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EINE NACHT VOLLER SINNLICHKEIT Vicky muss auf jeden Fall vermeiden, dass ihr neuer Boss Max Forbes ihre Tochter Chloe kennenlernt! Denn dann würde er, so glaubt Vicky, alles daransetzen, ihr die Kleine zu nehmen. Schließlich ist er Chloes Onkel und könnte ihr Wohlstand und eine gute Ausbildung ermöglichen, während Vicky hart arbeiten muss, um für sie beide den Unterhalt zu sichern. Doch leicht ist es nicht, Max von ihrem Privatleben fernzuhalten. Denn seit dem ersten Moment herrscht zwischen ihnen eine magische Anziehungskraft. Immer wieder sucht er Vickys Nähe, bittet sie, ihn auf Geschäftsreisen zu begleiten, und erscheint unangemeldet bei ihr zu Hause. Doch von Liebe spricht er nicht ... ERST EINE HEIßE NACHT - UND DANN? Ein Interview mit dem Rodeostar Mark wäre der Durchbruch für die Reporterin Audrey. Nach einem Unfall meidet Mark die Öffentlichkeit. Also versucht es Audrey mit einem Trick. Ein Interview bekommt sie zwar trotzdem nicht. Aber dafür traumhafte Nächte voller Leidenschaft ... UM MITTERNACHT MIT DIR IM BETT Auf einer Party erwischt Millionär Michael Wolff eine Fremde in seinem Bett, die sich ihm als Sarah vorstellt. Angetörnt von ihrer Schönheit, beschließt er, sie zu verführen. Prickelnden Küssen folgt heißer Sex. Aber Michael bleibt misstrauisch: Führt Sarah etwas im Schilde? NACHT DER LIEBE Seit dem Tod von Jordan Maxwells Frau betreut Felicity die kleine Mandy in seiner luxuriösen Villa. Jordans Verhältnis zu dem Kindermädchen seiner Tochter ist äußerst zwiespältig: Er fühlt sich erotisch zwar stark zu ihr hingezogen, kann aber nicht vergessen, dass ein Mitglied ihrer Familie ihn tief verletzte. Felicitys Bruder hatte ein Verhältnis mit seiner verstorbenen Frau! Als ihre Leidenschaft füreinander eines Nachts übermächtig wird, geben sich Jordan und Felicity ganz ihren stürmischen Gefühlen hin. Der Beginn einer großen Liebe, oder sind die Schatten der Vergangenheit zu stark? DENK DOCH AN UNSERE ERSTE NACHT Aus einer bitterarmen Familie stammend, hat Molly es auf der Karriereleiter weit nach oben geschafft. Doch ihr enormer beruflicher Erfolg scheint keine Rolle mehr zu spielen, als sie in ihre kleine Heimatstadt zurückkehrt. In Harmony Cove zählen noch immer die alten Klassenunterschiede, und genau die waren schon damals der Grund dafür, dass sie und ihre große Liebe Dan sich trennten. Als sie ihren einstigen Traummann wiedersieht, versucht sie mit aller Macht, diese Leidenschaft zu unterdrücken. Doch wieder verliebt sie sich in den gut aussehenden Arzt, dessen Familie hoch angesehen ist. Und wie vor Jahren werden in Harmony Cove Intrigen gesponnen ...
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Seitenzahl: 1009
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cathy Williams, Juliet Burns, Kristin Gabriel, Grace Green, Catherine Spencer
Fünf sündige Nächte
IMPRESSUM
Eine Nacht voller Sinnlichkeit erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2001 by Cathy Williams Originaltitel: „The Boss’s Proposal“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1547 - 2003 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Dr. Doris Märtin
Umschlagsmotive: GettyImages_sakkmesterke
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733759780
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Guten Tag, Miss Lockhart!“ Eine sorgfältig frisierte, korrekt gekleidete Frau mittleren Alters betrat das eindrucksvolle Foyer der Paxus PLC und begrüßte Vicky mit einem strahlenden Lächeln. „Ich bin Geraldine Hogg und leite den Schreibsaal“, stellte sie sich vor und schüttelte Vicky fest die Hand. „Das hier sind Ihre Bewerbungsunterlagen, meine Liebe“, sagte sie und schwenkte die zusammengehefteten Unterlagen. „Machen Sie sich auf eine Überraschung gefasst.“
Bei ihren Worten sank Vickys Mut. Sie hasste Überraschungen. Dafür hatte sie sich nicht eine halbe Stunde lang durch den morgendlichen Berufsverkehr gequält! Vicky hatte sich als Schreibkraft bei Paxus PLC beworben, weil das Unternehmen ausgezeichnet zahlte und sie dringend einen Job brauchte, während sie ihr Leben neu ordnete. Die Arbeit im Schreibsaal würde sie zwar beruflich nicht voranbringen, aber es war momentan genau das Richtige. Vicky hätte dann Zeit, um ihr seelisches Gleichgewicht wiederzugewinnen.
„Lassen Sie uns in mein Büro gehen. Dort erkläre ich Ihnen alles“, schlug Geraldine Hogg resolut vor. Ihre Stimme klang klar und herzlich. Vicky vermutete, dass Geraldine im Internat aufgewachsen war und ihre Schulzeit bevorzugt auf dem Hockeyfeld verbracht hatte. Geraldine Hogg wirkte entschlossen, aber nicht aggressiv, und Vicky wusste, sie würde gut mit ihr auskommen können, Überraschung hin, Überraschung her. Sie folgte Geraldine in einen mit einem schweren Teppichboden ausgelegten Flur.
„Meiner Meinung nach sind Sie für die ausgeschriebene Stelle überqualifiziert“, sagte Geraldine freimütig, und Vicky unterdrückte einen Seufzer der Enttäuschung.
„Ich bin daran gewöhnt, hart zu arbeiten, Miss Hogg“, antwortete sie ausweichend und beeilte sich, mit dem schnellen Gang der Frau Schritt zu halten.
Vicky spürte, wie sich die Nadeln aus ihrem hochgesteckten Haar zu lösen begannen. Nervös versuchte sie, die rebellischen Strähnen an ihren Platz zurückzuschieben, ohne ihr Tempo zu verlangsamen. Sie brauchte den Job und wollte keinen falschen Eindruck erwecken. Aber es war schwer, reif und erfahren zu wirken, wenn man widerspenstige rotblonde Locken hatte und Sommersprossen, die jeden Versuch zunichtemachten, eine strenge Miene aufzusetzen.
„So, da wären wir!“ Geraldine Hogg blieb so unvermittelt vor einer der Türen stehen, dass Vicky einen Zusammenprall nur mit Mühe verhindern konnte. „Meine Mitarbeiterinnen sind gleich da drüben untergebracht.“ Geraldine wies auf den offenen Bereich gegenüber ihrem Büro. Vicky sah sich neugierig um und stellte sich vor, wie es sein mochte, dort zu arbeiten.
Zwischen der Arbeit im Schreibsaal und ihrem früheren Job in Australien lagen Welten. In Australien war sie eine der Assistentinnen des Direktors eines internationalen Unternehmens gewesen.
„Hereinspaziert! Möchten Sie Tee oder Kaffee?“ Geraldine Hogg wies auf den Sessel gegenüber ihrem Schreibtisch und wartete, bis Vicky sich gesetzt hatte. Dann bat sie eine junge Frau, ihnen etwas zu trinken zu bringen.
„Ja gern, eine Tasse Kaffee bitte“, sagte Vicky. Geraldine legte ein so schwindelerregendes Tempo vor, dass Vicky nach Atem rang. „Mit Milch, ohne Zucker. Vielen Dank.“
„Also, ich werde Sie nicht in meiner Abteilung behalten.“ Geraldine stützte die Ellbogen auf, beugte sich vor und betrachtete Vicky prüfend. „Ich komme gleich auf meine kleine Überraschung zu sprechen!“ Sie verschränkte die Finger und legte den Kopf zur Seite. „Aber vorher möchte ich Ihnen sagen, dass ich Ihren Lebenslauf überaus beeindruckend finde.“ Sie warf einen Blick auf Vickys Unterlagen und blätterte sie flüchtig durch, während Vicky krampfhaft überlegte, welche Schwierigkeiten sich aus dieser sogenannten Überraschung ergeben könnten. „Sie haben einiges zu bieten. Sicher hat Ihr früherer Chef Sie nur ungern gehen lassen.“
„Das hoffe ich.“ Vicky bemühte sich, selbstbewusst zu lächeln. Aber sie war froh, als sie von der jungen Frau unterbrochen wurden, die den Kaffee servierte.
„Warum sind Sie eigentlich aus Australien weggegangen?“ Geraldine sah Vicky fragend an, aber ehe Vicky antworten konnte, hob sie die Hand und sagte: „Nein! Sie brauchen mir nicht zu antworten. Ich beschreibe Ihnen einfach die Position, die wir Ihnen anbieten möchten. Wir haben den Eindruck, dass Sie als Schreibkraft Ihr Talent verschwenden würden.“
„Ach so.“ Vicky spürte, wie ihr Tränen der Enttäuschung in die Augen traten. Sie hatte in den vier Monaten seit ihrer Abreise aus Australien verschiedene Aushilfsjobs angenommen, doch keiner hatte ihr wirklich zugesagt. Zwei Mal hatte sie sich um eine feste Stelle beworben, aber sie wurde aus genau den gleichen Gründen abgelehnt, die anscheinend auch Geraldine zu denken gaben. Wenn es ihr nicht gelang, einen festen Job zu finden, würde es finanziell eng für sie werden, und Vicky konnte es sich nicht leisten, ihre kargen Ersparnisse anzugreifen. Nicht in ihrer Situation.
