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Dieser Band enthält folgende Romane: Angriff aus der dämmerwelt (Frank Rehfeld) Gefangen in der Totenstadt (Rolf Michael) Ratten-Tanz (Art Norman) Caine, dem jungen Fürsten von Dunsinbar, ist keine lange Zeit des Friedens beschieden. Als seine schöne, junge Frau von den Dämonen geraubt wird, macht er sich auf den Weg, sie zu befreien. Gleichzeitig beschließt der Magierorden vom Regenbogen die Vernichtung von Dunsinbar. Kann es dem jungen, unerfahrenen Weltenmagier gelingen, seine Frau zurückzuholen und die Zerstörung seiner Heimat zu verhindern? Ein gefährliches Abenteuer beginnt, dessen Ausgang nicht absehbar ist.
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Seitenzahl: 383
Fantasy Dreierband 3006 - 3 Romane in einem Band
Copyright
Angriff aus der Dämmerwelt
Gefangen in der Totenstadt
Ratten-Tanz
Dieser Band enthält folgende Romane:
Angriff aus der Dämmerwelt (Frank Rehfeld)
Gefangen in der Totenstadt (Rolf Michael)
Ratten-Tanz (Art Norman)
Caine, dem jungen Fürsten von Dunsinbar, ist keine lange Zeit des Friedens beschieden. Als seine schöne, junge Frau von den Dämonen geraubt wird, macht er sich auf den Weg, sie zu befreien. Gleichzeitig beschließt der Magierorden vom Regenbogen die Vernichtung von Dunsinbar. Kann es dem jungen, unerfahrenen Weltenmagier gelingen, seine Frau zurückzuholen und die Zerstörung seiner Heimat zu verhindern? Ein gefährliches Abenteuer beginnt, dessen Ausgang nicht absehbar ist.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER WERNER ÖCKL
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Die Geschichte vom Zweikampf der Magier
Fantasy von Frank Rehfeld
Der Umfang dieses Buchs entspricht 120 Taschenbuchseiten.
Caine, dem jungen Fürsten von Dunsinbar, ist keine lange Zeit des Friedens beschieden. Als seine schöne, junge Frau von den Dämonen geraubt wird, macht er sich auf den Weg, sie zu befreien. Gleichzeitig beschließt der Magierorden vom Regenbogen die Vernichtung von Dunsinbar. Kann es dem jungen, unerfahrenen Weltenmagier gelingen, seine Frau zurückzuholen und die Zerstörung seiner Heimat zu verhindern? Ein gefährliches Abenteuer beginnt, dessen Ausgang nicht absehbar ist.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
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Ein leises, fast unhörbares Geräusch schreckte Fürstin Kyrlia von Dunsinbar auf. Sie hob den Kopf und lauschte, ob sich das Geräusch wiederholte, aber alles blieb still.
Als nach einigen Sekunden noch nichts geschehen war, ließ sie sich wieder auf das Bett zurücksinken. Das Geräusch war zu leise und kurz gewesen, um zu erkennen, um was es sich handelte. Vielleicht war nur ein Nachtvogel an den Fenstern ihres Gemachs vorbei gestrichen. Vielleicht hatte sie sich auch ganz einfach getäuscht.
Ihre Nerven waren bei Weitem nicht mehr die besten. Seit nunmehr zwei Monaten war sie die Gemahlin Caines, genauso lange, wie er Fürst auf Dunsinbar war. Es war eine anstrengende Zeit gewesen, die sie beide oft an den Rand der Erschöpfung getrieben hatte. So etwas wie Ruhe kannte Kyrlia seither schon kaum noch.
Auch an diesem Abend hätte sie eigentlich im Thronsaal sein müssen, wo Caine anlässlich der zweimonatigen Herrschaft einen Ball gab. Mit dem Hinweis auf starke Kopfschmerzen hatte sie sich entschuldigt. Die Schmerzen waren nicht einmal erfunden, aber in erster Linie brauchte sie Ruhe und Entspannung.
Aber da war noch etwas anderes, etwas wie eine Vorahnung kommenden Unheils, das sie tief in ihrem Inneren verspürte. Kyrlia konnte es nicht in Worte kleiden, sie hatte nicht einmal mit Caine darüber gesprochen. Erst einmal musste sie Ruhe in ihr aufgebrachtes Innenleben bringen.
Sie konnte nicht länger still liegen bleiben, erhob sich und trat vor den großen Spiegel, der an einer Wand ihres weiträumigen Gemachs hing. Gedankenverloren griff sie nach einer Bürste und begann, ihr goldenes Haar, das in sanften Wellen über ihre Schultern fiel, zu kämmen.
Ihr ebenmäßig geschnittenes Gesicht war in den letzten Wochen schmaler geworden, und Ansätze dunkler Ringe hatten sich unter ihren ausdrucksstarken braunen Augen gebildet. Dennoch war es nach wie vor schön. Und auch mit ihrer Figur, die von einem weit geschnittenen blauen Gewand umschmeichelt wurde, konnte sie zufrieden sein.
Das Geräusch wiederholte sich, und diesmal war es lauter geworden, so als wäre seine Quelle um ein Vielfaches näher gekommen. Es klang wie ein leises Schaben, ein Gleiten, das sie sich nicht erklären konnte.
Furchtsam blickte Kyrlia sich um. Sie war allein, und die massiven Mauern des Schlosses fingen jeden Laut auf. Das Geräusch war auch nicht aus Richtung der Fenster gekommen, sondern war in ihrer unmittelbaren Nähe aufgeklungen.
Aber sie war nach wie vor allein im Raum!
Eine klamme Furcht stahl sich wie ein schleichendes Gift in ihr Herz und nistete sich in ihr ein. Etwas Gespenstisches ging um sie herum vor, das Kyrlia sich nicht erklären konnte.
Erneut drang das leise Schaben an ihr Ohr, so deutlich diesmal, als wäre es unmittelbar hinter ihr aufgeklungen. Von einer ungewissen Angst ergriffen fuhr Kyrlia herum, drehte sich mehrmals um sich selbst, aber sie entdeckte absolut nichts, das Anlass zur Befürchtung gegeben hätte. Aber in einer Welt, in der Magie ebenso viel galt wie Mut und Kampfkraft, hatte das nicht viel zu bedeuten. Die Fürstin war sicher, sich die Geräusche nicht nur eingebildet zu haben, und auch das Unsichtbare mochte unvorstellbare Schrecken bereithalten.
Eine Welle eisiger Kälte kroch wie auf dürren Spinnenbeinen durch das Gewand ihren Rücken herab, so, als berühre sie eine klamme Totenhand.
Kyrlia schrie auf.
Die Befürchtung war wirklich gewesen, körperlich, und nackte Panik loderte in ihr hoch. Jemand – oder etwas – befand sich bei ihr im Raum, und sie hatte nur den Wunsch, möglichst schnell davon wegzukommen.
Neben ihrem Bett befand sich ein Glockenstrang, mit dem sie ihre Dienerinnen herbeirufen konnte. Aber Kyrlia rannte nicht dorthin, sondern zur Tür, um dem unsichtbaren Schrecken so schnell wie möglich zu entkommen. Sie erreichte die weiße Flügeltür und presste die Klinke hinunter.
Aber die Tür rührte sich nicht.
Mit aller Kraft zerrte und rüttelte die junge Fürstin an der Klinke, doch die Flügel ließen sich nicht öffnen. Voller Verzweiflung hämmerte sie mit ihren zierlichen Fäusten gegen das Holz, obwohl sie wusste, dass niemand sie hören konnte.
Ein leises Lachen erscholl hinter ihr. Gleichzeitig glitten neuerlich eiskalte Totenfinger über ihren Körper und steigerten das empfundene Grauen ins Unermessliche.
