Frühförderung konkret - Walter Straßmeier - E-Book

Frühförderung konkret E-Book

Walter Straßmeier

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Beschreibung

Ein bewährtes, instruktives Arbeitsbuch zur Frühförderung. Die Förderanregungen ermöglichen eine gezielte erzieherische und therapeutische Arbeit mit entwicklungsverzögerten und behinderten Kindern im Alter von 0-5.

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Seitenzahl: 304

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Walter Straßmeier

Frühförderung konkret

260 lebenspraktische Übungenfür Kinder mit Entwicklungsverzögerungenund Behinderungen

9., aktualisierte Auflage

Mit einem Geleitwort von Otto Speck

Ernst Reinhardt Verlag München

Prof. em. Dr. Walter Straßmeier, langjähriger Dozent am Institut für Sonderpädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02958-7 (Print)

ISBN 978-3-497-61312-0 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61313-7 (EPUB)

9., aktualisierte Auflage

© 2020 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Cover unter Verwendung von Fotos von © iStock.com/EVAfotografie, © iStock.com/olesiabilkei, © iStock.com/kate_sept2004 sowie © hansklein – fotolia.de (Agenturfotos. Mit Model gestellt)

Abbildungsnachweis: Aus Finnie, N. R. (1974): die Zeichnungen auf den Seiten 56, 131, 146.Alle anderen Zeichnungen vom Verfasser.

Satz: Rist Satz & Druck GmbH, D-85304 Ilmmünster

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Übersicht der Übungen und Anregungen

Geleitwort

Vorbemerkung

1Das ist beabsichtigt

2So ist das gesamte Programm aufgebaut

3Davon gehen wir aus

4Das kann das Programm leisten

5So gehen Sie vor

5.1 Abschätzen des Entwicklungsstandes

5.2 Festlegen der Ziele

5.3 Arbeit mit dem Kind

5.4 Überprüfen des Erfolges

6Fördervorschläge

Selbstversorgung/Sozialentwicklung (A 1 – A 60)

Feinmotorik (B 1 – B 40)

Grobmotorik (C 1 – C 40)

Sprache (D 1 – D 60)

Denken/Wahrnehmung (E 1 – E 60)

7Wenn Sie noch genauer nachlesen wollen

Übersicht der Übungen und Anregungen

(Die Buchstaben und Zahlen verweisen jeweils auf eine Übung)

Ablösung A 23, 46

Aufforderungstraining A 12, 18; D 11, 24, 52

Aufmerksamkeit A 38; B 19; D 33

Aufräumen A 21, 53

Aufstehen C 6, 12, 38

Auge-Hand-Koordination A 2, 5; B 5, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 16, 17, 18, 19, 21; E 9, 11, 13, 15

Aus- und Anziehen A 6, 13, 16, 24, 33, 37, 44, 49, 50, 52, 56, 60; B 36; E 17, 23, 30

Auspacken B 14; E 10

 

Ballspiel B 19; C 11, 17, 25, 37; E 7

Bauen B 13, 17, 20, 25; E 33, 41, 55, 22

Beidhändige Koordination B 14, 16, 20, 21, 22; E 13, 20, 22

Benennen D 14, 16, 22, 25, 26, 27, 28, 31, 34, 36, 39, 53

Bilderbuch A 38; B 8, 9, 15; D 24, 33

Blättern B 8, 15

 

Definieren D 55, 56; E 51

Dreiradfahren C 24

 

Einbeinstand C 17, 23, 35

Erzählen D 44, 46, 54, 60

Essen A 1, 9, 10, 19, 30, 32, 41, 57; D 5; E 18

 

Fädeln B 16, 21

Falten B 22

Fangen A 22

Farben D 53; E 34, 36

Fingerspiele B 2, 3

Flüstern D 8

Formauffassung B 18, 24, 27, 30, 31, 33, 38, 39; E 26, 40, 41, 46, 48, 55

Formen B 24

 

Gefahren A 12, 25

Gefühle A 20; D 4, 9, 45; E 2

Gegensätze nennen D 47; E 45

Gehen C 7, 10, 13

Geld E 60

Gesten D 8

Greifen A 2, 5, 10; B 1, 3, 4, 6, 7; E 6

 

Hämmern B 32

Handlungskonzepte B 34; E 18, 32, 37, 42, 51, 54, 58

Helfen A 21, 36, 58; B 34

Hocken C 16

Hörschulung A 38

Hüpfen C 21, 30, 31, 32, 33

Hygiene A 28, 34, 45, 47; B 34

 

Identifikation A 15; D 26, 32, 34, 38; E 25

Interaktionsspiel A 6, 7, 11, 15, 18, 20, 22, 42, 53; B 2

 

Kauen A 9

Klettern C 18

Klopfen E 11, 13, 20

Kneten B 24

Knöpfen A 50, 54

Konstruktionsspiel A 48; B 13, 17, 20, 25

Kopfkontrolle C 1

Körperschema/Körper kennen- lernen A 2, 15, 52; B 2, 38; D 15; E 17, 23, 30, 35, 52

Krabbeln C 5

Kritzeln B 10, 18, 23; E 14, 16

 

Lallen D 6, 7

Laufen C 13, 15

Lautbildung D 4, 6, 13, 50, 51

Legen E 33, 39

 

Märchen D 48

Malen, Abmalen B 10, 18, 23, 27, 28, 30, 31, 33, 35, 38, 39; E 52

Materialien kennen E 57, 59

Mengenbegriffe E 24, 27, 38, 44, 50, 53

 

Nachsprechen A 51; D 20, 30, 35, 37, 42, 48, 49

 

