Feuchteproblematik von Anstrichsystemen bei Stuckfassaden - Stefan Kloss - E-Book

Feuchteproblematik von Anstrichsystemen bei Stuckfassaden E-Book

Stefan Kloss

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Beschreibung

Im vorliegenden Buch, das als Masterarbeit im Studiengang Bautenschutz entstanden ist, werden ausführlich typische Schadensmechanismen bei Stuckfassaden vorgestellt, sowie Ursachen und Lösungen erläutert. Im Mittelpunkt stehen genormte und experimentelle Prüfverfahren, mit denen die wichtigsten Kennwerte wie die Wasserdurchlässigkeit (w-Wert), die Wasserdampfabgabe (V- und sd-Wert), der Benetzungswinkel, die Schmutzanfälligkeit und die Alterungsbeständigkeit anschaulich ermittelt werden. Aus den Ergebnissen der einzelnen Prüfverfahren wurde eine Bewertungsmatrix für alle in Frage kommenden Anstrichsysteme erstellt. Darin enthalten sind sowohl historische Anstrichsysteme wie die Kalk- oder Leinölfarbe, als auch moderne Fassadenfarben wie die sog. Lotusfarbe. Insofern ist das Buch mehr als eine Abhandlung über die Feuchteproblematik von Anstrichsystemen bei Stuckfassaden. Es ist ein Grundlagenbuch für Anstrichsysteme im Außenbereich und zudem eine informative Lektüre über das Zusammenspiel von theoretischem Normwissen und praktischem Erfahrungswissen. Entscheidend bleibt am Ende die Objektbezogenheit.

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Masterarbeit für das Fernstudium Bautenschutz

an der Hochschule Wismar bei Prof. Dr. Dr. Helmuth Venzmer

Der genaue Titel lautete:

„Experimentelle Untersuchungen zur Wasseraufnahme und –abgabe

unterschiedlich gealterter Anstrichsysteme bei Stuckfassaden“

Danksagung

Beim Schreiben ist man sehr allein. Aber im Umfeld geht es nicht ohne Austausch und Unterstützung. Hier bin ich gleich mehreren Personen zu Dank verpflichtet:

Besten Dank also

an Hans-Georg, den Stuckateur meines Vertrauens,

an die Fachberater Axel und Max,

an den Kontaktwinkelexperten Norbert Heil,

an den Kunstmaler Enzo

und an meine persönlichen Lektoren Barbara, Herbert und Thorsten.

