Fuck Beauty! - Nunu Kaller - E-Book
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Nunu Kaller

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Beschreibung

Ladies, liebt euch selbst! Zu viel? Zu laut? Zu plump? Zu dick? Zu dünn? Zu unweiblich? Es ist kaum zu glauben: 96 Prozent aller Frauen weltweit haben etwas an sich auszusetzen, nur vier Prozent finden sich wirklich schön. Was um Himmels willen ist da los?Auch Nunu Kaller kennt das Gefühl, nicht attraktiv genug zu sein, seit Kindertagen. In »Fuck Beauty!« geht sie nun anhand ihrer eigenen Geschichte der Frage nach, warum sich immer mehr Frauen unwohl in ihrer Haut fühlen. Warum so viele so obsessiv damit beschäftigt sind, sich zu »verschönern«. Authentisch, ehrlich und mit viel Humor erzählt Kaller, wie sie gelernt hat, dieses Hadern mit den eigenen Makeln und den Selbstoptimierungswahn hinter sich zu lassen. Und sie fordert uns alle zu einem liebevolleren Umgang mit dem eigenen Aussehen auf. Jetzt. Nicht erst in fünf Kilo weniger oder mehr. Denn es geht nicht nur um Schönheit, es geht um eine Lebenseinstellung: Wenn man sich selbst liebt, strahlt man das aus – und erlebt schönere Dinge!

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Seitenzahl: 300

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Nunu Kaller

Fuck Beauty!

Warum uns der Wunsch nach makelloser Schönheit unglücklich macht – und was wir dagegen tun können

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Nunu Kaller

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Nunu Kaller

Nunu Kaller, geboren 1981 in Niederösterreich, aufgewachsen in Wien. Studium der Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte. Nach dem Studium arbeitete sie zwei Jahre bei Die Presse im Onlineressort Politik, danach wechselte sie in die NGO-Welt. Seit einiger Zeit arbeitet sie bei einer Umweltorganisation in Wien. 2013 erschien bei Kiepenheuer & Witsch ihr erstes Buch »Ich kauf nix. Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde« (KiWi 1354). Nunu Kaller lebt in Wien.

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Über dieses Buch

Zu viel? Zu laut? Zu plump? Zu dick? Zu dünn? Zu unweiblich? Es ist kaum zu glauben: 96 Prozent aller Frauen weltweit haben etwas an sich auszusetzen, nur vier Prozent finden sich wirklich schön. Was um Himmels willen ist da los? Auch Nunu Kaller kennt das Gefühl, nicht attraktiv genug zu sein, seit Kindertagen. In »Fuck Beauty!« geht sie nun anhand ihrer eigenen Geschichte der Frage nach, warum sich immer mehr Frauen unwohl in ihrer Haut fühlen. Warum so viele so obsessiv damit beschäftigt sind, sich zu »verschönern«.

Authentisch, ehrlich und mit viel Humor erzählt Kaller, wie sie gelernt hat, dieses Hadern mit den eigenen Makeln und den Selbstoptimierungswahn hinter sich zu lassen. Und sie fordert uns alle zu einem liebevolleren Umgang mit dem eigenen Aussehen auf. Jetzt. Nicht erst in fünf Kilo weniger oder mehr. Denn es geht nicht nur um Schönheit, es geht um eine Lebenseinstellung: Wenn man sich selbst liebt, strahlt man das aus – und erlebt schönere Dinge!

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Vorwort

Wie war das eigentlich?

Die Abnehmerfolge der Daniela Katzenberger

Einmal Feminismus, 126-mal Photoshop

Warum manche jubeln, wenn sich Frauen scheiße finden

Fuck Beauty!

Barbie, ach Barbie … 

Sex! Sex! Sex!

Was ist eigentlich schön? Ein Besuch bei Rubens und Co.

Fernsehen ist zum Kotzen

Evolutionsbiologische Tatsachen

Liebe Freunde, bin ich schön?

Vom Mainstreamgedöns

Komplimente machen

»Findest du mich hübsch?«

Lookismus

Die Inflation der Sonnenuntergänge

Body Positivity

Body Positivity als Bewegung

Bodyshaming

Unglücklich dick ist unglücklich im Leben

Voll in die Falle

Falle Nummer Zwei

Superpush

»Querstreifen machen dick«

Wo fängt Plus Size an?

Nina

Fake Selfies

Pizza ohne die Zutat »schlechtes Gewissen«

Fake-Selfie, die zweite

»Bist du krank?«

Auf Spiegeldiät

Wie ist das eigentlich mit dem Narzissmus?

Unterricht in YouTube?

Das Fett und die Gesundheit

Marcel Hirscher hat Übergewicht

»Ich will dich halt perfekt haben«

Weg mit der Waage!

Diäten funktionieren nicht

Intuitive Eating

Und wenn’s mir ganz egal ist?

»Wahnsinn, die ist echt so derartig fett!«

Von rosa Prinzessinnen

Was heißt hier »auch«?

Und Trash mag ich auch nicht

Bin ich ehrlich zu mir selbst?

Kauf dich glücklich!

Von Orangen und Salben

More Feminism, Baby!

Vor der UNO in High Heels

Wir haben die Wahl

Im Horror-Outfit unterwegs

»Ich bin hässlich«

Das Gewicht der Werbung

Die Taube in der Hand …

Fake Fatties?

Von Antidepressiva und getauschten Hosen

»Und was ist mit Schönheits-OPs?«

Ein neuer Klick-Moment

Schluss, aus, Ende

Was kann man tun?

