For 100 Reasons - Enthüllung - Lara Adrian - E-Book
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For 100 Reasons - Enthüllung E-Book

Lara Adrian

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Beschreibung

Ihr Glück liegt in Scherben, doch ihre Leidenschaft ist ungebrochen

Avery Ross steht vor den Trümmern ihrer Liebe. Zwar brennt die Leidenschaft zu dem charismatischen Milliardär Nick Baine noch immer in ihr, doch sie weiß nicht, wie sie ihm jemals verzeihen oder wieder vertrauen kann. Aus der Asche der alten Avery ersteht eine neue Frau, stärker, entschlossener, unabhängig, doch die Wunden ihrer Seele sind tief, und nur einer ist in der Lage, sie zu heilen ...

"Ein Buch, das einen in seinen Bann zieht - emotional, erotisch, unwiderstehlich!" The Book Maven

Der dritte Band der beliebten Erotic-Romance-Reihe von Bestseller-Autorin Lara Adrian. Prickelnde Unterhaltung für Fans von erotischen Liebesromanen!

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Seitenzahl: 337

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Inhalt

TitelZu diesem Buch12345678910111213141516171819202122232425262728Die AutorinDie Romane von Lara Adrian bei LYXImpressum

LARA ADRIAN

For 100 Reasons

Enthüllung

Roman

Ins Deutsche übertragen von Firouzeh Akhavan-Zandjani

Zu diesem Buch

Avery Ross steht vor den Trümmern ihrer Liebe, seitdem sie erfahren hat, wie es wirklich dazu gekommen ist, dass Nick in ihr Leben trat. Sie weiß nicht, wie sie ihm jemals verzeihen oder wieder vertrauen kann. Mit eiserner Entschlossenheit stürzt sich Avery in ihre Arbeit als Künstlerin – doch obwohl sie der neue Shooting-Star der New Yorker Kunstszene ist, kann nichts und niemand die Lücke in ihrem Herzen füllen, die Nick hinterlassen hat. Als sie ihm nach einem Jahr zufällig wiederbegegnet, merkt sie, dass die Leidenschaft zwischen ihnen noch immer genauso heiß brennt wie zuvor. Trotzdem ist sie nicht bereit, ihm noch einmal ihr Herz zu öffnen. Doch Nick gibt nicht auf und offenbart ihr zum ersten Mal Einblicke in sein tiefstes Inneres. Avery ist berührt und schockiert von Nicks Enthüllungen und gewährt ihm eine zweite Chance – unter der Bedingung, dass es fortan zwischen ihnen nur noch absolute Offenheit und Ehrlichkeit geben kann. Denn nur dann haben die Wunden ihrer Seele endlich eine Chance, zu heilen …

1

Paris

Ich hatte versucht, sie zu warnen, ihr versucht klarzumachen, dass ich kein guter Mensch sei.

Von Anfang an hatte ich ihr gesagt, dass sie jemanden Besseres verdiente. Inzwischen weiß sie selbst, dass das der Wahrheit entspricht.

Ein egoistischer, rücksichtsloser Mistkerl … genau das bin ich, bin ich schon immer gewesen. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Und entschuldigt habe ich mich auch nie dafür. Verdammt, das ist die einzige Möglichkeit zu überleben, die ich kenne.

Wenn ich etwas sehe, das ich haben will, verschwende ich keine Zeit damit zu warten, bis es mir vor die Füße fällt. Ich greife zu. Ich nehme mir, was ich will, und dabei ist mir jedes Mittel recht – sei es nun fair oder nicht. Und vor mehr als einem Jahr – als ich Avery Ross das erste Mal erblickte – wollte ich sie mehr als alles andere.

Die letzten fünf Monate ist sie mein gewesen.

Lang genug für mich, um zu erkennen, wie unglaublich sie ist. Lang genug für sie, mein Leben auf den Kopf zu stellen und mich vergessen zu lassen, wie es war, jemals eine andere Frau zu begehren.

Gütiger Himmel! Was habe ich nur getan?

In ein paar wenigen Monaten hat diese wunderschöne, empfindsame, unendlich tapfere Frau in mir den Wunsch nach etwas geweckt, von dem ich nie geträumt habe oder auch nur vermutet hätte, dass ich es je brauchen würde.

Und jetzt ist sie fort.

Sie fehlt mir, als wäre mir ein Stück meines Körpers herausgerissen worden. Und das Schlimme daran ist, dass allein ich die Schuld daran trage.

Mit der flachen Hand schlage ich auf das Lenkrad meines Mercedes AMG GT und stoße einen unterdrückten Fluch aus, während der Verkehr auf der A1 außerhalb von Paris praktisch zum Erliegen kommt. Neben mir auf der Autobahn öffnet sich eine winzige Lücke. Ich verziehe das Gesicht, als ich mit einem rücksichtslosen Manöver ausschere und mich durch die sich stauenden Personenkraftwagen, Taxis, Wohnmobile und Laster, die zwischen mir und dem Flughafen Charles de Gaulle stehen, hindurchdrängele.

»Los! Vorwärts, verdammt noch mal!« Wütend drücke ich auf die Hupe. Ich muss unbedingt vorankommen, muss zu ihr, ehe sie für immer fort ist. »Aus dem Weg, verdammt noch mal!«

Im Zickzack rase ich an den langsamer fahrenden Autos vorbei und bringe dann den 450-PS-starken Motor auf Hochtouren, als ich eine kurze freie Strecke vor mir habe. Ein paar hundert Meter weiter komme ich wieder zum Stehen. Verflucht! Ich weiche auf den Standstreifen aus und rase wie ein Besessener weiter.

Nun, die Wahrheit ist: Ich bin besessen. Ich bin es, seit mein Blick das erste Mal auf Avery gefallen ist.

Ihr Gesicht verfolgt mich, während ich mich über die verstopfte Autobahn quäle, um die Ausfahrt Richtung Flughafen zu erreichen. Die ganze Zeit habe ich ihren tränenverhangenen Blick vor Augen, als sie mich, schockiert – und voller Verachtung – wegen der Art und Weise, in der ich sie betrogen habe, anschaut.

Du hast alles arrangiert, Nick! Du hast mein Leben Stück für Stück auseinandergenommen, bis du mich völlig in der Hand hattest … und in deinem Bett.

