Frieda, Nikki und die Grenzkuh - Uticha Marmon - E-Book

Frieda, Nikki und die Grenzkuh E-Book

Uticha Marmon

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Beschreibung

* Ausgezeichnet mit dem Kirsten-Boie-Preis * Niemand weiß, warum es mitten im Dörfchen Elend eine Grenze gibt. Seit Frieda denken kann, machen die Nord- und Südelender sich gegenseitig das Leben schwer. Nun bringt auch noch Kuh Angela aus Südelend genau auf der Grenze ihr Kälbchen zur Welt – und Kalbsvater ist Bronco aus Nordelend! Beide Seiten melden Besitzansprüche an, es kommt zu einer Kalbsentführung, Gülleschlacht und Dauerstress. Friedas Freund Nikki ist total genervt von den Streitereien. Als er eines Tages plötzlich mit dem Kalb verschwindet, müssen sich Nord- und Südelender gemeinsam auf die Suche machen … Mit vielen großartigen Illustrationen von Maja Bohn! »Uticha Marmon erzählt scharfsinnig, eindringlich und komisch von großen Themen im Kleinen, von Krieg und Frieden, Besitzansprüchen und Geheimnissen.« Aus der Jurybegründung für den Kirsten-Boie-Preis Urkomisch, mit ganz viel Herz und herrlich schrägen Figuren!

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Uticha Marmon

Frieda, Nikki und die Grenzkuh

Niemand weiß, warum es mitten im Dörfchen Elend eine Grenze gibt. Seit Frieda denken kann, machen die Nord- und Südelender sich gegenseitig das Leben schwer. Nun bringt auch noch Kuh Angela aus Südelend genau auf der Grenze ihr Kälbchen zur Welt – und Kalbsvater ist Bronco aus Nordelend! Beide Seiten melden Besitzansprüche an, es kommt zu einer Kalbsentführung, Gülleschlacht und Dauerstress. Friedas Freund Nikki ist total genervt von den Streitereien. Als er eines Tages plötzlich mit dem Kalb verschwindet, müssen sich Nord- und Südelender gemeinsam auf die Suche machen …

Mit vielen großartigen Illustrationen von Maja Bohn!

Wohin soll es gehen?

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Viten

Das ganze Elend auf einen Blick

Südelend

Frieda    ist Beschützerin, Hüfner-Hof-Bewohnerin, Kuhflüsterin und außerdem die Einzige in Elend, die das mit der Technik draufhat.

Nikki    ist immer im Einsatz, um magische Wesen aufzuspüren. Davon scheint es reichlich zu geben in Elend, also hat Nikki viel zu tun. Vor allem, weil ein Zwerg in Elend sein Unwesen treibt. Auf die sollte man sich besser nicht einlassen, das weiß Nikki.

Anne und Paul Hüfner    sind Friedas Eltern und Besitzer des Hüfner-Hofs. Paul ist für alles zu haben, was neu und modern ist. Er hat einen Computer für den Kuhstall angeschafft und auch sonst große Pläne – die aber nicht allen in Elend schmecken …

Kalli    wäre vor zweihundert Jahren der Knecht auf dem Hüfner-Hof gewesen. Heute ist er einfach Pauls bester Freund, schon seit immer, und hilft mit den Kühen. Anders als Frieda hat er mit Technik nichts am Hut.

Marlene und Karin    Nikkis Tarnmütter. Sie beschützen ihn vor seinem früheren Leben – sagen sie. Aber eigentlich ist es ja schon Frieda, die Nikki beschützt. Einfach, weil sie die meiste Zeit mit ihm verbringt.

Gitti    hat einen Gemüsegarten, falsche blonde Locken und fegt den Dreck von der Straße, wenn Pauls Kühe von der Weide kommen. Gitti streitet gerne, das sollte man wissen.

Frau Haubach    in Elend zuständig für Gas, Wasser und verstopfte Rohre.

Rasmus Borgmann    Gittis Ex und der Vater ihres Sohnes Jochen.

Jochen    Sohn von Rasmus und Gitti, wollte eigentlich Polizist werden, ist aber Müllmann. Die braucht es ja auch.

Hans und Rita    die Besitzer von Lädchen und Bacchus-Eck, dem Minisupermarkt und der Kneipe mitten in Elend. Bei Hans steht alles im Regal, was in Elend produziert wird. Und alle essen es, egal, ob es aus Nord- oder aus Südelend kommt.

