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Wir leben in einer Kultur der Emotions-Verweigerung! Während Demagogen jeglicher Couleur mit überwiegend negativen Emotionen Wählerstimmen sammeln, versucht die etablierte Politik, mit Fakten zu überzeugen. Und die Demokratie zieht dabei den Kürzeren. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen in isolierten Wahrnehmungswelten und bedienen sich 'alternativer Fakten'. Die sozialen Netzwerke unterstützen dabei das Ausleben negativer Emotionen. Nur eine emotional intelligente Kommunikation kann uns aus der Falle des Postfaktischen führen. Der Fernsehmoderator und Kommunikationscoach Robert Burdy deckt in "Fuck the Facts" die Mechanismen auf, die uns im Postfaktischen gefangen halten und zeigt Lösungswege - hin zu einer gesunden, emotional wirksamen Kommunikation.
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Seitenzahl: 186
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ROBERT BURDY
Wege aus der Falle des Postfaktischen
VORWORT
KAPITEL EINS Gar nichts schaff ich!
KAPITEL ZWEI Emotionen motivieren uns, zuzuhören
KAPITEL DREI Grüße aus einer anderen Welt
KAPITEL VIER Die Kraft des Positiven
KAPITEL FÜNF Die Lügenpresse und der Krieg der Worte
KAPITEL SECHS Die Freiheit hat sich im Netz verfangen
KAPITEL SIEBEN Die Epidemie der angedrohten Gewalt
KAPITEL ACHT Die Speisekarte der Politik
KAPITEL NEUN Die Wahl der Waffen – Worte im Wahlkampf
KAPITEL ZEHN Emotionale Intelligenz statt dummer Emotionalität
DANKSAGUNG
Über den Autor
Unsere Politik ist sprachlos. Sprachlos auf jene wortreiche Weise, wie es nur die Politik kann. Sprachlos angesichts der rudimentär-rhetorischen Breitseite, mit der Populisten jeglicher Couleur – von Donald Trump bis Marine Le Pen – unser gesamtes, über die Jahre aufgebautes, demokratisches Gebilde in Grund und Boden zu schießen drohen. Etablierte Politik steht vor ihren Herausforderern, wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.
Nur, … die Ursächlichkeiten sind genau umgekehrt: Die Schlange kann angreifen, weil das Kaninchen erstarrt ist. Trump und Co. schießen mit ihrer Polemik Löcher in die tragenden Wände des demokratischen Hauses, weil die etablierte Politik sprachlos ist! Das demokratische Haus ist ein Gebilde aus Ideen, das jeden Tag neu mit Leben gefüllt werden muss. Wer aber die Ideen nicht mehr so teilt, dass auch alle die Schönheit des Gebäudes zu würdigen wissen, der wird sich nicht wundern dürfen, dass die ganze Bude wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Dasselbe gilt übrigens für das europäische Haus.
Da setzte Großbritanniens Premier Cameron ein Referendum zum Brexit an. Er war sich sicher, dass die Idee Europa genügend Überzeugungskraft hat, solchen Unsinn zu verhindern. Da trat Hillary Clinton als Kandidatin für die Präsidentschaft der USA an. Sie war sich sicher, dass ihre Erfahrung Argument genug sei gegen den Polit-Poltergeist Donald Trump. Und da verkündete Kanzlerin Merkel optimistisch „wir schaffen das“. Sie war sich sicher, dass jedem einleuchten würde, dass eines der reichsten Länder der Erde und eine der stabilsten Demokratien die Herausforderungen der Flüchtlingskrise meistern würde. Und … zack! … war Großbritannien aus der EU, Trump im Weißen Haus und die AfD in einem Landesparlament nach dem anderen.
Das waren keine Siege von Rechtspopulisten. Das waren vor allem klägliche Niederlagen der etablierten politischen Kräfte! In allen drei Fällen hatten die Kräfte der Vernunft die unsägliche Unvernunft, nicht mit den Bürgern zu kommunizieren. Klar, sie haben geredet wie die Wasserfälle. Aber sie haben den Menschen nichts gesagt! Sie haben sich nicht die Mühe gemacht, zu begeistern. Vertrauen zu gewinnen. Emotionen wahrzunehmen. Sie zu verstehen. Und neue, positive Emotionen zu wecken.
