Freimaurerei in Deutschland - Hans-Hermann Höhmann - E-Book

Freimaurerei in Deutschland E-Book

Hans-Hermann Höhmann

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Beschreibung

Mit einer Studie zur historischen Entwicklung der Freimaurerei in Deutschland und zu den Aufgaben, die sich dem Bund in Zukunft stellen, setzt Hans-Hermann Höhmann seine Publikationen über den „Bruderbund der Menschlichkeit“ fort. Kernanliegen seiner Analyse im Jubiläumsjahr der Weltfreimaurerei 2017 ist es herauszuarbeiten, wie sehr Herkunft und Zukunft zusammengehören: Einerseits beeinflusst die Vergangenheit auf nachhaltige Weise die Freimaurerei der Gegenwart, andererseits lassen sich die zukünftigen Aufgaben des Freimaurerbundes nur bestimmen, wenn bekannt ist, auf welche Herkunft sich die angestrebte Weiterentwicklung bezieht. Dem Autor ist für die Zukunft der Freimaurerei vor allem an einer Orientierung des Bundes an den Traditionen von Humanismus und Aufklärung gelegen. Ihm gelingt es, diese Traditionen in der Vergangenheit der deutschen Freimaurerei aufzuspüren und zu zeigen, mit welchen anderen, davon abweichenden Traditionslinien es die Freimaurerei in Deutschland zu tun hatte. Daraus entwickelt er schließlich ein klares Konzept für eine „Humanitäre Freimaurerei“. Neben den Prinzipien der Freimaurerei werden vom Autor auch die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der Gegenwart behandelt, mit denen sich der Bruderbund auf absehbare Zeit auseinanderzusetzen hat.

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Freimaurerei in Deutschland

Aspekte der Vergangenheit - Aufgaben für die Zukunft

Hans-Hermann Höhmann

eBook EPUB: ISBN 978-3-96285-133-0

Print: ISBN 978-3-943539-81-3

Copyright © 2020 by Salier Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagentwurf: Christine Friedrich-Leye

Umschlagmotiv: Gemälde von Petra Talsma

Satz und Herstellung: Salier Verlag, Leipzig

www.salierverlag.de

Doch lebendig stets aufs neue

tut sich edles Wirken kund,

Freundesliebe, Männertreue

und ein ewig sichrer Bund.

Johann Wolfgang Goethe

Inhalt

Vorbemerkung

TEIL I - ASPEKTE DER VERGANGENHEIT

Geschichtlicher und konzeptioneller Rahmen

Entstehung der Freimaurerei in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Veränderungen, Reformen und Differenzierungen

Drei große Gruppierungen der Freimaurerei

Besonderheiten der Entwicklung der Freimaurerei in Deutschland

Das Gemeinsame der „Freimaurereien“

Das „freimaurerische Geheimnis“

Ein schwieriges Verhältnis: Freimaurerei und Aufklärung

Der „klassische Freimaurerdiskurs“ und die Reformen Friedrich Ludwig Schröders

Vom 18. zum „langen“ 19. Jahrhundert

Neue Grenzziehungen, Konflikte und Reformen im 20. Jahrhundert

Nach dem Zweiten Weltkrieg: neue Großlogenordnung

Die „Vereinigten Großlogen von Deutschland“ (VGLvD) 1958

Freimaurerei der Frauen

Schattenspiele: Der Ruf nach der Regularität

Gegner der Freimaurerei

TEIL II - GEGENWART UND ZUKUNFT

Leitfragen – Worum es geht

Mythen und Entstellungen als Herausforderung für freimaurerische Aufklärung

Definitionen und Abgrenzungen

Noch einmal: Freimaurerei und Religion

Humanismus – Dimensionen für die Gegenwart

Gespräch unter Brüdern und Kommunikation im Internet

Fokus Praxis – Orientierungen für eine „verantwortliche Freimaurerei“

Freimaurerei als Methode: Sensibilität, Kritisches Denken, Aufklärung

Freimaurer und Freimaurer-Gruppe: Wer und Wie handeln?

