunderte sich Falk.
»Das fragst du noch?« Der beleibte Gaukler prustete vor Vergnügen. »Es ist zu schade, dass der Mohn noch nicht blüht. Ich hätte dir sonst zeigen können, wie rot du eben wurdest, als Fräulein Ursula dir das Medaillon überreichte.«
»Das ist … nicht dein Ernst«, stammelte Falk verlegen.
»Nicht zu fassen, du wirst schon wieder rot. Das habe ich noch nie bei dir erlebt! Dich hat es ja richtig erwischt.« Bingo winkte ab. »Schwamm drüber, das ist uns schließlich allen schon einmal passiert. Reden wir nicht mehr darüber.«
Der Ritter warf seinem Begleiter einen finsteren Blick zu. »Das ist auch besser so.«
»Oho! Es stimmt also tatsächlich. Ich war mir nicht sicher, aber anscheinend habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen. Das schöne Fräulein Ursula hat dir den Kopf verdreht.«
»Wolltest du es nicht gerade eben dabei belassen? Noch ein Wort und ich rede dich nur noch mit ›Fettsack‹ an.«
Bingo blies die Backen auf. »Donnerwetter! Dazu will ich es lieber nicht kommen lassen. Du weißt, wozu ich fähig bin, wenn man meine Gefühle verletzt.«
»Wozu denn?« Falk mimte den Unwissenden, um wenig später ein Lächeln aufzusetzen. »Nun ist es gut. Wechseln wir wirklich das Thema!«
Das Wetter war zu schön und der Tag zu verheißungsvoll, um sich mit schwermütigen Gedanken zu belasten.
*
Vier Wochen später lag der Pass, den sie ursprünglich vor Einbruch des harten Winters hatten überwinden wollen, hinter ihnen. Die Dorfbewohner hatten die von einer Lawine zerstörte Hängebrücke repariert. Das Reisen in beide Richtungen war wieder gefahrlos möglich. Nirgendwo lag mehr Schnee, wodurch die Bergpfade einen einladenden Charakter erhielten. Nichts verriet mehr die unpassierbare Winterlandschaft, welche die Gefährten vor einigen Monaten zur Umkehr gezwungen hatte.
»Sieh dort unten, Bingo«, machte der Ritter seinen Begleiter auf einen Reitertross aufmerksam. »Ein Edelmann mit seinem Gefolge.«
»Die kommen uns wie gerufen. Schließen wir uns ihnen an! In größerer Gesellschaft reist man heutzutage sicherer.«
»Warum nicht? Hoffen wir, dass dem Herrn unsere Gesellschaft angenehm ist.«
»Was sollte er gegen uns einzuwenden haben?«, fragte der Gaukler. »Du bist der ehrenwerte Ritter Falk von Steinfeld und ich bin der einzigartige, unvergleichliche Bingo.«
Falk lachte. »So wie du es ausdrückst, klingt das alles ganz einfach. Aber warum nicht? Versuchen wir unser Glück!«
Sie trieben ihre Pferde an und holten die Reisegruppe wenig später ein. Die Waffenknechte des Edelmannes, dessen Miene Missfallen über die ungebetenen Besucher ausdrückte, fuhren herum und hielten den Ankömmlingen ihre Spieße entgegen. Die Gefährten hielten inne und nannten ihre Namen. Nach kurzem Zögern entspannte sich der Ritter. Er trug eine glänzende Rüstung und einen offenen Helm, der von einem roten Federbusch geschmückt wurde. Ein weiter blauer Umhang, von einer goldenen Schließe gehalten, fiel ihm über die Schultern. Sein Gesicht zierten ein Schnurrbart und ein kleiner Spitzbart, beide rabenschwarz, und sein Wappenbild bestand aus einem nach unten gerichteten schwarzen Schwert.