Zum Weiterlesen

Danksagung

Für Vroni und Anna

… und Violetta

Vorwort

»Nunu, spinnst du jetzt eigentlich komplett?«

Als mich dieser Gedanke durchzuckte, saß ich mit sieben oder acht Touristen aus aller Herren Länder sowie zwei Einheimischen auf einem Ausflugsboot in einem Schnorchelparadies auf den Philippinen. Um mich herum türkisfarbenes Wasser, neben mir sah ich eine Meeresschildkröte im Wasser schwimmen. Die Sonne sorgte gerade dafür, dass all meine kleinen Sommersprossen zu einer großen zusammenwuchsen (ich also so etwas wie braun wurde), der Geruch von Salzwasser in der Luft war einfach nur herrlich. Ich hatte bereits Rochen, Korallen, einen kleinen Hai und Unmengen an verschiedenen bunten Fischen gesehen, eine halbe Stunde zuvor an einem perfekten weißen Sandstrand in einer Hängematte gelegen und an den Palmen vorbei aufs glitzernde Wasser geschaut. Eigentlich passte gerade alles, um unglaublich glücklich zu sein.

Und trotzdem fühlte ich mich unwohl. Massiv sogar. Noch nass vom letzten Badestopp saß ich im Bikini auf meinem Handtuch. Einwickeln konnte ich mich nicht in das Ding, dazu war es zu klein. Ich saß also da, mein Hintern breit auf der Holzbank und am Bauch eine Speckfalte über der anderen.

Ich bin groß und kurvig. Ich bin nicht rasend dick, trage Größe 42/44 bei einem Meter achtzig. Dennoch fühle ich mich mein Leben lang schon zu dick, zu laut, zu plump, zu unweiblich, zu … viel. Schlicht und einfach zu viel. Ich versuche oft, es mir nicht anmerken zu lassen, bin direkt, goschert, laut, fürchte mich nicht vor Öffentlichkeit. Ich nehme Platz ein. Auch auf Ausflugsschiffen. Aber gerade in solchen Situationen hasse ich mich.

Gleichzeitig liebe ich das Meer: Schwimmen, Schnorcheln, Tauchen, den Geruch am Wasser, die Sonne, den Sand zwischen den Zehen. Doch damals auf dem Schiff, vor den anderen, siegte das »Bauchgefühl«: Ich fühlte mich unglaublich unwohl.

Doch schließlich dämmerte es mir: All die Menschen an Bord würde ich in meinem ganzen Leben nie wiedersehen. Außerdem hatte mir bisher kein Einziger oder keine Einzige auch nur einen schiefen Blick zugeworfen. Niemand hatte die Nase gerümpft und sich angeekelt von mir abgewendet. Die waren sowieso alle viel zu beschäftigt damit zu überprüfen, ob ihre schweineteuren Unterwasser-GoPro-Kameras auch wirklich wasserdicht waren. Nur ich saß mangels einer solchen Kamera da und konzentrierte mich darauf, meinen Bauch einzuziehen und meine Arschbacken zusammenzuzwicken.

Wir steuerten eine Lagune an, so schön, dass es selbst die Leute von der Raffaello-Werbung nicht schöner hätten inszenieren können. Ich war in meinem persönlichen Paradies – und dachte daran, wie ich wohl aussah, anstatt mich darauf zu konzentrieren, was ich mit meinen eigenen Augen eigentlich gerade sah.

Und dann war es plötzlich so weit. In meinem Kopf legte sich ein Schalter um – einer, von dem ich vorher nicht mal gewusst hatte, dass er existierte. Ich stellte fest: »Nunu, ja, du spinnst. Du bist gerade für genau elf Tage im Paradies. Du kommst so bald nicht mehr hier her. Dick fühlen kannst dich zu Hause auch noch.« So blöd sich das jetzt vielleicht anhört, ich schwöre, dieser Moment hat meinen Urlaub verändert. Und mein Leben.

Plötzlich war es mir komplett egal, ob man meine drei Speckrollen sah, während ich in der Hängematte lag. Ich genoss die Sonne auf meiner Haut, ich hörte den singenden Vögeln und kreischenden Geckos zu, konnte stundenlang auf einen Busch starren, dessen Blüten ihre Farbe innerhalb weniger Tage von einem leuchtenden Pink in ein helles Gelb verwandelten. Bei den weiteren Bootsausflügen verzichtete ich auf irgendwelche Shirts oder Tuniken, während wir von einem Schnorchelspot zum nächsten schipperten. Ich ignorierte meinen Körper schlicht und einfach.

Wobei, nein, ich ignorierte das, was ich an meinem Körper nicht mochte – und gleichzeitig waren all meine Sinne viel wacher. Essen schmeckt eben besser, wenn man nicht daran denken muss, wie viel Kalorien das wohl hat. Mit Anlauf von einem Felsen ins Wasser zu springen, zu spüren, wie man eintaucht, macht eben mehr Spaß, wenn man nicht darüber nachdenken muss, wie man beim Sprung wohl aussieht.

Zurück zu Hause wollte ich mir diese neu gewonnene Freiheit natürlich unbedingt erhalten. Ich stellte mir unzählige Fragen: Warum hatte ich mich eigentlich immer so hässlich gefühlt? Warum fand ich andere Frauen, die Raum einnehmen, Kurven haben, teilweise wirklich dick sind, schön, wenn sie authentisch sie selbst sind – nur mich selbst nicht?

Doch der Weg zu einem positiven Körperbild ist kein einfacher. Hier zeichne ich meinen nach. Ich weiß: Ich bin eine von vielen. Ich bin nichts Besonderes, sondern in Sachen Körperbild wahrscheinlich sogar sehr durchschnittlich für unsere Breitengrade. Was die vielen anderen Frauen und mich wohl eint: Noch nie standen wir wie ein Freund von mir in Unterhosen, mit schütteren Haaren und mehr Waschbär- als Waschbrettbauch vorm Spiegel und haben uns laut bewundert. (Wahnsinn, ich bin immer noch neidisch auf ihn.)

