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***DER ABSCHLUSS DER EINFACH-LIEBE-REIHE. LOTTE R. WÖSS LÄSST EURE GEFÜHLE NOCHMALS ACHTERBAHN FAHREN***
Juliane ist Studentin an einer der renommiertesten Modeschulen Europas in Berlin. Gerade steht der wichtigste Wettbewerb ihres Lebens vor der Tür: Edda-Dessous verspricht dem Gewinner eine Anstellung in ihrem Design-Team und die Umsetzung der Kollektion. Das wäre eine offene Tür in die Welt der Modeschöpfer. Wäre da nicht Tanja, Julianes größte Konkurrentin, die mit allen Mitteln versucht, ihre Kollektion zu sabotieren. Aber an Julianes Seite steht ihr Freund Rene, ein gefragter Modefotograf, der ebenfalls dabei ist, die Karriereleiter zu erklimmen. Gemeinsam scheinen sie unschlagbar! Doch an einem Abend, nur wenige Wochen vor dem Wettbewerb, muss Juliane erkennen, dass ihre Beziehung eine Lüge war, und ihre Konkurrentin noch viel durchtriebener ist, als sie es je für möglich gehalten hätte.
Sie glaubt, alles verloren zu haben, doch dann trifft sie auf Guido …
Für die Liebe musst du nicht perfekt sein ist der sechste und damit letzte Teil der Einfach-Liebe-Reihe. Alle Bände sind in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden. Sie können unabhängig voneinander gelesen werden.
Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Veilchen küsst Distelprinz.
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LOTTE R. WÖSS
Über das Buch:
Juliane ist Studentin an einer der renommiertesten Modeschulen Europas in Berlin. Gerade steht der wichtigste Wettbewerb ihres Lebens vor der Tür: Edda-Dessous verspricht dem Gewinner eine Anstellung in ihrem Design-Team und die Umsetzung der Kollektion. Das wäre eine offene Tür in die Welt der Modeschöpfer. Wäre da nicht Tanja, Julianes größte Konkurrentin, die mit allen Mitteln versucht, ihre Kollektion zu sabotieren. Aber an Julianes Seite steht ihr Freund Rene, ein gefragter Modefotograf, der ebenfalls dabei ist, die Karriereleiter zu erklimmen. Gemeinsam scheinen sie unschlagbar! Doch an einem Abend, nur wenige Wochen vor dem Wettbewerb, muss Juliane erkennen, dass ihre Beziehung eine Lüge war, und ihre Konkurrentin noch viel durchtriebener ist, als sie es je für möglich gehalten hätte.
Sie glaubt, alles verloren zu haben, doch dann trifft sie auf Guido …
Für die Liebe musst du nicht perfekt sein ist der sechste und damit letzte Teil der Einfach-Liebe-Reihe. Alle Bände sind in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden. Sie können unabhängig voneinander gelesen werden.
Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel »Veilchen küsst Distelprinz«.
Über die Autorin:
Lotte R. Wöss, geboren 1959 in Graz, absolvierte nach der Matura die Ausbildung zur Diplom-Krankenschwester.
Schon als Kind schrieb und dichtete sie, es folgten Artikel und Gedichte für kleine Zeitungen, doch erst im reiferen Alter fand sie zurück zu ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, und veröffentlichte ihren Debütroman »Schmetterlinge im Himmel« als Selfpublisherin. Mittlerweile hat sie zahlreiche Liebesromane, Krimis und auch Kurzgeschichten veröffentlicht, sowohl als Selfpublisherin als auch in Verlagen.
Ihr bevorzugtes Genre bleiben aber Liebesgeschichten mit Tiefgang. Die Entwicklung, die ein Mensch machen kann, die Möglichkeit, an sich selbst zu arbeiten und einen Reifeprozess durchzumachen – das ist für Wöss Thema Nummer eins.
