For 100 Nights - Obsession - Lara Adrian - E-Book
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Lara Adrian

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Beschreibung

"Hundert Nächte in meinem Bett ..."


Seit hundert Tagen lebt Avery mit dem unwiderstehlichen Milliardär Nick Baine in einer Welt voller Luxus. Hundert Nächte bedingungsloser Hingabe fordert er für die Vergebung ihrer Lügen. Doch auch wenn die Leidenschaft zwischen ihnen unendlich, die Ekstase vollkommen ist - Avery weiß, dass sie Nick niemals ganz besitzen kann. Denn die Schrecken ihrer Vergangenheit sind nicht gebannt, und ihr wird mehr und mehr klar, dass auch Nick etwas vor ihr verbirgt ...



"Ein absolut heißes Lesevergnügen." Feeling Fictional über For 100 Days - Täuschung

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Seitenzahl: 374

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Inhalt

TitelZu diesem Buch123456789101112131415161718192021222324252627Die AutorinDie Romane von Lara Adrian bei LYXImpressum

LARA ADRIAN

For 100 Nights

Obsession

Roman

Ins Deutsche übertragen vonFirouzeh Akhavan-Zandjani

Zu diesem Buch

Seit hundert Tagen lebt Avery mit dem unwiderstehlichen Milliardär Nick Baine in einer Welt voller Luxus. Noch nie zuvor hat sie eine solche Leidenschaft und Ekstase erlebt.

Nick entführt sie in erotische Gefilde, die sie niemals für möglich gehalten hat. Doch ihre Lügen hätten beinahe den Traum zerstört, in dem sie sich plötzlich befindet. Hundert Nächte in seinem Bett fordert Nick für seine Vergebung. Hundert Nächte zu seinen Bedingungen: vollkommene Hingabe, vollkommenes Vertrauen, keine Geheimnisse mehr. Avery willigt ein, obwohl sie weiß, dass es eines gibt, das sie niemals mit Nick teilen kann – denn die Schrecken ihrer Vergangenheit erheben erneut ihr hässliches Haupt und drohen alles zu zerstören. Und damit nicht genug: Avery erkennt mehr und mehr, dass auch Nick etwas vor ihr verbirgt …

1

Der Sonnenaufgang lässt den sich windenden Lauf des East River glitzern, und der helle Schein des Augustmorgens vergoldet die Fassaden der eleganten Hotels und prächtigen Gebäude, die den grünen Central Park dreiundneunzig Stockwerke tief unter mir säumen. Ich hebe den Kopf vom Kissen, streiche mir das zerzauste blonde Haar aus dem Gesicht und beobachte atemlos und voller Ehrfurcht von meiner Aussichtsplattform hoch über der Stadt – wie sie nur wenigen vergönnt ist – das Schauspiel des anbrechenden Tages.

Ich erwache mit diesem Blick – in einem Bett auf dem Gipfel der Welt – seit nunmehr zwei Wochen, doch ich könnte schwören, dass jeder Morgen spektakulärer ist als der vorhergehende.

Das Gleiche gilt für die Nächte.

So groß die Versuchung auch sein mag, unter den Seidenlaken hervorzukommen und die Pracht der erwachenden Skyline von New York City zu genießen, ist mein Körper dafür doch zu träge und zu erhitzt und meine Glieder zu schwach, um sich zu bewegen. All meine Sinne vibrieren noch von dem unglaublichen, frühmorgendlichen Höhepunkt, der gerade erst dabei ist nachzulassen.

Ich seufze vor Wohlbehagen, und der feste, muskulöse Arm, der von hinten um mich geschlungen ist, spannt sich an, um mich fester an eine harte Brust zu ziehen. Warme Lippen und ein Gesicht, das durch winzige Bartstoppeln ganz rau ist, streichen mit einem Kuss, der flüssige Hitze direkt in meinen Schoß schießen lässt, über meinen Nacken.

Der Blick von der Penthousewohnung des höchsten Gebäudes von Manhattan ist zwar auf jeden Fall umwerfend, doch es ist der Mann, der meinen nackten Körper an seinen drückt, dem es immer gelingt, mich zu verzaubern, mich zu verblüffen.

Dominic Baine.

Er ist immer noch tief in mir und immer noch steif, obwohl er erst vor wenigen Augenblicken beim Höhepunkt laut meinen Namen gebrüllt hat. Seine Hüften drängen sich gegen meinen Hintern, und ich komme dem trägen Stoß mit einem Stöhnen entgegen, das zu unterdrücken ich noch nicht einmal versuche.

»Wie gierig, Miss Ross. So süß und fordernd.« Während er spricht, zieht er sich langsam zurück, und jeder Zentimeter Leere, den er hinterlässt, ist eine Qual – ein drohender Verlust, der dafür sorgt, dass sich mein Schoß aus Protest an ihn klammert. Ich spüre das Vibrieren seines leisen Lachens an meinem Rücken, und sein Mund streicht aufreizend über die empfindsame Haut hinter meinem Ohr. »Ich habe dich zweimal zum Kommen gebracht, seitdem du aufgewacht bist, und trotzdem bist du bereit für mich, damit ich es dir noch einmal besorge.«

Er formuliert es nicht als Frage. Er gibt sich noch nicht einmal den Anschein von Schicklichkeit, obwohl seine geschliffene Sprache, die tiefe Stimme und die Tatsache, dass er einer der angesehensten, erfolgreichsten und reichsten Männer des Landes ist, eigentlich etwas anderes vermuten lassen würden.

Aber Anstand und Schicklichkeit haben wir längst hinter uns gelassen.

»Sag es, Avery«, verlangt er mit leiser, doch fester Stimme dicht neben meinem Ohr.

»Ich will, dass du es mir besorgst, Nick. Gleich jetzt. Noch einmal. Ich will nicht, dass du jemals damit aufhörst.«

»Gutes Mädchen.« Er belohnt mich mit einem leichten Zwicken in meine Brustspitze, während er wieder bis zum Heft in mich eintaucht.

Er ist so riesig, unser Verlangen nacheinander so elementar, dass mir der Atem stockt. Dieses Verlangen lodert jetzt seit fast vier Monaten, seitdem wir uns das erste Mal begegnet sind – ein zufälliges Aufeinandertreffen in genau diesem Gebäude, und dann ein recht provokanter Austausch im Dominion, der Kunstgalerie in der Fifth Avenue, die Nick gehört.

Die Galerie, in der mehrere meiner Gemälde länger als ein Jahr gehangen hatten, ohne verkauft zu werden, ehe sie auf Nicks Anweisung hin vielversprechenderen Künstlern hatten weichen müssen.

Mir war gar nicht klar gewesen, dass Nick der Besitzer von Dominion war, als ich in jener ersten Nacht mit ihm im Bett landete. Als ich ein paar Tage später dann erfuhr, wer er war, wurde ich stinkwütend. Das hielt mich aber nicht davon ab, ihn zu wollen und auch nicht davon, mich kopfüber in eine sinnlich verzehrende – unendlich intensive – Beziehung mit ihm zu stürzen, wie ich sie noch mit keinem Mann zuvor erlebt hatte.

