Filme für den Eimer: Das Experimentalkino von Klaus Telscher - Tobias Dietrich - E-Book

Filme für den Eimer: Das Experimentalkino von Klaus Telscher E-Book

Tobias Dietrich

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Beschreibung

Das Experimentalkino von Klaus Telscher findet einen zurückhaltenden Kompromiss zwischen Detailreichtum und zynischer Herausforderung eines Publikums, das sich zu einer Zeit neu konfigurierte, in der sich videotechnische und digitale Bildpraktiken angekündigt hatten. Leichtfüßig und von handwerklicher Raffinesse, laden Telschers Filme zur Kontemplation ein und würdigen Klassiker der Fotografie- und Filmgeschichte. Zugleich fungierten sie in den 1980er Jahren als Schlaglichter in der Debatte um das Gewicht des Mediums Film in der Kunst und als Keimzelle einer hervortretenden »Bremer Ästhetik«. Neu artikulierte Formen von Subjektivität im bundesdeutschen Experimentalfilm nach 1980 richten die Aufmerksamkeit der Filmwissenschaft auf herausragende und unkonventionell persönliche Filmografien, denen bislang kaum ein nachhaltiger Stellenwert in der deutschen Filmgeschichte eingeräumt wurde. Telschers wieder bekannter werdendes Filmwerk machte ihn zu einer zentralen Einflussgröße dieser Entwicklung. Die Re-Lektüre seiner Filme untersucht seine Bedeutung in der Szene und trägt dazu bei, das deutsche Experimentalkino in dessen Nuancierungen und Verdiensten um das analoge Filmemachen aufzuarbeiten.

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Seitenzahl: 269

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

1.1. Zu dieser Ausarbeitung

1.2. Zu den zentralen Bezügen

1.3. Zum kritischen Umgang mit einer abgeschlossenen Zeit

1.4. Zur Vorgehensweise

2. Telschers Leben und Arbeit

2.1. Telschers Arbeitsweise und »Handschrift«

2.2. Der Blick auf Telscher

2.3. Persönliche Kooperationen

3. Das Bild fassen: Experimentalfilm

3.1. Theoretische Ansätze

3.2. Die deutsche Filmwirtschaft und -politik der 1980er Jahre

3.3. Der deutsche Experimentalfilm der 1980er Jahre

4. Die Rhein-Filme und deutsche Mythen

4.1. warum ist es am rhein so schön?

4.1.1. Mutter Rhein

4.1.2. Vater Albers

4.1.3. Deutsche Landschaften

4.1.4. Deutsche Reisen

4.2. Telscher-Filme und strukturelle Filme

4.2.1. besuch im fernsehstudio und zdf als ironische Leerstellen

4.2.2. Der doppelte Sinn der Telscher’schen Heimatbilder

4.3. Der Einfluss von Telschers Tätigkeit als Filmvermittler

4.3.1. Telscher beim Goethe-Institut

4.3.2. Telschers Geltung im Spiegel seiner Beobachtungen vor Ort

Interlude: Verschollenes und Wiederaufgetauchtes

5. Smoke Dreams und die Krise der Männlichkeit

5.1. Nachsommer

5.1.1. Reflexion des Films

5.1.2. Rezeption der Frau

5.1.3. Resistenz des Objekts

5.1.4. Reaktion des Mannes

5.2. Telscher-Filme und Vertreter unterschiedlicher Filmgeschichten

5.2.1. Found footage

5.2.2. Kanonisierung

5.3. Die Reichweite von nachsommer und die Hochschularbeit

5.3.1. Bedeutung der Hochschularbeit

5.3.2. Die Lehrjahre in Bremen

5.3.3. Bremer Schule

5.3.4. Über die Bremer Jahre hinaus

Interlude: Killed Darlings

6. Mona und die Kunstgeschichte

6.1. my mona

6.1.1. Vom Pin-up-Girl zur dämonischen Diva

6.1.2. Von der Abbildung zum Ideal

6.1.3. Von der Pornografie zur Erinnerung

6.1.4. Von der Mona zur Monroe

6.2. Telscher-Filme und Telscher-Filme

6.2.1. as time goes by

6.2.2. Autoreferenzialität

6.3. Der deutsche Experimentalfilm im Diskurs der bildenden Künste

6.3.1. Experimentalfilm und Kunst im Spannungsverhältnis

6.3.2. Das Spannungsverhältnis in Telschers Spätwerk

7. Filme für den Eimer

7.1. Henkel

7.2. Volumen

7.3. Boden

Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweis

Namen-, Sach- und Filmregister

Film- und Medienwissenschaft

Impressum

 

 

 

Chris, Deiner Familie.

Und meiner Familie.

Vorwort

Man fand ihn immer am großen runden Tisch gleich neben dem Eingang. Hier trafen sich bis in die 1990er Jahre die deutschen Experimentalfilmer, wenn sie zum Festival nach Osnabrück kamen. Es war ihr Stammtisch, und Klaus Telscher der Stammhalter. Er war dort zu Hause: Es war sein Tisch, an dem man sich setzte.

Der Experimentalfilm Workshop, wie das Festival damals hieß, folgte dem ursprünglichen Gedanken einer Bewegung, wie sie in den USA entstand und sich im Zuge der Politisierung in den 1960ern auch in Europa etablierte: die Arbeit am unabhängigen Film als gemeinsamem Fokus. Eine zentrale Idee eines Workshops war der gegenseitige Austausch über die Arbeiten. Festivals wie das legendäre EXPRMNTL im belgischen Knokke, das in seinen letzten beiden Editionen 1967 und 1974 den Undergroundfilm aus den USA nach Europa brachte, fungierten darüber hinaus als internationale Begegnungsstätten und als öffentliche Plattform. Auch in Osnabrück pflegte man den Austausch über die gezeigten Arbeiten – nicht nur vor Publikum, sondern auch zu später Stunde an Telschers Stammtisch oder beim Frühstück in Telschers Wohnung.