Lotte R. Wöss
Einfach Liebe
Band 6
Liebesroman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Oktober © 2022 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Michael Lohmann
https://www.worttaten.de/
Korrektorat: Heidemarie Rabe
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
http://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 276217349, Adobe Stock ID 366070673, Adobe Stock ID 74737687, Adobe Stock ID 111938461 und freepik.com
Liebes Julchen! Ich möchte dir toi, toi, toi für die Modenschau am Samstag wünschen. Deine Modelle werden die Schönsten sein, bitte vergiss nicht, mir Bilder zu schicken. Herzlichst, Oma.
»Bist du heute bei der Dicken?«
»Ja. Ich frage mich, ob sie wirklich glaubt, dass sie Karriere machen kann.«
»Ihre Kleider sind klasse.«
»Das stimmt. Aber in der Branche muss man schon ein gewisses Auftreten haben. Obwohl sie ihre Rundungen gut kaschieren kann, das muss man ihr lassen. Eine Schönheit ist sie nicht, vor allem diese grässlichen Sommersprossen.«
»Ihr Freund schaut super aus.«
»Was der an ihr findet?«
»Ich habe gehört, sie kommt aus einer reichen Familie.«
»Ah!«
Der Lauscher an der Wand. Juliane holte Luft. Ihre Hände schwitzten und sie formte eine Hohlhand, damit die Kleider, die sie an sich gedrückt hielt, nicht etwa Flecken bekamen. Ihr Magen ballte sich zu einem schweren Klumpen zusammen. Der fettige Donut, den sie kurz zuvor hinuntergeschlungen hatte, drohte den Weg retour zu nehmen. Sie blieb stehen und schloss die Augen.
Ruhe! Du hast nichts gehört.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatten sich zahlreiche Vorstellungen von Juliane, was Studium und Ausbildung betraf, als naive Illusionen entpuppt. Hier an der privaten Modeakademie in Berlin tobte der Konkurrenzneid. Da an Julianes Designs nichts auszusetzen war, konzentrierten sich die feinen Spitzen auf ihr Aussehen. Das passte so gar nicht in die Glitzerwelt der mageren Models und des äußeren Scheins. Juliane hatte sich nie als dick empfunden, aber gemessen an den Magerhaken, die ihre weiblichen Formen durch einen Push-up-BH modellierten, fiel sie natürlich auf.
»Juliane, ich bin ja so gespannt, wie deine neuen Kreationen ankommen!« Eiskristalle bohrten sich in ihre Haut, obwohl die Stimme liebevoll flötete. »Du bist ja schließlich unsere Allerbeste.« Niemand verstand sich in dieser Meisterschaft, lobende Worte allein durch den Tonfall ins Gegenteil zu verwandeln, so perfekt wie Tanja.
Die kühle Schönheit, Marke Barbiepuppe, war von Beginn an Julianes Feindin gewesen. Am Anfang hatte Juliane sich noch um Freundlichkeit bemüht. Aber die Berlinerin hatte die Fronten bereits nach kurzer Zeit abgesteckt. Sie wollte die Königin der Klasse sein, Konkurrenz war ihr ein Dorn im Auge.
Juliane atmete flach, bekämpfte die verstärkte Übelkeit. Nur keine Schwäche zeigen. Tanja stand vor ihr, gertenschlank, die honigblonden Haare lockig gestylt, der fleischgewordene Männertraum. Zudem war sie niemals allein. Zwei Freundinnen – oder besser Speichelleckerinnen? – begleiteten sie auf Schritt und Tritt. Die dunkelhaarige Silke und die rotblonde Vanessa, ebenfalls beide dünn und groß gewachsen. Alle drei balancierten Getränkedosen vor sich her, zusätzlich zu ihren Kleiderbündeln.
»Bestimmt hast du wieder ein Über-Drüber-Design.« Silke kiekste, strich mit der Hand ihre Kleiderhüllen entlang. »Da sehen meine simplen Kleidchen blass aus, nicht wahr?«
»Das ist doch Unsinn!« Julianes Hals kratzte. Es war schwer, alle drei im Auge zu behalten. Was hatten sie vor?
