Familiengründung mit Samenspende - Petra Thorn - E-Book

Familiengründung mit Samenspende E-Book

Petra Thorn

4,5

Beschreibung

Die Samenspende wird in Deutschland seit über 50 Jahren durchgeführt - dennoch sprechen nur wenige offen darüber. Es herrscht großer Informationsmangel. Der Ratgeber behandelt umfassend alle psychosozialen Fragen. Er beschreibt die Auswirkungen männlicher Unfruchtbarkeit, hilft bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Samenspende, beschreibt die emotionalen Aspekte der medizinischen Behandlung und schildert den aktuellen Wissensstand hinsichtlich der Entwicklung der Kinder und Familien. Auch geht er auf die Situation lesbischer und alleinstehender Frauen ein. Einen Schwerpunkt bildet die Aufklärung der Kinder sowie rechtliche Fragen.

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Seitenzahl: 246

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Petra Thorn

Familiengründung mit Samenspende

Ein Ratgeber zu psychosozialen und rechtlichen Fragen

Mit juristischen Themenstellungen von Helga Müller

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-024398-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-024399-6

epub:    ISBN 978-3-17-024400-9

mobi:    ISBN 978-3-17-024401-6

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Widmung

 

 

Petra ThornFür alle, die mit Zuversicht und Beherztheitdiesen Weg der Familienbildung gegangen sindund für Wolfgang und Colin,die mich beim Schreiben mit Zuversichtund vielem mehr versorgt haben

 

Helga MüllerDen mutigen Müttern, Mitmüttern und Vätern,die sich mit ganzem Herzen für ihre Kinder engagieren

Inhalt

Geleitwort

Einführung

Psychosoziale Themenstellungen

Petra Thorn

Männliche Unfruchtbarkeit

Urologische und andrologische Untersuchungen

Emotionale Reaktionen von Männern

Die Bedeutung der männlichen Unfruchtbarkeit für die Partnerschaft

Auf dem Weg der Entscheidungsfindung zur Spendersamenbehandlung

Psychosoziale Informations- und Unterstützungsangebote

Psychosoziale Beratung

Informationsseminare

Vorbereitung für die medizinische Behandlung

Samenspender

Juristische Beratung

Die medizinische Behandlung und die Schwangerschaft durchleben

Das emotionale Auf und Ab

Mit anderen über die Samenspende sprechen

Gefühle während der Schwangerschaft

Das Leben als Familie

Elternschaft nach Samenspende

Die Entwicklung und Bedürfnisse der Kinder

Mit Kindern über ihre Zeugungsart sprechen

Kinder im Kindergartenalter

Kinder im Schulalter

Erwachsene Kinder

Eizellspende, Embryonenspende und Leihmutterschaft

Juristische Themenstellungen

Helga Müller

Die Spendersamenbehandlung und das Recht

Zulässigkeit der Behandlung

Aufklärungs-, Sorgfalts-, Schweige- und Haftpflichten des Arztes

Die Verwandtschaft sowie Eltern- und Vaterschaft

Voraussetzungen einer gelingenden Familiengründung mit Spendersamen bei Lebenspartnerinnen und alleinstehenden Frauen

Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung

Auskunftspflichten und -rechte von Arzt, Wunscheltern, -kindern, Samenspendern u. a.

Rechte und Pflichten aus der Elternstellung

Arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Fragen

Die Gestaltung von Arzt-, Ehe- und Partnerschaftsverträgen

Ersatz- oder Leihmutterschaft mit gespendeten oder eigenen Gameten – eine gangbare Alternative?

Die Eizell- und die Embryonenspende als besonderes Problem

Erfahrungsberichte

Andrea und Marcus mit den Zwillingen Jakob und Charlotte (beide 1½ Jahre)

Claudia und Marion mit Nele (2 Jahre alt)

Michael und Christine mit Peter (13 Jahre) und Sarah (11 Jahre)

Zannah Merricks (21 Jahre)

Abschließende Worte

Anhang

Weiterführende Literatur

Nützliche Adressen

Erklärung von Fachbegriffen und Abkürzungen

Angaben zu den Verfasserinnen

Bibliographie

Geleitwort

 

 

Ungewollte Kinderlosigkeit beschäftigt nicht nur betroffene Ehepaare und die sie betreuenden Ärzte, Fortpflanzungsmediziner, Psychologen und Psychosomatiker, Andrologen und Humangenetiker, sondern in den letzten Jahren zunehmend auch andere Personen, die nicht unmittelbar von dem Problem der Sterilität in der Ehe betroffen sind, wie Politiker, Journalisten, Juristen, Ethiker und Philosophen oder Theologen.

Besonders die Samenspende als Behandlungsmöglichkeit der Kinderlosigkeit bei absoluter Zeugungsunfähigkeit des Mannes befindet sich in einer stetigen Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern. Die ungewollt kinderlosen Ehepaare als die eigentlich Betroffenen in dieser Auseinandersetzung haben sich aus verständlichen Gründen (Fortpflanzung als Intimsphäre) bisher selten oder überhaupt nicht zu Wort gemeldet.