Nordelend

JADIBO aka Jella, Adil und Bo     sind die drei Kinder in Nordelend. Frieda kann sie nicht ausstehen, weil JADIBO die Gemeinheit mit Löffeln gefressen haben. Und natürlich, weil JADIBO aus dem Norden stammen.

Bauer Reinke    Besitzer vom Reinke-Hof und Erzfeind von Paul Hüfner. Neumodischer Schnickschnack geht Bauer Reinke auf den Zeiger. Wer ihm auch auf den Zeiger geht, ist Gitti. Und Frau Schmitzke, obwohl die sogar aus Nordelend kommt.

Frau Schmitzke    Wurstverkäuferin im Lädchen, ab und zu auch Spiegeleierbraterin und glühende Nordelenderin mit Verteidigungsinstinkt.

Der Baron    sitzt meistens bei Rita an der Theke und hat schlechte Laune.

Ramin Nazari    Vater von Adil und Handlanger von Bauer Reinke. Steht außerdem ziemlich unter der Fuchtel von Frau Schmitzke.

Herr und Frau Lüthjen    Hühnerbesitzer und Eltern von Jella. Ganz Elend isst die Lüthjen-Eier, was zumindest Gitti ein Dorn im Auge ist.

Nikki ist weg!

Nikki ist weg. Verschwunden! Vom Erdboden verschluckt!

Schon den ganzen Morgen, aber mit Ausnahme von Frieda hat das noch niemand bemerkt.

Frieda müsste das mit Nikki jemandem sagen, sehr dringend sogar. Aber da liegt eben das Problem. Wie soll sie erklären, dass Nikki weg ist, wo es doch ihr Job ist, auf ihn aufzupassen?

»Tach, Pupsi.« Rita wuschelt ihr durch die Haare. Eine Strähne fällt Frieda ins Gesicht. Sie schiebt sie hinters Ohr, wo sie aber nicht hält, weil Friedas Haare spaghettiglatt sind und nur im Zopf aus dem Weg bleiben. In dem Zopf, den Rita mit ihrem Gewuschel gerade zerstört hat. »Was willste essen?«, fragt sie und stellt sofort einen Teller Mikrowellenlasagne auf die Theke, direkt vor Frieda hin.

»Danke«, sagt Frieda, ohne Rita anzugucken.

»Na dann, hau rein«, antwortet die misstrauisch. Rita darf man nicht unterschätzen. Sie sieht alles, weiß alles und man kann ihr nichts vormachen. Aber genau das muss Frieda ja gerade. Weil es nicht lange dauern wird, bis Rita wissen will, warum Nikki heute nicht da ist. Und Frieda hat doch keine Antwort darauf. Noch nicht. Also braucht sie Zeit. Je mehr, desto besser.

Ein nasskalter Luftzug fährt in die Kneipe. Der schwere, popelgrüne Vorhang, der vor der Tür als Windfang dient, wackelt ein bisschen.

Dann schiebt sich Gitti hindurch.

»Was sind denn das für Fäden?«, fragt sie, tritt sich den Dreck von den Stiefeln und stellt den Besen in den Schirmständer aus schwarzem Schnörkeleisen. Mit dem Besen macht sie die Straße hinter den Kühen sauber, wenn die von der Weide nach Hause gehen.

»Ganz Elend ist voll von diesen Fäden«, sagt Gitti. Sie pustet sich die superblonden, superfalschen Locken aus der Stirn, pflanzt sich auf den Hocker neben Frieda und fuddelt einen regenbogenbunten Wollfaden vom Knopf ihrer Jeansjacke ab. »Rita, machste mir n Klaren?«, knarzt sie dann wie eine uralte Stalltür.

»Gitti«, sagt Rita und das heißt Ja. Das Regenbogenkuddelmuddel auf dem Tresen beäugt sie mit einem kritischen Blick.

»Na, Pupsi, wie ist die Lage?«, knarzt Gitti und wuschelt Frieda durch die sowieso schon verwuschelten Haare.

»Ernst«, sagt Frieda und schiebt die Haare aus dem Gesicht.

»Was haste denn zu tun?« Gitti wirft einen Blick auf Friedas Heft. Das hat Frieda ja nur rausgeholt, damit alles normal aussieht, eben so wie jeden Mittag.

»Mathe«, antwortet sie.

»Zeig her«, sagt Gitti. »Mathe kann ich.« Stimmt nicht. Frieda kann es besser, aber Gitti rechnet halt so gerne. Außerdem ist es gerade gar nicht schlecht, dass Gitti mit ihr zusammen Mathe machen will. Bei Hausaufgaben stört Rita sicher nicht mit Fragen nach Nikki.