»Wäre wirklich schade, wenn deinen Arbeiten etwas passieren würde. Ein bedauerlicher Unfall ist rasend schnell geschehen.« Vanessa hob ihre Getränkedose und neigte sie vorsichtig.
»So ein feuchter Fleck kann alles ruinieren.« Silke grinste.
»Der glatte Boden ist eine Plage. Ein kleiner Fehltritt zum Beispiel.« Die Worte trieften vor Honig, dann gab Tanja ihrer Freundin einen Schubs und Vanessa stolperte nach vorn, ihr Getränk kippte endgültig. Ein Tropfen fiel auf Julianes Kleiderbündel, die Dose war zum Glück leer. Die Kleidersäcke waren nicht wasserdicht und eine Limonadendusche wäre durchgesickert.
Julianes Zunge klebte am Gaumen und sie verfluchte ihre Regungslosigkeit. Sie hatten sich auf das Landei, so nannten sie Juliane unter sich, eingespielt, ließen sie den Neid spüren, dass eine aus Bayern – für sie tiefste Provinz – talentierter war als sie. Juliane schluckte. Davonlaufen war ihre einzige Option. Blöd, dass ihre Füße am Boden festgewachsen schienen.
»Was soll das?« Ein hellblonder junger Mann stand auf einmal hinter den kichernden Frauen, die sich sofort zu ihm drehten.
Ein warmes Gefühl durchströmte Juliane. Ihr Freund Rene war zur rechten Zeit gekommen.
Gerettet.
»Oh, Rene, wir machen nur ein wenig Spaß.« Tanjas Tonfall rutschte einige Oktaven hinauf.
»Juliane ist dermaßen angespannt, es tut ihr gut, wenn wir sie aufmuntern.« Vanessa setzte ihren treuherzigen Dackelblick auf.
Rene trat zu Juliane und legte den Arm um sie. »Beeilt euch besser, sonst schaffen es eure Models nicht, in die Kleider zu schlüpfen.«
Die Mädchen entfernten sich rasch. Juliane zitterte. Sie drückte ihren Kleiderbeutel an sich.
»Lass dich doch nicht immer von diesen Zicken aus der Ruhe bringen.« Rene gab ihr einen flüchtigen Kuss. »Du bist die Beste, die sind bloß neidisch.«
»Es nervt.« Juliane seufzte.
»Beeil dich, es wird knapp.« Er zog den Vorhang zur Seite und schob sie hinein. »Bis später.«
Sie nickte und trat hinein zu ihren Models. Die beiden Mädchen waren bereits in Unterwäsche, legten gerade ihre Privatkleidung zusammen und blickten sie erwartungsvoll an. Gestylte Frisuren, salamidick aufgetragenes Make-up, knallroter Lippenstift und schwarz umrandete Augen, Figuren wie Stabheuschrecken.
Nein, so würde sie niemals aussehen, selbst wenn sie ein Jahr lang nichts zu sich nähme. Sie dachte an das erlauschte Gespräch, doch da war keine Spur von Verlegenheit auf den Gesichtern.
»Hallo, Sanne, hallo, Lydia, seid ihr heute bei mir?« Juliane legte die mitgebrachten Kleider auf den winzigen Garderobentisch vor dem Spiegel. »Seht es euch mal an. Die Größe dürfte hinkommen.«
Die beiden hoben die Kleidung hoch und kieksten entzückt.
»Wow, Wahnsinn. Ich schlüpfe gleich hinein oder möchtest du das rote?«
»Nein, passt schon, das silberne ist genauso cool.«
Es klang ehrlich und hätte Juliane die vorangehenden Bemerkungen nicht gehört, wäre sie überglücklich gewesen. So blieb das wohlige Gefühl der Freude aus. Sie hielt den beiden Models die Kleider, damit sie hineinsteigen konnten, und half ihnen, die Reißverschlüsse hochzuziehen. Das rote Kleid legte sich wie angegossen an Sannes Körper, lediglich die Länge musste Juliane ein wenig raffen. Sie arbeitete rasch mit Nadel und Faden, schließlich drehte sich das aufstrebende Model vor dem Spiegel und brach erneut in Begeisterungsrufe aus.
