Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. In den Fängen der Zauberin  (Flüsterwald, Staffel II, Bd. 3) - Andreas Suchanek - E-Book

Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. In den Fängen der Zauberin (Flüsterwald, Staffel II, Bd. 3) E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Band 3 der zweiten Staffel: Die preisgekrönte Fantasyreihe für Kinder ab 9 Jahren geht weiter! Lukas ist starr vor Schreck: Die fremde Zauberin hat Ella entführt! Doch wo genau befindet sich Ella? Zusammen mit seinen Freunden aus dem Flüsterwald, dem Menok Rani, der Elfe Felicitas und der Katze Punchy, sucht Lukas nach Wegen, um Ella aufzuspüren. Ihre einzige Hoffnung ist eine Elfe, die auf Suchzauber spezialisiert ist, doch die entpuppt sich als Mirabella von Sommerlicht – Felicitas' Erzfeindin aus dem Elfeninternat. Kann Felicitas über ihren Schatten springen? Und finden die Freunde einen Weg, um Ella aus den Fängen der Zauberin zu befreien? Spannende Wendungen, viel Witz und maximaler Lesespaß – eine Abenteuerreihe mit Suchtfaktor!

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Seitenzahl: 184

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Lukas ist starr vor Schreck: Die fremde Zauberin hat Ella entführt! Doch wo genau befindet sich Ella? Zusammen mit seinen Freunden aus dem Flüsterwald, dem Menok Rani, der Elfe Felicitas und der Katze Punchy, sucht Lukas nach Wegen, um Ella aufzuspüren. Ihre einzige Hoffnung ist eine Elfe, die auf Suchzauber spezialisiert ist, doch die entpuppt sich als Mirabella von Sommerlicht – Felicitas‘ Erzfeindin aus dem Elfeninternat. Kann Felicitas über ihren Schatten springen? Und finden die Freunde einen Weg, um Ella aus den Fängen der Zauberin zu befreien?

Die Fantasy-Reihe mit Suchtfaktor - Band 3 der zweiten Staffel!

Lukas (Mensch)

*Leseratte und Abenteurer

*muss sich in einer neuen Stadt zurechtfinden

*seine Familie hat keine Ahnung vom Flüsterwald oder von Magie

Ella (Mensch)

*Lässt sich von niemandem aufhalten

*Liebt ihren Großvater über alles

*hat viel in der Theater-AG gelernt

Felicitas (Elfe)

*zaubert gerne (was nicht immer klappt wie geplant)

*fühlt sich im Internat einsam und unternimmt deshalb öfter (verbotenerweise) Streifzüge

Rani (Menok)

*Nachwuchsautor, forscht über Menschen

*spielt für sein Leben gerne und ist schokoladensüchtig

Punchy (Katze)

*heißt mit vollem Namen: Pedora Ulinde Naftet von Chibalka

*Aufpasserin von Felicitas

*hat Nerven aus Stahl

Inhalt

Prolog

Ein seltsamer Morgen

Wo ist Ella?

Gefangen

Katzenhafter Besuch

Spurensuche

Mirabella von Sommerlicht

Konfrontation mit der Zauberin

Die letzten Minuten

Wark-Besuch

Die Geisterschimmer-Schleuder

Auf der Flucht

Gemeinsam

Das Hauptquartier

Pläne schmieden

Einen Traum weit entfernt

Im Schatten des Uluru

Regenbogenfreunde

Das Traumzeitgespinst

Gefährlicher Uluru

Schlangen und ihre haarigen Freunde

Traumzeitgefahr

Ranis lustige Abenteuer

Seele aus Stein

Auge in Auge

Die Macht der Träume

Katzentraumkampf

Hinter dem giftigen Nebel

Der Plan der Zauberin

Zurück in die Herzburg

Chaos

Prolog

Der Sog erfasste Ella und riss sie mit sich fort. Eben hatte sie noch auf der Plattform der Blinzelbahn für die fernen Wälder gestanden, schon verließ sie den Flüsterwald.