Alles wahr.

Nichts von dem, was sie in der Wohnung gesagt hat, wo wir uns nur wenige Stunden zuvor geliebt hatten, ließ sich leugnen. Mit nichts, was ich sagte, konnte ich Verständnis bei ihr finden. Ich weiß nicht, ob sie mir je vergeben wird. Innerhalb von Sekunden wandelte sich ihre Liebe zu mir in Hass. Während sie sich an mir vorbeidrängte, um zu gehen, sagte ich mir, dass ich all ihren Zorn, all den Schmerz, der mich jetzt beherrscht, verdient habe.

Und als sie mit Handtasche und Pass in der Hand aus meiner Wohnung rannte und in ein Taxi sprang, in dem sie davonraste, sagte ich mir, dass es das Fairste – das einzig Richtige – wäre, sie gehen zu lassen.

Ach, zum Teufel damit.

Wann habe ich sie je fair behandelt? Wann habe ich mir je Gedanken darüber gemacht, ob ich in Bezug auf sie das Richtige tat?

Ich will verflucht sein, wenn ich jetzt damit anfange. Wo sie doch der einzige Mensch auf der ganzen Welt ist, der mir etwas bedeutet, die einzige Frau, die ich jemals wirklich geliebt habe.

Ich schere mit einem Ruck aus, nehme die Zufahrt zum Flughafen und rase in Richtung der Abflug-Terminals. Ein Polizist brüllt, als ich aus dem Wagen springe und ihn einfach am Bordstein stehen lasse. Ohne das scharfe Pfeifen zu beachten und den lauten Befehl, stehen zu bleiben, den der Polizist erst auf Französisch schreit, ehe er seine Fremdsprachenkenntnisse unter Beweis stellt, renne ich in das quirlige Flughafenterminal und steuere auf geradem Wege auf den Schalter von Air France zu.

Für die Erste Klasse stehen mindestens zehn Fluggäste an, die ärgerlich grummeln und laut schimpfen, als ich mich vordrängele, um zu der Bediensteten am Check-in-Schalter zu gelangen. Sie sieht mich misstrauisch an, und dann geht ihr Blick über meine Schulter hinweg zu dem Polizisten, der immer noch hinter mir her brüllt.

»Sir, Sie können sich nicht einfach vordrängeln. Es warten noch andere –«

»Ich muss jemanden finden«, erkläre ich ihr mit leiser, vor Anspannung gepresster Stimme. Und ja, auch Verzweiflung schwingt darin mit. »Bitte, ich brauche Ihre Hilfe. Es ist wichtig.«

»Sie da!« Die Stimme des Polizisten klingt jetzt näher. Er hört sich wütend an. »Monsieur, ich spreche mit Ihnen.«

Ich werfe einen Blick über die Schulter und stelle fest, dass mein Auftritt die Aufmerksamkeit von zwei uniformierten französischen Soldaten auf sich gezogen hat. Männer mit roten Baretten und grünen Tarnanzügen, die am anderen Ende der Halle postiert sind, nähern sich dem Ticketschalter. Die Situation ist dabei, außer Kontrolle zu geraten.

Ich mache bestimmt einen beunruhigenden Eindruck, vielleicht wirke ich sogar gefährlich oder unberechenbar – vor allem angesichts der zurzeit herrschenden Unsicherheit auf der ganzen Welt. Aber ich habe keine Zeit, mich mit ängstlichen Sicherheitsbeamten oder verärgerten Bullen abzugeben. Ich muss Avery finden und sie davon abhalten, an Bord des Flugzeugs zu steigen. Zum Teufel noch mal, ich werde den ganzen verdammten Flughafen absuchen, wenn’s nötig sein sollte.

»Monsieur!«, ruft einer der Soldaten, die sich mir jetzt von hinten nähern.

»Ach, zur Hölle.« Mit einem Ruck wende ich mich vom Schalter ab und marschiere auf den Bereich zu, wo die Sicherheitskontrollen durchgeführt werden.

Die Leute weichen mit ängstlichen Blicken vor mir zurück, als ich an ihnen vorbeistürme, und ich höre sie hinter mir tuscheln. Eltern ziehen ihre Kinder an sich, als ich an ihnen vorbeilaufe. Ich verursache einen Aufruhr, der sich wahrscheinlich zu einem internationalen Zwischenfall ausweiten wird, aber das ist mir egal.

Ich tauche unter einem Absperrband durch, als sich eine feste Hand um meinen Arm legt. »Sir, an Ihrer Stelle würde ich das nicht tun.«

Der Griff des größeren der beiden französischen Soldaten ist wie ein Schraubstock.

Sein Kollege tritt von der anderen Seite an mich heran, während ein dritter mir den Weg von vorn versperrt. Ihre Mienen sind unnachgiebig, die Blicke fest, und sie sind bereit, mich niederzuringen.

Mit jeder Sekunde, die verstreicht, wird es wahrscheinlicher, dass ich Avery verliere. Als ich spreche, knirsche ich fast mit den Zähnen. »Lassen Sie mich los. Ich muss hier durch.«

»Nein, Sir.« Der dunkelhaarige Koloss, der vor mir steht, schüttelt den Kopf. »Sie sind weit genug gegangen.«

Mir ist klar, dass ich weder an diesen Männern noch an ihren Pistolen vorbeikomme. Ich habe bereits verloren. Ich bin zu spät dran, um Avery noch dazu zu bringen, mir zuzuhören, wenn sie mir überhaupt die Gelegenheit dazu gäbe.

Brüllend wehre ich mich gegen den Soldaten, der mich am Arm festhält. Angetrieben von meiner Wut und dem stechenden Schmerz in meiner Brust, den ich nicht mehr unter Kontrolle habe, reiße ich mich los.

Wut, Schmerz, Verzweiflung brechen mit einem brüllenden Knurren aus mir heraus. Gleichzeitig reiße ich die Faust hoch, und sie trifft den Soldaten, der vor mir steht, am Kinn. Sein Kopf fliegt nach hinten, doch das währt nur eine Sekunde.

Als mich die Wucht seines Fausthiebs wie ein Vorschlaghammer im Gesicht erwischt, heiße ich den Schmerz willkommen. Letztendlich habe ich ihn verdient. Und einen ganz kurzen Moment – ehe vor meinen Augen alles schwarz wird und mir der harte Betonfußboden grüßend entgegenkommt – sage ich mir, dass Avery die Chance verdient hat, wegzufliegen und mir so zu entkommen.