»Das Etuikleid würde ich dir sofort abkaufen.«
Juliane wandte sich Lydia zu, das silbergraue Kleidungsstück aus dem weich fallenden Seidenstoff schmeichelte der Brünetten, auch hier musste Juliane nur die Taille enger nähen, damit es perfekt passte. Besser zu weit als zu eng. Zum Glück hatten Tanja und ihre Entourage ihre Garderoben nicht neben der ihren. Garderobe war ohnehin ein gehobener Ausdruck für die lediglich durch an gespannten Seilen herabhängenden Vorhänge getrennten Abteile.
Bei der allerersten Modenschau war es Tanja gelungen, eine Dose Mineralwasser über Julianes Ausstellungsstück zu kippen. Juliane hatte die Kleidung eine halbe Stunde mit wenig Erfolg geföhnt, zum Glück hatte ihr Model sich nicht geweigert, das noch feuchte Stück anzuziehen. Tanja hatte sich im Beisein von Annalena Schmidt, ihrer betreuenden Lehrperson, mehrfach mit Wörtern wie ›bedauernswert‹ und ›Unfall‹ entschuldigt, mit einer falschen Aufrichtigkeit, die aber außer Juliane niemand bemerkt hatte.
Zusammen mit ihrer besten Freundin Effie war Juliane vor zweieinhalb Jahren hergekommen. Auch Effie jagte einem Traum nach, sie besuchte eine private Schauspielschule. Anfangs hatte sie in der Nachbarwohnung gewohnt, seit Effie vor ein paar Monaten zu ihrem Freund gezogen war, war das Heimweh Julianes häufigster Gast. Sie war am Starnberger See in Bayern aufgewachsen. Berlin selbst war nicht ihre Stadt, obwohl sie viel Beeindruckendes zu bieten hatte. Aber der Trubel, die Touristen und die fortwährende Unruhe behagten ihr nicht.
Das Designen hingegen machte Juliane Spaß, ebenso interessierten sie die meisten theoretischen Fächer. Sonst wäre sie schon nach den ersten Wochen heimgekehrt. Und ihr Stolz hielt sie ebenfalls zurück. Sie hatte sich diese Ausbildung gewünscht, heiß und innig. Berlin war ihr als schillernder Glanzpunkt erschienen. Wie konnte sie da zugeben, dass ihre Träume anders ausgesehen hatten?
Zumindest hielt Rene treu zu ihr, obwohl ihr Tanja immer wieder prophezeite, dass er sich schon bald ihr zuwenden würde. Julianes Blick fiel in den Spiegel, als ihr die Worte ihrer Widersacherin einfielen.
»Sieh dich doch an! Moppelig, mit Punkten im Gesicht und tollpatschigem Auftreten. Rene ist auf dem Weg, ein gefragter Modefotograf zu werden, dann bist du nichts als Ballast für ihn.«
Einzig und allein Renes Verhalten bestärkte Juliane darin, dass Tanja, die er eine affektierte Puppe nannte, niemals eine Chance bei ihm hätte.
»Seid ihr fertig?« Timo, Lehrer an der Schule und Organisator der Winter-Schulmodenschau, stand breitbeinig im Gang, hinter sämtlichen Vorhängen kamen die Köpfe hervor. Quietschen und Rascheln. »Noch eine Viertelstunde. Haltet euch bitte an die Startreihenfolge, wie wir es geübt haben. So ein Durcheinander wie das letzte Mal möchte ich nicht mehr erleben. Die einleitenden Worte unserer Direktorin dauern höchstens fünf Minuten, dann geht’s los.«
Die Models wussten, was sie zu tun hatten. Juliane atmete auf. Schade, dass Rene nicht bei ihr hinten bleiben konnte. Der musste Bilder von vorn machen. Sie freute sich für ihn, dass die Aufträge nun häufig kamen. Und sie bereute, dass sie ihn nicht zum Familiensilvester mitgenommen hatte. In ihrer Familie war es Tradition, den Jahreswechsel bei ihrer Großmutter, der Gräfin-Witwe Sofia, zu verbringen mit sämtlichen Onkeln und deren Familien. Partner brachte man nur mit, wenn es sich um eine ernsthafte Angelegenheit handelte.