»Verzeiht, aber heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein«, rechtfertigte er sich. »Ich bin Ritter Baldung von Freimark. Ich nehme an, dass wir den gleichen Weg haben.«
»Welcher wäre das denn?«, fragte Falk.
»Zum großen Turnier am Hof Fürst Hochwaldens. Seid Ihr nicht unterwegs, um ebenfalls daran teilzunehmen?«
»Nein, von diesem Turnier höre ich zum ersten Mal. Mein Freund Bingo hat Geschäfte im Morgenland zu erledigen und ich begleite ihn in die fernen Lande.« Falk überlegte. Nach dem wochenlangen Ritt, der nun schon hinter ihnen lag, und angesichts der langen Reise, die noch vor ihnen lag, kam ihm ein wenig Zerstreuung nicht ungelegen. »Ich gebe zu, dass ein Turnier eine aufregende und schöne Abwechslung wäre.«
»Gewiss«, ermunterte ihn Baldung von Freimark. »Besonders für einen so jungen Ritter, wie Ihr es seid. Allein die Teilnahme an Fürst Hochwaldens Turnier gereicht jedem Edelmann zur Ehre. Der Sieg bedeutet zudem großen Ruhm und eine goldene Kette, die reich mit Edelsteinen besetzt ist.«
»Das klingt nach einer sehr wertvollen Trophäe«, staunte Bingo.
»Fürwahr«, versicherte Baldung. »Viele Edelleute sind hinter ihr her. Um sie zu erringen, hat sich schon so mancher einen blutigen Kopf geholt. Ihr könnt Euch vorstellen, dass stets eine Menge Kandidaten hinter der Kette her sind.«
»Habt Ihr sie schon einmal gewonnen?«, erkundigte sich Falk.
»Mehr als nur einmal, junger Mann.« Baldung von Freimark warf sich in die Brust. »Der Sieg in den vergangenen Jahren ging stets an mich. Reiche mir das Kästchen, Kuno.«
»Sofort, Herr.« Einer der Reiter nahm eine kleine Schatulle aus der Satteltasche eines Packpferdes und reichte sie seinem Herrn, der sie mit spitzen Fingern öffnete. Drei prächtige Schmuckstücke kamen zum Vorschein.
»Hier sind die Ketten. Nun sagt selbst, habe ich zu viel versprochen?«
»Nein. Dazu kann ich Euch nur beglückwünschen«, antwortete Falk. »Fürst Hochwalden muss ein großzügiger Mann sein.«
Baldung von Freimark lachte. »Ich sehe, es würde Euch gefallen, an dem Turnier teilzunehmen, Ritter Falk.«
»Wäre das denn überhaupt möglich? Ich habe keine Einladung erhalten und Fürst Hochwalden kennt mich nicht.«
»Einer Einladung bedarf es nicht. Jeder Edelmann, der den Schneid besitzt, kann an dem Turnier teilnehmen. Wie Ihr soeben treffend festgestellt habt, ist der Fürst ein großzügiger Mann. Er weist keinen Ritter ab.«
»Was meinst du, Bingo?«, wandte Falk sich an seinen Gefährten.
»Warum nicht? Das Turnier wird uns nicht über Gebühr aufhalten. Ich finde, du solltest ruhig daran teilnehmen. Ich selbst verzichte, weil ich dir die Kette nicht wegnehmen möchte.«
Baldung lachte auf. »Das ist ja herrlich. Der Dicke ist köstlich.«
Bingos Gesichtszüge entgleisten. »Was habt Ihr gesagt? Glaubt nicht, dass ich diese Beleidigung auf mir sitzen lasse. Na los, zieht Euer Schwert!«
Das Gelächter des Edelmanns schwoll an. »Der Schmerbauch ist wirklich der geborene Spaßmacher. Ich habe mich lange nicht mehr so gut amüsiert. Ich falle gleich vom Pferd vor Lachen.«
Der Gaukler langte nach seinem Schwert. Er war kurz davor, aus der Haut zu fahren. Falk griff beschwichtigend ein.