Die immer wieder gestellte Frage im aktuellen politischen Zusammenhang lautet: „Wie können die so doof sein!?“ Wie können die US-Amerikaner einen Donald Trump wählen, fast 25 Prozent der Sachsen-Anhalter die AfD, eine Mehrheit der Polen die PIS Partei des Jaroslaw Kaczynski, die Russen Putin oder die Türken einen Mann wie Erdogan? Das geschieht nicht, weil in den Köpfen zu wenig leistungsrelevante Masse wäre. Es geht nicht um doof! Ehrlich gesagt: Allein die Frage belegt genau die fahrlässige politische Arroganz einer politischen Kaste, die immer noch meint, sie habe automatisch die Lufthoheit über den Köpfen des Wahlvolks.
Die Antwort auf die Frage ist einfach: Es geschieht, weil das mit den Köpfen nichts zu tun hat. Ich habe in einem Interview einmal den früheren Stabschef des Weißen Hauses und Ex-Außenminister James Baker gefragt, was Ronald Reagan eigentlich so erfolgreich gemacht hat. Die Antwort war eine Lektion: „Because he made people feel good. Because he made America feel good!“ Weil er den Menschen und dem ganzen Land ein gutes Gefühl vermittelt hat. Die spannende Frage ist: Schafft es demokratische Politik wieder, das gute Gefühl der Menschen in freiheitliche, demokratische Politik umzusetzen? Wenn nicht, dann geben Demagogen den Menschen ein gutes Gefühl. Die können das. Und dann ist Schluss mit freiheitlich und demokratisch.
Begeisterung, Vertrauen, Zuversicht, Optimismus, Offenheit, Toleranz. Das sind emotionale Zustände. Sie müssen geweckt werden, förmlich wach geküsst, und dann muss man sie am Leben halten und bei Laune! Sonst werden sie zu Verdrossenheit, Misstrauen, Angst, Pessimismus, Verschlossenheit und Feindseligkeit. Wir können nicht darauf hoffen, dass die Vernunft uns unseren Optimismus bewahrt. Es sind die Emotionen, die Menschen motivieren.
Wer Menschen, die Sorgen haben, sagt, „wir schaffen das“, agiert wie jener, der einem weinenden Kind sagt, „hör auf zu weinen!“. Heißer Tipp! Nützt aber nichts!
Der Fehler ist so alt wie die Sprache: Wir gebrauchen unsere Köpfe, um zu ersinnen, was wir sagen. Wir benutzen unsere Stimmen, um den Worten Ausdruck zu verleihen. Unsere Adressaten benutzen ihre Ohren, um uns zuzuhören. Und sie gebrauchen ebenfalls ihre Köpfe, bei dem Versuch zu verstehen, was wir sagen. Das klingt wie eine ziemlich kopflastige Übung. Das ist jedoch eine optische Täuschung. Verbale Kommunikation geht durch den Kopf, aber sie wirkt nicht im Kopf. Sie wirkt zuerst und direkt als Bauchgefühl, also emotional.
Das gesprochene Wort wirkt emotional. Fakten unterstützen diese Emotionen, rechtfertigen und untermauern Standpunkte. Im Marketing nennt man das kognitive Resonanz. Sie finden das Auto einfach geil, deshalb kaufen Sie es. Der Hersteller weiß das, deshalb hat er das Ding so gebaut! Aber er gibt Ihnen gleichzeitig faktische Werte an die Hand, um Ihre rein emotionale Kaufentscheidung zu untermauern: Niedrige Verbrauchswerte, tolle Fahrleistungen, hohe Insassensicherheit und so weiter. So geben Fakten dem Bauchgefühl Vergleichbarkeit und damit die Möglichkeit, kommuniziert zu werden. Und so entstehen emotional ansprechende und vernünftige Produkte. Genauso kann Politik funktionieren. Oder jede andere Führungsaufgabe.
Wenn „ich“ mit „Dir“ rede, wirkt das im Bauch. Das ist ganz persönlich, intim. Und es wird erst im nächsten Schritt und nur unter günstigen Bedingungen im Kopf verarbeitet. Aber dann sind die wichtigen Entscheidungen, die „Bauchentscheidungen“, (… was für ein wunderbares Wort in einer Schlankheits-besessenen Welt!) bereits getroffen.
Politiker, Journalisten und auch Führungskräfte in unseren Unternehmen reden mit Menschen, deren Wirklichkeit sie nur bedingt teilen, die sie aber direkt beeinflussen. Wenn wir uns nicht der Mühe der Empathie unterziehen, drohen wir, wie der Blinde von der Farbe zu reden.
