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Jeden Tag sind die Nachrichten voller Schreckensmeldungen, viele Konflikte spitzen sich zu. Und es ist schwer, angesichts all dessen Hoffnung zu bewahren. Hoffnung auf Gerechtigkeit, auf Versöhnung, auf Frieden, auf Liebe, Glück, Trost – auf eine gute Zukunft. Dass wir dem Hass Einhalt gebieten, die Demokratie verteidigen, Gerechtigkeit schaffen, den Klimawandel doch irgendwie aufhalten können. Wir brauchen einen guten Umgang mit der Angst. Angst zu verdrängen, nicht über unsere Befürchtungen zu sprechen, macht uns krank. Unbewältigte Ängste wirken zerstörerisch. Angst kann lähmen, Leben zerstören – und sie kann instrumentalisiert werden. Das können wir aus der Vergangenheit lernen. Heute ist es die angebliche "Überfremdung durch Ausländer", die Neonazis auf die Straße holt. Wer Angst sät, wird Hass und Gewalt ernten ... Margot Käßmann nähert sich in ihrem neuen Buch der Hoffnung und der Angst aus biblischer und theologischer Sicht, aber auch ganz persönlich. Mehrfach war sie schwer erkrankt, hatte Krebs. Sie kennt das Gefühl der Enge, der Beklemmung, der Bedrängnis, das – anders als die Furcht – gar nicht immer ganz konkret durch einen Anlass ausgelöst sein muss. Margot Käßmann bleibt nicht bei den Ängsten stehen, sie weiß um die Kraft des Glaubens, die Kraft der Liebe und des Hoffens und sagt: "Für mich ist der christliche Glaube ein entscheidender Lebensanker. Gott kann ich meine Angst anvertrauen, in Gott kann ich Ruhe, Frieden, Lebensmut, Hoffnung finden. Das heißt nicht, dass es für Christinnen und Christen ein Leben ohne Angst gibt. Aber sie wissen, wo sie Halt finden können. Sie finden in der reichen Tradition von Bibel und Liturgie Gebete, Trostworte, Rituale und Ermutigung. Gemeinsam dürfen wir hoffen. Und wir sind aufgefordert, für unsere Überzeugungen einzustehen!" Illustriert mit 14 farbigen, ganzseitigen Bildern und 12 farbigen Skizzen des Künstlers Eberhard Münch.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 210
Margot Käßmann
Was uns Kraft und Zuversicht schenkt
Mit Bildern von Eberhard Münch
Knaur eBooks
Viele Konflikte in der Welt spitzen sich zu, persönliche Krisen bleiben nicht aus. Es ist schwer, angesichts all dessen Hoffnung zu bewahren und sich den eigenen Ängsten zu stellen. Wie kann ich die Herausforderungen bewältigen? Hat die Welt eine gute Zukunft?
Margot Käßmann nähert sich diesen Themen aus verschiedenen Perspektiven – als Seelsorgerin und auch ganz persönlich. Für dieses Buch mit leuchtenden Bildern und Skizzen des Künstlers Eberhard Münch hat die beliebte Theologin zwölf Farben ausgewählt, denen sie jeweils ein Hoffnungsthema zugeordnet hat. So etwa die Hoffnung auf Zukunft, Liebe, Frieden, Heimat, Gesundheit oder Glück.
Sie sagt: »All die Angst, Verzagtheit und Mutlosigkeit lassen sich nicht einfach wegwischen. Und doch möchte ich Hoffnung dagegensetzen, bunte, fröhliche Hoffnung!«
Weitere Informationen finden Sie unter: www.bene-verlag.de
VORWORT
GRÜN Hoffnung auf Zukunft
ROT Hoffnung auf Liebe
BLAU Hoffnung auf Gerechtigkeit
GELB Hoffnung auf Bewahrung der Schöpfung
ORANGE Hoffnung auf Frieden
BRAUN Hoffnung auf Heimat
SCHWARZ Hoffnung auf Trost
WEISS Hoffnung auf Nachkommenschaft und Lebenschancen
PINK Hoffnung auf Glück
LILA/VIOLETT Hoffnung auf Gott und Veränderung
SILBER Hoffnung auf Gesundheit
GOLD Hoffnung auf gelingendes Leben
ZULETZT Der vielfarbige Regenbogen
© Eberhard Münch
Wir leben in einer Zeit, in der Krise auf Krise, eine schlechte Nachricht auf die andere zu folgen scheint. Viele Menschen spüren eine unbestimmte Angst, Angststörungen nehmen zu. Wie kann ich das alles bewältigen? Wo finde ich Halt? Welche Chancen gibt es für unser Land? Wann werden all die Kriege enden? Hat die Welt noch Zukunft angesichts der Klimakatastrophe?