Rita kommt mit Gittis Klarem und knallt ihn so schwungvoll auf den Tresen, dass ein bisschen davon auf Friedas Matheheft schwappt. »Mensch, Rita«, murmelt Frieda. Rita zwinkert ihr nur zu.

»Ich habs!«, ruft Gitti und wischt mit dem Ärmel den Klaren von Friedas Heft, was die Sache nicht besser macht. Wo mal eine Vier und eine Sieben waren, sind jetzt blaue Schlieren.

»Wo ist denn eigentlich der Nikki heute?«, fragt Rita jetzt leider doch viel zu schnell.

»Ich habs!«, ruft Gitti noch mal und klopft zufrieden auf Friedas Matheheft. »Gib mal n Kuli, Rita.« Rita schiebt Gitti einen Kugelschreiber hin und Gitti schreibt eine verkehrte 287 genau da hin, wo gerade noch die richtige Vier und die richtige Sieben standen.

»Gitti, du sollst doch die Lösung nicht selbst aufschreiben«, sagt Frieda. »Das fällt …«

Auf, will sie sagen. Aber da knallt was. Die Tür. Der Vorhang wird zur Seite geschoben und Bauer Reinke steht im Bacchus-Eck. Er ist über und über mit gelbem, schleimigem Matsch bedeckt. Der tropft von ihm runter auf Ritas frisch durchgewischten Boden. Wie das stinkt!

»Jetzt ist Krieg!«, ruft er.

»Ach was«, sagt Gitti. »Erzähl mir mal was Neues.«

Wo sie recht hat, hat sie recht, denkt Frieda.

»Das Kalb ist weg!«, ruft Bauer Reinke. Und dann stürzt Kalli hinter ihm durch den Kneipenvorhang. Seine dunklen Haare sind normalerweise drahtig wie bei einer Hufbürste und sein ewig gleiches Holzfällerhemd über der Arbeitshose ist knitterig wie zerknülltes Papier. Heute nicht. Heute kleben Haare und Hemd platt an ihm, denn er trieft gelbmatschig. Und kann es sein, dass darin ein paar Regenbogenfäden kleben? »Das Kalb ist weg!«, brüllen beide gemeinsam.

»Na, bravo«, murmelt Frieda und spürt, wie ihr das Herz in die Hose rutscht. »Auch das noch.«

Kapitel 1,

in dem Nikki noch da und alles ein paar Tage früher ist

»Tach, Pupsi. Tach, Nikki«, begrüßt Rita Frieda und Nikki, als sie sich durch den popelgrünen Vorhang in die Kneipe schieben. Wie jeden Mittag, weil Frieda und Nikki immer bei Rita Mittag essen und Hausaufgaben machen. Sie wischt gerade den Tresen, was der Tresen sicher gut gebrauchen kann. Was der Tresen eher nicht brauchen kann, ist der Lappen, den Rita zum Wischen benutzt. Der sieht aus, als wäre er schon dreihundert Jahre alt und hätte noch nie eine Waschmaschine von innen gesehen.

»Wie war die Schule?« Rita legt den Lappen zur Seite und wendet sich dem Spiegel zu. Er hängt links neben dem uralten Bild vom Elender Schützenverein 1885 e. V., der heute keine Mitglieder mehr hat außer Bauer Reinke. Mit kritischem Blick zupft sie an ihren Haaren herum.

»Neue Frisur«, stellt Nikki sachkundig fest. Echt? Hat Frieda gar nicht bemerkt. Ritas graue Haare sind doch schon immer kinnlang. Na gut, vielleicht ist der Pony jetzt ein bisschen kürzer.

Rita zwinkert Nikki im Spiegel zu. »Roaring Twenties«, sagt sie. »Wirklich sehr Zwanziger.«

Nikki runzelt die Stirn. »Zwanzig ist aber schon ein bisschen teuer. Rita, du hast dich übers Ohr hauen lassen.« Während Rita etwas pikiert guckt, klärt Frieda auf. »Nicht zwanzig Euro. Die Frisur ist Zwanziger. 1920, du weißt schon.«

Nikki weiß nicht. »So alt ist Rita ja wohl echt nicht. Frieda, jetzt benimm dich nicht wie ein unhöflicher Zwerg.«

»Okay«, brummelt Frieda. Sie hat keine Lust, über Zwerge oder sonst ein magisches Wesen zu reden. Das ist Nikkis Lieblingsbeschäftigung und er ist überzeugt, dass Elend voll von ihnen ist. Frieda findet das zum Gähnen. Echt, sie ist Realistin.