Pinzettengriff B 7, 11, 12, 16, 28, 32, 37

Probleme lösen D 45

Puppenspiel A 20

Puzzles E 39, 56

 

Raumbegriffe A 52; E 31

Reime A 51; D 42, 49

Reißen B 25

Rollenspiel A 15, 20; D 60

 

Satzbildung D 23, 29, 43, 57

Sauberkeitserziehung A 33, 35, 40, 55

Saugen A 1, 26, 43

Schlafen A 31

Schleife binden A 60; B 40

Schlucken A 1

Schneiden B 26, 29, 40

Schrauben E 22

Selbstbeschäftigung A 5, 14; C 13

Selbstversorgung A 10, 16, 17, 19, 24, 28, 30, 32, 33, 34, 37, 41, 44, 45, 47, 49, 50, 52, 54, 55, 56, 57, 60

Singen A 51; D 42

Sitzen C 3, 4, 8

Sortieren E 34

Sozialkontakt A 3, 4, 7, 11, 20, 22, 29, 42; D 1, 2; E 19

Spiegelbild A 15; E 8

Spiel A 5, 6, 7, 11, 14, 20, 42, 59; C 13, 16; E 9

Spielsachen A 5, 20; B 3, 4, 9, 20; E 9

Spontansprache D 46, 50, 54, 59, 60

Sprachverständnis A 3, 6, 12, 18; D 10, 15, 17, 19, 24, 28; E 17, 19, 21, 23, 24, 30, 31, 32, 36, 42, 45

Sprechen D 46, 59

Springen C 21, 30, 31

Stecken B 7, 11, 12, 28, 32, 37; E 15, 22, 26

Stehen C 6, 9, 12

Suchen A 7, 11; E 5, 12, 29

 

Tanzen C 39

Tastempfinden A 2

Teilen A 29

Treppensteigen C 14, 19, 20, 28, 29, 34

Trinken A 1, 8, 17, 26, 39, 43; D 5

 

Verbote A 12, 25

Verse A 51

Versteckspiel A 7, 11; B 14; E 5, 10, 12, 29

 

Wahrnehmung (fühlen) A 2; B 2, 3; D 2, 7, 15; E 23, 35

Wahrnehmung (hören) A 2, 3; D 2, 3, 6, 7, 9, 33; E 4, 43, 47

Wahrnehmung (sehen) A 2, 3, 7, 11, 15; B 2, 3; D 2; E 1, 2, 3, 4, 5, 7

Warum-Fragen D 43

Waschen A 28, 34, 47; B 34

Werfen B 4, 7, 11, 12, 28, 32; C 11, 40

Wettspiel A 59

Wortbildung (Adjektive) D 28, 45, 47, 53; E 45

Wortbildung (Flexionen) D 40, 58

Wortbildung (Oberbegriffe) D 39, 41; E 32, 42

Wortbildung (Präpositionen) A 51; E 31

Wortbildung (Pronomen) D 32; E 25

Wortbildung (Subjekte) D 14, 16, 18, 26, 27, 31, 38; E 21, 49

Wortbildung (Verben) D 25, 55, 58; E 18, 32, 37, 54

Wünsche äußern A 27; B 5; D 12, 21; E 6

 

Zähneputzen A 45

Zehen-Hacken-Gang C 36

Zehenspitzengang C 22, 26, 37

Zungenübungen A 1, 9; D 7

Zuordnung E 28, 34

Geleitwort

Die Frühförderung entwicklungsgefährdeter Kinder ist seit Jahrzehnten zu einem fest etablierten Arbeitsgebiet ausgebaut worden. Dabei hat sich die Notwendigkeit einer interdisziplinären Kooperation der verschiedenen Disziplinen ebenso gezeigt wie die der Zusammenarbeit mit den Eltern als den wichtigsten frühen Helfern ihres behinderten Kindes. Diese Erfordernisse in die Praxis umzusetzen ist nur möglich, wenn auch entsprechende Materialien zur Verfügung stehen, über die man Näheres über den individuellen Entwicklungsstand des Kindes erfahren kann und die konkret entsprechende Handlungsvorschläge und Auskünfte über Lernmaterialien geben.

Eine solche Konkretisierung der praktischen Frühförderungsarbeit bietet das von Dr. Straßmeier vorgelegte Lernsystem. Es ist im Rahmen des Projektes »Frühförderung behinderter Kinder« (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung) am Institut für Sonderpädagogik der Universität München angeregt worden. Es orientiert sich wissenschaftlich am Entwicklungsmodell, das heißt, die allgemeinen Entwicklungsverläufe in den verschiedenen Funktionen – der Bewegung, der Wahrnehmung, der Sprache, der Kognition – werden zu Abfolgen einzelner Lernschritte von Lernziel zu Lernziel. Dazu werden konkret, das heißt realitätsnah, die einzelnen Aufgabenstellungen und Hilfen angegeben, schließlich auch Möglichkeiten, das Erlernte jeweils zu kontrollieren und zu konstatieren. Man bekommt damit einen Überblick über die Entwicklung der Lernfähigkeit des Kindes in den verschiedenen Bereichen.

Diese Systematisierung der Lernhilfe verfolgt jedoch keinen Selbstzweck im Sinne bloßen und starren Lerndrills. Vielmehr erhält die Praktizierung dieser Lernförderung ihren eigentlichen Sinn erst dann, wenn diese in den Lebensalltag des Kindes und der Familie wirklich integriert wird, das heißt, wenn diese Lernanregungen zu Anlässen werden, das Erfahrungsfeld des Kindes zu beleben und zu differenzieren, zwischen ihm und seinen Erziehern Zuwendung und gemeinsame Aktivität zu entfalten, also Hilflosigkeit und Passivität zu überwinden. Mit diesen Lernanregungen wird zugleich das mit Inhalt gefüllt, was unter Früherziehung bzw. Früherziehungshilfe im weiteren Sinne und im Falle einer vorliegenden Entwicklungsbeeinträchtigung zu verstehen ist.