Die 1980er Jahre sind eine Zeit, in der sich Videokünstler*innen und Experimentalfilmer*innen in Osnabrück bestenfalls misstrauisch begegnen, ihre Werke werden zwar gleichberechtigt, aber an verschiedenen Orten getrennt voneinander vorgeführt. Die Umbenennung des Experimentalfilm Workshops in Medienkunstfestival führt 1988 diese Parallelwelten zusammen und markiert gleichzeitig den Übergang ins digitale Zeitalter. Telschers Werk bleibt davon unberührt analog, tief verwurzelt in der Geschichte und Materialität des Azetatfilms. 1994/95 legt er in den satten Schwarzweiß-Kontrasten von ORWO-Material den abendfüllenden LA REPRISE vor und erhält dafür auf dem Festival den Preis der Deutschen Filmkritik.

Seither ist der Stammtisch verwaist. Eine plötzliche Krankheit beendet frühzeitig Telschers Schaffen als Filmemacher, aber auch seine Tätigkeiten als Unterstützer, als Lehrender, als Filmvermittler. Rechtzeitig zum 60. Geburtstag erscheint 2015 eine DVD mit seinen Arbeiten, herausgegeben vom Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. und dem European Media Art Festival, redaktionell betreut von Christine N. Brinckmann, die Telscher in seiner Karriere wertschätzend begleitet hat. Das zugehörige kleine, aber feine Booklet enthält aufschlussreiche Texte zu einzelnen Filmen von zeitgenössischen Kritiker*innen und Kurator*innen. Mit der vorliegenden Publikation erweitert sich diese Perspektive um eine Auseinandersetzung mit der Person und ihren Filmen im Kontext der 1980er/90er Jahre in Deutschland.

Tobias Dietrich verortet nicht nur die thematischen Eckpunkte der Filme, sondern begibt sich auf die Fährte der Spuren, die Telscher als Person hinterlassen hat. Eine dieser Spuren ist dessen Lehrauftrag an der Filmklasse der Hochschule für gestaltende Kunst und Musik in Bremen, deren Studierende einen Stilwillen entwickeln, der in Osnabrück (und anderswo) als Bremer Schule gelabelt wird. Dietrich interviewt im Vorfeld der Arbeit Studierende dieser Zeit wie auch befreundete Filmemacher und Festivalkuratoren. Durch einen glücklichen Zufall entwickeln sich eine Nähe und ein reger Austausch mit der Familie Telschers. Eine wichtige Quelle ist dabei dessen Lebensgefährtin Dagmar Große-Börding, die in einigen Filmen auch als Darstellerin zu sehen ist. Sie unterstützt Dietrichs Arbeit, indem sie eigene Berichte beisteuert, ihm private Dokumente zugänglich macht und Begegnungen mit dem bis heute sprachlich eingeschränkten Klaus Telscher moderiert.

Wie Telscher und sein Werk selbst steht diese Art filmischer Geschichtsschreibung in der Tradition des aus heutiger Sicht klassischen Experimentalfilms. Dessen Theoriegeschichte stellt ein Netzwerk aufeinander bezogener Diskurse dar, das sich zu Teilen aus Selbstdarstellungen und den kritischen, gegenseitigen Besprechungen der Filmemacher*innen zusammensetzt. Vor allem die Vertreter des New American Cinema und des amerikanischen Underground, wie auch die britischen Strukturalisten waren untereinander befreundet und teilten filmpolitische wie filmästhetische Ansichten, die zur zentralen Referenz für die Rezeption ihrer Filme wurden. In Deutschland wurde diese Bewegung von Birgit Hein als teilnehmender Zeitgenossin kuratorisch und publizistisch erschlossen. Eine spezifische Darstellung des sich anschließenden, jüngeren deutschen Experimentalfilmschaffens steht noch aus.

Die vorliegende Publikation kann als exemplarischer Baustein zu einer Geschichte des deutschen Experimentalfilms gesehen werden, der in den 1980/90er Jahren von persönlichen narrativen Formen geprägt ist, in denen das Erbe des strukturellen Kinos aufgearbeitet wird. Die Lektüre des Buches ist eine Einladung, an Klaus Telschers Stammtisch Platz zu nehmen.

Christine Rüffert

»Whatever you now find weird, ugly, uncomfortable and nasty about a new medium will surely become its signature. CD distortion, the jitteriness of digital video, the crap sound of 8-bit – all these will be cherished and emulated as soon as they can be avoided«– Brian Eno (1996: 283).

 

1. Einleitung

Klaus Telscher ist ein deutscher Filmemacher, aus dessen Schaffensperiode zwischen 1977 und 1995 über 40 Experimentalfilme hervorgegangen sind, zumeist aus eigener Hand, aber auch unter Regie vertrauter Kolleg*innen. Zum ausgehenden 20. Jahrhundert – bevor der videotechnische und digitale Medienwandel einsetzte – war Telscher eine zentrale Figur des analogen Experimentalfilms in Deutschland und einer der letzten vehementen Vertreter der fotografischen Filmproduktion. Mit seiner Filmtechnik gewann er dem fotografischen Medium viele unergründete Facetten ab. Im Zuge der digitalen Revolution und den damit einhergehenden Interessenverschiebungen in der Filmpraxis konnten diese jedoch nicht weiterentwickelt werden. Noch war es möglich, sie tiefgehend zu analysieren oder ihre Möglichkeiten für weitere Auseinandersetzungen mit dem analogen Bildträger zu erkunden.

Obwohl der Filmemacher seinerzeit sehr erfolgreich war, sind seine oft ironischen Filme heute – mehr als 20 Jahre nach seiner letzten Filmveröffentlichung – weitestgehend unbekannt. Ebenso nimmt seine bevorzugte Filmgattung, der Experimentalfilm, kulturell nach wie vor einen peripheren Platz ein. Diese Arbeit erforscht den Künstler Telscher und seine Filme in Bezug auf ihre Rolle im deutschen Experimentalkino. Dabei wird auch untersucht, inwiefern sich Telschers Werk und die deutsche Experimentalfilmszene der 1980er und frühen 1990er Jahre gegenseitig beeinflussten.

Telscher verstand es, dem Publikum und den Kolleg*innen einen Spiegel vor Augen zu halten, der ihnen ihren eigenen Umgang mit dem Filmmedium aufzeigte und diesen teils infrage stellte. Einmal den scherzhaften Affront erkannt, entdeckt man die reichhaltige und vielschichtige Komplexität seines Werks. Als jemand, der die Selbstironie so sehr schätzt wie Telscher, beabsichtige ich mit dem Titel dieser Arbeit, ein ihr ebenbürtiges Pendant zu liefern: Filme für den Eimer – und für noch viel mehr.