»Beruhige dich, Bingo. Ritter von Freimark meint es nicht so.«
»Nein«, bestätigte Baldung. Er packte die Ketten wieder in das Kästchen und verschloss es. »Nun, Ritter Falk, nehmt an dem Turnier teil, aber begnügt Euch mit der Ehre der Teilnahme. Für den Sieg seid Ihr viel zu jung und unerfahren. Hier, Kuno, verstaue die Schatulle wieder auf dem Packpferd.«
»Sehr wohl, Herr.«
Als Kuno sein Pferd wendete, streifte seine Lanzenspitze Ritter von Freimarks Helm, wodurch sich der Federschmuck löste und vom Wind davongetragen wurde.
»Bei allen Teufeln! Mein Helmbusch!«
Kuno schlug den Blick nieder. »Es tut mir leid, Herr.«
»Leid? Ohne meinen Helmbusch reite ich nicht weiter.«
»Der Wind hat ihn auf die andere Seite der Schlucht geweht«, beobachtete Falk. »Wenn ich mich nicht täusche, genau in einen Adlerhorst.«
»Worauf wartest du noch, Kuno?«, stauchte Baldung den Unglückseligen zusammen. »Klettere hinüber und hole den Helmschmuck zurück.«
»Aber Herr, der Horst ist besetzt.« In der Luft zogen zwei mächtige Adler ihre Kreise. »Wenn ich mich nähere, werden sie mich angreifen.«
»Das ist mir einerlei. Mach dich auf den Weg!«
»Ja, Herr.« Kuno wandte sich an seine Kameraden. »Gebt mir Pfeile und einen Bogen, damit ich mich verteidigen kann, wenn mich die Adler attackieren.«
»Nichts da«, lehnte der Ritter ab. »Du Dummkopf gehst unbewaffnet. Das ist die Strafe für deine Tölpelhaftigkeit.«
»Gnade, Herr«, flehte Kuno. »Die Raubvögel zerreißen mich, wenn ich mich ihrem Horst nähere. Sie lassen niemanden heran.«
»Du hättest halt besser aufpassen müssen«, versetzte Baldung. »Beweg dich endlich! Ich zähle bis drei. Wenn du dann nicht …«
»Verzeiht, Herr«, schritt Falk ein. Die Hochnäsigkeit dieses Ritters missfiel ihm. »Euer Mann ist nicht mehr der Jüngste. Er kommt hier vielleicht hinunter, doch er wird es kaum schaffen, auf der anderen Seite der Schlucht bis zum Horst hinaufzuklettern. Es ist schade um Euren Helmschmuck, doch das Leben eines Menschen ist er nicht wert.«
»Mischt Euch nicht ein«, wies der Edelmann Falks Begehren zurück. »Der Helmbusch ist mir ein wertvolles Andenken. Ich will ihn zurückhaben. Da dieser Trottel ihn mir vom Helm gefegt hat, wird er ihn entweder zurückbringen oder sein Leben bei dem Versuch verlieren. Es liegt ganz an ihm. Los jetzt, Kuno! Dies ist meine letzte Warnung.«
»Ich … ich gehe schon, Herr«, stammelte der Unglückliche. Er stieg die Felswand hinunter.
»Bitte, Ritter von Freimark«, unternahm Falk einen weiteren Versuch, Milde für den armen Kuno zu erwirken. »Gestattet ihm wenigstens eine Waffe, damit er sich verteidigen kann.«
»Schweigt!«, herrschte Baldung ihn an. »Der Mann ist mein Leibeigener und genau so behandle ich ihn. Ich verfüge über sein Leben, wie es mir gefällt. Ich hoffe sogar, dass er es verliert. Das wäre die gerechte Strafe für die Ungeschicklichkeit dieses Dummkopfs.«
Angesichts von so viel Verbohrtheit schüttelte Falk ungläubig den Kopf. »Er mag Euer Leibeigener sein, doch über sein Leben verfügt nur einer, nämlich der Allerhöchste. Euer Verhalten ist eines Edelmannes unwürdig und empört mich.«
»Was erlaubt Ihr Euch?«
Falk hörte nicht länger hin. Er schwang sich über die Klippe und kletterte hinter Kuno her. Die Rufe, die ihm folgten, ignorierte er.