In der Bundesrepublik Deutschland wurden seit 1970 schätzungsweise mehr als 100 000 Kinder nach donogener Insemination geboren. Wurden früher ca. 1500 bis 2000 Geburten nach donogener Insemination pro Jahr vermutet, so ist die Zahl der Geburten durch donogene Insemination heute um zwei Drittel zurückgegangen, da durch die Einführung neuer Methoden der assistierten Fortpflanzungsmedizin (hier insbesondere die intrazytoplasmatische Spermieninjektion, ICSI) seit 1993 für viele Ehepaare die Möglichkeit eröffnet wurde, ein genetisch eigenes Kind zu bekommen. Aufgrund dieser erfreulichen Weiterentwicklung der Reproduktionsmedizin wird jetzt mit nur noch ca. 1000 Geburten pro Jahr nach donogener Insemination gerechnet.

Ihre gesellschaftliche Brisanz bezieht die Samenspende wohl aus der Tatsache, dass sie tradierte, häufig aber auch tabuisierte Verhältnisse, wie z. B. die Frage der Vaterschaft beziehungsweise ganz allgemein die der Verwandtschaftsverhältnisse aufbricht oder zumindest in Frage stellt.

Für Paare mit unbehandelbarer Zeugungsunfähigkeit des Mannes ist die Behandlung mit Spendersamen neben der Adoption die einzige Möglichkeit, eine Familie zu gründen. Aufgrund der besonderen Zusammensetzung dieser Familien und der nicht ausreichend geklärten Rechtsbeziehung zwischen Mutter, Vater, Samenspender, Kind und Arzt sind Paare, die sich für diese Art der Familiengründung interessieren, immer mit besonderen Fragestellungen konfrontiert und meist verunsichert. Fremdinseminationen werden immer umstritten bleiben. Einwände erfolgen nicht so sehr vom medizinisch-technischen, sondern vielmehr vom ethisch-religiösen und rechtlichen Standpunkt aus.

Für interessierte Paare sind die Informationen durch die Medien aufgrund der Vielzahl der Reproduktionstechniken mit ihren schwer verständlichen Termini eher verwirrend als aufklärend. Deshalb wenden sich verstärkt betroffene Paare neben dem Arzt auch an Ehe-, Familien- und Sexualberatungsstellen mit der Bitte um Informationen. Doch hier bestehen ebenfalls Informationsdefizite über die Reproduktionstechniken als Interventionsmöglichkeit bei unerfülltem Kinderwunsch, denn eine Auseinandersetzung mit den Befruchtungstechniken und vor allem der Spendersamenbehandlung auf der Ebene psychosozialer Beratung findet erst seit kurzem statt.

Seit vielen Jahren befasst sich Petra Thorn in ihrer wissenschaftlichen und beraterischen Tätigkeit mit der Spendersamenbehandlung und führt regelmäßig Vorbereitungsseminare für Interessierte durch. Das vorliegende Buch trägt erstmals die Erfahrungen aus ihrer Beratungsarbeit sowie Informationen aus allen Fachrichtungen über diesen Themenbereich zusammen und stellt dies in verständlicher Form dar. Es ist sehr gut geeignet, Paare in der Phase der Entscheidung pro oder kontra Samenspendetherapie sachlich und objektiv zu informieren und sie zu einer ersten Auseinandersetzung zu motivieren, auch wenn es die individuelle Paarberatung nicht ersetzt. Darüber hinaus gibt das Buch auch Fachkräften und Beratungsstellen wertvolle Impulse für ihre Arbeit.

Es ist zu wünschen, dass alle an einer Spendersamenbehandlung beteiligten Personen (Spender und Wunscheltern) in angemessener, ausführlicher und eingehender Weise im Vorfeld über die medizinischen, psychischen, sozialen und juristischen Aspekte der Spendersamenbehandlung aufgeklärt werden. Das vorliegende Buch stellt ein ausgezeichnetes Informationswerk hierzu dar. Eine weitere Verbreitung und Anwendung ist ihm zu wünschen.

Essen, im Juli 2008

Prof. Dr. med. Th. Katzorke

Vorsitzender des Arbeitskreises für donogene Insemination e. V.

Einführung

 

 

Die Spendersamenbehandlung wird in Deutschland seit über 50 Jahren durchgeführt – und dennoch sprechen nur wenige offen darüber. Ungewollte Kinderlosigkeit selbst ist noch immer ein schwieriges Thema. Auch wenn es mittlerweile viele Ratgeber dazu gibt, man fast regelmäßig in Zeitschriften darüber lesen kann und auch in Talkshows darüber gesprochen wird, wird es von vielen als ein mit Scham behaftetes Thema empfunden. Über die Behandlung mit Spendersamen gibt es wenig Öffentlichkeit und vor allem sehr wenig Information. Viele Paare, die diesen Weg der Familienbildung erwägen, empfinden daher ein Tabu und sind verunsichert, ob daraus wirklich eine stabile und harmonische Familie entstehen kann.