Rita zuppelt ein letztes Mal an ihrem Pony. »Also, zwei Mal Lasagne?«, fragt sie dann.

»Jau«, sagt Nikki und Frieda nickt.

Die Tiefkühllasagne aus der Truhe im Lädchen nebenan schmeckt nach Pappe, aber es ist das Einzige, was Rita auf der Karte hat, abgesehen von Spiegeleiern und Bratkartoffeln – und die kommen Frieda wirklich schon zu den Ohren raus.

Zum Glück fällt Mikrowellenlasagne nicht unter den Essensbann bei Frieda zu Hause. Der betrifft seit Kurzem Fleisch und auch sonst alles, was von Tieren kommt. »Das ist die Zukunft«, hat Paul gesagt und dabei lieber nicht über die Kühe gesprochen, die mit Frieda, Anne und Paul auf dem Hüfnerhof leben und deren Milch sie verkaufen.

Anne und Paul, das sind Friedas Eltern. Sie wollen aber nicht, dass Frieda Mama und Papa sagt. »Hier begegnen wir uns auf Augenhöhe«, hat Anne erklärt.

»Ist doch Quatsch«, hat Nikki gesagt, als Frieda ihm davon erzählt hat. »Du bist schließlich viel kleiner als die beiden.« Mit dem Quatsch hat Nikki recht. Aber nicht wegen Friedas Größe, sondern einfach deswegen, weil Anne und Paul andauernd Sachen entscheiden, ohne sie zu fragen.

Aber Ritas Lasagne haben Friedas Eltern zum Glück nicht auf dem Schirm, weil sie komischerweise noch gar nie wissen wollten, was Frieda isst, wenn sie über Mittag zu Rita geht. Man stellt Rita nämlich keine Fragen. Niemand tut das. Ihre Theke ist der Knotenpunkt, also quasi das Kontrollzentrum. Die Theke steht im Bacchus-Eck, der einzigen Kneipe hier in Elend. Es heißt wirklich so, ihr Dorf. Elend, mitten im Nichts. Ein paar Häuser, ziemlich viele Kühe, nicht mal halb so viele Menschen, Hans’ Minisupermarkt, den sie nur das Lädchen nennen, und eben die Kneipe.

Und dann ist da noch die Grenze. Nicht zu glauben, aber wahr, Elend hat eine Grenze. An der beginnt kein neues Land, wie das bei Grenzen meistens so ist. Nicht mal eine Stadt oder ein anderes Dorf fängt da an. Auf beiden Seiten der Grenze ist Elend. Einmal Nordelend und dann Südelend, wo Frieda lebt.

Weil Rita mit ihrer Kneipe genau auf der Grenze wohnt, ist auch ihre Theke in Norden und Süden geteilt. Und da geht es zur Sache. An Ritas Tresen werden geheime Informationen ausgetauscht, Pläne geschmiedet und Meinungen gebildet. Und Rita ist dabei die Schweiz. Also, das ist jetzt Politik: Wenn Länder sich streiten, dann macht die Schweiz gerne einen auf Extrawurst. Die hält sich immer raus und tut so, als hätte sie mit nichts etwas zu tun. Genau so ist Rita. Bloß, dass bei der Schweiz alle wissen, dass sie neutral ist. Rita ist da geschickter. Bei ihr denken alle, dass sie auf ihrer Seite wäre. Seltsamerweise hat aber noch niemand bemerkt, dass das gar nicht sein kann, weil Rita es echt gut beherrscht, auf jeder Seite zu sein.

Man sollte ja meinen, geteiltes Elend wäre halbes Elend. In Wahrheit ist es andersrum. Obwohl echt kein Mensch weiß, wieso es überhaupt eine Grenze gibt, ist sie da. Und einfach nur, weil sie da ist, gibt es Streit. Seit Frieda denken kann, machen die Nordelender den Südelendern das Leben schwer. Und die Südelender rächen sich dafür.