All die Angst, Verzagtheit und Mutlosigkeit lassen sich nicht einfach wegwischen. Und doch möchte ich Hoffnung dagegensetzen, bunte, fröhliche Hoffnung! Gerade in dunklen Zeiten brauchen wir die Farben der Hoffnung als Trost und Ermutigung. Mich erinnert das immer an das Kinderbuch »Frederick« von Leo Lionni. Meine Töchter haben es geliebt, und auch meinen Enkelkindern lese ich es gern vor: Eine Familie von Feldmäusen sammelt Körner und Nüsse – Vorräte für den langen Winter. Nur Frederick tut scheinbar nichts. Was die anderen nicht begreifen können: Er sammelt Eindrücke und Farben, saugt alles in sich auf. Als die dunklen, kalten Tage lang werden und die gesammelten Vorräte zur Neige gehen, erzählt Frederick von roten Mohnblumen im gelben Kornfeld und wärmenden Sonnenstrahlen. Da keimt in den anderen Mäusen die Hoffnung auf Frühling.
Zwölf Farben habe ich für dieses Buch und die Betrachtungen zur Hoffnung ausgewählt, dazu passend Bilder des Künstlers Eberhard Münch, den ich sehr schätze. Die Primärfarben Gelb, Rot und Blau kamen mir natürlich zuallererst in den Sinn. Sie können nicht durch Mischung hergestellt werden. Alle anderen Farbtöne setzen sich aus diesen drei Farben zusammen, beispielsweise die Sekundärfarben Lila, Grün und Orange. Wichtig sind mir Silber und Gold, die schon in der Bibel eine Rolle spielen. Ergänzt werden die genannten Farben durch Violett, Weiß und Schwarz, die neben Rot und Grün zu den liturgischen Farben gehören und mit denen die Paramente in unseren Kirchen die Kirchenjahreszeit anzeigen. Schließlich noch Braun und Pink, schlicht ganz persönlich gewählt, weil ich die beiden Farben mag. Alle diese Farben sind klare Farben ohne Schattierungen oder Abstufungen.
Jeder Farbe habe ich ein Hoffnungsthema zugeordnet und es mit einer biblischen Geschichte oder einem biblischen Text verbunden – denn die Bibel ist voller Hoffnung! Da werden Wege durch die Wüste gefunden, da wird eine Frau innerlich aufgerichtet, da wird dem Tod die Macht genommen. Diese jahrtausendealten Erzählungen strahlen auch heute Hoffnungskraft aus. Sie geben Trost, Zuversicht und Mut.
Dabei ist mir deutlich geworden: Die Bibel kennt »Farbe« als Begriff gar nicht. Sie spricht von »blutfarben« oder »erdfarben«, wenn beispielsweise rot oder braun gemeint sind. Im Hohen Lied der Liebe beschreibt eine Frau die Haare ihres Geliebten als »schwarz wie ein Rabe« (Hohelied 5,11). Das Linsengericht, das Esau isst, hat wohl eine rotbraune Farbe. Danach werden die Edomiter benannt. Das heißt, in der Bibel werden Begriffe für Farben von Tieren, Menschen, Dingen abgeleitet, deren Aussehen die Leserinnen und Leser oder Hörerinnen und Hörer kennen.
Für mich stehen Farben auch für Hoffnung, weil sie unsere Welt bunt machen. Farben können an trüben Tagen Licht und Freude ins Leben bringen. Es gibt so viele Farben! Auch Grau ist eine. Sie kann attraktiv sein, ich habe beispielsweise ein graues Sofa. Doch ist Grau am Ende ein Symbol für Hoffnungslosigkeit. Das erinnert mich an ein anderes Kinderbuch, in dem Grummel Griesgram ständig die bunte fröhliche Welt von Regina Regenbogen in Grau versinken lassen will.