*
»Komm zurück!«, versuchte Bingo seinen Freund aufzuhalten. »Du schaffst es noch, dich umzubringen!«
Falk hörte nicht. Er setzte seinen Abstieg an den Felsen hinunter fort. Ungläubig verfolgten Baldung und seine Männer das Geschehen. Bingo beobachtete das Vorgehen seines Freundes mit gemischten Gefühlen. Es war typisch für Falk. Über Unrecht konnte er nicht tatenlos hinwegsehen, auch wenn er sich dadurch selbst in Gefahr brachte.
»Er setzt tatsächlich sein Leben für einen Leibeigenen ein«, höhnte Baldung. »Was für ein Narr!«
Seine Männer hoben ihre Spieße. »Sollen wir ihn aufhalten?«
»Nicht doch. Die Adler wollen auch ihren Spaß mit diesem Dummkopf haben. Wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um. Er hat sein Schicksal freiwillig gewählt, also verderbt mir dieses Schauspiel nicht.«
»Es wird anders ausgehen, als Ihr Euch das vorstellt.« Bingo bebte vor Zorn. »Da Ihr Falk nicht kennt, werdet Ihr Euch wundern.«
Der Ritter lachte. »Hört, hört, der Spaßmacher meldet sich wieder zu Wort.«
»Gebt acht, dass Ihr Euch nicht totlacht. Ich wäre wahrlich untröstlich.«
Baldungs Gelächter erstarb. »Wie meint Ihr? Ich dulde keine Respektlosigkeiten. Noch ein Wort und meine Männer bläuen Euch Respekt ein.«
Es bereitete Bingo Mühe, sich zurückzuhalten. »Schon gut, ich sage nichts mehr«, lenkte der Gaukler ein, denn damit half er Falk auch nicht. Unterhalb der Klippe hatte er seinen Freund aus den Augen verloren.
*
Es ging nicht besonders tief hinab. Tannen erhoben sich in der steinigen Schlucht, durch die milder Frühlingswind strich, und zu beiden Seiten wucherten Büsche. Falk holte den Leibeigenen ein, bevor der sich an der gegenüberliegenden Felswand an den Aufstieg machen konnte.
»Warte hier«, forderte er Kuno auf. »Die Wand ist zu steil für dich. Ich hole den Helmschmuck.«
»Das dürft Ihr nicht, Herr.« Das Gesicht des Mannes verhärtete sich. Angst fraß sich in seine Züge. »Es wäre Euer Tod und das kann ich nicht verantworten. Für mich würde sich ohnehin nichts ändern. Selbst wenn es Euch gelänge, den Helmbusch aus dem Adlerhorst zu holen und zu Ritter von Freimark zu bringen, würde der Ritter mich töten, weil ich seinen Auftrag nicht persönlich ausgeführt habe. Ihr würdet Euch unnötig in Gefahr begeben. Mein Schicksal ist so oder so besiegelt.«
»Dieser feine Edelmann gefällt mir immer weniger«, knurrte Falk.
Kuno schlug den Blick nieder. »Er ist ein sehr gestrenger Herr.«
Es war ein großer Unterschied zwischen streng und menschenfeindlich. Wer seine Untergebenen ohne Not in den Tod schickte, an dem war kaum etwas Edles, auch wenn er sich selbst so nannte. Falk dachte angestrengt über einen Ausweg aus der verfahrenen Lage nach. Plötzlich kam ihm eine Idee, wie er den bedauernswerten Leibeigenen vor Schaden bewahren konnte.
