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Der 'animalische' oder 'thierische' Magnetismus, auch Mesmerismus genannt, war zur Zeit eines Mozart oder Goethe höchst populär und bewegte Ärzte und Naturforscher, Dichter und Denker, Wissenschaftler und Laien gleichermaßen. Aber während Mozarts Musik und Goethes Dichtung heute allgegenwärtig sind, ist jenes Heilkonzept mit seinen faszinierenden Experimenten und Spekulationen in Vergessenheit geraten. Dabei hat es wie kaum eine andere Lehre das wissenschaftliche und kulturelle Leben vom ausgehenden 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beeinflusst und die von der Französischen Revolution überschattete Epoche mitgeprägt. Als der Mesmerismus mit den Fortschritten der Naturwissenschaften und der Technik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Mode kam und als okkulter Mystizismus angesehen wurde, verschwand er keineswegs von der Bildfläche. Vielmehr emigrierte er aus der Welt der Wissenschaft in andere kulturelle Sphären und hatte etwa in Naturheilkunde, Laienmedizin und Esoterik Konjunktur. Dort wurde er gerne auch als 'Heilmagnetismus' bezeichnet, um seine Eignung als allgemeines Heilmittel hervorzuheben. Die Grundidee des Mesmerismus war einfach: Da angeblich alle Körper, auch der menschliche, in ein Fluidum eingetaucht schienen, das über die Nerven auch in den menschlichen Organismus eingeleitet werden konnte, bestand die ärztliche Kunst darin, dieses Fluidum zu bündeln und gezielt auf den Kranken zu übertragen. Es gab unterschiedliche Methoden hierfür, die in der einschlägigen Literatur ausführlich dargestellt wurden: Magnetische Striche (passes) mit den Händen über die Körperoberfläche, Behandlung mit dem magnetischen Kübel (baquet) in der Gruppe oder auch einzeln, sonstige magnetische Manipulationen wie zum Beispiel das Trinken von von 'magnetisiertem Wasser. Mesmer selbst ging es, im Unterschied zu vielen seiner späteren Anhänger, weniger um 'magnetischen Schlaf' und Somnambulismus als Quelle spiritueller Erleuchtung ('Geisterseherei'), als vielmehr um die organische Heilwirkung des Fluidums. Er war von dieser quasi physikalischen Kraft überzeugt, die er durch seine magnetische Kur therapeutisch einsetzen wollte und die er als 'Fluidum' (auch 'Allflut' oder 'fluide universel' ) bezeichnete. In dieser Abhandlung sollen nun dessen magisch anmutenden Wirkungen referiert werden. Sie erinnern uns heute an Phänomene der Hypnose, der Suggestion und des Placebo-Effekts und können uns diese in einem neuen Licht erscheinen lassen.
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Seitenzahl: 197
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Gewidmet allen,
die sich für das Geheimnisvolle
begeistern können
Zur Einführung
Elektrizität und Magnetismus: Wunder der Natur
Mesmerismus: Heilmagnetismus als Universalmedizin
Somnambule „Seherinnen“: Medien der Naturoffenbarung
Sympathie: Schlüsselbegriff der Medizin und Naturphilosophie
Fluidum: Zur Licht- und Strahlenmetaphorik
Ausblick
Abbildungen
Bildquellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Der „animalische“ oder „thierische Magnetismus“ – ab dem frühen 19. Jahrhundert auch Mesmerismus genannt – war zur Zeit eines Mozart oder Goethe höchst populär und bewegte Ärzte und Naturforscher, Dichter und Denker, Wissenschaftler und Laien gleichermaßen. Aber während Mozarts Musik und Goethes Dichtung heute allgegenwärtig sind, ist jenes Heilkonzept mit seinen weitreichenden Experimenten und Spekulationen in Vergessenheit geraten. Dabei hat es wie kaum eine andere Lehre das wisschaftafltiche und kulturelle Leben vom ausgehenden 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beeinflusst und die von der Französischen Revolution überschattete Epoche mitgeprägt. Als der Mesmerismus mit den Fortschritten der Naturwissenschaften und der Technik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Mode kam und als okkulter Mystizismus angesehen wurde, verschwand er keineswegs von der Bildfläche. Vielmehr emigrierte er aus der Welt der Wissenschaft in andere kulturelle Sphären und hatte etwa in Naturheilkunde, Laienmedizin und Esoterik Konjunktur. Dort wurde er gerne auch als „Heilmagnetismus“ bezeichnet, um seine Eignung als allgemeines Heilmittel hervorzuheben.