Beim Treffen der Wirtschafts- und Politikelite in Davos im Januar 2024 sagte Wirtschaftsminister Habeck, er lasse sich nicht gern erpressen, wenn ein Unternehmen erkläre, dass es das Land verlassen würde, wenn es keine staatliche Förderung erhalte. Aber manchmal müsse er sich dem beugen. »Wenn ich in einer grauen Welt leben muss, dann bin ich grau«, sagte er1. Dagegen begehre ich auf: Wo die Welt grau ist, brauchen wir den Widerstand der Farbe! Die grüne Hoffnung, die rote Liebe oder auch den schwarzen Schimmer des Trostes.
Erlebbar ist das für mich immer wieder in Kirchen, wenn durch die Fenster, die als Rosetten oder Bildgeschichten oder einfach nur farblich ausgestaltet sind, das Licht strahlt. Ein wunderbares Beispiel dafür ist das 2024 durch den isländischen Künstler Ólafur Elíasson neu gestaltete Fenster im Ostflügel des Greifswalder Doms. Im Juni 2024 habe ich dort gepredigt und war begeistert. Inspiriert durch den Greifswalder Maler Caspar David Friedrich hat Elíasson ein eindrucksvolles Spiel mit Farben installiert, das anregt zu spiritueller Erfahrung. Dieses wunderbare Licht, das durch die Fenster fällt, das herrliche Leuchten der Farben inspiriert zu Hoffnung.
© Eberhard Münch
Im Bild von Eberhard Münch auf der vorherigen Doppelseite ist auf der linken Hälfe eine starre Anordnung von Flächen zu sehen, die wie ein Gitter wirken, das das Leben einzugrenzen versucht. Daraus erwächst ein Blühen, ein Meer von Farbtupfern, das sich wie wehende Blätter ausbreitet. Ein schönes Sinnbild für Hoffnung, die sich Bahn bricht.
Die französische Philosophin Corine Pelluchon sagt: »Optimismus ist eine Haltung, die einen glauben lässt, man habe die Lösung für alle Probleme. Hoffnung dagegen setzt voraus, dass ich Schwierigkeiten und auch meine eigene Fehlbarkeit erkenne.«2 Das scheint mir eine gute Definition. Hoffnung weiß darum, dass die Welt nicht leicht zu verändern ist, es Probleme im Leben gibt, wir immer wieder vor Zerreißproben stehen. Aber sie lässt sich nicht kleinkriegen, sie sucht beständig Wege nach vorn, wagt tapfer, daran zu glauben, dass es besser werden kann. Und Hoffende gehen Schritte auf diesem Weg, mögen sie auch noch so klein sein.
Schön ist es, wenn sich auf dem Weg der Hoffnung Verbündete finden. Zu erleben war das zu Jahresbeginn 2024, als auf einmal überall in Deutschland zehntausende Menschen zusammenkamen, um gegen rechtsextreme Tendenzen zu demonstrieren. Lange hatte die Mehrheit im Land eher schweigend zugesehen, wie Neonazis ihre Umtriebe verstärkten. Als aber Pläne öffentlich wurden, dass sie alle Menschen mit Migrationshintergrund vertreiben wollten, wurde klar: Wir müssen dagegen aufstehen, bevor es zu spät ist und Neonazis die Macht übernehmen. Wir wollen nicht in einem tristen Deutschland der Farblosigkeit leben, sondern in einem bunten Land voller Vielfalt! Wobei ich finde, wir sollten uns weder die schöne Farbe Braun von den Nazis nehmen lassen noch das herrliche Blau von der AfD und auch nicht das Rot von den Kommunisten.
An einigen Stellen sind Skizzen von Eberhard Münch eingefügt, die er eigens für dieses Buch angefertigt hat. Es war mir wie schon 2011 für das Buch »Sehnsucht nach Leben« eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Ich wünsche mir viele Menschen voller Hoffnung. Denn ohne Hoffnung wäre die Welt ein trostloser Ort. Hoffnung verändert uns Menschen und die Welt, weil sie immer den Mut durchscheinen lässt, zu glauben, dass es anders werden kann. Wir können gemeinsam die Welt verbessern, davon bin ich zutiefst überzeugt.