Immer noch schreiend wand Kyrlia sich aus dem gierigen Griff und stürzte zu dem Glockenstrang. Sie riss daran, als hinge ihr Leben davon ab. Und vielleicht tat es das ja auch …
Doch keine ihrer Dienerinnen, die sonst nicht mehr als einige Sekunden benötigten, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen, erschien. Nur ein erneutes gehässiges Lachen antwortete auf ihre verzweifelten Bemühungen.
„Niemand kann dich hören, kleine Kyrlia“, sagte eine grausam klingende Stimme. „Ich habe dafür gesorgt, dass niemand uns stört. Du kannst mir nicht entkommen!“
Der jungen Frau stockte der Atem, und ihr Herz setzte einen schmerzhaften Schlag lang aus. Sie kannte die Stimme, und im gleichen Moment wusste sie, dass sie verloren war.
Die Luft vor ihr begann zu flimmern, dann schälten sich die Umrisse dreier Gestalten geradewegs aus dem Nichts.
Zwei von ihnen besaßen keinen Körper im eigentlichen Sinne. Es handelte sich um Schatten, doch keine menschlichen Schatten. Ihre Umrisse blieben verschwommen, so dass sich nicht genau erkennen ließ, um wessen Schatten es sich handelte, und Kyrlia war fast dankbar dafür.
Hätte sie die Monstren, zu denen die Schatten gehörten, gesehen, wäre sie wahrscheinlich von dem Anblick allein schon tot umgefallen. So konnte sie ihre Panik mit Mühe unterdrücken.
Keuchend wandte sie den Blick der dritten, vertrauen Gestalt zu.
Es handelte sich um einen Menschen – zumindest äußerlich, soweit etwas von ihm zu erkennen war. Wie meist war die Gestalt in eine weite, schwarze Kutte gehüllt, unter der nur die klauenartigen, dürren Hände hervorragten. Selbst der Kopf war unter einer weit vorgezogenen Kapuze verborgen, hinter der nur undurchdringliche Finsternis zu wallen schien.
Kyrlia wusste, dass sich unter der Kutte ein schmächtiger, hagerer Körper verbarg, der von unzähligen Narben und Geschwulsten übersät war, mit denen er einst als Strafe für seinen Verrat am Magierorden vom Regenbogen geschlagen worden war.
„Korlon!“, stieß sie hervor und bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. „Wie kannst du es wagen, hierher zurückzukehren? Caine hat dich für alle Zeiten von Dunsinbar verbannt.“
„Wer ist schon Caine“, entgegnete der finstere Magier geringschätzig. „Er hat mich einmal besiegt, aber niemand kann sich mir auf Dauer entgegenstellen. Ich werde ihn wie einen Floh zerquetschen!“
„Du überschätzt dich, Korlon“, herrschte Kyrlia ihn an und wunderte sich selbst darüber, woher sie den Mut zu solchen Worten nahm. „Geh, oder deine Strafe wird furchtbar sein.“
Ein dumpfes Lachen quoll unter der Kapuze hervor und einen Herzschlag lang glaubte Kyrlia, die Augen des Magiers dämonisch funkeln zu sehen. Sie richtete ihren Blick genauer auf die Kapuze und suchte nach den Erhebungen der Widderhörner, die Korlon zum Zeichen seiner Ergebenheit für den Dämon Malachos trug. Sie waren nicht zu erkennen, und nur diesem Umstand hatte der Magier es zu verdanken, dass lange Jahre niemand gemerkt hatte, in wessen Dienst er wirklich stand.
„Ihr verkennt Eure Situation, Fürstin“, sagte Korlon mit hohntriefender Freundlichkeit. „Ich bin es, der jetzt die Befehle erteilt. Glaubt ihr nicht, dass Euer ...“, er stockte kurz und spie das Wort dann wie eine Beleidigung aus, „… Gemahl alles zu Eurer Rettung unternehmen würde?“
Er trat auf Kyrlia zu. Zitternd wich die junge Frau vor ihm zurück. Der Mut hatte sie verlassen; sie wusste, dass sie Korlon nicht drohen konnte. Der finstere Magier war zu Allem entschlossen und sie war ihm hilflos ausgeliefert.
Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg. Solange Korlon mit magischer Kraft die Tür und den Glockenstrang versiegelte, gab es keinen. Reglos standen die beiden Schatten immer noch in der Mitte des Raumes und versperrten ihr den Weg.
Abgesehen davon, dass sie ohnehin nirgendwohin laufen konnte …
Korlon streckte die Hand aus und berührte Kyrlia leicht an der Schulter. Es war, als ob flüssige Lava plötzlich durch ihre Adern rannte. Doch das Gefühl der Hitze währte nur einen Sekundenbruchteil und schlug dann in unerträgliche Kälte um, die sich blitzschnell in der Fürstin ausbreitete und sie erstarren ließ.
Als die erbarmungslose Kälte ihr Gehirn erreichte, schienen sogar ihre Gedanken einzufrieren. Bewusstlos stürzte Kyrlia von Dunsinbar zu Boden.
Auf einen Wink Korlons hin traten die beiden Schatten zu ihr und hoben sie auf. Währenddessen strich der Magier mit den Fingern über die Oberfläche des Spiegels. Das Glas wurde milchig trüb und schien sich zu wellen.
Die beiden Schatten gingen mit der bewusstlosen Kyrlia in den Armen hindurch, ohne auf einen Widerstand zu treffen. Korlon folgte ihnen mit einem triumphierenden Lächeln.
Hinter ihm verwandelte sich der Spiegel wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurück.
Gelangweilt ließ Caine den Blick seiner grünen Augen über die Menschenmasse zu seinen Füßen schweifen, krampfhaft darum bemüht, sich die Gefühle, die er empfand, nicht anmerken zu lassen.
Keine Regung seines scharf geschnittenen, offenen Gesichts verriet, dass der Ball ihn wie auch die meisten anderen höfischen Veranstaltungen langweilte. Aber als Fürst war er gezwungen, auch etwas zur Zerstreuung seiner Untertanen zu tun. Und es gab kaum etwas, was die Edelleute so sehr schätzten wie prunkvolle Feste.
Leider – zumindest dachte Caine diesen lasterhaften Gedanken manchmal – gehörten auch sie zu seinen Untertanen.
Bevor er Fürst geworden war, hatte er sein ganzes Leben lang nichts mit ihnen zu schaffen gehabt. Auch jetzt verachtete er noch ihre Dekadenz, ihre übertrieben vornehmen Manieren und ihr arrogantes, gockelhaftes Auftreten. Er war ein Mann aus dem einfachen Volk, und mit diesen einfachen Menschen fühlte er sich nach wie vor am Meisten verbunden.
Es war auch der Teil der Bevölkerung Dunsinbars, der ihm am meisten Sympathie entgegenbrachte. Von den Edelleuten wurde er nur geduldet. Und auch unter den Kriegern hatte er nicht viele Freunde.
Anders als Korlon, der den rechtmäßigen Fürsten Arster vor vielen Jahren ermordet und eine nach dessen Ebenbild geschaffene sklavische Puppe auf den Thron gesetzt hatte, wollte Caine nicht mehr am Krieg verdienen. Er hatte die Söldnerheere weitgehend aufgelöst; denn vielerorts fehlten kräftige Männer. Ein großer Teil der Bevölkerung musste Hunger leiden, weil niemand da war, um die Felder zu bestellen.
Doch damit hatten die eigentlichen Schwierigkeiten erst begonnen. Die meisten Männer waren in ihren Herzen immer noch Krieger und keine Bauern. Nur widerwillig hatten sie sich seinem Befehl gefügt.
Caine strich sich das braune Haar aus der Stirn. Einige Hofdamen verbeugten sich vor ihm. Er grüßte sie freundlich, obgleich es ihn Mühe kostete.
Die Leere des Platzes neben ihm schien sich bis in seine Seele auszubreiten. In Kyrlias Begleitung hätte er das Fest besser ertragen. Doch er verstand, dass sie Ruhe bitter nötig hatte. Sie beide hatten in den vergangenen Monaten schier Übermenschliches geleistet, und sie litt unter der Anspannung mehr als er.