Bereits die Romantiker hatten den Mesmerismus als ein traditionelles Volksheilmittel gepriesen, das schon immer von einfachen Leuten wie Schäfern und Landleuten eingesetzt worden sei. In der Laienmedizin fand später um 1900 die Ratgeberliteratur zum Mesmerismus und zur Hypnose, die häufig synonym verwandt wurden, große Verbreitung.1 Manche Broschüren und Handbücher zum Hausgebrauch wiesen hohe Auflagen auf. Als Beispiel sei hier auf den österreichischen Militärbeamten und Okkultisten Gustav Wilhelm Geßmann hingewiesen, der von den 1880er bis zu den 1920er Jahren zahlreiche populäre Sachbücher verfasste, darunter auch eines mit dem Titel „Magnetismus und Hypnotismus“.2Die Grundidee des Mesmerismus war einfach: Da angeblich alle Körper, auch der menschliche, in ein Fluidum eingetaucht schienen, das über die Nerven auch in den menschlichen Organismus eingeleitet werden konnte, bestand die ärztliche Kunst darin, dieses Fluidum zu bündeln und gezielt auf den Kranken zu übertragen. Es gab unterschiedliche Methoden hierfür, die in der einschlägigen Literatur ausführlich dargestellt wurden: Magnetische Striche (passes) mit den Händen über die Körperoberfläche, Behandlung mit dem magnetischen Kübel (baquet) in der Gruppe oder auch einzeln, sonstige magnetische Manipulationen wie zum Beispiel das Trinken von „magnetisiertem“ Wasser.
Das Magnetisieren wurde vielfach mit anderen Heilmethoden kombiniert, um diese zu intensivieren, etwa mit Homöopathie, Phrenologie oder Galvanismus. Mesmer selbst ging es, im Unterschied zu vielen seiner späteren Anhänger, weniger um „magnetischen Schlaf“ und Somnambulismus als Quelle spiritueller Erleuchtung („Geisterseherei“), als vielmehr um die organische Heilwirkung des Fluidums. Mesmer selbst war von dieser quasi physikalischen Kraft überzeugt, die er durch seine magnetische Kur therapeutisch einsetzen wollte und die er als „Fluidum“ – auch „Allflut“ oder „fluide universel“ – bezeichnete. In dieser Abhandlung sollen nun die magisch anmutenden Wirkungen dieses Fluidums referiert werden, soweit sie in den historischen Zeugnissen dokumentiert sind. Ich mache keinen Versuch, die entsprechenden Phänomene aus heutiger Sicht zu „erklären“. Sie erinnern uns heute an Phänomene der Hypnose, der Suggestion und des Placebo-Effekts und können uns diese in einem neuen Licht erscheinen lassen.
„Was dieses Fluidum eigentlich sei, ob es vielleicht ein, durch irgend einen animalisch-chemischen Prozeß in dem thierischen Körper erzeugtes, und ihm allein angehöriges Etwas ist, oder, ob es nach der Theorie der Alten einen Theil ihrer, die ganze Natur belebenden allgemeinen Weltseele ausmacht und mit dem Lichtstoffe, dem elektrischen, galvanischen, magnetischen Fluido u. dgl. m. übereinkommt, hierüber giebt es viele Muthmaßungen, aber nichts Erwiesenes.“