Um das Tabu zu verstehen, ist es wichtig, die geschichtlichen Hintergründe zu beleuchten. In vielen Ländern, auch in Deutschland, wurde die Samenspende bereits Anfang des letzten Jahrhunderts durchgeführt, aber streng geheim gehalten. Einer Frau den Samen eines Mannes einzusetzen, mit dem sie nicht verheiratet war, wurde einer außerehelichen Affäre gleichgestellt und dies wurde nicht nur von der Kirche, sondern auch von vielen medizinischen Berufsorganisationen vehement abgelehnt. In Deutschland wurde noch bis in die 1950er Jahre sehr kontrovers diskutiert, ob man diese Behandlung überhaupt zulassen sollte. Mediziner befürchteten berufsrechtliche Sanktionen, wenn bekannt geworden wäre, dass sie die Spendersamenbehandlung durchführen. Daher gab es zwar einige Ärzte, die die Samenspende anboten, aber in der Öffentlichkeit sprachen sie nicht darüber. Erst nachdem der Deutsche Ärztetag die Spendersamenbehandlung zwar weiterhin kritisierte, aber nicht mehr explizit ablehnte, entspannte sich in den 1970er und 1980er Jahren die Lage etwas. Nach und nach nahmen immer mehr Ärzte die Samenspende in ihr Behandlungsspektrum auf. Es fehlten allerdings gesetzliche und berufsrechtliche Regelungen. Letztere wurden Mitte der 1990er Jahre eingeführt und erst im Jahr 2002 wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Änderung vorgenommen, die die Vaterschaft in den Fällen regelte, in denen verheiratete Ehepaare auf die Samenspende zurückgriffen. Über viele Jahrzehnte wurde Eltern die Geheimhaltung empfohlen, da dies vor dem gesellschaftlichen Stigma schützen sollte. Darüber hinaus schützte die Geheimhaltung jedoch auch die Identität der Samenspender, denn der Mangel an gesetzlicher Regelung hätte dazu führen können, dass diese unterhaltspflichtig und erbberechtigt werden konnten. Das Tabu und die Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung sind nach wie vor spürbar: Noch heute ist die Aufklärung der Kinder unter Ärzten nicht unumstritten und es gibt kaum Literatur zur dieser Familienbildung.

In einigen Ländern treten Eltern und vor allem Erwachsene, die mithilfe der Samenspende gezeugt wurden, dafür ein, dass die Anonymität der Spender aufgehoben wird. In England gibt es beispielsweise seit 1982 das Donor Conception Network und mittlerweile sind über 1000 Familien Mitglied. Dieses Netzwerk hat zusammen mit psychosozialen und medizinischen Fachkräften dazu beigetragen, dass die Anonymität der Spender im Jahr 2004 aufgehoben wurde und alle Kinder das Recht haben, erfahren zu können, von wem sie abstammen. Auch sieht das englische Recht einen expliziten Schutz der Samenspender vor: Wenn Männer ihren Samen im Rahmen einer medizinischen Behandlung spenden, sind sie von Unterhalts- und Erbansprüchen freigestellt. Die öffentliche Arbeit des Netzwerks und die gesetzlichen Regelungen haben dazu beigetragen, dass das Tabu um die Samenspende (in England auch die Eizellspende) abgebaut wurde und diese Familienbildung in der Öffentlichkeit immer mehr gutgeheißen wird. In Deutschland gibt es ähnliche Entwicklungen. Auch bei uns haben sich vor einigen Jahren Familien zusammengeschlossen, die sich regelmäßig austauschen und sich gegenseitig unterstützen. Auch hier wurden 2004 berufsrechtliche Regelungen verändert, sodass nunmehr die medizinischen Unterlagen nicht mehr nur 10, sondern mindestens 30 Jahre lang aufbewahrt werden sollen und die Kinder, bzw. Erwachsene damit eine realistische Möglichkeit erhalten, die Identität des Spenders zu erfahren. Es gibt mittlerweile einen Zusammenschluss von Erwachsenen, die mithilfe der Samenspende gezeugt wurden, und seit 2013 das DI-Netz, eine Organisation von Familien nach Samenspende, die über die Samenspende informiert und sich für gesetzliche Änderungen einsetzt.