Baustellen und Ressourcen

Schlussbemerkung

Anmerkungen

Prof. Dr. Hans-Hermann Höhmann

Vorbemerkung

Mit einer Studie zur Geschichte der Freimaurerei in Deutschland und zu den Aufgaben, die sich dem Bund in Gegenwart und Zukunft stellen, setze ich meine Publikationen über den „Bruderbund der Menschlichkeit“ fort. Kernanliegen meiner Analyse im Jubiläumsjahr der Weltfreimaurerei 2017 ist es herauszuarbeiten, wie sehr Herkunft und Zukunft der deutschen Freimaurerei zusammengehören. Einerseits beeinflusst die masonische Vergangenheit auf nachhaltige Weise die Freimaurerei der Gegenwart, andererseits lassen sich die zukünftigen Aufgaben des Freimaurerbundes nur bestimmen, wenn bekannt ist, auf welche Herkunft sich die angestrebte Weiterentwicklung bezieht. Der Autor ist, wie auch aus seinen bisherigen Schriften hervorgeht, für die Zukunft der Freimaurerei Befürworter einer Orientierung des Bundes an den Traditionen von Humanismus und Aufklärung. Es liegt ihm daran, diese Traditionen in der Vergangenheit der deutschen Freimaurerei aufzuspüren, aufzuzeigen mit welchen anderen, davon abweichenden Traditionslinien es die Freimaurerei in Deutschland zu tun hatte, um schließlich ein klares Konzept für eine auf den Traditionen von Humanismus und Aufklärung beruhende und diese Traditionen weiterführende „Humanitäre Freimaurerei“ vorzustellen. Neben Fragen der Freimaurerei im engeren Sinne werden vom Autor als Politikwissenschaftler auch die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Verwerfungen der Gegenwart behandelt, mit denen sich der Bruderbund auf absehbare Zeit auseinanderzusetzen hat. Er behandelt Etappen der freimaurerischen Geschichte, erörtert aber auch zeitübergreifende strukturelle Problembereiche der Freimaurerei. Hierzu gehören u. a. Anstöße und Bremsfaktoren für Veränderungen, Probleme der „Regularität“ sowie die vielfältigen Formen von Gegnerschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Dabei steht das Anreißen von Problemen als Ansatzpunkte und Material für den künftigen „Freimaurer-Diskurs“ in Deutschland – wobei bewusst kein Umweg um bisher verdrängte Tabus gemacht wird – gegenüber eingehender wissenschaftlicher Analyse im Vordergrund. Auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen sind von Fall zu Fall eher assoziativ als systematisch. Der Autor nimmt Darstellungen aus früheren Veröffentlichungen auf, zumal diese, wie etwa sein Buch „Freimaurerei. Analysen, Überlegungen, Perspektiven“ (Bremen 2011, 2013) inzwischen vergriffen oder schwer zugänglich sind. Die Texte sind aber stets überarbeitet, zum Teil beträchtlich erweitert und durch neue Überlegungen zur Zukunft der „Humanitären Freimaurerei“ in Deutschland ergänzt. Nicht irritieren sollte, dass ich die Begriffe „Humanitäre Freimaurerei“ und „Humanistische Freimaurerei“ parallel verwende. „Humanitär“ bezieht sich auf eine spezifische Praxisform der Freimaurerei, wie sie etwa auch in der Großloge A.F.u.A.M. von Deutschland ihren Ausdruck findet, „Humanistisch“ auf die von mir vertretene freimaurerische Konzeption.

Dank gilt meinem Verleger Bastian Salier für sein Engagement und die sorgfältige Begleitung dieser Schrift, Dr. Christoph Meister, Zürich, für Hinweise zum Abschnitt „Schweiz“ sowie der holländischen Künstlerin Petra Talsma, die mir wiederum gestattet hat, ein Gemälde von ihr für das Titelblatt zu wählen. Die hellen Farben sollen optimistisch stimmen und die Schriftelemente auf freimaurerische Botschaften hinweisen.