Der völlig an den Realitäten vorbei gezielte Umgang mit dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, seinem Wahlkampf und seinen Erfolgsaussichten ist ein anschauliches Beispiel für die Selbsttäuschungen, derer die politische Maschinerie fähig ist. Von den Kandidaten und ihren Beratern über Journalisten bis hin zu den Meinungsforschern – alle lagen sie falsch. Die Einen konnten es nicht wissen, die Anderen wollten nicht und die Protagonisten selbst können ihr eigenes Glück kaum glauben. Im Großbritannien des Brexit, in Frankreich und auch in Deutschland operieren die etablierte Politik und ihre Mitspieler mit ähnlichen Scheuklappen.
Und es geht nicht nur um Politik. Dasselbe gilt für das Führungspersonal in der Wirtschaft: Selbst wenn sie direkt mit Mitarbeitern reden, kennen sie die Menschen nur so gut, wie sie deren Personalakte kennen. Die haben sie aber selbst geschrieben! Und je größer der Betrieb, desto größer die Distanz. Ebenso wie Wähler im Gespräch mit Meinungsforschern wird auch kein Mitarbeiter sein gesamtes Privat- und Seelenleben am Arbeitsplatz offenlegen. Warum auch! Und so kommunizieren wir alle potenziell wie in einem Nebel: Unser Zielobjekt lässt sich nicht eindeutig identifizieren, mit all seinen Interessen, Hoffnungen und Sorgen, vielleicht sogar Ängsten.
Natürlich ist das im Prinzip immer so. Wann immer wir Menschen kommunizieren, können wir bestenfalls annehmen, in welcher emotionalen und faktischen Situation sich unser Zuhörer befindet. Und wie hat es der große US-amerikanische Thriller-Autor Tom Clancy formuliert: Annahmen sind die Mutter aller Fuck-Ups!
Aber für Führungskräfte in Politik und Wirtschaft ist dieses Fremd-Sein Teil des Systems. Der Staat und das Unternehmen sind zwar Teil des Lebens seiner Bürger, beziehungsweise seiner Mitarbeiter, aber sie machen dieses Leben in der Regel nicht wesentlich aus. Die haben ihr eigenes Leben. Und sie haben auch ein Recht darauf.
Wähler denken sich ihren Teil. Sie sagen nicht alles, was sie denken. Auch wenn sie sehr ausdrucksstark daherkommen, für sich vielleicht sogar beanspruchen, das Volk zu sein, halten sie Dinge zurück. Jeder von denen, die da montags durch Dresden marschierten, hat seine eigene Agenda, die die anderen nicht kennen. Eine Agenda aus Emotionen – Hass und Zuneigung, Ängste und Hoffnungen, vor allem Zukunftsängste und eine Idealisierung der Vergangenheit. Diese Emotionen lassen sich nicht einfach abfragen, ohne Empathie werden wir nicht von ihnen erfahren. Da reden die Politiker oft gerne von „den Menschen“, wie von einer fremden Spezies. Ausgerechnet immer dann, wenn sie für sich beanspruchen „die Menschen“ zu verstehen. Eine entlarvende Formulierung. Und dabei wird das menschlichste überhaupt, unsere Fähigkeit zur aktiven Empathie, größtenteils außer Acht gelassen.
Menschen hören, was sie zu hören bereit sind. Sie hören, was sie hören wollen. Oder was sie befürchten. Unsere Botschaft trifft auf ihre Erwartungshaltung, wie ein Samenkorn auf den Boden: Es kann fruchtbare Erde treffen, oder auf einem Stein liegen bleiben und verdorren. Wettermoderatoren können ein Lied davon singen. Wer auf sonniges Wetter hofft, dem wird der Satz mit den „gelegentlichen Aufklarungen“ bereits ausreichen, um Hoffnung zu schöpfen. Wer auf Regen wartet, der wird im selben Wetterbericht auf die Aussage bauen, dass eine Tieffront über uns hinweg zieht, aus der es auch stellenweise regnen kann. Beide hören und sehen denselben Wetterbericht. Aber beide schöpfen diametral entgegengesetzte Hoffnungen daraus. Deshalb sagen auch so viele, die Vorhersagen seien unzuverlässig, was sie nachweislich nicht sind.