Letztens hatten sie zu Hause plötzlich Hühnchenfrikadellen in der Pfanne statt denen mit Zucchini, die Anne immer macht. Wie die da reingekommen sind? Nordelender Sabotage, was sonst? Am nächsten Tag ist Paul dann losgezogen und hat einen riesigen Haufen Mist genau vor der Einfahrt von Bauer Reinkes Hof in Nordelend abgeladen, sodass der erst mal schaufeln musste, bevor er mit seinem Trecker wieder rauskam. Als Dank hatte Gitti plötzlich eine ganze Armee Schnecken in ihrem Gemüsegarten und Kalli hat darum alle Hennen aus Lüthjens Hühnerstall rausgelassen und sämtliche Eier geklaut. Die hat er dann zu Anne gebracht. Aber Anne konnte damit ja gar nichts anfangen, weil, Eier kommen bei ihnen zu Hause doch nicht mehr auf den Tisch. Also musste Kalli alle Eier mit zu sich nach Hause nehmen. Keine Ahnung, was er mit denen gemacht hat. So viele Eier essen kann ja kein Mensch.

Lüthjens jedenfalls konnten am nächsten Tag keine Eier ausliefern und bei Hans im Lädchen war dann eben auch Eiernotstand. Kalli hat aber keine von seinen hergegeben, nicht mal den Südelendern. So ist Kalli. Das Denken fällt ihm meistens etwas schwer.

Anne und Paul haben früher immer gesagt, Frieda dürfe keine Marmelade frühstücken, weil der Zucker ihr zu Kopf steigt. Darum hat sie sich vorgestellt, dass Kallis Gehirn ganz verklebt ist von all der Erdbeermarmelade, die er den ganzen Tag futtert. Und dass seine Gedanken deswegen langsamer vorankommen als bei anderen Menschen. Inzwischen weiß sie natürlich, dass das Quatsch ist. Kalli ist eben einfach, wie er ist. Und er ist Pauls bester Freund. Darum wohnt er auch mehr bei ihnen als in seinem eigenen Haus. Das hat er geerbt, als seine Eltern gestorben sind. Schon früh war das, bei einem Autounfall. Aber Kalli vermisst sie nicht besonders, er hat ja Friedas Familie.

Es ist auch nicht verwunderlich, dass Kalli lieber bei ihnen in der Küche sitzt. Seine eigene ist echt düster und vollgestopft mit altem Krempel. Über dem Esstisch hängt eine uralte Stickerei: »Willkommen im Hause Major. Bring Glück herein und sei unser Gast.« Frieda findet die seltsam. Kalli heißt doch Maier und nicht Major. Na ja, keine Ahnung, was seine Eltern sich dabei dachten.

»Südelend ist vorne«, sagt Nikki und reißt Frieda damit aus ihren Gedanken zurück an Ritas Theke. Er meint Ritas Anschreibeblock, auf dem alle noch nicht bezahlten Biere und Apfelschorlen und Klaren stehen.

»Wird aber nicht lang dauern, dann schließt Nordelend auf.« Nikki zeigt auf die andere Seite der Theke, an der der Baron trübe vor sich hin starrt. Der Baron heißt Eugen mit Vornamen, sitzt immer nur bei Rita und guckt in die Gegend.

»Und zwar … jetzt.« Nikki grinst, als Rita dem Baron ungefragt ein neues Bier hinstellt. Der nickt und murmelt was, das Frieda nicht verstehen kann.

»Is schon gut, Eugen«, sagt Rita. »Is schon gut. Ich weiß doch.« Dann notiert sie das Bier auf ihrem Block. So ist das nämlich. Obwohl angeschriebenes Essen und Trinken ja nun wirklich kein Sieg ist, über den man sich freuen kann, gucken selbst hier alle ganz genau hin. Kaum legt Rita den Block auf den Tresen, drehen alle ihre Köpfe und versuchen zu sehen, wer mehr Schulden hat.

»Wie stehts auf dem Hof? Wie gehts Anne?« Rita ist wieder zu ihnen rübergekommen und schiebt auch Nikki und Frieda neue Gläser hin. Mit Apfelschorle natürlich, nicht mit Bier.

»Gut«, sagt Frieda, obwohl das nicht stimmt. Nicht so richtig jedenfalls. Anne ist in letzter Zeit irgendwie anders. Wenn sie denkt, es ist niemand in der Nähe, seufzt sie oft ganz schrecklich laut. Manchmal guckt sie auch einfach nur minutenlang vor sich hin, als wäre sie beim Ausmisten oder Milchabfüllen plötzlich eingefroren.

»Und Paul?«, fragt Rita mit scharfem Blick.

»Läuft bei ihn«, sagt Nikki.