Nichts davon hatte ich jemals erlebt.

Aber gerechterweise muss erwähnt werden, dass es auch über mich Dinge gab, die Nick nicht wusste. Ich hatte ein, wie ich meinte, harmloses Spielchen mit ihm getrieben, indem ich vorgab, jemand anders zu sein, und ihn glauben ließ, ich wäre jemand Besseres, jemand ohne meine widerwärtige Vergangenheit und die drückende Last, die damit einherging.

Ich hatte so getan, als würde ich in Nicks Welt gehören, während ich in Wirklichkeit eine gescheiterte Künstlerin war, die sich als Barkeeperin über Wasser hielt und als Housesitterin einer Wohnung in diesem Gebäude nur vorübergehend in diese Märchenwelt getreten war.

Die ersten hundert Tage, die wir zusammen gewesen waren, hatte ich Nick meinen Schwindel nicht offenbart.

Sogar an den schlimmsten Unwahrheiten hatte ich festgehalten.

Als das ganze Lügengebäude schließlich zusammengebrochen war, hatte ich fest angenommen, ihn verloren zu haben. Doch stattdessen war er mir gefolgt. Er hatte mich aufgespürt. Er hatte mir vergeben.

Und dann hatte er den Preis dafür genannt, dass er mich wieder zurücknahm.

Einhundert Nächte.

Für jeden Tag, den ich ihn getäuscht hatte, verlangte er eine Nacht als Wiedergutmachung. Er wollte mich ganz und gar. In seinem Bett. Zu seinen Bedingungen. Voll und ganz seiner Gnade ausgeliefert.

Ich kann mir keine herrlichere Bestrafung vorstellen.

Er dringt wieder mit einem langen, harten Stoß in mich ein, der mich stöhnend aufschreien lässt. Ich bin körperlich völlig erschöpft, mein Schoß wund und geschwollen nach der rasenden Leidenschaft, mit der Nick mich letzte Nacht und heute Morgen genommen hat. Aber ich sehne mich nach diesem Schmerz. Ich sehne mich nach diesem Mann mit einer Inbrunst, von der mir eigentlich angst und bange werden sollte. Doch stattdessen gelüstet es mich nur nach mehr.

In einer Mischung aus Schmerz und Lust drehe ich meinen Körper, um ihn ganz in mir aufzunehmen, als sein nächster Stoß noch tiefer geht – so tief, dass ich befürchte, es könnte mehr sein, als ich ertragen kann. Ich will alles, was er mir gibt – die Lust und den Schmerz. Die Inbesitznahme.

Die Herrschaft, die nicht weniger verlangt als meine vollständige Unterwerfung.

Er stößt einen unterdrückten Fluch aus, und ich stöhne, als ich spüre, dass er sich weiter, schneller aus mir zurückzieht, als es mir gefällt. Er rutscht hinter mich und klatscht mir mit der flachen Hand auf den Po. »Komm hoch, Baby, auf alle viere.«

Während ich eilig seinem Befehl gehorche, merke ich, dass er das gebrauchte Kondom vom letzten Liebesspiel heute Morgen entsorgt und schnell ein frisches überstreift. Kurz danach ist er wieder da, und ich spüre die Hitze, die sein Körper ausstrahlt, an meinem nackten Hintern, der im schwachen Licht des Morgens seinem Blick voll ausgesetzt ist.

»Himmel, du bist so schön«, murmelt er und streicht mit den Händen an der Außenseite meiner gespreizten Schenkel nach oben, ehe er sie über die Rundung meines Hintern gleiten lässt.

Mit Blick zum bodentiefen Fenster beobachte ich die undeutlichen Schemen unseres Spiegelbilds in der Scheibe, während er nackt auf den Knien hinter mir aufragt und seine starken Hände über meinen ganzen Körper streichen. Bebend bäume ich mich auf, als seine Finger keinen Zentimeter meines Körpers auslassen. Das wärmende Verlangen, das mich eben schon erfüllt hat, zieht sich fester zusammen – heißer und voller Vorfreude lechzt es nach der bevorstehenden Lust.

»All das gehört mir«, sagt er, während seine Finger wieder nach unten gleiten, um sich flach auf die nackten Pobacken zu legen, sie zu drücken und auseinanderzuziehen. Dann lässt er mich los, sodass er mit der einen Hand über meinen gebeugten Rücken fahren kann, während die andere in meinen nassen, pochenden Schoß eindringt. »Alles von dir, Avery. Alles mein.«

»Ja.« Ich keuche das Wort, und es ist sowohl Eingeständnis als auch Bitte.

Ich gehöre ihm, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, was es am Ende für mich bedeutet, sein Besitz zu sein. Obwohl ich mich in ihn verliebt habe – und er das auch weiß –, haben wir uns gegenseitig nichts versprochen, was über diese hundert Nächte hinausgeht.

Und jetzt ist sowieso alles, was ich brauche, der nächste Moment. Ich brauche das Gefühl, ihn in mir zu spüren.

»Nick, bitte.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Wimmern. Ich keuche flach und schnell.

Er beugt sich über mich und drückt meine Schultern auf die Matratze, sodass nur noch mein Hintern nach oben gereckt ist. Animalische, drängende Lust packt mich. Er besitzt eine natürliche Dominanz, und trotz meiner Vergangenheit erregt mich nichts schneller oder stärker als mich Nicks körperlicher Kontrolle zu unterwerfen.

Er streckt die Finger nach meinem Gesicht aus, um mich mit dem Handrücken zu streicheln – mit der Hand, die voller Narben ist, die auf schreckliche Verletzungen zurückgehen, welche er mit einer dummen Rauferei erklärt hat, in die er mit achtzehn geraten sei. Sie sind der einzige Makel an seinem ansonsten vollkommenen Körper.

Gelegentlich habe ich mich im Verlauf der paar Monate, die wir nun zusammen sind, gefragt, ob es wohl noch andere Narben gibt, die er mich nicht sehen lässt. Ich weiß, dass es die geben muss, denn durch die inneren Verletzungen, die ich mit mir herumtrage, kann ich sehen, dass auch er nicht verschont geblieben ist, auch wenn er mir bisher nicht erlaubt hat, nah genug an ihn heranzukommen, um sie zu berühren.

Als sein Daumen über meine Lippen streicht, berühre ich ihn mit meiner Zunge, ehe ich ihn in meinen Mund sauge, so wie ich ihn in meinen Körper ziehen will, nein, muss.

Sein Stöhnen klingt gepresst, als ich seinen Daumen tief in meinen Mund aufnehme. Sein Becken drückt gegen meinen Hintern, während seine steife Männlichkeit an meinem feuchten Schoß liegt.

»Oh mein Gott«, knurrt er und reibt mit dem Daumen über meine Zunge, während er an den Eingang zu meinem Schoß rückt. »Warte, Baby.«

Der leise Befehl ist eine Warnung. Ich spüre seine wachsende Anspannung, noch ehe er mit einem lauten Brüllen in mich hineinstößt.

