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Hilfe! 34 Röcke – und nichts zum Anziehen? Ein fröhliches Plädoyer für Shopping-Enthaltsamkeit! Für viele wäre es wohl die Höchststrafe. Die junge Wienerin Nunu Kaller macht es freiwillig: ein Jahr Shoppingboykott, ein Jahr ohne neue Kleidung, ohne neue Schuhe, Schmuck oder Taschen. Aber ein Jahr voll neuer Styling-Ideen, mit Spaß am Selbermachen – und jeder Menge neuer Lebensenergie.Mit Witz und ohne moralischen Zeigefinger erzählt Nunu Kaller in »Ich kauf nix!« von den Höhen und Tiefen ihres Selbstversuchs: von Momenten der Versuchung im Schilderwald unserer Sale!-Schnäppchen!-Alles-muss-raus!-Kultur, vom Spaß auf Kleidertauschpartys und Kämpfen mit »Mount McWäscheberg«, von Lust und Frust mit Stricknadel und Nähmaschine. Und sie geht auf die Suche nach Alternativen zum sozialen und ökologischen Wahnsinn, der mit dem Shoppen beim Textilschweden und Co. verbunden ist. Am Ende des Jahres wird sie natürlich wieder shoppen – und zwar gerne. Aber bewusster und mit gutem Gewissen.
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Seitenzahl: 329
Veröffentlichungsjahr: 2013
Inhalt
TitelVorwort18. Dezember Der Mount McWäscheberg27. Dezember Urlaub29. Dezember Soll ich wirklich?30. Dezember Gleich morgen?2. Januar Einkaufspanik nicht erlaubt13. Januar Barcelona und die Mitarbeiterprozente14. Januar Final Countdown15. Januar Ein allerletztes Mal16. Januar Los geht’s19. Januar Feedback20. Januar Selbsttest, die Erste21. Januar Die Regeln22. Januar Ballaststoffe23. Januar The show must go on26. Januar Mount McSchmutzwäscheberge28. Januar SALE! Ausverkauf! Letzte Reduzierungen!30. Januar Das Strumpfhosendilemma1. Februar Da darf noch mehr nicht mehr gekauft werden3. Februar Ich habe das Rad nicht erfundenImmer noch 3. Februar Stunden später4. Februar Cross-kontinentale Bekanntschaften und sechs Teile5. Februar Sechs ist viel, eines ist wenig!10. Februar LisaMarieSimoneLenaSophie13. Februar Schwarz oder Dunkelblau?18. Februar Gib mir Stoff!21. Februar Stylebloggerinnen24. Februar Rrrraaatsch!25. Februar Die Nähbibeln28. Februar Saisonales Selbermachen1. März Rotz und Socken4. März Öffnungszeiten für Onlinestores!5. März Bist du besoffen?8. März Also doch nähen12. März –214,65 Euro15. März Ein Sommer wie damals17. März Zurück zum guten Stück20. März Alarm! Alarm! Alarm!21. März Fünfzehn Mal baden22. März Je länger, desto besser25. März Sew in Love26. März Der Rock31. März Bye-bye, Biff10. April Brüssel14. April Massentrend?16. April Leggings und sadistische Mütter17. April Gelegenheit macht Seidenkleid20. April Shirt für drei fuffzig23. April Code Blue (Jeans)1. Mai Stiefel. DIE Stiefel. Die will ich.7. Mai Die Selbstmord-Baumwolle8. Mai »Bessere« Baumwolle? Ernsthaft?12. Mai Hirn? Auf Pause!13. Mai Nicht mal Mama20. Mai Erinnerungsdiebstahl21. Mai Aufräumarbeiten2. Juni Bella Roma3. Juni Aber er darf17. Juni Was mach ich draus?18. Juni Kein Zaun, der ganze Garten20. Juni Wunschliste Fehlanzeige26. Juni Ein heißer Geburtstag29. Juni Überforderung1. Juli Fleece im Fisch2. Juli Ich borg sie dir!7. Juli Do it yourself – der Durchbruch16. Juli Halbzeit17. Juli Halbzeiturlaub20. Juli Moralapostel im Urlaub2. August Point of no return4. August Die tabubrechende Hose7. August Die tabubrechende Hose, Teil 29. August Die Verhütungshose10. August Nunu kauft Nunu19. August Daunenjacken bei 40 Grad und Bikinis im Schnee23. August Tauschparty, die zweite26. August Kleider mit Geschichte30. August Also doch!7. September Schnappatmung10. September Die Nunu-Konstante15. September Stricken – es ist eindeutig Liebe16. September Eine Sportverletzung27. September Im Vorhof zur Hölle2. Oktober Quelle horreur!13. Oktober Trotzgummibärchen17. Oktober Luxusproblem?19. Oktober Des einen Jacke, des anderen Haus?20. Oktober Wie Radfahren ohne Stützräder21. Oktober Glück und Pech, nahe beieinander25. Oktober Nicht nur ein Sündenbock1. November Und danach?3. November Beziehungsende4. November Stricken, Sucht und Stolz7. November Gift auf den Klamotten10. November Ich will das alles nicht mehr wissen12. November Sieben Mal17. November Der Mantel18. November Ich bin ansteckend!22. November Weg damit!25. November Skiunterwäsche2. Dezember Tauschen? Nö.7. Dezember Endlich Erleichterung8. Dezember Die Designerin in meinem schrägen Design12. Dezember Stopp mit den Entschuldigungen!15. Dezember Frohe Kaufnachten!17. Dezember Die Schenkerei23. Dezember O du Fröhliche!24. Dezember Geschenkte Zeit15. Januar Stolz und traurig zugleich16. Januar Glücklich!Nachwort: Wie ging es weiter?Die Kauf(nix)-RegelnFaktenBuchtippsDanksagungBuchAutorLesetippsImpressumDies ist ein Buch über ein Jahr, das mein Leben verändert hat.
