Freifahrtschein - Mila Roth - E-Book

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Mila Roth

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  • Herausgeber: Petra Schier
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Gefährlicher Spaß  Während eines Besuchs auf dem Jahrmarkt trifft Janna Berg auf zwei alte Bekannte: Die Geschwister Alim und Abida sind Mitglieder der terroristischen Gruppierung Söhne der Sonne und scheinen etwas im Schilde zu führen. Der Geheimdienst schickt Markus Neumann, um der Sache auf den Grund zu gehen. Zusammen mit Janna soll er sich als Mitarbeiter des Meinungsforschungsinstituts ausgeben und eine Umfrage unter den Schaustellern durchführen. Rasch finden die beiden heraus, dass die Terroristen offenbar einen Anschlag auf eines der Fahrgeschäfte planen. Um das Schlimmste zu verhindern, müssen Janna und Markus ihre Tarnung sogar noch ausweiten … mit überraschenden Folgen.  Fall 3 für Markus Neumann und Janna Berg 

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Table of Contents

Buchtitel

Impressum

Personenverzeichnis

1

2

3

Mila Roth

Freifahrtschein

Fall 3 für Markus Neumann und Janna Berg

 

Impressum

 

Freifahrtschein

Fall 3 für Markus Neumann und Janna Berg

eBook Edition, 8. Auflage, Oktober 2020

Copyright © 2012 by Mila Roth (Pseudonym)

Herausgeberin: Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach

www.mila-roth.de

Cover-Design unter Verwundung von Adobe Stock

© illustrart / © paunovic / © adidesigner23 / © imnoom

Lektorat: Barbara Lauer

ISBN: 978-3-96711-026-5

Alle Rechte vorbehalten.

 

Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.

Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.

Personenverzeichnis

Hauptpersonen

Janna Berg: Pflegemutter von Zwillingen, betreibt selbstständig einen kleinen Schreib- und Büroservice

Markus Neumann: Agent

Geheimdienst (alphabetisch)

Alexa Baumgartz: Agentin

Gerlinde Bernstein: Chefsekretärin und Ehefrau von Walter Bernstein

Walter Bernstein: Leiter der Abteilung für nationale und internationale Feldeinsätze für die Bereiche Terrorabwehr und organisiertes Verbrechen (Abteilung 7)

Dr. Jochen Schwartz: Leiter der Abteilung für interne Angelegenheiten

Melanie Teubner: Agentin

Sonstige Personen (alphabetisch)

Bernhard Berg: Vater von Janna Berg

Burayd: Anführer der deutschen Zelle einer terroristischen Vereinigung namens Söhne der Sonne

Felicitas (Feli) Berg: Schwester von Janna Berg

Linda Berg: Mutter von Janna Berg

Susanna Berg: Pflegetochter von Janna Berg, Zwillingsschwester von Till

Till Berg: Pflegesohn von Janna Berg, Zwillingsbruder von Susanna

Ralf Kreuter: Mitarbeiter bei Raths Autoscooter

Sander Lambrecht: Freund von Janna Berg

Petra Meyeroltmanns: Besitzerin einer Bio-Imbissbude

Senta Rath: Besitzerin des Autoscooters

Thommie: Besitzer des Riesenrads

Abida bint Salama: Terroristin, Alims Schwester

Alim bin Salama: Terrorist, Abidas Bruder

1

Bonn-Beuel

Pützchens Markt

Mittwoch, 7. September, 15:30 Uhr

Die beiden grauhaarigen Männer saßen einander an einem runden Campingtisch gegenüber und spielten Karten. Einer von ihnen, etwas älter und stämmiger als der andere, mit Halbglatze, paffte eine stinkende Zigarre. »Der Kontakt steht?«, fragte er, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen. Mit gerunzelter Stirn warf er eine Karte auf den Tisch.