Zweck meiner Arbeit ist es, das Filmwerk Telschers aufzuarbeiten und ein theoretisches Fundament zur Verfügung zu stellen, auf dessen Basis die Filme in der Fachwissenschaft und Kunst weiterdiskutiert werden können. Ich thematisiere Telschers Bedeutung in der deutschen Experimentalfilmkultur der 1980er Jahre und der ersten Hälfte des Folgejahrzehnts. Die grundlegende Fragestellung lautet: Welchen Stellenwert haben die Filme Klaus Telschers in der deutschen Filmgeschichte? Zur angemessenen Beantwortung der Frage gehe ich in erster Linie von den Filmen selbst aus, um auch aufzuzeigen, dass Telschers Filme selbst auf seinen Stellenwert verweisen und er sich in ihnen manifestiert. Die Filmanalysen werden unterstützt durch Festivalberichte und Ankündigungstexte in Festivalkatalogen, durch unveröffentlichte Dokumente aus dem Privatarchiv der Familie Telscher und durch Gespräche mit Telschers Vertrauten, die zahlreiche Einblicke in Telschers Arbeit gewähren.1

Diese Studie entstand in enger Kooperation mit Telschers Familienkreis, der mit der Bereitstellung von Dokumenten über Telschers Tätigkeiten, mit Kontakten und anekdotischem Wissen Wesentliches zu ihrer Form beitrug.2 Insbesondere unveröffentlichte Manuskripte, Urkunden und Korrespondenzen, in die mir Einblick gewährt wurde, formen einen erheblichen Korpus an grauer Literatur. Viele dieser Quellen liefern wichtige Belege für die vorliegende Arbeit.3

 

 

Die Analyse der Quellen ist der Überprüfung der Hauptthese dienlich: Telscher war eine Keimzelle innerhalb der deutschen Experimentalfilmkultur jener Zeit, er hat einen maßgeblichen Beitrag zu deren Fortbestehen erbracht und dies auch in seinen Filmen sichtbar kommuniziert. Die Darstellung seiner Arbeit kann nur zufriedenstellend und vollständig erfolgen, wenn Telschers Kunst und Person im Zusammenspiel betrachtet werden. Seine Filme und sein Leben müssen daher auch zusammen gedacht werden, denn die Grenzen dazwischen waren in Telschers Schaffensperiode fließend. In der Literatur wurde Telschers Bedeutung bislang nur an seinen Filmen festgemacht. Damit wird jedoch nur auf einen Teil seines Schaffens eingegangen. Aus diesem Grund öffne ich den Wirkungsbereich der Telscher-Filme und erörtere auch ihre Rolle in der deutschen Experimentalfilmszene der 1980er Jahre. Zentrale Untersuchungsgegenstände sind deshalb sowohl Telschers Filmo- als auch seine Biografie.

 

1.1. Zu dieser Ausarbeitung

Grundlegend für die Studie sind insgesamt 165 Dokumente und Textstücke. Der Stock an Textdokumenten umfasst Portraits, Interviews, Artikel in Fachzeitschriften sowie Zeitungen und Ehrungen. Ebenfalls gehören Texte aus Telschers Feder dazu, z.B. Festivalkatalogtexte, Briefe, Produktionsnotizen, Anträge, Vortragsmanuskripte, Berichte usw. Unter dem Material sind auch internationale Zeitungsartikel u.a. aus der New York Times, aus den Cantrills Filmnotes, Melbourne, aus dem indischen Pune, aus Toronto und Montréal.

Von den 165 Dokumenten ist mehr als ein Drittel unveröffentlicht. Diese Menge an grauer Literatur erschwert eine wissenschaftliche, überprüfbare Bearbeitung der Thematik. Die meisten Texte sind zahlreiche vereinzelte Beiträge verschiedener Urheber*innen, und die Erwähnung Telschers erfolgt zumal nur im Kontext anderer Schwerpunkte und Anlässe. Telschers Arbeit war somit zwar einem weiter gestreckten Kreis ein erwähnens- und besprechenswerter Gegenstand. Aber eine Recherche zu Telscher erweist sich deshalb als besonders schwierig, weil die kursorische Suche nach Titelstich- oder sogar Schlagworten durch die wahllosen Erwähnungen hier und da nur mit Einschränkungen gelingen kann. Meine Recherche war nur dank der Einsicht ins umfangreiche Privatarchiv der Telscher-Familie erfolgreich, das wohl die meisten Artikel und verborgenen Geschichten aufbewahrt. Fachwissenschaftliche Texte, die sich ausschließlich mit Telscher befassen, gibt es bisher keine. Noch wurde das Telscher’sche Kino in der Literatur systematisch erfasst – insbesondere nicht in Zusammenhang mit seiner Arbeit außerhalb filmpraktischer Aktivitäten.

Ich verwende den Kino-Begriff in Anlehnung an Pauleit (2010: 30) in einem erweiterten Verständnis einer kulturellen Institution und spezifischen Praxis:

»Der Begriff ›Kino‹ zielt insbesondere auf die Erfahrungshorizonte des Zuschauens, die zugespitzt auch als ›Kino-Denken‹ gefasst werden können. Kino-Denken, das meint jenseits konkreter Filme ein assoziatives, vom Film inspiriertes Denken in Montagen von Texten, Bildern, Körpern, Tönen, Geräuschen, Geschichten, Zeiten und Räumen, die sich nicht auf ein abgeschlossenes filmisches Artefakt zurückrechnen lassen« (ebd.).