Renes Besuch an ihrem Geburtstag im letzten März hatte in einem Fiasko geendet. Er hatte sich mit unüberlegten Bemerkungen über Julianes dreijährigen Cousin Noah, einen Autisten, lustig gemacht und dessen Handicap als »Modekrankheit« bezeichnet. Dadurch hatte Rene sämtliche Familienmitglieder gegen sich eingenommen, auch wenn es ihm hinterher leidtat. Es gab eben keine zweite Chance für einen ersten Eindruck. Zudem hatte Rene keinerlei Ambitionen gezeigt, sie ein weiteres Mal begleiten zu wollen. Er war ganz zufrieden gewesen, Silvester mit Kumpels in Berlin zu verbringen.
»He, träumst du?« Tanja stieß sie an. »Wohl von deinem Lover? Machst du dir Sorgen? Du weißt schon, dass man attraktive Männer nie für sich allein hat?«
»Rene ist absolut treu.« Was redete sie eigentlich noch mit dieser Kuh?
»Meinst du?« Das verdammte widerliche Lächeln! Den Mund verzogen, die Augen glühten ohne die geringste Spur Humor darin. »Adliges Prinzesschen, du wirst bald sehr tief fallen.«
In Juliane brodelte es. Irgendwie hatten sie herausgefunden, dass ihr Vater ein Graf war, seither betonte Tanja das bei jeder Gelegenheit. Sie ballte ihre Hände.
»Juliane, komm nach vorn.« Mareike winkte. Sie gehörte zu jenen, die sich nichts von Tanja gefallen ließen. Dankbar eilte Juliane an ihre Seite.
»Lass doch diese Zicke in Ruhe.« Mareike kicherte. »Hast du mitbekommen, dass Timo sich von seinem Freund getrennt hat? Die beiden hatten einen ausgewachsenen Streit, direkt vor der Modenschau. Vermutlich hängen seine Mundwinkel deswegen so herab.«
Davon hatte Juliane nichts bemerkt, für Klatsch hatte sie sich nie interessiert, Mareike hingegen umso mehr.
»Meiner Meinung nach haben die beiden eh nicht zusammengepasst, dieser Horst – wenn man schon Horst heißt! – war ja nie gescheit angezogen. Und das mit einem modebewussten Mann wie Timo …«
Juliane hörte nicht mehr zu, durch den Vorhang hatte sie Rene erspäht, der sich mit einer rothaarigen Dame unterhielt. Sie wirkten vertraut. Juliane war es, als bohre sich ein Eispickel in ihren Magen. Die beiden tuschelten miteinander. Musste Rene nicht seine Kamera vorbereiten?
Reiß dich zusammen!
Das kam von Tanjas Geschwätz. Rene liebte sie und stand zu ihr.
Die Direktorin trat vor das Mikrofon und versperrte Juliane die Sicht. Mareike zwitscherte ihr weiterhin pikante Kleinigkeiten ins Ohr, sodass sie kein Wort von der Begrüßungsansprache verstehen konnte.
»Es soll jemand von ›Moden Höpfner‹ da sein. Vielleicht werden wir entdeckt?« Eine weitere Klassenkollegin stand plötzlich neben ihnen. In Juliane vibrierte es. Wäre das nicht ein Traum, diesem berühmten Modehaus aufzufallen?
Musik ertönte und die Models setzten sich in Bewegung. Unter Applaus des Publikums stellte Timo die einzelnen Kleider vor und nannte auch die Namen der Modeschülerinnen.