Hannover, im Juni 2024
Margot Käßmann
© Eberhard Münch
© Eberhard Münch
Grün gilt als die Farbe der Hoffnung. Wahrscheinlich, weil uns die jungen Triebe, die hellgrünen Blätter im April zeigen: Das Leben geht weiter. Ich liebe es, im Frühling durch den Buchenwald auf Usedom zu streifen. Das vermittelt geradezu ein Gefühl von Auferstehung. Aus tristen scheinbar leblosen Zweigen sprießt auf einmal unverhofft, ja ungestüm neues Leben. Die Buchen haben zu keiner Zeit im Jahr ein so unversehrtes, leuchtendes Grün wie im April. Sie verheißen Sonne, Licht, Wärme, die wir im Winter so sehr vermisst haben. Auch im Bild von Eberhard Münch öffnet sich das Dunkel, erstrahlt das Licht in satten Farben – Grün, Gelb und Weiß
Aber können wir zurzeit überhaupt von Hoffnung sprechen? Die sich häufenden Krisen der letzten Jahre belasten uns. Die durch das Coronavirus verursachte Pandemie war eine Erschütterung, von der sich unsere Gesellschaft noch nicht wirklich erholt hat. Wir verdrängen, wie schlimm es war. Manchmal aber kommt plötzlich die Erinnerung hoch: Weißt du noch, wie verzweifelt wir waren, als wir uns nicht sehen durften? Oder damals, als niemand verreisen konnte. Es war nicht möglich, die Einschulung unseres Sohnes zu feiern. Die Taufe musste verschoben und Alte durften nicht besucht werden. Dann wird uns bewusst: Das war ein kollektiver Albtraum. Wir sehen bis heute die Auswirkungen in Depressionen nach der erlittenen Einsamkeit, an den schulischen Leistungen der Kinder, an Folgeerkrankungen nach einer Infektion. Schwere Verwerfungen gab es in Familien. Die Debatten um impfen oder nicht impfen wurden zum Kampfplatz.
Bald danach hat uns im Februar 2022 der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine schockiert. Die Vision vom Haus Europa, in dem Frieden herrscht, ist erschüttert. Nach dem brutalen Terrorüberfall von Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023 tobt nun auch noch ein Krieg im Nahen Osten. Und zu alledem kommen die enormen Herausforderungen in unserem eigenen Land: Wohnraum fehlt, die Inflation belastet gerade die Armen. Kommunen klagen, sie seien bei der Unterbringung von Geflüchteten am Limit. All das wird langfristig noch überboten durch die drohende Klimakatastrophe, die immer realer erfahrbar wird durch Waldbrände, Dürren und Flutkatastrophen.
Angesichts all der Sorgen droht das Gewebe, das unsere Gesellschaft zusammenhält, zu zerreißen. In der Coronakrise hat sich ein enormer Verlust an Vertrauen gegenüber den staatlichen Institutionen entwickelt. Da geht es zum einen um Impfgegner, aber auch um Verschwörungstheoretiker und um Menschen, die unsere staatliche Ordnung ablehnen. Allzu viele wenden sich vermehrt einer rechtsextremen Partei zu. Das Vertrauen in den Staat, in die Justiz bröckelt. Auch den öffentlich-rechtlichen Medien wird oft nicht mehr vertraut. Auf den Straßen wie in den sogenannten sozialen Medien zeigen sich Hass und Aggression. Es gibt eine ungeheure Verrohung der Sprache gerade dort – da werden verbale Ausfälle gefeiert, es wird gedroht, gehetzt, verachtet, ohne dass offenbar irgendwelche Konsequenzen erwartet werden.
Zudem gibt die steigende Zahl antisemitischer Straftaten von Beleidigung über Volksverhetzung bis zu Gewalttaten Anlass zur Besorgnis. Nach den entsetzlichen Gräueltaten der Hamas-Terroristen vom 7. Oktober führt die Reaktion Israels nun zu einem öffentlichen Antisemitismus, den es zwar zuvor schon gab, aber dessen aktuelles Ausmaß schockierend ist. Dabei will ich klar sagen: Ich habe allergrößtes Mitgefühl mit den Opfern des Überfalls der Hamas ebenso wie mit der geschundenen Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen. Ich denke, wir können die Solidarität mit Israel, den Opfern dort und die Empathie mit den Opfern in Gaza zusammendenken. Auch der Anti-Islamismus greift um sich. Religion wird benutzt – und lässt sich benutzen, um Öl in politische und wirtschaftliche Konflikte zu gießen.