 

Was ich hier schreibe, ist nicht revolutionär. Ich habe weder den Stein der Weisen ge- noch das Rad erfunden. Im Gegenteil, nach gefühlten Jahrzehnten des Schlankheitswahns, der im Heroin Chic der späten Neunziger und frühen Zweitausender gipfelte, merkt man seit einiger Zeit eine immer lauter werdende Gegenbewegung. Zunächst fing es als trotziges »Wir sind rund und gesund« und »Fett ist schön!« an, doch inzwischen scheint die Position, dass JEDER Körper schön ist, auch in den Mainstream-Medien anzukommen. Allerdings sind das immer noch nur einzelne Artikel, eingepackt zwischen Diättipps (Fünf Kilo in drei Tagen!) und Modestrecken, in der Models mit Größe 34 ihren flachen Bauch in die Kamera strecken. Aber es bewegt sich merklich etwas.

Wobei, bei meinem ersten Projekt ging es mir genauso: Ich beschloss, ein Jahr lang keine neue Kleidung zu kaufen und mir gleichzeitig anzusehen, wo die Kleidung herkommt, die ich bei Textilschwede und Co. gekauft hatte – und welche Alternativen es gibt.[1] Beim Eintauchen in diese Welt der fairen Mode dachte ich: Boah, da bricht ja gerade echt was auf, das ist ja riesig! In ein paar Jahren haben wir nur noch fair produzierte Mode in den Läden hängen, es wird zum Wendepunkt kommen!

Doch dann las ich, dass nur 0,5 Prozent der globalen Baumwollproduktion bio ist. Und mir wurde klar: Es ist eine Nische und es wird auch noch sehr, sehr lange eine Nische bleiben. Es war ich, die ihre Perspektive verändert hatte. Die plötzlich die Modewelt mit anderen Augen sah. Und ich habe den leisen Verdacht, dass es mir mit dieser Öffnung des Schönheitsbegriffs ähnlich geht. Ja, es passiert etwas, aber es ist momentan letztlich nichts anderes als ein Trend-Thema.

*

In den USA gewann Ashley Nell Tipton, eine Plus-Size-Designerin, die 14. Staffel der beliebten Serie »Project Runway« (funktioniert wie »Germany’s Next Topmodel« – und wird übrigens auch moderiert von Heidi Klum –, nur dass verschiedene Jungdesigner jede Woche neue Teile entwerfen müssen).

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Bereits vier Mal in den vergangenen Jahren wurden für die berühmten Bikini-Shootings der »Sports Illustrated« Plus-Size-Models eingesetzt, eine davon landete sogar auf dem Cover.

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Die Kosmetikmarke Dove zeigt seit Jahren Frauenkörper in ihrer Werbung, die nicht den klassischen Modelmaßen entsprechen (zwar immer noch mörderisch nachbearbeitet, aber hey, immerhin …).

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Auch der Modemarkt beginnt langsam darauf zu reagieren, dass die Durchschnittsgröße von Frauen in Deutschland bei 42/44 liegt.

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Buzzfeed.com, mit 150 Millionen Klicks im Monat zurzeit eines der erfolgreichsten Medienportale im englischsprachigen Raum, legt in seinen Videos einen besonderen Fokus auf Plus-Size-Frauen. Andere Kanäle wie Revelist.com arbeiten nach dem gleichen Prinzip.

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»My big fat fabulous life«, eine Reality-Doku über die stark übergewichtige und dennoch sehr sportliche Whitney Way Thore aus North Carolina, läuft in den USA bereits in der vierten Staffel und wurde in viele Länder verkauft.

*

Das gängige Schönheitsideal hat sich in den vergangenen Jahren definitiv von Kate Moss (zaundürr) in den Neunzigern zu Kim Kardashian (schlank, aber immerhin sehr kurvig) entwickelt.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Im Fernsehen, in Printzeitungen, in der Werbung und den sozialen Medien sind die am häufigsten dargestellten Frauen jung, extrem schlank und weiß. In den USA haben laut einer Statistik von 2012 67 Prozent aller Frauen mindestens Größe 42. Der Prozentsatz der Frauen mit dieser Größe und aufwärts, die in den klassischen Medien gezeigt werden, beträgt jedoch nur ein bis drei Prozent. In den sozialen Medien gibt es immer irrer werdende »Wettbewerbe« junger Frauen untereinander, wer am schlanksten ist. Mitte 2015 machte die sogenannte Belly-Button-Challenge die Runde, bei dem man den Arm hinten um den Körper herumschlingt und mit der Hand den Bauchnabel berührt. Dabei ging es darum, wer die kleinste Taille und Hüfte hat. Als sich das – Achtung, Treppenwitz – totgelaufen hatte, kam es zur Collarbone-Challenge, bei der es um ein möglichst hervorstehendes Schlüsselbein ging: Wer die meisten Münzen in die Kuhle zwischen Schlüsselbein und Trapezmuskel hineinlegen konnte, hatte gewonnen – und war wahrscheinlich massiv untergewichtig. Aus Asien kam dann Anfang 2016 der in meinen Augen absurdeste aller Trends herübergeschwappt: die DIN-A4-Challenge. Schlank waren diejenigen, die ihre gesamte Taille hinter einem (hochkant gehaltenen!) A4-Zettel verschwinden lassen konnten. Die kurze Seite eines DIN-A4-Zettels ist 21 Zentimeter breit. Zur Erinnerung: Die berühmten »90-60-90«-Traummaße aus den Fünfzigern sahen einen Taillenumfang von 60 Zentimetern, also knapp 25 Zentimeter in frontaler Ansicht, als ideal an. Durch die Medien ging jeweils ein kleiner Aufschrei, auf Instagram gingen die Challenges jedoch munter weiter.

Einerseits werden Frauen jenseits irgendwelcher Idealmaße also immer sichtbarer, andererseits wird der Schlankheits- und Fitnesstrend immer extremer. Im Wochenrhythmus lese ich von neuen »Makeln«, die Frau haben kann, ich komme kaum hinterher.