Freilich reicht Früherziehung über diese Lehrprogramme noch hinaus, da sich nicht alles, was erzieherisch wirkt, in Plänen fassen lässt. Dabei ist insbesondere an die aktuellen, situationsbezogenen interaktionalen und emotional bestimmten Prozesse und Akte zu denken, die Wirkungen von Beziehungen und Modellen (Vorbildern) beinhalten. Ebenso kann planmäßige Lernförderung nicht alle Erziehungsprobleme des Alltags lösen. Das Feld offener Früherziehungshilfe in den vielfältigen Problemsituationen, die tagtäglich auf Grund individueller und familiärer Gegebenheiten eintreten können, bleibt also nach wie vor groß.

München, im November 2019Otto Speck

Vorbemerkung

Seit Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches hat sich die Frühförderung enorm weiter entwickelt. Die Konzepte haben sich von einer starken Defizitorientierung hin zu einer Fokussierung auf Kompetenzen verändert, neuere Forschungen über die Entwicklung von Kindern haben sich in konkreten Förderungsansätzen niedergeschlagen. Die Orientierung an der „normalen“ kindlichen Entwicklung prägt jedoch weiterhin viele Förderansätze. Dieses Vorgehen wurde auch in der Neuauflage des vorliegenden Buches beibehalten, neuere Erkenntnisse wurden jedoch in einige Fördervorschläge eingearbeitet und die Literatur aktualisiert.

Die Fördervorschläge sollten lediglich als Anregungen verstanden werden, sie ersetzen nicht die Orientierung an den individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten des Kindes, das spontane Eingehen darauf und die Einbindung der entwicklungsfördernden Interaktionen in das Alltagsgeschehen. Die emotionale Komponente, die positive Einstellung zu dem Kind in seinem So-Sein mit seinen Aktivitäten und Einschränkungen sind ausschlaggebend für seine Weiterentwicklung.

Die Vorgehensweise der Übungen A 8, 9, 13, 16, 17, 19, 24, 26, 28, 30, 32, 34, 37, 39, 40, 44, 45, 47, 50, 55 und 60 lehnen sich eng an Richter (1980) und Kane (1976) an. Sie wurden mit dem Autor zusammen an der Sonderschule Garatshausen evaluiert.

1Das ist beabsichtigt

Wenn Sie behinderte Kinder betreuen oder selbst ein entwicklungsverzögertes Kind haben, werden Sie sich schon Fragen ähnlicher Art gestellt haben:

■Wie weit ist das Kind in seiner Entwicklung?

■Ist eventuell ein Entwicklungsrückstand in einzelnen Bereichen festzustellen?

■Was kann man tun, um die Entwicklung positiv zu beeinflussen?

■Kann man die behindernden Zustände mildern?

■Wo soll man anfangen?

■Welche Ziele soll man für die Arbeit mit dem Kind anstreben?

■Wie kann man das Ziel am besten erreichen?

Häufig stehen Sie bei dem Versuch, Antworten auf diese Fragen zu erhalten, alleingelassen und hilflos da. Manchmal fallen Ihnen Lösungsmöglichkeiten ein, die sich aber oft in einigen wenigen Ansätzen erschöpfen. Und dann taucht die Frage auf: Bin ich auf dem »richtigen« Weg? Wie machen es die anderen?

An dieser Stelle möchte das vorliegende Buch ansetzen: Es möchte Ihnen Hilfen geben bei der Beantwortung der Frage, in welchen Bereichen das Kind altersentsprechende Leistungen erbringt, auf welche Weise Ansätze für eine gezielte Förderung zu finden sind und wie diese Entwicklungsanregung aussehen kann.

2So ist das gesamte Programm aufgebaut

Um den Entwicklungsstand des Kindes und seine Leistungen in bestimmten Bereichen festzustellen, wird ein Entwicklungstest (Suchtest oder Screening-Test) angeboten (siehe Seiten 20, 82, 123, 164, 226). Durch ein Schätzverfahren werden Ausfälle in einzelnen Fähigkeitsbereichen aufgezeigt und Leistungsspitzen aus dem Entwicklungsprofil ersichtlich. Dabei werden fünf Funktionsbündel erfasst:

A: Selbstversorgung und Sozialentwicklung

B: Feinmotorik

C: Grobmotorik

D: Sprache

E: Denken und Wahrnehmung

Die einzelnen Fertigkeiten werden in einem Entwicklungszeitraum von 3 Monaten bis zu 5 Jahren nach Schwierig-keit geordnet dargestellt. Die Aufgaben, die der Entwicklungstest prüft, sind aber auch als Ziele zu sehen, die angestrebt werden können, wenn das Kind die Fertigkeit noch nicht beherrscht. Das Vorgehen ist in den Förderprogrammen beschrieben. Sie sind in der gleichen Reihen-folge geordnet wie die Aufgaben des Tests, sodass das Testblatt als Orientierungshilfe dienen kann.

3Davon gehen wir aus

Jedes Kind ist einmalig und unverwechselbar. Es wird mit einer bestimmten Grundausstattung geboren, mit Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch mit Grenzen. Durch die Umwelt werden solche Möglichkeiten erschlossen oder bleiben verschüttet.