Das Lied des Garlianenspielers verklang. Zurückhaltender Beifall wurde laut. Die Tanzenden verstreuten sich wieder im Raum. Ein freudiges Strahlen trat in Caines Augen, als er Maziroc entdeckte, den weisen alten Magier, dessen Schüler er früher gewesen war.
Früher, das Wort hatte einen bitteren Beigeschmack für ihn. Wie lange war das nun schon her? Ihm schien es in einem anderen Leben gewesen zu sein.
Noch vor zwei Monaten war er nicht mehr als der Sohn einer Köchin gewesen. Doch dann hatten die Ereignisse sich überschlagen. Avatar, der legendäre, seit Jahrtausende tote Weltenmagier war zurückgekehrt und hatte sich als Caines Vater zu erkennen gegeben.
Wie das möglich sein konnte, hatte nicht einmal Caine selbst erfahren.
Der Junge war in den Besitz GWAILO’THARs, des ebenso legendären Flammenschwerts geraten und hatte in einem heldenhaften Zweikampf den bisherigen Fürsten, den finsteren Magier Korlon besiegt. Er hatte niemals Fürst werden wollen, aber durch die Umstände war ihm keine andere Wahl geblieben, um Korlons Schreckensherrschaft zu beenden.
Mit weit ausgreifenden Schritten durchquerte Maziroc den Raum und kam auf den Thron zu. Wie immer trug er einen grau-grünen Mantel, der um seine massige Gestalt wallte. Es schien Caine, als wäre das lange Haar des Magiers seit ihrem letzten Zusammentreffen noch eine Spur grauer geworden.
„Ich freue mich, dich wiederzusehen“, begrüßte er seinen ehemaligen Lehrmeister. „Du hast dich in der letzten Zeit sehr rar gemacht, obwohl ich deine Hilfe dringender als je zuvor benötigt hätte.“
Der Magier ließ sich nicht anmerken, ob er den leisen Vorwurf, der in den Worten mitschwang, wahrnahm.
„Ich hatte große Aufgaben zu bewältigen“, erklärte er. „Die Dämonen sind überall auf dem Vormarsch, und Korlon hat ihnen in vielfacher Beziehung den Weg nach Dunsinbar geebnet. Es ist nicht leicht, all die magischen Zugänge, die er schuf, zu finden und zu verschließen.“
„Aber es ist dir gelungen?“
„Mit Hilfe der anderen Magier, ja. Zumindest hoffe ich es. Korlon war mächtiger und geschickter, als ich geglaubt hatte. Ihr habt mit seiner Entlarvung ein schlimmes Schicksal von dem Schloss und seinen Bewohnern abgewendet.“
„Aber dafür habe ich die Freundschaft der Magier und auch deine verloren“, rief Caine impulsiv. „Ihr dient eurem Eid gemäß dem Fürsten, aber als Mensch bin ich für euch gestorben.“
„Das stimmt nicht“, entgegnete Maziroc betroffen, doch Caine erkannte am Gesicht des Magiers, dass die Betroffenheit nicht so groß war, wie seine Stimme auszudrücken versuchte. „Im Gegenteil, es fällt mir immer noch schwer, in Euch nicht mehr meinen Schüler, sondern den Fürsten zu sehen.“
Ein amüsiertes Funkeln trat in die Augen des Magiers. Sein Blick fiel auf den leeren Platz neben Caine.
„Wo ist Kyrlia?“, erkundigte er sich.
„Sie fühlt sich nicht gut“, antwortete Caine.
Mazirocs Gesicht wurde rasch ernst. „Bitte lasst nach ihr schicken, Fürst“, bat er.
Caine war der plötzliche Ernst seines Gegenübers nicht entgangen. „Was ist los?“, fragte er.
„Mir war, als hätte ich eine fremde, dunkle Magie innerhalb des Schlosses wahrgenommen, der ein gedanklicher Hilfeschrei folgte. Ich war mir nicht sicher, aber nun meine ich, Kyrlia erkannt zu haben.“
Caine winkte einen der Diener zu sich. „Prüfe nach, ob bei der Fürstin alles in Ordnung ist“, befahl er.
Der Diener huschte davon und kehrte kaum zwei Minuten später zurück. Er verbeugte sich. Sein Gesicht war blass. „Die Dienerinnen der Fürstin sagten mir, dass sie sich nicht in ihrem Gemach aufhalte, obwohl sie die Fürstin haben hineingehen und nicht wieder herauskommen sehen“, berichtete er.
Caine fuhr hoch. „Begleite mich, mein Freund“, wandte er sich an den Magier. Ohne sich um die erstaunten Gesichter der versammelten Edelleute zu kümmern, eilte er raschen Schrittes aus dem Saal.
Maziroc folgte ihm. Kaum hatten sie den Saal verlassen, als Caine zu rennen begann, so schnell er konnte. Die Angst um Kyrlia griff nach seinem Herzen und trieb ihn vorwärts. Er blieb erst keuchend stehen, als er die Tür zu ihrem Gemach aufgestoßen hatte.
Erschrocken kreischten einige Dienerinnen auf, beruhigten sich aber sofort wieder, als sie den Fürsten erkannten. Demütig verneigten sie sich.
„Wo ist die Fürstin?“, fragte Caine, immer noch nach Luft schnappend. Sein Herzschlag raste. Er war körperliche Anstrengungen nicht gewohnt.
„Es ist mir unerklärlich, Herr“, begann Aliair, ihre Zofe, zu erklären.
„Was ist geschehen?“, unterbrach Caine sie schroff.
„Die Fürstin ist in den Raum hineingegangen und nicht wieder herausgekommen. Ich verstehe nicht, wie ...“
„Schon gut“, unterbrach Maziroc, der mittlerweile auch herangekommen war, ihren Redeschwall. „Geht jetzt alle hinaus.“
Ein Rascheln von Kleidern, ein paar flüchtige Verneigungen, dann stob die Schar aus der Tür, und Caine war allein mit dem Magier. Längst schon keimte in dem jungen Fürsten ein Verdacht und lastete wie mit Tonnengewichten auf seiner Seele, aber er wollte Sicherheit haben.
„Spürst du etwas?“, fragte er Maziroc.
Der Magier nickte langsam.
„Ja, die fremde Magie ist von hier ausgegangen.“ Er drehte sich einmal um die eigene Achse. Sein Blick schien in weite Ferne gerichtet zu sein, und es hatte den Anschein, als lausche er einer inneren Stimme. Caine rührte sich nicht, um ihn nicht zu stören.
Trotz seiner Lehrzeit war das Gebiet der Magie immer noch Neuland für ihn. Seine Kräfte konnten es bei Weitem nicht mit denen des Magiers aufnehmen. Zumindest waren sie nicht annähernd so entwickelt und geschult, schränkte er sich gleich darauf selber ein. Was wusste er denn schon von den Fähigkeiten, die noch in seinem Inneren schlummerten?
Doch auch er ließ seinen Blick schweifen. Es gab keine Anzeichen, dass jemand gewaltsam eingedrungen war, und er entdeckte auch keine Spuren eines Kampfes. Aber ein gewaltsamer Einbruch in das Herz Dunsinbars war ohnehin unmöglich, und fehlende Kampfspuren mussten auch nichts zu besagen haben.
Sein Blick fiel auf den mannsgroßen Spiegel an einer Wand, und nur das jähe Entsetzen, das seine Stimme lahmte und ihm die Luft abzuschnüren schien, verhinderte, dass er einen lauten Schrei ausstieß.
Das Bild des Spiegels hatte sich verändert. Es zeigte nicht mehr wie vorher einen Ausschnitt des Raums, sondern eine hochgewachsene, dürre Gestalt in einer wallenden Kutte. Eine Gestalt, an die Caine sich in den letzten Wochen vergeblich bemüht hatte, jeden Gedanken zu verdrängen.