Der andere nickte und legte seinerseits eine Spielkarte. »Ist schon alles geklärt. Der Boss kümmert sich nach dem Desaster in Hamburg selbst um die Sache. Ein bisschen Hilfe kriegen wir zwar noch, ich weiß aber nicht, wen er uns schickt.«

»Ist doch egal. Hauptsache, die Leute taugen was«, brummelte der Ältere. Er griff neben sich in eine Bierkiste und entnahm ihr zwei Flaschen. Die eine reichte er seinem Spielpartner. »Wird ein hübsches Feuerwerk. Frage mich, ob das die Versicherung übernimmt.«

Der jüngere Mann kicherte. »Darauf würd’ ich nicht wetten. Obwohl, wenn die Aktion glatt läuft, kann dir keiner was anhängen wegen Mittäterschaft. Der Boss hat sich einen klasse Plan ausgedacht. Muss man erst mal drauf kommen.«

»Mhm.« Der Ältere warf eine weitere Karte auf den Tisch. »Ist aber auch gleich, ob sie zahlen oder nicht. Meine Schäfchen habe ich im Trockenen. Wenn uns hier alles um die Ohren fliegt – sei’s drum. Da hänge ich nicht dran. Ich will, dass die Menschen endlich aufwachen, sie sollen kapieren, dass dieser ganze religiöse Mist abgeschafft gehört. Christen, Moslems, Juden und was nicht noch alles – die Leute müssen begreifen, dass die Religionen nichts weiter sind als Ausreden, sich nicht selbst ums eigene Leben zu kümmern. Und natürlich, um Kriege anzuzetteln. Idiotie, so was! Aber nehmen sie uns ernst? Kein Stück. Na ja, wir werden ihnen die Augen schon noch öffnen. Geht aber wohl nur mit ordentlich Druck.«

»Und ein paar Leichen.« Der andere lächelte erheitert. »Ein paar Hundert Leichen, um genau zu sein.«

»Falls alles klappt«, bestätigte der Ältere und legte seine letzte Spielkarte. »Gewonnen«, sagte er grinsend und öffnete die Bierflasche mit seinem Feuerzeug. Er leerte sie in einem Zug bis zur Hälfte und stellte sie geräuschvoll auf den Tisch.

»Einige unserer Leute werden auch dran glauben müssen, wenn das Ding hochgeht«, gab der Jüngere zu bedenken. Er sammelte die Karten ein und häufte sie zu einem akkuraten Stapel.

»Das ist nicht zu ändern.« Der Ältere zuckte mit den Achseln. »Ich muss nur sehen, dass meine Frau und die Kinder außer Reichweite sind. Wahrscheinlich schicke ich sie einfach zu meinem Bruder.«

»Gute Idee«, stimmte der andere zu. »Wir sind ja schließlich keine irren Selbstmordattentäter oder so was. Ich werde auch sehen, dass ich möglichst weit vom Schuss bin, wenn die Sache steigt. Der Boss lässt übrigens fragen, wann er die Installation machen soll. Gleich morgen oder erst am Stichtag. Er meint, du wüsstest am besten, wie das in den Zeitplan passt.«

»So spät wie möglich«, bestimmte der Ältere. »Garantiert wimmelt es bald von Zivilbullen, die ihre Vorwitznasen überall reinstecken. Ich will nicht, dass wir frühzeitig auffliegen.«

»Okay, sag ich ihm.« Der andere öffnete ebenfalls seine Bierflasche und nahm einen großen Schluck. »Du gibst.«

2

Bonn-Beuel

Pützchens Markt

Samstag, 10. September, 16:15 Uhr

»Warte, Till, lauf nicht allein so weit voraus!«, rief Janna ihrem achtjährigen Pflegesohn hinterher. »Ich möchte, dass wir alle beisammen bleiben, damit ich euch im Gewühl nicht verliere.«

»Ja, schon gut«, maulte der Junge und schüttelte seinen blonden Haarschopf. »Aber beeil dich ein bisschen, sonst müssen wir wieder ewig bei der Wilden Maus anstehen. Guck mal, wie lang die Warteschlange ist!« Er deutete auf die Menschentraube, die sich um das achterbahnähnliche Fahrgeschäft drängte.

»Na komm, gehen wir mal einen Schritt schneller als die Frauen«, antwortete Jannas Vater Bernhard gutmütig und legte Till eine Hand auf die Schulter. An seine Tochter gewandt fragte er: »Sollen wir für dich ebenfalls eine Fahrkarte kaufen?«

»Nein, lieber nicht. Die Wilde Maus ist nicht so mein Ding.« Janna hakte sich bei ihrer Mutter ein, die neben ihr her über den großen Jahrmarkt schlenderte. »Wir schauen euch lieber zu, nicht wahr, Mama?«

»Auf jeden Fall«, bestätigte Linda Berg.