Gleichzeitig sind unsere Kirchen, die jahrzehnte-, ja jahrhundertelang für Stabilität gesorgt haben, in den Grundfesten erschüttert. Erschüttert durch eine Vertrauenskrise von unfassbarem Ausmaß. Es geht schließlich um eine Institution, der Kinder anvertraut wurden im besten Sinne des Wortes. Zu begreifen, dass Kinder auf brutale Weise missbraucht wurden und dass dieser Missbrauch oft auch noch vertuscht wurde, ist eine ungeheuer schmerzhafte Erkenntnis. Mit den großen Austrittswellen aus den Kirchen geht auch ein Verlust an Gemeinschaft einher.
Da möchte man sich wegducken, die Decke über den Kopf ziehen. Aber uns hilft keine Resignationshaltung in der Farbe Grau: Ich kann doch gar nichts tun. Alles wird immer schlimmer. Wir brauchen stattdessen Mut zur Veränderung! Die Dringlichkeit der Veränderung sollte nicht über uns schweben wie ein Damoklesschwert, sondern wir können sie mutig angehen, gestalten! Und zwar mit grüner Hoffnung als Grundhaltung. Dabei meine ich grün nicht als parteipolitische Farbe! Natürlich kann ich die Welt anschauen und nur alles sehen, was schlecht ist, mich geradezu festfressen an all dem, was schiefläuft. Aber ich kann auch meinen Blick auf das Gelingende richten. Oder auf das Mögliche, die Chancen, die es allem zum Trotz gibt – so wie ich am Ende eines langen Winters den Blick auf die aufbrechenden Knospen richte.
© Eberhard Münch
Die biblische Erzählung über die junge Frau Hagar ist eine Geschichte von Gewalt, Angst, menschlichen Verfehlungen und auch von Hoffnung. Im 16. Kapitel des ersten Buch Mose wird berichtet, dass Sarai, die Frau Abrams kein Kind bekommt, obwohl sie es sich so sehr wünscht. In ihrer Verzweiflung bittet sie Abram, mit ihrer Magd Hagar zu schlafen. Prompt wird diese schwanger. Und mit der Schwangerschaft wird sie hochmütig gegenüber ihrer Herrin. Sarai wiederum demütigt ihre Sklavin im Gegenzug so sehr, dass Hagar verzweifelt in die Wüste flieht. An einer Wasserquelle begegnet ihr ein Engel, wie es in der Bibel heißt. Der sagt ihr, sie solle zurückgehen. Ihr Kind würde eines Tages stark werden. Hagar folgt dem Rat des Engels und geht zurück und bekommt ihren Sohn Ismael. Da eine Sklavin wie Hagar zu jener Zeit gar nicht als Person galt, wird Ismael als der Sohn Sarais angesehen.
Es vergehen vierzehn Jahre, da wird Sarai tatsächlich auch noch schwanger und bringt ihren Sohn Isaak zur Welt. Es kommt zu weiterer Eifersucht und Sarai zwingt Abram, Hagar mit Ismael im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste zu schicken. Als Wasser und Vorräte zu Ende gehen, legt Hagar ihren Sohn unter einen Strauch. Sie will nicht zusehen, wie er stirbt. Wiederum erscheint ein Engel und ermutigt sie, durchzuhalten. Und sie findet tatsächlich eine Wasserquelle. Zum Abschluss heißt es: »Und Gott war mit dem Knaben. Der wuchs heran, wohnte in der Wüste und wurde ein Bogenschütze. Und er wohnte in der Wüste Paran und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus Ägyptenland.« (1. Mose 21, 20f.)
Das ist eine bewegende Hoffnungsgeschichte. Eine Sklavin wie Hagar ist völlig rechtlos. Sie hat zu gehorchen. Dass Abram sie schwängert, kommt einer Vergewaltigung gleich. Und dann bringt ihr diese Schwangerschaft eine leise Ahnung von Macht – sie kann ein Kind zur Welt bringen, ihre Herrin nicht. Ein uraltes Thema, Mutterschaft als Konkurrenz. Aber sie hat sich überschätzt. Sarai bleibt immer noch die Herrin, sie macht Hagar fertig. In dieser Situation der Hoffnungslosigkeit will sie nur noch weg, weit weg. Aber wohin eigentlich? Eine schwangere Sklavin wird nirgendwo aufgenommen.