„Aber glücklicherweise“, fuhr Geraldine zufrieden fort, „kommen Sie für eine viel bessere Position infrage. Der Konzernchef wird sich künftig oft in unserer Tochtergesellschaft aufhalten und braucht eine Sekretärin. Sie sind zwar noch sehr jung, aber sehr qualifiziert. Deshalb habe ich Sie für den Job vorgeschlagen, der übrigens doppelt so gut dotiert ist wie die Stelle, um die Sie sich beworben haben!“
„Ich soll für den Konzernleiter arbeiten?“ Vicky wusste aus Erfahrung, dass die Sache einen Haken haben musste. Geraldines Angebot klang einfach zu gut, um wahr zu sein.
„Ich bringe Sie jetzt zu ihm. Natürlich kann ich nicht versprechen, dass Sie den Job bekommen werden, aber mit Ihrer Erfahrung haben Sie gute Chancen.“
Vicky glaubte zu träumen. Gleich würde sie aufwachen und in die Wirklichkeit zurückkehren. Schon als sie die Bewerbung geschrieben hatte, hatte sie ein seltsam unwirkliches Gefühl gehabt. Sie hatte die Stellenanzeige in der Zeitung gesehen, und der Name des Konzerns hatte eine dunkle Erinnerung in ihr wachgerufen. Shaun hatte in seiner großspurigen Art erwähnt, dass die Firma zu den zahllosen Unternehmen seiner Familie gehörte. Der Name hatte sich ihr eingeprägt, weil die Straße in Sydney, in der sie damals bei ihrer Tante wohnte, genauso hieß. Vicky hatte sich zwingen müssen, auf die Anzeige zu antworten, denn Shaun war der einzige Mensch auf der Welt, an den sie mit Abscheu zurückdachte. Aber dann hatte sie sich doch entschlossen, sich zu bewerben, teils, weil sie gern die legendäre Forbes-Dynastie kennenlernen wollte, teils, weil das angebotene Gehalt sie lockte.
Sie sah sich erwartungsvoll um, als sie in den mit dezentem Luxus ausgestatteten dritten Stock geführt wurde. Der große, offene Bereich in der Mitte war von kleinen Privatbüros umgeben, die gegen indiskrete Blicke mit den gleichen Rauchglastüren geschützt waren, die Vicky schon im Foyer gesehen hatte. Zwischen üppig grünen künstlichen Blumen blühten Rosen und Orchideen, die viel Pflege erforderten.
„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass wir die Treppe genommen haben“, sagte Geraldine neben ihr. „Ich kann Aufzüge nicht ausstehen, ich laufe lieber. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn mehr Leute ab und zu ihren Hintern – entschuldigen Sie die Ausdrucksweise – erheben würden.“
Vicky war außer Atem. Sie stimmte zu, ohne den Blick von ihrer Umgebung zu wenden. Es fiel ihr schwer, Shaun mit einem so gut durchorganisierten Büro in Verbindung zu bringen. Sie merkte, wie ihre Gedanken abschweiften, und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Geraldine zu, die sich in einer Lobrede auf die weitverzweigte Forbes Holdings erging. Vicky war gespannt, ob Geraldine Shaun oder dessen Bruder, der in New York lebte, erwähnen würde, aber in Geraldines Wortschwall über Wachstum, Gewinne und Aktienkurse kam weder der eine noch der andere Name vor.
„Ich arbeite jetzt schon seit zwanzig Jahren für die Familie, und ich habe es nicht eine Minute bereut. Dabei wollte ich eigentlich Sportlehrerin werden, doch der Rücken machte nicht mit“, vertraute sie Vicky an. Vicky erwartete, das Gespräch würde sich nun um persönlichere Dinge drehen, aber Geraldine blieb vor einer Tür stehen und klopfte entschlossen.
„Ja, bitte!“
Geraldine machte die Tür einen Spaltbreit auf. Vicky nahm interessiert zur Kenntnis, dass eine sanfte Röte ihr unscheinbares Gesicht überzog und ihre Stimme etwas kokett klang.
„Ich bringe Miss Lockhart, Sir.“
„Wen?“
„Miss Lockhart.“
„Jetzt?“
Verlegen blickte Vicky auf das abstrakte Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Kam dieses überraschende Jobangebot für ihren potenziellen Chef ebenso unerwartet wie für sie, oder brauchten Firmenchefs keine guten Manieren zu haben?
„Ich habe Sie vor einer Woche informiert“, sagte Geraldine, und ihre Stimme klang jetzt wieder so bestimmt wie vorhin im Gespräch mit Vicky.
„Bringen Sie sie herein, Gerry.“
Sogleich machte Geraldine die Tür weiter auf und trat einen Schritt zurück, um Vicky vorbeizulassen.
Der Mann saß an einem riesigen Schreibtisch in einem weit nach hinten geschobenen schwarzen Lederdrehsessel. Die Beine hatte er übereinandergeschlagen.
Mit Herzklopfen hörte Vicky, wie die Tür leise hinter ihr geschlossen wurde. Dann stand sie schutzlos und allein in dem großen Büro. Sie atmete schwer und wagte sich kaum zu rühren aus Angst, die Beine würden ihr den Dienst versagen.
Was sie sah, erschien ihr wie ein böser Traum. Das dunkle Haar, das markante Gesicht, die seltsam grauen Augen und der harte Blick, das alles kannte sie nur zu gut.
„Geht es Ihnen gut, Miss Lockhart?“ Seine Stimme klang ungeduldig und überhaupt nicht besorgt. „Sie sehen aus, als würden Sie gleich zusammenbrechen, und ich habe wirklich keine Zeit, mich mit einer ohnmächtigen Sekretärin abzugeben.“
„Es geht mir gut. Vielen Dank.“ Wenn man bedenkt, dass der Schock, den ich erlitten habe, mich bis ins Mark erschüttert hat, dann geht es mir wirklich noch relativ gut, dachte sie. Wenigstens hatte sie sich auf den Beinen halten können. Das war immerhin etwas.
„Dann setzen Sie sich.“ Kurz angebunden wies er auf den Besuchersessel vor dem Schreibtisch. „Ich hatte leider vergessen, dass Sie heute kommen würden. Ihre Bewerbung muss hier irgendwo liegen. Warten Sie einen Moment …“
„Schon gut!“ Plötzlich fand Vicky ihre Stimme wieder. „Sie brauchen Ihre Zeit nicht mit mir zu verschwenden. Ich glaube nicht, dass ich für den Job geeignet bin.“
Vicky wollte nur eines: So rasch aus seinem Büro verschwinden, wie ihre Beine sie tragen konnten. Ihr brannte die Haut, und ihr pochten die Schläfen.
Er antwortete nicht sogleich. Stattdessen unterbrach er die Suche nach dem verlegten Lebenslauf und sah sie abschätzend an.
„So?“, sagte er langsam. „Und wie kommen Sie darauf?“ Er stand auf und ging zu dem Erkerfenster hinter seinem Sessel. Dann lehnte er sich gegen das Fensterbrett, sodass er Vicky noch besser beobachten konnte.
Überwältigt von widerstreitenden Gedanken und Gefühlen, suchte Vicky krampfhaft nach einer Entschuldigung. Sie musste erklären, warum sie sich in seinem Unternehmen vorstellte, nur um nach wenigen Minuten zu verkünden, gleich wieder gehen zu wollen. Aber ihr fiel nichts ein.
„Sie wirken ziemlich nervös.“ Nachdenklich rieb er sich das Kinn, während er ihr Gesicht so intensiv wie ein Raubtier musterte, das seine Beute beäugt. „Sie sind doch nicht etwa eine dieser neurotisch überreizten Frauen?“
„Doch“, antwortete Vicky. Sie war froh, nach dem rettenden Strohhalm greifen zu können. „Ich bin wirklich sehr neurotisch und überreizt. Das ist nichts für einen Mann wie Sie.“
„Einen Mann wie mich? Wie meinen Sie das?“
Vicky zog es vor, den Blick zu senken, statt die Frage zu beantworten. Die Entgegnung, die ihr auf der Zunge lag, hätte ihn sicher in Erstaunen versetzt.
„Jetzt setzen Sie sich endlich. Sie fangen an, mich zu interessieren, Miss Lockhart.“ Er wartete, bis Vicky den Raum durchquert und Platz genommen hatte. Dann ließ er noch einige Sekunden verstreichen, in denen er sie so aufmerksam ansah, als würde er versuchen, ihre Gedanken zu lesen. „So, erklären Sie mir, warum ich allmählich das Gefühl bekomme, dass hier etwas abläuft, wovon ich nichts weiß.“
„Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“
„Nun gut.“ Sein Lächeln besagte, dass er das Thema auf sich beruhen lassen, aber nicht vergessen würde.
Der Kerl kommt sich vor, als wäre er ein Gott, und denkt, er könne über mein Leben bestimmen und über das aller anderen auch, hatte Shaun erzählt. Vicky erinnerte sich noch gut daran, wie missmutig Shauns Stimme geklungen hatte, wenn er über seinen Bruder sprach. Langsam konnte sie wieder klar denken, und sie sah Max Hedley Forbes fest in die Augen. So hieß ihr Gesprächspartner nämlich. Shaun hatte seinen Namen oft genug erwähnt. In endlosen Litaneien hatte er immer wieder behauptet, das Lebensziel seines Bruders sei, möglichst rasch möglichst viele Leute zu ruinieren. Als selbstsüchtiges Ungeheuer hatte Shaun ihn beschrieben, als einen Mann, der sich nahm, was er begehrte, und der rücksichtslos mit der Menschheit im Allgemeinen und seinem einzigen Bruder im Besonderen umsprang, dessen Namen er so gründlich in Verruf gebracht hatte, dass selbst sein Vater sich von ihm abgewandt hatte.