»Klettere voraus, und zwar so hoch, dass man dich von drüben sehen kann«, trug er dem Älteren auf. »Ich hole dich gleich ein und stoße dich hinab. Du musst dich zum Schein wehren, damit dein Ritter denkt, ich hätte dich überwältigt. Mit dieser List nehmen wir ihm jeden Grund, dich zu bestrafen. Aus der geringen Höhe kann dir beim Sturz nichts passieren. Du holst dir höchstens ein paar blaue Flecken.«
»Ihr seid ein guter Mensch, Ritter Falk.« Kuno konnte kaum glauben, dass ihm solche Hilfe zuteil wurde.
»Reden wir nicht davon. Nun klettere!«
Kuno wandte sich der Felswand zu und machte sich an den Aufstieg. Falk wartete ein paar Sekunden, dann stieg er hinter dem Leibeigenen her.
*
Die Tannen in der Schlucht verwehrten den Blick auf die beiden Männer. Bingo fragte sich, was dort unten geschah. Am liebsten wäre auch er hinabgestiegen, um nachzusehen. Vielleicht benötigte Falk Hilfe. Gerade als der Gaukler vom Pferd steigen wollte, zeichneten sich drüben an der Felswand Bewegungen ab. Eine Gestalt kam hinter den Tannenwipfeln zum Vorschein.
»Es ist Kuno«, frohlockte Baldung von Freimark. »Er kommt dem Befehl nach. Falk hat ihn nicht eingeholt, um ihn von seiner Pflicht abzuhalten.«
Doch im nächsten Moment schob sich auch der junge Ritter ins Blickfeld. Er kletterte hinter Kuno her und holte ihn mit der Kraft und Geschicklichkeit der Jugend ein.
»Kehre um, Kuno!«, trug er dem Leibeigenen lautstark auf und seine Worte wurden über die Schlucht getragen. »Ich hole den Helmbusch.«
»Nein«, sträubte sich der alte Mann. »Ich muss den Auftrag meines Herrn ausführen, und wenn es mein Leben kostet. Nichts darf mich von dieser Aufgabe abhalten.«
Baldung kicherte vergnügt, als er sich an Bingo wandte. »Da hört Ihr, wie sehr mir meine Leibeigenen gehorchen. Nicht einer unter ihnen würde es wagen, meine Befehle infrage zu stellen. Nehmt Euch ein Beispiel an so viel Loyalität und Ergebenheit, Gaukler.«
»Ich werde dich davon abhalten, Kuno«, drangen Falks Worte herüber.
»Aber was macht er da? Falk muss verrückt sein. Er hält Kuno fest – und nun stößt er ihn hinab. Ich verstehe das nicht. Er klettert alleine weiter. Was hat das zu bedeuten, Gaukler?«
Bingo war so ratlos wie der Edelmann. Er begriff nicht, was sein Freund da trieb. Mit einem ungläubigen Aufschrei verschwand Kuno hinter den Tannen, die einen natürlichen Sichtschutz bildeten. Falk hingegen setzte den Weg fort. Über ihm hing der Adlerhorst in der Wand.
»Selbst schuld«, kommentierte Ritter von Freimark. »Einer der Adler ist bereits aufmerksam geworden. Ich hätte Falk für klüger gehalten, aber er riskiert sein Leben tatsächlich für einen nichtsnutzigen Leibeigenen.«
»Auch ein Leibeigener ist ein Mensch, der vor Gott genauso viel wert ist wie ein König«, brauste Bingo auf. »Kein anderer Mensch hat das Recht, über ihn zu richten, nur weil er einen kleinen Fehler beging. Ihr solltet Euch ein Beispiel an Falk nehmen, statt Euch über ihn lustig zu machen.«
Der Edelmann schnaubte verächtlich. »Erspart mir Eure Predigt, Gaukler. Seht Euch lieber noch einmal Euren närrischen Freund an, bevor ihn der Adler in Stücke reißt. Das Tier setzt bereits zum Angriff an.«
Bingo presste die Lippen aufeinander. Selbst wenn er Pfeil und Bogen besäße, würde Baldung von Freimark ihn daran hindern, die Waffen einzusetzen. Hilflos musste er mitansehen, wie der riesige Raubvogel seinen Freund attackierte.