Na ja, eigentlich hat mein Leben sich im Jahr zuvor verändert: Meine Familie wurde von ziemlich vielen Schicksalsschlägen gebeutelt, und es dauerte Monate, bis wir alle wieder das Gefühl von Boden unter den Füßen hatten. In dieser Zeit ohne Boden, wie ich sie inzwischen nenne, manifestierte sich bei mir ein veritabler Konsum-Knall. Anstatt darüber nachzudenken, wann und wie meine Mutter, mein Bruder und wir alle wieder etwas leben konnten, das wenigstens ansatzweise an Normalität erinnerte, dachte ich viel lieber darüber nach, wie dieses magentafarbene Jerseyoberteil wohl zu meinem violetten Baumwollkleid passen würde. Und welche Stiefel ich dann dazu anziehen sollte. Oder ob ich mir eine Leinenhose in Grau bestellen sollte oder doch lieber in Grün.
Kleidung gekauft habe ich seit meinen Teenagertagen gerne, modisches Interesse war bereits seit meiner Kindheit da – und mit rosa Sachen konnte mich meine Mutter damals schon jagen. In der Zeit ohne Boden war diese Einkaufsleidenschaft jedoch kurz davor, außer Kontrolle zu geraten. Das spürte ich vor allem an meinem Konto – und an den Reaktionen meines Liebsten, der irgendwann nicht mehr so begeistert von meinen Neuerwerbungen war, wie man das von einem Liebsten erwartet. Man erwartet nämlich auf ein »Schau mal, neu!« ein »Passt dir gut, schön, gefällt mir!« und im Optimalfall ein »Sehr schön, aber kannst du das bitte wieder ausziehen? Jetzt? Sofort? Und ins Schlafzimmer kommen?«. Das kam jedoch nach einiger Zeit alles nicht mehr.
Es ging sogar so weit, dass ich die Sachen vor Flo, meinem Liebsten, versteckte. Ich brachte sie nach Hause, legte sie in den Kleiderschrank und zog sie erst ein paar Tage oder Wochen später an. Warum? Damit ich ihm sagen konnte: »Hab ich schon lang, wieso?«, falls er fragen würde. Lange später, während meiner Shoppingdiät, klärte er mich darüber auf, wie grottenschlecht meine Versteckmethode gewesen war: Er wusste, dass ich mir dauernd neue Sachen kaufte – weil die Menge der Einkaufstüten, die wir in der Küche sammeln, immer mehr geworden war. Weil er aber auch wusste, dass ich gerade eine harte Zeit durchmachte, sagte er nie etwas dazu. Toller Mann. Meistens.
Apropos »Shoppingdiät«: Um sicherzugehen, dass ich während meines Boykotts nicht schwach werde, begann ich zu bloggen. Dieser Blog (ichkaufnix.wordpress.com) war als Ventil für meine Gedanken, aber auch als Selbstkontrollinstrument gedacht. Vor einer anonymen Masse zugeben zu müssen, dass man sich ein neues Kleidungsstück gekauft hat, war einfach eine zusätzliche Hürde. Ich wollte mich nicht blamieren, weder vor mir selbst noch vor anderen.
Ein paar Kilometer weiter westlich von Wien, im schönen München, hatte Katrin übrigens zur gleichen Zeit die gleiche Idee. Auch sie bloggte über ihre einjährige Shoppingauszeit. Und sie nannte es »Shoppingdiät«. Weil ich seit jeher kein großer Fan von Diäten bin und es Phasen gibt, in denen bereits das Wort schlechte Laune und aufgeringelte Zehennägel bei mir verursacht, beschloss ich während meines Jahres, das Projekt anders zu benennen. Mal war es Shoppingabstinenz, mal Shoppingauszeit, mal Shoppingboykott. Aber um ehrlich zu sein: Es war eine Diät. Ich habe quasi viel Konsum »abgenommen«. Und während dieses Buch entstand, wurde auch mir klar: »Shoppingdiät« ist einfach das passende Wort. Und ich danke Katrin aus ganzem Herzen dafür, dass ich es in diesem Buch ebenfalls beanspruchen darf. Überhaupt danke ich Katrin sehr, unsere Gespräche und gegenseitigen Motivationen haben das Jahr ohne Kleiderkonsum sehr bereichert.
Doch am allermeisten danke ich meiner Familie, dem Liebsten und meinen Freunden – dafür, dass wir alle immer zusammenhalten und dass wir es gemeinsam geschafft haben, dass doch alles wieder irgendwie gut ist. In diesem Sinne: Mama und Denisa, dieses Buch ist euch beiden gewidmet.
18.
Dezember
Der Mount McWäscheberg
»Holde, hättest du vielleicht die Güte, beizeiten mal wieder deinen Mount McWäscheberg im Schlafzimmer abzubauen?«
Na toll. Da sitzt man einmal gemütlich auf dem Sofa und will sich die TV-Serie in Ruhe zu Ende ansehen, und der Liebste raunzt. Gut, genau genommen sitzt man den dritten Abend in Folge auf dem Sofa und glotzt, weil man dieser Serie komplett verfallen ist und es vor Spannung kaum noch aushält, ob Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin sich kriegen – sie tun es, immer – und ob sie dann gemeinsam die Welt retten – auch das tun sie, immer. Und überhaupt, wieso stört den Liebsten denn mein aufgetürmtes Wäschechaos? Liegt doch eh alles auf einem Haufen und nicht quer durchs ganze Zimmer verteilt! Was hat er denn? Er war es doch schließlich, der meine Wäscheberge liebevoll Mount McWäscheberg getauft hat. Dass der Haufen inzwischen in etwa einen halben Kubikmeter Zimmer einnimmt, tut hier jetzt gar nichts zur Sache. Und außerdem hab ich einfach keine Lust auf Aufräumen. Die hab ich sowieso selten.
»Muss ich? Ist aber grad so spannend …«, raunze ich zurück.
»Du hast mir versprochen, dass du immer dann aufräumst, wenn ich nicht mehr an mein Zeug komme. Und da der Berg diesmal vor und nicht auf der Kommode liegt, haben wir beide jetzt ein Problem«, sagt der Liebste trocken. Ich hasse es, wenn er diesen Ton draufhat.