K. A. F. Kluge: Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus (1811)3
1 H. Schott, 1985 [b], S. 268-271.
2 Geßmann, 1887.
3 Kluge, 1811, S. 256 f.
Die Erzeugung künstlicher Elektrizität mit Maschinen und das technische Einfangen himmlischer Elektrizität in Gestalt des Blitzableiters symbolisierten in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein neues Zeitalter der Naturforschung. Diese Konjunktur der Elektrizität sorgte im Zeitalter der Aufklärung für empfindliche Erschütterungen, wobei die elektrischen Phänomene der Überlieferung entsprechend auf den Magnetismus bezogen und mit ihm identifiziert wurden. So schien bereits in der Antike die anziehende Kraft des geriebenen Bernsteins (griechisch: elektron) der des Magneteisensteins (griechisch: magnetis lithos) zu entsprechen. Doch erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts konnten Elektrizität und Magnetismus wissenschaftlich voneinander abgegrenzt werden. In seinem wegweisenden Buch „De magnete“ (1600) gab der englische Naturforscher William Gilbert eine Methode zur Herstellung von Dauermagneten an und diskutierte die „elektrische Kraft“ (vis electrica) als Anziehungskraft, die durch Reibung bestimmter Körper hervorgerufen werde. Mit der Konstruktion zweier Apparate gelang schließlich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der technologische Durchbruch: Ab circa 1730 konnte mit einer Elektrisiermaschine, die aus einem rotierenden Glaszylinder bestand und mit einem Schwungrad angetrieben wurde, relativ einfach Reibungselektrizität mit einem Lederkissen erzeugt werden: Die „Kleistsche“ bzw. „Leidener Flasche“, die fast gleichzeitig von dem deutschen Naturforscher Ewald Georg von Kleist bzw. dem holländischen Physiker Pieter van Musschenbroek 1745 erfunden wurde, diente im Verbund mit der Elektrisiermaschine als Kondensator und Verstärker bei der elektrischen Behandlung. „Blitz“, „Funken“, „Erleuchtung“, „Strahl“ oder „Erschütterung“ beschrieben nicht nur die sinnliche Wahrnehmung der künstlich erzeugten Elektrizität, sie dienten zugleich als Metaphern für die „Aufklärung“ schlechthin, die bezeichnenderweise im Englischen Enlightenment, im Französischen Lumières und im Italienischen Illuminismo heißt.
Für manche Naturforscher, insbesondere aus dem Umfeld des Pietismus, bedeutete Elektrizität eine Art religiöse Erleuchtung, da es dem Menschen zum ersten Mal offenbar gelungen war, magische, ja, göttliche Kräfte der okkulten Natur hervorzulocken und gleichsam himmlische Geistesblitze – analog zu dem von Benjamin Franklin erfundenen Blitzableiter – einzufangen und abzuleiten. Der Religionshistoriker Ernst Benz bezeichnete diese Einstellung zutreffend als „Theologie der Elektrizität“, welche die „Physikotheologie“ oder „natürliche Theologie“ jener Epoche widerspiegelte.4 Vor diesem Hintergrund ist die „Entdeckung“ des „animalischen Magnetismus“ von Franz Anton Mesmer zu sehen, der nicht nur von der Idee der „natürlichen Magie“ (magia naturalis) durchdrungen war, sondern diese konsequent an den neuesten Stand der von Newton’scher Physik und Elektrizitätslehre geprägten Experimental-wissenschaft anpassen wollte. Mit anderen Worten: Mesmer wollte die Magie der Natur nun mit Hilfe der Technik des Magnetisierens erforschen und sie Ärzten wie Laien als ein natürliches Allheilmittel zur Verfügung stellen.
Die „natürliche Theologie“, von David Hume, dem schottischen Philosophen der Aufklärung, auch als „natürliche Religion“ (natural religion) bezeichnet, wollte Gotteserkenntnis durch die wissenschaftliche Erforschung der materiellen Welt gewinnen. Sie wird in der Fachliteratur üblicherweise der „Offenbarungstheologie“ gegenübergestellt, die sich direkt auf Quellen göttlicher Offenbarung, vor allem die Heilige Schrift, beruft.5 Daraus resultiere, so der allgemeine Tenor, der Gegensatz von Glauben und Wissen oder Offenbarung und Vernunft. Dies klingt plausibel, trifft aber kaum den Kern der frühneuzeitlichen Situation, wenn wir vom Ansatz der magia naturalis ausgehen. Denn dort stehen bei aller vernunftgeleiteten Naturforschung immer auch Offenbarungen einer göttlichen Natur am Horizont der Erwartungen, die der menschlichen Vernunft übergeordnet sind und diese übersteigen.
Gerade die Okkultisten und Alchemisten, die durch Experiment und Erfahrung ihre Naturforschung betrieben, vertraten nicht nur das Konzept der „natürlichen Magie“, sondern waren zumeist auch zutiefst davon überzeugt, dass sich ihnen die Natur nur durch göttliche Gnade offenbare, ja, die Naturforschung selbst eine Art Gottesdienst sei. Das Lesen in der „Bibel der Natur“ wurde zu einem gängigen Topos. Viele technologische Wunderwerke, die wissenschaftlich völlig erklärbar und insofern theologisch unbelastet schienen, vermittelten den Zeitgenossen dennoch den Eindruck, dass sich in ihnen Göttliches offenbare. Dies klingt heute paradox, war es seinerzeit aber nicht. Denn der Alchemist operierte in seinem Labor nicht nur im Sinne der „natürlichen Theologie“, sondern zugleich auch im Sinne der „Offenbarungstheologie“. Er achtete auf seine Träume und Visionen und begleitete sein Handwerk mit geistigen Übungen.