Er wollte vorstürmen und sich auf Korlon werfen, aber Maziroc hatte den finsteren Magier ebenfalls entdeckt und hielt den jungen Fürsten am Arm zurück. Sein Griff war wie ein Schraubstock, und der Schmerz brachte Caine wieder zur Besinnung.
„Du hast dir große Mühe gegeben, alle meine magischen Tore zu finden und zu versiegeln“, richtete Korlon das Wort an Maziroc. „Aber Mühe allein reicht eben nicht, wenn man ansonsten ein Stümper ist, der sich selbst zu wichtig nimmt. Wie du siehst, hast du zumindest ein Tor übersehen.“
„Es wird sich noch zeigen, wer von uns sich zu wichtig nimmt“, murmelte Maziroc dumpf.
„Was hast du mit Kyrlia gemacht?“, brüllte Caine unbeherrscht. „Wenn du ihr auch nur ein Haar gekrümmt hast, bringe ich dich um, das schwöre ich dir!“
„Große Worte“, höhnte Korlon. „Du hättest mich töten sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest. Aber ihr Menschen seid eben alle Schwächlinge und viel zu weich. Deshalb seid ihr den Mächten der Dämmerwelt auch immer unterlegen. Hör mir jetzt genau zu. Wenn du dein kleines Weib wiedersehen willst, dann komm in der nächsten Vollmondnacht zu der Ruine der Hexenlochmühle am Fluss der bösen Träume. Du weißt, wo sie liegt?“
Caine nickte schwach. „Ich wohne schon seit einiger Zeit hier, weißt du?“, antwortete er zornbebend. Er konnte sich nur mühsam beherrschen, dem finsteren Magier nicht an die Kehle zu springen, aber er wusste, dass er im Augenblick hilflos war. Er musste seinen Hass zurückdrängen, wenn er Kyrlia nicht in Gefahr bringen wollte.
„Gut“, sagte Korlon mit sichtlicher Zufriedenheit. „Du wirst allein kommen. Sobald ich auch nur das geringste Verdächtige entdecke, werde ich deinen Liebling töten. Noch eines: Bring dein Schwert ruhig mit. Die Waffe interessiert mich. Ich bin sicher, dass du sie mir gerne geben wirst, nicht wahr?“
Wieder konnte Caine nur in ohnmächtigem Hass nicken.
„Gut, dann ist ja alles geklärt. Ich hoffe in deinem eigenen Interesse, dass du dich an meine Forderungen halten wirst. Und im Interesse deiner Gemahlin natürlich. Ich bin sicher, dass wir uns die Zeit bis zu deiner Ankunft schon angenehm vertreiben werden.“
„Du Bestie!“, schrie Caine. Die letzten Worte des finsteren Magiers hatten seine Selbstbeherrschung endgültig hinweggefegt. Er riss sich aus Mazirocs Griff und stürmte auf Korlon zu.
Das Hohngelächter des Dämonendieners gellte in seinen Ohren. Caine sah, wie das Abbild Korlons sich zu verflüchtigen begann, aber er stoppte nicht, von der wahnsinnigen Hoffnung getrieben, den finsteren Magier doch noch erreichen zu können.
Er hätte nicht gedacht, dass Glas so hart sein konnte, wenn man aus vollem Lauf dagegen prallte.
Und so schmerzhaft …
Nur langsam lichtete sich der Vorhang aus explodierenden Sternen vor Caines Augen und machte dem Gesicht Mazirocs Platz, der ihn mit einer Mischung aus Sorge und schlecht verhohlener Belustigung anschaute.
Caine tastete mit der Hand über seine Stirn, und sofort schoss wieder eine neue Schmerzwelle durch seinen Kopf. Er hatte eine dicke Beule von dem Zusammenprall davongetragen und noch Glück gehabt, dass der Spiegel nicht zersplittert war. Die Scherben hätten ihm zweifelsohne das ganze Gesicht zerschnitten.
„Das war wohl nicht sehr überzeugend“, sagte er kläglich.
„Nicht besonders“, antwortete Maziroc. „Aber wenigstens sitzt der Kopf noch auf den Schultern. Was hast du dir bloß dabei gedacht, du Narr?“
Für einen Augenblick hatte der Magier völlig vergessen, dass er nicht mehr mit einem dummen Jungen, sondern dem Fürsten von Dunsinbar sprach. „Was habt Ihr Euch dabei gedacht, Ihr Narr“, verbesserte er sich gleich darauf mit einem Augenzwinkern.
„Ich habe mich nicht mehr beherrschen können“, entschuldigte Caine sich. Er erhob sich vorsichtig, wobei er einen harten Kampf gegen das ihn überfallende Schwindelgefühl führen musste.
Erst als er einige Schritte gegangen war und mehrmals tief durchatmete, hörte der Raum auf, sich um ihn herum zu drehen, und auch die stechenden Schmerzen ließen nach. Dafür erwachte ein anderer Schmerz in ihm zu neuem Leben, ein Schmerz, der nicht in seinem Körper, sondern in seiner Seele wühlte.
„Er hat Kyrlia entführt“, sagte Caine und senkte den Blick. Verstohlen wischte er sich einige Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ihr werdet hoffentlich nicht wirklich zu der Mühle reiten wollen“, sagte Maziroc und packte ihn hart an den Schultern. „Es ist doch völlig offensichtlich, dass alles nur eine Falle ist.“
„Ich muss“, entgegnete Caine kaum hörbar.
„Ihr müsst nur sterben, das ist alles“, stieß Maziroc hitzig hervor. „Und genau das werdet Ihr, wenn Ihr dorthin reitet. Korlon kann Euch hier im Schloss nicht angreifen, aber er will sich rächen und er will GWAILO’THAR in seine Gewalt bringen. Ihr rennt mit offenen Augen in Euren Tod.“
„Wenn ich nicht reite, wird Kyrlia sterben!“, rief Caine ebenso hitzig. „Ich kann sie nicht im Stich lassen. Ich liebe sie mehr als alles andere – mehr sogar noch als mein Leben. Ich liebe sie, verstehst du das nicht?“
Unruhig begann der Magier, im Raum auf und ab zu laufen. In stummer Verzweiflung rang er die Hände.
„Ihr seid Fürst von Dunsinbar“, erinnerte er Caine schließlich mit erzwungener Ruhe. „Als solcher habt Ihr nicht nur Freiheiten, sondern auch Pflichten. Eine davon ist, dass Ihr für alle Menschen im Schloss verantwortlich seid. Die Menschen vertrauen Euch.“
„Ach, und ich breche ihr Vertrauen, wenn ich versuche, Kyrlia zu retten? Da erkenne ich beim besten Willen keinen Zusammenhang.“
„Ihr wollt ihn nicht erkennen. Ihr wisst doch, wie es draußen in der Welt aussieht. Gewaltige Heere aus der Dämmerwelt stehen im Begriff, alle menschlichen Reiche hinwegzufegen. Korlon handelt im Auftrag von Malachos, dem Schattenschmieder. Es ist ein Weg von fast vier Tagesritten bis zur Mühle. Das bedeutet, dass Ihr mehr als eine Woche fort sein werdet, nur einmal angenommen, Ihr würdet die Begegnung mit Korlon wirklich überleben, woran ich kaum glaube. Mehr als genug Zeit für Malachos, mit seiner unerschöpflichen Armee von Schatten und anderen, noch weit schrecklicheren Dämonen Dunsinbar zu erobern. Er will Euch aus dem Schloss locken, um seinen mächtigsten Feind aus dem Weg zu räumen.“
„Ich und sein mächtigster Feind?“ Caine lachte schrill auf. „Ich glaube, du überschätzt mich.“
„Was wisst Ihr denn schon vom Erbe Eures Vaters, das Ihr in Euch tragt? Was wisst Ihr von der Macht GWAILO’THARs? Avatar hätte niemals so leichtfertig gehandelt. Erinnert Euch, dass Ihr Malachos bereits einmal vertrieben habt, als selbst ich ihm zu unterliegen drohte.“
„Es war nichts weiter als Glück.“
„Glück? Nach meinen Erfahrungen gibt es so etwas nicht. Wenn Ihr das Flammenschwert richtig beherrschen könnt, dann ...“
Er unterbrach sich. „Ich rede ja ohnehin gegen taube Ohren“, fuhr er dann ruhiger fort. „Glaubt Ihr denn ernsthaft, Korlon würde Kyrlia so ohne Weiteres frei und Euch ziehen lassen, wenn er GWAILO’THAR erhalten hat? Er wird Euch und die Fürstin töten, ohne mit der Wimper zu zucken.“
„Siehst du denn eine andere Möglichkeit, sie zu befreien?“, gab Caine trotzig zurück.