Die Ergebnisse einer Entwicklung des Kindes aber auf diese beiden Komponenten (Anlage und Umwelt) zu reduzieren, wäre zu wenig. Das Kind selbst ist als »Akteur seiner Entwicklung« tätig, es wählt aus, was an Rei-zen aus der Umwelt für es bedeutsam ist, was verarbeitet wird und was nicht. Es ist zwar abhängig von Interaktionen mit der Umwelt, mit den Menschen, Gegenständen und Situationen darin, aber diese Wechselbeziehungen bestimmen nicht, was im Kind geschieht, zu welchen Veränderungen es in dem »autonomen« Lebenswesen kommt.

Die aufgezeigten Schritte, die den Programmen zugrunde liegen, sind als statistische Mittelwerte über mögliche Entwicklungen zu sehen, die aus der Beobachtung von vielen Kindern gewonnen wurden und nicht ein einzelnes theoretisches Gedankengebäude als Hintergrund haben, sondern viele Theorien der Denkentwicklung, der Wahrnehmungs-, motorischen und sprachlichen Entwicklung verarbeiten.

Die Schritte müssen bei einem einzelnen Kind nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, zu den angegebenen Zeiten oder zwingend aufeinander aufbauend erfolgen. Sie sind vielmehr als »Meilensteine« der Entwicklung zu sehen, welche die meisten Kinder in dieser Art durchlaufen.

4Das kann das Programm leisten

Das gesamte Programm sollte als Hilfsmittel gesehen werden, um die Förderung eines Kindes auf eine breitere Basis zu stellen. Es möchte Anregung sein und als Grundlage für die Entscheidung dienen, welche Lernbereiche einbezogen werden könnten.

Der Suchtest orientiert sich an der normalen Entwicklung und kann als Orientierungsrahmen verwendet werden. Für eine genauere Diagnostik reicht er allein aber nicht aus. Dazu müssten gut geeichte Tests verwendet werden. Er ersetzt auch nicht eine gezielte und differenzierte Beobachtung und das Gespräch aller mit der Erziehung des Kindes vertrauten Personen über dessen Fähigkeiten und Schwierigkeiten. Er zeigt jedoch bei einem überprüften Entwicklungsstand die »Zone der nächsten Entwicklung« auf, hilft bei der Präzisierung der Ziele und gibt Hinweise, wie das Kind weiter gefördert werden kann.

Dazu geben die Förderprogramme methodische Anregungen. Sie dürfen aber nicht als starre Handlungsanweisungen oder »Rezept« verstanden werden. Abänderungen, die auf die spezielle Bedürfnislage des Kindes Rücksicht nehmen und dessen momentane Leistungsfähigkeit berücksichtigen, sind unbedingt erforderlich. Ergänzungen bei Verhaltensschwierigkeiten oder Erweiterungen können vorgenommen werden.

Die Programme ersetzen also nicht den individuellen Therapie- oder Erziehungsplan. Sie können auch nicht nur annähernd den Gesamtbereich dessen abdecken, was die Erziehung dieses Kindes ausmacht. Sie können nicht die eingehende Beobachtung, das verständnisvolle Einfühlen bei der Verarbeitung des Gesehenen und die Phantasie der Erzieher ersetzen und auch nicht die fundierte Ausbildung der mit dem Kind betrauten Fachkräfte. Sie sind als Sammlung von Fördervorschlägen zu sehen, die aus langjähriger Praxis mit behinderten Kindern entstanden sind und sehr viele Erfahrungen der verschiedensten Fachleute zusammentragen. Als solche Fachleute sehe ich nicht zuletzt die Eltern an, die durch Kritik und Anregung die Programme anzureichern halfen.

5So gehen Sie vor

Behinderungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen äußern sich in den verschiedensten Symptomen: das eine Kind hat keine oder nur eine ungenügende Kopfkontrolle; ein anderes schreit oft stundenlang »unbegründet« und schlägt sich dabei; ein Kind sitzt ruhig in einer Ecke des Zimmers und nimmt die Umgebung scheinbar nicht wahr, während es die Hände dreht oder mit einem Gegenstand immer gleichbleibende Bewegungen durchführt; ein Kind hat große Schwierigkeiten, die Auge-Hand-Mund-Koordination zu erlernen; es lallt noch nicht, wo andere gleichaltrige Kinder schon kleine Sätze sprechen; ein anderes Kind reagiert überhaupt nicht auf das, was ihm die Eltern sagen, sondern blickt sie nur verständnislos an. Hier muss von einem Team aus Pädagogen, Ärzten und Therapeuten abgeklärt werden,

■ob organische Schädigungen vorliegen (Schwerhörigkeit, Sehstörungen, spastische Bewegungsstörungen, Anfallsbereitschaft oder akute Anfälle usw.)

■welche Ursachen für eine evtl. Schädigung in frage kommen (Hirnschädigung vor, während oder nach der Geburt, Chromosomenschäden, milieubedingte Störungen u. a.)

■wie schwerwiegend die Einschränkungen sind (generelle Beeinträchtigung oder nur partielle Ausfälle, körperliche oder geistige Retardierung leichten, mittleren oder schweren Grades u. a.).

Zum Abschätzen der letztgenannten Frage dient das vorliegende Testinstrument. Sie sollten dabei aber unbedingt die Ausführungen in 5.2 und 5.3 beachten.

5.1Abschätzen des Entwicklungsstandes

Sie finden vor den jeweiligen Förderprogrammen die Testblätter des Entwicklungstests. In jeder Reihe sind die Aufgaben von unten nach oben der Schwierigkeit nach geordnet. Bei den Aufgabenreihen A, D u. E sind jeweils 3 Aufgaben in einem Quartal (Vierteljahr) zusammengefasst, in den Reihen B und C jeweils 2 Aufgaben.