Er hat nichts Sanftes an sich, als er seine Hand von meinem Mund wegzieht und mein offenes Haar packt. Er schlingt die blonden Strähnen fest um seine Faust, bis ich das Ziehen auf der ganzen Kopfhaut spüre.

Sofort verliere ich mich in der Heftigkeit seiner Leidenschaft – und meiner eigenen.

Wie ein Sturm – erbarmungslos und wild – fegt er in mich hinein. Seine raue Stimme dringt leise und tief an mein Ohr. Derbe und lobende Worte strömen über seine Lippen, und mein Name klingt wie ein Gebet, als er meinen Körper, mein Herz und meine Seele in Besitz nimmt.

Hände und Schultern liegen auf der Matratze, als ich mit nach hinten gezogenem Kopf durch von Tränen der Lust verschleiertem Blick unser Spiegelbild betrachte, das die Sinnlichkeit unseres Liebesspiels mit schwindender Deutlichkeit im Glas zeigt, während auf der anderen Seite des Fensters der Sommermorgen jetzt gänzlich zum Leben erwacht.

Die Fülle der Emotionen lässt meine Brust schmerzen, und unterdessen kommt der Höhepunkt immer näher. Das ist der Moment, in dem ich mich am lebendigsten fühle – wenn dieser Mann mich nackt und ihm völlig ausgeliefert an sich drückt, wenn ich das ganze Ausmaß seiner Kraft und seiner Wut spüre, aber doch weiß, dass es keinen Ort gibt, an dem ich sicherer wäre.

Die Empfindungen überwältigen mich. Die Schönheit, der Schmerz und die Lust.

Ich will all das festhalten. Ich will jeden Moment verinnerlichen.

Ich will alles malen, was ich fühle, auch wenn es Wochen her ist, seit ich begonnen habe, an etwas Neuem zu arbeiten.

»Oh Gott … Nick.« Ich verliere den Bezug zur Wirklichkeit, als ich den Gipfel der Glückseligkeit erklimme. Mit geschlossenen Augen beiße ich mir auf die Unterlippe, während Nicks erbarmungsloses Tempo mich den Sprung tun lässt. Den erstickten Schrei, den ich ausstoße, kann ich nicht zurückhalten.

Der gutturale Laut, der nur wenig später aus Nicks Mund kommt, erinnert ebenfalls an einen Urschrei. Während er mit der einen Hand meine Hüfte gepackt hält und die andere immer noch mein Haar fest umschlingt, stößt er tief in mich hinein und bebt am ganzen Körper, als er kommt.

Ich bin zwar völlig verausgabt, und die Erlösung lässt mich immer noch zittern, doch er bewegt sich weiter in mir und verliert kaum etwas von seiner Härte, obwohl er gerade so heftig gekommen ist. Er bewegt sich jetzt langsamer, geduldiger, um mich zu beruhigen. Er haucht zärtliche Küsse auf meine Schulter und dann auf meinen Rücken, ehe er mein Haar loslässt, es vorsichtig abwickelt und dann mit den Fingern durchkämmt.

So stürmisch unser Sex auch häufig sein mag, kümmert er sich hinterher doch immer unsäglich liebevoll um mich.

Er zieht mich an sich, und zusammen sinken wir auf die Matratze. Seine Arme umschlingen mich stark und warm. Sie schenken mir eine Geborgenheit, die ich am liebsten den ganzen Tag lang genießen würde – eigentlich für immer, wenn ich ehrlich bin.

Es dauert ein Weilchen, ehe wir beide wieder normal und entspannt atmen. Nick hebt die Hand und streicht mir über die schweißnasse Wange. Als er spricht, ist seine Stimme weich wie Samt und gleicht einer fast schon körperlich spürbaren Berührung. »Ist es jetzt besser?«

»Es ist perfekt.«

Das ist kein Wort, das ich für gewöhnlich benutze, vor allem nicht, wenn es um mein Leben geht. Aber die vergangenen paar Monate – und insbesondere die letzten zwei Wochen, die ich jetzt mit Nick zusammenwohne – ähneln einem Zustand der Vollkommenheit doch schon sehr. Ich hätte nie gedacht, dass es mit einem anderen Menschen so sein könnte. Ich habe mir nie vorstellen können, dass ich mich mit jemand anderem so verbunden, so ausgefüllt fühlen könnte.

Ich habe mich aber auch noch nie so verängstigt gefühlt.

Denn so schwer verliebt wie ich bin, kann es nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Glückseligkeit endet und ich wieder in der Realität ankomme.

Vor zwei Wochen wäre das beinahe passiert.

Nick und ich haben ein paar meiner schlimmsten Geheimnisse überstanden, doch es gibt da noch mehr, was er nicht weiß. Dinge, die ich nicht wage, ihm zu erzählen. Geheimnisse, die ich mit ins Grab nehmen will.

Er gibt mir einen Kuss auf den Nacken und holt mich damit aus der Vergangenheit zurück, die mich immer noch verfolgt.

»Da ich deinen Hunger jetzt in einer Hinsicht gestillt habe, wie wäre es da mit einem Frühstück?«

Allein bei dem Gedanken läuft mir schon das Wasser im Munde zusammen. »Mmh, das klingt großartig.« So begabt er im Bett und in Geschäftsdingen auch ist, seine kulinarischen Fähigkeiten sind schon fast als spektakulär zu bezeichnen.

Er zwickt mich leicht in die Schulter, ehe er sich vorsichtig aus meinem Schoß zurückzieht. »Komm zu mir unter die Dusche. Ich dreh schon mal das Wasser auf.«

Ich stöhne, als er sich von mir löst und kühle Luft seine herrliche Wärme ersetzt. Ich drehe mich herum und beobachte, wie er ums Bett herumgeht und das Kondom entsorgt. Beim Anblick seines muskulösen Rückens und der breiten Schultern läuft mir auch das Wasser im Mund zusammen. Wie habe ich es nur geschafft, an so einen tollen Mann zu kommen? Diese Frage habe ich mir schon unzählige Male gestellt, seit das Schicksal mich in seinen Orbit katapultiert hat.

Dominic Baine, ein Mann, der alles – und jede – haben kann, die er will, und doch scheint er nur mich zu wollen.

Als er den Kopf dreht, um mir einen Blick zuzuwerfen, haut es mich – wie immer – um, wie gut er aussieht. Sein Gesicht ist eine faszinierende Mischung aus Ecken und Kanten, welche durch einen sinnlichen Mund gemildert werden. Ein Mund, der jeden Zentimeter meines Körpers kennt und weiß, wie man ihm Lust bereitet. Als Nick mich mit seinem zerzausten, dunklen Haar und den himmelblauen Augen unter seinen schwarzen Augenbrauen hervor anschaut, beschleunigt sich mein Herzschlag mit zwar eingedämmter, aber immer noch glühender Erregung.

