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Beschreibung

Christen sind Meister im Feiern - allein 20 verschiedene Feste im Jahr sind mit ihrer Religion verknüpft. In diesem Buch erzählen nun bekannte und weniger bekannte Christen, wie sie christliche Feste tatsächlich begehen. Es lädt zum Nachfeiern der Feste ein, und um selbst auf Gedanken für eine eigene Tradition zu kommen. Das Buch macht Lust, den Kalender der Feste weiterzuentwickeln, der immer in Bewegung ist. Vor jedem Bericht steht eine kleine Einführung in das Fest, die von Wolfgang Thielmann und Anna Papathanasiou verfasst ist. Feiertage, die beschrieben werden: Advent - Nikolaus - Weihnachten - Dreikönigsfest - Valentin - Fastenzeit - Gründonnerstag - Karfreitag - Karsamstag - Ostern - Christi Himmelfahrt - Pfingsten - Pfingstmontag - Trinitatis - Johannistag - Michaelistag - Erntedank - Reformationstag - Buß- und Bettag - Totensonntag

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Seitenzahl: 210

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Wolfgang Thielmann

Feste feiern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

Die Bibelstellen sind folgenden Übersetzungen entnommen:

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

 

© 2018 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: mm design mario moths, Marl

unter Verwendung eines Bildes von © Nora Schwarz, Köln (aredapple.com)

Lektorat: Dorothee Dziewas, Bad Schwalbach

DTP: Magdalene Krumbeck, Wuppertal

Verwendete Schrift: Scala

Gesamtherstellung: GGP, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-7615-6496-7 (Print)

ISBN 978-3-7615-6497-4 (E-Book)

 

www.neukirchener-verlage.de

Geleitwort

Heinrich Bedford-Strohm, geboren 1960, ist Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.Foto © ELKB-Rost

Ende Oktober 2017 kam in Deutschland eine Stimmung auf, wie sie sonst nur zu Weihnachten und Ostern zu spüren ist. Der bundesweite Sonderfeiertag zum Reformationstag unterbrach den Alltag. Viele Menschen freuten sich über einen geschenkten freien Tag. Aber viele nutzten ihn auch, um den Anlass für diesen freien Tag mitzufeiern. Lange Schlangen vor den Kirchen bildeten sich überall in Deutschland. Niemand hatte diesen Andrang erwartet, darauf zu hoffen gewagt. Natürlich war das ein ganz besonderer Feiertag. Aber dass an Feiertagen die Kirchen voll sind, kennen wir auch sonst. In den vergangenen Jahren waren die Gottesdienste zu Weihnachten und Ostern regelmäßig gut besucht. Ist das ein neuer Trend? Sicher ist in jedem Fall: Kirchliche Festtage sind ganz offensichtlich tiefer im gesellschaftlichen Gedächtnis verankert, als es der immer wieder angestimmte Abgesang auf die verschwindende christliche Prägung unseres Landes hätte erwarten lassen. Ob die Sehnsucht nach heilsamer Unterbrechung eines immer rastloser werdenden Lebens nicht in Wahrheit wächst? Provozieren die Härten einer auf volle Verfügbarkeit des Menschen setzenden globalisierten und digitalisierten Ökonomie nicht geradezu eine Gegenreaktion? Das Anliegen des vorliegenden Buches, den Spuren der christlichen Festtage im persönlichen und gesellschaftlichen Leben nachzugehen, ist also hochaktuell.

Die jüdisch-christliche Tradition hat eine kostbare soziale und kulturelle Errungenschaft hervorgebracht: „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleichwie du“ (5. Mose 5, 13–14). Dieses soziale Schutzgebot hat Eingang in die Sozialkultur unserer Gesellschaft gefunden. Es ist eine wertvolle soziale und kulturelle Errungenschaft, die es zu schützen gilt. Sonn- und Feiertage gehören zu den fundamentalen Beiträgen des Christentums zur Kultur unserer Gesellschaft. In ihrer humanisierenden Funktion sind sie eine Chance für eine Gesellschaft im Wandel und dienen der Gesellschaft im Ganzen. Sie sind kein Überbleibsel einer vergangenen Epoche. Sonn- und Feiertage geben dem Zeitempfinden einen Rhythmus und gewähren einen regelmäßigen Freiraum. Auf diese Weise verhelfen sie zu dem notwendigen Abstand vom Alltag. Sie bieten einen Raum, sich die wichtigen und entscheidenden Fragen bewusst zu machen: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Aus welcher Quelle lebe ich? Wofür lohnt es sich zu leben? Sie bieten ebenso Raum für herausgehobene, festlich gestaltete Begegnungen mit anderen.