Inhalt

1 Theoretische Grundlagen

1.1 Feuchteproblematik von Anstrichsystemen bei Stuckfassaden

1.2 Wasseraufnahme und Wasserabgabe von Anstrichsystemen

1.3 Einteilung der Anstrichsysteme

2 Untersuchungen zur Wasseraufnahme

2.1 Alterungssimulation

2.2 Benetzbarkeit auf ebenen Flächen

2.2.1 statischer Kontaktwinkel

2.2.2 statischer Kontaktwinkel nach Alterung

2.3 Benetzbarkeit auf geneigten Flächen

2.3.1 dynamischer Kontaktwinkel

2.3.2 dynamischer Kontaktwinkel nach Alterung

2.4 Wasseraufnahme auf profilierten Probekörpern

2.5 Tropfenstandzeit nach Alterung

2.6 Wasserdurchlässigkeit

2.6.1 w-Wert

2.6.2 w-Wert nach Alterung

3 Untersuchungen zur Wasserabgabe

3.1 Rücktrocknung unter natürlichen Bedingungen nach Alterung

3.2 Wasserdampfdurchlässigkeit (V-Wert und sd-Wert)

3.3 KÜNZEL-Zahl

4 Ergebnisse

4.1 Ergebnisse zu den 10 Anstrichsystemen im Einzelnen

4.2 Bewertungsmatrix

4.3 Ausführliche Zusammenfassung

4.4 Thesenhafte Zusammenfassung

5 Anhang

5.1 Verwendete Anstrichsysteme

5.2 Ergänzende Ergebnistabellen

5.3 Anwendungsbeispiele aus der Malerpraxis

5.4 Literaturhinweise

5.5 Quellenverzeichnis

1 Theoretische Grundlagen

1 Theoretische Grundlagen

1.1 Feuchteproblematik von Anstrichsystemen bei Stuckfassaden

In vielen Städten wird das Stadtbild, insbesondere das des Stadtkerns, von Stuckfassaden geprägt. Ein kleiner Teil davon stammt noch aus der Renaissance, aus dem Barock und aus dem Klassizismus. Der größte Bestand rührt aus der Zeit des Historismus (ca. 1830-1918) und des Jugendstils (ca. 1890-1910). Eine genaue Zahl liegt leider nicht vor. Es gibt nur Vergleichszahlen. So gibt es in Deutschland rund 2 Millionen Fachwerkhäuser und rund 1 Millionen Denkmäler (zu denen natürlich auch Fachwerkhäuser und Stuckfassaden gehören). Laut Statistischem Bundesamt wurden deutschlandweit 5,828 Mio. Wohnungen (14,8%) vor 1918 gebaut [1], so dass maximal genauso viele Wohnfassaden mit Stuck versehen sein könnten; was aber natürlich zu hoch gegriffen ist, da vor 1918 auch viele schmucklose Arbeiter- und Siedlungswohnbauten entstanden sind und umgekehrt viele Stuckfassaden im Zuge von Kriegszerstörungen und Modernisierungen ihren Bauschmuck verloren. Wie auch immer, die Gebäudeanzahl geht in die Millionen und ist immer noch ein nicht unerheblicher Markt.

Bild 1: Stuckfassaden in Wismar

Bild 2: Stuckfassaden in Düsseldorf

Gleichwohl ist das Thema „Anstrichsysteme bei Stuckfassaden“ nicht gerade Gegenstand der Forschungsliteratur. [2] Auch wenn es noch Millionen Stuckfassaden gibt, so werden sie heute nicht mehr gebaut, so dass wir es nur noch mit Auslaufmodellen aus vergangenen Kulturepochen zu tun haben. Des Weiteren sind Fassadenfarben schon von ihrer Definition her „Beschichtungen, die an senkrechten Außenflächen Anwendung finden.“[3] Sie sind gar nicht für geneigte und waagerechte Flächen vorgesehen, so dass es überflüssig erscheinen mag, sie mit diesen besonders gefährdeten Flächen in Verbindung zu bringen. Viele Hersteller von modernen Fassadenfarben machen in ihren technischen Merkblättern ausdrücklich darauf aufmerksam, dass ihr Produkt für „horizontale und geneigte Flächen mit Bewitterung“ nicht geeignet ist. [4]

Nun gibt es aber die Stuckfassaden. Und diese haben mit ihrer Bauplastik, den Gesimsen, Profilierungen, Lisenen, Kartuschen, Balustraden, Ornamenten, Dreiecks- und Segmentgiebeln usf. auch dementsprechend horizontale und geneigte Flächen. Und natürlich werden sie auch gestrichen und zwar mit jenen Fassadenfarben, die dafür eigentlich nicht geeignet sind. Aus Erfahrung wissen wir, dass das Ganze unterschiedlich gut funktioniert. Entscheidend ist immer, wie sehr die Stuckfassaden vor Feuchtigkeit geschützt sind.

Als Stuckmörtel im Außenbereich werden zementhaltige / hydraulische Mörtel verwendet, die grundsätzlich einen guten Witterungsschutz haben. Ein Rezept für ein Stuckmörtel wäre z.B.: 1 Teil Portlandzement, 1 Teil hochhydraulischer Kalk und 6 Teile Rheinsand 0-4 mm. Da der Mörtel ein hohes Eigengewicht hat, entstand ausladender Stuck aus der Konstruktion heraus, indem Ziegel- oder Bimssteine als tragender Kern vorgemauert wurden. Eine seltene Alternative sind Rabitz-Konstruktionen mit Rundeisen und Drahtgeflecht. Der Stuck wurde entweder frei angetragen und modelliert oder mit Schablonen mit oder ohne Vormauerungen gezogen oder in Formen gegossen und als vorgefertigtes Element mit Klebemörtel und Nägeln bzw. Schrauben befestigt. [5]