Sie verdient alles, was ich ihr nie geben kann.

Sie verdient es, frei zu sein und ein Leben ohne mich zu führen.

2

New York

Ein Jahr später

»Avery, wenn du mal einen Moment Zeit hättest … Die Leute vom Magazin, denen du ein Interview gegeben hast, möchten für den Artikel gern noch ein paar Fotos von dir machen.«

»Okay, danke, Rachel.« Mehrere Kunstkritiker und Sammler umgeben mich, als ich der Presseagentin zunicke, die engagiert worden ist, um mich bei dem Empfang für geladene Gäste zu unterstützen. »Würden Sie mich bitte entschuldigen?«

Ich löse mich von der Gruppe und folge Rachel durch die laute, quirlige Menschenmenge, die sich in der neu eröffneten Galerie für moderne Kunst an einer der angesehensten Privatuniversitäten der Stadt eingefunden hat. Der weitläufige Raum mit der hohen Decke ist brechend voll und vibriert förmlich vor Energie. In der Nähe der Cocktailbar hat ein Streichquartett Platz genommen, dessen ruhige, gefällige Musik sich mit den Stimmen der Anwesenden vermischt. Überall hört man die sich unterhaltenden Gäste und hier und da das leise Klirren von Kristallgläsern.

An den blendend weißen Wänden, die die Menge umgibt, hängen Werke zeitgenössischer Meister und vielversprechender Avantgarde-Künstler, von denen die meisten heute Abend anwesend sind.

Es fällt schwer zu glauben, dass ich tatsächlich Gast bei dieser eleganten Veranstaltung bin, geschweige denn, dass ich hier bin, weil eins meiner Werke von der Universität für deren Sammlung erworben worden ist.

»Miss Ross, würden Sie uns wohl sagen, woran Sie zurzeit arbeiten?« Die Frage kommt irgendwo von rechts und wird von einer Hand begleitet, die mir die Kamera eines Handys vors Gesicht hält. Rachel ist sofort zur Stelle und regelt die Situation gewandt.

»Ken, bis Sie das erfahren, werden Sie sich wie alle anderen gedulden müssen.« Sie schenkt dem Reporter noch ein freundliches Lächeln, ehe sie mich an ihm vorbeiführt. »Wie läuft’s heute Abend für Sie?«

»Gut. Ich hab viel Spaß.«

»Alles gut. Zu mir können Sie ehrlich sein. Sie hassen es doch, im Mittelpunkt zu stehen, oder?« Sie zwinkert mir im Gehen zu. »Nach dem Preis, den Ihr letztes Gemälde erzielt hat, sollten Sie sich allmählich daran gewöhnen. Jetzt wollen alle an Ihrem Erfolg teilhaben.«

Ich versuche, das Schaudern zu unterdrücken, das mich bei dem Gedanken durchfährt, im Mittelpunkt von so viel Aufmerksamkeit zu stehen. Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, mich vor meiner Vergangenheit und den Dämonen, die dort hausen, zu verstecken, deshalb kann ich es mir überhaupt nicht vorstellen, mich jemals wohlzufühlen, wenn ich im Rampenlicht stehe. Glücklicherweise kann heute Abend keiner von den hier Anwesenden in mein Inneres schauen und das verängstigte, gebrochene Kind sehen, das ich einst war, oder die vielen scheußlichen Geheimnisse, die ich für mich behalten musste, um zu überleben.

Nur ein Mensch hat tief genug in mich hineingeschaut, um mein wahres Ich zu erkennen, und seit einem Jahr bemühe ich mich krampfhaft, ihn zu vergessen. Man kann nicht gerade behaupten, dass mir das leichtgefallen wäre.

In den paar kurzen Monaten, in denen wir zusammen gewesen waren, hatte Dominic Baine mich völlig vereinnahmt. Er war mein Ein und Alles gewesen – zumindest hatte ich das dummerweise geglaubt. Denn in Wirklichkeit hatte Nick mich von unserer ersten Begegnung an zum Narren gehalten.

Nein, rufe ich mir scharf in Erinnerung. Damit hatte er schon viel früher angefangen.

Und zwar als er eines meiner Bilder in seiner Galerie, Dominion, gesehen hatte, was jetzt fast zwei Jahre her ist, und beschlossen hatte, mich haben zu müssen. Aber dann war doch in Wirklichkeit er der Angeschmierte gewesen, oder?

Denn er hatte nicht von Anfang an erkannt, wie verkorkst ich war.

Er hatte nichts von den Geheimnissen gewusst, die ich mein ganzes Leben lang bewahrt hatte, oder von dem Missbrauch, der Scham, meinen Versuchen, alles zu verschleiern.

Von Blut und Tod.

Ich wünschte, ich könnte ein wenig Genugtuung angesichts der Tatsache empfinden, dass ich ihn auch getäuscht habe. Doch wenn ich daran denke, wie ich meine Vergangenheit vor ihm verheimlicht habe … dass ich zugelassen habe, dass er sein Leben riskierte, um mich zu beschützen, als diese schreckliche Vergangenheit mich schließlich einholte, um meine Schulden einzutreiben, verspüre ich nur Bedauern.

Ich wünschte, ich könnte all das rückgängig machen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und noch einmal von vorn anfangen.

Aus diesem Grunde war Nick mit mir nach Paris gefahren – um die Zeit zurückzudrehen. Zumindest hatte er das behauptet.

Nachdem all meine Sünden ans Licht gekommen waren und keine Geheimnisse mehr zwischen uns standen, meinte ich, Paris wäre ein Neuanfang. Und das war es auch. Mir war nur nicht klar gewesen, dass dieser Neuanfang mit getrennten Wegen verbunden sein würde.

Ich hatte nicht glauben wollen, dass es vorbei war, aber ich hatte nicht bleiben können.

Nicht nach all dem, was er getan hatte – nachdem er mich systematisch manipuliert und mein Leben von vorn bis hinten kontrolliert hatte, als wäre ich nur eine Figur auf seinem Schachbrett, bis er mich genau dort hatte, wo er mich haben wollte.

Erobert.

In Besitz genommen.