Ich gebe es ja zu, ich bin in Sachen Kleidung keine Ordentliche. Nie gewesen. Kleidung wird angezogen, getragen, genau an einem Ort ausgezogen und fallen gelassen. Dort landet sie auf dem Boden und gut ist. Ein Verhalten, das nicht nur früher schon meine Mutter, sondern nun auch Flo in den Wahnsinn treibt. Alle zwei Wochen in etwa wird der Berg dann abgebaut und verräumt. Zu meiner Verteidigung: Soooo schlimm bin ich nun wirklich nicht. Ich habe nur das zweifelhafte Glück, dass Flo, der wirklich in vielen Bereichen der wunderbarste Partner der Welt ist, über einen übermäßig ausgeprägten Ordnungssinn verfügt. So mit Zettel am Schreibtisch parallel zur Kante anordnen und Töpfe am liebsten schon während des Kochens abwaschen wollen.
Dennoch. Er hat ja recht, ich muss es zugeben. Der Mount McWäscheberg hat dieses Mal sogar für meine Verhältnisse verdammt hohe Ausmaße angenommen. Irgendwie ist er in letzter Zeit sogar zum Dauerzustand geworden. Ich war wohl etwas zu oft einkaufen, denke ich insgeheim, als ich die Fleecejacken aus dem Berg herausziehe und in den Kleiderschrank hänge. Wann war ich eigentlich das letzte Mal beim Textilschweden?, überlege ich, während ich den Berg an Kleidung verkleinere. Der Textilschwede ist einfach meine liebste Textilkette – immer neue Sachen, immer topmodern und immer strunzbillig.
Lang ist das nicht her. Zwei Wochen oder so. Was habe ich da eigentlich gekauft? Ah ja, genau, diesen Rock für fünf Euro. Wo ist der eigentlich? Der ist sicher irgendwo in dem Stapel vergraben. Den hatte ich erst einmal an. Könnte ich mal wieder tragen. Da liegt ja auch das rote Langarmshirt, sehr lässig, das passt sogar zu dem neuen Rock! Das hab ich auch erst seit ein paar Wochen, das Teil. Hab ich das überhaupt schon mal gewaschen? Ich muss mir endlich angewöhnen, meine Kleidung vorm ersten Tragen zu waschen. Oh, hallo Jeansjacke, lange nicht gesehen!
Langsam wird der Stapel kleiner – und dieses ungute Gefühl im Bauch stärker. Ich habe viel zu viel anzuziehen, ich gehe viel zu oft shoppen. Das kann ich wirklich nicht mehr leugnen. Der Liebste, treffsicher wie eh und je, sticht im Vorbeigehen haargenau in die offene Wunde: »Sag mal, das passt ja gar nicht mehr alles in den Kleiderschrank, wenn ich mir das so anschaue …«
Danke auch. Seh ich selbst. Grumpf.
Flo lässt mich wieder allein mit meinen Kleiderbergen. Ich verliere die Geduld und stopfe die restlichen Sachen mit Schwung in das mittlere Schrankregal und versuche, das Geräusch der nachgebenden Rückwand zu ignorieren. Verdammt, ich hab keinen Überblick mehr. Von diesen Fünfeuroröcken hab ich inzwischen drei Stück, und dass ich das rote Langarmshirt innerhalb weniger Wochen vergessen habe, ist mir wirklich peinlich.
Eigentlich ist mir das Shirt selbst peinlich, und der ockerfarbene Cordrock, den ich dazu gekauft habe, ebenso (wo ist der überhaupt?). Das war nämlich so: Mein Kleiderschrank gibt stilistisch viel her, aber wenn etwas darin nicht vorhanden ist, sind es edle Teile. Edel ist nicht bei mir. Ich hab’s gern gemütlich, aber doch modern, leger, bunt und feminin. Diese bunte Mode aus Spanien, die gerade so in ist, die ist genau meins. Wenn die Teile nur nicht so teuer wären! Aber edel? Nö, edel gefällt mir nicht.
Doch leider musste vor Kurzem genau so ein edles Teil her. Ich war nämlich auf eine wirklich noble Hochzeit eingeladen. Eine Freundin meiner Mutter hat geheiratet, so richtig fesch in der Innenstadt, gefeiert wurde in einer 300-Quadratmeter-Dachterrassenwohnung am Graben, Wiens innerstem Innenstadtplatz. Und obwohl ich Kleider in jeder Farbe des Regenbogens (nur jede Farbe etwas dunkler schattiert) besitze, erschien mir kein Kleid edel genug für diesen Anlass. Also zog ich vor ein paar Wochen nach der Arbeit los, auf der Suche nach Edelgarderobe.
Das erwünschte Kleid fand ich nicht. Aber dieser Cordrock, der war im Ausverkauf! Und genau der hatte mir an einer Bekannten sooo gut gefallen. Nur dass der Rock der Bekannten wunderschön weinrot war und nicht so langweilig ockerfarben. Egal, der Rock musste trotzdem sein, war ja schließlich im Ausverkauf und auf fünfzehn Euro heruntergesetzt. Sicherheitshalber eben ein weinrotes Shirt dazu. Schon beim Nachhausekommen war mir klar: Das ist keine meiner Bestleistungen gewesen. Auf der Hochzeit habe ich übrigens mein Lieblingskleid aus Australien getragen und wie erwartet einen Haufen Komplimente kassiert (das ist aber auch lässig, das Kleid, keine Frage).
Doch es ist ja nicht erst seit dieser Hochzeit so, das muss ich mir eingestehen. Shopping ist einfach ein wunderbares Hobby, das einen den Stress des Alltags in null Komma nix vergessen lässt, weil man einfach nur noch darüber nachdenkt, wie wohl dieses Kleid da an der Stange beim Textilschweden in Kombination mit den roten Stiefeln zu Hause aussehen würde. Shopping macht glücklich, es gibt einen Kick. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich nach richtig miesen Tagen im Büro mit einem neuen Paar Schuhe oder einem neuen Pullover nach Hause gekommen bin. Aber auch wenn es richtig gut läuft, geh ich shoppen. Ich muss mich schließlich belohnen, oder? Und was sind schon fünf Euro für einen Rock oder zehn Euro für einen Pullover? Da gebe ich mehr aus, wenn ich am Abend mit Freunden was trinken gehe.