Hauptreklamation bei Stuck sind Rissbildungen durch Temperaturdehnungen. Der zementhaltige Mörtel ist zwar sehr wasserabweisend, aber wenig elastisch. Es entstehen feine Risse, in denen Feuchte eindringen und schlecht herauskommen kann, so dass sich hier Staunässe bilden kann. Im schlimmsten, nicht seltenen Fall korrodieren darunter liegende Eisenträger, die vor 100 Jahren noch keinen Korrosionsschutz erfuhren. Es kommt zur Volumenvergrößerung und Putzabsprengung (vgl. Beispiel aus der Malerpraxis 5.3.6).

Ein anderes Problem ist ein mangelhafter Wasserablauf. Es kommt immer wieder vor, dass das Wasser auf Profilierungen durch Planungs- oder Ausführungsfehler schlecht ablaufen kann. Das ist z.B. bei mangelndem Gefälle der Fall, wenn Profilabschlüsse waagerecht statt geneigt sind, ferner bei mangelndem Überstand, bei fehlender Abrundung, bei fehlender Tropfkante oder bei falsch profilierten Gesimsen, die das Wasser nach innen statt nach außen tragen. Problematisch sind auch zu raue Putzoberflächen, bei denen das Wasser nicht ablaufen kann. Wenn hier seitens des Stuckateurs Versäumnisse vorliegen, kann der Maler mit seiner Fassadenfarbe kaum noch etwas ausrichten.

Bild 3: Wasserablauf falsch und richtig (Neigung, Überstand, Abrundung, Tropfkante)

Doch auch wenn der Stuckateur alles richtig gemacht hat, bleibt die hohe Anfälligkeit gegenüber Schmutzablagerungen und Wasser bestehen. Der Grund, weshalb geneigte und noch mehr waagerechte Flächen stärker verschmutzen als senkrechte, liegt überwiegend daran, „dass der Großstaub auf diese sedimentiert. (…) Mit zunehmender Neigung nimmt die Ablagerung der größeren Partikel ab, bis letztendlich an senkrechten, glatten Flächen die Partikel im Wesentlichen vorbeifallen.“[6] Der Schmutz ist dabei nicht nur ein optischer Mangel. Er trägt als sedimentierte Schicht durch sein Wasserrückhaltevermögen dazu bei, dass sich auf seiner Oberfläche ein Feuchtigkeitsfilm lange halten kann, der dann wiederum die Oberflächenbeschichtung angreift und einen Nährboden für mikrobiologischen Bewuchs bietet.

Bild 4: Schmutzabläufe, Algenbefall u. Krustenbildungen an den Gurtgesimsen

Bild 5: Stuckfassade in Wismar

Bild 6: Konsole mit Abplatzungen u. Verkrustungen

Bild 7: Fenstergesims mit Schmutzabläufen

Bild 8: Stuckfassade in Düsseldorf

Bild 9: Gurtgesims mit Farbabplatzungen

Bild 10: Stuckfassade in Wismar

Schwerwiegender als die Schmutzanfälligkeit ist die Feuchteanfälligkeit. Allgemeine Feuchtequellen im Außenbereich sind Luftfeuchte, Tauwasser, Spritz- und Ablaufwasser sowie Schlagregen. Wichtigste Feuchtebeanspruchung bei Stuck ist freilich der Regen, insbesondere der Schlagregen. Die Regenmasse hängt dabei ab von der Region (Klima), der Ausrichtung des Hauses (Wetterseite), der unmittelbaren Umgebung (freistehend oder mit umgebender Bebauung) und des Dachüberstandes.