Er zieht eine der dunklen Augenbrauen hoch und sieht mich mit einem leicht ironischen Blick an. »Wenn ich heute Morgen nicht ein Meeting hätte, das ich nicht ausfallen lassen kann, würde dieser Blick von dir unter Umständen dafür sorgen, dass ich es gleich noch einmal mit dir treibe, Miss Ross. Ob du nun bereit dazu bist oder nicht.«

Ich lache, doch mein Bauch fängt an zu pochen, denn ich weiß, dass er es ernst meint.

Er dreht sich ganz zu mir um, und ich kann nicht anders, als seine aufrecht stehende Männlichkeit zu bewundern. »Duschen und Frühstück«, knurrt er. »Allerdings nur, wenn ich mich nicht entschließe, das Kochen ausfallen zu lassen und dich auf dem Küchentisch zu nehmen, ehe ich gehe.«

»Alles nur leere Versprechungen«, necke ich ihn und rutsche an die Bettkante, wo er steht. Ich nehme seine Männlichkeit in beide Hände und lecke mit der Zunge über die Spitze. Ehe er mich packen kann, springe ich auf und tänzele aus seiner Reichweite. »Duschen und Frühstück, Mr. Baine. Ich setze den Kaffee auf und schließe mich dir dann an.«

Er gibt ein zustimmendes Grummeln von sich. »Aber mach schnell.«

Ich tappe nackt aus dem großen Schlafzimmer und fühle mich in der riesigen, luxuriösen Penthousewohnung, von der aus man aus verschiedenen Richtungen den Blick über Manhattan schweifen lassen kann, wie zu Hause. Ich gehe am Wohnzimmerfenster vorbei, welches die prägnante Skyline der Stadt einrahmt, die ich an jenem Abend sah, als Nick mich das erste Mal küsste, und steuere mit einem Lächeln auf den Lippen die Küche an.

Ich bewege mich auf die Kaffeemaschine zu und bemerke mein Handy, das aus der kleinen Abendtasche herausguckt, die ich gestern Abend, nachdem Nick und ich essen und im Theater gewesen waren, auf die Arbeitsfläche aus schwarzem Granit gelegt hatte.

Am blinkenden Licht erkenne ich, dass eine SMS eingegangen ist.

»Mist.« Ich hatte das Handy im Theater auf stumm geschaltet und vergessen, es wieder anzustellen.

Ich hebe die Bildschirmsperre auf und tippe auf das Nachrichtensymbol. Alles Blut weicht aus meinem Gesicht, als ich die Telefonnummer des ungelesenen Textes sehe. Ich kenne sie. Sie hat sich seit dem letzten Mal, als sie auf meinem Handydisplay erschien, in mein Gehirn eingebrannt.

Meine Finger zittern, als ich die Nachricht öffne und die neuerliche Drohung lese, die ich gerade erhalten habe.

Weichst du mir aus?

Ich habe dir vor 2 Wochen gesagt, dass wir reden müssen.

Ich werde nicht verschwinden, Avery. Dieses Mal nicht.

Ich bleibe mit dir in Verbindung. Das schwöre ich.

Mein Herz schlägt so schnell, dass ich kaum noch Luft bekomme.

Ich lösche den Text so schnell ich kann, doch auch als er nicht mehr da ist, hält mich das Entsetzen darüber, was diese Nachricht bedeutet, wie ein Schraubstock gepackt.

Egal, wie weit ich weglaufe, egal, wie sehr ich auch glauben mag, ich würde in meinem zukünftigen Leben etwas Glück verdienen, wird meine Vergangenheit mich immer wieder einholen.

2

Nachdem Nick zur Arbeit gegangen ist, merke ich, dass ich ohne eine vernünftige Beschäftigung in der Penthousewohnung verrückt werden würde. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Durch die Panik, die mich nach dem Lesen der Textnachricht erfasst hat, ist ein Knoten in meinem Magen entstanden, der sich immer enger schnürt, seitdem Nick die Wohnung verlassen hat.

Obwohl ich mich vor dem Frühstück geduscht und halb angezogen hatte, streife ich jetzt den kurzen Seidenkimono ab und gehe noch einmal ins Badezimmer – um dieses Mal ganz heiß zu duschen.

Während ich unter dem glühend heißen Wasserstrahl stehe, versuche ich, die widerwärtige Vergangenheit, die mir immer noch anhängt, und die zarte Aussicht auf eine hoffnungsvolle Gegenwart und Zukunft, die sich mir erst jetzt aufgetan hat, ganz nüchtern zu betrachten.

Ich hatte mir doch tatsächlich eingeredet, dass mich das Schreckliche, das ich in Pennsylvania zurückgelassen hatte, nach all den Jahren nicht mehr einholen würde.

Bis vor zwei Wochen hatte ich gemeint, in Sicherheit zu sein. Ich hatte gedacht, dass dieser Teil meines Lebens – und die Geheimnisse, vor denen ich weglief – mir nie wieder etwas anhaben würde.

Wie sehr ich mich doch getäuscht habe.

Es gibt nur einen einzigen Menschen, der verstehen kann, was ich jetzt fühle, doch ich will meine Mutter nicht mit meinem neuesten Problem belasten. Der Himmel weiß, dass sie für mich bereits genug geopfert hat.

Um nicht den Verstand zu verlieren, muss ich ins Hier und Jetzt eintauchen und darf mich nicht der Angst und Scham ergeben, die mich seit der SMS förmlich würgen. Ich brauche den Trubel der Stadt um mich herum. Ich brauche etwas annähernd Vertrautes, um mein Gleichgewicht wiederzufinden.

Als ich eine Stunde später vor die verschlossene Eingangstür aus Glas vom Vendange trete – dem Restaurant, in dem ich bis vor dreieinhalb Monaten als Barkeeperin gearbeitet habe –, kommt meine Freundin, Tasha Lopez, von drinnen zur großen Doppeltür gelaufen. Braune Korkenzieherlöckchen umrahmen ihre zarten Züge und die braunen Augen mit den langen Wimpern, als sie den Kopf schief legt und mich einen Moment lang durch die Scheibe mustert.

Mit dem Schlüssel des Restaurantmanagers, der an einem neongrünen Plastikband an ihrem Handgelenk hängt, schließt Tasha auf und lässt mich herein. Das Vendange öffnet erst zu Mittag, aber ein halbes Dutzend Kellner sind schon da und bereiten sich auf die Arbeit vor. Die Angestellten tragen alle genau wie Tasha taillierte, durchgeknöpfte, schwarze Blusen, eine schwarze Smokingweste und schwarze Hosen – ein unaufdringlicher, aber gepflegter Look, der perfekt zu dem schicken, edlen Restaurant mit angeschlossener Bar passt.

Ehe wir einander richtig begrüßen können, ruft eine der Angestellten Tasha aus dem Lagerraum des Restaurants etwas zu.