Als Vicky sich um den Job beworben hatte, hatte sie nicht einen Augenblick daran gedacht, dass das Schicksal ihr einen so unerwarteten Streich spielen würde. Max Forbes lebte seit Jahren in New York. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihm ausgerechnet in einem Bürogebäude in Warwick zu begegnen. Der Gedanke an die Vergangenheit gab ihr einen Stich, und ihr wurde ganz schwindlig. Einen Augenblick lang schloss sie die Augen.
Shaun mochte sich als Ungeheuer erwiesen haben, aber als Ungeheuer wurde man nicht geboren, man wurde dazu gemacht. Shauns Umwelt und die Menschen um ihn herum hatten ihn geprägt, und der Mann, der sie jetzt so kühl musterte, hatte die Entwicklung seines Bruders entscheidend beeinflusst. So schändlich Shaun sie behandelt hatte, war der Mann, der ihr gegenübersaß, nicht noch schlimmer als er?
„Sie behaupten also, nervös und neurotisch zu sein.“ Max Forbes’ tiefe, wohlklingende Stimme riss Vicky aus den Erinnerungen und holte sie zurück in die Gegenwart. „Und trotzdem“, er beugte sich vor und zog aus einem Stapel Unterlagen ein Dokument hervor, „haben Sie es geschafft, in Australien eine beachtliche Position zu bekleiden und glänzende Zeugnisse von Ihren Arbeitgebern zu bekommen. Das ist doch seltsam, finden Sie nicht? Oder hatten Sie Ihre Neurosen damals besser unter Kontrolle?“
Vicky schwieg und begnügte sich damit, aus dem Fenster zu sehen, das den Blick auf den Himmel und rote Backsteinhäuser freigab.
„Hat Geraldine angedeutet, warum diese Position frei geworden ist?“ Max kam um den Schreibtisch herum und setzte sich direkt vor Vicky auf die Schreibtischkante. Dann blickte er auf sie hinunter.
„Nein“, erwiderte sie. „Aber ehrlich gesagt, es sind auch keine weiteren Erklärungen nötig. Denn Tatsache ist …“ Ja, was eigentlich?, überlegte sie. „Tatsache ist, ich möchte wirklich lieber als Schreibkraft arbeiten.“
Ein Lächeln umspielte Max’ Lippen, aber seine Stimme klang ernst und verständnisvoll. „Natürlich. Ich kann gut verstehen, dass Sie Ihr bemerkenswertes Talent nicht an eine anspruchsvolle Aufgabe mit guten Aufstiegschancen verschwenden möchten.“
Vicky blickte ihn durch ihre dichten dunklen Wimpern kurz an. Einen Augenblick lang brachte der Humor, der sich unter seinem Sarkasmus verbarg, sie aus dem Konzept. „Ich habe momentan schrecklich viel am Hals“, antwortete sie ausweichend. „Einer größeren beruflichen Herausforderung wäre ich zurzeit nicht gewachsen.“
„Was?“
„Wie bitte?“
„Was haben Sie am Hals?“ Max überflog Vickys Lebenslauf und sah sie dann fragend an.
„Na ja“, begann sie zögernd. Seine direkte Frage verblüffte sie. „Ich bin erst vor Kurzem aus Australien zurückgekehrt und habe eine Menge zu tun. Ich muss mich um mein Haus kümmern und mich einleben“, improvisierte sie und errötete.
„Warum sind Sie überhaupt nach Australien gegangen?“
„Als meine Mutter gestorben ist, habe ich gedacht, ein Ortswechsel würde mir gut tun. Und dann bin ich einfach viel länger geblieben als geplant. Ich habe schon bald einen Job in einer großen Firma gefunden und wurde gleich in den ersten sechs Monaten befördert. Ich fand es leichter, dort zu bleiben, als nach England zurückzukommen und den … den …“
„Den Verlust zu verarbeiten?“
Max’ Einfühlungsvermögen erschreckte Vicky. Eine Zeit lang hatte sie Shaun für feinfühlig und sensibel gehalten. Vielleicht verstanden sich auch andere Mitglieder der Forbes-Familie darauf, diesen Eindruck zu erwecken.
„Ich würde unser Gespräch gern beenden.“ Ohne Max anzusehen, stand Vicky auf und strich sich nervös den anthrazitgrauen Rock glatt, als wollte sie den letzten unsichtbaren Staubpartikel davon entfernen. „Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe. Wenn ich Ihre Absichten gekannt hätte, hätte ich das Vorstellungsgespräch abgesagt. Wie ich schon erwähnt habe, bin ich nicht an einem Job interessiert, der mir wenig Freizeit lässt.“
„Die Houghton Company hat Ihnen ein glänzendes Zeugnis ausgestellt“, stellte Max kühl fest. Vickys Absicht zu gehen beeindruckte ihn offenbar nicht. Unsicher blieb sie stehen. Sie konnte sich nicht einfach umdrehen und verschwinden. Aber sie wollte sich auch nicht wieder hinsetzen und ihm den Eindruck vermitteln, sie sei doch an der Stelle interessiert. „Wirklich hervorragend. Das überrascht mich umso mehr, als ich James Houghton sehr gut kenne.“ Er sah Vicky nachdenklich an.
„Sie kennen ihn?“ Bei seinen Worten schossen Vicky mehrere denkbare Katastrophenszenarien durch den Kopf, und sie ließ sich wie betäubt in den Sessel sinken. Max Forbes durfte auf keinen Fall Kontakt zu ihrem früheren Chef in Australien aufnehmen! Es gab viel zu viele Geheimnisse, die sie keinesfalls preisgeben wollte.
„Wir sind vor Urzeiten zusammen in die Schule gegangen.“ Max stand auf und begann, ruhelos umherzulaufen, sodass er sich bald in Vickys Sichtfeld befand, bald als körperlose Stimme hinter ihr. Er verunsicherte sie, und vielleicht war das auch seine Absicht. „James ist ein guter Geschäftsmann. Eine Referenz von ihm hat Gewicht.“ Max unterbrach sich, und die plötzliche Stille hinter ihr verursachte Vicky ein Unbehagen. „Wo haben Sie in Australien gewohnt?“
„Bei meiner Tante. Sie hat in Sydney ein Haus.“ Mit seinen Fragen führte Max sie auf gefährliches Terrain, aber Vicky wusste nicht, wie sie ihn ablenken sollte.
„Sind Sie viel ausgegangen?“
„Mit wem?“, fragte Vicky vorsichtig.
„Mit Kollegen zum Beispiel.“ Sie spürte, dass Max sich neben sie stellte. Seine Nähe irritierte sie. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er sich gegen die Wand lehnte, die Hände tief in die Hosentaschen schob und den Kopf leicht zur Seite neigte, als würde er ihre Worte sorgfältig abwägen. Und als würde er sie abspeichern, um sie später als Beweismittel gegen mich zu verwenden, dachte Vicky.
Aber es wird kein Später geben, beruhigte sie sich. So mächtig Max auch war, er konnte sie nicht zwingen, für seine Firma zu arbeiten. Er konnte sie aushorchen, weil sie ihm dummerweise das Gefühl vermittelt hatte, hinter ihrer Geschichte stecke mehr, als auf den ersten Blick erkennbar war. Aber gleich würde sie gehen, und sie würde Max Forbes höchstens als Erinnerung an die mysteriösen Launen des Schicksals im Gedächtnis behalten. Der Gedanke an den bevorstehenden Abschied beruhigte Vicky, und es gelang ihr sogar, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
„Ab und zu. Ich hatte in Sydney viele Freunde. Die Australier sind sehr offen und freundlich.“ Sie riskierte es, ihn von der Seite anzusehen.
„Das habe ich gehört. Mein Bruder fand das auch.“
„Sie haben einen Bruder, der dort lebt?“ Sie errötete.
„Shaun Forbes.“ Max machte eine Pause, als erwartete er, dass der Name ihr etwas sagte. „Mein Zwillingsbruder.“
Das war Vicky neu. Sie war fast eineinhalb Jahre mit Shaun befreundet gewesen, und er hatte nie erwähnt, dass Max sein Zwillingsbruder war. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sehr es Shaun verbittert haben musste, in keiner Weise so erfolgreich zu sein wie sein Bruder, der am selben Tag geboren war wie er und dieselbe Erziehung genossen hatte.
Vicky wäre vorhin beinah das Herz stehen geblieben, als sie Max Forbes so unvermutet gegenübergestanden hatte. Seine unverkennbare Ähnlichkeit mit Shaun hatte sie zurück in die Vergangenheit katapultiert, und Erinnerungen, die sie seit Langem zu verdrängen suchte, hatten sie wieder eingeholt.
„Soviel ich weiß, war er in bestimmten Kreisen ziemlich bekannt.“ Max verzog den Mund zu einem rätselhaften Lächeln und ging zu seinem Schreibtisch.
„Nein. Der Name sagt mir nichts.“ Die Worte blieben Vicky fast im Hals stecken. So fühlt man sich also, wenn der Teufel mit einem spielt, dachte sie. Sie hatte es seit ihrer Rückkehr nach England nicht leicht gehabt. Die Mieter, die das Haus ihrer Mutter zuletzt bewohnt hatten, hatten es verwahrlosen lassen, und die für die Vermietung zuständige Agentur hatte jede Verantwortung für den Schaden abgelehnt. Deshalb musste Vicky nicht nur Arbeit finden und ihre Finanzen ordnen, sondern sich zu allem Überfluss auch noch um ein Haus kümmern, das von Grund auf renoviert werden musste. Sogar die Wände schienen seltsam zu riechen.
Und dann gab es noch Chloe.
Vicky senkte den Blick, Übelkeit stieg in ihr auf.
„Das überrascht mich. James hatte geschäftlich mit Shaun zu tun. Ich hatte damit gerechnet, Sie hätten ihn im Büro gesehen.“
Vicky versagte die Stimme. Sie schüttelte den Kopf und begegnete Max’ prüfendem Blick.