Sie war allein am Samstagnachmittag hierhergekommen, einen Tag nachdem Lukas und sie von ihrem Abenteuer aus dem Katzenwald zurückgekehrt waren. Die geheimnisvollen Andeutungen der Seherkatze hatten ihr keine Ruhe gelassen. Was hatten sie und die anderen nur übersehen? Dann hatte die Zauberin aus dem Hinterhalt zugeschlagen. Genau in dem Moment, als Ella das Rätsel löste und die Zusammenhänge verstand. Sie wusste jetzt, welche Waldseele das Einfallstor sein sollte.

Doch es war zu spät.

Sie konnte die Information mit niemandem mehr teilen. Ella wurde durch die Verbindung in die fernen Flüsterwälder gewirbelt – wie ein Korken in einem wilden Fluss. Dann stoppte die Passage abrupt. Für eine Sekunde hing sie zwischen den Wäldern. In der zweiten Hälfte des Weges veränderte sich gewöhnlich die Reise mit der Blinzelbahn: Sie passte sich den Besonderheiten des entsprechenden Ankunftswaldes an.

Die Reise zum Katzenwald hatte die Blinzelbahn zu Katzenlinien werden lassen.

Und hier?

Ella spürte Wärme und Behagen, als es weiterging. Sie gähnte, döste ein. Bis sie den fernen Flüsterwald erreichte. Mit einem Purzeln landete sie auf dem Boden, wurde von Magie erfasst und weitertransportiert, bevor sie richtig zu sich kam. Der Ruck, der sie bei ihrer endgültigen Ankunft erwartete, vertrieb jeden Schlaf.

Vor ihr stand ein wütend dreinschauender Junge.

Er nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, daher sah sie den Schlag von rechts nicht kommen. Sie wurde getroffen und ging zu Boden.

Ein seltsamer Morgen

Lukas

Müde und gelangweilt starrte Lukas in Richtung Tafel, wo Herr Rechbit mit der Kreide Diagramme aufmalte. Normalerweise mochte Lukas den Informatikunterricht, doch heute war alles anders.

Zum einen ghostete Ella ihn seit gestern, was so gar nicht zu ihr passte: Sie antwortete nicht auf seine Nachrichten und ging nicht an ihr Smartphone. Leider war er selbst heute Morgen so spät zur Schule gekommen, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, sie auf dem Gang abzupassen.

Zum anderen hatte Herr Rechbit beschlossen, ihnen ausgerechnet in der heutigen Stunde die Theorie von einfachen Strukturdiagrammen nahezubringen, weshalb die Rechner nicht angeschaltet werden durften.

Lukas hätte liebend gerne gegen die Anordnung verstoßen, um Ella eine E-Mail zu schreiben, aber die letzte Aktion dieser Art hatte ihm ein ganzes Schuljahr Theater-AG eingebracht. Wer konnte schon ahnen, was sich Konrektorin Abeni ausdenken würde, wenn sie dieses Mal über seine Strafarbeit entschied. Direktor Arnold war mittlerweile die Nettigkeit in Person, da machte Lukas sich weniger Sorgen.

»Und deshalb nennt man das? Na, irgendwer?«, fragte Herr Rechbit.

Lukas konnte spüren, wie sein suchender Blick auf ihn einschwenkte.

Und tatsächlich sagte der Lehrer: »Lukas?«

Er hätte die Antwort sicher gewusst, leider kannte Lukas die Frage nicht. Er blickte auf die Kreidestriche an der Tafel und versuchte, die Problemstellung daraus abzuleiten. Er wollte Herrn Rechbit, der ihn hoffnungsvoll anschaute, nicht enttäuschen. Denn normalerweise konnte Lukas im Informatikunterricht immer eine Antwort geben, ganz im Gegensatz zu seinen Mitschülerinnen und Mitschülern.