Vor diesem Hintergrund bin ich sehr dankbar für das gemeinsame Engagement von Kirchen und Gewerkschaften für den Sonntagsschutz in Deutschland. Gerade in den Feiertagen wird die lebensdienliche und soziale Dimension unserer religiösen Tradition greifbar. Sonn- und Feiertagsruhe markieren eine wesentliche Grundlage für die Rekreationsmöglichkeiten des Menschen und zugleich für ein gelingendes soziales Zusammenleben, so urteilte das Bundesverfassungsgericht 2009. Weiter heißt es: „Die Gewährleistung von Tagen der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung ist darauf ausgerichtet, den Grundrechtsschutz – auch im Sinne eines Grundrechtsvoraussetzungsschutzes – zu stärken, und konkretisiert insofern die aus den jeweils einschlägigen Grundrechten folgenden staatlichen Schutzpflichten.“ Zu den großen Gefahren einer sich immer schneller drehenden Wirtschaft gehört, dass die Ökonomie von der Dienerin zur Herrin wird. Nicht der Mensch ist für die Wirtschaft da, sondern die Wirtschaft ist für den Menschen da. Deswegen haben die Menschen einen Anspruch auf verlässliche Zeiten, in denen sie nicht der Wirtschaft dienen müssen. Wir haben in Deutschland viel materiellen Wohlstand erreicht. Dafür können wir dankbar sein. Und es ist wichtig, dass wir daran arbeiten, dass dieser materielle Wohlstand auch wirklich allen zugutekommt. Aber als Land insgesamt ist die Steigerung des materiellen Wohlstands nicht mehr das Wichtigste. Das viel wichtigere Ziel heute ist neben einer gerechteren Verteilung die Steigerung des Beziehungswohlstands. Die Menschen brauchen Zeit füreinander, sodass die sozialen Beziehungen neue Kraft bekommen. Niemand muss sich wundern, wenn Familien auseinanderbrechen, weil es keine Tage mehr gibt, bei denen man sich darauf verlassen kann, dass alle Zeit haben. Der Sonntag ist eine solche Zeit und er soll es bleiben.

Ich danke Wolfgang Thielmann für die Initiative zu diesem Buch im Jahr 2018, in dem die EKD auf die Bedeutung der christlichen Feiertagskultur hinweisen will. Den Autorinnen und Autoren gilt mein besonderer Dank. Ihre Beiträge zeigen, wie sehr die christliche Feiertagskultur die Menschen und ihr Miteinander in unserem Land bis auf den heutigen Tag prägt.

Vorwort: Warum feiern wir?

Wolfgang Thielmann, geboren 1954, ist Journalist, Publizist und Pastor.

Bis heute kann ich kaum beschreiben, was es ausmachte. Für ein paar Stunden tauchten wir in eine andere Welt ein. Mit einer Gruppe Journalisten besuchte ich eine Siedlung in der Nähe der thailändischen Hauptstadt Bangkok. Ein christliches Hilfswerk hatte sie übernommen und für behinderte Frauen, Männer und Kinder eingerichtet. Die Siedlung war in einen flachen See gebaut. Häuser und breite Laufgänge dazwischen standen auf Stelzen, ohne Geländer. Ab und zu sprangen Kinder ins Wasser. Sie konnten stehen. Aber ich mochte mir nicht vorstellen, wie sauber das Wasser war. Auf der Veranda vor einem Haus bereiteten Vater, Mutter und eine blinde Tochter von vielleicht fünfzehn Jahren das Mittagessen zu. Von einem quer einmündenden Laufgang kam uns ein Mann entgegen. Ein Oberkörper, der auf einem Skateboard saß und sich mit den Händen abstieß. Er lachte uns aus vollem Hals entgegen. Die wenigsten, die uns begegneten, konnten ein für unsere Vorstellungen normales Leben führen. Ihnen fehlten Glieder, sie trugen riesige Narben, sie konnten nur einfachste Dinge tun.