»Du, Tasha? Sieht so aus, als hätten wir nur noch drei Einwegschachteln für Essen außer Haus.«

»Guck noch mal hinten nach. Ich hab Anfang der Woche einen Karton voll bestellt. Ich glaube, ich hab ihn gesehen, als ich gestern Abend alles dichtgemacht hab.« Gleich darauf dreht sie sich zu mir um und schließt mich fest in ihre Arme. »Du siehst wie immer toll aus.«

Ihr Blick gleitet über mein locker sitzendes, weißes Seidentop, den eng anliegenden braunen Bleistiftrock und die flachen Sandalen aus hellbraunem Wildleder – alles Teile der großzügigen Garderobe, mit der Nick mich beschenkt hat, seitdem wir zusammen sind. Mein blondes Haar trage ich heute offen – mein neuer Stil, seitdem ich mit Nick zusammen bin. Er lässt sowieso nie zu, dass es lange zusammengebunden bleibt. Heute wallt es in einer Mähne aus luftgetrockneten Wellen um Gesicht und Schultern, statt zu einem straff gebundenen Pferdeschwanz zusammengefasst zu sein, wie ich mein Haar immer trug, als ich noch im Restaurant arbeitete.

Tasha scheint mein neuer Look auch zu gefallen. Sie stemmt die Fäuste in die Hüften und grinst mich an. »Das Penthouseleben tut dir eindeutig gut – auch wenn es bedeutet, dass ich dich seit mehr als einer Woche nicht gesehen habe.«

Das ist nicht gerade ein subtil vorgebrachter Vorwurf, aber sie hat recht. Ich habe viel Zeit allein mit Nick verbracht – vor allem, seitdem ich bei ihm eingezogen bin. Tasha hat ihre Familie und eine große Clique aus Freunden und Angehörigen, aber sie gibt mir immer das Gefühl, etwas Besonderes und Teil ihres Lebens zu sein. Nachdem wir über ein Jahr lang fünf oder mehr Nächte die Woche im Vendange zusammengearbeitet haben, ist sie nicht nur zu meiner besten Freundin geworden, sondern kommt dem, was man gemeinhin unter Familie versteht, näher als alles, was ich je hatte, seitdem ich in diese Stadt gezogen bin.

»Wo wir gerade von toll sprechen …«, sagt sie, »wo ist eigentlich dein brandheißer Sex-Gott-Freund heute?«

»Er hat heute den ganzen Tag Besprechungen im Büro.« Ich erinnere mich, dass ich noch vor ein paar Wochen eine spöttische Bemerkung bei der Vorstellung gemacht hätte, Nick und ich wären ein Paar. Ich weiß zwar immer noch nicht so recht, was für eine Beziehung wir haben, aber Tashas schiefes Grinsen sorgt dafür, dass sich auch mein Mund zu einem Lächeln verzieht. »Aber was den brandheißen-Sex-Gott-Teil betrifft – auch wenn das zutreffend sein mag: Meinst du wirklich, dass du so über deinen neuen Boss reden solltest?«

»Da ist was Wahres dran.« Sie schiebt die Lippen vor, ist aber weit entfernt davon, zerknirscht auszusehen. »Es ist total unpassend, wenn ich so über den neuen Besitzer des Vendange spreche. Von heute an werde ich nur noch Mister brandheißer Sex-Gott sagen, wenn ich von ihm rede.«

Sie hat ein lautes, herzliches Lachen – ein herrlich beruhigender Klang. Ich kenne kein schöneres Lachen. Sie hakt mich unter und führt mich ins Restaurant hinein. Die männlichen und weiblichen Angestellten wuseln um uns herum und sind damit beschäftigt, die Tische einzudecken, Einbauten zu polieren und Oberflächen zu wischen. Ich deute auf die klassisch gehaltene Arbeitskleidung der Kellner und Barkeeper.

»Übrigens – mir gefällt die neue Dienstkleidung. Die tief ausgeschnittenen Blusen zu hautengen, schwarzen Jeans und hochhackigen Schuhen bei den weiblichen Angestellten gibt’s also nicht mehr?«

Tasha verdreht die Augen. »Das war das Erste, was ich geändert habe, nachdem ich die Leitung übernommen hatte. Ich hab auch drei neue Servicekräfte eingestellt, und zwei sind von mir persönlich als Tresenaushilfskräfte eingewiesen worden. Ich will nicht, dass irgendjemand Doppelschichten schieben muss, wozu Joel uns ja regelmäßig gezwungen hat. Vor allem denen mit Kindern will ich das ersparen. Damit jeder die Schicht bekommt, die er haben will, habe ich die Einsatzpläne ein bisschen überarbeitet und eine Liste der Angestellten angelegt, die auf Abruf gerne mehr Stunden arbeiten würden. Bisher klappt alles sehr gut.«

»Das sehe ich.«

Ich bin unwillkürlich beeindruckt. Zu gut erinnere ich mich noch daran, wie hektisch und stressig es früher im Vendange zuging, als ich mit Tasha noch unter der Leitung des früheren Geschäftsführers gearbeitet hatte. Die Hektik ist durch eine ruhige Effizienz ersetzt worden. Die Mienen der Angestellten sind konzentriert, aber entspannt, und keiner fürchtet sich vor den Wutausbrüchen eines aufgeblasenen Mistkerls von Boss. Tasha wirkt auch unendlich viel glücklicher, was meine Dankbarkeit für Nicks unerwartete Großzügigkeit ihr gegenüber nur noch steigert.

Durch seine Art, wie er aufgetreten ist, um meine Freundin vor Joels unerwünschten Annäherungsversuchen zu schützen, wird er in meinen Augen immer ein Held sein. In wahrer Dominic-Baine-Manier gelang es ihm, das Restaurant zu kaufen, ohne dass jemand etwas davon mitbekam, und den Mistkerl Joel hochkant zu feuern – und das alles innerhalb nur weniger Stunden. Nick behauptete zwar, dass reine Geschäftsinteressen dahintergestanden hätten, weil er das Restaurant als gute Investition betrachtete, aber ich weiß, dass er es auch getan hat, um Tasha zu helfen. Er hat es für mich getan, obwohl wir gerade mitten in einem riesigen Streit waren und kurz davor standen, uns zu trennen, als Tasha in Tränen aufgelöst vor Nicks Hochhaus auftauchte, weil sie von der Arbeit weggelaufen war, nachdem Joel sie belästigt hatte.

Sie verschränkt die Arme vor der Brust und atmet tief durch. »Ich kann es immer noch nicht richtig glauben, dass ich eines der beliebtesten Restaurants der Stadt leite.«

»Warum kannst du es nicht glauben? Du bist gut in deinem Job. Du hast es verdient.«

»Danke.« Mit liebevoll leuchtendem Blick sieht sie mich an. Aber in ihren Augen steht auch eine Frage. »Was ist mit dir, Ave?«

»Was soll mit mir sein?«

Sie zögert einen Moment und mustert mich, während wir neben dem langen Tresen stehen, hinter dem wir so häufig zusammengearbeitet haben. »Alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, klar. Alles gut.«

Meine Antwort kommt automatisch und hat sich in Jahren der Übung eingeschliffen, als ich vorgeben musste, mir ginge es gut, obwohl in meinem Innern Chaos herrschte. Vielleicht hat Tasha ähnliche Erfahrungen gemacht, denn sie legt den Kopf schief und sieht mich forschend an. Ich wehre mich standhaft gegen den Drang, mich ihrer durchdringenden Musterung zu entziehen.