»Es sind einige bemerkenswerte Stücke dabei.« Annalena Schmidt war zu ihr getreten.
»Stimmt es, dass jemand von ›Moden Höpfner‹ gekommen ist?«, fragte Mareike.
»Das war ursprünglich geplant, Herr Höpfner junior wollte kommen. Leider kam ihm etwas dazwischen.«
»Oh, das ist aber schade.« Mareike zog eine Schnute. Frau Schmidt drehte ihr perfekt geschminktes Gesicht Juliane zu. Sie mochte schon an die sechzig sein, war immer gestylt und niemand konnte sich diese Frau im Jogginganzug vorstellen.
»Juliane, Sie haben Ihren Beitrag für den Dessous-Wettbewerb noch nicht abgegeben.«
»Ich mache das gleich am Montag.«
»Aber bitte vor zehn Uhr, danach habe ich einen Termin.«
»Natürlich!«
Normalerweise gab Juliane die Wettbewerbsbeiträge nicht erst auf den letzten Drücker ab, dieses Mal war sie nicht vorwärtsgekommen. Rene hatte mehrmals bei ihr übernachtet und sie von der Arbeit abgehalten, trotzdem wäre sie weit vor dem Termin fertig geworden. Doch dann hatte sie das spezielle Seidengarn nicht mehr gefunden, das sie passend zum Stoff gekauft hatte, und es noch mal besorgen müssen. Als Juliane die drei verlangten Stücke von ihrer Kollektion bereits fertiggestellt hatte, entdeckte sie beim Verpacken einen Riss im Spitzenhöschen. Es war ihr ein Rätsel, wie das hatte passieren können. Reparieren war nicht möglich, sie musste ein neues nähen; dazu hatte die Zeit vor der Modenschau nicht gereicht.
Sie war zuversichtlich, dass ihre Ideen bei der Jury Anklang finden würden. Bereits bei zwei Wettbewerben war sie ins Finale gekommen, einmal durfte sie zu diesem Zweck nach Frankreich reisen und das zweite Mal nach Italien. Es waren tolle Erlebnisse gewesen, auch wenn es letztendlich für den Sieg nicht gereicht hatte.
Die Modenschau verlief ohne Zwischenfälle. Noch ein letzter Applaus, danach kamen die Models zurück in die Garderoben. Juliane half ihren beiden Mädchen beim Auskleiden und verpackte die Gewänder.
»Verkaufst du mir das rote?«, bat Sanne.
»Geht leider nicht.« Juliane schüttelte den Kopf. »Wir müssen am Schluss alle unsere Stücke vorlegen.«
Dass sich die Models die Kleider vermutlich ohnehin nicht leisten konnten, verschwieg sie. Die Stoffe allein waren ein paar Hundert Euro wert, von der Arbeit ganz zu schweigen.
Juliane klemmte sich das Kleiderbündel unter die Arme und machte sich auf die Suche nach Rene. Weshalb stand ausgerechnet Tanja bei ihm? Die freche Person schämte sich nicht, öffentlich mit ihrem Freund zu flirten. In Julianes Magen formte sich ein Klumpen. Ihre Kollegin war zwar ein unverschämtes Luder, aber äußerlich einfach perfekt, von der Figur bis zum Porzellan-Gesicht.
Juliane schluckte ihre Minderwertigkeitsgefühle hinunter, Rene hatte ihr keinen Grund gegeben, ihm nicht zu vertrauen.
Auch jetzt schob er Tanja rüde zur Seite, eilte zu Juliane und nahm ihr das Kleiderbündel ab. »Bist du endlich fertig?«
»Du hast dich ohnehin blendend unterhalten«, sagte sie schnippisch. War das zu bissig? Sie hätte die Worte gern zurückgenommen, doch Rene lachte nur.