Sein.

Und das Schlimmste daran war, wie geschickt Nick mich dazu gebracht hatte, dass ich mich bis über beide Ohren – wie eine Närrin – in ihn verliebt hatte und völlig machtlos dagegen gewesen war.

Als es dann im letzten Sommer in Paris in die Brüche gegangen war, hatte ich gemeint, der Schmerz würde mich umbringen. Es ist mir schleierhaft, wie ich es dann doch überlebt habe.

Mich in die Arbeit zu stürzen, hat wohl geholfen.

Und aus Manhattan wegzuziehen auch. Das Stadthaus aus den 1940ern in Forest Hills, das ich vor zwei Monaten gekauft habe, könnte nicht gegensätzlicher sein zu dem glamourösen Wolkenkratzer am Park Place, in dem ich so viel Zeit mit Nick verbracht habe.

Es fällt schwer, sich in der Stadt zu bewegen, ohne an ihn zu denken, denn ständig stürmen unerwünschte Erinnerungen auf mich ein, wenn ich mich an den Orten aufhalte, die wir zusammen erforscht haben, und an all die sinnlich verruchten Freuden denke, die wir miteinander geteilt haben.

Aber das ist Geschichte.

Ich verdränge die Gedanken an ihn, als Rachel mich zu dem wartenden Fotografen vom Kunstmagazin und zu der Dame führt, die mich vorhin interviewt hat. Man bittet mich, mich vor mein Gemälde zu stellen, und während die Kamera in einem fort klickt, versuche ich wie die selbstbewusste, völlig gelassene Künstlerin zu wirken, die alle anscheinend in mir sehen.

»Danke noch mal, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, Avery.« Die Reporterin kommt auf mich zu und schüttelt mir die Hand, nachdem die Fotos im Kasten sind. »Wir planen etwas später in diesem Jahr eine Serie von Artikeln über ausgewählte Künstler. In diesem Zusammenhang soll nicht nur Ihre Arbeit vorgestellt werden, sondern wir würden uns auch gern intensiver darüber unterhalten, was Sie beeinflusst hat, wie Ihr früheres Leben aussah … also all die Dinge, die in Ihre bemerkenswerte Arbeit eingeflossen sind und für den ganz speziellen Ausdruck gesorgt haben. Wenn Sie interessiert sind, würden wir Sie gern dabeihaben.«

»Oh. Äh …«

»Natürlich«, springt Rachel in die Bresche. »Sie würde sich freuen, einen Beitrag zu leisten.«

Die Frauen tauschen Kontaktdaten aus und verabreden, nächste Woche miteinander über den Terminplan für den Artikel zu sprechen.

»Das war wirklich nicht nötig«, sage ich zu Rachel, als wir wieder allein sind.

»Doch, das war es.« Sie sieht mich mit strengem Blick über den Rand ihrer Schildpattbrille hinweg an. »Kathryn hat mich engagiert, damit ich mich heute Abend um Sie kümmere, weil sie verhindert ist. Sie würde es mir nie verzeihen, wenn ich uns so eine gute Gelegenheit hätte durch die Lappen gehen lassen.«

Ich nicke widerwillig. Im Laufe des vergangenen Jahres ist mir Kathryn Tremont eine liebe Freundin geworden. Sie ist zufälligerweise auch eine der reichsten Frauen New Yorks und eine ernst zu nehmende Größe in der Kunstwelt. Sosehr es mir auch missfällt, Gefallen anzunehmen oder gemanagt zu werden, weiß ich doch, dass Kathryn nur versucht, mir zu helfen, weil es ihr am Herzen liegt.

Und Rachel versucht nur, ihren Job zu erledigen.

Ihr Handy fängt an zu klingeln, als sie einen Anruf bekommt. »Entschuldigung, da muss ich rangehen. Denken Sie dran, dass der Dekan Sie und die anderen Künstler auf die Bühne einladen wird, um ein paar Worte zu wechseln, ehe er seine Abschlussrede hält.«

Ich nicke, doch sie hat sich bereits abgewandt und ist ganz auf das Telefongespräch konzentriert.

Etwas unbeholfen und verlegen stehe ich noch eine Minute lang vor meinem Bild und wünsche mir, ich hätte Freunde dabei, die mir beim Empfang Gesellschaft leisten. Natürlich bin ich nicht ganz allein hier. Außer Rachel ist auch mein Begleiter hier irgendwo, obwohl ich Brandons roten Lockenkopf und die runden Wangen unter den anderen Gästen gerade nicht sehen kann. Ich verlagere das Gewicht auf den hochhackigen Sandaletten und streiche den Rock des schwarzen Cocktailkleides glatt, während ich den Hals recke, um den Blick über die Besucherschar schweifen zu lassen, die die Galerie füllt.

Wie lange ist er eigentlich schon weg? Es scheint mir eine Stunde her zu sein, dass er ging, um Getränke für uns zu holen. Angesichts Brandons Vorliebe für ausgiebigen Small Talk würde es mich nicht wundern, wenn er es bis jetzt noch nicht einmal bis zur Bar geschafft hätte. Aber ich könnte Gott weiß einen Spritzer flüssigen Mut gebrauchen, ehe ich auf die Bühne muss.

Weil bis dahin jedoch noch ein bisschen Zeit ist, beschließe ich, meinen unbotmäßigen Begleiter oder einen Drink aufzuspüren. Die Reihenfolge ist mir dabei eher egal. Ich will mich gerade ins Gewühl stürzen, als eine Wand aus harten warmen Muskeln plötzlich vor mir Gestalt anzunehmen scheint.

Wir stoßen nur kurz zusammen, wobei meine flache Hand sich gegen ein aufgeknöpftes maßgeschneidertes Jackett in Schwarz und das schneeweiße Hemd darunter drückt. Hitze durchströmt mich bei der Berührung, als würden meine Sinne die Gefahr erkennen, ehe mein Bewusstsein sie erfasst. Ich blicke auf und sehe in strahlend blaue Augen, die immer noch die Macht besitzen, mir bis auf den Grund der Seele zu schauen.

»Nick.«

Meine Stimme ist zu leise und vor Schreck ganz rau, als ich ihn zum ersten Mal nach Paris wiedersehe.