An einer Wasserquelle begegnet Hagar ein göttlicher Bote. Ein Engel, heißt es in der biblischen Erzählung. Aber es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel, hat Otto Wiemer so schön gesagt. Vielleicht war es eine weise alte Frau, die zu Hagar gesagt hat: Beruhige dich. Das Kind wird auch Abrams Kind sein. Er wird für sein und dein Kind sorgen. Und für ein Kind lohnt es sich doch zu leben. Halt aus, dass Sarai dich demütigt. Es wird sich schon alles finden. Bleib gelassen und zuversichtlich. Dein Sohn wird das Leben in einem anderen Licht erscheinen lassen. Schritt eins der Hoffnung also: Du kannst etwas aushalten, Durststrecken gibt es im Leben. Da kommst du durch! Hagar kehrt um, bringt ihren Sohn Ismael zur Welt und es scheint, dass sich alle mit der Situation arrangieren.
Doch dann kommt die zweite Phase der Hoffnungslosigkeit, vierzehn Jahre später. Jetzt ist der rechtmäßige Erbe da, Sarais Sohn Isaak. Ismael ist nicht mehr der alleinige Augapfel des Vaters, und Sarai spielt ihre Macht nun voll aus. Auch wenn Abram zögert, ihm bleibt offenbar nichts anderes, als Hagar und Ismael auf Sarais Wunsch hin im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste zu schicken. Er versucht, für sie zu sorgen, gibt ihnen Proviant mit. Aber der ist in der Wüste bald aufgebraucht. Jetzt ist Hagar so verzweifelt, dass sie den Sohn ablegt. Sie hat ihrer beider Tod vor Augen. Die Hoffnung kommt in Gestalt einer Wasserquelle. Warum hat sie die vorher nicht gesehen? Ist es die Stimme Gottes, ein Engel, ein Beduine, der ihr weiterhilft? Auf jeden Fall macht Hagar jetzt den Rücken gerade. Sie findet sich mit der Wirklichkeit ab, lebt mit ihrem Sohn in der Wüste, hilft ihm, eine Familie zu gründen. Sie schafft sinnbildlich eine grüne Oase mitten in der Wüste.
Das ist nicht nur sinnbildlich zu verstehen. Denn so etwas gibt es in der Wüste Israels. Bei langen Fahrten durch staubige, steinige Landschaft oder auch Wüstenstreifen war ich immer wieder fasziniert, wenn dann auf einmal eine Oase auftauchte. Plötzlich siehst du das Grün, Lebensraum für Mensch, Tier und Pflanze. Oasen sind ein Ort der Sehnsucht mitten in Wüsten. Das gilt ja auch im übertragenen Sinne. In den Wüstenzeiten des Lebens, die es wohl für jeden Menschen gibt, sehnen wir uns nach Oasen. Einem Abend mit Freundinnen und Freunden, einem Glücksmoment in der Natur, einem Familienfest voller Harmonie. Wir brauchen die grünen Oasen im Leben, um durchzuhalten, wenn schwere Zeiten anstehen. Meine Mutter hat oft erzählt: »Egal, wie armselig wir im Krieg untergebracht waren. Ich habe mir immer ein kleines Nest gebaut, einen Ort, wo ich mich wohlfühlen konnte.«
Was für eine tapfere Frau kommt mit Hagar über die Jahrtausende zum Vorschein! Gedemütigt wurde sie, rechtlos war sie ihrer Lebenssituation ausgeliefert, die Lebenskraft ging ihr aus. Aber immer wieder hat sie gekämpft, damit ihr Sohn eine Zukunft hat. Zäh wird sie gewesen sein oder auch resilient, wie wir heute sagen. Sie erinnert mich an viele Frauen, denen ich begegnen durfte. Frauen, die im Flüchtlingslager im Libanon einen kleinen Garten anlegten. Frauen, die im Slum in Rio de Janeiro mit ihren Kindern Lieder der Ermutigung einübten. Ich denke an die Frauen in einem Gottesdienst in Tansania, die mitten in diesem sandigen Gelände mit schneeweißer Kleidung zur Kirche kamen und laut jubelnd singen konnten. Und ich werde nie die Frauen in Bolivien vergessen, die nach dem Gottesdienst auf einmal eine Plastikplane ausbreiteten, aus ihren großen weiten Röcken warme Kartoffeln darauf schütteten und dazwischen Schüsseln mit scharfer Soße stellten. Mit all diesen Gärten, der herrlichen Kleidung, den Liedern, dem Essen schaffen Frauen immer wieder inmitten von Lebenswüste wirklich blühende grüne Landschaften.