Glücklicherweise erklang genau in diesem Augenblick ein energisches Klopfen an der Tür. Kurz darauf streckte Konrektorin Abeni den Kopf herein. Wie immer glänzten ihre schwarzen Locken gepflegt und fielen gleichzeitig luftig um ihr Gesicht. Sie trug einen blauen Bleistiftrock und dazu passende Saphirohrringe.

»Entschuldigen Sie die Störung, Herr Kollege, aber ich müsste Ihnen Lukas kurz entführen.« Sie winkte ihm auffordernd zu.

Glücklicherweise waren Lukas’ Reflexe durch zahlreiche Abenteuer im Flüsterwald trainiert, weshalb er lediglich fünf Sekunden mit offenem Mund in Richtung der Konrektorin starrte. Als er sich anschließend auf den Weg zur Tür aufmachte, überlegte er, ob er versehentlich etwas ausgefressen hatte. Aber nein, ihm wollte nichts einfallen.

»Guten Morgen!«

»Guten Morgen, Lukas!« Frau Abeni schloss die Tür hinter ihm. »Wir gehen direkt in mein Büro. Und keine Sorge, du steckst nicht in Schwierigkeiten.«

Sie eilte davon und Lukas – so schnell er konnte – hinterher. Die Aussage weckte seine Neugierde. Wenn es hier nicht um ihn ging, was war dann los?

Nachdem Lukas einen gefühlten Sprint hinter sich gebracht hatte, öffnete Konrektorin Abeni die Tür zu ihrem Büro. Lukas trat ein und starrte verblüfft auf Direktor Arnold, der tröstend die Hand von niemand anderem als Ellas Mutter hielt! Und sie wiederum seine, ebenfalls tröstend.

»Es ist so schrecklich«, sagte der Direktor mit Tränen in den Augen. »Ich fühle mit Ihnen.«

Was eindeutig der Wahrheit entsprach.

»Wir schaffen das schon«, sagte Frau Simbach mit brüchiger Stimme und tätschelte ihm die Hand. »Ella geht es bestimmt gut.« Die letzten Worte brachte sie stockend hervor und es wirkte eher, als wollte sie sich selbst überzeugen.

»Was ist mit Ella?!«, platzte es aus Lukas heraus.

Seitdem der Schattenzwilling nicht mehr mit dem Direktor verbunden war, war dieser überaus freundlich und emotional. Das betraf auch seine Anteilnahme.

»Deine Freundin ist verschwunden«, erklärte Konrektorin Abeni. »Deinem überraschten Gesichtsausdruck entnehme ich, dass das auch für dich neu ist.«

»Sie hat seit gestern nicht mehr auf meine Nachrichten geantwortet«, erwiderte er. »Ich wollte sie in der Pause fragen, was los ist.«

Frau Simbach stand auf und trat zu ihnen. »Lukas, wann hast du Ella zuletzt gesehen?«

Er schluckte. Die Wahrheit wäre Folgendes gewesen: »In der Nacht von Freitag zu Samstag, als wir Ellas Blinzelmagie und meine Siegelmagie eingesetzt haben, um zum Katzenwald zu reisen. Dort hat eine böse Zauberin alle Katzen versteinert und mithilfe der Schöpfungsapparatur die Magie sämtlicher Flüsterwälder über die Blinzelbahnverbindungen abgesaugt. Aber wir haben ihren Meisterschlüssel zerstört und damit die Verbindungen zu den fernen Wäldern unterbrochen. Deshalb kann sie ihre Schöpfungsapparatur nur noch in einem Wald einsetzen. Als Nächstes werden wir die Apparatur zerstören, dann ist alles wieder gut.«

Aber das konnte Lukas den Erwachsenen wohl kaum sagen. Sie hätten ihn für verrückt erklärt. Außerdem hätte er dann von dem geheimen Raum auf seinem Speicher erzählen müssen – und von dem Flüsterpulver, mit dessen Hilfe die magischen Bewohner des Flüsterwaldes für Menschenaugen überhaupt erst sichtbar wurden.