Ähnlich ergeht es allen, die öffentlich reden: Je nach Interesse werden die einzelnen Adressaten unterschiedliche Worte auf ihre eigene, emotionale Goldwaage legen. Und so erscheint dem einen Wähler als unglaublicher und empörender Täuschungsversuch, was dem nächsten wie das ehrliche Bemühen um eine für ihn akzeptable Lösung vorkommt. So entstehen in unmittelbarer Nachbarschaft getrennte Wahrnehmungswelten.
Dieser Effekt wird noch verstärkt durch das Phänomen der sozialen Medien. Sie machen es jedem leicht, sich die Rationalisierung zu seinen Emotionen maßgeschneidert zusammenzusuchen. Den Rest des Informationsangebotes tut man dann als „Lügenpresse“ oder „Verschwörung“ ab. Fertig ist die individualisierte Ideologie. Das ist gefährlich für eine Demokratie. Und auch für jene, die in ihr Verantwortung tragen.
Führungskräfte – egal ob in der Politik oder in der Wirtschaft – die es nicht schaffen, emotional wirkungsvoll zu kommunizieren, werden Bürger und Mitarbeiter nicht mitreißen. Sie werden an großen Zielen scheitern, weil sie nicht die Unterstützung bekommen, die sie benötigen. Und sie werden sich selber isolieren, bis sie völlig alleine dastehen. Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Politik muss wieder lernen, ihre Kunden, nämlich die Bürger, da zu packen, wo sie es auch spüren: bei ihren Emotionen.
Dies ist kein Klugscheißer-Buch. Es geht nicht darum, wer was falsch gemacht hat. Darum sollte es – außer im Strafrecht – nie gehen. Es geht darum, was wir lernen können, oder lernen müssen, um wieder miteinander ins Gespräch zu finden: In der Politik, in der Gesellschaft und in unseren Unternehmen.
Unsere Welt verändert sich schnell, also müssen wir schnell lernen. Und es wäre dies das Buch eines törichten Autors, wäre es nur an die einigen Wenigen an der Spitze der politischen Verantwortung gerichtet. Wir alle kommunizieren. Wir alle wollen überzeugen. Wir alle wollen verstehen. Und wir leiden alle unter zielloser, nur Geräusche und Missverständnisse produzierender Kommunikation. Ob wir Verantwortung in der Gemeindeversammlung oder im Vereinsvorstand übernommen haben, oder den ganzen Staat führen. Oder ein Unternehmen. Ob Lehrer oder Elternvertreter, Ratsherr oder ratsuchender Bürger, Vorstand oder Vorarbeiter. Wir müssen lernen, emotional wirksam zu kommunizieren. Und wir müssen dringend lernen, zu durchschauen, wie Kommunikation unsere emotionalen Auslöser betätigt und uns zu Äußerungen und Handlungen verleitet, die uns selbst und der Gesellschaft nicht guttun. Darum geht es.
„Emotionen zu erkennen ist die Vorbedingung für Mitgefühl“
Professor Paul Ekman
Beginnen wir gleich mit diesem inzwischen historischen Satz „Wir schaffen das!“. Der war zweifellos gut gemeint. Er sollte beruhigend wirken. Es war eine schwierige Situation, als sich im August 2015 Tausende und Zehntausende Asylsuchende in einem historischen Flüchtlingstreck in Richtung „reiches Europa“ aufgemacht hatten. Hier soll es nicht darum gehen, Politik zu bewerten. Es geht darum, wie Politik erklärt wird, wie sie begeistern kann – für ihre Ziele, oder auch unfreiwillig für das Gegenteil. In diesem Fall war es bei ganz vielen Menschen das Gegenteil. Bundeskanzlerin Merkel wollte Zuversicht verbreiten, als sie sagte: „Wir schaffen das!“ Und sie wollte wahrscheinlich den vorhersehbaren Sorgen vorgreifen, der Ansturm von Hunderttausenden Flüchtlingen könne das Land überlasten. Warum hat das nicht funktioniert?