»Aber ich will mitfahren«, befand Tills Zwillingsschwester Susanna und ergriff Bernhards Hand. »Los, Beeilung!«

Linda sah den dreien erheitert nach. »Erinnert dich das an jemanden? Du konntest es als Kind auch nie erwarten, auf diese scheußlichen Geräte zu steigen und dich durchschütteln zu lassen.«

Janna lachte. »Auf die Wilde Maus war ich nie besonders scharf.«

»Nein, aber auf dieses andere schaurige Karussell. Wie heißt es gleich? Südseewind?«

»Südseewellen«, korrigierte Janna. »Und dann gab es eins, das lief ähnlich, hieß allerdings Raupe. Und das Riesenrad habe ich geliebt – tue ich heute noch.«

»Was ist bloß aus dem guten alten Kettenkarussell geworden?«, fragte Linda seufzend und strich sich ihr kupferrotes schulterlanges Haar aus der Stirn. »Das waren noch Zeiten, als dein Vater und ich stundenlang darauf gefahren sind, Hand in Hand ...« Ein verträumter Ausdruck glitt über ihr Gesicht. »Und was findet man heute? Lauter entsetzliche Loopings und halsbrecherische Schleudergeräte.« Wie zum Beweis schrillte direkt neben ihnen ein Signalton, der den Start einer weiteren Runde des sogenannten Flugkarussells Turbo-Force ankündigte.

»Ach was, Mama.« Janna kicherte. »So arg ist es auch wieder nicht. Schau, da hinten gibt es noch immer ein großes Kettenkarussell. Und sobald Papa mit den Kindern von der Wilden Maus runter ist, gehen wir rüber zu Raths Autoscooter. Ich hoffe, Senta hat ein paar Minuten Zeit für mich. Sie schrieb in ihrer letzten E-Mail, dass der kleine David sie ziemlich auf Trab hält. Und sie muss ja halbtags an der Kasse sitzen, wenn ihr Mann anderweitig beschäftigt ist.«

»Sie ist ja so eine Nette!«, schwärmte Linda. »Ich erinnere mich, dass sie euch immer Freikarten für den Autoscooter mitgebracht hat, als ihr zusammen zur Schule gegangen seid.«

Janna ging mit ihrer Mutter etwas näher an die Wilde Maus heran, um die Kinder im Auge zu behalten, die inzwischen mit Bernhard einen der Wagen bestiegen hatten. Um Janna herum drängten sich Menschen unzähliger Nationalitäten. Rufe und Lachen mischten sich mit der von allen Seiten dröhnenden Technomusik und den markanten Ausrufen der Karussellbetreiber, die mit frechen und nicht selten anzüglichen Sprüchen die Fahrten kommentierten oder versuchten, mehr Gäste anzulocken. Wieder ertönte irgendwo ein Signalhorn. Janna hob ihre Stimme ein wenig, damit ihre Mutter sie besser verstehen konnte. »Wir haben immer jeweils drei Fahr-Chips geschenkt bekommen. Glaubst du, das hätte auch nur einem von uns gereicht? Ich bin sicher, Herr Rath hat allein an meiner Schulklasse ein halbes Vermögen verdient.«

Linda nickte lächelnd. »Da könntest du allerdings recht haben. Dein Vater und ich mussten stundenlang warten, bis du endlich keine Lust mehr hattest.«

»Das kann uns heute ebenfalls bevorstehen«, gab Janna zu bedenken. »Bestimmt steckt Senta den Zwillingen auch wieder Freikarten zu. O schau, da geht es los!« Sie winkte Susanna und Till zu, die ihrerseits eifrig zurückwinkten, sich dann aber rasch an den Griffen ihres Wagens festhielten, als das Gefährt mit einem Ruck anfuhr und in die Höhe gezogen wurde.

***

Bonn, Kaiserstraße

Institut für Europäische Meinungsforschung

Samstag, 10. September, 16:15 Uhr

»Was machst du denn noch hier?«, fragte Melanie Teubner, als sie das Großraumbüro betrat, in dem sich ihr Arbeitsplatz befand. Neugierig trat sie an Markus Neumanns Schreibtisch und beäugte das Durcheinander von Formularen, das sich darauf türmte.