»Wir waren am Freitagabend spazieren«, sagte er daher schnell und berichtete, dass er seitdem auch nichts mehr von Ella gehört hatte.

Stille senkte sich herab und die Unruhe im Blick von Frau Simbach nahm zu. Direktor Arnold trötete in ein Taschentuch.

»Ich kontaktiere die Polizei«, sagte Frau Abeni schließlich. »Lukas, du gehst bitte wieder in deine Klasse zurück.«

»Mach dir keine Sorgen«, fügte Frau Simbach an Lukas gewandt tröstend hinzu, auch wenn ihre geröteten Augen genau das Gegenteil ausdrückten, »wir finden Ella und alles wird gut.«

Lukas hatte das Gefühl, dass sie ihn zu beruhigen versuchte, sich in Wahrheit aber selbst das Schlimmste ausmalte. Er nickte vorsichtig lächelnd und verließ mit hängenden Schultern das Büro, während die Erwachsenen eifrig diskutierten und die Konrektorin nach dem Hörer des Telefons auf ihrem Schreibtisch griff.

Sobald Lukas außer Sichtweite der Sekretärin war, rannte er los. Keuchend erreichte er sein Klassenzimmer, wo die Informatikstunde gerade zu Ende ging. Er eilte zu seinem Platz, packte seinen Rucksack und flitzte wieder hinaus. Normalerweise hätte jetzt noch eine Stunde Deutsch angestanden (was er sehr mochte), gefolgt von der Theater-AG. Doch heute konnte er unmöglich still im Unterricht sitzen und warten, bis er endlich nach Hause durfte. Ella war in Gefahr, das war klar. Etwas musste passiert sein, immerhin hatte sie am Samstag noch mehrfach versucht, ihn anzurufen.

Doch weil er mit seiner Mutter, seinem Vater, seiner kleinen Schwester Lisa und Tante Stefanie Brettspiele gespielt hatte, war Lukas nicht ans Handy gegangen. Jetzt machte er sich Vorwürfe.

Falls Ella im Flüsterwald war, wäre es auch nicht möglich, sie über ihr Smartphone zu orten. Technik verhielt sich zwischen den magischen Wipfeln der Bäume äußerst unberechenbar.

Lukas gab alles und erreichte nach einem Zwanzigminutensprint das alte Herrenhaus am Stadtrand von Winterstein. Lisa war noch in der Schule, sein Vater als Lehrer sowieso, und da seine Mutter heute zum ersten Mal Meditationsunterricht geben würde, musste Lukas nicht vorsichtig sein. Niemand würde sich darüber wundern, dass er schon so früh zurück war.

Er friemelte den Schlüssel ins Schloss und riss die Haustür auf. Die Turnschuhe behielt er gleich an, wandte sich der Treppe zu und stürmte die Stufen hinauf.

Er musste so schnell wie möglich die geheime Tür hinter dem Bücherregal öffnen, hinauf auf den Speicher und von dort mittels Portalstanduhr in den Flüsterwald. Die Bewohner schliefen zwar alle noch – denn am Tag war für sie Schlafenszeit, während sie in der Nacht wach waren –, aber Professor von Thun arbeitete bestimmt schon in seiner Werkstatt. Und das Herz des Waldes würde ebenfalls helfen können. Und …

»Lukas?« Verblüfft sah Tante Stefanie auf. »Was machst du denn hier?«

Sie saß auf der breiten Fensterbank, ein Buch in der Hand.

Lukas hatte seine Tante vollkommen vergessen gehabt. Wie kam er jetzt an ihr vorbei auf den geheimen Speicher?

Wo ist Ella?