Es gab – natürlich in tausenderlei Abstufungen – zwei große Zuhörergruppen: Jene, die glaubten, dass wir das schaffen und jene, die es nicht glaubten. Die Ersteren waren kein Problem, denn die mussten ja nicht beruhigt werden. Diejenigen, die es nicht glaubten, hatten ihre völlig legitimen Gründe dafür. Diese Gründe waren teilweise Irrtümer, aber irren ist nicht nur menschlich, es ist auch zutiefst demokratisch! Die Möglichkeit, sich zu irren ist in der Demokratie eingebaut. Aber Vorsicht! Das macht den Irrtum noch nicht zur Weisheit, macht falsche Fakten noch nicht zur Realität! Trotzdem, viele waren wahrscheinlich einfach misstrauisch gegenüber dem, was die Kanzlerin ihnen sagte. Oder sie hatten Vorbehalte gegen Fremde. Oder sie sahen die prekäre Situation vieler Menschen in ihrem Umfeld und glaubten nicht, dass unser Land noch die Ressourcen habe, so viele Hilfsbedürftige aufzunehmen. Vielleicht waren einige von ihnen auch selber in finanziellen, beruflichen oder persönlichen Notlagen.
Bei dieser Gruppe beginnt das kommunikative Drama schon mit dem Begriff „wir“. Der ist zwar eine rhetorische Allzweckwaffe, da er generell einschließt, statt auszugrenzen, funktioniert aber nicht immer und auch nicht automatisch. Für unsere zweite Gruppe der Skeptiker konnte „wir“ bedeuten: Die Regierung und die Fremden. Die etablierte Politik. „Wir“, die wir finanziell und sozial gut abgesichert sind. Oder „wir“ alle, außer Dir, Du arme, sozial-prekäre Kirchenmaus! Die meisten unter jenen, die an dem Satz „wir schaffen das“ zweifelten, mussten sich also ausgegrenzt fühlen.
Das nächste Problem war der Rest des Satzes. „Schaffen“ heißt „schwierig“! Von etwas, das uns leichtfällt, sagen wir nicht, dass wir das schaffen. Wie oft haben wir alle im Leben schon gehört „komm, das schaffst Du!“? Tausendmal – von Eltern, Lehrern, Sporttrainern, Vorgesetzten. Und selten waren dies Situationen, in denen wir uns gut gefühlt haben, oder tatsächlich in der Lage wähnten, „das“ zu schaffen.
Dieses mulmige Gefühl, das viele möglicherweise im Bauch hatten, wurde noch verstärkt durch die Ungewissheit des Wörtchens „das“. Wer wusste denn damals schon genau, was da auf uns zukam, an Herausforderungen? Sicherlich nicht der vielbeschworene Otto-Normalbürger. Und der ist nun einmal glücklicherweise der Souverän in einer Demokratie; auch jener Bürger, der zweifelt. Er konnte sich durchaus fragen, wie man gewiss sein könne, „das“ zu schaffen, wenn noch gar nicht klar war, wie groß, wie schwierig, wie gefährlich dieses „das“ wohl werden würde.
Als dieser Satz gesprochen wurde (von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 31. August 2015 vor der Bundespressekonferenz) war Pegida schon seit zehn Monaten auf den Straßen Dresdens unterwegs. Der Nährboden für die Skeptiker war groß und er war bekannt. Und vielen war auch die Brisanz dieser Gruppe klar, die sich so schnell zur Bewegung ausgeweitet hatte. War deren „Wir sind das Volk!“ die Antwort auf Merkels falsch verstandenes „wir“? Ein Gegen-Wir? Vielleicht. Indirekt auf jeden Fall.
Wer verstehen will, wie es zu diesem KommunikationsGau kam, der muss für einen Moment die aufgeheizte und angespannte Atmosphäre seit dem Flüchtlingssommer 2015 verlassen und zurückschauen. Bevor ein gefährlicher Teil der Volksseele drohte überzuschäumen, klagten „wir“ (in diesem Fall die gesamte politische Kaste, mitsamt Journalisten, Beratern, Stabsstellen und Verwaltungen) über eine grassierende „Politikmüdigkeit“. Die Bürger schienen Politik als eine Art Management-Dienstleistung zu verstehen, von der sie bitteschön nicht behelligt werden wollten. Solange alles funktionierte, wurde Angela Merkel wiedergewählt und alles war gut. Aber die politische Kaste klagte nur. Wir haben (… sehen Sie, lieber Leser, an dieser Stelle ruhig den beherzten Griff an die eigene Nase!) nicht ernsthaft versucht, etwas daran zu ändern. Warum auch? Politikmüdigkeit schien bequem für die Politik und ihre Tausenden von “Minions“, die in ihrem Speckgürtel ihr Geld verdienen.