Zu betonen ist nun, dass die Regenbelastung bei geneigten Flächen um ein Vielfaches höher ausfällt als bei senkrechten Flächen. Eine Studie hat ergeben, dass allein eine Oberflächenneigung „um nur 5° eine Erhöhung der Schlagregenbelastung um etwas den Faktor vier im Vergleich zur Belastung der vertikalen Fassade zur Folge hat.“[7] Zum einen hat es damit zu tun, dass eine geneigte Fläche eine höhere Auffangfläche als eine senkrechte Fläche bietet, wo der Regen selbst bei Windstille auf sie trifft. Zum anderen bekommt die geneigte Fläche bei Schlagregen auch noch das Spritzwasser der höher gelegenen senkrechten Fläche ab (ca. 30 %). „Dieses Spritzwasser wird von der Luftströmung, die bis wenige Zentimeter vor der Fassade wirksam ist, daran gehindert, die enge Zone vor der Fassade zu verlassen, sodass es in einer zur Fassade parallelen Ebene zu Boden fällt.“[8]

Im Ganzen sind es also drei Gründe, weshalb Stuckprofile eine vielfach höhere Wasserbelastung erfahren als die dahinterliegende senkrechte Fassadenfläche:

Stuckprofile werden selbst bei Windstille beregnet (wenn sie nicht gerade durch den Dachüberstand geschützt sind).

Bei Schlagregen bekommen sie auch noch das Spritzwasser der höher gelegenen senkrechten Fläche ab (30 % der Schlagregenmenge auf die senkrechte Fläche).

Das Wasser kann auf geneigten und waagerechten Flächen schlechter ablaufen als auf senkrechten Flächen.

Bild 11: Stuckfassade in Wismar: links ungestrichen, rechts gestrichen

In den Abbildungen 12-14 wird noch einmal schematisch eine unterschiedliche Beregnung dargestellt. Ist es absolut windstill, so dass der Regen senkrecht fällt, bleiben bei ausreichender Überdachung auch die darunterliegenden Gesimse mehr oder weniger trocken (Bild 12). Fällt der Regen bei leichtem Wind in Richtung Fassade, werden die Gesimsflächen beregnet, während sie mit dem Dachüberstand dafür sorgen, dass die vertikale Wandfläche im Wesentlichen trocken bleibt (Bild 13). Ist es schließlich so windig, dass Schlagregen auf die Fassade fällt, bekommt die Gesimsfläche nicht nur den Schlagregen ab, den auch die senkrechte Fläche abbekommt, sondern auch noch 30 % der Schlagregenmenge von der höher gelegenen senkrechten Fläche, die als Spritzwasser abfällt (Bild 14).

Bild12:

Regen fällt senkrecht →

Die Stuckfassade bleibt trocken.

Bild13:

Regen fällt mit leichter Neigung →

Hauptsächlich Gesimse werden nass.

Bild14:

Schlagregen →

Gesimse bekommen auch noch Spritzwasser der senkrechten Fassadenfläche ab.

Nun ist es im Sinn der Konstruktion, dass das Gesims mehr Wasser abbekommt als die Wandfläche. Denn das Gesims hat nicht nur eine gestalterische, sondern auch eine schützende Funktion. Und diese Funktion ist der konstruktive Bautenschutz, nämlich die Fassadenwand vor Nässe zu schützen. Je höher ein Haus, desto größer die Schlagregenbelastung, desto sinnvoller ist ein konstruktiver Bautenschutz durch ein Vordach und zu dessen Unterstützung durch Gesimse (Sockelgesims, Gurtgesims, Fenstergesims u.a.). [9]

Zur Optimierung des Schutzes ist es wiederum sinnvoll die Bauplastik selbst zu schützen. Man kann sie konstruktiv durch ein ausreichend weites Vordach und durch Verblechungen (auf Gurtgesimse, Fensterbänke u.a.) schützen, und man kann sie technologisch durch Oberflächenschutz (Hydrophobierung, Imprägnierung, Beschichtung) schützen.

Hydrophobierung ist die Herstellung einer wasserabweisenden, aber wasserdampfdurchlässigen Oberfläche, bei der die Poren und Kapillaren mit siliziumorganischen Verbindungen (Silane, Siloxane und Silikonharze) nur ausgekleidet, aber nicht gefüllt sind.

Imprägnierung ist die Versiegelung der Oberflächenporosität mit Reaktionsharzen (EP, PUR, PMMA), bei der die Poren und Kapillaren weitgehend gefüllt sind.