Ferner konfrontiert vor allem die Bestimmung des Experimentalfilms die Wissenschaft immer wieder mit ihren Grenzen, da sie etwas klar definieren will und muss, was sich nicht definieren will und lässt. Hans Scheugls Lexikon des Avantgarde-, Experimental- und Undergroundfilms(2001) bemüht sich um umfassende und zutreffende Beschreibungen jener divergierenden Bezeichnungen. Erstens hat sich der Begriff »Experimentalfilm« aber seit Mitte der 1970er Jahre stark erweitert; und zweitens begnügten sich die betroffenen Filmemacher*innen selten mit einem Label – egal welcher Nomenklatur: Ob Material-, Underground-, Avantgarde-, unabhängiger oder Experimentalfilm, die Filmpraktiker verstanden ihren Gegenstand nicht zufriedenstellend mit einer dieser Bezeichnungen abgedeckt oder auch nur ansatzweise tangiert (vgl. Camper 1986: 112ff.). Der Name »Experimentalfilm« werde leicht wörtlich genommen und erfahre etwas Vorläufiges, als befände sich das ästhetische Objekt noch in der Phase des Prototyps, wodurch er sich abwertend und irreführend auswirke (vgl. Brinckmann 1993: 417). Dennoch setzt er sich in den filmwissenschaftlichen Beschreibungen immer wieder durch, und vielleicht liegt Günter Minas mit seinen Überlegungen hierzu richtig: »Je weiter sie [die Filme, Anm. T.D.] in sinnliches, wahrnehmungspsychologisches Neuland vordringen, je unsicherer der Ausgang des Experiments ist, desto eher kann man von experimentellen Filmen sprechen« (Minas 1989: 246).

Experimentelle Filmarbeit meine eine Positionierung im Feld der Bildherstellung mit der Fähigkeit, den etablierten, verborgenen filmsprachlichen Codes kritisch gegenüberzustehen (vgl. Tscherkassky 1989: 5). In erster Linie ist der Experimentalfilm also als ein kulturelles Erzeugnis mit besonders hervorstechender Ästhetik zu betrachten, was auch auf die Telscher-Filme zutrifft. Sie laden zu einer kontemplativen Betrachtung ein und irritieren, um gegebene Blickstrukturen offenzulegen und zu hinterfragen. In Anlehnung an die beiden Definitionsansätze behalte ich den Begriff bei.

Die Experimentalfilmszene Ende der 1960er Jahre in Deutschland war zu einer kulturellen Strömung mit einem starken öffentlichen Interesse angewachsen und hat sich durch einen Paradigmenwechsel zu Beginn der 1980er neu belebt. Vor diesem Hintergrund scheint es ratsam, den Begriff der Szene näher zu bestimmen. Ronald Hitzler und Arne Niederbacher definieren ihn als eine locker abgesteckte, offene und dynamische Netzwerkform, in der sich unbestimmt viele beteiligte und periodisch wechselnde Personen und Personengruppen nach thematischem Fokus vergemeinschaften (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010: 15ff.). Die Herausbildung einer Szene sei an die ständige kommunikative Vergewisserung und vor allem an der ständigen kommunikativen Erzeugung gemeinsamer Interessen der Mitglieder gebunden (vgl. ebd.: 17). Daher sind Szenen also insbesondere ein Kommunikations- und Interaktionssystem. Ein essenzieller Bestandteil sei, dass sich Szenen um einen elitären Organisationskern strukturierten, der vororganisierte Veranstaltungen zur Unterhaltung und zum Austausch nach szenetypischen, ästhetischen Kriterien anbiete, in denen ein Zugehörigkeitsgefühl hergestellt, aktualisiert und intensiviert werde (vgl. ebd.: 21ff.). Von diesen Merkmalen ausgehend erarbeitet die vorliegende Studie die bundesdeutsche Experimentalfilmkultur zwischen 1980 und 1995.

1.2. Zu den zentralen Bezügen

Die aussagekräftigen Texte von Christine N. Brinckmann, Ingo Petzke, Birgit Hein und Johannes C. Tritschler fundieren das Wissen über den deutschen Experimentalfilm. Brinckmann (1983; 1989; 1993; 2015) hat die Funktion der Filmwissenschaftlerin, Filmemacherin und vielmehr noch die der Künstlerfreundin inne. Deswegen eröffnen ihre Texte aus der lateralen, begleitenden Perspektive unerlässliche Einsichten in das Experimentalfilmschaffen um Telscher. Brinckmanns fachversierte und eloquente Texte schaffen es, Telschers kryptisches und schwer verständliches Werk zutreffend zu beschreiben, ohne es zu verfälschen. Ihr Engagement zur Digitalisierung der Filme und Sammlung filmbegleitender Texte rückt Telschers Filme nach einer 20-jährigen Pause wieder ins Licht der Öffentlichkeit und bietet neue Ansatzpunkte, sich mit den Filmen zu beschäftigen.

Petzke (1989) tritt in der Funktion des Organisators experimentalfilmischer Einrichtungen auf: Er hatte erstens als Gründungsleiter des Experimentalfilm Workshops Osnabrück (EWO), zweitens als Leiter des Osnabrücker Experimentalfilmverleihbetriebs »Cine Pro«, drittens als Volkshochschullehrer und viertens als entscheidender Mitarbeiter an den Experimentalfilmprogrammen des Goethe-Instituts einen Überblick über aktuelle künstlerische Strömungen, der sich deutlich in seinen Texten niederschlägt.

Heins (1971; 1977; 1989) Arbeiten zum experimentellen Film der 1960er und 1970er Jahre sind vor allem hinsichtlich der Anknüpfungspunkte des Films zur bildenden Kunst aufschlussreich und geben einen guten, gebündelten Überblick. Als Filmemacherin, Kuratorin, international arbeitende Akteurin und Propagatorin des deutschen Experimentalfilms leistete sie einen entscheidenden Beitrag zu Telschers Werdegang. Heins besonderer Verdienst ist, dass sie die Experimentalfilmgeschichte in einen Kontext der Subjektivierung ihrer Betreiber*innen stellt. Hein verknüpft bewusst die wissenschaftliche Herangehensweise mit einer Künstlerinnen-Perspektive, gespeist aus ihren eigenen Erfahrungen. So offenbarte sie sich: »Bis zu ›Film als Film‹ [1977, Anm. T.D.] habe ich mich zu dieser Objektivität gezwungen und über Filme und Filmemacher geschrieben, die mich nicht interessieren. Heute kann ich das nicht mehr« (Hein/Hein 1985: 3).