Lukas

»Ich mache mir Sorgen um eine Freundin.«

Lukas hatte beschlossen, seiner Tante die Wahrheit zu sagen – zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Natürlich würde er nichts vom Flüsterwald erzählen. So berichtete er, dass Ella verschwunden war.

»Das wird sich hoffentlich schnell klären, ich kann mir kaum vorstellen, dass hier in Winterstein etwas Schlimmes passiert.«

Tante Stefanie war in eine Decke eingewickelt und schloss jetzt das Buch über Ernährung, in dem sie gelesen hatte. Hier im Haus trug sie nicht ihre kniehohen Stiefel und den langen Mantel, stattdessen hatte sie eine bequeme Jeans und einen weißen Pullover übergezogen. Am Boden stand eine dampfende Tasse Tee. Jetzt wand sie sich aus der Decke und legte sie beiseite. Nachdem sie sich ausgiebig gereckt und gestreckt hatte, erhob sie sich.

»Weißt du was, ich mache dir auch einen Tee. Vielleicht fällt uns gemeinsam ja ein, wo Ella hingegangen sein könnte.«

Davon hatte Lukas eine ziemlich genaue Vorstellung. »Gute Idee«, sagte er dennoch zustimmend und nickte eifrig.

Tagsüber hielt sich Tante Stefanie seit ihrer Ankunft letzte Woche meist im Wohnzimmer auf, während sie nachts in Lukas’ Zimmer schlief. Ein Gästezimmer besaßen sie ja leider nicht. Angeblich wollte sie zwei oder drei Wochen bleiben, was vermutlich davon abhing, wie gut sie sich mit Lukas’ Mutter verstand und ob die beiden wieder aneinandergerieten.

Lukas wartete, bis das Knarzen der Treppenstufen verklang. Natürlich konnte er nicht einfach nur Tee trinken und mit Tante Stefanie in Ruhe über Ellas Aufenthalt spekulieren. Flink zog er an dem falschen Buch in seinem Regal, das den Mechanismus der Geheimtür auslöste und einen Teil des Regals nach außen klappen ließ. Dahinter führten Stufen in die Höhe. Schnell sprang er auf die Treppe, schloss den geheimen Zugang wieder und eilte hinauf. Tante Stefanie würde sich sicherlich wundern, wo er abgeblieben war, und dann hoffentlich vermuten, dass er sich allein auf die Suche gemacht hatte. Es tat ihm natürlich leid, einfach so abzuhauen, aber auf diese Weise konnte er Ella am schnellsten helfen.

Auf dem Speicher schlüpfte er in seine Abenteuerkleidung: Sneaker mit wärmendem Futter auf der Innenseite, ein Ersatzhoodie und eine dicke Winterjacke. Dazu kam der Rucksack mit seiner Standardausrüstung. Noch während er diesen festzurrte, schob er die Zeiger der geheimen Standuhr auf fünf vor zwölf. Das Portal baute sich auf. Lukas bestreute sich selbst mit Flüsterpulver und sprang in den farbigen Wirbel der Standuhr.

Einen Wimpernschlag später stand er im Baumhaus, das sich im magischen Flüsterwald befand.

»Was ist passiert?«, wurde er von einer aufgelösten Felicitas ohne Begrüßung empfangen.

Die Elfe war lediglich unterarmlang und trug bei jeder Temperatur ein Kleid. Ihr magischer Elfenstaub hielt sie dauerhaft warm.

»Woher wusstest du, dass ich komme?«, fragte Lukas verdutzt.

Sie hob ihr rechtes Handgelenk mit dem Tattoo darauf in die Höhe. Es zeichnete Lukas, Ella, Felicitas, Rani und Punchy als Beschützer des Waldes aus und verband sie miteinander. Das Tattoo bestand aus einem Kreis, auf dem jeder von ihnen durch ein Symbol abgebildet war. Das Herz des Waldes vermochte es ebenfalls, sie darüber zu kontaktieren.