Beschichtung ist die Herstellung einer schichtbildenden Schutzschicht.

Zur Schutzfunktion von Beschichtungen gehört im Einzelnen der Schutz vor atmosphärischen, chemischen, biologischen und mechanischen Einwirkungen. Wichtigstes Kriterium für Beschichtungen ist freilich der Schutz vor Wasser, weil Wasser zugleich der Schlüssel zu den meisten Bauschäden im Außenbereich ist. Ohne Wasser gibt es kein Algen- und Pilzbefall, keine Salzschäden, keine Rissbildung durch hygrisches Quellen und Schwinden, keine Frostschäden, keine Korrosion der Bewehrungsträger usw..

Gleich 10 Anstrichsysteme wurden hier für den Oberflächenschutz bei Stuckfassaden gewählt und zwar so, dass sie die komplette Bandbreite an dafür in Frage kommenden Beschichtungsmöglichkeiten repräsentieren. (Eine ausführliche Beschreibung befindet sich im Anhang.) Im Einzelnen sind das:

3 historische (Kalkfarbe mit 2%iger Leinölzugabe, Leinölfarbe und reine Silikatfarbe) und

7 dispersionsanteilige Fassadenfarben, davon

2 mineralische (Dispersionssilikat- und Solsilikatfarbe),

2 organisch mineralische (Silikonharzfarbe und Lotusfarbe) und

3 organische (Mischpolymerdispersion, Reinacrylatdispersion und kälteelastische Acrylatdispersion).

Dass am Ende nicht das Anforderungsprofil eines Anstrichsystems, vielmehr der Objekteinfluss, nämlich der klimatisch, topologisch und konstruktiv bedingte Einzelfall immer noch die wichtigsten Parameter für den Feuchteschutz bestimmt, versteht sich dabei von selbst (vgl. im Anhang 5.3 die Anwendungsbeispiele aus der Malerpraxis).

Einige Schadensbilder

Bild15: Schmutzabläufe und Rissbildung am Fenstergesims

Bild16: Taubenexkremente auf oberstem Gurtgesims

Bild17: Farbabplatzungen am Fassadenstuck

Bild18: korrodierender Eisenträger und Putzabsprengung

Bild19: Salzausblühungen rund um eine Fensterbank

Bild20: Farbabplatzungen auf einer Fensterbank

Bild21: Mikroorganismen und Krustenbildungen auf einem Gurtgesims

Bild22: kontraproduktiver Schutz bei Verblechung

1.2 Wasseraufnahme und Wasserabgabe von Anstrichsystemen

Zum Thema „Wasseraufnahme und –abgabe von Anstrichsystemen“ ist schon Einiges geschrieben worden, zum Thema „Anstrichsysteme bei Stuckfassaden“ so gut wie nichts (vgl. 1.1). So werden in dem dafür zuständigen Merkblatt der „Wissenschaftlich-Technischen Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege“ (WTA) zwar die Anforderungsprofile einschließlich Wasseraufnahme und Wasserabgabe für Fassadenanstriche erörtert (WTA E-2-12), doch werden dort ausdrücklich nur die Anstrichsysteme erfasst, „die sich grundsätzlich für den Einsatz in der Bauwerkserhaltung und Baudenkmalpflege eignen. Nicht behandelt werden Anstriche, die in ihren Eigenschaften auf ... nicht vertikal orientierten Flächen (z.B. Gesimsabdeckungen) abgestimmt sind.“[10] Wenn man nun bedenkt, dass sich die Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft auf den Bereich Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege spezialisiert hat, dann ist es schon sehr bemerkenswert, dass hier die historischen Stuckfassaden, deren Bestand noch immer in die Millionen geht, von der zuständigen Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege einfach ausgeschlossen werden.