Tritschler (1987a, b und c; 1988; 1992; 1994; 1997) begleitete Telschers Werdegang und dokumentierte viele seiner Filmvorführungen. Als Mitglied des Kommunalkinos Freiburg setzte er sich für den Erhalt alternativer Filmformen ein und leistete einen essenziellen Beitrag dazu, Telschers Filme für die Nachwelt zu erhalten. Es muss darauf hingewiesen werden, dass seine Beschreibungen im Eifer seines Enthusiasmus und seiner leidenschaftlichen Vorliebe für die Telscher-Filme teils stark affirmativ sind. 1992veröffentlichte Tritschler zum ersten Mal sein Telscher-Portrait im Rahmen der Reihe von Experimentalfilmer-Portraits in epd Film. In jeweils erweiterter und überarbeiteter Version wurde es 1994 (in Out of Depression) und 1997 (Millennium Film Journal, in englischer Fassung) re-editiert und dient auch als Einleitung der vom Osnabrücker European Media Art Festival (EMAF) herausgegebenen Anthologie Filme von Klaus Telscher(1992). Zum einen sorgte Tritschler mit den Wiederveröffentlichungen stetig dafür, dass Telschers Name in Erinnerung blieb. Betrachtet man zum anderen Tritschlers Texte zusammen mit denen Brinckmanns und den vielen Anthologien,4 die sich alle auf sich selbst beziehen bzw. verschiedene Artikelfragmente bemühen, lässt sich eine interessante Eigenart der Telscher-Literatur feststellen: Die sich stets selbst wiederaufgreifende Sekundärliteratur spiegelt Telschers Filmografie. Die Versionen sind genau so zahlreich und fluktuierend, wie Telschers Versatzstücke der stetig neugeschnittenen Filme selbst. Der englischen Portrait-Fassung von 1997 sind sogar markierte Fragmente der anderen Autoren, die sich auch in den Anthologien finden, einverleibt.

Die Telscher-Literatur setzt den Startpunkt des filmischen Schaffens interessanterweise stets bei ENTWICKLUNGSSTÜCKE (D 1979/80). Sie findet oft gewisse, das Bild abrundende Formulierungen, wie bspw. »ENTWICKLUNGSSTÜCKE, wo sich bereits einige für ihn [Telscher, Anm. T.D.] typische Merkmale ausmachen lassen […]«oder »ENTWICKLUNGSSTÜCKE kann als Visualisierung eines wichtigen Aspektes der Filme Telschers verstanden werden« (Tritschler 1992: 12). Brinckmann nennt explizit ENTWICKLUNGSSTÜCKE und LA REPRISE (D 1994) in ihrer Besprechung und setzt die beiden Filme so als Pfeiler, auf denen Telschers Gesamtwerk seinen Bogen spanne (vgl. Brinckmann 1989: 1).5

So verlockend solche Beschreibungen auch anmuten, fußt die Schein-Chronologie doch auf falschen Tatsachen. Denn es handelt sich bei ENTWICKLUNGSSTÜCKE nicht um Telschers erste Arbeit mit größerer Öffentlichkeit,6 sondern eher um seine erste nicht-studentische Arbeit. Das evoziert eine Zäsur zwischen Telschers noch erhaltenen Filmen und den studentischen Frühwerken, die jedoch noch versatzweise in seinen späteren Filmen auftauchen. In ENTWICKLUNGSSTÜCKE, ALEXANDERSCHNEE (D 1981) und in Versionen von AUS DEM HINTERLAND (D 1979) findet z.B. OH MOVIE (D 1979, Abb. 1–2) seine Wiederverwendung (vgl. Telscher 1981: 64; 1982a: 30f.). Leichtfertig konstruiert sich so eine Logik hinter der Entwicklung des Telscher-Werks, die den Blick auf das Œuvre verstellt – und zwar unter Auslassung der Zeit, in der Telscher erste Erfahrungen sammelt und die, wie ich zeigen werde, äußerst prägend für Telscher war. Die Beschreibungen des Telscher’schen Werks versuchen sich häufig darin, das Œuvre ganzheitlich zu fassen. Sie implizieren so aber ein Bild einer linearen Kette abgeschlossener Phasen, das die komplexen Beziehungen der Telscher-Filme untereinander und die Mehrdimensionalität innerhalb seines Werks negieren kann.

1.3. Zum kritischen Umgang mit einer abgeschlossenen Zeit

Telschers Werkgeschichte hat sich vor dem Zeitalter der Digitalisierung abgespielt und weist einen starken Bezug zur Materialität des analogen Filmstreifens auf. In Anbetracht dessen reflektiert diese Arbeit auf einer Meta-Ebene auch, wie in der aktuellen Filmwissenschaft über historische Verläufe des Experimentalfilms geschrieben werden kann.7 Ein zwangsläufig retrospektiver Blick8 birgt die Gefahr, nicht auf Veränderungen während eines chronologischen Prozesses einzugehen. Geschichte wird dann nicht als Prozess, sondern als abgeschlossenes Ganzes betrachtet. Dies droht insbesondere im Falle Telscher, führte sein Schicksal die vielen verschiedenen, niemals fertiggestellten Versionen seiner Filme doch vorzeitig zu einem notgedrungenen Abschluss. Mit diesem Zustand muss die Filmwissenschaft nun arbeiten. Bei der Analyse der Literatur ist es daher notwendig, zu beachten, welche Filmfassung dem bzw. der jeweiligen Autor*in vorlag.

Telschers Schaffensperiode kann und sollte nicht als abgeschlossene Zeit dargestellt werden. Wir müssen von einem offenen, erweiterbaren Werkverständnis ausgehen, auch damit der zentralen Figur keine Überhöhung widerfährt. Die Arbeit spiegelt dies u.a. daran, wie Telscher das Prinzip der kunstgeschichtlichen Kanonisierung verhandelt: Telscher thematisierte deren Mechanismen, woran sich der Konflikt erschließt, der in Telscher gerührt haben muss, zwischen einer Aufnahme im Kunst- bzw. Experimentalfilmsystem und der Rebellion gegen die Aufnahme. Sobald sich die Avantgarde in Abgrenzung zum Mainstream positioniert, geht es stets auch um hegemoniale Machtverhältnisse, die die Avantgarde in eine untergeordnete Filmdomäne verweisen (vgl. Arthur 1986: 84). Telscher auf den Künstlersockel zu setzen, bedeutet in dieser Hinsicht auch, diesem System zu folgen. Anstelle der Fortschreibung des Subtexts, der die Weitertradierung filmbezogener Ordnungssysteme impliziert, betrachte ich Telschers Experimentalfilme daher nicht in Konkurrenz zum Mainstream (s. dazu auch Gregor 1989: 15). Eher möchte ich vorschlagen, dass seine Filme insofern einen umfassenderen Blick auf den Bereich des kommerziellen Spielfilms anbieten, als sie dessen Strukturen aufgreifen, damit spielen und ihn kommentieren. So gesehen ist von der These auszugehen, dass die Telscher-Filme auf einer übergeordneten Ebene einen wesentlichen Beitrag zu einer gesamtdeutschen Filmgeschichtsschreibung bilden.