»Ich konnte über das Tattoo deine Angst spüren«, erklärte sie. »Deshalb habe ich mich mitten am Tag, während alle anderen schlafen, aus dem Internat geschlichen.«

»Du solltest auch schlafen, Prinzessin«, meldete sich nun Punchy zu Wort. Die Katze, deren Aufgabe es war, Felicitas zu beschützen, wich ihr so gut wie nie von der Seite.

Plötzlich erklang ein Schnarchen. Es kam aus Richtung der aufgeschichteten Kissen, wo normalerweise Punchy lag. Lukas sah braunes Fell, das zwischen den bunten Kissen hervorlugte.

»Ist das Rani?«, fragte er.

Felicitas nickte eifrig. »Als ich deine Angst gespürt habe, habe ich habe mich zu ihm in den Bau teleportiert. Da war es ganz schön eng und beinahe wäre ich bei Pera gelandet. Zuerst wollte Rani nicht mit, doch dann habe ich ihm Schokolade versprochen – sobald wir das Abenteuer überstanden haben.«

Rani war ein knuffiges Kerlchen, leider aber auch ziemlich eingenommen von sich selbst. Er reichte Lukas gerade mal bis zum Knie, sah aus wie eine Kreuzung aus Biber und Hamster (was man ihm niemals sagen durfte, er mochte Hamster nicht) und besaß einen Greifschwanz. Die Schokolade durfte er natürlich erst nach dem Abenteuer bekommen, weil er sonst umgehend einschlief.

»Er ist wohl wirklich sehr müde«, meinte Lukas mit Blick auf den Kissenberg.

Felicitas hüstelte. »Weißt du, Lukas, er hat gerade einen Schlafschub.«

Punchy schlug sich bei ihren Worten die Pfote gegen die Stirn und wirkte, als stünde ihnen allen etwas Schreckliches bevor.

»Das ist egal, wir müssen sofort zur Herzburg. Ella ist verschwunden«, sagte Lukas hastig. »Ihr wisst doch noch, dass die Seherkatze im Katzenwald ihr gesagt hat, dass der Blick der Zauberin auf ihr ruhen würde.«

»Du glaubst, ihr ist etwas passiert?«, hauchte Felicitas mit großen Augen.

»Ella würde niemals einfach so abhauen.«

Die Elfe berührte die Tätowierung an ihrem Arm und schloss die Augen. »Ich kann sie nicht fühlen.«

»Vielleicht kann das Herz sie finden.« Lukas wandte sich den Kissen zu. »Wir wecken Rani und dann blinzeln wir uns zur Herzburg.«

»Warte!«, rief Felicitas noch.

Doch Lukas machte sich zu viele Sorgen um Ella, um nur einen Moment länger verstreichen zu lassen. Er zog die Kissen beiseite, zwischen denen der Menok eingerollt schlief wie ein Baby.

»Rani«, sagte er sanft. »Wach auf!«

Der Menok blinzelte. »Lukas?« Rani richtete sich auf und kratzte sich mit dem Greifschwanz am Kopf. »Lukas!« Ein Strahlen erhellte das pelzige Gesicht mit der Knubbelnase. »Du siehst lustig aus.« Er griff nach vorne, zog mit beiden Pfotenhänden Lukas’ Lippen auseinander und blickte in seinen Mund. »Ich wollte schon immer wissen, wie es da drinnen aussieht. Hihi.«

»Wach macht gu ga?«, fragte Lukas mit offenem Mund.

Felicitas stöhnte auf. »Er hat doch jetzt seine Schubwochen. Du erinnerst dich … der P.I.C.K.E.L.«

Die Elfe versuchte, das Wort Pickel mit sehr vielen Pausen zwischen den Buchstaben auszusprechen, damit Rani es nicht verstand. Beim letzten Mal hatte allein die Andeutung, er könnte einen haben, seine Laune sinken lassen. Felicitas hatte Lukas erklärt, dass Menoks in den Schubwochen abrupten Emotionsschwankungen unterworfen waren. Mal waren sie grummelig, mal lustig, mal heldenhaft und mal dauermüde.