An 258 behinderten und entwicklungsverzögerten Kindern wurde die Reihenfolge der Aufgaben überprüft und korrigiert. Sie darf als gut abgesichert gelten und stimmt mit anderen Entwicklungstests überein. Eine recht grobe Grundlage liegt allerdings bei den Altersangaben vor. Hier ist die Streuung sehr groß, sodass die Werte nur als Annäherung verstanden werden dürfen. Sie orientieren sich an sog. »Spätentwicklern« (90 % der Kinder lösen die Aufgaben im angegebenen Alter). Sie sollten nun wie folgt vorgehen:

■Beginnen Sie mit einem Bereich, von dem Sie annehmen, dass sich das Kind einigermaßen sicher fühlt, hier mit der Entwicklungsreihe A (Selbstversorgung, Sozialentwicklung). Lesen Sie die Aufgaben von 1 bis … der Reihe nach durch und überlegen Sie, ob das Kind diese Aufgabe lösen kann. Bei älteren Kindern können Sie mit schwierigeren Aufgaben beginnen und annehmen, dass die leichteren gelöst werden. Dort, wo nicht bekannt ist, ob das Kind die Aufgabe lösen kann, sollten Sie nachprüfen. Wird die Aufgabe gelöst, tragen Sie in der ersten Kästchenreihe nach der Aufgabennummer ein + ein.

■Sind Sie sich unsicher, ob das verlangte Kriterium erfüllt wird, sollten Sie bei den Förderprogrammen nachsehen, was als Endziel erwünscht ist.

■Wird dieses Endziel nur zum Teil erreicht oder wenn das Kind das Verhalten nur ab und zu zeigt, tragen Sie ± ein.

■Kann das Kind die Aufgabe auch nicht in Ansätzen lösen, sollte das Kästchen frei bleiben.

■Bei »weiß ich nicht« tragen Sie bitte ein Fragezeichen ein. Das zählt bei der Auswertung nicht mit.

So haben Sie optisch schon einen ganz guten Überblick über die Höhe des Entwicklungsstandes. Tragen Sie nun am Kopf der Kästchenreihe das Datum ein, damit Sie bei späteren Untersuchungen Fortschritte in einem bestimmten Zeitraum feststellen können. Wie so eine Eintragung aussehen könnte, gibt das Beispiel auf S. 12 an.

Zählen Sie nun alle mit + gelösten Aufgaben zusammen. In unserem Beispiel sind es 19. Die nicht gelösten Aufgaben oder die mit ± bewerteten, die zwischen gelösten Aufgaben liegen, werden nicht berücksichtigt. Schauen Sie nun in der Entwicklungsreihe A bei der Aufgaben-Nummer 19 nach. Sie liegt im dritten Quartal des zweiten Lebensjahres.

Nehmen wir nun an, dass das Kind aus unserem Beispiel in den weiteren Aufgabenreihen folgende positiv gelösten Aufgaben zeigte:

Reihe B: 15

Reihe C: 9

Reihe D: 17

Reihe E: 25

Beispiel für die Eintragung eines Entwicklungsstandes

Jetzt können Sie in eine Übersicht (Profilblatt) das Entwicklungsprofil einzeichnen, das Schwerpunkte von Entwicklungsverzögerungen und guten Leistungen angibt:

Das Kind ist in den Bereichen Grobmotorik und Sprache in der Entwicklung zurück. Da die Vergleichswerte denjenigen von »Spätentwicklern« entsprechen (90 %-Werte), müsste es auf alle Fälle gefördert werden. In den Bereichen der Selbstversorgung und in der Feinmotorik erreichte es Leistungen, die 80 – 90 % aller Gleichaltrigen lösen. Lediglich im Bereich Denken/Wahrnehmen sind die Leistungen durchschnittlich.

5.2Festlegen der Ziele

Da hier das Kind schon viele negative Erfahrungen gemacht hat, sollten Sie mit den Übungen beginnen, in denen es sich sicherer fühlt. Das könnten z. B. die Aufgaben E 21 und 23 sein (zeigt Dinge der Umgebung bzw. fünf Teile einer Puppe), E 22 (steckt Hohlzylinder ineinander) oder B 13 (Turm mit drei Klötzen bauen). Bei den Reihen C und D gehen Sie evtl. wie folgt vor: Suchen Sie im Testblatt die Aufgaben heraus, die es (wenn auch noch unsicher) beherrscht, und festigen diese. Sprechen Sie viel mit ihm bei allen täglichen Verrichtungen, beim Anschauen von Bildern und beim Zeigen von Gegenständen. Dann suchen Sie die Aufgaben heraus, die knapp über dem derzeitigen Entwicklungsstand liegen und nicht gelöst wurden oder mit ± bewertet werden mussten. Dazu zählen aber auch Lücken innerhalb gelöster Aufgabenreihen. In unserem Beispiel seien das vielleicht die Aufgaben

C 10: Läuft kurz frei

C 11: Wirft oder kickt einen großen Ball

D 15: Zeigt auf Befragen mindestens einen Körperteil

D 17: Zeigt Schuhe, Kleider, Spielzeug.