Warum gibt es so hohe Erwartungen an Frauen? Warum müssen Frauen hübsch sein, schlank sein, und warum werden sie so viel mehr an ihrer Optik gemessen als Männer? Warum sind dicke Männer so viel »normaler« als dicke Frauen? Warum konnte ich mich selbst nie leiden? Warum dachte ich immer, dass mein Leben perfekt sein würde, wenn ich 15 Kilo weniger hätte? Fragen über Fragen wirbelten in meinem Kopf, nachdem ich aus meinem Urlaubsparadies zurück war.

 

Ich habe es satt. Ich will mich nicht mehr permanent damit beschäftigen müssen, wie gut oder schlecht ich aussehe. Ich will mich nicht mehr unglücklich machen, weil ich bestimmten Idealen nicht entspreche. Wo kommen diese Ideale überhaupt her? Wer macht die? Und warum? Ich habe keine Lust mehr darauf, nicht genießen zu dürfen. Ich will nicht mehr Angst vor schiefen Blicken haben, wenn ich lustvoll in eine Semmel mit Schoko-Nuss-Aufstrich beiße (mit Butter drunter! Oh Schreck!). Ich will mich nicht mehr dauernd mit anderen Frauen vergleichen.

Ich frag mich nur, wie das gehen soll. Kann man das einfach so beschließen, dass es einem ab jetzt gut geht? Dass man ab jetzt einfach auf sämtliche Schönheitsideale pfeift? Wohl nicht.

Doch der schlichte »Da pfeif ich jetzt drauf«-Typ war ich sowieso nie. Erst einmal informieren und nachdenken, damit meine unbeschwerte Zeit im Inselparadies kein einmaliges Erlebnis bleibt.

Online werde ich Unmengen an Websites, Tipps und Bücher zum Thema Fat Acceptance und Modeblogs von kurvigen Frauen finden. Doch schnell ist klar: Das Thema geht noch viel tiefer. Es geht um Selbstwert, um Konsum, um Feminismus und um Medizin. Und um all diese Themen geht es in diesem Buch: Ich will einige der Fragen rund um Selbstwert und Schönheit beantworten. Für andere, aber auch für mich ganz persönlich.

Wie war das eigentlich?

Doch bevor ich Bücher wälze und recherchiere, was die Experten und Expertinnen über mein mieses Körpergefühl sagen, sollte ich vielleicht erst mal mich selbst befragen. Wie war das eigentlich in meiner Kindheit?

Ich war ein pummeliges Kind. Ich war ein ungeschicktes Kind. In meiner Familie hörte ich gefühlt im Tagesrhythmus, dass ich diejenige mit den zwei linken Händen und Füßen sei. Lieb, aber patschert, wie man in Österreich so gern sagt.

Ich war die Nachzüglerin, war die, die immer größer und runder als ihre AltersgenossInnen war. Und die das von ihrer Familie regelmäßig zu hören bekam. Gleichzeitig bekam ich aber auch Berge an Schokolade, hatte relativ freien Zugang zum Naschkastl. Und aufgegessen wurde, was auf den Tisch kam: Das Konzept »Essen, bis man satt ist« statt »bis der Teller leer ist« habe ich nie gelernt und schaffe es bis heute nicht wirklich.

Ich war sechs oder sieben, als mein Bruder sein Abitur machte und meine Eltern mit ihm nach Griechenland fuhren. Mir wurde nachher berichtet, dass sehr lang diskutiert wurde, ob man mir ein T-Shirt mit einem Ballett tanzenden Elefanten mitbringen solle oder nicht. Es hätte ja soooo gut zu mir gepasst. Dabei ging ich gar nicht zum Ballett.

Meinen Opa liebte ich unter anderem sehr für seine Direktheit – und er liebte es, mich verbal ein bisschen herauszufordern – weil er wusste, ich vertrag das, ich bin schlagfertig – und wir hatten immer wahnsinnigen Spaß daran, uns gegenseitig freche Sprüche zuzuwerfen. Doch einige seiner Sprüche haben sich in mir wohl auf Lebenszeit eingebrannt, allen voran sein mit in Falten geworfener Stirn vorgetragenes »Na, die muss einmal mit dem Kopf punkten!« – in meiner Anwesenheit. Ich war etwa neun Jahre alt. Subtilität ist ganz allgemein nicht die Stärke meiner Familie.

 

Wenn ich an meine Kindheit denke, dann habe ich überwiegend sehr gute Erinnerungen an meine Familie. Vom mittleren Bruder verwöhnt werden, mit ihm ganze Teepartys mit meinen heiß geliebten Bärenwaldfiguren inszenieren. Am Computer des ältesten Bruders spielen dürfen. Gemeinsam Legohäuser für die Bärenwaldfiguren bauen – mit echtem Licht über der selbst gebastelten Badewanne. Ausflüge, Urlaube, Radfahren, ins Freibad oder an den See, es gab immer Programm. War mir langweilig, motivierten meine Eltern mich zum Lesen (wofür ich ihnen sehr dankbar bin: Die Leseratte, die ich damals wurde, bin ich geblieben). Kultur war immer Pflicht, auch im Urlaub. Als ich mal sagte, ich hätte als Kind gefühlt jede Kirche Westungarns von innen gesehen, entgegnete mir die Frau Mama auf ihre herrlich trockene Art: »Die Ostungarns auch.«

Während dieser schönen Erinnerungsreise macht sich jedoch ein Gedanke in mir breit, der sich zartbitter anfühlt: Ein positives Körperbild bekam ich anscheinend nie vermittelt. Im Gegenteil. Ich war wie gesagt damals schon immer ein bisschen zu viel, zu groß, zu dick, zu ungeschickt – und bekam das regelmäßig von meiner Familie gesagt. Das prägte sich so sehr ein bei mir, dass es lange dauern sollte, bis ich überhaupt mal den Gedanken hegen konnte, dass ich nicht die dritte Vogelscheuche von links war. Ich musste schließlich mit dem Kopf punkten, wie mein Opa behauptet hatte. Dass genau das nicht so war, überknauserte jedoch mein Kopf nicht. Dumm gelaufen.