Von den dreien, die das Mittagessen herrichteten, ging Ruhe aus. Freundlich lächelten sie der Journalistengruppe zu.

Wohin wir kamen, die Leute hielten inne und wandten sich uns zu, immer mit einem Lächeln, einem Gruß, ein paar Worten, deren Bedeutung wir nicht verstanden, aber deren Sinn uns sofort aufging: Freundlichkeit, die keine Sprachbarrieren kennt. Willkommenskultur zu erfahren, ist ein technisches Wort für das anrührendste Gefühl, das du haben kannst. Sie freuten sich auf eine fröhliche und zugleich gelassene Art, dass wir da waren. Das Elend, das wir sahen und über das wir berichten sollten, spielte keine Hauptrolle mehr. Wichtig war, dass wir zu Besuch kamen. Und wie wir empfangen wurden.

Das zu erleben, verzauberte uns. Klaus, der Fotograf, der später eine Sportlerin managte. Bernhard, der Stiernacken aus Augsburg, der schon als Kriegsberichterstatter in Afrika gearbeitet hatte. Beat, der Wirtschaftsjournalist aus Zürich. Leute, die jeder Situation gewachsen waren. Die hier traf uns ins Herz. Sie nahm uns gefangen. Wir waren gekommen, um Material zu sammeln für Reportagen aus der Dritten Welt und um Leuten zuhause zu zeigen, wo und wie sie helfen können, damit Menschen etwas bekommen, was ihnen fehlt. Hier bekamen wir geschenkt, was uns fehlte. Wir unterbrachen den Alltag der Leute und sie unseren. Wir gingen über die Bohlen an den schlichten Häusern vorbei. Immer begegnete uns Freundlichkeit. Das Willkommen trug uns durch die Siedlung.

Im Zentrum des Dorfs stand eine Kirche. Die Regie hatte uns so eingeteilt, dass wir zur Gottesdienstfeier eintrafen. Hinter uns hatte sich eine Schlange gebildet und zog in die Kirche ein, als wir Platz genommen hatten. Schwatzend, rufend und singend feierte die Gemeinde die Liturgie mit. Wir verstanden nichts. Aber wir bekamen alles mit. Laut lobten die Leute Gott, inbrünstig fielen sie ins Gebet ein. Lebhaft bestätigen sie jeden Satz des Predigers.

Es war nicht von dieser Welt. Ein paar Momente lang waren Grenzen aufgehoben und wir alle Mitglieder derselben Familie. Und es war richtig, dass der Besuch mit einer Gottesdienstfeier endete.

Leider fehlte etwas, das die Begegnung vollends zum Fest werden ließ: Der Plan verhinderte, dass wir uns zusammen an einen Tisch setzten. Wir wurden schon in einer Mädchenschule ein paar Kilometer erwartet. Es gab daher bloß einen kleinen Imbiss für uns. Wie gern hätten wir mit den Leuten draußen geteilt, hätten Zeit mit ihnen verbracht. Wie gern wären wir länger mit ihnen zusammen gewesen.

Winkend verabschiedete uns die Gemeinde. Wir liefen zurück über die Bohlengänge zu unserem Boot. Am Ende hielt Bernhard, der Kriegsberichterstatter an. Und bat mich, zu beten. Für die Leute hier, aber auch für uns. „Das war ein Fest“, sagte er. „Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“

Mir ist an diesem Fast-Fest klar geworden, warum wir feiern. Vielleicht liegt darin der Sinn der Feste, dass sie uns wegtragen, dass sie uns entführen und anders wieder zurückbringen, weil wir zusammen gelacht und geweint und Erinnerungen erschaffen haben, die uns stark machen. Feste entführen uns aus dem Erwartbaren, aus dem Gewohnten. Feste holen uns auch he­raus aus der Angst, nicht angenommen zu sein, unseren Platz erst erkämpfen oder verdienen zu müssen. Das eint Feiern von Weihnachten bis zum Christopher Street Day, vom Kindergeburtstag bis zur Eisernen Hochzeit. Oder bis zur Aussegnung am Ende des Lebens. Deshalb geben sie uns Kraft.