Köln, im April 2017

Hans-Hermann Höhmann

TEIL I - ASPEKTE DER VERGANGENHEIT

Deutsche Freimaurerei im Kontext von Geschichte, internationalen Entwicklungen und freimaurerischen Konzeptionen

Geschichtlicher und konzeptioneller Rahmen

Freimaurerei ist ein weltweiter Freundschaftsbund, und gilt – so die Internetseite der United Grandlodge of England – als „one of the world’s oldest and largest non-religious, non-political, fraternal and charitable organisations“1. Freimaurerei stellt aber auch eine spezifische symbolisch-rituelle Lehr- und Erfahrungsmethode dar, die von Anfang an auf Einübung einer ethisch fundierten Art und Weise der Lebensführung angelegt war: „A Mason is oblig’d, by his Tenure, to obey the moral Law“, hieß es bereits in „Andersons Konstitutionen“ von 1723, und eine spätere, vielzitierte Definition, ebenfalls aus der englischen Freimaurerei nahm diesen Gedanken auf: „Freemasonry is a peculiar system of morality, veiled in allegory, and illustrated by symbols“. Freimaurerei versucht dabei, die soziale, die intellektuelle und die emotionale Seite des Menschen gleichermaßen anzusprechen. Verstand und Gefühl werden nicht getrennt, und insbesondere die in den Logen geübte Ritualpraxis soll dazu beitragen, Einsichten in Lebenswirklichkeiten gleichzeitig denkend und fühlend zu gewinnen.

Freimaurerei stellt allerdings keine Einheit dar. Von Beginn an gab es unterschiedliche Erscheinungsformen des Freimaurerbundes, die sich – insbesondere mit der Entwicklung von Hochgradsystemen – hauptsächlich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiter ausdifferenziert haben. Viele damit verbundene Forschungsfragen sind bisher unbeantwortet, doch hat besonders seit den 1950er Jahren eine intensive multidisziplinäre wissenschaftliche Beschäftigung mit der Freimaurerei eingesetzt, an der in zunehmendem Maße auch Wissenschaftler an Universitäten und Forschungsinstituten teilnehmen, die selbst nicht dem Freimaurerbund angehören. In Deutschland sind zahlreiche dieser Forscherinnen und Forscher am „Netzwerk Freimaurerforschung“ beteiligt, das im Jahre 2001 in Anlehnung an die Universität Bielefeld begründet wurde.2

Der folgenden Abschnitte beanspruchen nicht, die Geschichte des Freimaurerbundes zusammenfassend oder gar detailliert zu beschreiben. Sie sind vielmehr auf ein Aufzeigen und Erörtern von Aspekten angelegt, die dem Autor für die Beurteilung von Entstehung und Entwicklung der Freimaurerei – insbesondere in Deutschland – wichtig erscheinen.