New York ist zwar riesig, aber in derselben Stadt zu leben, ohne einander über den Weg zu laufen, grenzt schon an ein Wunder. Oder ist eher ein Segen, was mich betrifft. Natürlich habe ich alles versucht, um ihm aus dem Weg zu gehen, indem ich mich von den Orten ferngehalten habe, von denen ich weiß, dass er sich dort regelmäßig aufhält, sodass die Chance, einander zu begegnen, fast null ist.

Und jetzt das.

Auch wenn mir klar war, dass wir uns irgendwann wieder über den Weg laufen würden, trifft mich sein Anblick mit der Wucht eines Schlages … sein voller rabenschwarzer Schopf, der im weichen Licht der Galerie schimmert, die kräftige, gerade Nase und der ungewöhnlich kantige, scharf geschnittene Kiefer, auf dem ein dunkler Bartschatten liegt.

Und die verheerendste Wirkung haben diese vollen, sinnlichen Lippen, die jeden Zentimeter meines Körpers berührt haben und über die so wundervolle Dinge kamen, ehe mir klar wurde, dass alles, was er gesagt hatte, auf einer Lüge basierte.

Sein Blick ruht durchdringend auf mir, ist unter den tiefschwarzen Brauen aber nicht zu deuten. »Hallo, Avery.«

So überrascht ich auch sein mag, ihn vor mir stehen zu sehen, weiß ich doch, dass ich ihn aus schmalen Augen voller Misstrauen, ja, anklagend anschaue. Das ist mehr als gerechtfertigt, wenn man bedenkt, wie katastrophal alles in die Brüche gegangen ist. »Was machst du hier, Nick?«

»Ich habe eine Einladung erhalten – genau wie alle anderen hier.«

Diese sinnlich tiefe Stimme geht mir durch und durch, wobei eine unerwünschte Glut in meinem Innern hervorgerufen wird. Ich bin mir seiner nur allzu deutlich bewusst, will es aber nicht wahrhaben. Ich weiche zurück, denn ich brauche mehr Raum. Besäße ich nicht so viel Stolz, wäre ich versucht, Richtung Ausgang zu flüchten.

Doch ich habe alles Recht hier zu sein. Nick ist der Eindringling.

»Ich nehme an, du wusstest nicht, dass ich auch hier sein würde.«

»Das wusste ich tatsächlich nicht. Lily hat alles organisiert. Aus irgendeinem Grund hat sie es versäumt, die Liste der anwesenden Künstler zu erwähnen. Ich werde das morgen früh mit ihr klären.«

Er klingt, als wäre er unzufrieden mit seiner Assistentin, und ich frage mich unwillkürlich, ob die unfehlbare, tüchtige Lily Fontana im Laufe des letzten Jahres nachgelassen hat und nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Ich bezweifle das zwar, kann mir aber auch nicht vorstellen, dass sie es für eine gute Idee halten könnte, Nick und mich auf einem Raum zusammenzubringen, der kleiner ist als zehn Häuserblocks.

»Ich entschuldige mich für die Situation, Avery. Wenn ich gewusst hätte, dass du hier bist, wäre ich bestimmt nicht gekommen.«

Ach Gott, er meint es wirklich ernst. Man kann es ihm kaum absprechen. Nach all seinen früheren Täuschungsmanövern erkenne ich jetzt, wenn er es ehrlich meint. Ich verstehe nicht, warum meine Erleichterung nicht größer ist, warum es mir nicht zumindest ein bisschen Genugtuung verschafft, dass er zugibt, was für ein Trümmerfeld zwischen uns liegt.

Aber alles, was ich nach so langer Zeit zum ersten Mal wieder spüre, ist der rasende Schlag meines Herzens – den unerwünschten Anflug erhöhter Wahrnehmung, den dumpfen Schmerz, der mit dem Bedauern über all das einhergeht, was hätte sein können.

Nick braucht ein bisschen, bis er seinen Blick von mir löst. Doch dann schweift er über meine Schulter hinweg und richtet sich auf das Gemälde, das hinter mir hängt. Er tritt näher und nimmt die Leinwand genau in Augenschein. Mir stockt der Atem, als ich beobachte, wie er sich in den Anblick der abstrakten Darstellung silbriger Federn, aufgewühlter blauer Fluten und des flammenden, orangefarbenen Himmels vertieft.

Er dreht den Kopf zu mir, und ein überraschter Ausdruck huscht kurz über sein Gesicht. »Ikarus.«

Der Inhalt des Bildes geht weit über den mythologischen Bezug hinaus. Das ist uns beiden bewusst. Trotzdem bestätige ich ihn mit einem Nicken.

Er kennt diese Arbeit von mir nicht, auch wenn ich damit schon kurz nach unserem ersten gemeinsamen Urlaub begonnen hatte. Ich habe das Gefühl, als würden die Tage an Bord von Nicks wunderschönem Segelboot, der Icarus, die wir in den Florida Keys verbracht haben, hundert Jahre zurückliegen. So viel ist seitdem passiert. So viele Lügen haben alles belastet … so viel Schmerz.

»Ich habe es ein Jahr lang mit mir herumgeschleppt und hatte das Gefühl, dass es endlich an der Zeit wäre loszulassen.«

Dass es an der Zeit wäre loszulassen, was zwischen uns gewesen war. Ich brauche es nicht auszusprechen. Nicks durchdringender Blick ruht auf mir und hat immer noch die Macht, mir bis auf den Grund der Seele zu schauen, wenn ich nicht aufpasse. Doch ich passe auf. Das muss ich – vor allem in seiner Gegenwart.

Es ist ein Jahr her, seit ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe – seit ich ihm nah genug gewesen bin, die Wärme seines Körpers zu spüren und seinen würzigen, berauschenden Duft einzuatmen, der selbst jetzt all meine Sinne in Unruhe versetzt. Ein Jahr ist vergangen, seit ich Nicks Berührung das letzte Mal erfahren habe, und doch erinnere ich mich so gut daran, als hätte ich erst gestern in seinen Armen gelegen.

Ich will diese Erinnerungen nicht mehr. Er kann unmöglich wissen, wie schwer es mir gefallen ist, darüber hinwegzukommen – mein Leben fortzuführen, nachdem er mir das Herz mit seinem Verrat gebrochen hatte.

Aber er weiß es doch.