*
Ein Schatten fiel auf Falk, als der Adler mit ausgebreiteten Schwingen auf ihn zuglitt. Der König der Lüfte kreischte und zeterte, weil er seinen Horst bedroht sah. Falk sah die Krallen auf sich zuschießen. Er zog den Kopf ein, duckte sich gegen die Felswand und entging den rasiermesserscharfen Fängen um Haaresbreite. Das machte den Adler nur noch wütender. Erneut flog er an, diesmal von der anderen Seite. Auf den unsicheren Felsen fand Falk kaum sicheren Tritt.
»Verschwinde. Ich will deinen Horst nicht zerstören.«
Doch der Vogel ließ sich nicht vertreiben. Wild flatternd hackte er mit seinem Schnabel auf den Störenfried ein. Falk spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter. Er biss auf die Zähne, um seinen Griff um das Gestein nicht zu lockern. Ein Fehltritt, und er würde abstürzen. Als das Tier erneut heranflog, tastete er instinktiv nach seinem Dolch, doch er sah davon ab, ihn zu ziehen. Der Adler konnte nichts dafür, dass der herrschsüchtige Ritter von Freimark unbedingt seinen Helmbusch wiederhaben wollte. Als der Vogel heran war, täuschte Falk eine Bewegung nach links an, rutschte dann jedoch blitzschnell zur anderen Seite und versetzte dem kreischenden Angreifer einen Schlag gegen den Kopf.
Der Hieb wirkte, der Adler geriet ins Taumeln. Halb betäubt flatterte er unkontrolliert mit den Schwingen und segelte den Baumwipfeln entgegen. Irgendwie gelang es ihm, den Boden zu erreichen, ohne im freien Fall abstürzen. Er blieb liegen, um zu Kräften zu kommen.
Eilig kletterte Falk weiter. Der Horst lag keine fünf Meter über ihm. Die durch den Schnabelhieb verursachten Schmerzen ließen bereits nach. Die Wunde war halb so schlimm, sie blutete nicht einmal. Falk zog sich auf das knorrige Geäst und griff nach dem Helmbusch. Triumphierend hielt er den roten Schmuck in die Höhe, sodass die Reiter auf der anderen Seite der Schlucht ihn sehen konnten.
Bingo jubelte lautstark. »Ihr habt Falk unterschätzt, Ritter Freimark. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Nun ist die Reihe an mir.«
»Nicht zu fassen«, schallte die Stimme des Edelmannes herüber. »Doch freut Euch nicht zu früh, Bingo. Seht nur, da rauscht schon der zweite Adler heran.«
Falk bemerkte die Gefahr ebenfalls. Er steckte den Helmbusch hinter seinen Gürtel und wollte von dem Horst hinunterklettern, doch der Vogel war bereits heran. Sein Flügelschlag warf den Eindringling von den Beinen. Falk verlor das Gleichgewicht. Er rutschte über die fest miteinander verflochtenen Äste und schlug zwischen die Felsen, wo er sich gerade noch festhalten konnte – für einen Moment nur, denn seine Hände glitten von dem glatten Gestein ab.
Gerade als er endgültig den Halt verlor, griff der Adler wieder an. Falk ergriff die unerwartete Chance. Mit beiden Händen packte er die Beine des Vogels und hielt sich daran fest.