„Wirklich nicht?“, hakte Max nach und überflog noch einmal Vickys Lebenslauf. „Nun gut. Vermutlich hätte Shaun Sie ohnehin nicht bemerkt.“
Max’ Worte brachten augenblicklich Klarheit in Vickys Gedanken. Max hatte sie sicher nicht verletzen wollen, trotzdem empfand sie seine Bemerkung als kränkend. Wenn er wüsste, wie hartnäckig sein abscheulicher Bruder sie umworben hatte! Shaun hatte sie mit seiner Eloquenz, seinen Blumen und seinen leeren Komplimenten verzaubert. Er hatte ihr gesagt, sie sei dazu bestimmt, ihn vor sich selbst zu retten. Und er hatte ihr mit Tränen in den Augen dafür gedankt, dass sie ihn zu einem besseren Menschen machen wollte. Sie war gutgläubig auf seine Phrasen hereingefallen. Es hatte jedoch nicht lange gedauert, bis Shaun sein wahres Gesicht gezeigt und Vicky das Ungeheuer hinter der Fassade erkannt hatte.
„Herzlichen Dank“, erwiderte sie kühl.
„Aber warum haben Sie sich entschlossen, aus Australien wegzugehen? Sie hatten doch einen guten Job und einen großen Freundeskreis.“
Da Vicky ihr Desinteresse an seinem Jobangebot bereits signalisiert hatte, hatte Max kein Recht mehr, sie auszufragen. Aber aus Angst, seine Neugier anzustacheln, verzichtete Vicky darauf, ihn in seine Schranken zu weisen.
„Ich wollte nie für immer dort bleiben und habe gedacht, es sei an der Zeit, nach England zurückzukehren.“ Chloe hat den Ausschlag gegeben, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Und seit Ihrer Rückkehr haben Sie als Aushilfe gearbeitet? Solche Jobs werden ziemlich schlecht bezahlt, finden Sie nicht?“
„Ich komme zurecht.“
„Und Sie wohnen …?“ Sekundenlang wandte er den Blick ab und blätterte in den Unterlagen, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. „Ja, am Stadtrand von Warwick. Haben Sie dort etwas gemietet?“
„Ich habe das Haus meiner Mutter geerbt. Es war in den letzten Jahren vermietet.“
Er schob die Unterlagen zur Seite, lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah Vicky unverhohlen neugierig an.
„Eine junge Frau, die gerade aus dem Ausland zurückgekehrt ist und sich vermutlich neu einrichten will, lehnt einen Job ab, der wesentlich besser ist als der, um den sie sich beworben hat. Wie lässt sich das erklären? Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, sind es Geheimnisse. Ich finde, sie sind dazu da, gelüftet zu werden. Und wissen Sie was?“
„Was?“, fragte Vicky. Sie fühlte sich wie verzaubert von seinen grauen Augen. Als sie Shaun kennengelernt hatte, waren ihr auch als Erstes die Augen aufgefallen. Die hellen Augen, das schwarze Haar und das fein geschnittene, schöne Gesicht. Er hatte wie ein Adonis ausgesehen. Wenn sie einen Funken Verstand besessen hätte, hätte sie unter all den Äußerlichkeiten sogleich den Mann erkannt, der er in Wahrheit gewesen war. Sie hätte erkennen müssen, wie schwach und haltlos er war. Oft genug hatte er innerhalb von wenigen Sekunden die Lippen zusammengepresst und dann seltsam grausam gewirkt.
Dass sich trotz dieser Erinnerungen an Shaun beim Anblick seines Zwillingsbruders seltsame Gefühle in ihr ausbreiteten, fand sie alarmierend.
„Irgendwann kommt jedes Geheimnis heraus.“ Max lächelte rätselhaft, und Vicky erbebte.
Max Forbes’ Ähnlichkeit mit seinem Bruder war geradezu verblüffend. Dennoch unterschied er sich sehr von ihm, ohne dass sie es hätte erklären können. Shauns ebenmäßige Züge hatten sie betört. Aber die Macht, die seinem Bruder im Gesicht geschrieben stand, faszinierte sie. Und während Shaun immer die richtigen Worte gefunden hatte, um die Frauen in sein Bett zu locken, kam sein Bruder wohl dadurch ans Ziel, dass er unverhohlen seine Meinung sagte. Max besaß ein Charisma, dem Frauen nur schwer widerstehen konnten. Man spürte sogleich, dass er immer nur das tat, was er tun wollte. Sogar Geraldine Hogg begegnete ihm mit einer gewissen Scheu.
Max Forbes betrachtete die schlanke, schmale Gestalt in dem Sessel vor ihm. Mit ihrem Elfengesicht und der hellen Haut mit den Sommersprossen wirkte Vicky Lockhart eher wie ein Kind als eine Frau. Ein Bild der Unschuld, dachte er. Aber sein Instinkt sagte ihm etwas anderes. Etwas an ihrer Geschichte stimmte nicht, und sein Wunsch herauszufinden, was es war, überraschte ihn. Es war lange her, dass jemand ihn so neugierig gemacht hatte. Er musterte sie und sah mit Genugtuung, dass Vicky errötete und rasch den Blick abwandte.
Nein, das Leben besteht nicht nur daraus, Geld zu verdienen und Sex zu haben, überlegte Max. Auch wenn er sich auf beides hervorragend verstand, empfand er es seit einiger Zeit nicht mehr als befriedigend. Vicky Lockhart hatte etwas zu verbergen, und die Aussicht, ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen, erfüllte Max mit Freude.
„Wie interessant“, sagte Vicky höflich und blickte ihn mit ihren großen braunen Augen an. Die Sonne schien zum Fenster herein, das Licht verfing sich in ihrem Haar und schien es in Flammen zu setzen.
Ihr Haar weist einen ganz ungewöhnlichen Rotton auf, dachte Max. Er kannte sich aus, deshalb war ihm klar, dass es nicht gefärbt war. Natürlich war Vicky Lockhart ganz und gar nicht sein Typ. Er hatte schon immer eine Vorliebe für große Frauen mit vollen Brüsten gehabt. Unwillkürlich überlegte er, wie ihr Haar wohl aussehen mochte, wenn es nicht hochgesteckt war. Wie lang mochte es sein? Sehr lang und ungebändigt, ganz anders als das der eleganten und perfekt frisierten Frauen, mit denen ich ausgehe, dachte er. Spiegelte ihr Haar ihre Persönlichkeit? Verbarg sich unter der bezaubernden, etwas kindlich wirkenden Fassade eine wilde, erotische, widerspenstige Frau, die darauf wartete, aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt zu werden? Er lächelte bei dem Gedanken. Verblüfft gestand er sich, wie sehr ihn das Bild, das er heraufbeschworen hatte, körperlich erregte. Er fühlte sich wie ein unreifer Jugendlicher, weil er so stürmisch auf Vicky Lockhart reagierte, und räusperte sich geschäftsmäßig.
„Ich weiß nicht, ob Geraldine mit Ihnen über das Gehalt gesprochen hat.“ Max wartete darauf, dass Vicky neugierig wurde, und nannte dann einen Betrag, der etwa doppelt so hoch war wie ursprünglich vorgesehen. Ein Funken Interesse glomm in Vickys braunen Augen auf.
„Das ist wirklich großzügig. Geraldine hat erwähnt, dass diese Position höher dotiert sei als der Job, um den ich mich beworben habe.“
Vicky war anzusehen, dass das Angebot sie reizte, und Max wartete geduldig auf ihre Zustimmung.
„Trotzdem muss ich das Angebot leider ablehnen“, erklärte sie schließlich.
Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, was sie da gesagt hatte. „Wie bitte?“ Max war nicht leicht zu erschüttern, aber sekundenlang verschlug es ihm die Sprache.
„Ich kann Ihr Angebot nicht annehmen.“
Max betrachtete ihr elfenhaftes Gesicht, die verführerischen Lippen, die sanften braunen Augen, die von unglaublich langen kastanienbraunen Wimpern umrahmt wurden. Plötzlich fühlte er sich machtlos. Er konnte Vicky nicht zwingen, sein Angebot anzunehmen. Er wusste nicht einmal genau, warum er so wütend über ihre Weigerung war. Er wusste nur, dass er sie am liebsten schütteln würde, bis sie einwilligte, für ihn zu arbeiten. Seine Reaktion war völlig absurd. Ich muss verrückt geworden sein, dachte er. Anscheinend hatten die Abwicklung der Geschäfte in New York und die Rückkehr nach Großbritannien ihn mehr mitgenommen, als ihm bewusst war. Oder warum sonst löste eine wildfremde Frau so heftige Gefühle in ihm aus?
Max blickte auf den Schreibtisch und klopfte mit dem Füllfederhalter gereizt auf die Tischplatte. „Ich kann Sie natürlich nicht zwingen …“
„Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie versucht haben, mich zu überreden.“ Vicky stand auf und lächelte ihn verlegen und, wie Max irritiert feststellte, erleichtert an.
„Tausende von Menschen würden sich um das Angebot reißen, das ich Ihnen gerade gemacht habe.“ Max’ Stimme klang betont liebenswürdig, und er rang sich ein bedauerndes Lächeln ab. Er ließ den Blick über Vickys Gesicht gleiten und stellte sich vor, wie sie mit offenem Haar aussehen würde. Dieser Gedanke erregte ihn ungemein. Er kam sich wie ein pubertierender Jugendlicher vor, als er ihre kleinen, vollen Brüste betrachtete, die sich unter der Bluse und dem Blazer kaum wahrnehmbar abzeichneten. Dann überlegte er, wie sie wohl aussehen mochten. Klein, voll, mit rosigen Spitzen. Rotes Haar, das über einen nackten Körper fiel und Brüste, die gerade groß genug waren, um in seine Hand zu passen … Max schluckte. Als er aufstand, beugte er sich vor und stützte die Hände auf den Tisch, um seine Erregung zu verbergen. „Sind Sie ganz sicher, dass Sie es sich nicht noch einmal überlegen wollen?“
„Ganz sicher.“ Vicky sah ihn etwas unsicher an und streckte höflich die Hand aus, die er nahm und drückte. Man merkte ihr an, dass sie sich zu dieser kleinen Geste zwingen musste.