Der Freimaurerbund ist ein Produkt der Moderne. Entwicklungsanstöße und Strukturmaterial aus der älteren Geschichte aufnehmend, entstand er als institutionell-organisatorisch verfasste soziale Gruppierung von Gewicht zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England und blickt inzwischen auf eine Entwicklung von 300 Jahren zurück. Die Vorgeschichte des Bundes reicht weiter zurück und beginnt mit den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Steinmetzbruderschaften und deren Bauütten, aus denen (und unter Bezug auf die) sich vor und nach 1717, dem Jahr der ersten Großlogengründung in London, fast explosionsartig die modernen Freimaurerlogen entwickelten. Die Einzelheiten dieser „großen Transformation“ von den Bauhütten der Steinmetze zu den Logen der „Gentlemen Masons“ liegen immer noch im Dunkel der Geschichte und sind Gegenstand wissenschaftlicher Hypothesen sowie vielfältiger Spekulationen. Insbesondere ist noch nicht hinreichend geklärt, ob und inwieweit es sich bei dem, was später als „Esoterik der Freimaurerei“ bezeichnet werden sollte, um das Ergebnis eines allmählichen, durch die Bauhütten des Mittelalters und der frühen Neuzeit vermittelten Einfließens alter Denkformen und Symbole in die Freimaurerei hinein handelt oder ob das zunehmende Gewicht der Esoterik in der Maurerei der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Resultat eines großen Prozesses des Einsammelns hermetischer, symbolischer und gedanklicher Elemente aus der Kultur- und Religionsgeschichte des Abendlandes gewesen ist, nicht zuletzt den umfangreichen Ritualbedarf der Hochgradsysteme zur Ursache hat und insofern mehr mit Rückprojektion als mit Kontinuität zu tun hat.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung der freimaurerischen Vergangenheit wird nicht nur durch die oft spärliche Quellenlage erschwert, vor allem, was die Praxis der frühen Freimaurerei betrifft. Hinzu kommt, dass quellengestützte Forschungsergebnisse nicht selten durch Entstehungs-

legenden überlagert werden, die aus der Freimaurerei selbst stammen. John Hamill unterscheidet in seiner Geschichte der englischen Freimaurerei3 „authentische“ (wissenschaftliche) Schulen, die sich auf die Analyse überprüfbarer Fakten stützen, von „nicht-authentischen“ Schulen. Letztere setzen die Freimaurerei unzulässigerweise durch Rückschlüsse aus dem, was später – insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – zur Freimaurerei, vor allem zur Freimaurerei von Hochgradsystemen, geworden ist, in eine direkte Beziehung zu Religionen, Mysterien, Kulten und hermetisch-esoterischen Traditionen vergangener Jahrhunderte. Generell sind die Freimaurer immer in der Versuchung gewesen, die Wurzeln der von ihnen in der jeweiligen freimaurerischen Gegenwart gewollten Form der Freimaurerei in der Vergangenheit zu entdecken, um sie hierdurch zu legitimieren.

Fest steht jedoch, dass die Symbole und Rituale der Freimaurer, die bis auf den heutigen Tag in den Logen zur Anwendung kommen, in erster Linie den Formen- und Ideenwelten der europäischen Bautradition, ihren organisatorischen Zusammenschlüssen, ihren Legenden (Salomonischer Tempelbau, Baumeister Hiram, Märtyrerlegende der „Quatuor Coronati“) sowie den Verfahren der Mitglieder der Bauhütten, sich gegenseitig als Maurer zu erkennen, entstammen und damit insgesamt der Vorgeschichte der Freimaurerei angehören. Dabei sind neben den englischen vor allem die schottischen Traditionen von besonderer Bedeutung gewesen. David Stevenson hat in seiner grundlegenden Studie zu den Ursprüngen der Freimaurerei darauf hingewiesen, dass wesentliche Elemente des Bundes – die vor der Öffentlichkeit verborgenen Rituale, die geheimen Modalitäten der gegenseitigen Erkennung als Maurer, die feierlichen Initiationen neuer Mitglieder sowie die Aufnahme von Nichtsteinmetzen in die Logen – neben praktischen Regeln für die Ausübung des Gewerbes und soziale Einrichtungen – bereits im 17. Jahrhundert (zum Teil auch schon davor) für die schottischen Logen nachweisbar sind.4 Stevenson hat weiter deutlich gemacht, dass innerhalb der Rituale neben der Bausymbolik auch esoterische Vorstellungen an Bedeutung gewannen, die auf hermetische Traditionen der Renaissance zurückzuführen sind. Nicht zuletzt deshalb stieß die Freimaurerei schon in ihrer Formierungsphase auf Widerstand von Vertretern und Institutionen der etablierten christlichen Kirchen. Es ist allerdings anzunehmen, dass die frühe Hermetik in den Logen der schottischen Freimaurer nicht direkt zu den mit allerlei zusätzlicher Symbolik rituell aufgefüllten Hochgradsystemen führte, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts populär wurden.5 Einmal war die Hermetik in den frühen schottischen Logen Bestandteil einer organisatorisch einfachen, noch nicht einmal dreigradigen Freimaurerei gewesen, zum anderen hatte sie sich über längere historische Perioden hinweg entwickelt und war insofern überlieferungsverbunden und nicht bewusst angeeignet. Deshalb kann sie auch als wesentlich authentischer gelten als die nicht selten gesucht und willkürlich anmutende Esoterik in den Symbol- und Ritualkreationen der Hochgradsysteme des späten 18. Jahrhunderts. Hermetik und Alchemie, Wahrheitssuche in religiösem Eklektizismus, Hoffnung auf einen „Consensus der Religionen“, all das hatte ja für die Intellektuellen der Spätaufklärung eine beträchtliche Faszinationskraft, nicht als feste dogmatische Lehre, sondern als „Sammelbecken unterschiedlicher nichtorthodoxer Bild- und Gedankenfiguren“,6 die an die Stelle eines orthodoxen Christentums treten konnten. In diesem Kontext schreibt etwa Goethe im achten Buch seiner Erinnerungsschrift „Dichtung und Wahrheit“:

„Ich studierte fleißig die verschiedenen Meinungen, und da ich oft genug hatte sagen hören, jeder Mensch habe am Ende doch seine eigene Religion, so kam mir nichts natürlicher vor, als dass ich mir auch meine eigene bilden könne, und dieses that ich mit vieler Behaglichkeit. Der neue Platonismus lag zum Grunde; das Hermetische, Mystische, Kabbalistische gab auch seinen Beitrag her, und so erbaute ich mir eine Welt, die seltsam genug aussah.“7

Es kann wohl auch davon ausgegangen werden, dass es den Übergang von der „operativen“ (bauhandwerklichen) zur „spekulativen“ (symbolisch-philosophischen) Freimaurerei in der früher angenommenen Form als einer, vor allem auf das 17. Jahrhundert datierten zeitlichen Abfolge nicht gegeben hat. Die Bauhütten waren bereits lange vor dem Entstehen der Freimaurerei als moderner Sozialform „spekulativ“, und gerade dies hat die berufsfremden Außenstehenden, die in zunehmender Zahl als „Angenommene Maurer“ (,,accepted masons“) hinzukamen, stark angezogen. Ernst Bloch etwa hat auf die Bedeutung der über Rohstoffe, Technik und Zwecke der Bauten, insbesondere auch der sakralen Bauten, hinausgehenden Bauideen und Bausymbole, das in den Bauhütten lebendige „Kunstwollen“, im Architekturkapitel („Bauten, die eine bessere Welt abbilden, architektonische Utopien“) seines monumentalen Werkes „Das Prinzip Hoffnung“ hingewiesen:

„Damals war ein anderes Kunstwollen am Werk als das der sogenannten Zweckkunst, und weil es ein Kunst-Wollen war, zeigte es außer Rohstoff, Technik, Zweck die wichtigste Bestimmung: die der Phantasie. Es war hier diejenige der kanonischen Bauvollkommenheit, im Hinblick auf ein geglaubtes symbolisches Vorbild. Dieses Vorbild leitete gerade die Ausführung des Werks, nicht nur, wie der Archetyp, seinen Traum und Plan ante rem, es gab den Meisterregeln selber die Regel. Daher war das jeweilige große architektonische Kunstwollen das gleiche wie die jeweilige Symbolintention, die in der Ideologie des alten Bauhandwerks traditionell wirksam war. Diese Intention aber suchte mit Dreieck und Zirkel ‚den Maßen eines als vorbildlich imaginierten Daseins-Baus überhaupt abbildlich näherzukommen‘“.8