Ich habe bisher nie genau dorthin geschaut. Es war immer unangenehm, an mein »Frauwerden« zu denken – und jetzt wird mir klar, warum. Ja, verdammt, da waren Momente dabei, die wirklich wehgetan haben! Ich habe nie kapiert, was diese permanenten Sprüche von wegen Elefant beim Ballett in mir ausgelöst haben – wahrscheinlich wollte ich es selbst nicht wahrhaben. Und da sich solche Situationen mit einem lustigen Spruch viel schneller lösen ließen, als aufzustehen und zu sagen: »Das will ich nicht, das tut mir weh«, blödelte ich eben oft darüber hinweg. Und jetzt? Jetzt merke ich, dass ich da einfach nicht mehr drüberstehen will! Zumindest mal für eine Zeit lang.

Ich mache niemandem Vorwürfe, und ich liebe meine Familie innigst, jeden auf seine Weise. Ich werde meiner Mutter niemals böse sein, dass ich sehr oft ein schroffes »Aber das gehört sich so« hörte, wenn es um Kleidung ging. Ich kenn ja Oma. Ich weiß ja, wo es herkommt. Oder ihre Standardantwort, wenn irgendjemand sagte, ich würde der Mama ja soooo ähnlich sehen: »Ja, leider, die Arme, gell?« Wie gesagt: Subtilität ist nicht so die Sache meiner Familie. Nicht falsch verstehen bitte: Ich liebe sie alle trotzdem – oder deshalb? – über alles.

 

In der Schule machte ich klassische Außenseiterkarriere. Im Sportunterricht war ich immer unter den Letzten, die gewählt wurden. Die dicke Unsportliche. Außer beim Basketball. Da gehörte ich zu den Erstgewählten – kein Wunder, ich konnte Bälle von den anderen blocken, ohne dass ich dafür springen musste. Einigen konnte ich die Bälle sogar einfach aus der Hand reißen, selbst wenn sie ihre Arme weit nach oben gestreckt hatten. Aber Völkerball, Volleyball und sonstige Teamwettbewerbe: Fehlanzeige. Ich begann, Bewegung zu hassen. Allein schon der Geruch im Turnsaal löste Panikattacken in mir aus. Dabei hatte ich es davor immer geliebt zu schwimmen oder Fahrrad zu fahren.

Lange war ich die Größte in meiner Stufe. Nicht nur das größte Mädchen. Erst mit 17, 18 holten mich dann noch einige der Jungs ein. Besonders zwei von ihnen wurden nicht müde, mich immer wieder »Fette Sau« oder Ähnliches zu schimpfen. Ich wog damals 70 Kilo bei einem Meter achtzig … Inzwischen glaube ich eher, dass die Burschen aus ihrer Froschperspektive irgendwie »groß« und »fett« durcheinanderbrachten, aber bitte. Schwamm drüber.

Als ich dreizehn war, lernte ich außerhalb der Schule eine Clique kennen. Eines der Mädchen, Steph, zählt noch über zwanzig Jahre später zu meinen allerbesten Freundinnen. Wir trafen uns im Pfarrjugendclub, kamen uns rasend cool vor, weil wir im Pfarrheim rauchten, später gingen wir gemeinsam auf Partys, es gab erste Lieben, die Mädels gingen gemeinsam shoppen, klassische Jugend eben. Aber so hundertprozentig passte ich da nie rein. Ich war zwar zu meiner eigenen Überraschung nicht die Größte, aber gefühlt die Dickste. Was objektiv nicht mal stimmte, aber das Gefühl war bereits fest eingebrannt. Ich war lustig, ich war der Kumpel, ich war nicht interessant für die Jungs. Dass ich mich einfach nur selbst in diese Ecke gestellt hatte, fiel mir erst Jahre später auf.

In meiner Uni-Zeit hatte ich dann plötzlich einen recht großen Freundes- und Bekanntenkreis – ich ging schlicht und einfach gern auf Partys, lachte gerne und wollte Spaß haben. Unter den Freunden waren sehr viele Männer. Nie dachte ich, für einen von ihnen interessant zu sein. So blendete ich die ganze Flirterei einfach komplett aus – und litt innerlich. Dass ich nach fast jeder Party von einem der Jungs angerufen und nach der Nummer einer damaligen Freundin, die der Inbegriff von »süß« und »hübsch« war, gefragt wurde, machte die Sache nicht einfacher. Es gab zwar auch bei mir immer wieder Beziehungen, aber nichts hielt lange, ich war mir meiner selbst einfach zu unsicher – hielt mich immer für das blinde Huhn, das halt auch mal ein Korn findet (rückblickend betrachtet waren das doch so einige Körner, von denen sich im Endeffekt die meisten als etwas schwer verdaulich herausgestellt haben …). Die Unsicherheit überspielte ich mit meiner Schlagfertigkeit und wurde so den Kerlen einfach »zu viel«. Und wieder festigte sich mein Selbstbild.

 

Irgendwann kam dann mein Ex daher. Wir kannten uns eigentlich schon ewig, aber hatten nie wirklich viel miteinander zu tun gehabt. Als wir dann zusammen waren, erzählte er mir nach kurzer Zeit, dass er mich schon damals, mit 19 Jahren, toll gefunden hatte. Mich traf das aus heiterem Himmel – oha, hatte ich da wohl einen Knacks im Selbstbild? Ich schwebte einige Monate nur so vor mich hin. Doch auch seine Komplimente wurden rasch weniger, und schon bald wurden mein Gewicht und meine fehlende Konsequenz bei den diversen Abnehmversuchen zum Thema.