Ich mache sie nervös, aber warum?, überlegte Max. Er hatte sie nicht bedroht, oder etwa doch? Waren sie einander schon einmal begegnet? Aber nein, daran würde er sich erinnern. Ihr feines Gesicht mit der hellen Haut und ihr wundervolles, zerzaust wirkendes Haar vergaß man nicht so leicht. Aber sie war in Australien gewesen …
„Wenn ich das nächste Mal mit James spreche, werde ich ihm erzählen, dass ich Sie kennengelernt habe“, verkündete Max leise, als er sie zur Tür begleitete.
Sekundenlang hielt sie inne. „Natürlich. Stehen Sie in ständigem Kontakt miteinander?“
„Früher ja. Er hatte sich etwas um meinen missratenen Bruder gekümmert.“
„Jetzt nicht mehr?“
Interessiert registrierte Max, wie unsicher ihre Stimme klang. „Mein Bruder ist vor einiger Zeit bei einem Autounfall ums Leben gekommen, Miss Lockhart.“
Vicky nickte, aber statt ihr Beileid auszudrücken, wie es sich gehört hätte, legte sie die Hand auf den Türgriff. Sie wusste, dass sie aus Höflichkeit einige Worte des Bedauerns hätte sagen müssen. Das brachte sie jedoch nicht über sich. Sie verspürte bezüglich Shauns Schicksal kein Bedauern. Es fiel ihr zu schwer, diesem Mann zu verzeihen, was er ihr angetan hatte.
„Vielleicht sehen wir uns ja wieder.“ Nicht nur vielleicht, sondern viel früher, als du denkst, fügte Max in Gedanken hinzu.
„Das bezweifle ich.“ Vicky lächelte und öffnete die Tür. „Trotzdem vielen Dank, dass Sie mir den Job angeboten haben. Ich hoffe, Sie können die Stelle bald besetzen.“
Der Anblick des Gartens hatte Vicky am schmerzlichsten berührt, als sie nach ihrer Rückkehr nach England das bescheidene Vier-Zimmer-Häuschen ihrer Mutter bezog. Sie hatte zwar damit gerechnet, das Cottage nicht im besten Zustand vorzufinden. Es hatte eine Reihe von mehr oder weniger zuverlässigen Mietern kommen und gehen sehen und hätte schon zu Lebzeiten ihrer Mutter dringend renoviert werden müssen. Aber der Garten hatte Vicky das Herz gebrochen. Kleine Kinder, Zigaretten rauchende Teenager und achtlose Erwachsene hatten dafür gesorgt, dass er nicht wieder zu erkennen war.
Noch etwas, was ich der Vermietungsagentur melden muss, hatte Vicky gedacht. Viel versprach sie sich davon allerdings nicht. Marsha, die Frau, der Vicky damals das Haus eilig, aber mit einem guten Gefühl anvertraut hatte, war vor achtzehn Monaten aus der Agentur ausgeschieden, und seither war das Cottage von verschiedenen Mitarbeitern betreut worden, von denen keiner sich sonderlich darum gekümmert hatte. Vielleicht hatte man in der Agentur nicht damit gerechnet, dass sie jemals nach England zurückkommen würde, schon gar nicht so überraschend.
Es brach Vicky das Herz, an die Zeit und Mühe zu denken, die ihre Mutter für den kleinen, gepflegten Garten aufgewandt hatte. Vor zehn Jahren, nach dem Tod von Vickys Vater, war der Garten für ihre Mutter zu einem Ort der Zuflucht geworden. Er hatte sie durch Höhen und Tiefen begleitet, hatte ihr Trost gespendet, als sie krank geworden war und nicht mehr die Energie gehabt hatte, spazieren zu gehen oder sich körperlich zu betätigen.
Mit Fantasie und Geschmack hatte sie Blumenbeete und Hecken angelegt und wilde Rosen und Sträucher gepflanzt. Vicky erinnerte sich noch an die Sommerabende, an denen sie draußen gesessen, den Lauten der Natur gelauscht und die Farbenpracht genossen hatten.
Das Cottage stand zurückgesetzt am Ende einer schmalen Straße in einer Gegend von Warwickshire, die für ihren ländlichen Charakter bekannt war. Der kleine Garten, in dem jetzt das Unkraut gnädig die eine oder andere Bierflasche überwucherte, fiel sanft ab zu einem weißen Zaun, jenseits dessen sich bestellte Felder erstreckten. Rechts trennte ein gepflegtes, baumbestandenes Grundstück das Cottage vom Nachbarhaus. Das Wäldchen auf der linken Seite schützte vor dem Lärm der viel befahrenen Straße.
Vicky wurde es an diesem Samstagmorgen bei der Gartenarbeit in ihrer warmen Kleidung viel zu heiß, und sie war schmutzig. Hinter einem Busch entdeckte sie die x-te Blechdose an diesem Tag. Robbie von der Agentur hatte ihr versichert, dass nichts von dem, was sie im Garten vorfand, dort gewesen sei, als die Mieter Haus und Grundstück übergeben hatten. Außerdem wusste Vicky ohnehin, dass sie den richtigen Zeitpunkt verpasst hatte, sich über den Zustand des Gartens zu beschweren. Bis vor Kurzem hatte sie das Ausmaß der Verwüstung gar nicht richtig erkannt.
Erst heute fand Vicky zum ersten Mal Zeit, sich wirklich in die Arbeit zu knien, und das auch nur, weil sie Chloe bei der Mutter einer Klassenkameradin untergebracht hatte. Beim Gedanken an ihre fünfjährige Tochter erhellte ein Lächeln Vickys Gesicht. Wenigstens brauche ich mir wegen Chloe keine Sorgen zu machen, dachte sie. Ihre Tochter fühlte sich in der neuen Schule wohl wie ein Fisch im Wasser, und Vicky war darüber sehr erleichtert.
Sie zog die Gartenhandschuhe an, wühlte mit der Hand im Gestrüpp und war in Gedanken bei ihrer zauberhaften Tochter mit dem rabenschwarzen Haar, die so ganz anders aussah als sie. Gerade wollte sie nach der zerbeulten Dose greifen, als eine Stimme hinter ihr ertönte.
„Ich habe mir schon gedacht, dass ich Sie hier treffen würde. Ich hoffe, ich störe nicht.“
Vor Schreck fiel Vicky ins Gebüsch, und als sie sich nach kurzem Kampf mit Laub, Erde und Dornen wieder aufrichtete, sah sie noch schlimmer aus als zuvor. „Was wollen Sie denn hier?“
Max Forbes sah im hellen Licht der Wintersonne ungemein gut aus. Der frische Wind hatte ihm das dunkle Haar zerzaust, was ihm etwas Jungenhaftes verlieh und nicht so recht zu seinen strengen Zügen zu passen schien. Als sein Trenchcoat im Wind flatterte, bemerkte Vicky, dass er leger gekleidet war. Zu einer dunklen Hose trug er einen warmen wollweißen Pullover über einem hellen Hemd. Schockiert darüber, ihn in ihrem Garten zu sehen, wich Vicky einige Schritte zurück.
„Passen Sie auf, dass Sie nicht wieder im Gebüsch landen.“
„Was wollen Sie hier?“ Nachdem Vicky sich damit abgefunden hatte, dass Max vor ihr in ihrem Garten stand, schossen ihr alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Als ihr einfiel, dass Chloe den ganzen Vormittag fort sein würde, bekam Vicky vor Erleichterung weiche Knie.
„Eigentlich habe ich Ihre Nachbarn besucht, die Thompsons, sie wohnen drei Häuser weiter. Die Welt ist klein, finden Sie nicht?“
„Ich weiß nicht, wie die Leute hier heißen. Ich kenne nur das ältere Ehepaar von gegenüber.“
„Und deshalb dachte ich, ich schaue einmal vorbei und frage, ob Sie schon einen Job gefunden haben.“
Vicky stand vor ihm und neigte den Kopf zurück. Ohne hohe Absätze war sie gut fünfundzwanzig Zentimeter kleiner als Max und fühlte sich schwach und unterlegen. Ihr langer Zopf, ihr Gesicht, ihre Kleidung, ihre Hände waren voller Erde. Die robusten Gummistiefel starrten vor Schmutz, und ihre Fingernägel sahen vermutlich keinen Deut besser aus.
„Es sind erst drei Tage vergangen, und bisher hatte ich noch kein Glück. Danke.“ Vicky rührte sich nicht von der Stelle, obwohl die Kälte durch ihren Pullover und die Wachsjacke drang und sie zittern ließ. Sie schob die Hände in die Jackentaschen und sah Max ungehalten an.
„So ein Pech.“
„Bestimmt wird sich etwas ergeben.“
„Ach, ich weiß nicht. Jobs in Schreibsälen sind dünn gesät. Natürlich könnten Sie leicht eine besser bezahlte, anspruchsvollere Arbeit finden, aber wer braucht das schon?“
Max’ leicht belustigter Ton löste noch mehr Verwirrung und Ärger in Vicky aus, als sie ohnehin schon empfand.
„Wollen wir nicht hineingehen? Ich habe Zeit für eine Tasse Tee, und Sie können mir von Australien erzählen.“
„Da gibt es nichts zu erzählen.“ Vicky schlug das Herz bis zum Hals, und der Schrecken, in den er sie mit seinem überraschenden Auftauchen versetzt hatte, wuchs sich zur Panik aus.