Davon handelt dieses Buch. Ich habe Freunde gebeten aufzuschreiben, wie sie feiern, warum sie es tun, was sie dabei beobachten und was ihnen die Feste geben. Es ist eine Sammlung voller Fantasie, voller Geheimnisse und voller Tradition geworden. Ich wünsche mir, dass sie Leserinnen und Lesern neue Ideen gibt, dass die Autoren Anregungen vermitteln, wie man feiern kann, wie man alte und weniger alte Traditionen aufgreifen kann und sie mit eigenen Ideen anreichert, sodass sie uns in eine neue Zeit begleiten können: In verschiedenen Generationen, mit Familie und ohne. Wie man Kräfte gewinnt, indem man in Menschen investiert, sich trifft und Zeit miteinander verbringt, um zu entdecken, wie viel Kapital im Leben der Menschen liegt, mit denen zusammen wir feiern. Dazu habe ich für jedes Fest eine Einführung geschrieben.

Weil Feste uns Kraft geben, haben Kinder und Erwachsene zum Beispiel den Wunsch, dass Weihnachten nicht aufhört. Deshalb reisen sie in die Weihnachtsdörfer vom finnischen Rovaniemi in Lappland, in der Nähe des Polarkreises, bis ins Erzgebirge mit seinen Schwibbögen und Pyramiden oder das Käthe-Kruse-Weihnachtsdorf in Rothenburg ob der Tauber. Oder ins „Bronner’s Christmas Wonderland“ in Frankenmuth nördlich von Detroit mit 8 000 Quadratmetern Verkaufsfläche und 1 500 Parkplätzen. Dessen 2008 gestorbener Chef Wallace Bronner sagte: „Das Wichtigste ist, dass wir unsere Herzen dekorieren.“

Deko ohne Herz hat der Schriftsteller Heinrich Böll beschrieben. In seiner Satire „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ prangerte er eigentlich die fehlende Selbstkritik seiner katholischen Kirche im Blick auf die Nachkriegszeit an. Schauplatz ist die Weihnachtszeit. Die schrullige Tante Milla verhindert das Abschmücken des Weihnachtsbaums mit unausgesetztem Schreien. Die Ärzte können ihr nicht helfen. Dann löst ihr Mann, Onkel Franz, das Problem und verordnet ihr und der übrigen Familie die tägliche Feier des Heiligen Abends über zwei Jahre lang. Die „Tannenbaumtherapie“ hilft ihr. Der Engel auf der Tannenspitze flüstert ohne Pause „Frieden, Frieden, Frieden“ und schreddert damit die Familie. Deren Mitglieder kriegen Tobsuchtsanfälle, sie wandern nach Afrika aus, wechseln vom Katholizismus zum Kommunismus. Schließlich lassen sie sich durch arbeitslose Schauspieler und endlich durch Wachspuppen vertreten. Als Einzige geht Tante Milla unversehrt aus der Geschichte hervor. Man kann die Satire als vergifteten Wunsch nach ehrlichen, unverstellten Feiern lesen.

Denn auch Ehrlichkeit gehört dazu. Feste verdecken keine Unversöhnlichkeit und keinen Hass. Sie schmecken falsch, wenn wir Unversöhnlichkeiten mitnehmen und Streit anhäufen. Sie mahnen uns, unser Leben aufzuräumen und Frieden zu machen mit Menschen und mit Zuständen. Ohne Feste könnten wir sie länger mit uns herumschleppen. Und Feste machen uns stark, gegen die Unaufgeräumtheit zu kämpfen.