Maziroc nahm seine ruhelose Wanderung wieder auf. Schließlich blieb er vor einem der großen Fenster stehen und starrte in die samtene Schwärze außerhalb des gigantischen Schlosses hinaus.
„Ja“, antwortete er nach einer Zeitspanne, die Caine wie eine halbe Ewigkeit vorkam. „Es gibt eine andere Möglichkeit. Ich könnte alle Magier des Schlosses zusammenrufen. Möglicherweise können wir die magische Bresche, die Korlon geschaffen hat, in umgekehrter Richtung benutzen. Wir würden ihn in der Mühle völlig überraschen und überwältigen. Es wäre eine kleine Chance, Kyrlia unbeschadet aus seinen Klauen zu befreien.“
Caine trat zu dem Magier. Auch er ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Der Himmel war frei von Wolken. Unzählige Sterne funkelten am Himmel, und zwischen ihnen hing die große, helle Scheibe des Mondes.
Noch war die Rundung nicht vollkommen, ein winziges Stückchen fehlte noch. Erst in vier Nächten war wieder Vollmond. Dann würde sich sein Schicksal und das seiner geliebten Kyrlia erfüllen.
Vereinzelt sah Caine Lichter im Schloss, Fackeln, die auf den Wehrgängen brannten und Kerzenschein aus den Wachstuben. Aber auch in der Ferne nahm er schwachen Lichtschein wahr. Er stammte von den wenigen Gehöften, die in weitem Bogen um das Schloss herum lagen.
Caines Gedanken schwirrten wirr durcheinander, es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Zu viel war auf ihn eingestürzt, auch machten sich die Anstrengungen und der Mangel an Schlaf, den er in den vergangenen Wochen gehabt hatte, bemerkbar.
Nach einigen Minuten wandte er sich wieder vom Fenster ab. Die Entscheidung, die er zu treffen hatte, fiel ihm dadurch noch schwerer, dass sie sich ausgerechnet in Kyrlias Gemach aufhielten. Jeder Winkel, jedes Möbelstück, selbst die Luft, die er atmete, schien von ihrem Geist durchdrungen zu sein.
Es bereitete dem jungen Fürsten beinahe unerträgliche Pein, sie in den Händen seines größten Feindes zu wissen, und der Gedanke, sie womöglich niemals wiederzusehen, nie mehr ihre Stimme zu hören, sie niemals wieder in den Armen zu halten und zu küssen, drohte ihn in den Wahnsinn zu treiben. Er spürte, wie heiße Tränen der Verzweiflung ihm in die Augen traten.
„Nein“, brachte er schließlich eine Antwort auf Mazirocs Vorschlag über die Lippen. Seine Stimme war nicht mehr als ein raues Krächzen, erschien ihm selbst wie die eines Fremden. „Es ist zu gefährlich“, fügte er hinzu. „Ich muss auf Korlons Bedingungen eingehen.“
Er blickte den Magier offen an. In seinen Augen lag ein stummes Flehen um Verständnis.
Der erwartete neuerliche Gefühlsausbruch Mazirocs blieb aus. Caine wusste, dass der Magier keine andere Antwort erwartet hatte. Er hatte selbst von Anfang an gewusst, wie sein früherer Schüler sich entscheiden würde.
„Dann bringt Euch selbst und auch das Schloss um die letzte Chance“, sagte Maziroc nur leise und im Tonfall tiefer Trauer.
Aber Caine glaubte auch, etwas wie Verständnis aufblitzen zu sehen. Er hoffte mit aller Inbrunst, dass er den seltsamen Ausdruck richtig gedeutet hatte.
Alle Vorstellungen von Zeit und Raum hatten für Kyrlia ihre Bedeutung verloren. Irgendwann kam sie irgendwo wieder zu Bewusstsein, und sie verwünschte ihr Schicksal, dass es ihr diese Schmach nicht ersparte.
Korlon stand neben ihr und blickte auf sie herab. Auch ohne seine Augen sehen zu können, wusste Kyrlia, dass in ihnen ihr Todesurteil geschrieben stand. Sie hatte nur noch den Wunsch, dass er es sofort vollstrecken würde.
Angewidert spie sie ihm vor die Füße.
„Sieh an, die kleine Raubkatze zeigt ihre Krallen“, sagte Korlon verächtlich. „Ich kann dir nicht den Luxus des Schlosses bieten, aber ich hoffe, meine kleine Behausung gefällt dir trotzdem. Denn du wirst eine Weile mit ihr vorlieb nehmen müssen.“
„Warum bringst du mich nicht einfach um, Dämonenknecht?“, schrie sie den finsteren Magier an. „Warum quälst du mich noch so?“
„Umbringen?“, fragte Korlon mit gespieltem Erstaunen. „Warum sollte ich dich umbringen, wo ich dich endlich in meiner Gewalt habe? Ich habe ganz andere Pläne mit dir.“
Heißes Entsetzen stieg in Kyrlia hoch. Sie war gar nicht versessen darauf, mehr von diesen Plänen zu erfahren. Am liebsten wäre sie dem Magier an die Kehle gefahren und hätte ihm die Augen ausgekratzt.
Aber sie wusste, wie sinnlos ein solcher Angriff wäre. Korlon hatte bewiesen, was er mit einer einzigen Berührung seiner knochigen Hände auszurichten vermochte.
„Wenn es dir an etwas mangelt, dann lass es mich nur wissen“, bot der Finstere ihr an.
„Ja, ich habe einen Wunsch“, fauchte Kyrlia. „Möge sich die Erde auftun und dich verschlingen.“
Auch davon ließ Korlon sich nicht aus der Ruhe bringen. Er lachte nur trocken, wandte sich um und verließ den Raum.
Kyrlia war allein.
Jetzt erst fand sie die Zeit, sich in ihrem Gefängnis – denn sie wusste, dass der Raum trotz Korlons gespielter Höflichkeit nichts anderes war – umzusehen.
Das Gebäude war alt und baufällig; ein muffiger Geruch nach Alter und Moder erfüllte die Luft. Die Wände bestanden aus aneinander genagelten Holzbalken, zwischen denen fingerbreite Spalten klafften. Ein leises Geräusch wie das Murmeln eines Baches drang von draußen herein.
An Einrichtungsstücken gab es in dem Raum nur das dürftige Lager, auf dem sie ruhte, sowie einen wackeligen Tisch. Alles in Allem war der Raum ungefähr so gemütlich und anheimelnd wie eine Gruft.
Und vielleicht würde er genau das ja auch für sie werden …
Kyrlia stand auf und trat an das einzige Fenster des Raumes. Viel war nicht zu sehen. Bereits wenige Schritte vor dem Fenster erstreckte sich eine düstere Wand von Tannenbäumen. Trotzdem ahnte sie, wo sie sich befand.
Das Rauschen von Wasser, das sie nun deutlich hörte, das verfallene Gemäuer und die steil ansteigende Felswand, die sich hinter dem Wald erhob, ließen kaum einen Irrtum zu. Es musste sich um die Hexenlochmühle handeln, eine verrufene Ruine, von der die Legende berichtete, dass sich früher zahlreiche Hexen hier getroffen hatten, um neue Übel über die Menschen zu bringen.