Sie konnte Max nicht ins Haus bitten. Chloe war zwar nicht da, aber ihre Sachen lagen überall herum. Max wusste nicht, dass sie ein Kind hatte, und so sollte es auch bleiben. Wenigstens in diesem Punkt habe ich Glück gehabt, dachte Vicky. Sie hatte Chloe in ihrer Bewerbung vorsichtshalber nicht erwähnt, weil sie mehrfach gehört hatte, dass ein Kind unangenehme Fragen zur Kinderbetreuung aufwarf, erst recht bei Alleinerziehenden. Eine Absage war meist die sichere Folge. Dank der Schule und Betsy, die auch abends manchmal auf Chloe aufpasste, hatte Vicky keine Betreuungsprobleme. Deshalb hatte sie sich vorgenommen, einen Arbeitgeber erst über Chloe zu informieren, wenn ein konkretes Jobangebot vorlag, in der naiven Hoffnung, man würde sie nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch trotz des Kindes nehmen.
Max blickte auf Vicky herab und gestand sich irritiert ein, dass er am liebsten mehrere Dinge gleichzeitig getan hätte. Erstens hätte er am liebsten das Weite gesucht, weil er keine Ahnung hatte, welcher Teufel ihn geritten hatte, hier aufzukreuzen. Zweitens, und das irritierte ihn über alle Maßen, wollte er sich nicht vom Fleck rühren, denn Vicky faszinierte ihn jetzt noch mehr als bei ihrer ersten Begegnung. Drittens hätte er ihr gern den Schmutz aus dem Gesicht gewischt, und sei es nur, um ihre Reaktion zu sehen. Dieser Wunsch war so übermächtig, dass Max die Hände hinter dem Rücken verschränken und den Blick von Vicky abwenden musste.
„Ehrlich gesagt, bin ich nicht nur zufällig vorbeigekommen“, erklärte Max schließlich. Er ärgerte sich über Vicky, weil er sich ihretwegen in Lügen verstrickte. Und er war zornig auf sich selbst, weil er so erbärmlich schwach war, sie überhaupt aufgesucht zu haben.
„Sondern?“ Vicky blickte ihn misstrauisch an.
„Eigentlich bin ich wegen des Hauses gekommen.“
„Wegen des Hauses? Was haben Sie mit meinem Haus zu tun?“
„Warum gehen wir nicht hinein? Da können wir uns besser unterhalten.“ Max konnte sich nicht erinnern, je zuvor in seinem Leben so hinterhältig gehandelt zu haben. Und das tat er jetzt nur, weil er es nicht schaffte, sich die junge Frau aus dem Kopf zu schlagen. Nur weil sie aus unerfindlichen Gründen sein Interesse geweckt hatte, benahm er sich wie ein schlechter Schauspieler in einem drittklassigen Film.
Vicky sagte nichts. Stattdessen kämpfte sie sich gegen den Wind bis zum Haus durch und sah aus, als könnte sie jeden Moment weggeblasen werden. Max folgte ihr in geringem Abstand und biss ärgerlich die Zähne zusammen, als Vicky ihn aufforderte, draußen zu warten, bis sie sich umgezogen hatte. „Warum draußen?“ Er zog die Augenbrauen hoch.
„Weil ich es so will“, erwiderte Vicky kühl. „Und weil es mein Haus ist.“ Mit diesen Worten schlug sie Max die Tür vor der Nase zu, ehe er protestieren konnte.
So schnell hatte sie noch nie gehandelt. Zum Glück war das Haus frisch geputzt, und Vicky schaffte es in weniger als drei Minuten, die Sachen ihrer Tochter wegzuräumen. Sie brauchte weitere fünf Minuten, die schmutzige Kleidung auszuziehen und verwaschene Jeans und ein sauberes T-Shirt anzuziehen. Gegen die zerzauste Frisur konnte sie im Moment nichts tun.
„Also dann“, sagte sie und riss die Tür auf, gegen die Max sich nichts ahnend gelehnt hatte, „was ist mit meinem Haus los?“
„Wissen Sie eigentlich, dass Sie völlig exzentrisch sind?“
„Nein.“ Vicky führte Max ins Wohnzimmer, den ersten Raum im Haus, den sie neu hergerichtet hatte und der sich jetzt in ruhigen Grün- und Cremetönen und glücklicherweise ohne Spielsachen präsentierte. Vicky sah auf die Uhr und stellte fest, dass Chloe frühestens in zwei Stunden nach Hause kommen würde. Sie hatte mehr als genug Zeit, Max Forbes loszuwerden, bei dessen Anblick ihr heiße und kalte Schauer über den Rücken liefen.
„Mein Haus“, erinnerte sie Max, nachdem er sich hingesetzt hatte. „Ich bleibe lieber stehen. Ich bin noch schmutzig von der Gartenarbeit. Also, was ist mit meinem Haus?“
„So kann ich nicht mit Ihnen reden.“ Max schüttelte den Kopf und stand auf. „Das ist schade, denn ich habe Ihnen etwas Interessantes zu sagen. Aber wenn Ihre schlechten Manieren Sie daran hindern, in Ihrem eigenen Interesse zu handeln … Nun ja“, er zuckte die Schultern, „ich habe es zumindest versucht.“
Vicky sah ihn skeptisch an. Max hätte nicht kommen sollen, und sie wusste, dass sie ihn kurzerhand hinauswerfen sollte. Eigentlich hätte sie ihn gar nicht hereinlassen dürfen. Mit seinem Bruder war es genauso gewesen. Vicky hatte vom ersten Augenblick an gewusst, dass sie sich vor Shaun in Acht nehmen musste. Er hatte zu gut ausgesehen, war zu eloquent und gesellschaftlich etabliert gewesen, um sich für eine junge Frau wie sie zu interessieren. Aber als er vor dem Schreibtisch stehen geblieben war, wo Vicky mit gesenktem Kopf über ihrer Arbeit saß, hatte sie sich von seiner Nähe überwältigt gefühlt. Alles, was Vicky gesagt hatte, sogar ihre Aufforderung zu gehen, schien ihn zu belustigen. Sein raues und so sexy wirkendes Lachen und sein Blick hatten Unbehagen und zugleich Erregung in ihr ausgelöst.
Wenn Shaun das gelungen ist, um wie viel gefährlicher ist dann erst Max, der seinem Bruder haushoch überlegen ist?, fragte sich Vicky. Selbst wenn sie Max nicht in ihrem eigenen Interesse auf Abstand hielt, musste sie ihm dann nicht wenigstens ihrer Tochter zuliebe aus dem Weg gehen?
Mit ihrem dunklen Haar und ihren grauen Augen war Chloe Shaun wie aus dem Gesicht geschnitten. Jeder würde sogleich erkennen, dass sie eine Forbes war.
Ja, wenn ihre Beziehung einfach eine der üblichen gescheiterten Romanzen gewesen wäre. Wenn Shaun den Anstand besessen hätte, Vicky und das Baby zu verlassen, sodass sie in Ruhe hätten leben können. Aber wie alle schwachen Männer hatte Shaun einen Sündenbock gebraucht, und diese Rolle war Vicky zugefallen. Er hatte selten die Hand gegen sie erhoben und auch dann nur unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen, aber das hatte gereicht, um sie gefügig zu machen. Shaun brauchte nur zu drohen, ihr Chloe wegzunehmen. Er tat zwar anderen gegenüber so, als hätte er nie ein Kind gezeugt, unter vier Augen aber hatte er Vicky nur allzu gern daran erinnert, dass seine Familie, sollte sie je von Chloe erfahren, schonungslos ihren Anspruch auf das Kind geltend machen würde. Ganz besonders dann, wie Shaun allzu gern betonte, wenn seine Verwandten Chloes Ähnlichkeit mit ihm und seinem Bruder bemerkten.
Deshalb hatte Vicky immer in Angst gelebt. Manchmal hatte Shaun sich tage- und wochenlang nicht blicken lassen. Dann war er unvermittelt wieder aufgetaucht und hatte seine vermeintlichen Rechte eingefordert. Vicky hatte mit ihm geschlafen und hinterher bittere Tränen geweint.
Max Forbes in ihrem Haus zu wissen gab Vicky das Gefühl, dem Teufel persönlich gegenüberzustehen. Ihr war klar, dass Max die Tatsache, dass Shaun eine Tochter hatte, höchst interessant finden würde. Würde er versuchen, ihr Chloe wegzunehmen oder das Sorgerecht für sie zu bekommen, notfalls durch alle gerichtlichen Instanzen hindurch? Vicky wusste mit fast hundertprozentiger Sicherheit, dass ihrem Kind keine Gefahr drohte, aber die winzige Ungewissheit reichte aus, sie in Angst und Schrecken zu versetzen.
Jahrelang hatte Vicky ihre Tochter vor ihrem unberechenbaren Vater beschützt. Hilflos hatte sie zugesehen, wie er seine Macht über sie beide ausgeübt hatte, lächelnd, gnadenlos, Furcht einflößend. Vicky hatte in ständiger Nervosität gelebt, sie war immer auf das Schlimmste gefasst gewesen. Nein, Max durfte keinesfalls von Chloe erfahren. Die Gefahr war zu groß, dass die beiden Brüder mehr gemeinsam hatten als das Aussehen. Vicky war der zerstörerischen Beziehung mit Shaun nicht entronnen, um nun auf seinen Bruder hereinzufallen. Sie würde nie mehr zulassen, dass ein Mann so viel Macht über sie besaß. Nie mehr.
Max, der neben der Tür stand, sagte etwas, und Vicky konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Sie konnte es sich nicht leisten, wegen des Hauses Probleme zu bekommen. Sie begann allmählich Fuß zu fassen und wollte Chloe keine weiteren Veränderungen zumuten.
„Setzen Sie sich. Bitte. Ich höre Ihnen zu.“ Vicky wies mit einer Kopfbewegung auf den Sessel, von dem Max gerade aufgestanden war.