1 Filmstill aus ENTWICKLUNGSSTÜCKE.

 

2 Szenenabzug von ALEXANDERSCHNEE.

 

1.4. Zur Vorgehensweise

Um diese These zu einer belastbaren Argumentation zu führen, gehe ich in dieser Arbeit wie folgt vor: Nach einer Nachzeichnung von Telschers Lebensweg im zweiten Kapitel spannt Kapitel 3 den theoretischen Rahmen für das Verständnis des Hauptteils. Ausgehend von einer allgemeinen Experimentalfilmtheorie und der filmwirtschaftlichen und -politischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland der 1980er Jahre werde ich das Feld auf den deutschen Experimentalfilm dieses Jahrzehnts einengen.

In dem darauf folgenden Hauptteil wird die Linearität meiner Argumentation zugunsten eines tableau-artigen Vorgehens aufgehoben: Kapitel 4, 5 und 6 fächern die wesentlichen Themenbereiche in Telschers Filmografie jeweils im Dreierschritt auf. Die Themenbereiche ergeben sich aus der Fragestellung, welche Bedeutung Telscher in der Experimentalfilmszene hatte; die drei Blöcke bilden sich aus Telschers Beschäftigung mit einem sogenannten urdeutschen Geist, mit dem Bild des Mannes in einer vermeintlichen Krise und mit kunstgeschichtlichen Referenzen. Dafür eignen sich drei Beispielsequenzen aus Filmen, die eine herausragende Rolle in Telschers Filmografie spielen: WARUM IST ES AM RHEIN SO SCHÖN? (Kapitel 4), NACHSOMMER (Kapitel 5), beide von 1987, und MY MONA von 1992 (Kapitel 6). Die Filme repräsentieren gleichzeitig verschiedene Stationen in Telschers Filmografie.

Bei der Analyse gehe ich wie beschrieben in Dreierschritten vor. Als erstes analysiere ich je einen der Filme und seine wesentlichen inhaltlichen und formalen Eigenschaften. Zweitens erläutere ich jeweils, wie die Bezugnahme auf andere Filme Telschers Stellenwert in der Experimentalfilmgeschichte manifestiert. Drittens werden Telschers andere, nicht-filmpraktische Tätigkeiten auf die exemplarischen Filme rückbezogen, um die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Aktivitäten aufzuzeigen. Durch die Dreierschritte sollen die Kapitel, die sich mit Telschers Stellenwert in der Experimentalfilmgeschichte beschäftigen, und diejenigen über seine weiteren Aktivitäten auf die entsprechenden Filmformen rückgekoppelt werden. Ziel ist es, das komplexe Verhältnis der Eckpunkte in Telschers Wirken schlaglichtartig zu entwirren. Die drei Themenblöcke werden mit Interludien verknüpft, welche die Nahtstellen zwischen den einzelnen Filmen aufzeigen.

20

Kapitel 7 führt die inhaltlichen Stränge der Analyse zu einem Ganzen zusammen.Alle Filme komplett abzudecken, kann angesichts der verschiedenen Fassungen und Überschneidungen in Telschers Filmen nicht gelingen. Vielmehr betrachte ich das Gesamtwerk anhand der spezifischen Schlüsselszenen daher im Querschnitt. Ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass vor allem LA REPRISE und GREAT KENDO COMMERCIAL (D 1985) dadurch unterrepräsentiert bleiben, was ihrer Rolle in der Filmografie leider nicht gerecht wird.

Filmografie Klaus Telscher

JAHR

FILMTITEL, ANMERKUNGEN

QUELLE

1978

A HOLLYWOOD FLASHBACK

Telscher 1980b: 1

BESUCH IM FERNSEHSTUDIO

Telscher 1980b: 1

BOLEX

Telscher 1980b: 1

LIGHT AND WINDOW

Telscher 1980b: 1

SNOWFIELDS I

Telscher 1980b: 1

UNTER DEN LINDEN

Tritschler 1994: 32

1979

AUS DEM HINTERLAND

Telscher 1981: 64

BLACK IN PROGRESS I und II

Telscher 1980b: 1

SNOWFIELDS II

Tritschler 1994: 32

STECHPALMENWALD

darin: BALLAD OF THE ABSCENT MARE | BLACK IN PROGRESS | DAS EREIGNIS | OH MOVIE | UP AND DOWN | ZDF

Telscher 1979a

ZDF

Uraufführung: 20.2.1980, 30. IFF

IFF/Freunde d. dt. Kinemathek 1989: 2

1980

ENTWICKLUNGSSTÜCKE

mehrere Versionen, darin enthalten:

BALLAD OF THE ABSCENT MARE | BEI DER GARTENARBEIT | BESUCH IM NEGERDORF | CASABLANCA | DAS EREIGNIS I und II | KOMM AUF DIE SCHAUKEL | OH MOVIE | SICHER UND WARM | WENN EIN WORT IN BILDERN REDEN KANN | WENN PETER KOMMT | WIPPE I und II

Uraufführung: 20.2.1980, 30. IFF

IFF/Freunde d. dt. Kinemathek 1989: 2

Telscher 1980b: 1

Telscher 1988a: 8

DIE VÖGEL

Metropolis 1980

1981

ALEXANDERSCHNEE

Uraufführung: 8.–10.1.1982, 2. EWO

Tritschler 1994: 32

1982

EASTMANS REISEN

darin: AUS DEM HINTERLAND | DER DEUTSCHE WALD | KANN DIE LIEBE SÜNDE SEIN

Uraufführung: 8.–10.1.1982, 2. EWO

Tritschler 1994: 32

Telscher 1983c: 2

AMERICAN HOTEL (LIVING ROOM, PART I und II)

Arbeitstitel (AT): Aus der neuen Welt

Uraufführung: Dezember 1982, Arsenal

Telscher 1983d: 1

Lohmann 1985: 24

FILME VON GESTERN

darin: EUER HERZ DEM TIER | MUH-KUH I und II | TANGO

Telscher 1988a: 8

1983

BEI UNS DAHEIM

Coldewey 1985a: 2

EUER HERZ DEM TIER

Uraufführung Einminüter: 7.–9.1.1983, 3. EWO

Uraufführung 18-Minüter: 6.–8.1.1984, 4. EWO

Richard 1983: o.P.