In Deutschland werden aktuell zwischen 1000 und 1200 Kinder jährlich mithilfe der Samenspende gezeugt (Thorn & Daniels 2000). Rund 10 000 weitere Kinder verdankten beispielsweise im Jahr 2005 ihre Zeugung anderen reproduktionsmedizinischen Behandlungen (Jahrbuch 2005). Bezogen auf die Geburtenrate des gleichen Jahres, in dem knapp 686 000 Kinder geboren wurden (Bundesamt für Statistik), ist dies ein kleiner Anteil. Häufig werde ich gefragt, ob das Tabu und die Tatsache, dass nur wenige Paare auf die Samenspende zurückgreifen, nicht Hinweise darauf sind, dass dies eine problematische Art und Weise ist, ein Kind zu bekommen. Ich denke, dass dies stimmen kann. Die Bewältigung aller Lebensumstände, die ungewohnt sind und über die wenige Informationen und kaum Erfahrungswerte vorliegen, kann durchaus schwierig sein. In der Regel sind jedoch vor allem die Dinge schwierig, die man im Vorfeld nicht bedacht hat, mit denen man plötzlich konfrontiert wird oder die man, vielleicht aus Angst oder Unsicherheit heraus, ignorierte. Die Spendersamenbehandlung bedeutet, dass man eine andere Möglichkeit der Familienbildung in Erwägung zieht, eine Möglichkeit, die sich von anderen Familienzusammensetzungen unterscheidet. Sie muss jedoch nicht unbedingt problematischer sein, wenn man sich im Vorfeld damit auseinandersetzt. Gleichzeitig ist es wichtig zu wissen, dass niemand alle potenziellen Schwierigkeiten im Vorfeld lösen kann. Man kann jedoch als Mann und Frau, bzw. als zukünftiger Vater und zukünftige Mutter eine Familienatmosphäre schaffen, in der Schwierigkeiten nicht ignoriert, sondern angesprochen und konstruktiv angegangen werden. Dies ist eine gute Basis, um in allen schwierigen Situationen passende Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Als Sozialarbeiterin und Familientherapeutin berate ich seit vielen Jahren Paare und Einzelpersonen, die eine Samenspende beabsichtigen. Darüber hinaus führe ich seit Mitte der 1990er Jahre Informationsseminare durch, die ausführlich über diese Art der Familienbildung und über die Aufklärung von Kindern informieren. Der Ratgeber fasst die Erfahrungen zusammen, die ich in der Beratung und während der Seminare machen konnte und ergänzt sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er ist in mehrere Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel beschreibt die psychologischen und sozialen Auswirkungen männlicher Unfruchtbarkeit auf den Mann und das Paar. Danach wird auf die Entscheidungssituation für oder gegen eine Samenspende eingegangen und es werden Möglichkeiten der Unterstützung für diesen Entscheidungsprozess aufgezeigt. Die Themen, die im Rahmen der medizinischen Behandlung entstehen, werden im nächsten Kapitel erläutert. Viele fragen sich, wie sich Kinder und Erwachsene, die mithilfe der Samenspende gezeugt wurden, entwickeln und wie sie über ihre Situation denken. Diesen Fragen ist das anschließende Kapitel gewidmet. Die Frage der Aufklärung von Kindern ist für die Meisten ein sehr zentrales Thema. Hier stellt sich nicht nur die Frage, wann aus entwicklungspsychologischer Sicht das beste Alter dafür ist, sondern auch, wie die Umwelt auf das Kind reagiert, wenn es selbst offen über seine Zeugungsart spricht. Dieser Themenkomplex wird im vorletzten Kapitel aufgegriffen. Da in den letzten Jahren die Behandlung mit Eizellspende und auch die Leihmutterschaft in Deutschland immer häufiger diskutiert werden, wird im letzten Teil auch auf diese Möglichkeiten der Familienbildung eingegangen. Alle Kapitel in diesem Teil des Ratgebers enthalten Fragestellungen oder Anregungen, die Sie dazu motivieren sollen, über bestimmte Aspekte nachzudenken oder mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner zu diskutieren. Die anonymisierten Zitate, die ich in diesem Teil des Ratgebers verwendet habe, sind typische Aussagen, die Männern und Frauen im Rahmen der Beratung oder Seminare, bzw. wissenschaftlicher Untersuchungen mir gegenüber gemacht haben.

Das letzte Kapitel befasst sich ausführlich mit den rechtlichen Aspekten der Samenspende. Dieser Teil wurde von Dr. Helga Müller geschrieben, die viele Jahre lang während der Seminare als Referentin für die juristischen Fragen zur Verfügung stand. Den Abschluss bilden vier Erfahrungsberichte. Im ersten Bericht beschreiben Andrea und Markus ihren Weg der Entscheidungsfindung und ihren Familienalltag mit zwei Kleinkindern. Anschließend berichten Claudia und Marion über ihre Erfahrungen als lesbische Familie. Der dritte Bericht handelt von Michael und Christine, die zwei Kinder im Schulalter haben. Die Haltung einer jungen Erwachsenen ihrer Zeugung mit Spendersamen gegenüber und ihre Erfahrungen werden im letzten Bericht geschildert. Im Anhang finden Sie weiterführende Informationen zum Thema Samenspende und nützliche Adressen sowie eine Erklärung der Fachbegriffe und Abkürzungen.