Ich kann dieses Wissen in jeder Nuance seines Gesichts erkennen. Ich sehe unzählige Fragen in seinen Augen, unzählige Dinge, die wir beide in Paris hätten sagen sollen. Dinge, die wir uns eigentlich jetzt sagen müssten, es aber wahrscheinlich nie tun werden.

»Du siehst gut aus, Avery.« Er mustert mich eingehend, während er spricht, und ich weiß nicht recht, ob es nun Überraschung oder Enttäuschung ist, die in seiner gedämpften Stimme mitschwingt. »Ich freue mich über deinen Erfolg. Die Ausstellungen, die Auszeichnungen durch Medien und Kritiker. Die sechsstellige Summe, die für dein letztes Bild gezahlt worden ist. Glückwunsch übrigens. Du bist auf dem Weg ganz nach oben. Daran hege ich überhaupt keinen Zweifel. Ich bin beeindruckt.«

Und ich bin erstaunt. Ich kann nicht leugnen, dass mich sein Lob berührt, aber mehr noch bin ich davon überrascht, dass er Bescheid weiß, wie sich meine Karriere im Verlaufe des vergangenen Jahres entwickelt hat. Offensichtlich hat er alles aufmerksam verfolgt.

Ich kann nicht behaupten, in Bezug auf ihn nicht ebenfalls neugierig gewesen zu sein. Allerdings hat er es einem nicht gerade leichtgemacht, auch nur ansatzweise Informatives über ihn herauszubekommen, seit wir auseinander sind. Nicks Bestreben, seine Privatsphäre zu schützen, ist fast genauso legendär wie sein gigantisches Barvermögen. Vom »Schattenmogul« war im vergangenen Jahr fast nichts zu erfahren gewesen. Nicht ein einziges Foto war in den Medien gebracht worden, und auch im Internet hatte auf den Klatsch-und-Tratsch-Seiten nichts über ihn gestanden.

Und weil es nichts Greifbares gab, hatte ich mich unzähligen gehässigen Fantasien über ihn hingegeben. Ich hatte einen ausgemergelten, verzweifelten Nick mit langem, ungepflegtem Bart und unübersehbarem Bauchansatz vor Augen gehabt. Es war ein Genuss gewesen, mir vorzustellen, dass er vielleicht genauso sehr wie ich nach meiner Rückkehr aus Paris litt – ein untröstliches Häufchen Elend.

Doch Nick hat nie besser ausgesehen. Er wirkt wie immer durchtrainiert und einfach atemberaubend und sieht mich an, als könne er jeden Makel an mir erkennen, jeden einzelnen Riss in meiner mühsam aufrechterhaltenen Fassade. Als wäre ich immer noch die am Boden zerstörte, dumme Frau, die er wie ein Spielzeug behandelt hat.

Die Frau, die er angeblich einst geliebt hat.

»Bist du glücklich, Avery?«

»Glücklich?« Er überrumpelt mich mit der Frage. Auch das gehört zu seinen Spezialitäten. Ich zwinge mich zu einem Lächeln und zucke lässig mit den Achseln. »Wie du schon festgestellt hast, könnte es gar nicht besser laufen.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«

Ich stoße ein sarkastisches Schnauben aus, das ich nicht zurückhalten kann. »Wenn ich mich recht erinnere, bist du derjenige, der Antworten schuldig geblieben ist, nicht ich.«

»Du hast recht«, brummt er und klingt fast schon zerknirscht. »Aber du schienst nicht bereit, dir auch nur irgendetwas von dem, was ich zu sagen hatte, anhören zu wollen. Bist du es jetzt?«

»Du bist ein bisschen spät dran, Nick. Nichts von alldem ist jetzt noch wichtig.«

»Wäre es das damals gewesen?«

»Nein.«

Das stimmt, auch wenn ich mir immer wieder gesagt habe, er hätte es zumindest versuchen können. Er hätte an jenem Tag damals in Paris hinter mir herkommen sollen oder an einem der unzähligen Tage, Wochen, Monate, die folgten. Es war ja so erbärmlich – aber ich hatte doch tatsächlich gedacht, er würde mich nicht einfach so gehen lassen. Dominic Baine ist keiner, dem etwas, das ihm gehört, entgleitet.

Er hätte mich zwingen sollen, ihm zuzuhören. Unabhängig von meiner Fähigkeit, ihm zu vergeben, hätte er mir erklären müssen, warum er ausgerechnet mich in der Form manipuliert hatte.

Aber nichts davon hatte er getan.

Er hatte mich einfach gehen lassen.

Er hatte zugesehen, wie ich seine Wohnung verließ und aus seinem Leben verschwand, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, mich zurückzuholen.

Allein das genügte mir als Antwort.

Und das tut es immer noch.

Ich trete einen Schritt zurück – eine Bewegung, die ihm natürlich nicht entgeht. »Es war nett, dich mal wieder zu sehen, Nick.« Die Lüge klingt so verkrampft, wie sich mein Lächeln anfühlt, als ich ihn anschaue. »Viel Spaß noch auf dem Empfang.«

Ich strecke die Hand aus, wie ich es bei jedem anderen Bekannten oder Kollegen tun würde. Er ergreift sie, doch es ist nichts Beiläufiges daran, wie sich seine Finger um meine schließen.

Sein Griff ist fest, warm und selbstsicher. Er hält meine Hand, wie es ein Liebhaber tun würde – wie ein Mann, der genau wie ich noch weiß, wie häufig ich ihm vertraut und erlaubt habe, mich an jeden sinnlichen Ort zu führen, den er mit mir erforschen wollte. Nach all den Monaten, die wir einander nicht gesehen haben, berührt er mich wie ein Mann, dem klar ist, dass er mich besser kennt als jeder andere vor ihm oder seitdem.