Kötz 1984b: 2

TIERE VOR DER KAMERA

Telscher 1988a: 8

1984

AUS DER ALTEN WELT

Tritschler 1994: 32

 

1985

GREAT KENDO COMMERCIAL (LIVING ROOM, PART III)

Uraufführung: 12.2.1985, Clermont-Ferrand

Telscher 1985b: 44

Coldewey 1985a: 1

LAGO MAGGIORE

M. 1985: 16

FATALE FEMME

Regie: Claudia Schillinger, Regie-Assistenz: Klaus Telscher

Dt. Filminstitut/ DIF e.V.: o.J.

DIE BESEITIGUNG EINES HINDERNISSES, DAS RÄTSEL UND DIE LÖSUNG

Regie: Hans-Joachim Hofmann, Kamera: Klaus Telscher

Hofmann 1996: 22

KEHRWIEDER

Regie: Hans-Joachim Hofmann, Darsteller: Klaus Telscher

Hofmann 1996: 23

1986

AM SEE

Tritschler 1994: 32

AS TIME GOES BY (TRAILER ZU DAS HERZ DER DINGE)

Uraufführung: 29.5.–1.6.1986, 6. Internationaler EWO

Telscher 1986a: 8

GEWALT UND LEIDENSCHAFT

Tritschler 1994: 32

MUTTER RHEIN

Uraufführung: 29.5.–1.6.1986, 6. Internationaler EWO

Tritschler 1994: 32

1987

WARUM IST ES AM RHEIN SO SCHÖN?

AT: Mutter Rhein

Tritschler 1994: 32

EIN SÄNGER LEBT LÄNGER

Telscher 1987b: 1

NACHSOMMER

Erstausstrahlung: 19.1.1987, ZDF

Neufassung: 21.2.1987, 17. IFF

IFF/Freunde d. dt. Kinemathek 1987: 1

PARAMOUNT

Regie: Stephan Sachs, Darsteller: Klaus Telscher

IFF/Freunde d. dt. Kinemathek 1987: 2

WENN DER HAARWUCHS LÄSTIG WIRD

Regie: Anja Telscher; Kamera: Klaus Telscher

Dt. Filminstitut/ DIF e.V.: o.J.

1988

ON THE BALANCE

Uraufführung: 9.9.1988, 1. EMAF

Neufassung: 11.2.1989, 19. IFF

IFF/Freunde d. dt. Kinemathek 1989: 2

1989

EMPATHIE UND PANISCHE ANGST

Regie: Christine N. Brinckmann, Kamera/Schnitt: Klaus Telscher

Tritschler 1994: 32

EX-1/9

Workshop-Projekt mit Pune-Studierenden

Sarukkai-Chhabria 1989: 19

1990

IN ROUGE

Uraufführung: 12.-16.9.1990, 3. EMAF

Tritschler 1992: 14

1992

HER MONA

AT: Beluga

Uraufführung: 2.–6.9.1992, 5. EMAF

Tritschler 1994: 32

MY MONA

AT: La Gioconda oder das Lächeln der M.L.

Uraufführung: 2.–6.9.1992, 5. EMAF

Tritschler 1994: 32

1995

LA REPRISE

AT: Les Mystères de Chateau de Dés – Tryptichon für eine vergessene Villa

Uraufführung: 18.2.1995, 26. IFF

Telscher 1993b

DAS HINTERZIMMER

Regie: Regina Höllbacher, Darsteller: Klaus Telscher

sixpackfilm 2006: 85

3 Auswahl an Notizen aus Telschers Archiv.

2. Telschers Leben und Arbeit

Klaus Telscher, 1955 in Osnabrück geboren, studierte von 1976 bis 1979 Flächengestaltung (Grafikdesign) an der Hochschule für gestaltende Kunst und Musik Bremen (kurz HgKM), der heutigen Hochschule für Künste Bremen. Von 1980 bis 1983 folgte nebenberuflich ein Studium der Medienwissenschaft an der Universität Osnabrück. In den 1980er und frühen 1990er Jahren arbeitete er als freier Filmschaffender und nebenbei als Referent des Goethe-Instituts und als Lehrbeauftragter an Kunst- und Fachhochschulen im In- und Ausland. Zusätzlich war er in Gremien aktiv, in Auswahlkommissionen in Oberhausen, Luzern und Tokyo und im Fördergremium für innovative Film- und Videoprojekte der Hamburger Filmförderung von 1987. 1990 heiratete er Dagmar Große-Börding, mit der er seit 1974 liiert war, und wurde Vater seiner Tochter Chris. Durch seine Arbeit bildeten sich enge Freundschaften etwa zu Christine N. Brinckmann, Birgit und Wilhelm Hein, Alf Bold, Gerhard Büttenbender, Manfred Arntz, Peter Tscherkassky und vor allem zu Stefan Sachs und David Larcher. Seit einem Apoplex im November 1995 kann Telscher nicht mehr selbstständig leben.

Aus Telschers Schaffenszeit von 1977 bis 1995 lassen sich insgesamt 35 Filme ausmachen. Viele seiner Filme kommen in seiner Filmografie doppelt vor, weil einzelne Filmteile aus anderen ausgegliedert oder in andere integriert wurden. Sie wurden als Vorversion veröffentlicht oder nachträglich re-editiert. So kann ungefähr ein Drittel der in der Filmografie angeführten Filme als sein Kernwerk bezeichnet werden. Nach Telschers Erkrankung wurden viele Filmkopien durch den unsachgerechten Umgang von einem Mitglied des Freundeskreises beschädigt. Heute sind noch zwölf verwendbare Filme erhalten. Sie lagern in den Archiven des EMAF und des Berliner Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. Über die Nullkopien sämtlicher Filme verfügt die Familie des Künstlers. Mit der kompilierten DVD-Edition, die Telschers enge Vertraute und Kollegin Brinckmann zu seinem 60. Geburtstag im November 2015 in Kooperation mit dem Arsenal und dem EMAF herausbrachte, sind die zwölf digitalisierten Filme und teils neu verfasste Begleittexte der Öffentlichkeit zugänglich.