Der Ratgeber ist mit besonderer Rücksicht auf die männliche Perspektive geschrieben, denn bei der Behandlung mit Samenspende ist in der Regel der Mann der Diagnoseträger. Dies ist natürlich bei lesbischen Paaren und alleinstehenden Frauen nicht der Fall, denn diese Paare greifen auf die Samenspende zurück, da es keinen männlichen Partner gibt. Auch deren Situation wird im Ratgeber aufgegriffen und besonders erwähnt, wenn sie sich von derjenigen heterosexueller Paare unterscheidet. Der Begriff »Arzt« wird als Synonym für Ärzte, Ärztinnen und Einrichtungen, welche die Behandlungen durchführen, verwendet. Der Begriff »Spendersamenbehandlung« oder »Samenspende« wird auch mit dem Kürzel »DI« (für donogene Insemination) umschrieben. Dieser Begriff hat sich im medizinischen und psychosozialen Bereich durchgesetzt und die Begriffe »künstliche«, »artifizielle« oder »heterologe« Insemination, bzw. »Behandlung mit Spendersamen« abgelöst. Der Begriff »donogene Insemination« beschreibt, dass die Ehefrau mit Samen eines Dritten, eines Samenspenders, befruchtet wird. Nur im juristischen Sprachgebrauch wird nach wie vor der Terminus »heterologe Insemination« (im Vergleich zur »homologen Insemination«, bei der Samen des Ehemanns verwendet wird) verwendet.

Der Ratgeber ist vor allem für Wunscheltern geschrieben und soll einen Beitrag dazu leisten, sich für die Fragestellungen, die sich durch die Familienbildung mit Spendersamen ergeben, zu öffnen und sich mit ihnen auseinander zu setzen. Sie können dann umfassend informiert eine Entscheidung für oder gegen die Samenspende treffen und – bei einer Entscheidung dafür – gut vorbereitet und zuversichtlich diese Familienbildung angehen. Auch Fachkräfte informiert der Ratgeber über die psychosozialen und juristischen Fragestellungen, damit diese Beratungsgespräche mit Wunscheltern hilfreich und unterstützend gestalten können.

Einen solchen Ratgeber zu schreiben ist nicht möglich, ohne viele Gespräche und Diskussionen mit denjenigen geführt zu haben, die eine Spendersamenbehandlung in Erwägung gezogen oder sie durchgeführt und Kinder bekommen haben. Mein Dank gilt daher allen Paaren und Einzelpersonen, zu denen ich im Rahmen von Beratung, Informationsseminaren und wissenschaftlicher Forschung Kontakt hatte und habe. Sie haben mir wertvollen Einblick in ihre Gedankenwelt gegeben, haben mich teilnehmen lassen an ihrer Gefühlswelt, ihren Zweifeln, Hoffnungen und ihrem Familienglück und mir damit die Komplexität dieses Themas verdeutlicht. Ihre Fragen und die gemeinsamen Diskussionen haben mir geholfen, die vielfältigen Perspektiven und Sichtweisen der Spendersamenbehandlung zu verstehen. Mein Dank gilt auch allen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und im Ausland, mit denen ich anregende und manchmal auch kontroverse Diskussionen hatte; sie haben mir die historische und die internationale Entwicklung verständlich gemacht und mir auch die Möglichkeit eröffnet, weit über den deutschen »Tellerrand« hinaus zu schauen.

Mörfelden, im September 2014

Dr. Petra Thorn

 

 

Psychosoziale Themenstellungen

Petra Thorn

Männliche Unfruchtbarkeit

 

 

Rund 6–9 % aller Paare im fortpflanzungsfähigen Alter sind ungewollt kinderlos (Brähler et al. 2001). Inzwischen gilt es als gesichert, dass bei knapp der Hälfte der Fälle die Unfruchtbarkeit durch den männlichen Partner bedingt bzw. mitbedingt wird. Obgleich diese Zahlenrelation wahrscheinlich immer schon ähnlich war, wurde lange Zeit bestritten, dass auch Männer unfruchtbar sein könnten. In der Öffentlichkeit wurde in der Regel die Frau als diejenige angesehen, die Diagnoseträgerin und somit »schuld« an der Kinderlosigkeit war. Als anschauliches Beispiel für diese einseitige Sichtweise dient die Auswertung von Briefen an Marie Stopes, einer Pionierin in der Verbreitung von Verhütungsmitteln in England in den 1920er Jahren. In dieser Auswertung fiel auf, dass Ärzte den Grund für die Unfruchtbarkeit ausschließlich der Frau zuschrieben. Nur ihr erteilten die Ärzte schriftliche Ratschläge, wie sie ihre Empfängnischancen verbessern konnten. Die Ärzte gingen davon aus, dass der Mann grundsätzlich zeugungsfähig war (Mason 1993). Diese Verleugnung von männlichen Fertilitätsstörungen hielt sich bis in unsere Tage. Erst seit rund 20 Jahren werden in den meisten, jedoch immer noch nicht in allen Fällen von Anfang an beide, d. h. Mann und Frau, auf Fertilitätsstörungen hin untersucht, wenn eine Einschränkung der Fruchtbarkeit vermutet wird.