Die Tatsache, dass bereits im 17. Jahrhundert und davor Logen im späteren Sinne existierten, deutet darauf hin, dass der Bund aus historischen Kontinuitäten hervorgegangen ist, und dass es insofern nur bedingt zutreffend ist, den meist genannten Stichtag für den Übergang von der Vorgeschichte zur Geschichte der Freimaurerei, den 24. Juni 1717, als sich vier Londoner Logen zur ersten Großloge der Welt zusammenschlossen, als Gründungsdatum der modernen Freimaurerei herauszustellen, ganz abgesehen davon, dass kaum belastbare Quellen für Datum und Ereignis vorhanden sind.9

Dennoch war die Londoner Gründung von großer, ja ausschlaggebender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Freimaurerei. Denn mit der „Großloge von London und Westminster“ begann die logenübergreifende Institutionalisierung und inhaltliche Ausrichtung der Freimaurerei, die die organisatorischen und konzeptionellen Grundlagen für die nun einsetzende dynamische Entwicklung der Freimaurerei in England und sehr bald auch über England hinaus geschaffen hat. Die Londoner Großloge gab sich 1723 ihre erste Verfassung, die nach ihrem Verfasser, dem aus Schottland stammenden presbyterianischen Geistlichen James Anderson, die „Andersonschen Konstitutionen“ genannt werden, konzeptionell aber sehr wesentlich auf den eigentlichen Vater der modernen Freimaurerei, John Theophilius Desaguliers (1683–1744) zurückgehen.10 Desaguliers wurde 1719 zum dritten Großmeister der Londoner Vereinigung gewählt. Er war französischer Emigrant und protestantischer Geistlicher, gehörte zum Freundeskreis von Isaac Newton, war als Naturphilosoph Mitglied der Londoner „Royal Society“ und führte dem Freimaurerbund mit dem Herzog John von Montague den ersten bedeutenden Vertreter des englischen Hochadels zu, der dann selbst 1721 Großmeister wurde.

In Deutschland sind die „Andersonschen Konstitutionen“ als die „Alten Pflichten“ bekannt und richtungweisend geworden.11 Programmatisch ist vor allem die erste dieser Pflichten mit der Überschrift: „Von Gott und der Religion“:

„Der Maurer ist als Maurer verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen; und wenn er die Kunst recht versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner, noch ein bindungsloser Freigeist sein. In alten Zeiten waren die Maurer in jedem Land zwar verpflichtet, der Religion anzugehören, die in ihrem Lande oder Volke galt, heute jedoch hält man es für ratsamer, sie nur zu der Religion zu verpflichten, in der alle Menschen übereinstimmen, und jedem seine besonderen Überzeugungen selbst zu belassen. Sie sollen also gute und redliche Männer sein, Männer von Ehre und Anstand, ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis oder darauf, welche Überzeugungen sie sonst vertreten mögen. So wird die Freimaurerei zu einer Stätte der Einigung und zu einem Mittel, wahre Freundschaft unter Menschen zu stiften, die einander sonst ständig fremd geblieben wären.“

Die „Alten Pflichten“ enthalten tatsächlich die bis in die Gegenwart gültigen Grundlagen der Freimaurerei: Die Bedeutung der gesellschaftlichen Funktion der Freundschaft, die moralische Verpflichtung des Maurers, den von ihm geforderten Habitus von Ehre und Anstand, den Verzicht auf trennende religiöse Festlegungen und die Praxis der Toleranz als Grundlage von Einigkeit und menschlichem Miteinander.