Das erste Warnsignal war vielleicht die Abwahl der FDP. Innerhalb kürzester Zeit – wenn man es in historischen Dimensionen sieht – war Guido Westerwelles 18-Prozent-Partei in die politische Bedeutungslosigkeit gestürzt worden. Und wenige trauerten den Liberalen eine Träne nach, obwohl diese so maßgebliche Bedeutung für die Entwicklung der Bundesrepublik und, zum Beispiel in Person Hans-Dietrich Genschers, auch des vereinten Deutschland gehabt hatten. Die FDP wurde als Koalitionspartner übergangslos durch die SPD ersetzt, als wäre die Partei kaum mehr als ein notwendiger Wurmfortsatz des Systems Merkel.
Dieser Umgang mit Traditionsparteien hatte etwas Frivoles, erschreckte aber außer den Betroffenen kaum jemanden. Rückwärtig betrachtet – da ist man ja immer schlauer! – war es vielleicht das erste Warnsignal, dass Bürger gar nicht auf die Art und Weise politikmüde waren, wie man glaubte. Viele von ihnen waren offenbar bereit, scheinbar feste Größen in unserer Parteienlandschaft einfach mal eben über Bord zu werfen. Von dort zur AfD war es nur noch ein kleiner Schritt.
Diese emotionale Müdigkeit – nicht mit der Politik, sondern mit der Politik, wie wir sie kannten – traf im August 2015 auf die dramatisch herausfordernde Situation der Flüchtlingskrise und auf jenen verhängnisvollen Satz „wir schaffen das“. Menschen, die die Nase voll hatten von der etablierten Politik, fanden sich auf einmal in einer von vielen als bedrohlich wahrgenommenen Situation. Und sie trafen auf ein ausgrenzendes „wir“, ein herausforderndes „schaffen“ und ein undefiniertes „das“. Sie fühlten sich ausgeschlossen, bedroht und verunsichert. Das war die emotionale Wirkung eines Satzes, der eigentlich beruhigen sollte.
Viel häufiger, als für uns alle gut ist, verzichtet unser politisches und auch unternehmerisches Führungspersonal auf die Antwort auf die ganz grundlegende Frage: „was will ich mit dem, was ich sage, eigentlich emotional anrichten?“ Vielmehr scheint der übliche Ablauf zu sein: „Ich weiß, was ich sagen will. Also: Wie sage ich es?“ Klingt vernünftig? Okay, hier ist ein Bild, das verdeutlicht, wie vernünftig so ein Vorgehen ist: Der Jäger weiß noch nicht, was er jagen will, Großwild oder Kaninchen. Oder wo das Wild unterwegs ist. Aber er stellt sich in den Wald, lädt durch und schießt einfach mal ins Blaue. Möchten Sie da gerne in der Nähe sein?
„Was haben Sie sich vorgenommen? Was wollten sie bei ihren Zuhörern auslösen?“
Immer, wenn ich diese Frage stelle, bekomme ich dieselbe Reaktion: Ein etwas verlegenes Lächeln hier, ein Schulterzucken dort. Betretenes Schweigen. Erklärungsversuche. Der Eine hatte nicht die Zeit, diesen Vortrag wirklich vorzubereiten. Beim Anderen hatten die Kollegen die Informationen nur schleppend oder gar nicht geliefert. Wieder ein Anderer schaut mich nur völlig unverständig an, als sei ich gerade aus einem steinzeitlichen Baum gefallen.
Als ich vor Jahren mit meinem ersten Kunden zusammensaß, für den ich die Reden schreiben sollte, war dieser gerade zu einer Top-Führungskraft eines großen DAX-Konzerns befördert worden. Wenig später sollte er Vorstand werden. Er war und ist einer von Deutschlands Top-Managern. Und, wie ich im Laufe der Jahre erfreut feststellen sollte, ein Mann mit ausgeprägter emotionaler Intelligenz. Er sollte demnächst seine erste große Rede vor dem weltweiten Lenkungsausschuss seines Unternehmens halten. Und er hatte eine Rede mitgebracht, die sein Stab für ihn vorbereitet hatte. Es handelte sich dabei wenig überraschend um eine Stunde juristisch überprüften und fein säuberlich ausgedruckten „corporate bullshit“. Notarsprosa. Es war der typische Fall: Jede Stabsstelle des Unternehmens hatte ihre Partikularinteressen in das Werk diktiert, bis es zu einem Konvolut sachlich und politisch korrekter, aber völlig zusammenhangloser Informationen geworden war. Ein seelenloses Werk, dessen Aufführung auf das Publikum wirken würde, wie eine aus der Saaldecke gefallene Riesen-Valium. Eine ganz normale Rede halt!