Ungewollte Kinderlosigkeit ist weiterhin, trotz vieler Berichte in den Medien, ein Tabuthema. Nur wenige Paare, die daran leiden, reden offen und selbstbewusst mit Freunden oder Verwandten darüber. Viele befürchten, bemitleidet zu werden, auf Unverständnis zu stoßen oder sogar mit verletzenden Anspielungen konfrontiert zu werden. Noch seltener wird über die Ursachen der Störungen gesprochen. Frauen fällt es in der Regel leichter, sich darüber auszutauschen. Für Männer sind Gespräche über Fruchtbarkeitsstörungen dagegen ungewohnt, manchmal auch mit Angst besetzt, was häufig dazu führt, dass es verschwiegen wird.

Michael: »Meine Frau hat, gleich nachdem der Arzt uns gesagt hat, dass es auf natürlichem Weg nicht klappt, mit einer Freundin darüber gesprochen. Ich habe bis heute mit keinem darüber geredet. Als Mann sind solche Gespräche auch schwierig. Wann soll ich denn darüber reden? Beim Sport passt es nicht, abends in der Kneipe sitzen zu viele herum, die mithören könnten, und ansonsten treffe ich meine Freunde nicht. Aber mir macht es auch gar nicht so viel aus, nicht darüber zu reden. Ich kann das gut mit mir ausmachen.«

Wenn über männliche Unfruchtbarkeit gesprochen wird, so geschieht dies manchmal im Zusammenhang mit Impotenz. Die Begriffe »Virilität« (Männlichkeit, Manneskraft), »Sterilität« (Unfruchtbarkeit, Zeugungsunfähigkeit) und »Potenz« (Fähigkeit zum Beischlaf), bzw. Impotenz (Unfähigkeit zum Beischlaf) werden häufig miteinander verwechselt und fälschlicherweise in einem Atemzug genannt. Männer mit Fruchtbarkeitsstörungen fühlen sich in solchen Situationen gleichgestellt mit Männern, die nicht zum Geschlechtsverkehr fähig sind, obwohl dies in der Regel nicht miteinander verknüpft ist. Diese Vermischung von Begriffen macht es Männern noch schwerer, über ihre Zeugungsunfähigkeit zu sprechen. Manchmal werden vorsichtige Versuche, darüber zu reden, durch unverständliche und verletzende Bemerkungen zunichte gemacht, bei denen mehr oder wenig unterschwellig eine Andeutung auf sexuelle Impotenz mitschwingt.

Dieses Kapitel beschreibt die emotionalen Aspekte bei der medizinischen Untersuchung, typische Reaktionen von Männern auf die Diagnose und die Bedeutung von männlicher Unfruchtbarkeit für die Partnerschaft. Männliche Unfruchtbarkeit ist zwar der häufigste Grund dafür, dass sich Paare für eine Samenspende entscheiden. Es soll jedoch nicht vergessen werden, dass es noch andere Gründe gibt. Männer ohne Fruchtbarkeitsstörungen, bei denen jedoch eine genetische Erkrankung festgestellt wurde, können sich für eine Samenspende entscheiden, um zu verhindern, dass die Krankheit auf das Kind übertragen wird. Darüber hinaus verwenden auch lesbische und alleinstehende Frauen die Samenspende, um ein Kind zu zeugen. Dies sind andere Voraussetzungen, für die dieses Kapitel nur bedingt relevant ist.

Urologische und andrologische Untersuchungen

Wenn sich ein Paar ein Kind wünscht, aber auch nach vielen Monaten keine Schwangerschaft eintritt, ist es in der Regel die Frau, die dies zuerst mit ihrem Gynäkologen bespricht. Ihr werden dann diagnostische Verfahren wie das Führen einer Temperaturkurve angeraten. Für die meisten Frauen ist dies kein großer Schritt, denn sie sind an gynäkologische Untersuchungen gewöhnt. Wenn der Arzt auch dem Mann eine Untersuchung seiner Fruchtbarkeit empfiehlt, reagieren viele oder sogar die meisten zunächst skeptisch und reserviert. Darüber hinaus sind vielen Männern urologische oder andrologische Untersuchungen fremd. Von daher ist es durchaus verständlich, wenn Männer zunächst mit einer gewissen Reserviertheit reagieren, wenn sie ihre Fruchtbarkeit untersuchen lassen sollen. Sie können, im Gegensatz zu Frauen, noch weniger einschätzen, was auf sie zukommt. Manche Männer reagieren mit Erstaunen und Fassungs-losigkeit, wenn der Arzt bei ihnen eine verminderte Zeugungsfähigkeit feststellt.