Nach der Gründung der ersten Londoner Großloge im Jahre 1717, zu der 1725 basierend auf der sog. „Harodim“-Tradition in York die „Grand Lodge of All England“12 und 1751 eine dritte englische Großloge, die „Grand Lodge of Ancients“, hinzukam13, erfolgte eine stürmische Entwicklung der Freimaurerei. In England, Schottland und Irland – als den Heimatländern der modernen Freimaurerei – wuchs die Zahl der Logen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf über 1.000 an.14 Schnell griff die Freimaurerei auf die überseeischen Gebiete Großbritanniens über, insbesondere auf die amerikanischen Kolonien, die späteren Vereinigten Staaten. 1733 wurde von England aus die Provinzial-Großloge von Massachusetts in Boston eingesetzt. Wenige Jahrzehnte später sollten Freimaurer in der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung sowie der Verfassungsgeschichte der USA eine führende Rolle spielen.15

Auch auf dem europäischen Kontinent breitete sich die Freimaurerei rasch aus. Wie in England fanden die Ideen, Organisationsformen und Symbole des Bundes eine große Resonanz. Selbst der schon früh einsetzende Widerstand der katholischen Kirche konnte seine Ausbreitung nicht verhindern, zumal die päpstlichen Verurteilungen nicht in allen Bistümern veröffentlicht wurden und viele hochrangige katholische Geistliche dem Freimaurerbund angehörten. Das erste Land außerhalb Großbritanniens, in dem die Freimaurerei auf breiter Basis Fuß fasste, war Frankreich. Spuren von Logengründungen in Paris lassen sich bis in das Jahr 1725 zurückverfolgen. Aufklärerische Diskursfreude, später aber auch die Neigung zu fantasievollen Hochgradsystemen, waren kennzeichnend für die weitere Entwicklung der französischen Freimaurerei. Bedeutsam war auch die Entwicklung der Freimaurerei in den Niederlanden, wo nach 1731 zahlreiche Logen entstanden. In diesem Jahr war im Haag Herzog Franz Stephan von Lothringen, später Ehegatte Maria Theresias und als Franz I. römisch-deutscher Kaiser, von einer Deputation hochrangiger englischer Freimaurer in den Freimaurerbund aufgenommen worden.

Entstehung der Freimaurerei in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Die erste quellenmäßig belegbare Loge in Deutschland entstand 1737 in Hamburg, und so konnte die deutsche Freimaurerei im Jahre 2012 ihren 275. Geburtstag feiern. Schon 1733, nach anderen Quellen 1735, soll der englische Großmeister Earl of Strathmore elf deutschen Gentlemen die Errichtung einer Loge in Hamburg genehmigt haben, doch sind diese Nachrichten mit Vorsicht aufzunehmen. Das älteste heute erhaltene Dokument in französischer Sprache weist auf die Gründung einer „Loge en Hambourg“ am 6. Dezember 1737 hin. Stifter war der spätere holländische Leutnant Charles Sarry, im Vorgriff auf die kommenden Entwicklungen als „Deputierter Großmeister von Preußen und Brandenburg“ bezeichnet. Mitstifter waren Baron Georg Ludwig von Oberg, der eine Woche später Stuhlmeister wurde, der angesehene Stadtarzt Peter Carpser, der Gelehrte Peter Stüven und Daniel Krafft. Diese „Société des acceptés masons libres de la Ville de Hambourg“ war an der Bäckerstraße in der Schenke des Weinwirtes Jens Arbien tätig und nahm 1743 den bis heute beibehaltenen Namen „Absalom“ (später „Absalom zu den drei Nesseln“) an. Oberg war es auch, der als Leiter einer Delegation der Hamburger Loge den preußischen Kronprinzen Friedrich (bald „Friedrich der Große“) im August 1738 in Braunschweig in die Freimaurerei aufnahm. Friedrich wurde sowohl vom toleranten Geist des Bundes als auch von der diesen umgebenden Aura von Geheimnis und Verschwiegenheit angezogen und amtierte bald als „Meister vom Stuhl“ (Vorsitzender) der von ihm in Rheinsberg ins Leben gerufenen Hofloge.