Nur blöderweise habe ich mir im vergangenen Jahr verdammt oft den Shopping-Kick gegeben. So oft, dass der Kick – ganz wie bei einem klassischen Junkie auf Droge – inzwischen nur noch sehr kurz anhält. Meistens denke ich schon an mögliche nächste Einkäufe, während ich ein neues Stück zu Hause gerade mal erst auspacke. Dieses Jahr habe ich es mit dem Shoppen wirklich übertrieben. Ich hatte ja auch genügend Gelegenheiten, wirklich lauter gute und schlechte Tage im Büro! Aber jetzt mal ernsthaft: Mein Leben war dieses Jahr alles andere als voller Sonnenschein, das Schicksal hatte sich in meiner Familie ordentlich ausgetobt. Doch inzwischen geht es mir wieder gut. Die familiären Katastrophen haben sich halbwegs beruhigt, ich habe seit einem halben Jahr einen neuen Job mit weitaus mehr guten als schlechten Tagen, und der Liebste ist wundersamerweise trotz all der Krisen im vergangenen Jahr immer noch der Liebste.
Doch nicht nur das Shoppen selbst macht halt so viel Spaß, bisher hab ich es auch immer sehr lässig gefunden, so viel Auswahl zu haben. Das ist wohl ein Kindheitstrauma, als all meine Kleidung in ein Regalfach passte und ich meine Mama oft wochenlang belagern musste, weil ich unbedingt und jetzt und sofort eine neue Markenjeans haben wollte. Aber damals gab es ja auch den Textilschweden noch nicht …
Jedenfalls ist es einfach schön, in der Früh unter der Dusche zu stehen und zu überlegen, worauf man heute denn Lust hat – und dann genau das auch wirklich anziehen zu können.
Halleluja, endlich, der Berg ist abgebaut und verräumt. Fast eine Stunde habe ich gebraucht. Mein Name ist Nunu, und ich habe ein Problem. Ich kaufe zu oft neue Kleidung. Und die ganzen vorweihnachtlichen Sonderangebote, die da gerade in den Auslagen hängen, machen diese Erkenntnis auch nicht unbedingt besser.
27.
Dezember
Urlaub
Urlaub, endlich Urlaub. Seit Wochen freu ich mich darauf. Flo und ich zwei Wochen auf Teneriffa: angenehme zwanzig bis fünfundzwanzig Grad anstelle der dunkelgrauen Minusgrade, die seit Wochen über Wien hängen, rauf auf den Vulkan Teide, mitten im Winter im Meer baden, die Insel mit einem Mietauto erkunden und jeden Tag frischen Fisch und die typisch kanarischen Kartoffeln essen, von denen mir Flo seit Jahren vorschwärmt.
Nur jetzt gerade, in diesem Moment am Vorabend des Abflugs, ist die Freude grad gar nicht so groß. Sosehr ich Urlaub liebe, so sehr hasse ich das Kofferpacken. Der Liebste braucht dafür eine halbe Stunde, ich einen halben Tag. Und während meine Reisetasche meist kaum zugeht, hat er bei sich im Koffer sogar noch Platz – es ist mir ein Rätsel. Während ich versuche, meine diversen Stapel an Shirts, Röcken und Sommerhosen zu reduzieren, um eine realistische Chance auf das Verschließen der Tasche zu haben, schickt meine Freundin Gina eine SMS: »Rote Unterwäsche nicht vergessen! In Spanien trägt man zu Silvester als Glücksbringer rote Unterwäsche. Und du hast dieses Jahr so viel Pech gehabt, du darfst jetzt echt nix riskieren, also hopphopp, einpacken, hast du sicher, oder?« Aus dem roten Unterwäscheset, das ich besitze, bin ich vor gefühlten fünf Jahren herausgewachsen. Ich besitze Unterwäsche in Weiß, Schwarz, Bunt, Gestreift, Türkis, Orange, Violett, Gemustert, mit Spitze und ohne, aber keine rote, die mir passt.
Also los, rote Unterwäsche kaufen.
Wohin? Eh klar, ab zum Textilschweden.
Etwa 45 Minuten später sitze ich schon wieder in der U-Bahn heimwärts. Ja, ich habe rote Unterwäsche gefunden. Aber auch ein schwarzes Top für nur zwei Euro (!!), eine grüne Hose für fünfzehn Euro, schnell mal ohne Anprobieren gekauft, und eine unglaublich lässige rostrote Bluse. Diese Bluse ist perfekt für Teneriffa, das weiß ich jetzt schon! Dieser Ausverkaufswahnsinn, der jedes Jahr kurz nach Weihnachten losgeht, kommt mir gerade sehr entgegen – ich habe insgesamt genau 48 Euro ausgegeben. Woanders hätte ich dafür nicht einmal einen roten BH bekommen! Erfolg!
Die Reisetasche geht immer noch nicht zu. Wie immer muss Flo ein Paar Schuhe von mir bei sich im Koffer einpacken. Wie immer macht er das nur höchst widerwillig. Und wie immer geht die Diskussion los, wofür ich so viel Zeug im Urlaub brauche. Wofür ich überhaupt so himmelschreiend viel zum Anziehen brauche. Ob ich mir schon mal überlegt hätte, wie viel das kostet, insgesamt. Wie sehr ihn mein Chaos rund um den Kleiderschrank nerve. Wie inkonsequent ich sei. Und wie immer denke ich, er hat ja wirklich keine Ahnung, der Liebste.
Zu seiner Verteidigung: So vortrefflich an mir herumkritisieren kann er wirklich nur beim leidigen Shopping-Thema. Und vielleicht auch beim Aus-dem-Teller-des-anderen-Kosten, aber das ist eine andere Geschichte.