Die meisten Feste, die wir feiern, haben mit dem Christentum zu tun, das den Kontinent eineinhalbtausend Jahre geprägt hat. Oft hat sich die Kreativität der Menschen gegen die Kirche durchgesetzt. Das anschauliche Weihnachten hat das ältere Ostern entthront, das eigentliche Hauptfest der Christenheit. Die katholische Kirche strich 1969 den Valentinstag aus ihrem Festkalender. Aber eine Koalition aus Liebenden und Floristen hat ihn zu neuem Leben erweckt. Selbst Halloween, der Vorabend von Allerheiligen, mit seinen Gruselmasken weckt Fantasie und treibt das Schreckliche aus, indem wir es nachvollziehen und darüber lachen, wenn wir zusammen sind. Die Kirchen waren so klug, ihren Widerstand dagegen aufzugeben, besonders die evangelische, die Konkurrenz zum Reformationsfest am gleichen Tag witterte. Christen fürchten mitunter, dass der Kommerz, vor allem zu Weihnachten, die Botschaft der Geschichte vom Stall in Bethlehem verdeckt. Deshalb kritisieren sie es, wenn die Supermärkte schon im September Lebkuchen in die Regale stellen. Oder sie protestieren, wenn Atheisten das Tanzverbot am Karfreitag durchbrechen wollen. Doch die Feiern des Christentums sind tief im kulturellen Gedächtnis verankert und unverwüstlich. Eine Mehrheit der Deutschen findet das Tanzverbot richtig.

Neue Generationen feiern aber anders als die alten, weil ihr Leben anders geworden ist. Dieses Buch macht den Reichtum sichtbar, der darin liegt. Es will alte und neue Festtage vorstellen und die, die sie heute begehen. Die sich in die Tradition stellen, indem sie sie aufnehmen und weiterentwickeln, die Neues entdecken, den Strang der Überlieferung vielleicht in Fasern teilen und sie anders wieder zusammenflechten.

Was Fachleute heute das „Kirchenjahr“ nennen, hat sich über Jahrhunderte entwickelt und verändert sich weiter. Das heute katholische Fronleichnamsfest wird seit dem 13. Jahrhundert begangen. Die Trauertage vor der Adventszeit stammen aus dem Mittelalter. 1952 kam der Volkstrauertag dazu.

Öffentliche Feiertage in Deutschland kommen bis auf den 1. Mai und den 3. Oktober aus dem Christentum. Bayern liegt mit 14 gesetzlichen Feiertagen an der Spitze, kein Bundesland hat weniger als neun, und acht feiern alle Länder gemeinsam. Zudem ist Deutschland das einzige Land der Welt, in dem die Feiern und der Sonntag, also die Feier des Wochenbeginns, in der Verfassung verankert sind. Ihr Schutz gelangte aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz. Der alte Begriff aus dem Text von Weimar trifft es genau, wenn er den Sinn der geschützten Tage beschreibt: Sie dienen der „Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“. Nichts aushalten, nichts aussitzen, sondern aufstehen und feiern. Ganz besonders müssen die Kirchen wachhalten, was Feste bedeuten und was wir an ihnen haben.

Und das Essen gehört dazu. Juden feiern viele ihrer großen Feste am Familientisch, Muslime genauso. Christen gehen in die Kirche. Doch sie setzen sich gern wie alle anderen zusammen und essen. Das kommt auch bei ihnen aus der Religion. Zum Anrührendsten, was über Jesus berichtet wird, gehört, dass er sich bei Ausgestoßenen einlud, an ihren Tisch kam und sich von ihnen bekochen und bewirten ließ. In seinen Gleichniserzählungen kommt, wenn es wirklich wichtig wird, oft ein Festmahl vor.