Da der Raubvogel sich nicht befreien konnte und durch Falks Gewicht mit in die Tiefe gezogen wurde, geriet er in Panik. Der wilde Schlag seiner Schwingen verlangsamte den Sturz, sodass Mensch und Tier gemeinsam den Tannenspitzen entgegensanken. Dicht über den Baumwipfeln wagte Falk den Sprung. Die Äste bremsten seinen Fall. Er packte zu, hielt sich fest und kletterte hinunter.
»Herr, seid Ihr verletzt?«, empfing ihn Baldung von Freimarks Leibeigener.
»Nein, Kuno, alles in Ordnung.« Der verwirrte Adler flog hinauf zu seinem Horst. Falk hielt noch eine Feder in der Hand. »Und wie hast du meinen Schubs überstanden?«
»Bestens. Dank Euch bin ich glimpflich davongekommen. Wie kann ich Euch nur danken?«
»Nicht nötig. Begeben wir uns zu deinem Herrn, um ihm den unersetzlichen Helmbusch zu bringen.«
*
Die Beobachter hatten Falk aus den Augen verloren. Bingo lächelte still in sich hinein. Sein Freund hatte den Kampf mit den Königen der Lüfte wohlbehalten überstanden. Dank seiner Tollkühnheit war er nicht abgestürzt, sondern hatte sich von dem Adler bis zu den Bäumen hinuntertragen lassen.
»Er hat es tatsächlich geschafft«, stieß Baldung ungläubig aus.
»Ich wusste es«, antwortete Bingo gelassen. »Auf Falk kann man sich eben verlassen.«
Dem Edelmann schien das gar nicht zu gefallen. »Ich kann es immer noch nicht fassen. Er muss mit dem Teufel im Bunde sein.«
Der Gaukler schüttelte den Kopf. »Das ist er ganz gewiss nicht.«
»Ach nein? Wie sonst erklärt Ihr Euch so viel Glück?«
»Mit Glück hat dieser Triumph nichts zu tun«, legte sich Bingo für seinen Freund ins Zeug. »Falk ist mutig, stark und gut. Solche Eigenschaften lassen einen Menschen über sich hinauswachsen und Falk besitzt eine Menge davon.«
*
»Hier habt Ihr Euren Helmbusch. Er hat keinen Schaden genommen.« Falk überreichte dem Edelmann den Schmuck, während Kuno auf sein Pferd stieg. »Fügt diese Adlerfeder hinzu, gewissermaßen als Erinnerung an das kleine Intermezzo.«
»Die Feder behaltet«, lehnte Ritter von Freimark brüsk ab. »Ich bat Euch nicht, den Helmbusch zurückzubringen. Ihr tatet es aus eigenen Stücken. Lasst uns weiterreiten, Männer. Durchs Falks Schaustellung haben wir schon zu viel Zeit verloren. Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr Euch uns anschließen.«
»Danke.« Falk saß auf. »Ihr überschüttet uns geradezu mit Ehren.«
Die Gruppe setzte den Weg entlang der Schlucht fort. Baldung gönnte seinem Leibeigenen Kuno keinen Blick. Er schien den Vorfall bereits vergessen zu haben.
Sachte stieg der steinige Pfad entlang eines Steilhangs an. Nach einer Weile brach ein Fluss aus der gegenüberliegenden Felswand hervor, der die Reiter von nun an begleitete. Die Schneeschmelze hatte eingesetzt und das Rauschen des Wassers drang gurgelnd und donnernd herauf.
»Wollt Ihr wirklich am Turnier des Fürsten teilnehmen?«, fragte Baldung wie beiläufig.