2.1. Telschers Arbeitsweise und »Handschrift«

Ideen sammelte Telscher in Form loser Notizen, von denen einige in Abbildung 3 abgedruckt sind. Manche der Motive, etwa Zigaretten, ein Plattenspieler, »eine ruhige Landschaftseinstellung« hinter einem Fenster, sollen sich später in den Filmen wiederfinden. Telscher schilderte seine Arbeitsweise als willkürlich und sehr

 

4–5 Kamerablicke in BACK AND FORTH von Snow (o.) und in ENTWICKLUNGSSTÜCKE.

 

offen gegenüber Inspirationen, als lasse er sich von dem, was die gefundenen Bilder ihm sagten, leiten. Dieser intuitiven Spur folgte er, bis sich die Ansatzpunkte erschöpften und sich keine Punkte mehr finden ließen, die einen Grund für einen Neuansatz lieferten, um die Filmbearbeitung fortzuführen (vgl. Parmentier 1984: 27). Sukzessiv und sehr prozesshaft, kann das Vorgehen als ein solches bezeichnet werden, das davon abhängig ist, was dem aufmerksamen Filmemacher über den Weg läuft und was nicht:

 

»Am Anfang steht oft irgendein zufällig gefundenes Bild. Die Duschfotos aus ›American Hotel‹ [D 1982, Anm. T.D.] sind dafür ein gutes Beispiel. Ich habe sie im Papierkorb eines Fotografen gefunden. Natürlich wußte [sic] ich noch nicht, was ich damit machen soll, aber sie haben mich interessiert, und ich habe sie mitgenommen. Sie bildeten dann den Kristallisationskern für den ganzen Film. Irgendwann kam das nächste Bild dazu, dann noch eines und so ging das weiter bis der Film fertig war« (Telscher, zit. n.: Parmentier 1984: 27).9

Telscher konzipierte seine Filme mehrere Tage in kompletter Isolation, ohne die Ideen in Drehplänen oder Skripten festzuhalten. Dem wenig durchgeplanten, skriptlosen Filmemachen würde der industrielle Charakter eines eng getakteten, gezielten und dadurch geschlossenen Drehplans nicht entsprechen. Telscher setzte innerhalb weniger Tage seine Ideen auf den Punkt um. Bildkomposition sowie -perspektive elaborierte er vor dem Dreh genauestens, allein schon um das kostspielige Filmmaterial sparsam einzusetzen. So fanden die Projekte auch keinen definiten Abschluss; wenn Telscher wieder einen Grund des Umschnitts gefunden hatte, ging er ihm nach. Das Resultat sind die vielen verschiedenen Versionen seiner Filme.

6–7 Segmente aus STECHPALMENWALD: UP AND DOWN (o.) und BLACK IN PROGRESS.

Inspiriert von Michael Snows Experimentalfilm BACK AND FORTH (CDN 1969, Abb. 4),10 konzentrierte sich Telscher rasch auf diese experimentelle Form der Bildherstellung. 1979 schloss er sein Studium mit der Kompilationsarbeit STECHPALMENWALD (D 1979, Abb. 6–7) erfolgreich als Diplom-Designer ab. In ihr bezog er sich mitunter auf Klaus Wybornys Nicht geordnete Notizen zum konventionellen narrativen Film(1979) und legte bereits grundlegende Prinzipien seiner Arbeit fest. Aus der theoretischen Ausarbeitung treten besonders die Stichworte Zuschauer, Wahrnehmung und Bildsemiologie hervor:

»Das vom Zuschauer wahrgenommene Bild ist bedingt durch […] die Elemente des Mediums, als Filmmaterial, Projektion und projiziertes Filmbild. […] Der unterschiedliche Einsatz dieser filmimmanenten Mittel ermöglicht es also, sowohl das Bild als Zeichen für seinen Gegenstand mit diesem nahezu zu verschmelzen, wie auch das Bild vom Abgebildeten so zu lösen, daß das Bezeichnete in völlig anderer Form in Erscheinung tritt. Dem Zuschauer kann so die Möglichkeit gegeben werden, neue Bezüge zur Gegenstandswelt zu entdecken, die nur durch das Medium ›Film‹ produziert werden können« (Telscher 1979a: 6).

Noch während des Studiums protegierte ihn das Filmemacher- und Kurator*innen-Paar Hein. Die Heins lernten Telschers Filme direkt zu Beginn seiner Karriere kennen. Einen seiner Frühfilme, den Dreiminüter BESUCH IM FERNSEHSTUDIO (D 1978), nahmen sie gleich nach dessen Fertigstellung in ihre Nordamerika-Filmtournee »New Experimental German Filmmakers« auf (vgl. die Programmflyer des Moore College of Art 1979 und des Goethe Institute Boston 1979). Der Film reiste dank der Heins nach Montréal, Chicago, Buffalo, Pittsburgh, Philadelphia, Cambridge, Boston und New York (vgl. Telscher 1983c: 3).11

Telscher sandte den Heins den Film quasi druckfrisch zu. Das war ihm möglich, weil er das Material eigenhändig im Garten entwickelt und getrocknet hatte, wie er ihnen in einem Brief vom 3. September 1979 schrieb (vgl. Telscher, abgedr. in: Hein/Hein 1985: 97). Der Brief belegt, dass die eigenhändige Entwicklung von Beginn seines Schaffens an Teil seiner filmischen Arbeit war. Jene Herstellungsweise sollte sich schnell zu Telschers Alleinstellungsmerkmal entwickeln, das vor allem die frühen Filme auszeichnete.

Die Idee zu diesem Verfahren kam Telscher, als er seine Fotofilme in seiner eigenen Dunkelkammer mit schwarzem Vorhang und einem günstig erstandenen Vergrößerungsgerät selbst entwickelte. Foto- und Filmmaterial gleichschaltend gelang ihm die Probe. Er setzte das Entwicklungsbad im Eimer an, zog die Filmstreifen durch und hing sie im engen Badezimmer zum Trocknen an die Wäscheleine. Keine Chance für ihn und Große-Börding, dann eine Dusche oder ein Bad zu nehmen. Mit ihren Worten: »Es war absolut primitiv«.