Er blickte zu ihr auf und verzog genervt die Lippen. »Was schon – Papierkram, das siehst du doch. Dr. Schwartz ist heute Morgen im Dreieck gesprungen, weil ihm der Bericht über den Leitner-Fall noch nicht vorliegt. Und der zu meinem Einsatz vom vergangenen Dienstag in Brüssel muss ebenfalls fertig werden.«

Melanie kicherte und schüttelte ihr langes, schwarzes Haar. »Tja, auch Spitzenagenten haben eben keine Sonderrechte.«

»Haha.« Markus warf ihr einen finsteren Blick zu.

In diesem Moment öffnete sich die Glastür erneut und eine weitere Agentin kam herein. Markus verdrehte die Augen, widmete sich aber gleich wieder seiner Schreibarbeit und tat, als habe er sie nicht bemerkt.

Alexa Baumgartz trat an seinen Schreibtisch, stützte sich mit beiden Händen darauf und beugte sich so weit vor, dass er, als er doch den Kopf hob, direkt in ihr üppiges Dekolleté blickte. Sie lächelte ihm zu. »Ich hoffe, du bist allmählich fertig mit den Berichten. Es ist schon fast halb fünf und unser Tisch im Chez Manuel ist doch für sieben Uhr reserviert, nicht wahr?«

»Hm, ja, Alexa, ist er.« Markus riss seinen Blick von den tiefen Einblicken los, die ihr eng anliegendes silbernes Shirt mit V-Ausschnitt ihm gewährte. »Keine Sorge, ich hab’s nicht vergessen. Aber wenigstens dieser Bericht hier«, er deutete auf das Formular, das er gerade ausfüllte, »muss gleich noch in die Abteilung für interne Angelegenheiten. Ich hole dich wie vereinbart um halb sieben ab.«

»Okay, dann bis später.« Alexa hauchte ihm einen Luftkuss zu, warf ihr welliges honigblondes Haar grazil über die Schulter und stolzierte davon. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Ich freue mich schon auf den Abend«, säuselte sie.

Melanie runzelte die Stirn. »Ihr geht wieder miteinander?«

»Aus«, antwortete Markus, der sich bereits erneut dem Formular zugewandt hatte.

»Was?« Fragend hob Melanie die Augenbrauen.

»Wir gehen aus«, sagte er. »Nur aus.«

»Ach.« Es war deutlich, dass Melanie ihm nicht glaubte.

Markus stöhnte genervt. »Ich habe es ihr in einer unachtsamen Sekunde versprochen. Du kennst sie doch. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann sie schrecklich lästig werden.«

»Also bitte – lästig?« Melanie lachte. »Warum sagst du ihr nicht einfach, dass sie das Weite suchen soll? Wenn du doch immer wieder mit ihr ausgehst, kommt sie nie über dich hinweg.« Sie hielt kurz inne und zwinkerte ihm zu. »Bei mir hat es schließlich auch funktioniert.«

»Das ist was anderes.« Er grinste.

»Ist es das? Na, wenn du meinst. Aber du solltest ihr trotzdem keine Hoffnungen machen. Es sei denn, du hast mehr für sie übrig, als du zugibst ...« Bedeutungsvoll klimperte Melanie mit ihren langen getuschten Wimpern.

Markus schüttelte den Kopf. »Würdest du mich jetzt bitte hier weitermachen lassen? Ich habe nämlich keine Lust, nachher in diesem Aufzug«, er deutete auf seine Bluejeans und das weinrote, auf der Brust mit einem weißen Buchstabenmuster bedruckte Freizeithemd, »im Chez Manuel auflaufen zu müssen, nur weil ich hier nicht fertig geworden bin.«

»Schätzchen, in den Sachen lassen sie dich gar nicht erst über die Schwelle zu dem Nobelschuppen.«