Er streicht mit dem Daumen über meinen Handrücken. »Du willst schon wieder vor mir davonlaufen?«

»Ich laufe nicht davon.« Ich entziehe mich seinem Griff. »Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest – ich bin schon lange weg, Nick. Ich bin weitergekommen.«

»Tatsächlich?«

In der Frage schwingt ein leicht herausfordernder Ton mit, auf den ich gereizt reagiere. »Was willst du eigentlich von mir? Hast du nichts Besseres zu tun, als mir ständig Unbehagen zu bereiten?«

Ein bedeutungsvoller Ausdruck tritt in seine Augen – sinnlich und verrucht, fast schon arrogant und so intim wie eine Berührung. »Ich will dir kein Unbehagen bereiten, Avery.«

»Sehr schön, denn ich werde mich gar nicht erst darauf einlassen. Nicht hier. Nicht jetzt.«

»Dann lass uns woanders hingehen.«

Der Vorschlag verblüfft mich so sehr, dass ich ihn mit großen Augen anschaue. »Ich soll den Empfang mit dir zusammen verlassen? Das kannst du nicht ernst meinen.«

Aber das tut er. Dominic Baine bietet nichts an, ohne es sich vorher reiflich überlegt zu haben. Und wenn er etwas will, dann verfolgt er sein Ziel voller Entschlossenheit. Das sollte ich eigentlich wissen. Denn genau so war ich überhaupt erst in seinem Bett gelandet.

»Ich will, dass du jetzt gehst, Nick.«

Ich wende den Blick von ihm ab. Ich muss es tun, denn sonst könnte ich versucht sein zu vergessen, wie wichtig dieser Empfang für mich ist. Wenn ich noch länger in diese strahlend blauen Augen schaue, könnte ich versucht sein, zu vergessen, dass ich mit einem anderen Mann hergekommen bin.

Einem guten, anständigen Mann, der in den zwei Wochen, die wir nun miteinander ausgehen, immer nur freundlich zu mir gewesen ist. Endlich erspähe ich Brandon in der Menge. Er kommt langsam auf mich zu und hält zwei Gläser Champagner in der Hand, während er immer wieder stehen bleibt, um sich mit Kollegen von der Uni zu unterhalten und zu lachen.

»Bitte, Nick … geh einfach.«

Er folgt meinem Blick zu Brandon, der jetzt direkt auf uns zukommt. Ein finsterer Ausdruck huscht über Nicks Gesicht, als er mich wieder ansieht. »Weiß er von uns?«

»Nein.«

Schon das Geständnis fühlt sich wie Verrat an, obwohl Brandon und ich erst seit kurzer Zeit miteinander ausgehen. Ich habe ihm noch nichts Vertrauliches von mir erzählt und schon gar nichts von den Monaten, die ich in Nicks Bett verbracht habe. Und auch das, was alles andere angeht, was wir gemeinsam durchgemacht haben, habe ich nicht vor, Brandon oder sonst jemandem zu erzählen. Es gibt nur einen Mann, der all meine Geheimnisse und die vielen Facetten meiner Persönlichkeit kennt – und der schaut mir gerade tief in die Augen, sieht mir bis auf den Grund meiner Seele, wie er es von Anfang an getan hat.

So beunruhigend Nicks prüfender Blick auch sein mag, so wandelt sich seine Miene zu einem Ausdruck einstudierter Teilnahmslosigkeit, als Brandon schließlich bei uns ankommt.

»Da bist du ja!« Brandon grinst, als er mir eines der schlanken Gläser reicht. »Ich habe mindestens zehn Minuten lang nach dir gesucht. Tut mir leid, dass du auf den Schampus warten musstest. Ich hab den Dekan an der Bar getroffen, und er fing an, mir Bilder von seinen Enkeln zu zeigen.«

»Schon gut«, sage ich leise, nehme das beschlagene Glas entgegen und beobachte, wie sich Brandons Aufmerksamkeit auf Nick richtet. »Brandon, kennst du Dominic Baine?«

»Nein, ich hatte noch nicht das Vergnügen.« Er streckt die Hand aus und schüttelt Nicks enthusiastisch. »Brandon Snyder, Sir. Seminar für Kunstgeschichte. Es ist wundervoll, Sie kennenzulernen, Mr Baine. Meine Kollegen und ich sind sehr dankbar für die großzügigen Spenden, die Sie unserem schönen Institut über die Jahre haben zukommen lassen.«

Nicks Spenden. Kein Wunder, dass er zu dem Empfang eingeladen worden ist. Ich lächle und nippe am Champagner, während Brandon sich weiter überschwänglich über die Spenden äußert, die auch verschiedene andere Fachbereiche der Universität von Nick erhalten haben.

Bevor ich es merke, habe ich mein Glas geleert. Brandon bemerkt es auch. Leise lachend legt er einen Arm um mich. »Lass es lieber ein bisschen ruhiger angehen mit dem Schampus, Schatz. In ein paar Minuten musst du auf die Bühne.«

»Das schaff ich schon.« Unwillkürlich sehe ich in Nicks Richtung, als Brandon einen Kuss auf meine Schläfe drückt. Es ist eine liebevolle und doch besitzergreifende Geste, die mich eigentlich nicht stören sollte. Trotzdem spüre ich die ganze Zeit deutlich Nicks glühenden Blick, der uns beide mustert.

»Wir sollten uns langsam auf den Weg machen«, mahnt Brandon mich. »Witherspoon hat mir gesagt, dass er dich gern begrüßen würde, ehe alle anderen sich zu seiner Abschlussrede einfinden.«

»In Ordnung.«

»Wenn Sie uns bitte entschuldigen«, sagt Brandon und schüttelt Nick noch einmal die Hand. »Es war mir wirklich ein großes Vergnügen, Sie kennenzulernen. Aber wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich jetzt mein Mädchen für ein paar Minuten entführen.«

Nicks Erwiderung beschränkt sich auf ein leises Brummen.

Er schaut mich nicht an, aber ich winde mich angesichts seines beredten Schweigens, als Brandon seinen Arm um mich legt und wegführt.

3

»Avery Ross, du bist ein herzloses Miststück.«

Erschreckt sehe ich von meinem neuesten Bild auf, an dem ich am nächsten Tag ganz vertieft arbeite. »Wie bitte?«

Mein Atelierkollege, Matt Hollis, bedenkt mich, als er zu mir tritt, mit einem Blick, an dem ich erkenne, dass die Worte nicht ernst gemeint waren. »Du hast mich sehr wohl verstanden, Blondie. Ich sagte ›herzlos‹.«

Seit letztem Sommer teile ich mir den Raum mit ihm und meiner Freundin Lita Frasier, der tätowierten und gepiercten Mixed-Media-Bildhauerin, der das kleine, im ersten Stock liegende Loft in East Harlem gehört.