»Ihm«, sagen Rita und Frieda gleichzeitig.

»Wem?«, fragt Nikki. Frieda verdreht die Augen. Das macht sie ganz fuchsig. Nikki verwechselt immer ihn und ihm und es ist ganz egal, wie oft Frieda und Rita, Gitti und Anne oder sonst wer es ihm schon erklärt haben. Er ist da hartnäckig.

Rita guckt von Nikki zu Frieda. Frieda nickt stumm. Weil auch das nicht ganz richtig ist. Paul ist neuerdings richtig schnell genervt und im Gegensatz zu Anne total hektisch.

»Und auf dem Hof ist alles jetzt vollautomatisch?«, kommt Rita wieder auf den Hüfner-Hof zu sprechen. Den hat sie nämlich gemeint. Der Hüfner-Hof gehört Friedas Eltern und ist ihr Zuhause. Aber bevor Frieda oder auch Nikki antworten können, geht die Tür auf und Gitti kommt herein. Sie tritt sich den Dreck von den Stiefeln und stellt den Besen in den Schirmständer.

»Bald fegt euer Stallstaubsauger sicher auch die Straße«, sagt sie schlecht gelaunt. »Aber mir solls recht sein, ich reiß mich nicht drum.«

»Wird er nicht«, sagt Frieda beruhigend. »Wird er nicht.«

»Du musst schon weiterfegen, Gitti«, bemerkt Nikki.

Gitti wirft dem Baron in der Ecke einen prüfenden Blick zu, dann schiebt sie sich auf den Barhocker neben Frieda.

»Rita, machste mir n Klaren?«

»Gitti«, sagt Rita und das heißt Ja.

»Ach«, sagt Gitti und wuschelt Frieda durch die Haare. »Was weißt du schon, Pupsi. Gestern dachte auch noch keiner, dass ein Computer eure Kühe massiert.«

»Was er auch nicht tut«, sagt Frieda. »Rein technisch gesehen.« Der Computer gibt nur der Bürste die Anweisung, die Kühe zu schubbern. Aber so genau darf man es bei Gitti nicht nehmen.

»Oho, das schlaue Fräulein«, sagt die, wie zum Beweis, dass Frieda recht hat. Dann beobachtet sie weiter den Baron.

Gitti hat ja auch ein bisschen recht. Dass seit Kurzem ein Computer besser weiß als Paul und Kalli, wann die Kühe gemolken werden müssen und wann sie raus auf die Weide sollen und ob sie es im Stall noch weich und gemütlich genug haben, ist schon merkwürdig. Kalli ist zwar kein ausgebildeter Landwirt wie Paul. Weil er nach der Schule eine Ausbildung zum Maler gemacht hat. Aber er arbeitet schon immer mit auf dem Hof und kennt sich darum mit den Kühen mindestens so gut aus wie Paul.

Ende der Leseprobe

Inhalt

Cover

Uticha Marmon – Frieda, Nikki und die Grenzkuh

Wohin soll es gehen?

Das ganze Elend auf einen Blick

Südelend

Nordelend

Nikki ist weg!

Kapitel 1, in dem Nikki noch da und alles ein paar Tage früher ist

Kapitel 2, in dem Luise beleidigt ist und Angela zur Grenzkuh wird

Kapitel 3, in dem Frieda nicht nachdenken will und echt viel gebrüllt wird

Kapitel 4, in dem der Ursprung allen Elends ganz klar ist und Paul deswegen sehr viel atmen muss

Kapitel 5, in dem Paul doch wieder nicht atmet und Frieda Worte spart

Kapitel 6, in dem alles ziemlich blau und Kalli ein Romantiker ist

Kapitel 7, in dem Rambo und die Schrubbelbürste Elsa retten und Anne und Paul romantisch sind (igitt!)

Kapitel 8, in dem Nikki verschwunden ist und ohne Bronco vieles anders laufen würde

Kapitel 9, in dem alles in einem ganz anderen Licht erscheint, da Amor in Elend unterwegs ist

Kapitel 10, das zuerst ganz schrecklich ist, in dem aber Frieda wenigstens das Einhorn findet

Kapitel 11, in dem ganz unerwartet ein Major auftaucht und dadurch alles anders aussieht

Kapitel 12, in dem plötzlich nichts mehr ist, wie es scheint, und trotzdem alles wie immer

Kapitel 13, in dem Tiefkühllasagne am Ende wirklich das Beste ist

Nachwort

Uticha Marmon

Maja Bohn

Impressum