»Mit Tanja? Gewiss nicht.«
»Es stört mich, dass sie dich anschmachtet.«
Er legte den Arm um sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Du weißt aber schon, dass ich nur auf dich stehe?« Sein Zwinkern beruhigte sie.
Warum blieb dieses rumorende Gefühl im Bauch?
Sie gingen Arm in Arm an Tanja vorbei, deren Augen waren eng verkniffen, ihre Mundwinkel spöttisch verzogen. Sie wirkte nicht wie eine Verliererin, eher triumphierend. Der Ausdruck verursachte erneut ein Grummeln in Julianes Magen. Renes Wagen parkte zwei Straßen weiter.
»Jetzt wird gefeiert!« Rene sperrte auf und stopfte ihren Kleidersack auf den Rücksitz, schlug die Tür zu. »Gehen wir ins ›Tootsie‹?«
Er liebte es, bunte Cocktails zu schlürfen. Das ›Tootsie‹ war bekannt für kreative Mischungen, leider auch schrill und laut. Juliane hatte an diesem Tag kaum etwas gegessen, wenn man von dem Donut absah, und fühlte sich beim Gedanken an Alkohol unwohl. Lieber wäre sie mit ihrem Freund in ihre Wohnung gefahren, hätte sich Pizza bestellt und ein wenig gekuschelt. Dennoch wollte sie keine Spielverderberin sein.
Kaum im Lokal orderte Rene zwei ›Zombies.‹
»Deine Kleider waren der Hammer! Willst du sehen?« Er holte seine Kamera hervor und zappte sich durch die Bilder. Juliane war begeistert, wie gut er ihre Models getroffen hatte. Allerdings wirkten Tanjas Modelle auch fantastisch. Rene fand meistens den bestmöglichen Blickwinkel. »Ich werde die Fotos heute noch aufbereiten und an den ›Münchner Boten‹ schicken, dann kommst du groß heraus.«
»Die anderen Kleider sind auch nicht schlecht. Besonders die von Tanja.«
»Was du immer mit der hast!« Er saugte an seinem Strohhalm. »Deine stachen hervor, ganz bestimmt. Und ich habe alle gesehen.« Er grinste. »Da liegt einiges an Arbeit vor mir.«
»Du kannst meinen Laptop benutzen.«
»Nein, nein!« Er hob die Hand. »Tut mir leid, Häschen, heute Nacht werde ich Stunden beschäftigt sein. Nur das Beste, damit dein Talent endlich gewürdigt wird.« Mit den Fingern strich er über ihren Arm. »Obwohl ich lieber bei dir wäre, das kannst du mir glauben.«
Juliane schluckte. Sie hatte gehofft, dass er die Nacht mit ihr verbringen würde. Dann schüttelte sie sich innerlich. Kindisches Benehmen! Rene konnte nicht jede Minute an ihr kleben, war doch klar.
Schon nach dem ersten Cocktail fühlte sie sich benommen und die Technomusik dröhnte in ihren Ohren. Woher kam bloß der zweite bunte Drink? Oder war es bereits der dritte? Rene stieß wiederholt mit ihr an. Schließlich hatte sie was zu feiern, oder nicht? Er drängte sie, einen neuen Cocktail auszuprobieren, ›Roter Drachen‹. Er schmeckte süß mit einem leicht bitteren Touch. Sie fand plötzlich alles bunt und lustig, so schlecht war die Bar nicht. In ihrem Kopf fuhr eine Achterbahn auf und ab. Es war bereits weit nach Mitternacht, als Rene sie in sein Auto verfrachtete und heimbrachte.
Sie schaffte es nicht, ihren Kleidersack vom Rücksitz zu angeln, er stieg aus und drückte ihr das Bündel in die Arme.
»Willst du wirklich nicht mit?« Ihr Nuscheln verstand sie selbst kaum.
»Geht nicht, mein Schatz.« Er gab ihr einen raschen Kuss.
»Morgen?« Jammerte sie ihn an? Der Boden bewegte sich unter ihr. War sie auf einem Schiff gelandet?