Wahrlich ein passender Ort für Korlon …
Prüfend streckte Kyrlia eine Hand aus und versuchte, ihre Fingerspitzen in eine besonders große Spalte zwischen zwei Holzbalken zu schieben. Es ging nicht. Ihre Finger prallten gegen ein unsichtbares Hindernis. Die junge Frau hatte nichts anderes erwartet. Korlon hatte den Raum auf die gleiche Art magisch versiegelt, wie er es mit ihrem Gemach getan hatte. Die Gefahr, dass sie aus einem normalen Raum einen Ausweg fand, war zu groß.
Niedergeschlagen kehrte Kyrlia zu ihrem Lager zurück. Sie konnte nur warten und auf eine Gelegenheit hoffen, den finsteren Magier zu überlisten.
Ein zugleich ungeheuer fremdartiges und doch vertrautes Gefühl durchströmte Maziroc, kaum dass er in das Gewölbe zurückgekehrt war, das ihm als Unterkunft und als Laboratorium für seine magischen Experimente diente.
Der Meisterruf!
Es lag fast ein Jahr zurück, dass er ihn das letzte Mal vernommen hatte, aber noch nicht so lange, dass es an der Zeit für das alljährliche Treffen war. Und doch rief Charalon, der Großmeister des Ordens vom Regenbogen, die Magier des Inneren Zirkels zusammen.
Es musste etwas Wichtiges geschehen sein, dass er eine Zusammenkunft in der DÄMMERSCHMIEDE für nötig hielt.
Eigentlich hatte Maziroc den Ruf schon längst erwartet. Allein das Erwachen eines neuen Weltenmagiers in Gestalt Caines bot Anlass genug. Wurde dadurch doch das kosmische Gleichgewicht erschüttert!
Nun aber erscholl der Ruf zur denkbar ungünstigsten Zeit. Maziroc musste den Jungen davon abbringen, zur Hexenlochmühle zu reiten und sein Leben wegzuwerfen. Es war unwahrscheinlich, dass Korlon wirklich in den Besitz des Flammenschwertes gelangen würde, aber die Vorstellung allein barg schon genügend Schrecken in sich.
Der Magier erwiderte den Ruf, zum Zeichen, dass er das Signal empfangen hatte.
Er sammelte seine magische Kraft, um zusammen mit der Bestätigung eine Nachricht zu senden. Es war eine Möglichkeit, die nur in besonders dringenden Fällen angewandt werden durfte, aber ein solcher Fall lag seines Erachtens vor. Seine Gedanken überwanden die Grenze zwischen den Welten und suchten eine Verbindung mit dem Geist Charalons.
„Ich bitte, das Treffen zu verschieben“, übermittelte Maziroc auf geistigem Weg seine Botschaft.
„Welchen Grund nehmt Ihr zum Anlass für eine solche Forderung, Maziroc von Dunsinbar“, vernahm er die machtvolle Stimme des Großmeisters in seinen Gedanken.
„Das Leben des meiner Obhut anvertrauten Weltenmagiers ist in Gefahr. Das erscheint mir Grund genug zu sein. Ich benötige eine Zeitverschiebung von mindestens einem Tag.“
Bangend wartete Maziroc auf die Entscheidung Charalons. Der Herr des Schicksals hüllte sich in sekundenlanges Schweigen.
„Eure Forderung wird abgewiesen“, antwortete der Großmeister des Magierordens schließlich. „Was geschah, ereignete sich mit meiner Billigung. Ich habe das Treffen aufgrund des weiteren Schicksals des Weltenmagiers einberufen. Ihr werdet erscheinen.“
Im gleichen Moment spürte Maziroc, wie die magische Verbindung abriss.
Die Entscheidung Charalons war unumstößlich und oberstes Gesetz. Es gab keine Auflehnung gegen die Anordnungen des Großmeisters, selbst wenn sie schwer verständlich oder gar unbegreiflich schienen.
Für Maziroc war die Gleichgültigkeit, die Charalon dem Schicksal Caines gegenüber an den Tag legte, unbegreiflich.
Verbittert bereitete er sich auf den Weltensprung vor. Dabei überlegte er fieberhaft, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe, den Fürsten von seinem selbstmörderischen Plan abzubringen.
Maziroc wusste, dass ein Angriff auf Dunsinbar bevorstand. Mittels seiner Magie hatte er alle Möglichkeiten ausgeschöpft, einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. Die Karten, der Flug der Vögel, die Aussagen verschiedener Orakel – alles ließ keinen anderen Schluss zu.
Und er wusste, dass Dunsinbar eines Tages fallen musste.
Denn so hatten es die Magier des Inneren Zirkels beschlossen. Nur der Zeitpunkt war offen gelassen worden. Für die Fäden des Schicksals machte es keinen Unterschied, ob sie in drei Tagen oder in drei Jahrtausenden zusammengeknüpft wurden. Entscheidend war nur, dass das Vorbestimmte geschah, und eines Tages würde Dunsinbar fallen.
Mit Hilfe des Weltenmagiers hätte das Verhängnis noch einmal abgewendet werden können.
Auch Mazirocs plötzliches Verschwinden in den Tagen höchster Gefahr würde unliebsame Fragen aufwerfen, aber niemand vermochte die Wege eines Magiers zu ergründen, nicht einmal seine Ordensbrüder, auch wenn sie nichts von seiner Jahrhunderte zurückliegenden Berufung in den Inneren Zirkel wussten.
Er würde länger als drei Tage fort sein, auch wenn das Treffen kaum mehr als einige Stunden währte.
Denn im Inneren der DÄMMERSCHMIEDE galten andere Gesetzmäßigkeiten als in der Welt der Menschen. Nicht einmal die Zeit verfloss in gleicher Schnelligkeit. Es mochte geschehen, dass er erst Wochen nach seinem Aufbruch zurückkehrte, während für ihn nicht mehr als ein Tag verstrichen war.
Doch wenn es ihm gelang, auf ein rasches Ende des Treffens zu drängen, könnte er das Schlimmste vielleicht noch verhindern.
Vielleicht …
Maziroc tastete mit seinem Geist in die Unendlichkeit zwischen den Welten hinaus und spürte die nur für ihn zugängliche Brücke im absoluten Nichts, die zu der DÄMMERSCHMIEDE führte. Den Regenbogen in der Ewigkeit, nach dem der Magierorden benannt worden war. Das Symbol für Einheit und Frieden zwischen den Welten, die im Augenblick weiter entfernt als je zuvor zu liegen schienen.
Dann tauchte er ein in ein Meer von Farben. Sein Körper löste sich auf und war nicht mehr als ein Anhängsel seiner reinen magischen Kraft.
Maziroc spürte die Ewigkeit um sich herum und auch in sich selbst pulsieren.
Was er nicht spürte, war die winzige Spinne, die auf seinen Stiefel gekrabbelt war.
Nebel war aufgekommen und legte sich in der hereinbrechenden Dämmerung wie ein milchiger Schleier über das Land. Er brachte Nässe und eine klamme Kälte mit sich, die die wenigen Reiter trotz ihrer dicken Kleidung frösteln ließen.
Es war fast, als ob der Nebel von einem unheimlichen Eigenleben erfüllt wäre. Die Schwaden bedeckten den Boden, so dass nicht einmal mehr die Hufe der Pferde sichtbar waren, und die sich um die vereinzelt stehenden Bäume und Büsche windenden Schlieren verzerrten sich zu grauenvollen Dämonenfratzen.
Zumindest erschien es Caine so, obwohl er genau wusste, dass ihm nur seine aufgeputschte Phantasie einen Streich spielte und ihm die Fratzen vorgaukelte.
„Wie weit ist es noch bis zu dem Rasthaus?“, wandte er sich an den Reiter neben ihm und warf einen besorgten Blick in Richtung des rotglühenden Sonnenballs, der bereits zur Hälfte hinter dem Horizont versunken war. Rasch verdichtete sich der Nebel.