Wir stellten ihm die unvermeidliche Frage: Was wollen Sie denn mit ihrer Rede bewirken? Die Antworten, die uns der Mann mit wachsender Ungeduld in den nächsten 45 Minuten gab, klangen wie Zitate aus dem Bullshit-Opus, das da vor uns lag. Wir fragten weiter, immer dieselbe Frage. Die Spannung im Raum stieg. Führungskräfte auf dieser Ebene sind es nicht gewohnt, mit einer Frage gelöchert zu werden. Ihre angestammte Rolle scheint es zu sein, Antworten zu fordern!
Aber – wie gesagt – er ist ein emotional intelligenter Kopf. Und als ihm endlich der Kragen platzte, bat er seine Assistenten, uns mal alleine zu lassen. Dann sagte er ganz einfach: „Mensch, das ist meine erste Rede vor diesem Gremium der Top-Führungskräfte. Ich will einfach nur, dass die mich mögen!“
Ja, wenn das kein legitimes Ziel ist für eine Rede! Diese knappe Stunde extremer Anspannung und das in seiner Welt so ungewöhnliche Eingeständnis waren der Beginn einer langjährigen und für beide Seiten fruchtbaren Zusammenarbeit.
Dass man die Frage „Was will ich eigentlich emotional auslösen?“ immer zu allererst stellen sollte, bevor man sich an die Vorbereitung jeglicher verbalen Kommunikation macht, ist für die meisten Führungskräfte immer wieder eine verblüffende Erkenntnis. Und was ich so oder ähnlich bereits in hunderten von Coachings und Trainings erlebt habe, ist nicht auf Reden, Vorträge und Präsentationen im Berufsumfeld beschränkt. Es markiert vielmehr ein Phänomen, das sich durch unser gesamtes Leben zieht, von unseren persönlichen Beziehungen, über die Unternehmenskommunikation, bis hin zu politischen Debatten: Wir verschwenden nur selten vorab einen Gedanken daran, was die Dinge, die wir sagen, bei anderen emotional auslösen. In einer Zeit, die exponentiell mehr Kommunikationsmöglichkeiten bietet, als jede Epoche zuvor, verkümmert unsere Kommunikation zum seelenlosen Geschwätz.
Klingt das zu hart? Vielleicht. Aber die Folgen dieser zunehmenden Unfähigkeit, mit dem Kopf und dem Herzen zu kommunizieren, sind härter. Nicht nur, dass politische und gesellschaftliche Wertesysteme massiv Schaden nehmen können. Nicht nur, dass sich jeden Tag tausende von „corporate soldiers“ auf den Schlachtfeldern der Tagungsräume und Konferenzzentren zu Tode langweilen. Es landen auch jedes Jahr vorsichtigen Schätzungen zufolge rund 40.000 Mitarbeiter auf dem Scheiterhaufen des Burnout-Syndroms. 40.000 Menschen – Profis, Väter und Mütter – und das nur aus unseren 30 DAX-Konzernen. Ausgebrannt vom Stress, der seelischen Belastung und der emotionalen Leere. Gleichzeitig scheitern täglich hunderte von Ehen und Beziehungen. In beiden Fällen sind die Ursachen natürlich vielfältig. Aber ist es wirklich abwegig, davon auszugehen, dass mehr emotionale Achtsamkeit vielen dieser Menschen geholfen hätte, ein glückliches und erfülltes (Berufs-) Leben zu führen?
Hand aufs Herz! Wann haben Sie sich das letzte Mal gefragt: Welche emotionale Reaktion wünsche ich mir, wenn ich mit diesem Menschen rede – im persönlichen Gespräch, im Job oder in der politischen Diskussion? Wir bombardieren uns mit vermeintlichen oder tatsächlichen Fakten und sind überrascht, dass Menschen gekränkt, verletzt oder gar zu Feinden geworden sind. In unseren Unternehmen reduzieren sich Millionen von Mitarbeitern mit stolz geschwellter Brust zu „Faktenmenschen“ und sprechen sich damit selbst eine komplette menschliche Dimension ab, nämlich die des intelligenten Umgangs mit Emotionen. Emotionale Intelligenz.