»Eben.«

3

Bonn-Beuel

Pützchens Markt

Samstag, 10. September, 16:45 Uhr

»Ach, was habe ich mich gefreut, dich wiederzusehen!« Die nur 1,60 m große, etwas stämmige Senta Rath drückte Janna fest an sich und trat dann einen Schritt zurück. »Tut mir leid, dass ich nicht mehr Zeit für dich habe, aber Peter ist vorhin los, um ein Ersatzteil für den Computer zu besorgen. Und mein Vater sitzt nicht gerne so lange an der Kasse, seit er den dritten Bandscheibenvorfall hatte.« Sie lächelte. »Er kümmert sich lieber um David. Inzwischen hat er sich zum regelrechten Musteropa gemausert.«

»Du kannst glücklich sein, dass du ihn hast«, stimmte Janna zu. »Wie geht es denn deiner Mutter? Kommt sie bald aus dem Krankenhaus?«

»Ja.« Senta nickte. »Sie kriegt so eine Schiene, die muss sie mindestens sechs Wochen tragen. Ich sage dir, sie wird es hassen! Sie hat sich derart aufgeregt, dass sie sich den Knöchel so unglücklich angebrochen hat ... Aber was soll’s. Sie wird es überleben. Und wir sind froh, wenn sie wenigstens stundenweise wieder mithelfen kann. Wir brauchen derzeit jede Hand. Es ist verdammt schwierig, heute noch zuverlässiges Personal zu bekommen.« Senta winkte ab. »Das soll deine Sorge nicht sein. Hier.« Sie griff in ihre Hosentasche und förderte eine Handvoll Fahrchips für den Autoscooter zutage. »Für deine zwei Rabauken.«

»O nein, du hast ihnen doch bereits Chips geschenkt«, wehrte Janna ab. »Das können wir unmöglich annehmen!«

»Ach was, nun nimm sie schon.« Senta grinste, schob ihre silbern gerahmte Brille ein Stückchen auf dem Nasenrücken hoch und ordnete ihr kurzes blondes Haar. »Ich weiß schließlich, wie wild die beiden auf den Autoscooter sind. Fast so schlimm wie du und Betty damals ...« Sie stockte. »Sorry, ich hätte nicht ...«

»Ach was, schon gut.« Janna winkte ab. »Ist doch so lange her.«

»Wirklich, es macht dir nichts aus?« Prüfend blickte sie Janna ins Gesicht.

Janna zögerte. »Ich habe Bettina seit ... der ... Sache nicht mehr gesehen.«

»Du weißt also nicht, wie es ihr geht?«

»Nein. Du?«

Senta schüttelte den Kopf. »Ich habe sie noch viel länger nicht gesprochen und weiß nicht mal, wo sie heute lebt.«

»Ich auch nicht.« Janna seufzte. »Ist wohl besser so.«

»Ich wollte dir nicht die Laune verderben.« Besorgt legte Senta ihr eine Hand auf den Arm. »Tut mir leid.«

»Das hast du nicht.« Janna rang sich ein Lächeln ab. »Aber ich will dich jetzt nicht mehr länger von deinen Pflichten abhalten.«

»Komm ruhig wieder vorbei, falls du in den nächsten Tagen noch mal hier bist. Ich freue mich immer, dich zu sehen.«

Die beiden Frauen umarmten einander ein zweites Mal, dann verließen sie gemeinsam den großen Wohnwagen, in dem Senta mit ihrer Familie während der Jahrmarktsaison lebte. Senta eilte sogleich zum Kassenhäuschen des Autoscooters. Janna ging etwas langsamer in Richtung des Zuschauerbereichs, wo ihre Eltern inmitten einer Gruppe von Teenagern standen und den Zwillingen zusahen, die in ihrem grellgrünen Wagen eine Runde um die andere über die Fläche drehten.

Sie wusste nicht, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte – eine Bewegung im Bereich hinter dem Autoscooter? Als ihr Blick dorthin wanderte, erschrak sie so heftig, dass sie beinahe ein kleines Mädchen umgerempelt hätte, das an der Hand seiner Mutter an ihr vorbeiging. Hastig entschuldigte sie sich und blickte erneut zur Absperrung, die die Jahrmarktgäste daran hindern sollte, zwischen den Wohnwagen herumzulaufen oder sich womöglich an den oftmals abenteuerlich wirkenden technischen Konstruktionen auf der Unter- und Rückseite der Karussells zu verletzen.