Der „Heiligenschein“ ist in der christlichen Tradition ein Attribut jener Gestalten, die mit göttlichem Charisma ausgestattet sind, allen voran die Heilige Familie und die Heiligen als Nothelfer. Er wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts gewissermaßen elektrifiziert. Denn durch die elektrischen Entdeckungen und Erfindungen im 18. Jahrhundert imponierten die elektrischen Phänomene zugleich auch als Geistesblitze oder als Ausstrahlungen der göttlichen Natur, die künstlich erzeugt werden konnten. Die Naturforschung hatte es in ihrem Selbstverständnis geschafft, eine „natürliche Theologie“ (theologia naturalis) zu entwickeln, die auf übernatürliche, metaphysische Annahmen verzichten wollte. Der Mensch konnte nun selbst mit bestimmten rationalen Techniken anscheinend Wunder wirken, die auch dann noch eine gewisse Faszination ausübten, nachdem ihr Mechanismus aufgeklärt worden war. So wurden einfallsreiche Zaubertricks auf öffentlichen Schaubühnen und in privaten Zirkeln vorgeführt, die je nach Arrangement beim Publikum wohligen oder gruseligen Schauer hervorriefen.
Als Musterbeispiel sei hier auf die Erzeugung eines künstlichen „Heiligenscheins“ durch Elektrizität, die sogenannte „Beatifikation“, hingewiesen. (Abb. 1) Der Wittenberger Arzt und Physiker Georg Mathias Bose, seit 1738 Professor der Physik an der Leucorea in Wittenberg, führte zahlreiche elektrische Versuche durch und demonstrierte diverse elektrische Phänomene an isolierten menschlichen Körpern, die er zuvor „elektrifiziert“ hatte, wie zum Beispiel den „elektrischen Kuss“. In einem barocken Lehrgedicht schilderte er die Entdeckung der Elektrizität in rosigen Farben und feierte die großen Forscher. Mit Bedauern stellte er fest, dass Otto Guericke zwar auf der rechten Spur gewesen sei, aber doch nicht ganz „bis zur Natur“ vorgedrungen sei: „Doch grosser Guericke hier liessest du es seyn? / Drangst nicht in der Natur verborgnen Tempel ein?“6 Er forderte die Geistesgrößen seiner Zeit, namentlich den Philosophen Christian Wolff und den Mathematiker Leonhard Euler, dazu auf, die rätselhaften elektrischen Phänomene wissenschaftlich aufzuklären: „Auf o du grosser Wolff, auf wundervoller Euler, / [...] Ihr kennet die Natur. Ja Eurer Seelen Witz / Dringt biß zu selbiger verborgnen heilgen Sitz. / Wollt Ihr, Ihr Helden, Euch nicht an die Arbeit wagen, / So wird uns niemand nicht die wahre Ursach sagen.“7 In den 1740er Jahren beschrieb Bose ein aufsehenerregendes Experiment, das zu einer Kontroverse führte: den künstlichen Heiligenschein durch Elektrizität. In seinem Lehrgedicht schilderte er, freilich ohne genaue technische Anleitung, wie man es bewerkstelligt, dass „der Mensch vom Kopff zur Scheitel glüht.“8 Man könne einen Schein bis an Herz und Kopf erzeugen: „Wie man die Heiligen, ja selbst die Engel mahlt, / Wie das gemeine Volck von einem Irrwisch prahlt, / So steht mein Held alsdenn in einem Schimmer-Glantze, / In einem feurigen, fast fürchterlichen Krantze.“
Der englische Naturforscher Joseph Priestley schilderte Boses elektrisches Verfahren, womit man das Haupt der betreffenden Person „mit einem hellen Scheine, oder einer sogenannten Glorie, umgeben würde, so derjenigen gewisser maßen gleichkommt, welche die Mahler bei Verzierung der Köpfe derer Heiliger vorzustellen pflegen.“9 Dieses Experiment habe „alle Elektrisirer in Europa“ in Bewegung gesetzt, ohne dass ein einziges gelungen wäre. Der Verdacht des Betruges sei aufgetaucht und Bose habe gestanden, dass er sich „eines ganzen Harnisches […] mit verschiedenen stählernen Zierathen“ bedient hätte und so mit sehr starker „Elektrisation“ Strahlen am Helm erzeugt hätte, „welche mit denjenigen, die man um die Köpfe der Heiligen zu mahlen pflegt, einige Aehnlichkeit gehabt. Und hierinn bestand seine ganze so sehr gerühmte Beatification.“10 Dieses Beispiel lässt sich in zwei Richtungen interpretieren. Zum einen: Elektrische Erscheinungen bedeuteten mehr als nur rein physikalische Ereignisse; sie wurden unwillkürlich mit göttlichem Charisma assoziiert. Zum anderen: Göttliche Ausstrahlungen wie die Gloriole konnten künstlich nachgeahmt und damit ein Stück weit in die technisch verfügbare Welt eingeordnet werden. Technik wurde gewissermaßen religiös potenziert, religiöse Symbolik dagegen mit technischen Mitteln depotenziert.