Doch diesmal ist es schlimmer als sonst, wir streiten richtig heftig. So sehr, dass wir auf dem Weg zum Flughafen und beim Einchecken nur das Nötigste besprechen. Während dieser Schweigeminuten keimt in mir ein Gedanke. Ja, ich bin nicht konsequent, da hat er recht. Und dass ich zu viel Kleidung besitze, da könnte er eventuell, unter Umständen, wenn man es aus einer gewissen Perspektive betrachtet, auch recht haben.
Ob ich die Ausgaben der letzten paar Monate mal zusammenrechnen soll? Ich verwerfe den Gedanken schnell wieder: Ich weiß, dass es viel ist – und das mit dem Masochismus, das ist so gar nicht meins. Ist sowieso weg, das Geld, wozu noch drüber nachdenken? Überhaupt, die Geldausgeberei, die nervt ja nicht nur den Liebsten. Ich verdiene nicht genug, um mir regelmäßig solche Einkaufsräusche zu leisten – und leiste sie mir trotzdem. Ich weiß, dass das dumm ist. Aber irgendwie geht es sich dann doch am Ende des Monats immer wieder aus.
Dann ist er plötzlich da, der Gedanke. Ein Jahr lang keine neue Kleidung kaufen. Wenn ich das schaffe, dann beweise ich einerseits meine Konsequenz, andererseits gewinne ich vielleicht die Möglichkeit, wieder für Überblick im Kleiderschrank zu sorgen.
Wirklich?
Ein Jahr keine neue Kleidung kaufen?
Interessanterweise schreckt mich der Gedanke gar nicht ab. Im Gegenteil, er klingt regelrecht erleichternd. Dass ich schon längst nicht mehr einkaufe, weil ich neue Sachen brauche, das hat mein Bauch schon vor einer Weile überrissen. Doch jetzt, in diesem Moment im Flugzeug, kommt es auch im Kopf an: Nunu, du hast ein Problem. Du bist ein Shopaholic. Und du musst auf Entzug. Dringend.
Aber da wäre noch diese eine Sache, die dieser Idee ganz gewaltig im Weg steht: meine seit Anbeginn meiner Tage nur in Krümeln existierende Konsequenz. Wenn ich etwas durchsetzen will, dann muss es möglichst jetzt, sofort sein. Langfristigere Planungen und Zielsetzungen sind ganz und gar nicht meins, mein Zeithorizont bewegt sich normalerweise bis zum nächsten Wochenende, dem nächsten Urlaub oder dem nächsten Gehaltsscheck. Ein ganzes Jahr durchhalten, ohne schwach werden? Puh! Die Zweifel sind plötzlich doch groß, aber ganz tief in mir drin nagt sie sich gerade den Weg frei, die Überzeugung, dass ich das schaffen kann.
Wie praktisch, dass in wenigen Tagen Silvester ist! Eigentlich könnte ich doch gleich den klassischen Vorsatz fürs neue Jahr beschließen. Doch auch dieser Teil des Plans hat einen Haken: An unseren Teneriffa-Urlaub hängen wir noch ein Wochenende in Barcelona an. Praktischerweise wohnt ein guter Freund seit vielen Jahren dort, und seine Frau arbeitet bei einem riesigen Textilkonzern. Stichwort Mitarbeiterprozente und so.
29.
Dezember
Soll ich wirklich?
Ich zögere noch zwei Tage, Flo von meiner Idee zu erzählen – auch wenn wir uns seit dem ersten gemeinsamen Anblick des Meeres wieder richtig lieb haben. Ich habe nicht etwa Angst, er würde mich auslachen oder nicht an mich glauben oder die Idee für blöd halten oder gegen mich wetten oder, oder, oder. Ich habe Angst, dass er zu begeistert sein würde und anfangen würde, mir Druck zu machen, damit ich sofort, jetzt, gleich damit beginne.
Er reagiert für mich überraschend. Nach seinem vernachlässigenswerten ersten Kommentar – »Na, das schau ich mir an, du und keine neuen Fetzen!« – sagt er, nachdem er sich ganz brav von selbst das Grinsen aus dem Gesicht gewischt hat: »Klingt gut und würde deinem Konto auch guttun. Aber wenn, dann mach doch noch was draus. Ein Jahr lang nix kaufen, das ist echt keine Herausforderung.«
Ja, da hat er recht. Ein Jahr lang kein Kauf von neuer Kleidung, das könnte zufällig vorkommen. Manchen Menschen passiert das sogar regelmäßig. Auf der anderen Seite: mir eben nicht. Für mich ist es eine echte Herausforderung.
»Nein, ich meine damit, dann informier dich doch«, erklärt er weiter: »Du arbeitest jetzt seit einem halben Jahr bei einer Umweltschutzorganisation. Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie deine ganzen Fetzen produziert werden? Man kriegt doch immer wieder mit, dass das eine ziemliche Sauerei sein soll.«
Das sitzt. Ja, auch da hat er recht. Ich weiß natürlich, dass es beim Baumwollanbau zu einem ziemlich gewaltigen Wasserverbrauch kommt, und dass es in den Fabriken, wo die Kleidung genäht wird, nicht menschenwürdig zugeht. Aber wenn ich in einem Laden stehe, denke ich nur an die Dinge, die ich da kaufen kann, und wie sie wohl zu meinen zu Hause bereits vorhandenen Sachen passen könnten. Wenn ich überhaupt »denke«. Manchmal gebe ich mein Hirn gleich beim Eingang ab und verfalle in eine Art Kaufrausch – ein Gefühl, das jede Frau nachvollziehen können wird, die schon einmal in einem perfekten Schuhgeschäft gestanden hat, wo obendrein Ausverkauf war. In diesen Situationen darüber nachzudenken, wer wohl zur Herstellung dieser Schuhe beigetragen hat und ob sie unter menschenwürdigen Situationen entstanden sind – ist nicht. War bisher nicht. Der Liebste – selbst in Modesachen relativ trendresistent – sieht das anders. Für solche Inputs mag ich ihn sehr. Er ist halt einfach doch der Allerliebste.
30.
Dezember
Gleich morgen?