Jetzt müssten Sie sich fragen, ob es sinnvoll erscheint, diese Ziele anzustreben. Das hängt sehr stark von der Individuallage des Kindes und von den besonderen Bedürfnissen der Eltern ab, vom objektiven Gesichtspunkt her aber auch von der Bedeutsamkeit der fraglichen Fähigkeit für die weitere Entwicklung. C 10 (läuft kurz frei) erscheint als nächstes Ziel im Grobmotorikbereich sinnvoll, da das Kind selbstständiger wird und vielfältige Möglichkeiten zur Erkundung der Umwelt hat, was besonders die kognitive Entwicklung (Denken/Wahrnehmen) anregt. Die Aufgabe C 11 ist wohl in diesem Stadium der Entwicklung dieses Kindes weniger vordringlich und kann vorerst zurückgestellt werden. D 15 und D 17 erweitern das Sprachverständnis und dienen als Basis für den Sprachgebrauch; in diesem Bereich zu üben scheint ebenfalls wichtig zu sein.

Es könnte nun sein, dass andere Ziele vordringlicher sind, Ziele, die nicht in dem Entwicklungsprogramm enthalten sind: Abbau von sehr hinderlichen Stereotypien oder von aggressivem Verhalten, Aufbau von Blickkontakt, von Imitationsfähigkeit, von kurzfristiger Aufmerksamkeit. Es könnte sein, dass das Kind überhaupt nicht auf Aufforderungen reagiert, sodass eine gezielte Arbeit noch nicht möglich ist. Es könnte Kontakte ablehnen, ausschließlich mit einer Puppe spielen oder mit einem anderen Gegenstand »sinnlos« hantieren u. v. a. Hier ist das erste Lernziel die Ermöglichung einer gezielten Arbeit. Dazu muss man erst das Problem analysieren: Welches Verhalten stört oder verhindert die Förderung? Ist dieses Verhalten für das Kind sinnvoll? Was teilt mir das Kind darüber mit, was es lernen möchte? Welches Verhalten sollte das Kind entwickeln? Fragen Sie sich aber dabei auch, warum! Im einen Fall geht es primär um den Abbau von Störverhalten, im anderen Fall um den Aufbau erwünschten Verhaltens. Mit dieser Analyse können Sie die Strategie festlegen und mit dem Kind zusammen lernen und spielen. Erst dann sollte wieder das Förderprogramm mit in die Überlegungen einbezogen werden. Eine Übersicht über diesen Prozess mag die Darstellung auf der nächsten Seite geben.

Das wichtigste Anliegen dieses Schrittes ist es, das Kind genauer kennenzulernen:

■Welchen Entwicklungsstand hat es?

■Was kann es und wie macht es das?

■Was hindert es daran?

■Welchen Erfahrungshintergrund hat das Kind?

■In welchem körperlichen Zustand finde ich es jetzt vor?

■Wie ist das Bewegungsverhalten, die Sensorik, wie sind die Denkmuster?

■Welche Bedürfnisse und Gewohnheiten hat es?

■Wie ist das soziale Umfeld?

■Was wollen andere von ihm?

■Wie ist die augenblickliche Verfassung: ist es wach, gesund, ausgeglichen?

Die Fragen lassen sich auf drei wichtige Komplexe zusammenfassen:

■Welche Möglichkeiten hat das Kind?

■Welche Bedürfnisse hat das Kind?

■Welche Forderungen werden von der Umwelt an es gestellt?

Als Schwerpunkte der Förderung könnten Sie sich setzen:

■Das Kind soll sich und seinen Körper mit den verschiedenen Zuständlichkeiten kennenlernen.

■Das Kind soll Lebenszutrauen aufbauen, Sicherheit gewinnen.

■Es soll möglichst weitgehend zur Selbstversorgung beitragen.

■Es soll die Umwelt angemessen erleben und sich in ihr zurechtfinden.

■Es soll lernen, sich in eine Gemeinschaft einzuordnen und darin zu behaupten.

■Es soll auf die Dinge der Umwelt einwirken lernen und Möglichkeiten entdecken, sie zu gestalten.

5.3Arbeit mit dem Kind

Sie sollten nicht zu viele Ziele gleichzeitig ansteuern. Für behinderte Kinder ist das Lernen in kleinen Schritten äußerst wichtig, ebenso die Konzentration auf einen begrenzten Förderaspekt. Innerhalb dieses Bereiches sollten Sie aber möglichst viele Differenzierungsmöglichkeiten suchen. Die Aufgabe C 10 »Läuft kurz frei« kann in der angegebenen Form geübt werden. Viel attraktiver für das Kind und viel natürlicher ist es, wenn diese Aufgabe mit anderen verknüpft wird: Versteckspielen (A 11), Aufforderungen befolgen (A 18), Turm mit ganz großen Bausteinen bauen (B 13), Geräusche nachahmen mit Bewegung dazu, etwa Auto oder Zug (D 13), Spielzeug an der Schnur ziehen (E 9), Haushaltsgegenstände holen und gebrauchen (E 18), Singspiele oder Regelspiele mitmachen (mein rechter Platz ist leer, E 19). Hinweise auf solche Querverbindungen finden Sie z. T. bei den einzelnen Aufgaben. Der Übersichtlichkeit halber wurden nicht alle denkbaren Verknüpfungen angegeben. Mit etwas Phantasie lassen sich aber sehr viele Möglichkeiten konstruieren.

Üben Sie mit dem Kind, sooft sich eine natürliche Gelegenheit dazu bietet. Denken Sie aber daran, dass das Kind keine »Lernmaschine« ist, dass es nicht ununterbrochen gezielt und planvoll gefördert und dadurch überfordert werden kann.