„Haben Sie die Gerüchte gehört?“
„Welche Gerüchte?“
„Über den Supermarkt oder das Einkaufszentrum, denn offenbar sollen Parkplätze für Hunderte von Autos geschaffen werden.“
Vicky entschloss sich, sich doch hinzusetzen. Sie sah Max entsetzt an. „Sie scherzen“, sagte sie.
„Es hört sich schlimm an, nicht? Ich persönlich hasse Einkaufszentren und kaufe lieber in kleinen Geschäften ein. Bisher habe ich bei Harrods und Fortnum and Masons immer alles bekommen, was ich wollte. Gibt es hier in Warwick eigentlich etwas Vergleichbares?“ Kaum hatte Max die Lüge ausgesprochen, hätte er sie am liebsten zurückgenommen. Er warf einen Blick auf Vickys Gesicht und gestand sich ein, dass er die Augen nicht von ihr abwenden konnte. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und sie saß rührend verletzlich in dem Sessel. Das eng anliegende T-Shirt schmiegte sich verführerisch um ihre kleinen, vollen Brüste. Max musste sich in Erinnerung rufen, dass er nur gekommen war, weil er Vickys Geheimnis auf die Spur kommen wollte. Er war nicht gekommen, weil er sich zu ihr hingezogen fühlte, obwohl seine Fantasie ihm verblüffend klare Bilder ihres nackten Körpers vorgaukelte.
Er fand es frustrierend, dass Vicky sich offenbar nicht für ihn interessierte. Auf einen Mann wie ihn, der daran gewöhnt war, die Blicke der Frauen auf sich zu ziehen, wirkte ihr Desinteresse wie eine einzige Herausforderung.
„Wer sagt das?“, fragte Vicky, nachdem sie sekundenlang geschwiegen hatte.
„Alle und niemand. Sie wissen, wie das mit Gerüchten ist. Keiner will sie in die Welt gesetzt haben. Vielleicht entbehrt meine Information ja jeder Grundlage.“ Max seufzte. „Aber mir ist wohler, wenn Sie Bescheid wissen.“
„Mein Haus wird nichts mehr wert sein, wenn gegenüber ein Supermarkt entsteht“, stieß Vicky hervor. Sie war dem Weinen nahe. „Nicht, dass ich verkaufen möchte, aber …“
„Ich bin sicher, das ist alles nur dummes Gerede“, erklärte Max rasch. Er fühlte sich schuldig, als er Tränen in ihren Augen schimmern sah.
„Aber wenn nicht?“ Vicky konnte es nicht fassen. Ein Einkaufszentrum mit Tausenden von Parkplätzen hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie blinzelte, und Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie schämte sich, aber sie konnte den Gefühlsausbruch nicht unterdrücken.
Vicky nahm kaum noch etwas wahr um sich her. Auf einmal merkte sie, dass Max sich auf die breite Lehne des Sessels setzte und ihr mit einem Taschentuch das Gesicht abtupfte. Mit einem erstickten Laut nahm Vicky ihm das Taschentuch aus der Hand und wischte sich die Tränen selbst ab. Dann lehnte sie den Kopf zurück, seufzte und schloss die Augen.
„Ich hätte es Ihnen nicht sagen dürfen.“ Sie hat keine Ahnung, wie ehrlich ich das meine, dachte er. Er beugte sich vor, strich ihr eine Strähne ihres Haares aus der Stirn und streichelte ihre feuchten Wangen. Vickys Haut fühlte sich an wie Seide, und ihre Sommersprossen bildeten, aus der Nähe betrachtet, ein faszinierendes Muster auf ihrer Nase. Max berührte flüchtig ihre Lippen mit dem Daumen.
„Nein, es ist besser, ich weiß Bescheid.“ Vicky öffnete die Augen und sah ihn an. Sein Blick wirkte so freundlich und mitfühlend, dass ihr der Atem stockte.
„Ich kann leicht herausfinden, ob das Gerücht stimmt“, sagte Max leise und spürte, wie sehr es ihn erregte, ihr Gesicht zu streicheln. Vicky gab ihm Rätsel auf. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie etwas verbarg. Momentan war sie nichts als eine verletzliche junge Frau, die einen ungeahnten Beschützerinstinkt in ihm wachrief.
„Das würden Sie tun?“, fragte Vicky. „Wirklich? Es würde mir viel bedeuten.“ Erst jetzt nahm sie seine Liebkosung wahr und zuckte zurück.
„Natürlich.“ Max setzte sich hin und schlug die Beine übereinander. Dann sah er sich langsam um, als nähme er seine Umgebung zum ersten Mal wahr. „Habe ich eigentlich erwähnt, dass Sie als unsere Mitarbeiterin sehr preiswert Renovierungsarbeiten durch unser Unternehmen durchführen lassen könnten? Das Dach sieht aus, als müsste es instand gesetzt werden, und Ihr Kamin hält auch nicht mehr lange.“
„Aber ich arbeite nicht für Sie.“ Vicky blickte ihn an. „Ich verstehe nicht, warum Sie mir unbedingt helfen wollen.“ In ihrer Frage schwang echte Neugier. Es war ihr ein Rätsel, warum Max sie trotz ihres Desinteresses unbedingt als Mitarbeiterin gewinnen wollte.
Max seufzte resigniert und betrachtete Vicky unter halb geschlossenen Lidern. „Ich bin verzweifelt. Das ist der Grund. Ich bin jetzt seit sieben Monaten hier und schlage mich seither mit unfähigen Aushilfssekretärinnen und ungeeigneten Bewerberinnen herum.“
„Und keine Einzige hat Ihren Anforderungen genügt?“
„So ist es“, antwortete er gereizt, denn ihre Stimme klang so ungläubig und vorwurfsvoll, als wäre er an dem Dilemma selbst schuld.
„Was hatten Sie an ihnen auszusetzen?“
„Na ja, es kam vieles zusammen.“
„Vielleicht sind Sie zu anspruchsvoll“, gab Vicky zu bedenken.
Max runzelte die Stirn. „Ich bin der anspruchsloseste Chef, den ich kenne. Ich erwarte lediglich ein gewisses Maß an Engagement, etwas gesunden Menschenverstand und die Fähigkeit, ganz normale, alltägliche Büroarbeiten zu erledigen.“
„Woher wollen Sie wissen, dass ich diese Fähigkeiten besitze?“ Max sah sie nachdenklich an, und Vicky fiel auf, wie groß der Unterschied zwischen ihm und Shaun war, obwohl sie sich auf den ersten Blick verblüffend ähnlich sahen. Max strahlte Energie aus, und sein Gesicht war im Gegensatz zu dem seines Bruders von Lachfalten durchzogen. Seine Lippen waren voller, aber vielleicht war das auch nur eine Täuschung, weil er beherrschter und selbstsicherer wirkte als sein Bruder. Vor allem fehlte Max Shauns selbstgefälliges Dauerlächeln, und er schien nicht so viel Wert auf Äußerlichkeiten zu legen wie sein Bruder. Je länger Vicky ihn musterte, desto weniger erinnerte er sie an Shaun.
„Weil Sie erfolgreich für einen Mann gearbeitet haben, den ich seit Langem kenne und respektiere“, erwiderte Max geradeheraus. „Davon abgesehen, haben Sie einen guten Eindruck auf mich gemacht, und mein erster Eindruck trügt mich selten.“
„Trotzdem sollten Sie lieber vorsichtig sein“, hörte Vicky sich mit einer Spur von Bitterkeit sagen. Sie wandte den Blick ab und spielte nervös mit ihrem Zopf, wohl wissend, dass sie errötete.
Jetzt ist nicht der richtige Moment, dieser seltsamen Bemerkung auf den Grund zu gehen, dachte Max. Vicky sah ihn nicht an, und das sagte genug. Außerdem bewies ihm ihr Erröten, dass Vicky spontan und instinktiv reagiert hatte, so als hätte sie eine schmerzliche Erfahrung gemacht. Wieder packte ihn eine brennende Neugier. Er verstand sich selbst nicht mehr, solche Regungen waren ihm sonst fremd. Er musste dem Verlangen widerstehen, weiter in sie zu dringen und sie um eine Erklärung zu bitten. Frauen waren für Max immer ein offenes Buch gewesen. Es war eine neue Erfahrung, dass eine Frau sich ihm verschloss. Vicky ist wirklich eine Herausforderung für mich, gestand er sich ein.
„Vielleicht haben Sie recht“, stimmte Max zu. „Vielleicht bin ich naiver, als ich dachte.“
Die Vorstellung, ein Mann wie Max könne naiv sein, war so grotesk, dass Vicky beinahe gelacht hätte.
„Also gut“, fügte er rasch hinzu, „ich lege die Karten auf den Tisch. Ich spüre instinktiv, dass Sie und ich gut zusammenarbeiten würden. Es gibt nichts, was ich in den letzten Monaten nicht erduldet hätte, von falsch abgelegten Unterlagen bis hin zu der Unfähigkeit, einen etwas komplizierteren Sachverhalt abzutippen.“ Ich übertreibe maßlos, dachte er. Aber wen kümmerte das schon? „Ganz abgesehen von jungen Frauen, die in meiner Gegenwart kaum einen klaren Gedanken fassen konnten.“ Max beobachtete Vicky verstohlen. Er war gespannt auf ihre Reaktion auf diese Bemerkung und hoffte, heimliches Einverständnis von ihrem Gesicht abzulesen. Stattdessen zog Vicky nur verächtlich die Augenbrauen hoch.
„Ich könnte es nicht ertragen, für einen Mann zu arbeiten, der glaubt, jede Frau müsse ihn für ein Geschenk des Himmels halten“, erklärte Vicky kühl.