Timo: »Meine Frau machte die ersten Schritte. Sie ließ sich von ihrem Frauenarzt, bei dem sie schon seit Jahren regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen durchführen lässt und den sie daher gut kennt, untersuchen. Der jedoch konnte nichts Außergewöhnliches feststellen. Er empfahl ihr deshalb, dass auch ich mich untersuchen lassen solle. Dass mit mir etwas nicht stimmen könnte, war für mich ganz neu und machte mich sehr unsicher. Ich, und ich glaube, auch meine Frau, waren bis zu diesem Zeitpunkt immer davon ausgegangen, dass der Grund bei meiner Frau lag. Es dauerte ein paar Monate, bis ich bereit war, mich bei einem Urologen untersuchen zu lassen.«

Männer berichten im Vergleich zu Frauen eher selten über die Untersuchungen. Bei Nachfragen stellt sich jedoch heraus, dass manche die Art der Untersuchung oder die Umstände der Diagnosemitteilung als entwürdigend und demütigend empfinden. Manchmal sind die Räume zur Spermagewinnung ungeeignet oder das Behältnis zum Auffangen des Spermas wird als »anwenderunfreundlich« beschrieben. Auch wird die Atmosphäre beim Arzt bisweilen als verschämt und angespannt empfunden und es kann vorkommen, dass keine genauen Verhaltensanweisungen gegeben werden.

Martin: »Ich konnte die Spermaprobe zuhause gewinnen, was mir zunächst eine große Entlastung zu sein schien. Als ich am nächsten Tag den Arzt wegen des Ergebnisses anrief, war ich schockiert. Mir wurde mitgeteilt, dass kaum bewegliche Spermien gefunden wurden und mir wurde angeraten, das Spermiogramm bald wiederholen zu lassen. In einem persönlichen Gespräch mit dem Arzt stellte sich heraus, dass ich meine Spermaprobe bis zum Abgeben beim Arzt auf Körpertemperatur hätte halten müssen. Dies war mir aber nicht gesagt worden. Und ich hatte einen ziemlich langen Weg bis zum Arzt. Dies erklärte wohl, weshalb mein Spermiogramm an diesem Tag so schlecht ausgefallen war. Ich war enttäuscht und auch wütend über den Arzt, dass er mir dies nicht mitgeteilt hatte.«

Auch passiert es noch immer, dass das medizinische Personal wenig sensibel mit den Patienten umgeht.

Rudi: »Ich gab meine Spermaprobe ab, und ich war froh, dass ich es unter dem Druck geschafft hatte. Nach einer halben Stunde öffnete ein Arzt die Tür zum Flur, auf dem ich und ungefähr 20 Frauen und andere Männer warteten, und rief mir zu: ›Herr M., Ihr Spermiogramm müssen wir noch mal wiederholen.‹ Ich versank vor Scham in meinem Stuhl und hatte das Gefühl, dass mich alle auf dem Flur anstarrten. Ich hatte auf diesen Arzt eine so große Wut und fühlte mich von ihm so bloßgestellt, dass ich nicht mehr hinging.«

Das Abgeben einer Spermaprobe ist für die meisten Männer mit Anspannung und Stress verbunden ist. Nicht selten denken Männer schon Tage vor dem Termin ständig daran und richten ihr Sexualleben danach, um das Ergebnis des Spermiogramms nicht zu verfälschen. Für die meisten ist es zudem nicht einfach, auf Kommando einen Samenerguss herbeizuführen. Sie haben Versagensangst und befürchten, dass sich diese körperliche und seelische Anspannung negativ auf das Ergebnis auswirken könnte und die Spermaprobe deshalb schlechter ausfällt.

Sie können als Mann etwas dazu beitragen, dass die Untersuchung Ihrer Fruchtbarkeit emotional weniger belastend ist. Vereinbaren Sie mit dem Urologen, der die Untersuchung machen soll, zunächst einen Gesprächstermin. Erkundigen Sie sich nach dem genauen Ablauf:

•  Ist es erforderlich, dass Sie eine bestimmte Anzahl von Tagen vor der Untersuchung keinen Samenerguss haben?

•  Wenn Sie eine Samenprobe zuhause gewinnen können, wie schnell und unter welchen Bedingungen sollte sie beim Arzt abgegeben werden?

•  Wenn Sie die Samenprobe beim Arzt abgeben, schauen Sie sich den Raum vorab an und klären Sie, ob Sie auf Wunsch von Ihrer Partnerin begleitet werden können.

•  Wie lange dauert es, bis Sie das Ergebnis erhalten?

•  Achten Sie darauf, dass Ihnen das Ergebnis nicht telefonisch mitgeteilt wird. Vereinbaren Sie einen Gesprächstermin, damit Sie ggf. Fragen nach der genauen Bedeutung des Ergebnisses stellen können.

•  Gehen Sie davon aus, dass der Arzt Ihnen nicht unbedingt einen Grund für das Ergebnis der Untersuchung nennen kann. In rund einem Drittel der Fälle wissen Ärzte nicht, worauf die Unfruchtbarkeit zurückgeführt werden kann; sie können nur mitteilen, dass eine Einschränkung der Fruchtbarkeit vorliegt.

•  Fragen Sie, wie Erfolg versprechend bestimmte Behandlungen wie Inseminationen, IVF1 oder ICSI mit dem eigenen Samen in Ihrem individuellen Fall sind.

