Fliegen - Thorsten Lux - E-Book

Fliegen E-Book

Thorsten Lux

0,0

Beschreibung

Diese Parabel nimmt den Leser mit auf eine Reise und konfrontiert ihn mit verschiedenen Archetypen, die so phantastisch und zeitgleich so alltäglich daherkommen, dass man fast nicht umhin kommt die fiktiven Charaktere mit real existierenden Individuen zu vergleichen. In dieser Interaktion lernt der Erzähler sich selbst neu zu begreifen, sich mit seiner Mitwelt zu arrangieren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 56

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



»Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch […]. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.«

(Franz Kafka: Die Verwandlung)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

1

Als ich eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich auf dem Rücken liegend. Die Sonnenstrahlen drangen langsam, nach und nach, zu meinem Bewusstsein vor: zunächst bloß ein wenig, dann immer mehr. Dann wurde ich wach. Ich nahm den Blumenduft wahr, der von der lauen Luft in meine Nase getragen wurde.

Ich versuchte aufzustehen, aber meine Glieder gehorchten mir nicht. Ein tauber Schmerz erfüllte meinen Körper. Überhaupt fühlte sich mein Körper seltsam an. Und wenn ich den dröhnenden Kopf mit großer Mühe etwas anhob, schien mir mein Körper, soweit ich ihn sehen konnte, merkwürdig verändert und fleckig.

»Was ist mit mir geschehen?« dachte ich. Zunächst glaubte ich an einen Traum – einen furchtbar verstörenden Traum. Ich wollte aufwachen.

Ich versuchte meine Muskulatur anzuspannen: zuerst die Rückenmuskulatur, dann die Beinmuskulatur und schließlich die Armmuskulatur. Doch es wollte nicht gelingen.

Unter größter Mühe spannte ich den Bauch an. Immerhin: es funktionierte – wenn auch nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich ließ den Bauch wieder locker und atmete tief durch. Das war ein Anfang – etwas, mit dem ich arbeiten konnte.

»Passiert mir das gerade wirklich?« zweifelte ich. Ich hatte das Gefühl meinen Verstand zu verlieren: in mir selbst gefangen zu sein.

Ich versuchte mich zu konzentrieren. Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die wärmenden Sonnenstrahlen, auf den Blumenduft. Ich spürte wie mein Rücken den Untergrund berührte, nahm die Geräusche um mich herum wahr. Langsam beruhigte ich mich so weit, dass mein Gehirn wieder klare Gedanken produzierte und endlich auch formulierte.

Wie sollte es weitergehen? Vielleicht musste ich hier hilflos liegen bis mich jemand aus meinem Leiden erlöste, machte sich wieder Panik in mir breit. »Erlösung?« Wahrscheinlicher schien mir, dass mich irgendein Tier anfressen würde, während ich wehrlos aber bei Bewusstsein herumlag.

Ängstlich lauschte ich ob ich ein verdächtiges Rascheln vernehmen konnte. Und tatsächlich Raschelte und Knisterte es um mich herum. Kalter Schauer kroch in mir auf.

»Wenn man erwartet etwas Bedrohliches wahrzunehmen, nimmt man auch etwas Bedrohliches wahr,« versuchte mein Verstand die Panik zu bekämpfen. Vielleicht lag ich hier bis der Hungertod kommen würde.

Ich gab mir einen Ruck! Meine Muskeln reagierten: führten einen kurzen aber heftigen Impuls aus. Es folgte ein unkontrollierter Sturz in die Tiefe.

Nach kurzem Fall landete ich schmerzhaft auf dem harten Boden. Es war kein Traum! »Nicht hyperventilieren – ganz ruhig atmen,« versuchte ich der neu aufkommenden Panik zu begegnen.

Nach einer ganzen Weile gelang es mir meine Atmung zu beruhigen. Ich konzentrierte mich auf den staubigen Geschmack in meinem Mund. Es musste doch gelingen meine Gedanken soweit zu ordnen, dass ich über eine Lösung nachdenken konnte.