In der Aufklärung wurden sichtbares und unsichtbares Licht, äußerliche Erhellung und innerliche Erleuchtung zu einem wichtigen Motiv in Theologie, Naturforschung und Literatur. Im Unterschied zu denen, die eine Verobjektivierung des Lichts im Sinne von John Locke vertraten, gab es viele um 1750, die an der „ancient magic power“ des Lichts festhielten, wie der englische Theologe William Law, ein wichtiger Exponent von Jakob Böhmes „mystical philosophy“.11 Die sichtbare Natur erschien bei Law nur als Manifestation des göttlichen Geistes, der sich in ihr manifestiere.12
Mit der Erzeugung der künstlichen Elektrizität und ihren Funken sprühenden Leuchteffekten schien nun das göttliche Licht für die Menschen greifbar zu werden. Kaum ein Wissenschaftshistoriker hat die theologischen Implikationen dieser neuen elektrischen Welt so eindrucksvoll herausgearbeitet wie der evangelische Theologe Ernst Benz, der damit vor allem auch die Vorgeschichte des Mesmerismus erläutern wollte. Er war ein Kenner der Mesmer’schen Lehre und ein Verehrer des Meisters, was er zuletzt dadurch unterstrich, dass er sich selbst 1978 in unmittelbarer Nähe von Mesmers Grabmal auf dem Meersburger Friedhof beerdigen ließ. Magnetismus und Elektrizität seien damals „als die sinnfälligste Darstellung der verborgenen Gegenwart der göttlichen Kraft in der Welt“ und als „ein neues Symbol Gottes“ erschienen.13 Der Magnet symbolisierte mit seiner rätselhaften Anziehungskraft die göttliche Liebe, wobei bereits bei Athanasius Kircher die „persönlichen Elemente seines Gottesgedankens immer mehr zurücktreten und dafür die unpersönlichen Elemente der Auffassung Gottes als einer alles durchdringenden und alles belebenden, gestaltenden und erhaltenden Kraft und Strahlung sich mehr und mehr durchsetzten.“14 Es habe sich also eine „pansophische Naturtheologie“ als „Übergang zu dem Evangelium Naturae Mesmers“ herausgebildet. Diesem bescheinigte Benz ein „intuitives Naturgefühl und eine ganz außergewöhnliche charismatische Begabung.“15
Ernst Benz illustrierte die „Theologie der Elektrizität“ vor allem an den „elektrischen Theologen“ Christoph Friedrich Oetinger, Johann Ludwig Fricker und Prokop Divisch (auch Diviš oder Diwisch). Der Theologe Oetinger war ein berühmter württembergischer Theosoph und Pietist, der den württembergischen Pfarrer Fricker beeinflusste, während der katholische Priester und Prämonstratenser Divisch in Mähren wirkte. Letzterer wurde durch Frickers Vermittlung mit Oetinger bekannt, woraus sich eine tiefe Freundschaft entwickelte. Oetinger war offenbar von Divischs Einsichten in die Geheimnisse der Elektrizität überwältigt, und „sah in ihm den wahren ‚Magier aus dem Orient’“.16 Seit den 1740er Jahren führte er als Pfarrer einer kleinen Gemeinde meteorologische Experimente durch und erfand, unbeachtet von der Öffentlichkeit, noch vor Benjamin Franklin den Blitzableiter.17
Als er 1755 Kaiser Franz den Vorschlag unterbreitete, auf der kaiserlichen Residenz, der Wiener Hofburg, Blitzableiter anbringen zu lassen, stieß er auf Ablehnung. Auch in seiner eigenen dörflichen Pfarrgemeinde erging es ihm nicht anders. Man hielt den auf dem Pfarrhof angebrachten Blitzableiter für Teufelswerk: „Als im Jahr 1755 eine große Dürre eintrat, wurde dies allgemein dem Blitzableiter des Pfarrers Divisch zugeschrieben, der alle Elektrizität aus der Luft in die Erde leite und so den Regen verhindere, und eines nachts wurde der pfarrherrliche Blitzableiter von unbekannten Tätern bis auf den Grund zerstört.“18 Der Blitzstrahl insbesondere in Kirchtürme wurde traditionell als göttliche Warnung gedeutet. So entspann sich eine Diskussion, ob Blitzableiter, die ja in die Allmacht Gottes eingriffen, erlaubt seien. Im Zeitalter der Aufklärung konnte sich der nutzbringende Blitzableiter letztlich durchsetzen.