Es würde ohnehin nichts bringen. In der relativ kurzen Zeit, die wir jetzt befreundet sind, scheint sie mich immer durchschaut zu haben.

»Wie geht es deiner Mutter?«

Obwohl ich vor ein paar Wochen, nachdem Nick und ich vom Gefängnis in Pennsylvania zurückgekommen waren, Tasha alles anvertraut hatte, irritiert es mich immer noch, wenn jemand nach meiner Mutter fragt. Fast zehn Jahre lang hatte ich die lebenslange Haftstrafe meiner Mutter für den Mord an ihrem Ehemann, der sie misshandelt hatte, geheim gehalten. Eins von vielen Geheimnissen, die ich hatte hinter mir lassen wollen, als ich nach New York umzog. Ich hätte bestimmt nach wie vor nichts von ihr erzählt, wäre sie nicht schlimm gestürzt, sodass ich keine andere Wahl hatte, als so schnell wie möglich zum Gefängnis zu eilen.

Nick war mir nach Pennsylvania gefolgt, obwohl das nun wirklich der allerletzte Ort war, wo ich ihn sehen wollte. Keiner hatte von diesem Teil meines Lebens wissen sollen – und am allerwenigsten er. Doch er war so lange mit mir dort geblieben, wie es für meinen Seelenfrieden nötig gewesen war. Und dann, als ich bereit war, hatte er mich wieder nach Hause gebracht.

»Es geht ihr den Umständen entsprechend gut«, sage ich zu Tasha. »Die gebrochenen Rippen und die verletzte Lunge sind auf dem Wege der Besserung, aber ihr Bein heilt nicht so schnell wie man sich das erhofft hat. Es heißt, sie wird wohl noch eine Weile auf der Krankenstation bleiben müssen – wahrscheinlich noch einen Monat.«

Tasha nickt. »Sie hat Glück gehabt. So ein Sturz die Treppe hinunter hätte in ihrem Alter auch leicht tödlich enden können.«

»Ich weiß.« Und noch während ich das sage, kehren meine Gedanken zu der bedrohlichen SMS von heute Morgen zurück. Der Mann, von dem sie ist, hatte mich auch kurz nach dem Unfall meiner Mutter angerufen.

Damals war es mir nicht in den Sinn gekommen, zu fragen, wie er so schnell von ihrem Sturz hatte erfahren können. Durch den Klang seiner Stimme – und die Tatsache, dass er mich nach so vielen Jahren aufgespürt hatte – war ich viel zu erschüttert gewesen. Jetzt muss ich mir die Frage stellen, ob er etwas mit dem Unfall meiner Mutter zu tun hatte. Könnte es sein, dass ihr Sturz gar kein Unfall gewesen ist? Allein bei dem Gedanken geht mein Frösteln in eiskalte Furcht über.

Ich kann ein Schaudern nicht unterdrücken und hoffe, dass Tasha mein Unbehagen nicht bemerkt, als eine der neuen Angestellten kommt, um mit ihr zu reden. Während sie auf einem Tablet die Tageskarte durchgehen, atme ich erleichtert auf, weil sie so einen Moment lang abgelenkt ist. Ich brauche diese Verschnaufpause und sei es auch nur, um meinen plötzlich rasenden Herzschlag und den kalten Schweiß, der sich in meinem Nacken ausbreitet, in den Griff zu bekommen.

»Wenn ich es mir genauer überlege, hätte ich doch lieber eine nicht ganz so naheliegende Weinauswahl für die gebratene Ente«, sagt Tasha. »Der Chardonnay ist nicht schlecht, aber könnten wir nicht etwas Interessanteres dazu anbieten?«

»Wir könnten einen Rotwein nehmen«, schlägt die Angestellte vor. »Ein Cabernet oder Pinot noir würden auch gut zur Ente passen.«

Tasha schüttelt den Kopf. »Nein, damit überrascht man auch keinen.«

»Wie wäre es mit einem Carménère?« Als beide Frauen mich anschauen, zucke ich mit den Achseln. »Wenn ich mich recht erinnere, haben wir im letzten Frühling doch diesen netten Chilenen verkostet. Haben wir den noch auf Lager?«

»Haben wir«, sagt Tasha, und ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. »Und du hast recht. Der ist perfekt. Den nehmen wir«, weist sie die Angestellte an, ehe sie sie wegschickt, um das Menü zu ändern. »Himmel! Wie sehr ich es vermisse, mit dir zusammenzuarbeiten, Avery. Wenn du je zurückkommen willst, brauchst du nur ein Wort zu sagen.«

Ich werfe ihr einen schiefen Blick zu. »Um in dem Restaurant zu arbeiten, das meinem Freund gehört? Das glaube ich eher nicht. Aber ich muss mir bald eine Arbeit suchen. Ich werde noch verrückt, wenn ich nichts Vernünftiges zu tun habe, während Nick bei der Arbeit ist. Davon abgesehen finde ich die Vorstellung abscheulich, Kost und Logis von ihm zu bekommen und selbst nichts dazu beizutragen.«

Tasha grinst verschmitzt. »Ach, ich bezweifle, dass er der Meinung ist, du würdest nichts dafür tun. Davon abgesehen … was ist denn mit deiner Malerei? Hast du nicht an irgendetwas gearbeitet?«

»Schon länger nicht.«

»Wie lange?«

»Ich weiß nicht. Ein paar Wochen vielleicht.«

Ich versuche, locker zu klingen, aber sie hakt trotzdem nach. »Du meinst, seitdem du bei ihm eingezogen bist.«

»Ja. Das kommt wohl hin.« Angesichts ihres nachdenklichen, leicht missbilligenden Blicks versuche ich mich schnell zu rechtfertigen. »Wenn Nick und ich zusammen sind, ist da keine Zeit für irgendetwas anderes. Falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest – der Mann ist sehr … intensiv.«

»Ich habe es mitbekommen«, meint sie mit einem etwas belustigten Ausdruck in den Augen. »Und was macht ihr, wenn ihr euch nicht gerade die Kleider vom Leib reißt? Du hast selbst gesagt, du brauchst eine Beschäftigung, während er den König der Finanzwelt gibt.«

»Ich möchte gern malen«, gebe ich zu. »Aber ich kann meine Staffelei ja wohl kaum in der Penthousewohnung aufbauen und dort malen.«

»Warum in drei Teufels Namen denn nicht? Hat Nick etwa gesagt, dass es nicht gehen würde?«

»Nein, natürlich nicht. Aber da ist kein Platz, um –«

Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du in einer fast achthundert Quadratmeter großen Wohnung über zwei Ebenen keinen Winkel findest, um dort zu arbeiten.«

»Nein, das ist auch nicht das Problem. Es geht um Nick. Ich bin das Problem an der ganzen Sache.« Ich atme tief durch. »Ich bin noch nicht so weit, ihn meine neue Arbeit sehen zu lassen. Ich will, dass es gut ist.«

»Weil er dir gesagt hatte, deine Arbeiten wären nicht gut.«

»Er hatte recht«, gebe ich zu und bin überrascht, dass der Stich, den Nicks Kritik mir versetzt hatte, jetzt nicht mehr so schmerzt. »Er sagte, dass ich etwas zurückhalten würde und dass man das in meinen Bildern auch sähe. Er sagt, dass er an mein Talent glaube und ich das Zeug zu einer hervorragenden Künstlerin hätte.«

Er hatte noch viel mehr als das gesagt – Wahrheiten, die ich erst allmählich beginne zu erkennen, seitdem wir zusammen sind. Nick hatte gesagt, meine Kunst wäre befangen, ängstlich – genau wie ich.