Matt deutet mit einem kleinen Bündel gesäuberter Pinsel, die er in der Hand hält, auf eine als Geschenk verpackte Schachtel, die seit heute Morgen, als ein Kurier sie brachte, auf meiner Werkbank liegt. »Ich stelle einfach fest, dass du ein Geschenk von dem neuen Mann in deinem Leben bekommen hast. Und wenn eine Freundin oder ein Freund eine noble Schachtel mit französischen Pralinen bekommt, gehört es sich für besagte Person, diese Botschaft der Liebe mit jenen zu teilen, die weniger vom Glück gesegnet sind.«

»Was redest du da eigentlich? Natürlich kannst du was davon abhaben.«

Er verdreht die Augen. »He, du hast das blöde Ding doch noch nicht mal aufgemacht.«

Er hat recht. Ich werfe einen Blick auf das in golden schimmerndes Papier eingewickelte Geschenk mit der roten Satinschleife. Es gibt nur Weniges, was ich lieber mag als Schokolade, und trotzdem steht diese Schachtel seit mehr als einer Stunde unberührt auf meinem Tisch. Sosehr ich Brandons großzügiges Geschenk auch zu schätzen weiß, muss ich bei Frankreich und seidigen, roten Bändern immer an ihn denken.

Wobei ich nicht den Mann meine, der mir das Geschenk geschickt hat.

Sondern den, der gestern Abend unerwartet wieder in mein Leben getreten ist und mich verwirrter und aufgewühlter zurückgelassen hat, als ich – noch nicht einmal mir selbst gegenüber – zugeben mag.

Während Matt ungeduldig darauf wartet, sich über meine Schokolade herzumachen, löse ich das lange, rote Band und reiße das Papier auf, sodass die Schachtel mit den Pralinen zum Vorschein kommt, die ich ihm gleich reiche. »Bedien dich.«

Er greift zu und schiebt sich eine Trüffelpraline in den Mund. Während er kaut, schließt er die Augen.

»Oh, mein Gott.« Sein genüssliches Stöhnen hört sich fast so an, als würde er gleich kommen. »Unglaublich, wie gut das schmeckt.«

Am anderen Ende des Raumes dreht Lita sich auf ihrem Stuhl zu uns herum. »Ich weiß nicht, wie hier jemand vernünftig arbeiten soll, wenn ihr beiden die ganze Zeit quasselt.«

Ich lache, denn es ist schon witzig, dass ausgerechnet sie sich über Lärm beschwert, während aus ihrer Box eigentlich den ganzen Tag über Musik von Mozart bis Metallica dröhnt.

Lita lässt von der Skulptur ab, an der sie gerade arbeitet. Das komplizierte Gewirr aus Draht und gehämmertem Stahl vereinnahmt sie schon seit mehreren Wochen. Es ist der Prototyp eines Stücks, das erst vor Kurzem in Auftrag gegeben worden ist und in Zukunft den Empfangsbereich einer im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Firma in Brooklyn schmücken soll.

Sie ist wie immer ganz in Schwarz gekleidet und trägt dazu Springerstiefel, als sie zu uns herübergeschlendert kommt. Heute sind die kurz geschnittenen Haare platinblond gefärbt, und es zieht sich nur ein schmaler roter Streifen über ihren Kopf. Das ist die unauffälligste Farbkombination, die ich in all den Monaten je bei ihr gesehen habe. »Sind da auch welche mit Karamell dabei?«

Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber in den beiden da könnte Karamell sein.« Sie nimmt sich eine von den Pralinen, auf die ich gezeigt habe, und beißt hinein.

»Bäh! Das ist kein Karamell.« Sie verzieht das Gesicht, und der Diamantsplitter, mit dem ihre Nase an der Seite gepierct ist, blitzt auf. »Welcher Idiot kommt denn auf die Idee, so was wie Lavendel in Schokolade zu packen?«

Matt lacht und streckt die Hand aus. »Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen. Kannst den Rest mir geben, du Banause.«

»Willst du eine andere probieren?«, frage ich.

»Nein, danke.« Sie rümpft immer noch die Nase, während sie den Kopf schüttelt und das angebissene Stück in Matts ausgestreckte Hand legt. »Da lob ich mir meine altmodischen Schokoriegel. Dieses überkandidelte Zeug ist nichts für mich.«

»Wie du willst«, sagt Matt. Er verleibt sich die mit Lavendel aromatisierte, von Lita verschmähte Praline ein und zerkaut sie genüsslich, ehe er wieder gierig die Hand nach der Schachtel ausstreckt. Es ist deutlich zu erkennen, dass er plant, ein Weilchen zu bleiben, als er die Pinsel weglegt und sich gegen meine Werkbank lehnt. »Also … wann willst du uns eigentlich ein bisschen was über den großen Empfang gestern Abend erzählen? Hattest du Spaß mit der akademischen Elite und deinen dich bewundernden Kritikern?«

Ich habe meinen Freunden nicht erzählt, dass ich Nick über den Weg gelaufen bin. Wenn sie wüssten, dass ich mit ihm gesprochen habe, würde ich von beiden nur ausgeschimpft werden. Sie hassen ihn, weil er mich verletzt hat, und sie wissen noch nicht einmal die Hälfte von dem, was er mir alles angetan hat. Nur meine beste Freundin, Tasha, kennt die Wahrheit – und das auch nur, weil ich nach meiner Flucht aus Paris in New York vor ihrer Tür gelandet bin.

Ich zucke angelegentlich die Achseln, als ich Matts fragendem Blick begegne. »Der Abend war okay.«

»Nur okay? Offensichtlich ist der Abend mehr als nur okay zu Ende gegangen, wenn dein Begleiter dir heute im Nachhinein noch eine Zweihundert-Dollar-Schachtel Pralinen schickt.«

Ich senke den Blick und erinnere mich daran, wie die Begegnung mit Nick den Rest des Abends überschattet hat. Nach dem Treffen mit dem Dekan und meiner kurzen Rede war Nick fort. Das weiß ich, weil ich nicht den Drang unterdrücken konnte, meinen Blick die ganze Zeit auf der Suche nach seinem Gesicht über die Menge schweifen zu lassen. Der Klang seiner tiefen Stimme hallte immer noch in meinem Kopf wider, und auch meine Hand war immer noch ganz warm nach seiner Berührung.