Hagar ist nicht in Angst erstarrt, sondern hat ihre Lebenskraft in scheinbar aussichtsloser Lage wieder aktiviert. Angst ist wohl der Gegenbegriff zu Hoffnung. Sie hält viele Menschen auch heute gefangen. Da sind zum einen handfeste Angststörungen, die so belastend sein können. Es gibt Depressionen, die mit Angst einhergehen. Und schlicht auch Zukunftsängste angesichts der weltpolitischen Lage. Wir können Ängste nicht einfach ausradieren oder wegdiskutieren, wir müssen sie ernst nehmen.
Ein junger Mann hat mir einmal geschildert, wie das für ihn abläuft. Er fährt in der S-Bahn, hält sich an einer Stange fest und sieht, dass der Mann, der sich dort vorher festgehalten hat, offene Stellen an seiner Hand hat. Sofort denkt er, er könnte sich mit HIV infiziert haben. Das ist vollkommen irrational – und das weiß er. Aber sein Unterbewusstsein arbeitet ununterbrochen, er kann sich von den Gedanken nicht lösen, alle rationalen Argumente verfangen nicht. Er fühlt sich entsetzlich schlecht und weiß nicht, wie er sich befreien kann von diesen Gedanken. Es geht um das Krankheitsbild einer schweren Angststörung und es wird lange dauern, bis er hoffentlich besser damit leben kann. Ganz überwinden wird er sie wohl nie können.
Das kann uns allen so gehen, auch ohne Diagnose. Wer regelmäßig Nachrichten schaut, all die entsetzlichen Krisen der Welt sieht, das Leid so vieler Menschen, die Klimakatastrophe vor Augen, kann in tiefer Angst versinken. Ich hatte tatsächlich überlegt, ein Buch über Angst zu schreiben. Aber dann dachte ich: Das wäre doch völlig falsch! Wir müssen angehen gegen die Angst mit: Hoffnung! Einer der für mich schönsten Verse der Dichterin Mascha Kaléko lautet: »Die Nacht in der das Fürchten wohnt, kennt auch die Sterne und den Mond«. Das ließe sich umformulieren mit Blick auf Hagar: Die Wüste, die Angst und Tod kennt, weiß auch um die grünen Oasen von Leben und Hoffnung.
Vor dem letzten Osterfest erhielt ich eine E-Mail mit der Frage, warum eigentlich das Hoffnungsgrün den drittletzten Tag vor Ostern bestimme. Das wäre doch irgendwie unpassend, so kurz vor Karfreitag. Ich habe geantwortet, dass der Gründonnerstag wirklich nichts mit der Farbe Grün zu tun hat, auch wenn an dem Tag die traditionelle Grüne Soße mancherorts ein wichtiger Teil der Mahlzeit ist. Der Name leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort »greinen« ab, das soviel wie Wehklagen oder Weinen bedeutet. Es geht um den Schmerz des Verrats, als Judas Jesus mit einem Kuss ausliefert. Deshalb ist die liturgische Farbe für den Gründonnerstag auch nicht grün, sondern weiß. Und die grüne Soße rührt eher daher, dass in der Passionswoche traditionell auf Fleisch verzichtet wird.
Dass aber Grün auch in der Passion für Hoffnung stehen kann, dafür ist mir meine Freundin Almut Sinnbild. Ihr Mann hatte sich, als er wusste, dass er an Krebs sterben würde, gewünscht, dass seine Frau zur Beerdigung das hellgrüne Kostüm trägt, das sie auf ihrer letzten gemeinsamen Reise gekauft hatten. Almut hat dem Wunsch entsprochen und auch noch einen Sarg in Grün gewählt. In dem kleinen Dorf, in dem wir lebten, hat es, wie sich jeder und jede denken kann, darum viel Gerede gegeben. Aber ich denke immer noch: Es ist ein gutes Zeichen für diese unbändige Hoffnung auf Leben, auf Auferstehung, die Christinnen und Christen selbst in tiefster Trauer hält und trägt.