Bevor Lukas auf die Information reagieren konnte, schnellte Ranis Greifschwanz vor. Er packte Lukas’ Zunge und zog daran. »Wie weit geht die raus?« Er kicherte.

Lukas befreite sich von dem Greifschwanz und machte einen Schritt zurück. »Ist das ein Frechheitsschub?«

»Nein, ein Spaßschub«, erklärte Felicitas. »Er wird uns jetzt die ganze Zeit Streiche spielen und alles witzig finden.«

»Na toll, gerade jetzt. Egal, wir müssen zur Herzburg.«

»Oh ja!«, rief Rani. »Das Herz strahlt immer so lustig.«

Er schoss zur Tür im Baumstamm, öffnete sie und war bereits auf dem Weg nach unten, während Lukas, Felicitas und Punchy ihm noch hinterhersahen.

»Na ja, es könnte wohl schlimmer sein«, murmelte Lukas.

»Das stimmt«, sagte Felicitas. »Warte, bis du seine Schlechte-Laune-Schübe abbekommst. Oder die Heldenschübe, da müssen wir wirklich auf ihn achtgeben. Da stellt er sich auch gerne mal vor einen Pitchi-Ball, der angesaust kommt.«

Punchy, Felicitas und Lukas eilten hinter Rani die Stufen hinunter zur Blinzelbahn. Auf dem Weg warf Felicitas Elfenstaub über Lukas, woraufhin seine Ohren spitz zuliefen. Damit ihn niemand im Flüsterwald als Mensch erkannte, bekam er stets Elfenohren gezaubert. Er nahm es jedoch nur am Rande wahr, so sehr hatte er sich mittlerweile daran gewöhnt. Seine Gedanken waren bei Ella. Sie mussten sie so schnell wie möglich finden. Das Herz kannte bestimmt eine Antwort.

Unten angekommen hatte der Menok aus den herumstehenden Tischen und Stühlen einen ziemlich wackeligen Hügel gebaut, war hinaufgeklettert und versuchte jetzt, die an der Decke hängende magische Blinzelkugel zu kitzeln.

»Rani, hör auf!«, rief Felicitas.

»Aber ein wenig Lachen tut der Blinzelbahn gut«, entgegnete der Menok.

Leider war er dadurch so abgelenkt, dass der gesamte Aufbau kippte.

Felicitas ließ Feenstaub wirbeln und fing Rani in der Luft auf. Die Möbel polterten und krachten zu Boden. Der Menok flatterte mit seinen Armen. »Ich bin ein Flugmenok.«

»Es ist vielleicht doch schlimmer, als ich dachte«, gab Lukas zu.

Dennoch stellte er sich auf das Podest der Blinzelbahn.

Felicitas justierte das Ziel, hielt Rani in der magischen Schwebe und blinzelte.

Die Reise zur Herzburg verlief ohne weitere Zwischenfälle.

Doch was das Herz ihnen enthüllte, ließ Lukas innerlich erschauern.

Gefangen

Ella

»Du hättest nicht so hart zuschlagen müssen«, hörte Ella die Stimme eines Jungen, als sie langsam wieder zu sich kam.

Ella blinzelte. »Aua.«

»Sie ist wach!« Ein Mädchen stand mit verschränkten Armen an der Wand. Wütend wandte sie sich Ella zu. »Dann erkläre uns jetzt mal, was du hier tust. Arbeitest du mit den Katzen zusammen?«

»Katzen? Was? Nein …«, murmelte Ella, die immer noch etwas benommen von dem Schlag war. Langsam rappelte sie sich auf. »Die böse Zauberin hat mich entführt und plötzlich bin ich hier gelandet. Wo genau ist hier, wenn wir schon mal dabei sind?«

Ella ließ den Blick über ihre Umgebung schweifen und versuchte, sich zu orientieren. Sie stand in einer steinernen Zelle, ähnlich einem Verlies. Es gab keine Türen, dafür ein großes Fenster, das einen Ausblick auf dichtes Grün bot.