„Es können kaum mehr als einige hundert Schritte sein“, antwortete Rabalon.
Der verächtliche Tonfall in seiner Stimme war nicht zu überhören, aber Caine ignorierte ihn ganz bewusst und nickte. Es schien doch keine so gute Idee gewesen zu sein, ausgerechnet Rabalon zum Führer des zwölfköpfigen Begleittrupps zu ernennen.
Der rothaarige Junge mit dem einfältig wirkenden Gesicht war nur geringfügig älter als er selbst. Doch Caine wusste, dass der Krieger alles andere als dumm war. Dass er ausgerechnet ihn zu seiner Begleitung gewählt hatte, sollte ein Zeichen der Versöhnung sein. Es gab eine alte Feindschaft zwischen ihnen, die Caine hoffte, nun endlich aus der Welt schaffen zu können.
Sie stammten aus den gleichen ärmlichen Verhältnissen und waren nicht weit voneinander entfernt aufgewachsen. Doch während Caine sich von Kindheit an nur für Magie und Heilkunst interessiert hatte, war es Rabalons höchstes Ziel gewesen, den Schwächeren zu verspotten und ihm übel mitzuspielen.
Doch hatte Caine es im Grunde genommen ihm zu verdanken, dass er die in sich schlummernden Magierkräfte entdeckt hatte.
Rabalon war Anführer einer Bande gewesen, die ihn als Feigling mit dem Symbol der Schlange gebrandmarkt hatte. Die Brandnarbe trug Caine immer noch auf der Brust. Aber damals hatte er sich in seiner Panik mit Magie gewehrt, und sich damit erst selbst erkannt.
Caine wusste, dass auch Rabalon sich noch genau daran erinnerte. Für den Krieger war er immer noch der feige Bücherwurm, auch wenn er jetzt auf dem Fürstenthron saß. Vielleicht hasste Rabalon ihn auch gerade deshalb noch immer, mehr noch als früher.
Caine verdrängte die Gedanken daran. Es war bei Weitem nicht der richtige Augenblick, über persönliche Feindschaften nachzugrübeln.
Er glaubte, die Bedrohung jenseits des Nebelschleiers beinahe körperlich fühlen zu können. Etwas lauerte dort, und Caine fühlte sich von unzähligen Augen beobachtet.
Er wusste nicht zu sagen, woher das Gefühl stammte, aber es war da, und es beruhte nicht auf einer Täuschung. Aufmerksam blickte er sich um, doch in dem milchigen Zwielicht war es unmöglich, weiter als ein halbes Dutzend Schritte zu sehen.
In einer instinktiven Geste legte er die Hand auf den Knauf des Flammenschwertes, das in einer schlichten Scheide an seiner Seite baumelte.
Auch Rabalon fühlte sich sichtlich unwohl. Auf einen Wink von ihm hin schlossen die Reiter sich enger zusammen. Sie umgaben Caine wie einen Kreis.
Im nächsten Moment wieherte eines der Pferde schrill, bäumte sich auf und warf seinen Reiter ab. Mit einem Schrei landete der Krieger auf dem Boden, während das Pferd davongaloppierte. Fluchend wollte er sich wieder aufrappeln. Er kam gar nicht erst mehr zum Stehen.
Caine konnte nicht genau erkennen, was geschah. Er sah nur, wie der Mann plötzlich von einer ungeheuren Gewalt auf den Boden zurückgerissen wurde. Etwas Dunkles, Tentakelähnliches schlang sich um den Hals des Unglücklichen und erstickte seinen Schrei.
„Helft ihm!“, befahl Rabalon knapp und deutete auf zwei Krieger. Ohne zu zögern, sprangen die beiden aus den Sätteln und zogen ihre Schwerter.
Es war das Letzte, was Caine noch von ihnen zu sehen bekam, bevor sie hinter einer jäh aufwachsenden Wand aus Gestalt gewordener Finsternis verschwanden.
Für einen Sekundenbruchteil war es still, eine unnatürliche Totenstille; selbst das Heulen des Windes, das nun seit drei Tagen ihr ständiger Begleiter gewesen war, war verstummt.
Dann hörte Caine die Schreie der beiden Männer, bei deren schrillem Klang ihm das Blut zu gerinnen drohte.
Es waren Todesschreie.
Für einen Moment war er ebenso verwirrt wie seine Begleiter. Dann riss er GWAILO’THAR aus der Scheide.
Der Schein der flammenden Klinge schien die Nebelschwaden etwas auseinanderzureißen. Caine sah, welcher Gefahr die drei Männer zum Opfer gefallen waren, und er keuchte auf. Der Laut ging in den Schreckensschreien der anderen Krieger unter.
Der Boden unter den Hufen der Pferde war zum Leben erwacht, denn es war gar kein Boden mehr gewesen. Unzählige fingerdicke Dornenranken hatten sich über den Weg geschoben. Ranken, die sich nun aufbäumten, in die Höhe wuchsen und nach Mensch und Tier griffen.
Erst jetzt wurde Caine richtig bewusst, wie dunkel es bereits geworden war. Binnen weniger Minuten war die Sonne vollständig untergegangen und hatte ihrem nächtlichen Stellvertreter Platz gemacht. Im schwachen Licht des Mondes und der Klinge waren in dem immer noch herrschenden Nebel nicht mehr als vage Schemen zu erkennen.
Aber das, was Caine sah, war genug. Mehr als genug, um bei dem Anblick nicht den Verstand zu verlieren.
Etwas glitt leicht, beinahe sanft über sein Bein und kletterte an dem Gewand höher. Mit einem Schrei auf den Lippen hieb Caine zu. Das Flammenschwert durchtrennte die Ranke. In rasendem Tempo verdorrte das abgetrennte Stück und fiel als faulige, übelriechende Masse zu Boden.
Caine blickte sich kurz um. Auch die Krieger hatten inzwischen ihre Schwerter gezogen, und einige hatten sich sogar mit Ästen bewaffnet. Sie hieben ebenfalls auf die Ranken ein, die nach ihnen griffen.
Die meisten der Männer hatten auch noch Schwierigkeiten, die von panischer Angst erfüllten Pferde zu bändigen. Es war fast unmöglich, sich gleichzeitig gegen diesen unglaublichen Feind zur Wehr zu setzen.
„Wir müssen weiter!“, brüllte Caine mit überschnappender Stimme. „Hier sind wir verloren!“
Sein eigenes Pferd blieb erstaunlicherweise einigermaßen ruhig. Er führte es auf die Ausstrahlung GWAILO’THARs zurück, die auch auf ihn eine beruhigende Wirkung ausübte, so dass er nicht blindlings um sich hieb und das Pferd oder sogar sich selbst verletzte, wie es einigen der Krieger schon ergangen war.
Es hatte fast den Anschein, als wohne den angreifenden Gewächsen eine eigene, fremdartige Form von Intelligenz inne. Vor ihm bäumte sich ein ganzer Wall von Ranken auf und griff nach ihm. Mit einem gewaltigen Rundschlag durchtrennte Caine sie, bückte sich und hieb nach einem Strang, der sich um seine Fußknöchel gewunden hatte.
Plötzlich bäumte sich sein Reittier auf. Genauer gesagt: es versuchte es. Dutzende von Ranken rissen die Hufe sofort auf den Boden zurück. Es stieß einen schmerzerfüllten Laut aus und warf wild den Kopf hin und her.
Caine war kein geübter Reiter und wäre fast gestürzt. Verbissen krallte er sich am Zaumzeug fest. Er erkannte, dass er auf dem Rücken des Pferdes verloren war. Ungeschickt ließ er sich aus dem Sattel gleiten.
Der junge Fürst senkte die Flammenklinge. Wo sich normalerweise brauner Morast hätte befinden müssen, bot sich seinen Augen eine schwarze, ineinander verschlungene Masse aus Wurzeln und Dornensträngen. Angeekelt strich er mit der Klinge über den Boden. Der Erfolg überraschte ihn selbst.