Die Referenzgeschichte dazu steht schon am Beginn der Hebräischen Bibel, im zweiten Buch Mose. Noch bevor Mose allein auf den Berg steigt, um die steinernen Gesetzestafeln in Empfang zu nehmen, erklimmen die siebzig Ältesten Israels mit ihm gemeinsam die Anhöhe und sehen Gott. Ausnahmsweise dürfen sie ihn in Augenschein nehmen, ohne dass sie vergehen, wie die Erzählungen der Alten androhen. Und sie erblicken einen Moment von überirdischer Schönheit. Nachher können sie nicht mehr erzählen, wie Gott ausgesehen hat. Nur die Umgebung haben sie noch in Erinnerung: „Unter seinen Füßen war es wie eine Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist.“

Was kann man danach noch tun, wenn man Gott gesehen hat, wenn man dem Geheimnis des Lebens auf der Spur war? Was die Ältesten taten, hat allen Feiern, die wir begehen, ihr Vorbild gegeben: „Und als sie Gott geschaut hatten, aßen und tranken sie.“

 

Bonn, im März 2018

Wolfgang Thielmann

Advent

Unsere Feste sind ein Mix. Die Kirche hat einen Anteil daran. Und die Tradition, in der wir aufgewachsen sind und die wir weitertragen. Das nennt man Brauchtum. Und unser Erfinderinnen- und Erfindergeist. Mit dem greifen wir Eindrücke aus der Kindheit und später auf und kombinieren sie mit neuen Ideen, die wir mitbekommen oder die uns selbst einfallen. Wenn es gut läuft, schaffen alle drei zusammen Feiern, in denen wir zuhause sind. Und streifen Fremdheit und Langeweile ab und damit die Teile der Feste, die uns hoffen ließen oder jetzt noch lassen, dass das Fest schnell vorübergeht. Manchmal muss man aber einen unangenehmen Teil ertragen, der anderen gefällt.

In meiner Kindheit war das meine Großtante. Wir Kinder mochten sie. Meine Mutter freute sich darauf, dass sie wieder fuhr. Denn solange sie uns besuchte, fühlte sich meine Mutter im eigenen Haus nicht zuhause. Die Großtante, selbst kinderlos, wusste, wie man Kinder erzieht, und sprach ausgiebig davon. Meine Mutter fühlte sich unter Dauerkritik, erzählte sie später.

Es gibt beim Feiern keine ein für alle Mal feststehenden Bestandteile. Es gab eine Zeit, als noch niemand zu Weihnachten „O du fröhliche“ sang oder „Stille Nacht“, weil die Lieder noch nicht geschrieben waren. Vielleicht werden sie eines Tages abgelöst, weil uns andere mehr zu Herzen gehen.

Und immer hat das Brauchtum zurückgewirkt bis in die Kirche. Der letzte Riesenerfolg beim Rückwirken war der Adventskranz. Er ist kein heidnisches Symbol, das wieder in die Kirche eingewandert ist. Solche gefälschten Herkunftsgeschichten verdanken wir der Nazi-Propaganda. Sie wollte den großen Festen „germanische“ oder „nordische“ Wurzeln unterschieben: Der Weihnachtsbaum zum Beispiel habe aus vorchristlichen Zeiten überlebt. Das ist Unsinn. Die ersten Weihnachtsbäume sind im christlichen 16. Jahrhundert im hessischen Stockstadt und im elsässischen Straßburg bezeugt. Was an Weihnachten nordisch ist, kommt von Ikea.

Auch der Adventskranz ist kein vorchristliches Radsymbol, das für die Unendlichkeit des Lebens steht, wie es manchmal heißt. Erfunden hat ihn Johann Hinrich Wichern, ein umtriebiger Student der evangelischen Theologie. Vom sozialen Elend seiner Zeit gepackt, übernahm er 25-jährig 1833 in Horn vor den Toren Hamburgs, da, wo heute der Autobauer BMW Pferderennen veranstaltet, ein altes Bauernanwesen, das Rauhe Haus, und richtete ein „Rettungshaus“ für Jugendliche aus dem sozialen Brennpunkt Hamburg-St. Georg ein, da, wo heute der Hauptbahnhof steht.

Wicherns Erziehungsprinzip war revolutionär: Zehn bis zwölf Zöglinge leben mit einem Betreuer zusammen, der für sie wie ein „älterer Bruder“ sein soll. Aus diesen Brüdern entsteht später die erste evangelische Diakonenschaft. Schon im Folgejahr nimmt Wichern ein zweites Haus in Gebrauch. Die Betreuung umfasst Schule und Vorbereitung auf eine handwerkliche Lehre.