»Was ist? Übermorgen ist Silvester, kannst ja gleich anfangen, oder?«
Also doch, Flo macht Druck. War ja klar.
»Hast du vergessen, dass wir noch zu Christoph und Maria nach Barcelona fliegen? Und dass diese bunte Mode, die ich so mag, aus Barcelona kommt?« Christoph ist der gute Freund aus Wien, der in Spanien seine Traumfrau gefunden hat, in Barcelona mit ihr lebt und praktischerweise ein Gästebett hat.
»Na komm, wenn schon, denn schon. Und ich überleg mir auch etwas, auf das ich für ein Jahr verzichte, okay? Ein Jahr nix shoppen ist für mich jetzt aber keine große Herausforderung, fällt dir was anderes ein?« Flos Grinsen geht von einem Ohr zum anderen.
Der wirkt ja ziemlich siegessicher, der Gute. Glaubt, dass mir nichts einfällt, das für ihn ähnlich schlimm ist wie eine Shoppingdiät für mich. Noch dazu weiß er, dass er ein sehr konsequenter Mensch ist, dem auch Verzichten nicht schwerfällt. Na warte, mein Lieber. Du wirst noch Augen machen. Von dem hohen Ross hole ich dich schon noch runter.
»Wie wär’s, wenn du für ein Jahr lang keine Gummibärchen isst?«, frage ich mit zuckersüßem Blick. So zuckersüß, wie seine heiß geliebten kleinen Bärchen schmecken.
Binnen Sekunden entgleiten Flo die Gesichtszüge. Obwohl er im Gegensatz zu meinen doch eher wohlgeformten Rundungen sehr schmal und schlank ist, ist er regelrecht süchtig nach Gummibärchen. Macht er sich eine Tüte davon auf, ist sie ungelogen innerhalb von fünf Minuten leer gegessen. Nur »ein paar« Gummibärchen zu essen ist ein Konzept, das er nicht kennt. Es ist immer gleich die ganze Packung leer.
Also: ein Jahr lang keine Gummibärchen. Ein paar Sekunden zögert er, Sekunden, in denen ihm die Panik ins Gesicht geschrieben steht. Doch dann willigt er ein. »Ja, das ist definitiv genauso hart wie kein Shopping für dich, das seh ich ein«, seufzt er – und ich bin glücklich über meinen tollen, solidarischen Freund.
Während er sich sichtbar an den Gedanken gewöhnt, schon bald seine Lieblingssüßwaren nicht mehr essen zu dürfen, sprudele ich los: »Wenn wir wieder in Wien sind, informiere ich mich, wo meine Kleidung herkommt – genau die Marken, die ich am meisten habe, schau ich mir an! Außerdem werde ich mir selbst einen Pullover stricken und einen Rock nähen, ja genau, das mach ich! Und ausmisten will ich. Überhaupt will ich wissen, wie viel Kleidung ich eigentlich besitze, ich werde zu Hause alles durchzählen«, ich bin kaum noch zu bremsen, »aber all das beginnt ab Urlaubsende, okay? In Barcelona will ich unbedingt noch mal shoppen gehen …«
2.
Januar
Einkaufspanik nicht erlaubt
Teneriffa hat einen unglaublichen Vorteil, stelle ich fest. Rein shoppingtechnisch kann ich es dort vergessen. Jeden Abend schlendern wir vom Hotel runter in die Altstadt und entscheiden uns für ein anderes Restaurant. Die Geschäfte haben teilweise bis weit nach unserem von zu Hause gewohnten Ladenschluss geöffnet. Flo ist sogar richtig gönnerhaft unterwegs und fragt bei jedem kleinsten Seitenblick meinerseits in Richtung einer Auslage, ob ich nicht hineinschauen wolle. Ich habe ihn schwer im Verdacht, dass er sich jetzt noch mal von seiner geduldigen Seite zeigen will, bevor das shoppingfreie Jahr losgeht. Er scheint sich darauf zu freuen, dass genau dieses Nunu-beim-Shopping-Begleiten bald für ein Jahr vorbei sein wird. Doch offen gestanden: Ich habe weder Lust auf Rentnerinnen- noch auf Wanderermode. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es dann noch eine Menge klassischer Touristenfallen mit gefälschten Parfums (mein Favorit: »Hugo Boos«), billigen Plastikschuhen und Haarschmuck, mit dem man wahrscheinlich aufgrund akuter Brandgefahr einer Kerze nicht mal auf zwei Meter nahekommen darf. Lediglich ein einziger Shop bietet recht feine Teile an – doch als wir den erreichen, ist die Geduld meines Liebsten nach mehreren durchschlenderten Läden wieder dahin und mein Zeitkontingent aufgebraucht. Macht nix. Meine Tasche geht ja eh kaum zu, und in wenigen Tagen steht Barcelona an.
Schon wochenlang bin ich drauf eingestellt: Barcelona! Shopping! Bunte Kleider und Mäntel! Juhu!!! Das jetzt auszulassen, wäre mir eindeutig zu heftig, zu sehr fiebere ich bereits den großen bunten Läden auf der La Rambla und den kleinen entzückenden Läden im Barri Gòtic entgegen. Ob die bunten Patchworkmuster-Kleider, die gerade in ganz Europa immer beliebter werden, in ihrem Heimatland billiger sind? Vorfreude, Vorfreude!
13.
Januar
Barcelona und die Mitarbeiterprozente
»Und, wann magst du mit Maria einkaufen gehen?«, fragt Christoph. Maria arbeitet bei einem der größten Textilunternehmen Spaniens, das seine Zentrale außerhalb von Barcelona hat.
14.
Januar
Final Countdown
Samstag, 12 Uhr, Barcelona. Die Frisur hält. Gestern noch das klassische Touristenprogramm heruntergespult, ist heute Shopping angesagt. In fast feierlicher Stimmung betrete ich das riesige Geschäft der Textilkette mit den bunten Sachen. Schlechtes Licht gibt es, und ein bisschen laut ist es, aber die Sachen sind schön! Nur leider ist kein Stück so schön, dass ich es wirklich mitnehmen will – irgendwie bin ich überfordert von dieser Masse an grell gemusterten Kleidern und Mänteln.