Lernen ist ein intensiver Prozess, es kann von außen her angeregt werden, was dabei aber herauskommt, kann nicht vorhergesagt werden. Wichtig ist, dass das Kind mit Freude bei der Sache ist und motiviert, sich damit auseinanderzusetzen. Dabei passt es sich der Umwelt an, verändert sie aber auch, damit sie in die eigenen Vorstellungen passt. Das Kind schafft seine Welt und wird durch sie geformt. In diesem wechselseitigen Prozess brauchen behinderte Kinder aber Ihre Hilfe.

Beim Lernen selbst sollte ein Phasenwechsel eingeplant werden: konzentrierte, stark gelenkte Arbeit zusammen mit dem Kind, dann gelockertes Spiel und entdeckendes Lernen; Spiel, das vom Kind Gedächtnis-, Denk- und Konzentrationsleistungen verlangt im Wechsel mit Bewegungs- und sozialen Interaktionsspielen; Training einzelner Funktionen im Wechsel mit Angeboten zum kreativen Gestalten. Bei aller notwendigen vorgeplanten und zielgerichteten Arbeit des Erziehers oder des Therapeuten bedarf es dabei hoher Sensibilität und Flexibilität, um auf das Kind eingehen zu können. Das Lernen sollte in einem Ping-Pong-Muster angeboten werden: mal du, mal ich. Einmal gibt der Erzieher Anstöße, genaue Anweisungen oder Verhaltensmuster, ein andermal regt das Kind zu spielerischer Auseinandersetzung an, der Erzieher fängt diese Aktivitäten auf, geht darauf ein und variiert sie.

Ebenso flexibel muss die Art des Vorgehens bei einzelnen Förderansätzen sein: Die Methoden der Verhaltenstherapie, der sehr stark vom Therapeuten gesteuerten Verhaltensänderung des Kindes, eignen sich besonders zum Erlernen isolierter Funktionen, die später in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Sie bieten gute Ansatzmöglichkeiten bei sehr schwer behinderten Kindern und schaffen häufig bei schwer verhaltensgestörten Kindern erst die Basis für weitere Fördermöglichkeiten. Elemente dieses Vorgehens sind in vielen Programmen zu finden, etwa beim Aufbau von Verhaltensketten oder bei Hinweisen zur unmittelbaren Verstärkung erwünschten Verhaltens. Eine ausschließliche Anwendung dieser Methoden wäre jedoch zu einseitig und ginge an den Bedürfnissen des Kindes mit Sicherheit vorbei.

Häufig müssen Sie die Fähigkeit, die das Kind erlernen soll, vormachen, und das Kind soll sie dann imitieren. Das erfordert z. T. sehr differenzierte Wahrnehmungs- und Nachahmungsleistungen, die einzelne Kinder noch nicht erbringen können. Hier bietet sich die Führung durch den Erzieher an (z. B. Handführung), die allmählich ausgeblendet wird.

Bei Kindern, die Ansätze für problemlösendes Verhalten haben, sollte das Lernen über Versuch und Irrtum/bzw. Erfolg angeboten werden. Gerade bei denjenigen Kindern, die bisher sehr stark vom Erzieher geführt werden mussten, um überhaupt zu Leistungen zu kommen, muss der Erwachsene sich bewusst machen, dass er sich zunehmend zurücknehmen muss, um das Kind zu größerer Selbstständigkeit zu führen. Hilfen werden hier seltener gegeben und nur so weit, dass das Kind zur Lösung der Aufgabe kommt und nicht entmutigt wird. Teilweise werden Sie auch kleine Veränderungen in der Aufgabenstellung vornehmen, kleine Barrieren einbauen, um das Kind zum »Umdenken« anzuregen.

Schaffen Sie Erfahrungsspielräume für das Kind. Es soll sich handelnd mit der Umwelt auseinandersetzen können. Das Angebot sollte dabei nicht zu unübersichtlich sein: Wenig Spielzeug, das zu Aktivität reizt (solches zum Bauen, Stecken, Legen, Ziehen, Klopfen, Liebhaben, Ineinanderstecken; um Geräusche zu erzeugen, zu kneten, zu malen …), sollte dem Kind jederzeit zur Verfügung stehen. Oft bedarf es nur kleiner Anreize vonseiten des Erziehers, dass das Kind experimentiert.

Ein sehr geeignetes Betätigungsfeld für jedes Kleinkind bietet die »Ramschkiste«, in der ausrangierte Gerätschaften aus dem Haushalt zu finden sind, ein Telefon zum Bedienen oder auch zum Zerlegen, eine Luftpumpe, eine Fahrradklingel, eine Trillerpfeife, ein Plastikrohr – kurz Dinge, die für das Kind interessant und ungefährlich und die ohne Kosten leicht zu beschaffen sind.

Erfahrungen sollte das Kind aber auch bei der Mutter im Haushalt sammeln können, mit dem Vater im Bastelkeller, beim Einkaufen, beim Autowaschen, bei der Gartenarbeit. Dass dabei das Ergebnis oft sehr zu wünschen übrig lässt und auch hin und wieder etwas kaputtgeht, sollte den Erzieher nicht davon abhalten, das Kind aktiv werden zu lassen. Es sollte sich in der tätigen Auseinandersetzung mit Dingen und Situationen mehr Selbstständigkeit aneignen können, Zutrauen zu seinen Fähigkeiten und Freude am Tun gewinnen.