Offenbar ist die Sorge um falsche Empfehlungen größer als die um der Gebäude. Der Grund liegt natürlich in der berechtigten Erkenntnis, dass „auf waagerechten und geneigten Flächen (Gesimse etc.) die Haltbarkeit von Fassadenanstrichen stark eingeschränkt ist.“[11] Hierzu steht in der DIN-Norm EN 1062-1 für Beschichtungsstoffe, auf die sich auch das oben zitierte WTA-Blatt mehrfach beruft: „Der hauptsächliche bautechnische Faktor, der Beschichtungen beeinflusst, ist der Neigungswinkel der zu beschichtenden Fläche. Dies gilt insbesondere für horizontale Oberflächen (auf Simsen, Karniesen usw.) oder für Oberflächen, die weniger als 45° geneigt sind.“[12] Denn wenn zum Neigungswinkel, dem „hauptsächlich bautechnischen Faktor“ für Beschichtungen, der hauptsächliche Schadensfaktor Wasser hinzukommt, sind Beschichtungssysteme sehr schnell überfordert.

Doch in Anbetracht dessen, dass es Millionen von erhaltungswürdigen und erhaltungsfähigen Stuckfassaden noch gibt, sollte man sich nicht davor scheuen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, damit der Bestand auch noch möglichst lange gesichert bleibt. Immerhin hat der Schutz von Stuckfassaden über hundert Jahre millionenfach mehr oder weniger gut funktioniert.

Da es praktisch keine unmittelbare Forschungsliteratur und keine speziellen Merkblätter zum Thema „Anstrichsysteme bei Stuckfassaden“ gibt, hingegen aber Einiges zum Thema „Wasseraufnahme und –abgabe von Anstrichsystemen“, macht es Sinn, hier die höchsten vorhandenen Anforderungsprofile für Fassadenfarben als Grundlage für die Anstrichsysteme bei Stuckfassaden zu nehmen. Denn letztendlich hat sich über die letzten Jahrzehnte gezeigt, dass mit zwei Anforderungen den Stuckfassaden gedient ist:

Es muss ein maximaler konstruktiver Bautenschutz gewährleistet sein!

Es müssen die höchsten feuchtetechnischen Anforderungen für Anstrichsysteme erfüllt werden!

Ein grundlegendes Anforderungsprofil befindet sich in der DIN 4108-3, die den klimabedingten Feuchteschutz behandelt. Hier werden für die Ermittlung der Schlagregenbeanspruchung von Fassaden drei Beanspruchungsgruppen vorgestellt:

Beanspruchungsgruppe I gilt für eine geringe Schlagregenbeanspruchung, nämlich für unter 600 mm Jahresniederschlag sowie für windgeschützte Lagen.

Beanspruchungsgruppe II gilt für eine mittlere Schlagregenbeanspruchung, nämlich für 600 bis 800 mm Jahresniederschlag.

Beanspruchungsgruppe III gilt für eine starke Schlagregenbeanspruchung, nämlich für über 800 mm Jahresniederschlag, sowie für windreiche Gebiete, Hochhäuser und Häuser in exponierter Lage. [

13

]

Bild23: Übersichtskarte zur Schlagregenbeanspruchung in Deutschland nach DIN 4108-3

Zur letzteren Beanspruchungsgruppe zählen natürlich auch die Stuckfassaden. Ungeachtet der geographischen Zuordnung der Beanspruchungsgruppen (vgl. Bild 23), die sich aus der bloßen Niederschlagsmenge ergibt, sind Stuckfassaden potentiell immer der höchsten Beanspruchungsgruppe zuzuordnen. Denn selbst wenn sie sich in einer Region mit geringer Schlagregenbeanspruchung befinden, muss damit gerechnet werden, dass durch die geringeren Neigungswinkel der Stuckprofile am Ende doch wieder eine starke Schlagregenbeanspruchung gegeben ist.

In Bezug auf den Regenschutz und den drei Beanspruchungsgruppen wird nun in der gleichen Norm zwischen wassersaugenden, wasserhemmenden und wasserabweisenden Oberflächenschichten unterschieden. Daraus ergibt sich folgende Zuordnung:

Für die Beanspruchungsgruppe I mit einer geringen Schlagregenbeanspruchung kann man wassersaugende Oberflächenschichten einsetzen, das sind Oberflächensysteme mit einem w-Wert > 2,0 kg/m

²

·h

0,5

.