Nicht lange nach der Hamburger Gründung folgten Logengründungen in Dresden, Berlin, Bayreuth, Leipzig und vielen anderen deutschen Städten. Trotz mancher Anfeindung war die Dynamik der deutschen Freimaurerei bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein beträchtlich. So wurden in den ersten 50 Jahren der Bundesgeschichte, von 1737 bis 1787, etwa 400 Logen mit ca. 25.000 Mitgliederaufnahmen gegründet. Zu einer weiteren Gründungswelle kam es im (neuen) Deutschen Reich nach 1871. Diese Welle hielt bis in die Weimarer Republik an. So entstanden zwischen 1871 und 1925 weitere 300 Logen, und die Zahl der Mitglieder aller deutschen Logen erreichte Mitte der 1920er Jahre ihren Höchststand mit über 80.000 Freimaurern. Dabei dominierten die „altpreußischen“ Großlogen mit annähernd 70 % der deutschen Freimaurer. Zwar hatte der Zusammenbruch der Hohenzollern-Monarchie kaum negativen Einfluss auf die Expansion der Großlogen – der Zustrom zu den Logen war vielmehr nach 1918 für einige Jahre besonders stark –, doch führte die Loyalität mit den untergegangenen kaiserlichen Protektoren bei einer generell vorwiegend nationalkonservativen Einstellung der meisten deutschen Freimaurer zu einer oft feindlichen, bestenfalls abwartend indifferenten Einstellung zur Weimarer Republik.1 Gleichzeitig war das deutsche Großlogensystem stark zersplittert. 1933 – vor dem Untergang in der NS-Zeit – bestanden in Deutschland elf Großlogen, von denen allerdings zwei – der Freimaurerbund zur Aufgehenden Sonne und die Symbolische Großloge von Deutschland – von den anderen nicht als regulär anerkannt wurden.2

Die soziale Zusammensetzung der deutschen Logen war bereits in ihrer Frühzeit durch den großen Anteil des „gehobenen Bürgertums“ bestimmt (Beamte und – oft ehemalige – Offiziere; Wissenschaftler, Lehrer, Künstler; Unternehmer, Banker, leitende Angestellte). Doch auch der Adel spielte eine beträchtliche Rolle. Aufklärerische Orientierung, Interesse an der Etablierung von Netzwerken, aber auch Kompensation für die dem Monarchen gegenüber eingebüßten Privilegien mochten Motive für den Eintritt in die Loge sein. Karlheinz Gerlach beschreibt die soziale Zusammensetzung der brandenburgisch-preußischen Logen im späten 18. Jahrhundert folgendermaßen:

„Jeder dritte Freimaurer entstammte dem Adel, dagegen kamen zwei von drei Freimaurern aus dem Bürgertum. Die Verwaltungsbeamten und die Offiziere stellten etwa je ein Drittel, die Unternehmer (einschließlich der Verlagsbuchhändler und -drucker, Gastwirte, Schiffskapitäne und anderer) etwa ein Viertel, die Intellektuellen (Theologen, Hochschul- und Gymnasiallehrer, Ärzte, Apotheker, ohne die akademisch gebildeten Beamten und Angehörigen der Regimentsunterstäbe) sowie die Künstler machten etwa ein Zehntel der Logenmitgliedschaft aus. Obwohl die Mitgliederzahl schnell stieg, blieb der prozentuale Anteil der verschiedenen sozialen Gruppen über die Jahre annähernd gleich groß. Das zünftige Handwerk und die Unterschichten, das Volk, auch die Frauen waren jedoch nicht sozietäts- bzw. logenfähig.“3

Die religiöse Struktur der deutschen Freimaurerei war zunächst gemischt, da die päpstlichen Verurteilungen vielerorts nicht griffen, in der „klassischen Bürgerzeit“ des langen 19. Jahrhunderts dann aber vorwiegend protestantisch: Die Loge „Apollo“ in Leipzig z. B. hatte im Jahre 1906 89,2 % evangelisch-lutherische, 3,2% katholische und 6,0 % jüdische Mitglieder.4 Die jüdischen Mitglieder in „humanitären“ Großlogen beliefen sich – so ermittelte und schrieb der „Verein deutscher Freimaurer“ in einer Erwiderungsschrift5