Es dauerte nochmals eine ganze Weile bis ich wieder soweit bei mir war und beruhigt genug war, um mich in der neuen Umgebung wahrzunehmen: den brennenden Schmerz in Armen, Bauch und Beinen, den erdigen Geruch des harten Bodens unter mir, die regen Geräusche um mich herum und das klatschende Klopfen der dicken Regentropfen auf meinem lahmen Rücken.

»Lahmer Rücken?« überlegte ich mir: »wenn ich in der Lage war den Schmerz zu empfinden, das Aufschlagen, Zerplatzen und Verrinnen der Regentropfen, dann musste es doch auch möglich sein mich zu rühren: Glieder die man spüren kann, muss man auch rühren können,« redete ich mir ein, bis ich das Gefühl hatte mir selbst zu glauben.

Nun versuchte ich erneut meine Glieder zu bewegen. Den Versuchen folgten Schmerzen und Enttäuschung. Aber schließlich gelang es, zunächst kleine, dann immer größere, Bewegungen zustande zu bringen.

»Verdammter Mist,« versuchte ich mich zu motivieren, »das muss einfach funktionieren.«

Nach einigen schmerzhaften Bauchlandungen folgten weitere schmerzhafte Bauchlandungen. Dann hatte ich mich auf meine Glieder stützend aufgerichtet. Ich verharrte in dieser Haltung und versuchte das Gleichgewicht zu halten.

»Man muss den Schmerz akzeptieren, um mit ihm leben zu können,« versuchte ich mir Mut zu machen. Ich versuchte mein Bewusstsein wieder auf die äußeren Eindrücke zu lenken: auf den Boden unter mir, der langsam vom Regen aufgeweicht wurde, auf den typischen Geruch von Regen, auf das Klatschen der Regentropfen um mich herum.

Ein beharrliches Jucken und Kribbeln auf dem Rücken lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf meinen Körper. Mein Rücken fühlte sich noch immer seltsam lahm an – so als hätte er über Nacht an Gewicht gewonnen. »Das nicht auch noch,« verzweifelte ich, »ob ich nun auch noch an Gewicht zugelegt habe?« Zumindest würde das meine Gleichgewichtsprobleme erklären.

Tatsächlich ärgerten mich die Anderen seit jeher, dass meine Beine zu dünn für meinen Bauch wären, dass ich lahm und hässlich sei.

Selbst mein Gesicht befanden sie als zu grünlich. Und tatsächlich befand ich nach vielen prüfenden Blicken in mein Spiegelbild, dass sie irgendwie Recht hatten. Mein Bauch schien mir tatsächlich groß, meine Beine vergleichsweise kümmerlich und mein Gesicht tatsächlich zu grün. Ihre Bemerkungen wurden zu meinen Zweifeln. Aus meinen Zweifeln wurde meine Gewissheit.

»Aber was nutzt solche Einsicht,« dachte ich bitter, »ich kann mich beeilen und mein Äußeres verstecken. Aber letztlich ist keine meiner Bemühungen ausreichend – nicht einmal mir selbst gegenüber.«

Ich hatte mich nicht bloß tunlichst von den Anderen zurückgezogen, sondern war selbst mein wohl heftigster Kritiker geworden. Alles versuchte ich perfekt zu machen, ständig versuchte ich mein Tun zu hinterfragen und noch besser hinzubekommen – und ständig suchte und fand ich etwas, das mich störte.

Hatte ich den Anderen tatsächlich etwas zu bieten? Immer wieder fand ich Fehler in meinem Tun, fühlte mich blamiert und verletzt. Selbst wenn mir jemand sagte, ich hätte etwas gut gemacht, konnte ich das nicht glauben. Bald erkannte ich, dass ich besonders viele Fehler machte, wenn ich krampfhaft versuchte keine Fehler zu machen. Vielleicht machte gerade das mein Leben aus.

»Die Anderen können mich mal,« dachte ich trotzig, »ich bin ich weil ich niemand anders sein kann und ich nicht anders sein kann als ich bin.«