Feuer brennt nicht - Ralf Rothmann - E-Book

Feuer brennt nicht E-Book

Ralf Rothmann

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Beschreibung

Berlin, fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall. Kreuzberg ist gesichtslos geworden und so ziehen die Buchhändlerin Alina und der Schriftsteller Wolf an den grünen Rand der Stadt. Am Müggelsee, wo die Unterschiede zwischen Ost und West noch nicht verwischt sind, leidet Wolf aber zunehmend unter den „Details der Zweisamkeit“. Plötzlich taucht Charlotte auf, eine Geliebte aus der Vergangenheit, und er ergreift die Flucht, befeuert von ihrem offensiven Eros. Als er „die Hölle der Verheimlichung“ hinter sich hat, ist Wolf überrascht: Seine Frau akzeptiert das Verhältnis zu der anderen nicht nur, sie ermuntert ihn sogar. Ralf Rothmann hat einen Roman über das behutsame Zusammenwachsen von Ost und West und eine Chronik des erotischen Begehrens geschrieben, eine dunkel-glühende Liebesgeschichte.

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Seitenzahl: 362

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Ralf Rothmann

Feuer brennt nicht

Roman

Suhrkamp

Umschlagfoto: Reinhold Schroers

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009

Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

www.suhrkamp.de

eISBN 978-3-518-74380-5

Sie musste glauben, es sei das Sonnenlicht,

das mir die Augen mit Tränen füllte.

Julio Cortázar

1

Frühe Jahre

Wie alltäglich oder unbedeutend die Reise auch sein mag, wie trist der Bahnhof und wie voll das Abteil mit den lärmenden Kindern, den ungelenk sich abmühenden Kofferträgern und den Keuchenden, die es gerade noch geschafft haben: Wenn alle Ansagen gemacht und alle Türen geschlossen sind und jeder auf das Anrucken des Zuges wartet, gibt es nicht selten einen Moment der Stille, der mehr zu meinen scheint als das unausgesprochene »Endlich!« oder die Entfernungen zwischen hier und da, der einem wie ein geheimnisvolles Innehalten vorkommt, ein Atemholen der Zukunft, und die meisten Menschen, selbst die misslaunigen oder ungeduldigen, einen Herzschlag lang demütig aussehen lässt.

Wir wissen nichts, wenn jemand stirbt, nicht viel, wir stehen vor einem Rätsel, und will man Obskures vermeiden, schweigt man besser. Zwar haben wir uns angewöhnt zu sagen, die oder der Verstorbene lebt in uns, unserem Gedenken, weiter; aber irgendwann sind auch wir vergessen, und was dann? Sicher ist nur so viel: Niemand auf der Welt kann ein Leben, sei es nun lang oder kurz gewesen, ungeschehen machen. Es hat einmal für immer stattgefunden, es hat eingewirkt auf den vergangenen, es wirkt ein auf den gegenwärtigen und wird einwirken auf den künftigen Zustand der Mysterien; und wie die Natur, der physische Bereich, in Wahrheit keinen Tod kennt, sondern immer nur Verwandlung, endlos, so wird es im metaphysischen Bereich eine Entsprechung geben. Jetzt, in diesem Moment, schließen unzählige Menschen zum letzten Mal die Lider, und gleichzeitig schlagen unzählige andere sie zum ersten Mal auf, und sieht man einmal ab von allem Persönlichen, könnte man den Eindruck gewinnen, das ganze Dasein, das leidige Werden und Vergehen, sei nichts als ein Blinzeln oder Augenzwinkern auf dem Grund einer allumfassenden Gelassenheit. Wäre das ein Trost?

Die Fahrt kommt einem endlos vor. Es ist heiß, die Luft über dem Gleisgewirr zittert. Pappelsamen fliegt im Abteil herum. Ein alter S-Bahnwagen mit Holzbänken, wie es sie in Westberlin schon längst nicht mehr gibt; der Feuerlöscher wackelt, die geöffneten Fenster rappeln in den Rahmen, Türen schnellen zu mit hartem Knall. Die Stationen haben ungewohnte Namen: Ostkreuz, Wuhlheide, Rummelsburg. Vor den langen, mit Graffitis besprühten Ställen der Trabrennbahn in Karlshorst dösen Pferde in der Sonne. Es wird immer grüner, und die Menschen reden kaum und blicken aus dem Fenster mit Gesichtern, denen man wenig Humor zutraut. Viele Männer tragen Hemden mit verblichenen Mustern, unglaublichen, wie auf Sofas von Möbel-Discountern. Strohfarben das Haar der Frauen, billig der Schmuck, und der zementfarbene Teint wird noch etwas grauer, die Lippen schmaler, wenn sie bemerken, dass man sie anschaut. Obwohl sie hemmungslos gegafft haben, als Alina und er den Wagen betraten, ist ein Blick auf sie offenbar nicht erwünscht, auch kein freundlich gemeinter. In Köpenick ausgestiegen, dreht sich eine Frau noch einmal nach ihnen um, und als Wolf ihr zunickt, schüttelt sie den Kopf und geht beleidigt davon in ihren Sandalen aus dem anderen Staat.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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