Um die Jungen für die christliche Leitkultur zu gewinnen, macht Wichern im Advent „Kerzenandachten“. Jeden Tag wird eine weitere entzündet, rot an normalen Tagen, eine dickere weiße an den Sonntagen. 1839 steckt er die Kerzen auf einen Holzreif, den er an einen Kronleuchter hängt. Seine Jungen schmücken den nackten Reifen später mit Tannenzweigen.

Wichern blieb seinem Rauhen Haus verbunden, auch wenn er bald auf Reisen ging, um die überall aufbrechenden sozialen Einrichtungen der evangelischen Kirchen zu vernetzen. Dadurch gab er 1848 in Wittenberg den Anstoß zur Gründung des heutigen Diakonischen Werks mit 450 000 Beschäftigten. Und inspirierte 49 Jahre später Lorenz Werthmann, den ebenfalls umtriebigen Commissarius des (katholischen) Freiburger Erzbischofs Thomas Nörber. Werthmann rief den Caritasverband für das katholische Deutschland ins Leben. Beide sind heute die größten Arbeitgeber in Deutschland nach dem Staat.

Wichern trat, immer noch ohne theologischen Abschluss, 1857 als Dezernent für das Strafanstalts- und Armenwesen ins preußische Innenministerium und zugleich in den Berliner Oberkirchenrat ein. Denn damals wurde die Kirche noch beim Staat verwaltet.

Nach Wicherns Tod 1881 ging der Adventskranz auf seinen Siegeszug gen Süden. Um 1925 soll er, inzwischen mit nur noch vier Kerzen, die Konfessionsgrenze übersprungen haben und in einer katholischen Kirche in Köln gesichtet worden sein. Zehn Jahre später wurden erste Kränze für den Hausgebrauch kirchlich geweiht. In orthodoxen Familien hat der Kranz übrigens sechs Kerzen – weil da die Adventszeit zwei Wochen länger dauert.

Man kann daraus lernen, dass die Kirchen einander viel näher sind, als man vermutet. Und dass das, was unveränderlich festzustehen schein, gar nicht so unveränderlich ist. Vielleicht erfindet eine der Leserinnen dieser Zeilen gerade einen Brauch, den wir in zwei Generationen in ganz Europa übernommen haben.

Alexander Brüggemann stellt ein Beispiel vor, wie er seine Adventszeit neu zusammengestellt hat. Mit Anleihen aus einer anderen Kirche.

Mischen impossible? Von wegen.

Sing’s auf Anglikanisch – versandkostenfrei, ohne Like-Button

Alexander Brüggemann, geboren 1968, wurde in einer lebendigen katholischen Gemeinde im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) sozialisiert. Er studierte Geschichte und Theologie und arbeitet als Redakteur bei der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn.

Engländer feiern zu Weihnachten fröhlich Geburtstag – den wichtigsten von allen.

Ich bin katholisch. Mein Weihnachten sollte klar sein. O du fröhliche. Papstmesse. In dulci jubilo. Stille Nacht, immer so gemacht, seit 1818. Ich will ja auch gar nicht widerwillig sein oder über Gebühr bockig. Doch ich fürchte, irgendwann ist irgendwas in mir gestorben an diesem Geburts-Tag. War es das Marzipan Anfang September? Das klotzblöde Hohoho im Radio? Die Null-Prozent-Weihnachtsfinanzierung mit extra breiten Winterreifen schon zum Auftakt der Herbstferien? Süßer die Kassen nie klingeln wohnt hier nicht mehr. Haut mir ab mit eurer Zuckerwatte, euren Youtube-Filmchen und dem Christkind, gebettet ins Amazon-Paket mit Plastikdämmung. Hier unterschreiben.