»Magisch imprägniert«, warf das Mädchen ein, das ihrem Blick gefolgt war, und nach Ellas Antwort deutlich besänftigter wirkte. »Unzerstörbar.« Sie trug enge Jeans und ein ärmelloses Top. Um ihren Hals hing eine Kette aus verschiedenfarbigen Holzkugeln, das Haar fiel ihr in braunen Locken bis zur Schulter. »Ich bin Zoe.« Sie wirkte wie ein Sturm, der kurz davor war, mit seiner ganzen Kraft loszubrechen.

»Ella.«

Der Junge stand an der Seite. Das dunkle Haar trug er modisch geschnitten: an der Seite kurz, oben lang. Seine Klamotten bestanden aus verschlissenen Jeans, einem Shirt mit Schnüren am Kragen und Sneakers. Sein linkes Handgelenk zierte ein Lederarmband, in das Holzperlen geflochten waren. »Ich bin Noah.« Er wirkte wie ein Stein in einem Bach, der von Wasser umspielt wurde, sich davon aber nicht beeindrucken ließ.

»Mein Bruder.« Zoe nickte mit dem Kopf in seine Richtung.

»Adoptivbruder«, ergänzte dieser. »Im Herzen sind wir eine Familie, aber durch mich fließt das Blut meiner Ahnen, die seit Anbeginn den australischen Kontinent bewohnen. Mein wahrer Name ist Djalu.«

Ella hatte bereits vermutet, dass sie sich im australischen Flüsterwald befand. Die Prophezeiung der Seherkatze, die Anspielungen auf den großen Felsen gemacht hatte, hatte sie auf den Ayers Rock gebracht oder auch Uluru, wie er von den Ureinwohnern genannt wurde: der gewaltige rote Berg, für den Australien unter anderem bekannt war. »Ich komme aus dem Flüsterwald in Deutschland«, erklärte Ella.

Sie erinnerte sich daran, dass sie im Erdkundeunterricht auch Australien durchgenommen hatten. Der Zeitunterschied betrug zwischen neun und zehn Stunden. Ihr Zeitgefühl war vollkommen durcheinander. Vor dem Fenster brach der Abend herein, in Deutschland musste es also noch Morgen oder früher Vormittag sein.

»Ihr seid auch Gefangene?«, schlussfolgerte Ella mit Blick auf das Kellerverlies. »Hast du mich deshalb geschlagen?«

Zoe schürzte die Lippen. »Tut mir leid. Ich dachte, du arbeitest für die Zauberin und wärst diese Katze mit dem zotteligen Fell, die immer mal wieder nach uns sieht.«

»Zottelfell?!«, entfuhr es Ella.

Sie hatte den Anführer der Angreiferkatzen bereits kennengelernt, sogar schon gegen ihn und seine Truppe gekämpft. Mittlerweile wusste sie jedoch, dass die bösen Katzen in Wahrheit verwandelte Flüsterwaldwesen waren, die ihre Herkunft nicht länger kannten und eine Wesensveränderung durchgemacht hatten. Ein gefährlicher Trank hatte das bewirkt. Genau das berichtetet Ella den beiden Geschwistern. Ebenso erzählte sie von der deaktivierten Blinzelbahn in die fernen Länder und dem Schwinden der Magie in ihrem Flüsterwald.

»Bei uns hat es genauso begonnen«, erklärte Zoe. »Zuerst wurden magische Tränke schwächer, Zauber funktionierten nicht mehr und schließlich …« Sie sah zu Boden.

Ella glaubte zu wissen, was weiter geschehen war, ließ den beiden aber Zeit.