In den vergangenen Jahren hielt ich mich immerhin nicht mehr für die Vogelscheuche schlechthin. Ich konnte einzelne Punkte aufzählen, die ich an mir mochte. Meine Augen, mein Lachen, meinen Mund, meine Brüste, meine Haare, meine langen Beine, meine Taille, meine Sommersprossen (die mochte ich immer schon, Schönheitsbilder hin oder her). Aber genauso schnell konnte ich die Punkte runterrattern, die ich nicht mochte. Meine breiten Füße. Mein dicker Hintern. Mein Schwabbelbauch. Meine fetten Knöchel. Meine riesigen Oberschenkel. Meine sich so hässlich kräuselnde Nase. Dass ich meine Oberlippe beim Lachen so weit raufziehe. Meine Kaller’schen Eckzähne. Und man darf raten, worauf ich eher geachtet habe.

Komplimente annehmen ging nicht. Sagte mir jemand, er fände mich hübsch, dann reagierte ich wahlweise mit einem ausgesprochenen »Siehst du schlecht?« oder einem gedachten »Na klar, und morgen melde ich mich bei den Misswahlen an«.

Schön, hübsch, fesch – das waren die anderen. Ich ließ mich von diesem Gedanken zumindest nicht mehr einschüchtern. Na und? Dann war ich halt so! Ich konnte ja »mit dem Kopf punkten«. Ich hatte Menschen in meinem Leben, die mich liebten, so wie ich war, und die ich liebte und liebe. Mein Kleidungsstil wurde weiblicher, aber an erster Stelle stand weiterhin das Kaschieren.

Beruflich ging ich meinen Weg. Da konnte ich die Sache mit meiner Figur komplett ausblenden, da hatte ich Erfolg – aber mein Spiegelbild wurde mir trotzdem nicht sympathischer. Ich sah mich prinzipiell durch die Augen anderer, schlanker Menschen – ohne zu wissen, was sie wirklich von mir dachten. In meinem Kopf zirkulierte das Heilsversprechen aller Abnehmwilligen: Wenn ich erst einmal so richtig schlank wäre, dann würden mir alle zu Füßen liegen. Dann wäre ich beruflich gleich noch erfolgreicher. Dann würde ich mir den Traummann schlechthin angeln. Dann würde ich das braun gebrannte, surfende Beach-Girl werden, das alle mit ihrem Aussehen und ihrem Humor umhaut. (Fürs Protokoll: In der Sonne werde ich rot, nicht braun. Ich hege den leisen Verdacht, dass sich das auch mit 20 Kilo weniger nicht geändert hätte. Und auch Surfen lernen ist im Abnehmpack nicht automatisch inbegriffen, vermute ich, das muss man wohl schon noch lernen. Aber hey, Wunschvorstellung ist Wunschvorstellung.)

Warum ich das alles erzähle? Weil ich glaube, dass ich nichts Besonderes bin. Weil ich keine Frau kenne, deren Körper-Selbstbild nichts mit ihrer Familie und ihren Kindheitserfahrungen zu tun hat.

Eine Erkenntnis lässt sich jedenfalls nicht mehr verdrängen: Ich habe mich all die Jahre ordentlich selbst betrogen. Dieses Sich-selbst-Vormachen, dass man ja irgendwann mal schlank und schön sein wird und dass dann das echte Leben anfängt, ist ein hoch riskantes Manöver. Denn man nimmt sich dadurch ungeheuer viel an Lebensqualität.

Und jetzt? Jetzt nervt mich dieser ganze Fokus auf mein eigenes Äußeres selbst massiv, und ich will draufkommen, wieso ich mich jahrelang so fertiggemacht habe. Und vor allem will ich wissen: Bitte was ist eigentlich diese »Schönheit«, von der alle sprechen? Gehen wir es an!

Die Abnehmerfolge der Daniela Katzenberger

Aber jetzt erst einmal Ende mit der Grübelei. Ich mag nicht mehr drüber nachdenken, warum ich mich so hässlich gefühlt habe. Es bin ja nicht nur ich, es geht ja vielen Frauen so. Doch damit beschäftige ich mich ein anderes Mal – jetzt erst einmal Prokrastination: Glotze an und Hirn aus.

Grooooßer Fehler.

Ich zappe mich durch einige der 25 Kanäle. Auf ORFläuft die Sitcom »How I met your mother«. Hach, Robin ist so eine schöne Frau, ich würde so gern aussehen wie sie, so hübsch und schlank und zart! Halt, stop, weiter.

Auf ATV rennen gerade die allerletzten Minuten von »King of Queens«: Dicker, liebenswerter Kerl sitzt im Jogginganzug bei Bier und Chips mit rundlichen, liebenswerten Cousins (oder Freunde, habe ich vergessen) auf dem Sofa, als seine schlanke, topgestylte Frau zur Tür reinkommt, sich der High Heels entledigt und erklärt, sie müsse noch weiterarbeiten, der Chef habe ihr Unmengen an Arbeit aufgeladen. Ihr Mann ist entsetzt, weil er dachte, dass sie jetzt für ihn und seine Freunde kochen würde. Zum Glück beginnt gerade die Werbung, ich bin kurz davor, ihm ein lautes »Mehr Gleichberechtigung, der Herr« entgegenzuschmettern, und dann denken die Nachbarn wieder, ich hab sie nicht mehr alle …

In der Werbepause werden mir Parfums, Autos, Joghurt, Schokolade und Softdrinks von schlanken weißen Frauen angeboten, drei davon sind im Bikini.

Danach startet die Serie »Two and a half men«, in der Hauptfigur Charlie, der sich grundsätzlich nur mit spindeldürren, aber dickbusigen und geistig gesehen zumeist nicht ganz hellen Frauen umgibt – jeweils eine Nacht lang. Die dicke Haushälterin tritt grundsätzlich in Männerkleidung auf und stellt den Inbegriff des Mannweibs dar, ihre Erfahrungen als Frau und sexuelles Wesen liegen in der Vergangenheit, sie referenziert aber immer wieder darauf.