Ich bin enttäuscht. Da habe ich nur noch heute die Gelegenheit, und dann finde ich nix? Was ist denn das für ein grausames Spiel des Schicksals? Der Liebste schmeißt nach ein paar Stunden die Nerven weg und beschließt, mich für eine Stunde alleine weitershoppen zu lassen. Haha, ich hab noch nicht ein Teil gefunden, was heißt da »weitershoppen«, bitte?
Fast schon trotzig kaufe ich ein paar Straßen weiter in einer Filiale einer Textilkette, die es auch in Wien gibt, ein türkisfarbenes Pulloverkleid – und freue mich, obwohl es nur ein Trotzkauf ist. Endlich eine Plastiktüte in meiner Hand.
»Na, was hast du gefunden?«, begrüßt mich ein wieder entspannter Flo.
»Ein Kleid, in Türkis!«, antworte ich wahrheitsgemäß.
»Na ganz was Neues, türkis! Hast ja so wenige Sachen in Türkis!«, lacht er.
Ja, okay, der Vorwurf von Freunden, ich sei in Sachen Türkis wie eine Elster, könnte ein Körnchen Wahrheit beinhalten. Die Farbe Türkis und ich, wir sind halt einfach beste Freundinnen. Aber dieses dunkle Türkis, das fast schon ins Petrolfarbene geht, nicht dieser Pastellscheiß. Seit Jahren zieht mich diese Farbe magisch an. Und glücklicherweise ist diese Liebesbeziehung gegenseitig – Türkis steht mir einfach. A match made in heaven.
Dass es mein zweites Pulloverkleid innerhalb kürzester Zeit ist, den Gedanken schiebe ich schnell beiseite. Das andere, das zu Hause im Schrank liegt (oder doch auf dem Mount McWäscheberg?), ist eh grau, gaaaaanz anders also.
Doch der Höhepunkt meines letzten Shoppingtages steht noch bevor: mit Maria in einer Filiale »ihrer« Textilkette einkaufen gehen. Etwa zwei Stunden vor Ladenschluss treffen wir uns und ziehen los. In der engen Umkleidekabine, die sogar jetzt im Winter nach einem recht uncharmanten Mix aus mindestens drei verschiedenen Schweißausbrüchen von Mädels riecht, die trotz Kampf gegen den Hosenknopf nicht in Größe Hungerhaken reinpassen, passe ich nicht mal in Größe Wohlgenährt. Was ich eigentlich schon vorher hätte wissen können – Hüfthosen passen nie, ich wiederhole, NIE in einer Größe, die einem sogar sonst nur mit viel Glück passt. Ich pelle die senfgelbe Knackwurst wieder an meinen Beinen runter und probiere eine blaue Strickweste an. Die passt wenigstens. Ansonsten sind meine Funde eher mager. Ganz im Gegensatz zu denen von Flo, der stolz mit einer neuen Jacke und ein paar T-Shirts an der Kasse auf Maria und mich wartet. Na ja, wenigstens nix Überflüssiges gekauft, das ich sowieso nicht brauche, sondern nur kaufen würde, weil ich’s über Maria billiger bekomme. Wobei, den bunten Schal, der da neben der Kasse hängt, den nehme ich doch noch mit. Man weiß ja nie.
Das Überflüssige erledige ich dann beim Textilschweden, wo ich mir mein viertes oder fünftes schwarz-weiß geringeltes Shirt kaufe.
Wirklich gut fühle ich mich nicht, als ich mit den neuen Sachen bei Maria und Christoph versuche, meine Tasche zu schließen (und bete, dass die Reißverschlüsse halten). Ich kann nur nicht einsortieren, ob es sich blöd anfühlt, weil ich genau weiß: »Das war es jetzt, liebe Nunu«, oder ob es sich blöd anfühlt, weil ich im Grunde noch genauer weiß: »Nix von dem neuen Zeugs brauchst du, liebe Nunu.«
Das war es jetzt also wirklich. Der letzte Abend unseres Urlaubs. Alle Geschäfte sind zu, morgen geht mein shoppingfreies Jahr los. Ich entspanne mich wieder bei dem grandiosen spanischen Rotwein und unterhalte mich mit Maria. Sie hat schließlich Insiderwissen in Sachen Textilproduktion. Neugierig höre ich ihr zu, wie ihre Geschichten immer absurder werden. Ich habe noch nicht einmal angefangen, mich damit zu beschäftigen, wo meine Kleidung genau herkommt, und schon jetzt hängt mir die Kinnlade bei Fuß. Die mit Abstand beste Geschichte, die Maria erzählt:
Ihre Firma lässt ihre Entwürfe unter anderem in China nähen, so wie viele andere große Konzerne. Dort werden die Teile dann abgepackt und Richtung Hauptquartier verschifft. Dort werden sie ausgepackt, umgepackt, neu zusammengestellt und landen wieder auf dem Schiff. Da es auch in China Filialen dieses Textilriesen gibt, werden manche Teile auch wieder zurück nach China geschickt. Sie sind dann quasi einmal um die ganze Erde herumgereist. Übrigens: Auch Transport per Schiff ist umweltschädigend, und zwar nicht gerade wenig. Sagt zumindest mein Kollege immer. Maria holt zur Pointe aus: »Und dann? Bleibt die Kleidung aufgrund mangelhafter Qualität im chinesischen Zoll hängen.«
Unfassbar. Dass das nur der Gipfel eines riesigen Eisberges ist, werde ich in einigen Wochen feststellen. Doch schon allein diese Info reicht mir, um meine neue Weste mit kritischen Augen zu begutachten. Wo kommst du wohl her, du schönes Wollstrickstück? Woher kommt die Wolle, wo wurde sie gefärbt? Welche Maschine hat dich gestrickt und wer hat dich dann zusammengenäht? Und das, was für dich gilt, gilt das für alle anderen Stücke in meinem Kleiderschrank auch?
An diesem Abend kann ich lange nicht einschlafen.
15.