Der Pietist Oetinger identifizierte das Licht des ersten Tages mit dem Spiritus mundi oder dem „electrischen Feuer“. Dieses sei in allen Dingen verborgen, ein feuriges Lebenselement, das von Gott in diese hineingegossen worden sei. „Alle körperlichen Wesen haben Geisteskräfte in sich, welche erregt werden können, daß sie von ihnen ausfliessen und sich mittheilen.“19 Fricker sprach von einer „Selbstbewegung in der Natur“, die „im electrischen und elementarische Feuer“ sei.20 Es lag auf der Hand, dass dieses „Feuer“ mit seinen theologisch-spirituellen Konnotationen gerade Pietisten faszinierte: Es gab der Materie Geist und Leben. Oetinger merkte an, dass schon „die alten Weltweisen“ diesen Naturgeist erkannt und ihm verschiedene Namen gegeben hätten: „ignis elementaris“, „ignis electricus“, „Archaeus“ oder „Spiritus mundi“.21 Jetzt aber sei eine neue Zeit angebrochen: „Nun aber, da Gott seine wunderbahre und erstaunliche Geheimnisse der Natur, vermittelst der electrischen Experimente und der Wissenschaft derselben, der Welt etwas näher geoffenbahret hat, so kan man viele Ding in der Natur, die vorhin verborgen waren, gewisser abmessen und deutlicher erklären.“ Oetinger deutete den göttlichen Feuerblitz (Chasmal), den Prophet Ezechiel in seiner Vision vom Thron Gottes als glänzender Feuerwolke wahrgenommen hatte, als elektrisches Feuer.
Die „Theologie der Elektrizität“ hatte tiefgreifende Folgen für die Anthropologie. Nicht die Seele, sondern das „Naturfeuer“ als „elektrisches Feuer“ war das primär belebende Element. Deshalb habe man dieses Naturfeuer, wie Fricker es formulierte, „dessen die Arzneyen in gewisser Masse theilhaftig sind, für den allgemeinen Lebensbalsam, oder die höchste Tinktur zu halten“.22 Ernst Benz stellte vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund heraus, dass Oetinger „der erst deutsche Gelehrte von Rang“ gewesen sei, der die frühen Veröffentlichungen Mesmers kannte und sie mit seiner Theorie der Elektrizität, des „Naturbalsams“, in Verbindung brachte.23
An die Stelle des alchemistisch herzustellenden „Lebenselixiers“ ist nun der „Balsam der Natur“ (balsamum naturae) als elektrisches Feuer getreten. Oetingers Begeisterung für Divischs Elektrizitätslehre kommt auch in einem Registereintrag zum Ausdruck: „Divisch, ein grosser Electricus, macht die Magie klar“.24 Dieser positive Magiebegriff im Diskurs der Theologen bezieht seine Legitimation aus der Religionsgeschichte. Es ging ihnen um die Wiederentdeckung der „wahren Magie“, wie sie die Könige David und Salomon noch besaßen und die „durch Entartung des christlichen Glaubens“ verloren gegangen sei. Durch die Elektrizität sahen sie die Chance, die Magie als eine „Wissenschaft der verschiedenen Feuer“ neu zu begründen. So schrieb Oetinger in einem Brief an Divisch: „Der Name Magie kommt vom arabischen Wort Magasch, das Anzündung bedeutet. Du also bist der, der die Geheimnisse der Entzündung, das ist der Magie besitzt.“25
Die als sensationell empfundene Elektrizität verlockte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu illustren Schauexperimenten vor einem staunenden Publikum. Auch in der Medizin fand die Elektrizität rasch Eingang in Forschung und Therapie, wie wir weiter unten sehen werden. Sie stimulierte neurophysiologisches Denken und elektrotherapeutische Prozeduren gleichermaßen. Die Entstehung des „thierischen“ oder „animalischen Magnetismus“ ist ebenso wenig ohne die Implikationen der „elektrischen Medizin“ denkbar wie der Galvanismus, der etwa ein Jahrzehnt nach Mesmers animalischem Magnetismus in den 1780er Jahren auf den Plan trat. Die illustren Spiele mit dem „elektrischen Feuer“ spiegeln jene Mischung von Experimentierfreude, Faszination und Belustigung wider, womit Ärzte und Naturforscher als Zauberkünstler auf die Bühne traten. Die Faszination der künstlichen Elektrizität verdankte sich einer religiösen Quelle: Der Mensch schien erstmals die göttlichen Kräfte der Natur hervorrufen und für seine Zwecke einsetzen zu können.
Um 1780 gab es eine Hochkonjunktur für Zauberkünstler aller Art. Bühnenshows, Salonkunststücke, Massenspektakel galten als Attraktion und fanden zumindest vorübergehend großen Zulauf. So schlug der deutsche Zauberkünstler und Privatgelehrte Gustav Katterfelto das Londoner Publikum in seinen Bann. Während einer grassierenden Grippeepidemie konnte er dem staunenden Publikum mithilfe seines Sonnenmikroskops die „seltsamen Insekten“ zeigen, die vermeintlich die Infektion auslösten.26 Er bediente sich einer magischen Laterne, welche mikroskopische Objekte stark vergrößert auf eine Projektionsfläche projizierte und somit gleichzeitig für eine Menschenmenge sichtbar machte, was einen ungeheuren Eindruck hinterließ. In seinen Vorlesungen stellte Katterfelto eine ganze Reihe von Experimenten an: u. a. mathematische, optische, magnetische, elektrische, physikalische, chemische und pneumatische. Seine Auftritte garnierte er mit dem Schlachtruf: „Wunder! Wunder! Wunder!“ Katterfelto wollte die natürliche Magie voranbringen, „eine nützliche Disziplin, die einer sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft durch Aufdecken bislang verborgener Zusammenhänge praktisch verwertbares Wissen vermittelt.“27 Für ihn waren die „Wonders of Nature“ ein Gegenstand des Entzückens und sicherlich auch des Triumphs. Denn er konnte die Wunderwerke der göttlichen Vorsehung (the wonderful works of Providence) sichtbar machen. Ein Bewunderer Katterfeltos dichtete 1790:
„Strange Wonders hid from human sight,His Microscope can bring to light,The works of God, unseen by eyes,The means of seeing, this supplies,All haste to him, whilst here he stayes.Then sing, like me, the Doctor’s Praise.“28
Die Wunder der Natur sollten als Werke Gottes erkannt und anerkannt werden. Die Menschen auf Erden lebten in dieser Welt in Dunkelheit, wenn sie nicht „jene wundervollen Werke des Schöpfers“ (those wonderful works of our Maker) sehen könnten. Gerade die Zauberkünste sollten Licht in diese Dunkelheit bringen und Aufklärung schaffen. So sah sich Katterfelto in der Rolle eines göttliche Geheimnisse offenbarenden Künstlers, der wie ein Geistlicher seiner Gemeinde die Augen zu öffnen hatte. Die Zuschauer verhielten sich angeblich durchaus diesem Selbstbild entsprechend und hätten sich ihm genähert, „als ob es darum gegangen sei, zumindest den Saum seines Gewandes zu berühren.“
Was konnte dem Anspruch, die Wunder der Natur zu offenbaren, mehr entsprechen als die Funken sprühenden Experimente mit der Elektrizität! Friedrich Schiller hat in seinem unvollendeten Schauerroman „Der Geisterseher“ (1787/88) die abgründige Nachtseite der Aufklärung, ihre Dialektik von Vernunft und Irrsinn, meisterhaft beleuchtet.29 Es kam zu spektakulären Experimenten in kleineren Zirkeln und vor großem Publikum. Elektrische Demonstrationen, die nicht zu therapeutischen Zwecken dienten, umfassten Tierversuche, Selbstversuche und Versuche mit einzelnen oder mehreren Menschen. Die elektrischen Schläge konnten sehr heftig ausfallen, wie der Hallenser Medizinprofessor Johann Gottlob Krüger 1745 anmerkte: „Wer hätte es [...] für [vor] einem Jahr dencken sollen, daß ein Electrischer Funcken vermögend wäre dem stärcksten Mann einen Degen aus der Hand zu schmeisen“.30 Manche Naturforscher unternahmen Versuchsserien an Tieren, um die tödliche Dosis zu ermitteln. So berichtet der englische Naturforscher Joseph Priestley: „Am 19ten Junius [1766] brachte ich eine ziemlich große junge Katze, durch die Entladung einer Batterie von drey und dreyßig Quadratfuß, um das Leben [...]. Am 21sten Junius tödtete ich eine kleine Spitzmaus, vermittelst der Entladung einer Batterie von sechs und dreyßig Quadratfuß“.31
Ein besonders spektakuläres Gruppenerlebnis bot die elektrisierte Menschenkette, die Priestley unter die „belustigendsten elektrischen Experimente“ einreihte: „Wenn eine einzige Person den erschütternden Schlag bekommt, so macht sich die Gesellschaft auf deren Kosten lustig; alle aber tragen zu dem Vergnügen mit bei, [...] wenn die ganze Gesellschaft sich in einen Kreis stellet, indem sie einander anfassen, und alsdann der Elektrisirer denjenigen, der sich an dem einen Ende des Kreises befindet, eine mit dem Ueberzuge der [Leidener] Flasche communicirende Kette halten und unterdessen dem an dem anderen Ende des Kreises Stehenden den Draht berühren läßt. Da alle [...] zu gleicher Zeit und von einerlei Kraft getroffen werden, so ist es oft ein Vergnügen, mit anzusehen, wie sie in ein und demselben Augenblicke plötzlich auffahren“.32 Solche Spektakel der Überrumpelung und Belustigung, wie sie auch Schiller im „Geisterseher“ geschildert hat, waren offenbar gesellschaftsfähig.
Als Begründer der Elektrotherapie wird heute der deutsche Naturforscher Christian Gottlieb Kratzenstein angesehen, ein Schüler des seinerzeit in Halle wirkenden Medizinprofessors Johann Gottlob Krüger. Kratzenstein empfahl in seiner kämpferischen „Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft“ von 1744 die „Electrification“ der Kranken ausdrücklich als ein Allheilmittel („Panacee“).33 Ihre Heilwirkung beruhe darauf, dass sie die Stauungen der Körpersäfte, vor allem die des Blutes, auflöse, indem sie Schwefel und Salzteilchen austreibe. Somit sei die „Electrification“ angezeigt bei „Dickblütigkeit“, „Kongestionen“ (das heißt Säftestauungen) aller Art, wie zum Beispiel Kopfschmerz, Schnupfen und Brustbeschwerden sowie bei Fieber und sogar der Pest.
Der Regensburger Arzt Johann Gottlieb Schäffer fasste in seinem Lehrbuch „Die Electrische Medicin“ den theoretischen und praktischen Stand der zeitgenössischen Elektrotherapie zusammen.34 Wie Kratzenstein hielt er die „Kongestionen“ des Blutes durch die elektrische Kur für heilbar. Hauptindikation seien jedoch die „gelähmten Glieder“. Angriffspunkte des Elektrisierens seien Muskeln und Nerven, welche alle Körperbewegungen verursachten. Diese Erkenntnis hatte der Naturforscher und Universalgelehrte Albrecht von Haller seinerzeit mit dem Begriffspaar „Irritablität“ und „Sensiblität“ tierexperimentell begründet.35 Dabei verhalte sich, so Schäffer, der Muskel zum Nerven wie das Rad einer Maschine zur Antriebskraft, welche dem „Nervensaft“ oder „Nervengeist“ entspreche. Die Elektrotherapie wurde somit neurophysiologisch begründet: „Was der Nervensaft natürlicherweise durch seinen Einfluss in die Muskeln thut; das verrichtet die Electricität auf eine künstliche Art, und dieses alles um so mehr, weil die electrische Materie in vielen Stücken mit dem Nervensaft viele Aehnlichkeit und fast einerlei Eigenschaft zu besitzen scheint.“36
Schäffer schilderte, wie er durch Elektrotherapie einer 56-jährigen Frau „cholerischen Temperaments“ helfen konnte, die durch einen „Schlagfluss“ auf einer Seite gelähmt war: „Ich wickelte die, an die drey Flaschen gewundene, und im Wasser sich befindende, meßingene Kette um den gelähmten Fuß; den gelähmten Arm aber brachte ich an die vor dem Bette in seidnen Schnüren schwebende metallene Röhre. Jedesmalen ließen sich nicht nur die Funken sehr lebhaft sehen, und mit einem dicken Knalle hören; sondern auch bey jedem Schlage eines erregten Funkens bewegte sich der lahme Fuß. Diese electrische Erschütterung nahm ich fast täglich eine 4telstunde lang vor [...]. Nach der ersten Woche merkte man [...], daß die Empfindung in den gelähmten Gliedern sich wieder einstellete.“37