Werden Sie sensibel gegenüber den kreativen Ansätzen des Kindes. Begleiten Sie diese kreativen Ansätze, gehen Sie mit dem Kind zusammen solche neuen Wege. Seine Leistungen, seien sie auch noch so klein, sind für das Kind bedeutsam. Und freuen Sie sich über »laterale« Lösungsmöglichkeiten: Wir sind gewohnt, sehr geradlinig zu denken; das Kind findet noch Seitenwege, für uns ungewohnte Ergebnisse beim Problemlösen, es erfindet gerne. Lassen Sie sich davon anregen, und Sie werden erfahren, dass Ihnen zur weiteren Förderung wieder mehr einfällt. Ein sehr gutes Verfahren dazu ist das kaum gelenkte Spiel mit Puppen, der Puppenstube, dem Kaufladen, dem Bauernhof, den Fahrzeugen und Menschen auf der Baustelle, dem Zirkus.

Denken Sie daran, dass Sie möglichst alle Sinne miteinbeziehen. Meist betonen wir das Sehen zu sehr, sodass die Fähigkeiten zu hören, schmecken, tasten und riechen zu wenig ausgebildet sind. »Es ist bekannt, dass sich bei Kindern bereits in den ersten Lebensmonaten differenzierte Reaktionen in jedem Sinnesbereich bilden lassen, deren Schärfe, Schnelligkeit und Beständigkeit jedoch vom Intensitäts- und Übungsfaktor abhängig sind. Da es mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird, fehlende phasentypische Entwicklungsaktivitäten auszugleichen, ist es notwendig, sehr frühzeitig mit der Einbeziehung aller Sinne die Entwicklung des Kindes positiv zu stimulieren« (Becker 1978, S. 85).

Verbinden Sie das Tätigsein des Kindes stets mit Sprechen. Sie sollten dabei einfache Sätze mit 3 bis 5 Wörtern verwenden, langsam und deutlich sprechen und immer die gleichen Ausdrücke für Gegenstände oder Tätigkeiten benutzen. Vermeiden Sie die »Babysprache«, da das Kind für die Entwicklung eines allgemeinen Sprachverständnisses und für den späteren Sprachgebrauch sonst nur unzureichende Sprachmuster und sprachliche Strukturen zur Verfügung hat. Bei sehr schwer behinderten Kindern hat sich allerdings der »babytalk« als erfolgreiches Mittel zur Kommunikation erwiesen (siehe Fröhlich 1991). Auch wenn das Kind keine Sprache produziert, sollten Sie stets mit ihm reden. Erklären Sie ihm, was Sie tun, was das Kind selbst macht, wie die Dinge heißen. Durch das Sprechen wird das Kind zum Nachahmen angeregt, es nimmt an der sozialen Kommunikation teil, statt wegen seiner Sprech-Unfähigkeit isoliert zu werden.

Geradezu unerlässlich für einen Erfolg der Bemühungen um das behinderte Kind ist die emotionale Zuwendung. Das Kind muss sich angenommen fühlen, muss Geborgenheit erfahren und wissen, dass die Eltern oder Erzieher es gern haben. Wenn es in den Arm genommen wird, wenn die Mutter mit ihm scherzt, es streichelt oder ihm liebevoll zuspricht, wird ein Prozess in Gang gesetzt, der die Basis für alle sozialen Verhaltensweisen schafft. Die Reaktion auf diese Zuwendung bleibt jedoch häufig bei behinderten Kindern aus, für die Mutter eine enttäuschende Erfahrung! Ein gesundes Kind juchzt und lallt oder strampelt vor Freude, wenn sich die Mutter intensiv mit ihm beschäftigt. Solche Antworten fehlen bei den behinderten Kleinkindern oft ganz. Das besagt aber nicht, dass sie diese Zuwendung nicht empfinden würden und bräuchten. Vielfach sind sie sogar sehr sensibel im Wahrnehmen gespielter Herzlichkeit, unterdrückter Ablehnung (wegen körperlicher Missbildungen etwa) oder von Gleichgültigkeit. Sie sind auch meist sehr gut in der Lage, das »emotionale Klima« intuitiv zu erfassen und zwischen den Menschen, die ihnen begegnen, zu differenzieren.

Emotionale Zuwendung bedeutet aber nicht Verwöhnung oder Gewährenlassen. Eine konsequente Erzieherhaltung erleichtert dem Kind die Orientierung, es muss nur wissen, dass die Mutter es gern mag. Dann kann es auch die Forderungen eher akzeptieren.

Einige Bemerkungen für Eltern

Bitte nehmen Sie Ihre »therapeutische« Arbeit mit Ihrem Kind nicht zu ernst, freuen Sie sich mit ihm, loben Sie es für kleine Fortschritte, aber erzwingen Sie sie nicht.

In Anlehnung an die »Bill of Rights for Parents« (Benhaven School) sollten Sie bedenken:

»Ihr habt das Recht

Euer Kind zu lieben, zu umsorgen und Freude an ihm zu haben,

zu glauben, dass Ihr das Bestmögliche getan habt,

niedergeschlagen sein oder ungute Gedanken ohne Schuldgefühle zu haben,

auch Fehler zu machen, wenn Ihr daraus lernt. (…)

Vergesst Eure Interessen und Hobbies nicht. (…)

Verliert nicht den Sinn für Humor. (…)

Euer behindertes Kind muss wissen, dass Ihr bestimmte Dinge, die es tut, nicht duldet.

Lobt Euer Kind nicht ohne Grund, auch wenn Ihr es oft loben sollt.

Warnung:

Eltern geraten in Schwierigkeiten, wenn sie ihre Rechte nicht wahrnehmen. (…)

Märtyrer-Eltern werden selten geschätzt, am wenigsten von ihrem behinderten Kind.«

(gekürzte Fassung der Übersetzung von W. und H. Judt, aus: Zeitschrift »Autismus« Nr. 25, S. 6; 1988)

5.4Überprüfen des Erfolges