Januar
Ein allerletztes Mal
Doch der wirkliche Tiefschlag ereilt mich am nächsten Tag am Flughafen. Da Flo und ich uns die Neurose teilen, einen Flug verpassen zu können, sind wir mal wieder um Stunden zu früh am Flughafen und haben unser Gepäck bereits eingecheckt. In meiner Naivität denke ich, dass sonntags auch am Flughafen nur die »nötigsten« Geschäfte – also die Souvenirläden – offen haben. Weit gefehlt – jeder einzelne Laden ist geöffnet. Oh verdammt, es gibt auch eine Filiale mit dieser bunten Patchworkmode. Ich merke, wie mein Herz schneller klopft. Morgen ist wirklich definitiv Beginn der Shoppingdiät. Aber heute, auch wenn Sonntag ist, darf ich ja eigentlich noch, oder?
Praktischerweise muss Flo aufs Klo. Ich kann nicht widerstehen und betrete den Raum voller bunter Kleidung. Und da hängt er. Der Mantel. Er ist perfekt. Obenrum schwarz, aber nicht langweilig. Untenrum bunt, aber nicht zu bunt. Er passt wie angegossen und ist noch dazu preislich runtergesetzt. Nur neunzig Euro! Sonst kosten diese Mäntel locker drei- bis viermal so viel! Wo ist Flo eigentlich? Hat der sich auf dem Weg zum Klo verlaufen? Auf einem Flughafen nicht so unwahrscheinlich. Nach etwa zehn Minuten des sehnsüchtigen Sich-mit-dem-Mantel-im-Spiegel-Anschauens verlasse ich den Laden und suche Flo. Er kommt mir sowieso schon entgegen. Und mit mir geht es durch.
»Liebster? Allerliebster Liebster? Magst dir kurz was anschauen kommen? Ich muss dir was zeigen.«
Zum Glück hat er gerade keine Ausrede. Am Flughafen funktioniert ja weder ein »Hab keine Zeit, muss noch ein Meeting vorbereiten« noch ein »Du, ich sollt dringend mein Fahrrad aufpumpen, leider«. Also zerre ich ihn zurück in die Filiale und zeige ihm den Mantel. Das wird mein letzter Kauf, da bin ich schon sicher. Aber wenn, dann will ich ihn auch in der klassischen Dramaturgie zelebrieren. Wenn schon, denn schon.
Es funktioniert. Ich führe den Mantel vor. Der Liebste meint etwas genervt: »Brauchst du den wirklich?« Ich erkläre ihm haarklein, dass ich keinen schwarzen Mantel besitze (gelogen), und schon gar keinen mit solchen bunten Tupfen drauf (nicht gelogen, aber stilistisch jetzt auch nicht unbedingt lebenswichtig für eine Garderobe). Er versucht’s anders: »Die neunzig Euro hast aber nicht mehr im Urlaubsbudget, oder?« Ich wedle schnell mit der Kreditkarte und erkläre, dass ich jetzt doch sowieso für ein Jahr gar nix mehr kaufen werde, da würden neunzig Euro doch überhaupt nicht ins Gewicht fallen.
Funktioniert wie am Schnürchen, als ob es ein Drehbuch dafür gäbe. Schnell noch einmal kurz überlegen und ein lang gezogenes »Soll ich wirklich?« fragen und das schulterzuckende »Du musst es wissen, ich kann’s dir eh nicht ausreden« als finales Argument für den Mantelkauf entgegennehmen.
Ein letztes Mal ein neues Kleidungsstück in einer Papiertüte in Empfang nehmen, ein letztes Mal die Kreditkarte durch das Kartenlesegerät ziehen lassen, ein letztes Mal die Unterschrift auf eine Rechnung krakeln. Ein letzter Schuss für den Shoppingjunkie in mir. Tut das gut!
Aber hoffentlich auch ein letztes Mal dieses nagende schlechte Gewissen, weil man genau weiß, dass das gerade nur ein Kauf um des Kaufens willen war und nicht um des Mantels willen. Wobei, der Mantel ist wirklich schön.
16.
Januar
Los geht’s
Zurück in Wien. Ich bin voll motiviert. Das Auspacken der Reisetasche, die Berge an Schmutzwäsche und das vor dem Urlaub zurückgelassene Chaos in und rund um den Kleiderschrank nerven mich so sehr, dass der Gedanke an die shoppingfreie Zeit wie ein Wellnessurlaub erscheint.
Wenn man eines in meiner Familie übrigens nicht tun darf, ist es, sich nicht zu melden, wenn man irgendwo ankommt. Egal, ob man von den Eltern die etwa fünfzehnminütige Fahrt nach Hause mit dem Auto antritt, ob man mit dem Zug zu Freunden aufs Land fährt oder in den Urlaub auf einen anderen Kontinent fliegt. »Meld dich, wennst angekommen bist« sind immer die letzten Worte meiner Mutter. Die kommen sogar noch nach dem »Bussi und Baba«. Also melde ich mich auch heute aus dem Urlaub zurück. Und weil grad Zeit ist und ich sowieso nicht Tasche auspacken und Wäsche waschen will, werde ich mich sogar persönlich zurückmelden. In meinem neuen Mantel.
»Fesch, fesch! Ist der aus Barcelona?«, sind die ersten Worte meiner Mutter, und mein Vater grinst. Der grinst aber nur, weil er sich freut, mich wiederzusehen, nicht aufgrund des Mantels. Warum ich das so genau weiß? Weil ich niemanden auf der ganzen Welt kenne, der noch intensiver kleidungsblind ist als mein Vater. Meine Mutter hingegen riecht neue Kleidung fünf Meter gegen den Wind. Metaphorisch gesprochen natürlich. Hoffe ich zumindest immer.
»Ja, den hab ich gestern am Flughafen gekauft«, sage ich. »Ist übrigens mein letzter Kauf für ein Jahr.« Mama versteht nicht gleich. Ich muss es ihr erklären. Sie reagiert wirklich furztrocken: »Super. Du solltest eh sparen bei deinem kleinen Gehalt.«