Für die Beanspruchungsgruppe II mit einer mittleren Schlagregenbeanspruchung sollte man wasserhemmende Oberflächenschichten einsetzen, das sind Oberflächensysteme mit einem w-Wert < 2,0 kg/m

²

·h

0,5

.

Für die Beanspruchungsgruppe III mit einer starken Schlagregenbeanspruchung sollte man wasserabweisende Oberflächenschichten einsetzen, das sind Oberflächensysteme mit einem w-Wert < 0,5 kg/m

²

·h

0,5

. [

14

]

Der w-Wert wird im Normalfall vom Hersteller im technischen Merkblatt angegeben. Dieser gibt (in kg/m² · h0,5) an, wie viel Wasser (in kg) pro Quadratmeter Fläche innerhalb einer bestimmten Zeit (in der Regel 24 h) durch eine Beschichtung hindurch in einen saugfähigen Untergrund eindringt (vgl. 2.6).

Für Stuckfassaden mit einer extrem starken Schlagregenbeanspruchung ist der w-Wert aus der DIN 4108-3 allerdings noch zu hoch angesetzt, dieser sollte im Sinne der DIN 1062-1 schon unter 0,1 kg/m²·h0,5 liegen. Stellt man die Einteilung der Beanspruchungsgruppen nach DIN 4108-3 (Klimabedingter Feuchtschutz) mit der Einteilung des w-Wertes nach DIN EN 1062-1 (Beschichtungsstoffe im Außenbereich) direkt gegenüber, kommt man zur unten stehenden Übersicht. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen dem w-Wert als Wasseraufnahmekoeffizienten, der sich gemäß DIN 4108-3 auf den gesamten Untergrund bezieht, und dem w-Wert als Wasserdurchlässigkeitsrate, der sich gemäß DIN EN 1062-1 nur auf die Beschichtung bezieht. Für die Beschäftigung mit Anstrichsystemen steht natürlich die Klassifizierung der Wasserdurchlässigkeit nach DIN EN 1062-1 im Mittelpunkt.

Klassifizierung der Beanspruchungsgruppen (B) nach DIN 4108-3:

B III

starke Schlagregenbeanspruchung B II

B II

mittlere S.

B I

geringe S.

Klassifizierung der Wasseraufnahme (w-Wert in kg/m²·h0,5) nach DIN 4108-3:

Klassifizierung der Wasserdurchlässigkeit (w-Wert in kg/m²·h0,5) nach DIN EN 1062-1:

Einordnung der hier verwendeten Anstrichsysteme:

LeinölfarbeDispersionssilikatfarbeSolsilikatfarbeSilikonharzfarbeLotusfarbeMischpolymerdispersionReinacrylatdispersionKälteelastische Acrylatdispersion Kalkfarbe (+2% Leinöl)Silikatfarbe 

Zum Regenschutz einer Fassadenoberfläche gehört nicht nur die Wasseraufnahme des Untergrundes, sondern auch die anschließende Rücktrocknung. Wenn der Untergrund mehr Wasser aufnimmt, als er abgeben kann, kann es zu einer Feuchteaufschaukelung kommen, die dann von innen her das Schutzsystem zerstört. Besonders wichtig wird die Rücktrocknung bei nicht mehr intakten Anstrichsystemen. So kommt es bei Stuckfassaden immer wieder durch Rissbildungen des Stuckmörtels zu Anstrichschäden. Stuckfassaden aus dem Historismus haben häufig einen sehr hohen Zementanteil. Zementputze aber sind feste spröde Putze mit einem hohen Elastizitätsmodul (also einen hohen Widerstand gegen eine elastische Verformung) und einer entsprechend schlechten Verformungsfähigkeit. Es entstehen durch hygrothermische Spannungen feine Risse, in denen Feuchte eindringt und schlecht herauskommt, so dass sich Staunässe bilden kann. Im schlimmsten, nicht seltenen Fall korrodieren darunter liegende Eisenträger, was dann zur Volumenvergrößerung und Putzabsprengung führt.