»Ja, ich habe mich dazu entschlossen«, eröffnete Falk. Er freute sich sogar diebisch darauf, sich im ehrlichen Wettstreit mit dem aufgeblasenen Edelmann zu messen. »Nach dem kleinen Erlebnis wird es mir ein besonderes Vergnügen sein, die Lanze mit Euch zu kreuzen.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Dass Ihr meinen Eifer angestachelt habt. Ihr zeigtet uns die Trophäen, die Ihr errungen habt. Die mit Edelsteinen besetzten Ketten sind prachtvoll und ich denke, dass Ihr nach Euren vorangegangenen Turniersiegen erst einmal genug habt. Es ist an der Zeit, dass diesmal ein anderer gewinnt.«
»Und dieser andere, das seid Ihr?«
»Warum nicht?«
Baldung lachte. »Eingebildet seid Ihr ja gar nicht. Glaubt Ihr wirklich, gegen einen Haufen erfahrener Ritter den Sieg davontragen zu können?«
»Ich traue es mir zu«, sagte Falk unbekümmert. »Und wenn nicht, macht es auch nichts. Denn wie Ihr vorhin sagtet, ist allein die Teilnahme an dem Turnier eine Ehre.«
*
Offenbar hatte Baldung von Freimark den jungen Ritter unterschätzt. Der Bursche meinte es ernst. Er würde sich nicht mehr von seinem Vorhaben abbringen lassen und das missfiel Baldung.
Unauffällig schielte er zu dem neben ihm reitenden Falk hinüber. Er war stark und gewandt. Der Kampf gegen die Adler hatte gezeigt, dass er sich nicht unterkriegen ließ. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ er seinen Worten anscheinend Taten folgen. Es war ein Fehler gewesen, ihm von dem Turnier zu erzählen und ihn zu ermuntern, daran teilzunehmen.
Baldungs Unbehagen wuchs. Wenn Falk mit der Lanze und dem Schwert ebenso gut umzugehen vermochte wie mit seinen Fäusten, stellte er einen nicht zu unterschätzenden Gegner dar. Baldung legte keinen Wert auf einen Konkurrenten, der es mit ihm aufnehmen konnte, denn er wollte die Siegerkette auch in diesem Jahr in Empfang nehmen. Die Vorstellung, dass ein junger Schnösel sie ihm wegnahm, war unerträglich.
Er dachte an die anderen Ritter, die ihm als Gegner gegenüberstanden. Er kannte sie und wusste um ihre Stärken und Schwächen. Keinen Einzigen von ihnen brauchte er zu fürchten. Bei Falk war das anders. Der junge Bursche war ihm unheimlich. Allein schon sein selbstloser Einsatz für einen Leibeigenen zeigte, dass er vor nichts zurückschreckte. Einen solchen Gegner konnte man nicht ernst genug nehmen. Am besten wäre es, wenn er gar nicht erst antrat.
»Ihr seid auf einmal so schweigsam, Ritter von Freimark«, riss ihn Falks Stimme aus seinen Überlegungen.
Baldung erkannte die sich bietende Gelegenheit blitzartig. Er tat so, als würde er aus tiefen Gedanken aufschrecken, und riss mit dem Zügel sein Pferd zur Seite. Was er sich erhoffte, gelang. Falks Vierbeiner wurde ein kleines Stück zur Seite gedrängt, was auf dem schmalen Weg genügte, um ihn den Boden unter den Hufen verlieren zu lassen. Als Falk reagierte, war es schon zu spät. Donner strauchelte und stürzte mit seinem Reiter wiehernd über die Klippe, Sand und Gestein mit sich reißend. Baldung stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Seine Waffenknechte starrten entsetzt in die Tiefe, wo Ross und Reiter verschwanden und kopfüber in den Fluss stürzten.
»Oh, nein, Ritter Falk!«, schrie Kuno besorgt.
Bingo zögerte keinen Augenblick. Furchtlos drängte er seinen Braunen den gefährlichen Steilhang hinunter. Das Pferd wieherte protestierend, als seine Hufe eine kleine Lawine auslösten, doch der Gaukler ließ nicht locker.
*
»Hat denn der Dicke den Verstand verloren?«, polterte Baldung von Freimark.
»Er will nur seinen Freund retten«, brachte Kuno hervor.