„Ich glaube gar nicht, dass …“
„Oder für jemanden, der überzeugt ist, jede Frau würde bereitwillig mit ihm ins Bett hüpfen“, unterbrach sie ihn, „für jemanden, dem der äußere Schein über alles geht, der einen Sportwagen braucht, um sein Ego zu stärken …“
„Sie scheinen mich völlig missverstanden …“
„Der sich aufplustert und Befehle erteilt und der glaubt, dass er das Recht hat, andere nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, nur weil er zufällig mit einem einigermaßen attraktiven Äußeren geboren wurde …“
„Jetzt machen Sie aber einen Punkt!“
In dem Moment läutete das Telefon, und Vicky eilte in die Diele. Sie zitterte nach ihrem Wortschwall, denn Max’ beiläufige Bemerkung hatte eine Flut von Erinnerungen hochgespült, Erinnerungen an Shaun und seine notorische Untreue, seinen Hang, Frauen seine Macht spüren zu lassen, seine unglaubliche Anmaßung, ihnen nach Lust und Laune das Herz zu brechen. Vicky schwirrte der Kopf. Als sie Pat Downs Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, dauerte es einige Sekunden, bis sie begriff, dass Chloe früher nach Hause kommen würde als geplant.
„Es tut mir so leid, Vicky, aber meine Mutter ist mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert worden, deshalb setze ich Chloe in zehn Minuten bei dir ab, wenn es dir recht ist.“ Pat klang, als wäre sie den Tränen nahe.
„In zehn Minuten?“, wiederholte Vicky und atmete tief ein.
„Es tut mir leid.“
„Nein, nein, das ist völlig in Ordnung. Soll ich auf Jess aufpassen?“
Nein, Pat würde Jess mit zu ihrer Mutter nehmen und in weniger als zehn Minuten da sein, wie sie erklärte.
Vicky legte auf und eilte ins Wohnzimmer zurück.
„Sie müssen jetzt gehen!“, befahl sie hektisch. „Ich hatte ganz vergessen, dass ich eine wichtige Verabredung habe. Man wollte wissen, ob ich noch interessiert bin … an dem Job.“
„An einem Samstag?“, fragte Max und rührte sich nicht von der Stelle.
Vicky stöhnte auf und packte Max am Arm. Sie versuchte, ihn hochzuziehen. Doch das war ein Fehler, denn jetzt schien er sich erst recht zu weigern, das Sofa zu verlassen.
„Stehen Sie auf!“, schrie Vicky schließlich. „Sehen Sie nicht, dass ich in Eile bin?“
„Ich frage mich, warum. Keine vernünftige Firma verlangt, dass man sich am Wochenende vorstellt. Kann es sein, dass der Job, um den Sie sich beworben haben, irgendwie fragwürdig ist? Handelt es sich vielleicht um einen schäbigen Striptease-Auftritt in einem Nachtklub?“ Er stand endlich auf.
„Sehe ich etwa aus wie eine Frau, die bereit ist, sich in einem Nachtklub auszuziehen?“, fuhr Vicky ihn leicht hysterisch an. Dann drängte sie ihn zur Wohnzimmertür und versuchte, ihn hinauszuschieben.
„Lassen Sie mich darüber nachdenken“, antwortete Max langsam und blieb zu Vickys Verzweiflung schon wieder stehen. Sie funkelte ihn wütend an, während er sie anlächelte.
Es war das erste Mal, dass Vicky Max richtig lächeln sah, und es verschlug ihr den Atem. Das Lächeln veränderte die harten Konturen seines Gesichts, er wirkte jungenhaft und sexy. „Das ist nicht komisch“, sagte sie scharf.
„Nehmen Sie mein Angebot an?“
In weniger als fünf Minuten würde ein Auto die Einfahrt heraufbrausen, und Chloe würde hereinstürmen mit ihrem ansteckenden Lächeln und ihren rosigen Wangen, einen Rattenschwanz möglicher Katastrophen im Gefolge.
Sie musste Max endlich loswerden.
„Meinetwegen! Würden Sie jetzt bitte mein Haus verlassen, damit ich mit … mit meinem Leben weitermachen kann?“
Max sah sie überrascht an. „Heißt das, Sie fangen am Montag bei mir an?“
„Ich fange am Montag an“, stimmte Vicky zu und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere.
Es gelang ihr, Max zur Haustür zu drängen, die sie hastig aufriss. Sie seufzte erleichtert, als sie weit und breit kein kleines blaues Auto entdecken konnte.
„Melden Sie sich in der Personalabteilung“, forderte Max sie auf. „Danach kommen Sie in mein Büro, und wir sehen weiter.“
„Auf Wiedersehen!“
„Und vielleicht können Sie sich ja bemühen, etwas weniger exzentrisch zu sein.“
„Bis Montag dann!“ Vicky sah ihm nach, wie er den kurzen Pfad zur Straße hinunterging. Erst als sein Auto außer Sichtweite war, fragte sie sich, worauf sie sich gerade eingelassen hatte.
Sie hatte Max unbedingt loswerden müssen, ehe Chloe nach Hause kam. Wie hätte sie das bewerkstelligen sollen, ohne auf sein Angebot einzugehen? Nein, sie hatte keine andere Wahl gehabt. Trotzdem war Vicky entsetzt, Max so leichtfertig in die Falle gegangen zu sein.
Ich werde am Montag zur Arbeit erscheinen, einige Wochen durchhalten und dann kündigen, nahm sie sich vor. Insgeheim listete Vicky die Vorteile auf, die damit verbunden waren. Der Job war nicht nur finanziell ein Glücksfall, er würde ihr auch Gelegenheit geben, Max im Auge zu behalten und sein Misstrauen zu zerstreuen. Als seine Sekretärin würde sie vielleicht verhindern können, dass er seinen Freund in Australien anrief, von Vickys Schwangerschaft erfuhr und über kurz oder lang auch hinter ihr Geheimnis kam. Er durfte nicht erfahren, dass sie eine Beziehung mit seinem Bruder gehabt hatte.
Weitaus mehr beunruhigte sie jedoch der Verdacht, dass Max ihr nicht gleichgültig geblieben war. Vicky hatte ihre Lektion so gründlich gelernt, dass sie ein für alle Mal nichts mehr von Männern wissen wollte. Lieber würde sie sich umbringen als zuzugeben, dass sie sich zu Max Forbes hingezogen fühlte.
Auf jeden Fall musste sie die schwierige Situation, vor der sie plötzlich stand, unbedingt meistern.
Das ganze Wochenende lang bedauerte Vicky ihre impulsive Zusage, für Max Forbes zu arbeiten. Angesichts der Probleme, die sie auf sich zukommen sah, hatte sie den Grund für ihre übereilte Entscheidung schnell vergessen. Am Montagmorgen schlüpfte Vicky mit ungutem Gefühl in ihre Bürokleidung. Obwohl Mandy, die Personalsachbearbeiterin, ihr mitteilte, dass sich Max nur an einigen Wochentagen in der Niederlassung aufhielt, hob sich Vickys trübe Stimmung kaum. Als die junge Frau Max’ Namen erwähnte, flatterten ihre Augenlider und das Blut stieg ihr in die Wangen. Vicky fragte sich irritiert, ob alle weiblichen Angestellten des Unternehmens so reagierten, wenn Max’ Name fiel. Kein Wunder, dass er sich für unwiderstehlich hält, dachte sie missmutig.
Doch als Vicky wenig später Max in seinem Büro gegenüberstand, empfand auch sie seinen Anblick als überwältigend. War er schon am Samstag so groß und muskulös gewesen? Er saß entspannt in seinem eleganten Ledersessel und schien sie mit seiner Körpergröße zu erdrücken und in ein nervöses, kraftloses Etwas zu verwandeln. Er hatte sein Jackett abgelegt und die Ärmel seines blauweiß gestreiften Hemdes bis zu den Ellbogen aufgerollt.
„Aha“, stellte er zufrieden fest. „Ich war mir keineswegs sicher, dass Sie kommen würden. Ich nehme an, Sie haben den Papierkram schon mit Mandy erledigt. Ich habe mir einige Stunden frei gehalten, um Ihnen die wichtigsten Abläufe zu erklären. Danach müssen Sie leider allein zurechtkommen.“ Er unterbrach sich und lehnte sich bequem zurück. „Fangen wir mit der Kaffeemaschine an. Sie steht in der Ecke Ihres Büros, das …“
Vicky, die betont professionell Block und Stift aus ihrer Handtasche gezogen hatte, blickte ihn unverwandt an.
Max lächelte belustigt. „Das war nur ein Scherz.“
„Mir ist völlig klar, dass es zu meinen Aufgaben gehört, Tee und Kaffee zu kochen. Ich hoffe jedoch, dass solche Tätigkeiten nur eine untergeordnete Rolle spielen.“ Vicky konnte sich selbst nicht leiden, als sie sich so reden hörte. Je verwirrter sie sich in Max’ Gegenwart fühlte, desto gespreizter schien sie sich auszudrücken.
„Eine sehr untergeordnete“, versicherte Max ernst. „Tatsächlich koche ich oft selbst den Kaffee, und manchmal biete ich auch meiner Sekretärin eine Tasse an.“ Er hatte die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und betrachte Vicky über die aneinandergelegten Fingerspitzen hinweg.
„Haben Sie in London auch ein Büro?“, fragte sie höflich. „Mandy hat erwähnt, dass Sie teils hier, teils in London arbeiten.“
„Ja. Und in New York, Madrid und Glasgow. Sicher hatten Sie noch keine Gelegenheit, Informationsmaterial über das Unternehmen zu lesen.“ Max stand auf, ging zu der schwarzen Bücherwand mit der eleganten Glasfront hinüber und zog eine Handvoll Hochglanzbroschüren heraus, die er Vicky reichte. Danach setzte er sich auf die Schreibtischkante, sodass Vicky aus nächster Nähe sah, wie sich seine muskulösen Oberschenkel unter dem feinen Wollstoff seiner Hose abzeichneten.