Emotionale Reaktionen von Männern

Für die meisten Männer und Frauen geht die Diagnose der Unfruchtbarkeit einher mit heftigen Gefühlsregungen. Viele beschreiben den unerfüllten Kinderwunsch als die schlimmste Erfahrung ihres bisherigen Lebens und als eine elementare Lebenskrise. Fast jeder, der sich damit auseinandersetzen muss, dass er sich Kinder wünscht, aber sie nicht oder vielleicht nur mit medizinischer Unterstützung zeugen kann, empfindet Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Selbstzweifel und Scham. Die emotionalen Reaktionen von Männern unterscheiden sich wenig von denen der Frauen, allerdings zeigen die meisten Männer ihre Gefühle weniger deutlich nach außen. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass sie die Diagnose weniger belastet. In vielen Gesprächen wiesen mich Männer jedoch darauf hin, dass dies häufig nur der äußere Eindruck ist. Auch sie leiden, machen jedoch ihr Leid eher mit sich selbst ab und denken eher an Lösungsmöglichkeiten.

Thomas: »Ich war nach der Diagnose sehr niedergeschlagen. Eigentlich konnte ich es kaum fassen und ich wollte unbedingt noch eine zweite medizinische Meinung hören. Aber als mir dann nach und nach klar wurde, dass diese Diagnose wirklich stimmte, überlegte ich, was wir tun könnten. Ich wollte eine Lösung für das Problem finden.«

Manuela: »Dass ich nichts tun konnte, um ein Kind zu bekommen, das war das Schlimmste für mich. Für meinen Mann war es genau so, aber er sagte nicht so viel. Er war auch sehr traurig, aber er war anders traurig. Ich zeigte es viel deutlicher. Er dachte darüber nach, aber man merkte davon nicht so viel.«

Zu Beginn der Auseinandersetzung mit der ungewollten Kinderlosigkeit, vor allem nachdem die medizinische Diagnose gestellt wurde, kann ein Gefühl des Schocks einsetzen. Auch ist es nicht ungewöhnlich, dass Sie als Mann zunächst versuchen, die Diagnose von sich zu weisen und hoffen, der Arzt habe eine falsche Diagnose gestellt.

Lars: »Als mir der Arzt offenbarte, dass ich kaum Samen im Ejakulat hatte, war meine erste Reaktion: ›Warum ich?‹ Ich war schockiert und niedergeschmettert, weil ich so etwas nie erwartet hätte. Insgeheim hatte ich gehofft, dass der Arzt einen Fehler gemacht oder das Spermiogramm vertauscht hatte. Aber leider stellte der Arzt auch bei der nächsten Untersuchung genau das Gleiche fest.«

Auch zweifeln manche Männer an ihrer Männlichkeit, da für sie die Fähigkeit, ein Kind zu zeugen, eng mit ihrem Bild als Mann und mit ihrem männlichen Selbstwertgefühl zusammenhängt. Dies bezieht sich weniger auf ihre sexuelle Potenz, als auf das allgemeine Gefühl ein »richtiger« Mann zu sein.

Lars: »Ich musste mir immer wieder sagen, dass ich kein Versager bin, ich wollte mich nicht als Versager sehen, aber dieses Bild kam immer wieder in mir hoch.«

Manche Männer empfinden Wut, z. B. auf den Arzt, der keine eindeutige Ursache für die Unfruchtbarkeit diagnostizieren konnte oder nicht zu helfen vermag. Oft hat diese Wut jedoch keinen konkreten Auslöser, sondern symbolisiert schlichtweg die Ohnmacht und Hilflosigkeit, die man empfindet.

Martin: »Ich war auf einmal auf alles und jeden wütend, und ich konnte gar nicht sagen, was genau diese Wut ausgelöst hatte. Ich glaube, dass ich etwas machen wollte, und ich wusste genau, dass es gar nichts gab, was ich unternehmen konnte, um unsere Situation zu verbessern.«

Nacht- und Tagträume haben viele Menschen, nicht nur in Krisenzeiten. In Träumen verarbeiten wir Ängste und Sorgen und leben Phantasien aus, die nicht immer einen direkten Bezug zur Realität haben. Nach der Diagnose von Unfruchtbarkeit können Träume bedrohlich wirken, vor allem, wenn sie Tabus durchbrechen.

Jens: »In meinen Träumen erinnerte ich mich an ehemalige Freunde und dachte daran, wie meine Frau mit ihnen schlief, um schwanger zu werden. Einerseits schien dies eine so einfache Lösung, andererseits machte es mir viel Angst. Ich fragte mich: ›Wenn meine Frau nach einer Behandlung mit ICSI schwanger werden würde, müsste ich davor Angst haben, dass sie vielleicht während der Behandlung fremdgegangen ist und das Kind doch nicht mein eigenes ist?‹«

Auch ist es nichts ungewöhnliches, wenn Männer von sexuellen Affären außerhalb der Beziehung träumen. Die Hoffnung, trotz der Unfruchtbarkeit ein potenter Sexualpartner zu sein und trotz dieses Makels seinen Körper kontrollieren zu können, spielt dabei eine wichtige Rolle. Ein Berater erklärte dies folgendermaßen: