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Die erfolgreiche Fantasyreihe ab 9 Jahren geht endlich weiter: Mit kurzen Kapiteln, spannenden Wendungen und viel Witz sorgt auch der zweite Band für maximalen Lesesog: Lukas ist begeistert: Durch die Geheimtreppe in seinem Zimmer besitzt er einen Zugang zum Flüsterwald, der nachts mit den fantastischsten Wesen lebendig wird! Dort hat Lukas wundervolle neue Freunde gefunden und es passt ihm daher gar nicht, als sich ein Mädchen aus seiner Klasse beharrlich an seine Fersen hängt. Ella aber verfolgt einen eigenen Plan: Sie sucht ihren Großvater, der im Wald verschollen ist. Die einzige Spur ist ein seltsames Rätsel, das er hinterlassen hat. Lukas und seine Freunde wiligen ein, ihr zu helfen. Doch das wird gefährlicher als gedacht ... Die Abenteuerreihe mit Suchtfaktor für alle Fans von Narnia und den Spiderwick-Geheimnissen!
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Seitenzahl: 174
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Über das Buch
Lukas ist begeistert: Durch die Geheimtreppe in seinem Zimmer besitzt er einen Zugang zum Flüsterwald, der nachts mit den fantastischsten Wesen lebendig wird! Dort hat Lukas wundervolle neue Freunde gefunden und es passt ihm daher gar nicht, als sich ein Mädchen aus seiner Klasse beharrlich an seine Fersen hängt. Ella aber verfolgt einen eigenen Plan: Sie sucht ihren Großvater, der im Wald verschollen ist. Die einzige Spur ist ein seltsames Rätsel, das er hinterlassen hat. Lukas und seine Freunde willigen ein, ihr zu helfen. Doch das wird gefährlicher als gedacht … Die Fantasyreihe mit Suchtfaktor!
Lukas (Mensch)
*Leseratte und Abenteurer
*muss sich in einer neuen Stadt zurechtfinden
*seine Familie hat keine Ahnung vom Flüsterwald oder von Magie
Ella (Mensch)
*Lässt sich von niemandem aufhalten
*Liebt ihren Großvater über alles
*hat viel in der Theater-AG gelernt
Felicitas (Elfe)
*zaubert gerne (was nicht immer klappt wie geplant)
*fühlt sich im Internat einsam und unternimmt deshalb öfter (verbotenerweise) Streifzüge
Rani (Menok)
*Nachwuchsautor, forscht über Menschen
*spielt für sein Leben gerne und ist schokoladensüchtig
Punchy (Katze)
*heißt mit vollem Namen: Pedora Ulinde Naftet von Chibalka
*Aufpasserin von Felicitas
*hat Nerven aus Stahl
Prolog
Der Hinterhalt (schon wieder)
Der Tag wird schlimmer
Eine Freitagsüberraschung
Das Hauptquartier
Das Pergament
Blinzelschock und Stollenvolk
Im Feuer der Erde
Der verlassene Stollen
Ranis heldenhafte Abenteuer
Die Regelbrecher
Das Himmelskatapult
Klettern über den Wolken
Der zerbrochene Altar
Im freien Fall
Der östliche Rand
Am Grund des Sees
Hilflos
Das fliegende U-Boot
Im Mondlicht
Auf der anderen Seite
In schwarzer Asche
Geschöpfe der Dunkelheit
Auf Leben und Tod
Ausweglos
Vor langer Zeit
Eine vage Hoffnung
Picknick im Mondlicht
Abschiede
Der Morgen danach
Epilog
Bonusgeschichte: Im Schatten der Königin
Schatten tanzten im Kerzenlicht auf dem schwarzen Holz der Regale über Buchrücken, eingerollte Papyri und Steintafeln. Vor dem Fenster tobte wie so oft in den letzten Tagen ein Herbststurm. Blätter wirbelten vorbei, Geäst bog sich im Wind. Vom Schein der Straßenlaternen war hier draußen so wenig zu sehen wie vom Rest des verfluchten kleinen Städtchens namens Winterstein.
Er liebte die unbändige Zerstörungskraft, die dort durch die Gassen tobte und all die nutzlosen Menschen in ihre Häuser trieb. Wenn ein Sturm aufkam, tat er stets das Gleiche. Er brühte einen Tee auf, rauchte eine Zigarre, entzündete Kerzen. Es erinnerte ihn an damals, den Anfang von allem. Er dachte oft an diese Zeit zurück.
Auf dem Beistelltisch neben seinem Sessel stand die Tasse mit dem Tee, die Zigarre lag daneben im Aschenbecher. Rauchkringel stiegen auf, verteilten sich im Raum. Besucher verzogen immer das Gesicht, wenn sie eintraten, doch er mochte den Geruch. Kalte Asche sprach von Vergänglichkeit. Egal, ob es eine edle Zigarre war, die brannte, oder ein Baum. Ein ganzer Wald.
Mit einer energischen Bewegung erhob er sich, trieb die Gier in seinem Inneren zurück in den hintersten Winkel. Noch musste er beherrscht vorgehen, doch bald würden Sträucher brennen, die elenden Bäume aufschreien und Laub verglühen, würde all die Magie wieder ihm gehören.
Mit der Teetasse in der Hand trat er ans Fenster. Es war natürlich kein gewöhnliches Fenster. Das Glas besaß eine solche Reinheit, dass es fast unsichtbar war. Und dazu kamen filigrane Symbole aus Metall, die auf dem Rahmen prangten.
Es klickte, als er das magische Zeichen im rechten Fensterrahmen drehte. Ein Wabern lief über das Glas, dann zeigte es nicht länger die Landschaft außerhalb. Stattdessen wurde das Herrenhaus sichtbar. Hinter den Fenstern brannte Licht. Zweifellos würde es bald erlöschen, die Bewohner sich in ihre Betten begeben.
Wann war es endlich so weit?
Die beiden Kinder hatten sich bereits getroffen, er hatte den Streit beobachtet. Doch seit jenem Abend hatte Lukas Lamprecht den Flüsterwald nicht mehr betreten. Die Tage zogen sich in nutzlosem Einerlei dahin und brachten ihn seinem Ziel nicht näher.
»Geduld«, sprach er in den dunklen Raum. Er lächelte. Es war das Lächeln eines Raubtiers, wie ihm ein alter Feind einmal gesagt hatte. Er trug es stets, wenn ein Plan sich der Vollendung näherte.
Mit einer weiteren Drehung, einem erneuten Klicken, wurde das Glas wieder gewöhnlich. Vor dem Fenster kehrte die vertraute Landschaft zurück. Er sank in seinen Sessel, ließ den Blick in die sturmzerzauste Ferne schweifen und sog genussvoll den Geruch kalter Asche ein.
In Gedanken versunken wich Lukas dem Ast aus. Ein Opfer des Sturms der vergangenen Nacht, wie auch der Gartenzwerg, der mit der Zipfelmütze voran in einer Windschutzscheibe steckte. Lukas registrierte es kaum, genauso wenig wie den Wind, der sein Haar zerzauste. Er dachte an seine neuen Freunde: Rani, Felicitas und Punchy. Möglicherweise spielte auch der Wark ab und an eine Rolle, vor allem in seinen Albträumen.
Immer wieder sah er die Ereignisse vor sich, die ihn Hals über Kopf in sein erstes Abenteuer im Flüsterwald gestürzt hatten. Die Geheimtür hinter dem Bücherregal, die Treppe in das geheime Studierzimmer auf dem Speicher. All die magischen Tränke, Pulver und Gegenstände. Dort stand auch die Standuhr, die über eine magische Verbindung zu ihrem Gegenstück im Flüsterwald führte. Zwar konnte der Wark solche Portale nicht benutzen – und außerdem hatte Lukas mit seinen neuen Freunden die Erinnerung des Warks an die Verfolgungsjagd gelöscht –, aber Lukas’ Albträumen war das egal.
»Guten Morgen!«, brüllte jemand in sein Ohr.
Er zuckte zusammen. Im gleichen Moment ärgerte er sich über sich selbst. Es war das dritte Mal in einer Woche, dass Ella ihm auflauerte, er sollte mittlerweile daran gewöhnt sein.
»Morgen«, gab er so feindselig zurück, wie er konnte.
Sie ließ einfach nicht locker. Ihrem Großvater hatte das Haus gehört, in das Lukas’ Familie eingezogen war. Aufgrund eines Zaubers konnte sie es aber nicht betreten und hatte ihre Forderung immer unter freiem Himmel vorgebracht. Gleich würde sie wieder …
»Gib mir das Flüsterpulver!«, verlangte sie.
»Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst.« Leugnen war ihm wie eine gute Taktik erschienen.
»Stell dich nicht dumm! Ich habe gesehen, wie du aus dem Flüsterwald zurückgekommen bist.« Sie lief schneller und stellte sich ihm in den Weg. Der Wind zerwühlte ihr schulterlanges, blondes Haar. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch etwas sehen konnte. Sie trug Jeans, Turnschuhe und einen Pulli.
»Na und? Ich war im Wald spazieren.«
»Nachts?«
»Du ja wohl auch.« Er schob sich an ihr vorbei. Falls er zu spät zur ersten Stunde kam, würde seine Mum davon erfahren. Und obwohl sie selbst im schlimmsten Stau anderen Autofahrern zulächelte und ihnen den Vortritt ließ – was seinen Dad regelmäßig zur Weißglut trieb –, verstand sie beim Thema Schule keinen Spaß.
»Ich habe ein Recht auf das Flüsterpulver!«, rief Ella. »Es hat meinem Großvater gehört, bevor er verschwunden ist.«
»Das kann jeder behaupten. Außerdem weiß ich gar nicht, wovon du sprichst.«
Natürlich wusste er es. In dem geheimen Studierzimmer ihres Großvaters hatte er auch das blaue Flüsterpulver gefunden und unabsichtlich getestet: Es hatte ihm erlaubt, den Flüsterwald bei Nacht zu betreten, was sonst keinem Menschen möglich war.
Trotzdem konnte er Ella keinesfalls das Pulver geben, es war nur noch wenig übrig! Vielleicht genug für eine Benutzung oder zwei. Und wenn es aufgebraucht war, konnte er seine Freunde nicht mehr wiedersehen!
»Du bist so gemein.« Ellas Stimme wurde weich. »Ich möchte nur meinen Großvater finden. Ich vermisse ihn.« Eine Träne löste sich aus ihrem rechten Auge. »Bestimmt irrt er zitternd und frierend durch den Wald.«
»Also …« Lukas stockte, als das Mitleid ihn überrannte, und rückte dann mit der Wahrheit heraus. »Ich müsste erst Nachschub holen. Das Flüsterpulver ist fast leer.«
»Was?!« Ella schien zu explodieren. »Wie kann das sein?«
»Ich bin versehentlich dran gestoßen und dabei ist eine Menge auf dem Boden … hey, du bist ja gar nicht traurig!«
Ella wirkte ertappt. »Doch, sehr.« Schon kullerte eine weitere Träne.
Lukas betrachtete sie empört. »Und ich wäre fast darauf hereingefallen. Wenn du mir nur was vorspielst, bekommst du das Flüsterpulver nicht! Wenn dein Großvater im Wald herumirrt, kannst du ihn doch auch ohne Pulver suchen gehen. Tagsüber!«
Sie seufzte. »Und da sag noch mal jemand, die Theater-AG zahlt sich aus. Aber nur, damit du es weißt: Ich werde jede Nacht vor eurem Haus stehen. Und jeden Morgen. Überhaupt immer!«
»Wenn du nichts Besseres zu tun hast, bitte.« Lukas beschleunigte seine Schritte.
Vor ihm tauchte der große Torbogen auf, der den Beginn der Altstadt markierte. Dahinter war die Schule bereits in der Ferne zwischen den Häusern sichtbar. Bedauerlicherweise war er noch nicht darin, obwohl die erste Stunde soeben begann.
»Ich werde Steine werfen«, drohte Ella. »Der magische Schirm sperrt zwar mich aus, aber die Steine fliegen trotzdem.«
»Das darfst du dann meinen Eltern erklären«, sagte Lukas provozierend freundlich. »Bringt dir nur leider nichts.«
Man musste Ella zugutehalten, dass sie ihre Taktik sofort änderte.
»Wir könnten doch gemeinsam gehen und frisches Flüsterpulver holen.« Lächelnd ging sie neben ihm her. »Sonst ist es für dich auch bald vorbei.«
»Ich denke darüber nach.«
»Was gibt es denn da zu denken?«
»Bestimmt weißt du gar nicht, woher man es bekommt.«
»Netter Versuch, aber ich werde es dir nicht verraten.«
Sie eilten vorbei an der städtischen Bibliothekarin, die Lukas vor einer Woche bei seiner Anmeldung kennengelernt hatte. Ihr grauer Dutt hatte sich im Wind gelöst und die Frisur in ein Notstandsgebiet verwandelt.
»Dann frage ich einfach meine Freunde aus dem Flüsterwald«, gab Lukas triumphierend zurück.
»Du hast da Freunde?« Ella blieb wie angewurzelt stehen. »Das ist gefährlich.«
»Ist es nicht!«
»Es gibt schreckliche Kreaturen im Wald.«
»Ach, weißt du, wenn du mal mit einem Wark gekämpft hast, kann dich nichts mehr erschrecken.«
Ellas Gesicht wurde bleich. »Du … Angeber.« Sofort hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Jetzt glaube ich dir erst recht kein Wort!«
Endlich erreichten sie die Schule und traten ein. Spätestens hier musste sie ihn in Ruhe lassen, denn Ella ging nicht in seine Klasse. Bedauerlicherweise gab es aber die Pausen, in denen sie ihn immer beobachtete.
Mit einem letzten bösen Blick verschwand sie in ihrem Klassenraum. Lukas eilte die Treppenstufen zu seinem Klassenzimmer hinauf, wo die erste Stunde schon vor fünf Minuten begonnen hatte. Ausgerechnet bei Frau Brock, die hinter ihm gestanden hatte, als er an seinem ersten Schultag mit zwei Klassenkameraden über die Sinnlosigkeit von Mathematik gesprochen hatte.
Sie würde ihm irgendeine Strafarbeit aufgeben und im Lehrerzimmer schlecht von ihm sprechen. So laut natürlich, dass auch sein Pa es mitbekam. Als ob es nicht schon peinlich genug war, dass der hier unterrichtete! Glücklicherweise nur die Parallelklasse, das musste Ella ertragen.
»Augen zu und durch.«
Ein letztes Durchatmen, dann drückte Lukas die Klinke herab. Schweigen schlug ihm entgegen, als er eintrat. Auf den Plätzen seiner Mitschüler lagen Blätter voller Fragen, sie schrieben eifrig. Der Blick von Frau Brock war eisig, ihre Lippen kräuselten sich.
Sie schrieb einen unangekündigten Test!
Das war ganz und gar nicht sein Tag. Schweigend nahm Lukas Platz. Schlimmer konnte es nicht mehr werden.
Lukas versank in dem großen Ohrensessel. Das Leder des Bezugs war hart und lud nicht dazu ein, hier länger zu sitzen. Als ob er eine Wahl hätte.
Der Test war katastrophal schiefgelaufen, was Frau Brock nur mit einem Das-wundert-mich-nicht-Blick gewürdigt hatte, nachdem sie sein Blatt inspiziert hatte. Das allein wäre schon schlimm genug gewesen, doch da war noch diese Sache aus dem Informatik-Unterricht.
Eigentlich war Lukas davon ausgegangen, dass Herr Rechbit den ›Vorfall‹ auf sich beruhen ließ. Während die anderen Schüler noch nach dem Dokument für die Unterrichtsstunde gesucht hatten, war ihm langweilig geworden. Kurzerhand hatte er sich in die Chat-Software eingeloggt, um mit Micha zu schreiben. Er wusste, dass sein bester Freund zum Zeitpunkt von Lukas’ Informatik-Stunde freihatte. Bedauerlicherweise war Herr Rechbit aus dem toten Winkel aufgetaucht.
Und genau deshalb saß Lukas jetzt vor dem Zimmer des Direktors.
»Du kannst reingehen«, flötete die Sekretärin, die an ihrem Tisch auf die Tastatur des Rechners einhämmerte, als gäbe es kein Morgen.
»Danke.«
Er sprang aus dem Sessel, drückte die messingfarbene Klinke herunter und betrat das Zimmer.
Direktor Arnold thronte hinter einem Schreibtisch, auf dem sich die Bücher stapelten. Zwischen verschiedenfarbigen Aktenmappen stand eine Tasse, die Kaffeeduft verströmte.
»Lukas Lamprecht.« Er deutete auf den Stuhl vor dem Tisch. »Nimm Platz.«
Die Worte wogen schwer und am liebsten hätte Lukas auf dem Absatz kehrtgemacht, um zu flüchten.
»Direktor Arnold«, krächzte er stattdessen.
Schritt für Schritt näherte sich Lukas ›dem Stuhl‹. Einige Schüler hatten bereits darauf gesessen und ihre mitleidigen Blicke hatten ihn auf dem Weg zum Direktorat verfolgt.
Er nahm Platz.
»Lukas, ich hatte heute ein wirklich ernstes Gespräch.« Mit einer schwungvollen Bewegung setzte der Direktor seine Unterschrift unter ein Formular und wandte sich dann gänzlich ihm zu.
»Das tut mir leid«, erwiderte Lukas.
Seltsamerweise schmunzelte Direktor Arnold daraufhin, was kleine Lachfältchen hervortreten ließ. Mit einem Mal war die Situation nicht mehr ganz so bedrückend.
»Es freut mich, dass du das so siehst. Kannst du dir denn denken, worum es in dem Gespräch ging?«
»Der Chat?«
»In der Tat.«
Direktor Arnold faltete die Hände ineinander. Sein schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen, der Vollbart gepflegt. Irgendwie konnte Lukas nicht festmachen, ob vor ihm ein freundlicher Großvater oder ein Scharfrichter saß. Vermutlich eine Mischung aus beidem.
»Ich verstehe, dass du deinen besten Freund vermisst, so ein Umzug ist niemals leicht.« Herr Arnold nahm einen Schluck aus der Tasse.
Bei diesen Worten begriff Lukas, dass der Direktor mit seinem Vater über ihn gesprochen haben musste. Woher wusste er sonst, dass Micha sein bester Freund war?
»Es hat eine emotional aufwühlende Wirkung auf mich«, sagte er einen Satz, den seine Mutter öfter anbrachte, wenn sie mit einer Situation unzufrieden war.
Der Direktor stieß einen kurzen Lacher aus und da er die Tasse noch in der Hand hielt, verteilte er Kaffeespritzer über die Akten. Schnell stellte er die Tasse auf den Untersetzer. Mit einem Taschentuch wischte er die Flecken weg.
»Du wirst natürlich verstehen, dass auch Herr Rechbit ›emotional aufgewühlt‹ ist. Schließlich gibt er sich sehr viel Mühe, seinen Unterricht vorzubereiten. Und er hat meines Wissens am Anfang der Stunde klargemacht, dass das Internet tabu ist.«
Ja, Lukas konnte sich erinnern, dass diese Worte gefallen waren. Das Internet durfte nur genutzt werden, wenn Herr Rechbit eine bestimmte Website mit ihnen aufrufen wollte.
»Schon«, gab er zu.
»Ich habe über diese Sache mit deinem Vater gesprochen und vermutlich wird er seine Meinung dazu heute zu Hause deutlich machen.« Der Direktor mischte seinem Blick eine wohldosierte Härte bei.
Ein guter Trick, doch mittlerweile war Lukas’ Angst gewichen. Direktor Arnold mochte sich hart geben, aber da war auch ein sympathisches Funkeln in seinen Augen.
»Wie, denkst du, sollte deine Strafe aussehen?«
Lukas hatte geahnt, dass diese Frage kommen würde. Jetzt galt es, gut zu verhandeln. Wenn seine Antwort zu mild ausfiel, würde Herr Arnold ihm etwas anderes aufbrummen. Zu schwer kam natürlich auch nicht infrage.
»Ein Aufsatz«, schlug er vor. »Über … die Gefahren des Internet?« An seiner alten Schule hatte er den bereits geschrieben, er musste ihn nur ausdrucken und abgeben. »Bis morgen.«
»Eine ausgezeichnete Idee.« Direktor Arnold nickte. »Sieht man davon ab, dass in deiner Schulakte alle Themen aufgelistet sind, zu denen du in der alten Schule bereits etwas angefertigt hast.«
Er hatte den Direktor unterschätzt. Und seinen Vater, der bestimmt bereitwillig jedes Thema verraten hatte. »Ähm.«
»Dieser eloquent formulierten Antwort entnehme ich, dass du das Problem erkannt hast.« Der Direktor lächelte, doch dieses Mal erreichte es nicht seine Augen.
Lukas beschloss, das Wort ›eloquent‹ später nachzuschlagen.
Herr Arnold wartete schweigend, was sich als überaus unangenehme Taktik erwies. Mittlerweile brannten Lukas’ Wangen. War es schon immer so heiß hier drin gewesen?
»Theater-AG«, sagte der Direktor dann.
Was ein Scherz sein musste.
»Ich kann kein Theater spielen«, sagte Lukas schnell.
»Deshalb wirst du es dort auch lernen.«
»Aber das geht nicht.«
»Weil?«
»Ich es nicht mag.« Und es eine schreckliche Idee war! Außerdem war Ella ebenfalls dort, sie würde ihn mit Blicken erdolchen und ständig belagern.
»Wir müssen im Leben alle Dinge tun, die wir nicht mögen. Es gibt Fächer, die dir nicht gefallen, aber du lernst sie, um für das spätere Leben gerüstet zu sein.«
Verdammt! Es war die Für-das-Leben-gerüstet-Ansprache. Das konnte nicht nur dauern, es gab auch keine Gegenargumente.
Und da ging es bereits weiter.
Direktor Arnold schien Übung darin zu haben, denn die Sätze wirkten einstudiert, als habe er sie schon hundert Mal aufgesagt.
»… beispielsweise Mathematik.« Nach geschlagenen fünfzehn Minuten kam der Direktor zum Ende. »Trotzdem ist es wichtig.«
»Hm«, verlegte sich Lukas auf so wenig Angriffsfläche wie möglich.
»Wir sind uns also einig?«, hakte Direktor Arnold schließlich nach.
Und was hätte Lukas auch antworten sollen? »Klar. Ich freue mich darauf.«
»Etwas mehr Begeisterung, dann sehe ich großartige Theaterstücke vor uns, in denen du die Hauptrolle übernehmen darfst.«
Was für Lukas bedeutete, besagte Begeisterung auf ein Minimum zu reduzieren. Möglicherweise konnte er Schlimmeres verhindern, wenn er sich so schlecht anstellte, dass man ihm keine Rolle geben konnte. Er könnte doch zum Beispiel als Baum in der Ecke stehen.
Der Direktor, der ihn die ganze Zeit eindringlich gemustert hatte, ergänzte: »Es gibt übrigens Noten.«
Konnte er etwa Gedanken lesen? Vermutlich war auf Lukas’ Gesicht das Entsetzen abzulesen.
»Ich war auch mal jung. Und jetzt raus mit dir.« Schon wandte sich der Direktor der nächsten Akte zu.
Vor der Tür atmete Lukas tief ein und wieder aus. Er musste Theater spielen! Wie hatte es nur so weit kommen können?
Wütend warf er sich gegen die Schwingtür und trat ins dämmrige Tageslicht. Im gleichen Augenblick fielen die ersten Regentropfen.
»So ein Zufall«, erklang Ellas Stimme. »Du bist auch noch hier.« Es klickte, als sie den Regenschirm aufspannte. »Da können wir uns auf dem Heimweg weiter unterhalten. Willst du unter den Schirm?«
Schweigend zog Lukas die Kapuze seines Hoodies über und stapfte in den Regen. Ella folgte ihm.
Endlich!
Die Woche neigte sich dem Ende zu, was Lukas’ Martyrium beendete. Der Vorfall mit dem Chat hatte dafür gesorgt, dass er Internetverbot erhielt. Zusätzlich war sein Vater plötzlich erpicht darauf, aus Lukas ein Mathematikgenie zu machen. Stundenlang saßen sie gemeinsam im Wohnzimmer über irgendwelchen komplizierten Hausaufgaben, die durch erbarmungslose Übungen erweitert wurden. Durch die Zusatzaufgaben war Lukas abends zum Umfallen müde. Kaum hatte er sein Zimmer betreten, fiel er aufs Bett und schlief ein. Lukas kam sich vor wie in einem Gefängnis. Einem, das von zwei Aufsehern mit Habichtsaugen geleitet wurde.
Glücklicherweise endete seine Tortur mit dem Ende der Woche. Da samstags keine Schule war, würde seine Mutter ihn nicht länger kontrollieren und sein Vater hatte es inzwischen aufgegeben, aus ihm ein Genie zu machen.
»Jetzt kehren wir alle zurück zu unserem inneren Ausgleich«, verkündete Lukas’ Mutter am Abend. »Unser Sohn hat seinen Fehler eingesehen, damit ist alles vergeben und vergessen.«
»Und wird sich nicht wiederholen«, betonte sein Vater mit einem scharfen Blick.
Lukas nickte verbissen. Sohn eines Lehrers zu sein brachte so viel Nachteile mit sich. Bruder einer kleinen Schwester zu sein ebenfalls, wie er die Woche über wieder einmal hatte feststellen dürfen. Immer wieder war das Schwestermonster an ihm vorbeigelaufen und hatte gerufen: »Das Internet ist weg, es kommt bestimmt nie wieder.«
Endlich war das Abendessen zu Ende. Lukas raste in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich ins Schloss.
»In diesem Haus werden keine Türen geknallt«, brüllte sein Vater.
Sicherheitshalber schob Lukas den Riegel vor, der an der Innenseite angebracht war. Vor dem Fenster zog die Dunkelheit herauf und Regentropfen trommelten in einem stetigen Tock, Tock gegen die Fensterscheibe. In Winterstein regnete und stürmte es ständig.
Lukas schlüpfte in seine Turnschuhe, schnappte sich seinen Rucksack und zog das Buch aus dem Regal, das den geheimen Mechanismus auslöste. Lautlos glitt die Tür hervor. Warmes Licht empfing ihn, als er die Treppenstufen immer zwei auf einmal nehmend nach oben sauste.
Das Studierzimmer erwartete ihn, wie er es verlassen hatte. Die Tiegel mit Pulver und Fläschchen mit Flüssigkeit standen auf den Regalen, Bücher lagen aufgeschlagen auf dem Tisch, das Pendel der Standuhr schwang von links nach rechts.
Er schnappte sich die Schale mit dem Flüsterpulver und streute vorsichtig einen Teil auf sein Gesicht. Das blaue Pulver flirrte wie Sternenstaub, als die Magie zu wirken begann. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte Lukas, dass er den Wald in seiner magischen Form erkennen konnte. Obgleich tiefste Nacht war, waberte die schimmernde Schutzsphäre deutlich sichtbar unter dem Sternenhimmel. Zwischen dem Geäst zeichneten sich Schemen ab.
»Wo fange ich an?«
Er hatte beschlossen, wieder einfach in den Wald hineinzulaufen. Irgendwie würde er Rani, Felicitas und Punchy schon finden. Gerade wollte er sich der Treppe zuwenden, als ihm etwas ins Auge stach.
Auf dem Tisch lag ein winziger Zettel, auf den jemand etwas geschrieben hatte. Ein Wort, das keinen Sinn ergab. Es sah nicht nach der Schrift des Professors aus und er war sich auch ziemlich sicher, dass der Zettel bei seinem letzten Besuch nicht da gelegen hatte. Ein Wesen des Flüsterwalds war hier gewesen! Mit gerunzelter Stirn wendete er das Blatt, doch es gab keinerlei Hinweis, was er tun sollte.
Leise murmelnd sprach er das Wort.
Wie angeknipst begann die Halbkugel in der Standuhr zu glühen, die Zeiger verstellten sich auf fünf vor zwölf (auch wenn es keine Zahlen, sondern seltsame Symbole waren, die an der Uhr angebracht waren). Das Pendel klappte beiseite. Dahinter kam das blau-weiße Flirren zum Vorschein, das für ein Portal typisch war.
Entsetzt wich Lukas zurück.
War das eine Falle?
Seine Gedanken wurden von einem pelzigen Bündel unterbrochen, das frontal gegen ihn knallte. Aufschreiend kippten sie beide um.
»Rani!«, rief Lukas.
»Wieso stehst du vor der Standuhr, wenn ein Portal sich öffnet?« Der Menok reichte ihm nur bis zum Knie, als er sich aufrichtete und das zerzauste Fell mit seinen Händen und dem Greifschwanz glattstrich. Seine Lesebrille hatte er nicht aufgesetzt.
»Ich wusste ja nicht, dass ihr kommt.«
Die Arme in die Hüfte gepresst, stellte sich der Menok vor dem Portal auf. »Es weiß doch jeder, dass man besser zur Seite geht, wenn es wabert.«
Mit einem Klong krachte Rani gegen das gegenüberstehende Regal, als Punchy wie eine Kanonenkugel durch das Flimmern geflogen kam. Ein aus Ton getöpfertes Etwas fiel herab und zerbrach in Scherben.
»Ja«, kommentierte Lukas trocken. »Du hast vollkommen recht, das sollte man wissen und besser nicht davorstehen.«
War das eine Art Grinsen auf Punchys Gesicht, das er da sah? Lukas blinzelte. Im nächsten Augenblick leckte sie sich bereits wieder gelangweilt die Tatzen, als sei ihr die Welt egal.
Den Abschluss bildete Felicitas, die armlange Elfe, die aufgeregt mit den Flügeln schlug. »Lukas, es ist so schön, dich zu sehen!« Ihr Blick fiel auf Punchy und Rani. »Ich habe die Stärke der Magie wohl ein klitzekleines bisschen unterschätzt. Der Flug war doch sehr … wuchtig.«
»Ach«, patzte der Menok, »meinst du? Ich bin gegen unseren Menschenfreund gestoßen.«
»Oh nein.« Felicitas erbleichte. »Geht es dir gut, Lukas?«
Dass sie diese Frage nur an Lukas richtete, versetzte Rani erneut in Aufregung.