Zum Glück habe ich einen Rettungsanker gefunden. Falsch: zwei eigentlich. Irgendwann kurz nach 2000 muss das gewesen sein. Ich nenne sie seitdem meine beiden Zündstufen auf dem Weg zum Heiligabend. Und beide sind englisch, ziemlich englisch sogar. Die erste Zündstufe findet etwa Mitte Dezember statt und heißt „Festival of Nine Lessons and Carols“. Ein liturgisches Highlight: Bei diesem traditionellen Adventsgottesdienst wechseln neun Schriftlesungen aus dem Alten und Neuen Testament ab mit den schönen englischen Weihnachtsliedern, die aus vollem Herzen mitgesungen werden. Diese Tradition wird 2018 genau 100 Jahre alt. War die Idee, die Männer aus der Kneipe zu locken mit einer neuen, gesangsbetonten Form der Liturgie, die sogar auf Moralpredigten verzichtet? Oder war es ein akademischer Spleen, entsprungen einem professoralen Hirn des ehrwürdigen King’s College in Cambridge? Sei’s drum – heute ist es eine seit 1918 weltweit von der BBC übertragene Tradition, die Engländer überall auf der Welt über die Frequenzen des Staatssenders empfangen können – ob im tiefsten Afrika oder mitten auf Nordpol-Expedition.

Ich selbst warte nicht auf das BBC-Original aus Cambridge, sondern feiere mit der lokalen anglikanischen Gemeinde in Bonn, deren Chor sich größte Mühe gibt mit der Auswahl anspruchsvoller Lieder und ihrer Performance. Der Funke springt über, und eine glückliche Feiergemeinde bleibt hinterher noch bei Mince-Pie (Süßgebäck) und Glühwein zusammen. Die Bonner anglikanische Gemeinde hat kürzlich ihr 175-Jahr-Jubiläum gefeiert – denn ihre Wurzeln sind weit älter als Nachkriegsbesatzung und Bundeshauptstadt. Sie sind literarischer und touristischer Art. Am Anfang stand die Rheinromantik.

Und das kam so: Die Erfindung der Dampfmaschine hatte im ausgehenden 18. Jahrhundert die Grundlage für die Entwicklung von Massentransportmitteln gelegt. Dampfschiff und Eisenbahn eröffneten die Ära des Tourismus. Die Rheinromantik, kräftig befördert durch die „Rheinreise“ von 1835, den ersten Reiseführer von Karl Baedeker (1801–1859), brachte damals zahlreiche Briten (teils dauerhaft) nach Bonn. „Kings and governments may err, but never Mr Baedeker“, so hieß es: Könige und Regierungen können sich irren, aber niemals Herr Baedeker.

(Die Anglikaner, ganz grob gesagt eine Zwischenform zwischen Katholizismus und Protestantismus, sind vor allem in England, dem Commonwealth sowie in früheren britischen Kolonien beheimatet. Die anglikanische Kirche entstand, als sich König Heinrich VIII. im Streit um seine Ehescheidung von Rom lossagte und eine englische Staatskirche gründete – mit sich selbst als Oberhaupt. Nachdem die beiden Weltkriege und damit die deutsch-britische Kriegsgegnerschaft die Gemeinde schwächten, kamen in der britischen Besatzungszeit und der „Bonner Republik“ Botschafts- und Militärangehörige sowie Journalisten neu hinzu. Traditionell enge Beziehungen gibt es bereits seit den 1870er-Jahren zur altkatholischen Kirche, deren Bischof in Bonn ansässig ist. Die anglikanische Gemeinde heute ist international bunt gemischt. Viele sind mit einem deutschen Partner verheiratet, manche auch beruflich hier. Es gibt Mitglieder aus Indien, Taiwan, Jamaika, Wales und Schottland. Hinzu kommen einige anglophile Deutsche und solche, die ihrer eigentlichen Gemeinde den Rücken gekehrt haben.)

Vor allem in der Adventszeit gibt es gute Gelegenheiten, anglikanisches Leben kennenzulernen – etwa beim traditionellen Weihnachtsbasar mit britischen Lebensmitteln wie Christmas Pudding, Chutneys und Currys, selbst gemachten Marmeladen, Knallbonbons („Christmas Crackers“), mit englischen Büchern, Weihnachtskarten und Selbstgenähtem. Ich liebe Skurriles – vor allem, wenn es das, was ich ohnehin gut finde, durch neue Facetten bereichert. Und das trifft noch mehr auf meine „zweite Zündstufe“ zu.