Aber das heißt noch lange nicht, dass ich bereit bin, mich ihm zu öffnen.

Ich kann nicht. Zumindest nicht vollständig.

Da gibt es zu viele Dinge, die ich ihn nicht sehen lassen darf.

Tasha legt ihre Hand auf meinen Unterarm und sieht mich voller Mitgefühl an, als hätte ich all meine Ängste laut ausgesprochen. »Du musst malen, Avery. Ich habe gesehen, wie viel es dir bedeutet. Das Malen ist ein Teil von dir.«

»Ich weiß.« Ich nicke dankbar, weil sie so verständnisvoll ist. »Ich werde eine Möglichkeit finden, wieder zu malen.«

»Wie wär’s denn damit, wenn du dir irgendwo ein Atelier mieten würdest?«

»Dafür habe ich kein Geld.«

»Du hast vor vier Monaten fünftausend von Claire Prentice für das Einhüten ihrer Wohnung bekommen.«

»Ja, und nachdem ich die Mietrückstände für meine alte Wohnung in Brooklyn bezahlt hatte, dann vor zwei Wochen ein Auto gemietet habe, um zu meiner Mutter zu fahren, und noch zig andere kleine Ausgaben, ist jetzt weniger als die Hälfte davon übrig.«

»Vielleicht kann ich dir helfen.« Ehe ich fragen kann, was sie damit meint, zieht sie ihr Handy aus der Gesäßtasche und ruft ihren Ehemann Antonio an. »Hallo, Schatz. Hat Tante Rosa eigentlich Freunde, die hier in der Stadt was Kleines, Unmöbliertes vermieten? … Ich spreche von heruntergekommen-billig, nicht von gefährlich-billig.« Sie schweigt und verdreht die Augen. »Ja, genau, denn wir haben ja noch nicht das perfekte Schlafzimmer dafür. Ey, ich rede von einem Raum, den Avery eine Weile als Atelier benutzen kann.«

»Was?« Protestierend schüttle ich den Kopf, aber sie ist nicht zu stoppen.

»Okay, super. Nein, sie soll einfach nur bei Avery anrufen, wenn sie was findet. Ich schicke dir ihre Nummer in ein paar Minuten per SMS. Ja, ich liebe dich auch, Schatz.«

»Tasha …«

»Versuch es noch nicht einmal«, sagt sie und schiebt schon das Handy zurück in die Gesäßtasche. »Du hast so viel für mich getan, und das ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.« Während sie spricht, ruft jemand aus dem Büro, dass eine Lieferung gegengezeichnet werden müsste. »Hör mal, ich muss mich noch um ein paar Dinge kümmern, ehe wir öffnen.«

»Ja, gut«, gebe ich nach, während sie mich schnell umarmt.

»Komm noch mal in ein paar Tagen vorbei, wenn du dich von deiner anderen Lieblingsbeschäftigung losreißen kannst«, meint sie mit einem Augenzwinkern. »Wir können bei einem Glas Carménère über ihn reden.«

3

Der warme Sommertag ist so schön, dass ich beschließe, zu laufen statt mir ein Taxi zu nehmen oder mit der U-Bahn zur Upper East Side zurückzufahren, als ich das Vendange verlasse. Hunderte von anderen Passanten haben offensichtlich die gleiche Idee. Aber statt mich dem Strom der Büroangestellten und anderen Bewohner Manhattans anzuschließen, die auf der Madison Avenue an mir vorbeieilen, lasse ich mir Zeit und schlendere auf dem breiten Bürgersteig zusammen mit Touristen und Bummelnden.

Straßauf und straßab dieser quirligen Hauptverkehrsader aus himmelaufstrebendem Beton und Stahl reihen sich exklusive Boutiquen an weltweit operierende Textilunternehmen aller Art, an edle Designerläden und Finanzinstitute. Ich bin nicht auf der Suche nach etwas Speziellem, doch als ich mich einem Laden mit hochwertigen Luxus-Dessous nähere, bleibe ich unwillkürlich stehen und bewundere all die Kunstwerke aus Spitze und Satin, die in den messinggerahmten Schaufenstern ausgestellt sind.

Es ist nicht weiter schwer, sich vorzustellen, wie heiß Nicks Blick glühen wird, wenn er mich in dieser verführerischen Unterwäsche sähe – oder wie schnell seine starken Hände sie mir abstreifen würden, um in mich einzudringen.

Meine Brustspitzen stellen sich allein schon bei dem Gedanken auf. Hitze durchströmt mich – eine Wärme, die ich am stärksten zwischen meinen nackten Schenkeln spüre, die unter dem dünnen Leinenrock angefangen haben, leicht zu zittern.

Neugierde und der Wunsch, Nick zumindest einmal so in den Wahnsinn zu treiben, wie er es bei mir macht, gewinnen schließlich die Oberhand. Mit einem Lächeln auf den Lippen stoße ich die Glastür auf und betrete den Laden.

Leise klassische Musik und ein edler Duft erfüllen die angenehm kühle Luft in der Boutique. Grüßend nicke ich dem halben Dutzend elegant zurechtgemachter Verkäuferinnen zu, die gerade alle mit Kundinnen beschäftigt sind. Ich bin froh, dass ich mich allein umsehen kann, und steuere auf den hinteren Bereich des Geschäfts zu, wo die schönsten Teile in verspiegelten Vitrinen und Glasschubladen ausgestellt sind.

Ich werde sofort wie magisch von einem der Sets angezogen, die ich im Schaufenster gesehen habe. Sowohl BH als auch Höschen bestehen aus zarter champagnerfarbener Spitze und durchsichtigem Netzstoff und sind mit burgunderfarbenen Satinrosen und verspielten Schleifchen eingefasst. Die Wäsche wirkt wunderbar unschuldig und trotzdem ausgesprochen verführerisch.

»Entzückend, nicht wahr?«

Ich drehe mich um und sehe, dass sich mir eine der Verkäuferinnen nähert. Es ist die hübsche Schwarze, die mich anlächelte, als ich hereingekommen bin. Sie kommt mit der fließenden Anmut eines Laufsteg-Models auf mich zu, wobei ihre modisch schlanke Gestalt, die hohen Wangenknochen und ihre faszinierenden, hellgrünen Augen diesen Eindruck noch verstärken.