Jannas Herz klopfte hart gegen ihre Rippen. Sie hatte sich nicht getäuscht! Den dunkelhaarigen Mann mit dem Vollbart und die ebenso schwarzhaarige Frau hatte sie doch damals in der Wohnung von Axel Wolhagen angetroffen! Jenes Geheimagenten, von dem sie wenig später erfahren hatte, dass er ermordet worden war. Jannas Hände begannen zu zittern. Als das südländische Pärchen in ihre Richtung blickte, brachte sie sich rasch mit ein paar Schritten vorwärts aus ihrem Blickfeld .

Heftig atmend lehnte Janna sich gegen die Wand des Kassenhäuschens, lugte jedoch vorsichtig um die Ecke. Die beiden sprachen jetzt mit einem großen, schlaksigen, grauhaarigen Mann, der ein T-Shirt des Schaustellerbetriebs Rath trug. Offenbar gehörte er zum Personal. Janna meinte sich zu erinnern, ihn schon in den Vorjahren beim Autoscooter arbeiten gesehen zu haben.

Noch einmal linste sie um die Ecke, doch nun waren alle drei Personen verschwunden. Janna schluckte und versuchte, ruhig zu bleiben. Es bestand kein Grund zur Aufregung. Sie hatte nichts zu befürchten, oder? Wahrscheinlich erinnerten sich die beiden nicht mal mehr an sie. Aber was, wenn doch? War sie in Gefahr? Das Pärchen gehörte einer terroristischen Vereinigung an, die sich Söhne der Sonne nannte. Markus Neumann hatte ihr erklärt, dass diese Gruppierung die Befreiung der Welt von allen Religionen anstrebte – nötigenfalls mit Gewalt. Dass sie es bitterernst meinten, hatte Janna im Juli erfahren müssen, als sie versehentlich mitten ins Fadenkreuz dieser terroristischen Aktivitäten geraten war. Glücklicherweise war die Sache gut ausgegangen, hauptsächlich dank Markus, der Agent war und für einen Geheimdienst arbeitete, der unter dem Deckmantel eines Meinungsforschungsinstituts in Bonn agierte. Unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte, blickte Janna zu ihren Eltern, die aber abgelenkt waren und den Zwillingen zuwinkten.

Sie musste den Geheimdienst verständigen. Was, wenn diese beiden Terroristen etwas Schlimmes im Schilde führten? Weshalb sonst trieben sie sich wohl hier auf dem Jahrmarkt herum? Vor ihrem inneren Auge zeichneten sich Horrorszenarien von explodierenden Bomben inmitten der Marktbesucher ab. Sie schluckte und kramte rasch ihr Handy hervor. Mit fliegenden Fingern blätterte sie durch das Telefonbuch, bis sie die Nummer von Markus Neumann fand.

***

Bonn, Kaiserstraße

Institut für Europäische Meinungsforschung

Samstag, 10. September, 17:00 Uhr

Nicht ganz sicher, ob er sich auf seinen bevorstehenden Feierabend freuen sollte, legte Markus den letzten Bericht in seine Ablage und schickte das dazugehörige elektronische Dokument an die E-Mail-Adresse des Leiters der Abteilung für interne Angelegenheiten. Dr. Schwartz hatte sein Büro wahrscheinlich längst verlassen, doch der Zeitstempel auf der E-Mail würde ihm anzeigen, wann Markus sie verschickt hatte. Er hatte keine Lust auf ein weiteres Zusammentreffen mit Schwartz, da nahm er lieber Überstunden in Kauf. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass er sich jetzt allmählich sputen musste. Ihm stand ein anstrengender Abend bevor, denn Alexa war mit Sicherheit entschlossen, aus dem gemeinsamen Abendessen mehr zu machen, als ihm lieb war. Er würde sich aber auf nichts einlassen, und wenn sie sich noch solche Mühe gab.

Vermutlich hatte Melanie recht – er sollte Alexa ein für alle Mal den Laufpass geben. Doch diese Frau war nicht nur anspruchsvoll und anhänglich, sondern auch extrem empfindlich. Falls er nicht aufpasste, konnte er einen Krieg vom Zaun brechen, der die Atmosphäre in seiner Abteilung vergiften würde. Da ging er besser den Weg des geringsten Widerstands und reichte ihr den kleinen Finger, musste jedoch auf der Hut sein, dass sie nicht gleich wieder nach der ganzen Hand griff – und nach dem Rest von ihm.