Ich zappe weiter und lande in einer Werbeblock-Spirale, fünf Sender lang nur Werbung. Dann lande ich beim Dauerwerbesender, im Fitnessblock. Dort wird mir erklärt, wie ich mit einem Gürtel, der mir Stromstöße verabreicht, ganz einfach, auf dem Sofa liegend, abnehmen kann. Ich entscheide mich dafür, ohne Stromstöße auf dem Sofa liegen zu wollen und stattdessen weiterzuschalten.

Auf einem kleinen Sender läuft eine Nachrichtensendung. Die Moderatorin: sehr schmal, sehr künstlich. Doch das stört mich weniger – wenn ich aussehen dürfen will, wie ich will, dann darf die Dame das auch. Was mir jedoch übel aufstößt, ist der Bericht. Es werden die Kleidungsstile von Politikerinnen verglichen. Welche einen guten Geschmack und eine wahnsinnig tolle Figur hat (Michelle Obama), welche eher gar kein Gefühl für Optik hat und daher immer zum gleichen, unweiblichen Stil greift (Angela Merkel). Dass Angela Merkel eine der mächtigsten Frauen der Welt ist, die seit Jahren an der Spitze von Deutschlands Politik steht, bleibt unerwähnt. Aber dass sie es 2008 bei der Eröffnung der Osloer Oper gewagt hat, in einem tief ausgeschnittenen Kleid aufzutreten, wird auch noch neun Jahre später zum gefühlt tausendsten Mal thematisiert – inklusive der Bilder. Himmel noch mal!

Auf die sogenannte Nachrichtensendung folgt eine Klatschsendung. Da wird es mir endgültig zu viel. Nein, ich will mir keinen dreiminütigen Beitrag über die Abnehmerfolge von Daniela Katzenberger – mit aufgespachteltem Make-up schwitzend und lächelnd beim Training gefilmt – ansehen! Aus! Abschalten!

Ich greife zu einer Frauenzeitschrift, die ich mir für Hirnabschalt-Momente gekauft habe, verwerfe die Idee jedoch gleich wieder. Ich will jetzt keine Abnehmtipps lesen und gephotoshoppte minderjährige Models in Kleidung, die ich mir eh nicht leisten kann und will, sehen.

 

Verdammt, was mach ich jetzt? Ich will mich nicht mehr mit mir selbst, mit meinem Aussehen, meiner Wirkung auf andere und meinem Selbstbild beschäftigen. Neinneinnein. Und doch kreist wieder alles um dieses Thema. Ich geh mir grad so unglaublich auf die Nerven. War die Idee, der ganzen Sache auf den Grund zu gehen, doch keine so gute? In mir drinnen formt sich ein großer Knoten im Magen, bestehend aus Unsicherheit und Angst. Auf diese persönliche Schwachstelle mit der Lupe hinzuschauen, was ist mir denn dabei bitte eingefallen?

Bewegung. Es muss Bewegung her. Ich ziehe meine bequemen Schuhe an und stapfe los. 45 Minuten gehen und ich bin auf einer Anhöhe, von der aus ich über halb Wien blicken kann.

Einmal Feminismus, 126-mal Photoshop

Doch wie so oft schaffe ich es einfach nicht, mein Hirn auszuschalten: Nach fast eineinhalb Stunden Laufen und einer halben Stunde am Heimtrainer lassen mich die Frauenbilder in den Medien immer noch nicht los. Dann halt lieber so richtig reinstürzen ins Thema!

Im verschwitzten Sportgewand setze ich mich auf mein Fahrrad und fahre zum Zeitschriftenhändler am Bahnhof. Ich kaufe mir die verschiedensten Magazine, die sich an Frauen jeglichen Alters richten, von »Mädchen« bis »InStyle«. Viele dieser Magazine habe ich irgendwann innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre gelesen, ließ mich modisch inspirieren, fand die eine oder andere Reportage spannend. Meine durchschnittliche Lesedauer solcher Magazine betrug aber wahrscheinlich eine Viertelstunde. Heute will ich sie mir mal mit meinem neuen, geschärften Blick durchsehen.

Zu Hause angekommen blättere ich zunächst durch ein ganz typisches deutsches Frauenmagazin, von denen es so viele gibt, und die fast alle einen Frauennamen als Titel tragen – und werde ziemlich wütend: In den Modestrecken sieht man ausschließlich Frauen im Alter von unter 25 Jahren, während in einem Artikel die Schönheit einer bekannten älteren deutschen Schauspielerin gelobt wird. Wie toll sie in Würde altere. Mit einem großen Foto, auf dem diese Frau aussieht wie irgendwas zwischen dreißig und alterslos. Keine Falte im Gesicht, kein natürliches Kräuseln über der Oberlippe, keine Flecken an den Händen und der Hals einer Zwölfjährigen. Man kann nicht sagen, wie alt diese Frau ist, sie sieht einfach nur unnatürlich aus. Auf meinem Handy suche ich nach aktuellen Paparazzifotos von ihr – und siehe da: Man sieht dieser Frau eindeutig an, dass sie keine dreißig ist. Sie ist über sechzig, und sie ist wunderschön dabei. Trotz vieler Falten im Gesicht und am Hals denke ich mir bei ihrem Anblick: Ich möchte in dem Alter auch mal so aussehen. Ich möchte aber definitiv nicht wie die Frau auf dem Foto in der Zeitschrift aussehen.

Überhaupt: Photoshop in Zeitschriften. Alle Models haben samtene Haut, nicht einen einzigen Leberfleck, wo er nicht hingehört, haben schlanke Arme, einen straffen Hals, weiße Zähne und nirgendwo auch nur eine einzige Falte. Einige von ihnen wirken, als hätten sie einfach gar keine Poren auf der Haut. Alles Pfirsich.