Übrigens: Grün als Farbe der Hoffnung wird in den Kirchen in der »festlosen Zeit« verwendet, Das ist eine gute Ansage: Hoffnung geht immer!
© Eberhard Münch
Einer meiner Enkel fragte mich: »Omi, was ist deine Lieblingsfarbe?« Ich habe zurückgefragt: »Welche Farbe hat mein Fahrrad? Mein Mantel? Mein Auto?« Und klar war: Rot ist meine Lieblingsfarbe. Im Älterwerden habe ich festgestellt, wie sehr mir diese Farbe zusagt. Als ich dann einmal Fotos von meinen Schwestern und mir aus unserer Kinderzeit angeschaut habe, fiel mir eines besonders in den Blick. Auf ihm trägt meine älteste Schwester ein blaues Samtkleid, die mittlere ein grünes und ich als jüngste ein rotes. Unsere Omi hat die Kleider damals geschneidert. Ob Rot mir zugeordnet wurde? Oder ob einem eine Farbe zuwächst?
Ich mag Rot, weil es so klar ist, eine Ansage geradezu. Wenn ich früher als Landesbischöfin eine sehr schwierige Sitzung vor mir hatte, habe ich oft ein rotes Kleid oder einen roten Hosenanzug getragen nach dem Motto: Ich habe keine Angst, ich werde mich nicht wegducken. Als ich im Februar 2024 bei einer Demonstration für Demokratie in Hameln gesprochen habe, schrieb mir hinterher eine Teilnehmerin, sie habe mich vorher nicht gekannt und nicht gewusst, dass ich die Hauptrednerin sein würde. Aber als sie den knallroten Mantel gesehen habe, habe sie gedacht: »Die Frau hat Selbstbewusstsein. Das würde ich mich auch gern mal trauen.« Mir war nicht klar, dass der Mantel so wirken könnte. Ich habe ihn vor etlichen Jahren gekauft, weil mich das knallige Rot begeistert hat. Zu meinem 65. Geburtstag habe ich mir ein langes rotes Kleid gekauft und freue mich daran. Früher galt: Ältere Frauen kleiden sich in Grau. Heute haben sie Mut zur Farbe, denn das signalisiert ja auch Lebensfreude, Lebenslust. Als ich 1974 das erste Mal in die USA kam, fiel mir dort auf, wie fröhlich-bunt sich ältere Frauen kleideten. Das kannte ich damals aus Deutschland überhaupt nicht. Schön, dass sich das geändert hat!
Rot ist zuallererst die Farbe der Liebe. Ich denke, das leitet sich daraus ab, dass Rot für Feuer steht, für Leidenschaft, die entfacht wird. Aber auch für Kraft und Stärke. Und wohl auch für das Blut, das in Wallung gebracht wird durch Liebesgefühle. Wenn zwei Menschen sich lieben, verbinden sich ihre Herzen, die in Rot dargestellt werden. Facettenreich weben sich im Bild von Eberhard Münch verschiedene Schichten von Rot und das Licht ineinander.
Martin Luther hat einmal gesagt, Gott sei ein Backofen voller Liebe. Ist das nicht passend? Die Liebe Gottes habe ich immer als tragend, kräftigend empfunden. Ein wärmendes Feuer, das uns umhüllt.
Natürlich gibt es auch ein Zornesrot, und manche betonen immer wieder den Zorn Gottes. Aber wenn ich lese, wie Jesus über Gott gesprochen hat, dann trifft es der Backofen voller Liebe viel mehr, denke ich. Er hat ihn zärtlich »Abba«, lieber Vater, genannt. Und Jesus hat in seinen Gleichnissen erzählt, wie Gott die Menschen liebt.
In unseren Kirchen steht Rot als liturgische Farbe allerdings nicht für Gott, sondern für den Heiligen Geist. In der Apostelgeschichte heißt es: Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. (Apostelgeschichte 2, 1–4)