Ich nicke bestätigend, als sie sich neben mich vor die Auslage stellt. »Einfach perfekt.«

»Möchten Sie es anprobieren? Nennen Sie mich Evelyn. Ich suche Ihnen gern die richtige Größe heraus und führe Sie dann in ein Umkleidezimmer.«

»Ja, bitte.«

Ich nenne ihr meine Größe, und nachdem sie das entsprechende Set aus einer abgeschlossenen Schublade genommen hat, führt sie mich in einen ruhigen Ankleidebereich, der fast so groß ist wie meine alte Ein-Zimmer-Wohnung in Brooklyn.

Die Verkäuferin legt BH und Höschen auf einen Frisiertisch. Daneben steht auf einem weichen Webteppich mit verspieltem Muster in ruhigen, neutralen Farben eine mit grauem Samt bezogene Sitzbank. Große Spiegel und eine weiche, indirekte Beleuchtung sorgen dafür, dass man sich aus jedem Winkel in einem vorteilhaften Licht betrachten kann.

»Machen Sie es sich bequem«, sagt die Verkäuferin.

Ich setze mich auf die gepolsterte Bank und streiche mit den Fingern über das hauchzarte Spitzenkörbchen des BHs. Ich zittere bei dem Gedanken, dass Nick das Gleiche tut, wenn ich ihn anhabe. Ich bin mir sicher, dass ihm das Kleidungsstück sehr gefallen wird. Und die Vorstellung, ihn dabei zu beobachten, wie er mich heute Abend auszieht und meine Überraschung entdeckt, erregt mich.

Erregung, die endet, als ich den Preis sehe.

Fast tausend Dollar für die beiden Teile.

Falls Evelyn meinen enttäuschten Blick bemerkt haben sollte, lässt sie es sich zumindest nicht anmerken. »Sie haben einen vorzüglichen Geschmack. Das Set ist Teil unserer ausgewählten Kollektion. Eine klassische Kreation, die Ihnen auch noch in Jahren wunderbar stehen wird.« Als ich nur mit einem Lächeln reagiere, lächelt sie freundlich und deutet auf den vorderen Bereich der Boutique. »Wenn Sie das Gefühl haben, dass es nicht das Richtige für Sie ist, haben wir in unserer regulären Kollektion bestimmt etwas Ähnliches, das Ihnen auch gefällt. Ich zeige Ihnen gern alles, wenn Sie möchten.«

»Danke.« Im gleichen Moment klingelt mein Handy. Es ist Nicks Klingelton. Ich greife in meine Handtasche, um es herauszuholen. »Entschuldigung.«

»Lassen Sie sich Zeit«, sagt Evelyn. Sie deutet auf ein Messingglöckchen auf dem Frisiertisch. »Wenn Sie etwas benötigen, brauchen Sie nur zu klingeln.«

Sie geht und schließt die Tür des Ankleidezimmers hinter sich, als ich auch schon über das Display streiche, um Nicks Anruf entgegenzunehmen. »Hallo.«

»Ich habe den ganzen Morgen an dich gedacht.«

Allein der Klang seiner tiefen, rauen Stimme lässt mein Herz schneller schlagen. Ich betrachte den Hauch von Spitze, der vor mir liegt, und lächle wehmütig. »Ich denke auch gerade an dich.«

Er gibt ein leises, anerkennendes Knurren von sich. »Erzähl mir mehr. Berührst du dich, während du an mich denkst?«

Ich lache leise und erröte, sodass meine Wangen ganz warm werden. »Nein, im Moment nicht. Ich glaube, das wäre unschicklich.«

»Du weißt, was ich über unschickliches Verhalten denke«, murmelt er, und ich kann mir das schiefe Lächeln, das seinen Mund in solchen Momenten umspielt, gut vorstellen. »Wo bist du gerade?«

»Auf dem Rückweg vom Vendange. Ich hatte kurz bei Tasha vorbeigeschaut.«

»Ich höre Musik im Hintergrund.«

»Ich bin in einer Boutique auf der Madison.«

»In welcher?«

»Im L’opale.«

»Wie nett«, sagt er nach kurzem Schweigen. »Siehst du irgendetwas, das dir gefällt?«

Ich versuche, die Tatsache zu ignorieren, dass er das Geschäft zu kennen scheint. Ich weiß, dass er vor mir mit anderen Frauen zusammen war, doch die Vorstellung, dass er schon mal für eine andere Frau hier eingekauft hat, versetzt mir einen Stich der Eifersucht.

»Avery?«

»Hm?«

»Du sagtest, du würdest dich nach Dessous umschauen und dabei an mich denken. Himmel, ich werde schon steif, wenn ich nur daran denke.« Seine Stimme bekommt diesen seidigen Klang, bei dem mir immer die Beine weich werden. »Verwöhn mich doch ein bisschen, ehe ich wieder in so ein verdammtes Meeting muss. Was für verführerische Sachen schaust du dir denn gerade an? Ach was, du brauchst es mir nicht zu beschreiben … zieh etwas davon an, und zeig es mir. Wir können einen Videoanruf starten, und dann sehen wir mal, wohin das Ganze führt.«

Jetzt strömt die Hitze, die meine Wangen erwärmt, über meinen Hals nach unten direkt in meinen Schoß. »Das kann ich nicht tun«, flüstere ich und winde mich ein bisschen auf der mit Samt bezogenen Bank. »Jemand könnte mich sehen.«

»In den Ankleidezimmern ist man ganz für sich«, erklärt er mit mehr Gewissheit als ich wahrhaben möchte. »Geh in eins, Avery.«

»Ich bin schon drin.«

»Dann haben wir es ja fast schon geschafft.« Er lacht leise, aber in seiner Stimme liegt mehr Glut denn Erheiterung. »Bist du auch schon ausgezogen?«

»Nein. Ich wollte ein BH-Set anprobieren, habe dann aber meine Meinung geändert. Ich wollte die Sachen gerade zurückbringen, als du angerufen hast.«

»Warum?«

Ich zucke mit den Achseln, und obwohl er mich nicht sehen kann, scheint er meine Verunsicherung zu spüren.

»Zieh die Sachen für mich an. Ich werde dich in zwei Minuten per Video anrufen.«

Er beendet das Gespräch mit dieser Aufforderung, und ich atme tief durch, während ich die schönen Dessous betrachte, bei denen ich nicht einmal so tun kann, als wäre ich in der Lage, mir etwas so Teures zu leisten. Aber ich weiß, dass Nick es ernst meint und erwartet, dass ich ihm zeige, was ich ausgesucht habe, und ich muss gestehen, dass ich auch mehr als gespannt auf seine Reaktion bin. Ich bin gespannt darauf, sein Verlangen nach mir zu sehen – besonders wenn er bei der Arbeit ist und sich trotzdem Zeit nimmt, um mit mir ungezogene Spielchen zu treiben.