Ein anderes Magazin bringt mich noch mehr zur Weißglut. Auf dem Cover die wunderschöne Ashley Graham, die Frau, die mit Größe 44 bereits das »Sports Illustrated«-Cover zierte, und deren Karriere als Plus-Size-Model derzeit durch die Decke schießt. Beim Kauf hatte ich mich noch gefreut: Kein Magermodel auf dem Cover! Und in riesigen Lettern »Ich glaub an mich« eine Geschichte über Graham angekündigt! Die Geschichte selbst ist drei Seiten lang, eine Seite davon ein Porträtfoto von Graham. Ihr ganzer Körper ist nur auf zwei kleinen Fotos erkennbar. Im Interview erklärt sie, dass auch ihr Weg ein steiniger gewesen sei und dass sie sich in ihrer Position als Role Model für so viele Frauen auf der ganzen Welt sehr wohlfühle. So weit, so schön. Diese drei Seiten hätte ich gerne mit fünfzehn gelesen und nicht erst mit fünfunddreißig, denke ich mir, und blättere weiter.

Mit jedem Umblättern werde ich jedoch wütender. Im gesamten restlichen Heft ist nicht ein einziges Model jenseits von Größe 36 zu finden. Nur schlanke Frauen mit Traumfigur, samtener Haut und keinem sichtbaren Makel. Nicht, dass ich ab jetzt nur noch dicke Frauen sehen möchte, aber abgesehen von Ashley Graham mit ihrem wunderschönen und perfekten Gesicht sehe ich keine Einzige. Apropos »wunderschön« und »perfekt«: Langsam dämmert mir, dass auch schlanke Frauen mit solchen Magazinen ein Problem haben müssen, da einfach keine Frau der Welt mit einer Haut ohne Poren auskommt. Aber Hauptsache die »Ich glaub an mich«-Message auf den Titel geben.

Was mich am meisten ärgert: Den MacherInnen des Magazins ist ihre mixed message wahrscheinlich nicht einmal bewusst. Sie geben Ashley Graham das Cover und halten sich wahrscheinlich ab jetzt für inklusiv. Na toll.

 

Nach diesen beiden Magazinen widme ich mich den Jugendblättern. Schließlich gibt es zahlreiche Beauty-Zeitschriften, deren Zielgruppe Zwölf- bis Achtzehnjährige sind. In denen kein einziges Gesicht unretuschiert ist und Schminktipps gegeben werden, die ich mit meinen 35 Jahren noch nicht kannte. Gleichzeitig wird betont, dass die »Boys« am häufigsten auf »natürliches Make-up« stehen – von gar keinem Make-up ist nie die Rede. In der »Bravo« kommen bei Weitem nicht mehr so viele Musiker wie zu meinen Teenagerzeiten vor, dafür eine Menge sogenannte Influencer von Instagram und YouTube, die meisten davon sehr jung, schlank und im Grunde nichts anderes als lebende Litfaßsäulen.

Klatschmagazine für Erwachsene sind keinen Deut besser. Unretuschierte Fotos gibt es nur in der »Wie kann sie nur«-Sektion. Oder auch gerne auf der »Auch Stars haben Cellulite!«-Seite. Fotos von Stars, auf denen Dellen am Hintern zu sehen sind, werden mit dem Beigeschmack »Hach, ätsch, ihr Leben ist doch nicht perfekt, sie haben genauso Orangenhaut wie wir« ausgekostet. Bei TV-Stars wie Daniela Katzenberger (die ist aber auch wirklich omnipräsent …) wird schon wieder minutiös dokumentiert, ob sie gerade wieder zugenommen oder doch ein paar Kilos verloren hat.

Das komplett Absurde: Cellulite-Fotos in Großaufnahme und mit großen »Skandal! Stars lassen sich gehen!«-Überschriften und im selben Magazin Geschichten mit dem Titel »Skandal! Stars lassen sich bis zur Unkenntlichkeit schönheitsoperieren!«. Dass da vielleicht ein Zusammenhang besteht, dass Stars vielleicht nicht ganz so scharf darauf sind, ihren eigenen Hintern in Großaufnahme mit Dellen und Furchen in der Zeitschrift zu sehen und den Fotografen daher die Möglichkeit zu solchen Makelfotos nicht mehr geben wollen, dieser Gedanke dürfte in den betreffenden Redaktionen noch nicht wirklich angekommen sein.

 

Ich habe spontan eine Idee: Ich hole einen Stift aus meiner Schreibtischschublade und kreise damit in einem der internationalen Magazine wie »Vogue« oder »InStyle« alle Bilder ein, die eindeutig im Nachhinein bearbeitet wurden, also auch von mir als blutiger Laiin in Sachen Grafik und Bildbearbeitung als bearbeitet erkennbar sind.

Ich komme auf sage und schreibe 126 Bilder! Der überwiegende Großteil sind Anzeigen für Modelabels, Parfums, Handtaschen. Doch auch redaktionell wurde eindeutig bearbeitet. 126-mal schaue ich in faltenfreie Pfirsichgesichter, eines davon gehört Sarah Jessica Parker, der Hauptdarstellerin von »Sex and the City«. Wieder so ein Fall von optischer Alterslosigkeit: Sie ist 51 – und absolut faltenfrei am gesamten Körper.

Auf einer Seite finde ich immerhin ein kleines Foto von Lena Dunham, Schauspielerin und Autorin der Serie »Girls«, die als Gegenkonzept zu »Sex and the City« gilt. Der Artikel, in dem das Foto auftaucht, stellt die Frage, warum Feminismus jetzt cool ist. Antwort von der Journalistin (nicht von Lena Dunham!): Weil Kerle drauf stehen …

Und wie in dem deutschen Magazin: Keine einzige Frau außer Lena Duham hat eine Kleidergröße jenseits der 36, keine scheint kleiner als einen Meter siebzig, keine ist älter als maximal 35 (oder – siehe Sarah Jessica Parker – auf den Bildern unter diese Altersgrenze verjüngt), keine hat sichtbare Makel wie etwa Schönheitsflecken, Falten oder Narben, geschweige denn eine auffällig breite Nase oder große Ohren.