Während er noch überlegte, wie er den Samstagabend viel lieber verbringen würde, nahm er seine schwarze Lederjacke von der Stuhllehne und warf sie sich über. Auf dem Weg zum Aufzug entfernte er die in Plastik gehüllte ID-Karte, die er am Kragen seines Hemdes befestigt hatte. Er steckte sie in die Innentasche seines Jacketts, hielt jedoch inne, als sein Handy klingelte.

Als er den Namen auf dem Display des Smartphones las, runzelte er überrascht die Stirn. Mit der freien Hand drückte er den Knopf, um den Aufzug anzufordern. »Neumann?«, meldete er sich.

»Oh, gut, dass ich Sie erreiche!«, rief Janna Berg am anderen Ende der Leitung. Markus hatte den Eindruck, dass sie unter Stress stand. Im Hintergrund hörte er scheppernde Technomusik, Bässe und weitere Jahrmarktgeräusche. »Sie müssen mir helfen. Können Sie herkommen? Sie sind hier und ich weiß nicht, was ich machen soll.«

Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich eine Spur. »Frau Berg? Immer mit der Ruhe. Wohin soll ich kommen und wer ist dort?«

»Ich bin auf Pützchens Markt. Die zwei ... dieses Pärchen aus Herrn Wolhagens Wohnung – wissen Sie noch? Die sind hier. Ich habe sie hinter dem Autoscooter gesehen, und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll. Vielleicht erkennen sie mich ja, und was dann? Und was, wenn die beiden irgendwas vorhaben? Ich meine, das sind doch«, sie senkte die Stimme, sodass er sie bei dem Hintergrundlärm kaum noch verstehen konnte, »das sind doch Terroristen, oder nicht?«

Inzwischen war der Aufzug gekommen und Markus hatte bereits die Tiefgarage angewählt. Sämtliche Alarmglocken schrillten in seinem Kopf. »Das stimmt«, bestätigte er. »Wo genau befinden Sie sich jetzt, Frau Berg?«

»Am Kassenhäuschen von Raths Autoscooter. Meine Eltern sind auch da und die Kinder. Ich muss gleich zu ihnen, sonst wundern sie sich, wo ich abgeblieben bin. Aber was, wenn diese beiden ... wenn sie mich mit meiner Familie sehen? Sind wir dann alle in Gefahr?«

»Bleiben Sie ganz ruhig«, antwortete Markus. Kaum hatte sich die Tür geöffnet, war er auch schon aus dem Aufzug heraus und eilte zu seinem schwarzen Z3. »Ich bin in ein paar Minuten bei Ihnen. Lassen Sie sich nichts anmerken, aber entfernen Sie sich nicht vom Autoscooter. Solange Sie sich in einer Menschenmenge aufhalten, sind Sie in Sicherheit.«

»Aber was, wenn die beiden etwas im Schilde führen?« Jannas Stimme zitterte leicht und er fürchtete schon, sie könnte in Panik ausbrechen.

»Ich kümmere mich darum«, sagte er in beruhigendem Ton. »Behalten Sie einfach die Ruhe.« Er unterbrach die Leitung, sprang in seinen Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen an. Gleichzeitig wählte er die Nummer seines Vorgesetzten Walter Bernstein, der sich in seinem verdienten Feierabend befand.

Als Walter sich meldete, schoss Markus bereits mit überhöhter Geschwindigkeit hinaus auf die Kaiserstraße. »Walter, wir haben ein Problem. Frau Berg hat auf Pützchens Markt zwei Mitglieder der Söhne der Sonne entdeckt. Was meinen Sie? – Weiß ich nicht. Ich hatte noch keine Zeit, mit ihr darüber zu sprechen. Ich bin aber schon auf dem Weg zu ihr. Geben Sie den Kollegen vor Ort Bescheid, dass sich möglicherweise etwas tun könnte. Wir brauchen eine Code-Gelb-Alarmierung. – Ja, ich melde mich, sobald ich mehr weiß.« Markus warf das Handy auf den Beifahrersitz und konzentrierte sich darauf, den Jahrmarkt durch den Samstagabendverkehr auf schnellstem Wege zu erreichen.