Die Pflanzenstränge – sofern es sich überhaupt um Pflanzen handelte – verdorrten zu unansehnlichem schwarzen Schlamm. Rasch befreite er das Pferd von den dornigen Fesseln und packte es gleichzeitig fest am Zügel, damit es nicht davonstob.
Auch einige der anderen Männer waren abgestiegen oder abgeworfen worden. Einige der Tiere waren bereits unter mannshohen Knäueln von Ranken verschwunden.
Hastig zählte Caine seine Krieger. Nur sieben von einem Dutzend waren noch übrig geblieben. Mit einer unsinnigen Erleichterung entdeckte er auch Rabalon unter ihnen.
„Bildet einen Kreis!“, brüllte er. „Und passt auf die Pferde auf.“
Er zerschnitt eine Ranke, die sich einem Krieger bereits zur Hälfte um den Körper gewunden hatte. Hastig drückte er dem Mann die Zügel seines Pferdes in die Hand.
Die herkömmlichen Waffen hatten mit den zähen Ranken ziemliche Schwierigkeiten. Zwei oder drei Schwertstreiche waren nötig, um eine von ihnen zu durchtrennen. Bei der scheinbar unerschöpflichen Anzahl der dämonischen Pflanzenwesen war es ein aussichtsloser Kampf, und es grenzte fast an ein Wunder, dass so viele der Männer noch am Leben waren.
Flink wie ein Wiesel huschte Caine um sie herum und zerschmetterte unzählige Ranken. Viele der Dornen bohrten sich in seine Haut, und er blutete aus zahlreichen winzigen Wunden. Im Vergleich zu den anderen Männern aber nahmen seine Verletzungen sich lächerlich aus.
Endlich hatte er es geschafft, einen für die Krieger und die verbliebenen Pferde ausreichend großen Flecken Erde von den tödlichen Pflanzen zu befreien. Schulter an Schulter kämpften die Männer weiter gegen den übermächtigen Feind. Nun, da sie wenigstens den Rücken frei hatten, ging es etwas besser.
„Vorsicht!“, rief Caine.
Rabalon fuhr herum und duckte sich gleichzeitig. Eine hoch peitschende Ranke verfehlte ihn. Mit einem Wutschrei hackte der Krieger nach ihr und durchtrennte sie mit zwei wuchtigen Streichen.
Einige Dutzend der Dornententakel stürzten sich zugleich auf einen Krieger und begruben ihn unter sich. Die Hilfe seiner Nachbarn kam zu spät, und auch Caine konnte nicht mehr eingreifen. Die Pflanzenarme erdrosselten den Mann, bevor er befreit werden konnte.
„Was ist das?“, schrie Rabalon mit heiserer Stimme.
„Dämonenwerk!“, brüllte ein anderer. „Das sind die Dämonen der Dämmerwelt. Sie werden uns alle töten!“
„Nein!“, schrie Caine, so laut er konnte. Wenn die Krieger sich erst selbst verloren gaben, gab es wirklich keine Rettung mehr. Er dachte an Kyrlia und daran, dass er zu Korlon gelangen musste, um sie zu retten. Der Gedanke gab ihm neue Kraft.
Ungestüm drosch er auf die gespenstischen Ranken ein. „Das sind keine Dämonen, höchstens ihre Geschöpfe. Wir können sie besiegen!“
„Wie denn? Sie überrennen uns einfach und bringen einen nach dem anderen um.“ Der das schrie, war ein Hüne mit strohblonden Haaren.
„Halt’s Maul!“, fuhr Rabalon ihn an und schmetterte sein Schwert wuchtig gegen eine Ranke, die auf sein Gesicht zielte. Der Hieb schleuderte sie in das Gewirr der anderen zurück.
Caine wusste, dass sie sich auf Dauer nicht gegen die Gefahr behaupten konnten. Sie mussten aus der tödlichen Umklammerung ausbrechen, wenn sie überhaupt noch eine winzige Chance haben wollten. Die Krieger waren jetzt schon am Ende. In wenigen Minuten würde sie auch noch der letzte Rest an Kraft verlassen.
Ein Wunder, oder eine überragende Idee allein konnten sie noch retten.
Das Wunder blieb aus, aber eine Idee kam Caine plötzlich.
„Feuer!“
Im Schutz der Krieger trat er an die Pferde und zog einige Fackeln aus den Satteltaschen. In aller Eile entzündete er sie. Niemand hatte in der Panik bisher daran gedacht. Die Fackeln verteilte er an seine sechs Begleiter.
Wo auch immer die Flammen mit den Pflanzen in Berührung kamen, wichen die Ranken zurück. Sie wurden zwar nicht vernichtet, aber bei den Tausenden von Pflanzenmonstern war es unwichtig, ob sie einige Dutzend mehr oder weniger vernichten konnten. Wichtig war nur, dass die Fackeln einen gewissen Schutz boten.
Caine trat von einem Krieger zum anderen und strich mit GWAILO’THAR über die Klingen der Schwerter. Er wusste nicht, ob sein Plan Erfolg haben würde. Aber als ein Krieger probehalber nach einer Ranke hieb, durchtrennte er sie fast ohne Mühe. Die magische Kraft des Flammenschwertes übertrug sich auch auf die normalen Waffen.
„Auf die Pferde!“, befahl er. „Wir versuchen durchzubrechen!“
Sofort befolgten die Krieger seinen Befehl. Es gab nur noch sechs Pferde, so dass sich zwei Männer auf eines schwingen mussten.
Die Tiere preschten in wilder Panik los. Ihre Hufe wirbelten in rasendem Takt, waren schneller noch als die Ranken. Ungestüm hieben die Krieger mit den Schwertern um sich. Es schien, als hätte ihr tolldreistes Unternehmen selbst das unfassbare Pflanzenwesen überrascht.
Sie ritten unter einem allein stehenden Baum durch, und alles geschah so schnell, dass Caine es nur undeutlich mitbekam. Einige der kahlen Äste bogen sich in einer unmöglich anmutenden Bewegung herab, wie elastische Arme mit unzähligen Händen, und packten einen der Reiter.
Die anderen Krieger rissen ihre Pferde herum und wichen dem Baum in großem Bogen aus.
„Habt Ihr das gesehen?“, keuchte Rabalon, der wie zufällig neben Caine ritt, von dem er sich augenblicklich wohl am meisten Schutz erwartete. „Der Baum ist lebendig geworden und ...“
„Ich habe es gesehen“, unterbrach Caine ihn und zerschnitt eine aufpeitschende Ranke. Unter einer weiteren duckte er sich hindurch. „Es war nicht der Baum, sondern dieses verdammte Pflanzenzeug, das sich an dem Stamm und den Ästen hochgewunden hat.“
Sein Atem ging schwer und keuchend, seine Lungen brannten, und auch die zahlreichen kleinen Wunden sandten immer heftigere Schmerzwellen durch seinen schmächtigen Körper. Jedes Wort bereitete ihm eine neue Qual, aber er musste den Männern Mut zusprechen.
Jubelschreie brandeten auf. Es dauerte einige Sekunden, bis auch Caine erkannte, dass sich unter den Hufen der Pferde wieder nur schlammiges Erdreich und keine sich windende, ineinander verschlungene Pflanzendecke mehr befand.
Aber noch war die Gefahr nicht gebändigt. Als er einen Blick über die Schulter warf, sah er, wie der Pflanzenteppich ihnen mit rasender Geschwindigkeit folgte.
Sie holten das Letzte aus ihren Pferden heraus. Bei dem mörderischen Ritt war die kalte Nachtluft wie eine Sense, die mit tausenden rasiermesserscharfer Klingen in ihre Gesichter schnitt. Trotzdem trieben sie die Pferde weiterhin an, um den mörderischen Verfolger abzuhängen.