»Ich habe einen Fototermin auswärts. Du musst ohnehin noch die Dessous fertigmachen.« Hatte Rene einen eigentümlichen Ton in der Stimme? Unsinn, sie war es, die betrunken war. »Wir sehen uns am Montag.«
Sie hörte ihn wegfahren.
Ein einsamer Sonntag ohne ihn! Quatsch, er hatte recht, sie musste nähen. Und nüchtern werden, sie war total beschwipst. Woher wusste er, dass ein Höschen kaputt war? Sie hatte es erst kurz vor der Modenschau bemerkt. Bestimmt hatte sie es ihm erzählt.
Juliane stolperte in den Aufzug, nach mehreren Versuchen gelang es ihr, die Wohnungstür aufzusperren. Sie stieg aus den Kleidern, torkelte in die Dusche und fiel anschließend ins Bett. Diese verdammten Zombies und Drachen!
Ich bin begeistert von deinen Modellen! Danke, dass du mir die Bilder geschickt hast. Fotografieren kann er ja, dein Rene, das muss ich ihm lassen. Du hast eine ganz steile Karriere vor dir, ich bin riesig stolz auf dich, mein Julchen. In Liebe, Oma.
Juliane wachte mit Kopfschmerzen und Blei in den Füßen auf. Mit Schrecken stellte sie fest, dass es bereits Mittag war. Die Cocktails waren zwar eine lausige Idee, aber das Zusammensein mit Rene war es das wert gewesen. Ihr Spiegel zeigte ein bleiches Gesicht mit Urwaldfrisur. Sie schluckte eine Schmerztablette, trank Orangensaft und Kaffee. Dann begann sie zu nähen. Ein Glück, dass sie genügend Stoff übrig hatte, den Riss im zarten Höschen konnte sie sich immer noch nicht erklären.
Am frühen Nachmittag rief ihr Vater an.
»Wie war es gestern? Ich hoffe sehr, deine Modelle wurden gebührend bewundert?«
Juliane wurde warm. Ihre gesamte Familie stand hinter hier, glaubte an sie und ihren Traum.
»Ja.« Sie erzählte, auch die gelungenen Fotos von Rene ließ sie nicht aus.
»Na, da bin ich gespannt.« Er klang trocken, Konstantin hielt nach wie vor nicht viel von ihrem Freund. »Du hast nur noch wenige Monate, Julchen. Weißt du schon, was du machen wirst, hinterher?«
Da war sie wieder, die Frage, die sie selbst täglich beschäftigte.
»Wenn du möchtest, könntest du nach Mailand oder Paris, dort lernst du am meisten.«
Ihrem Vater fiel es bestimmt schwer, ihr so etwas anzubieten. Er wünschte sich nichts lieber, als dass sie heimkäme. Aber er war Realist und wusste, dass Juliane mehr an Know-how benötigte, wollte sie sich auf dem internationalen Modemarkt etablieren.
»Wie geht es Melanie?«
»An den guten Tagen hält sie sich nur für einen Elefanten.« Juliane musste lachen bei dem Vergleich.
Konstantins Frau erwartete Zwillinge, die Ende März auf die Welt kommen sollten. »Die beiden kleinen Racker müssen es noch zehn Wochen bei ihr drin aushalten, dabei findet sie, dass sie einen lebensechten Koloss von Rhodos abgäbe. Sagt sie zumindest. Ich finde, sie sieht fantastisch aus. Die Schwangerschaft verläuft komplizierter als ihre anderen, aber sie wollte ja unbedingt noch ein Baby.« Er holte Luft.
»Sie möchte mit dir sprechen.«
Seit einem Jahr war Konstantin mit Melanie verheiratet, sie hatte ihre beiden Kinder Max und Lena mit in die Ehe gebracht. Da Julianes Mutter bei ihrer Geburt gestorben war, war Konstantin nicht begeistert gewesen, noch mal Vater zu werden.
Melanie gratulierte ihr ebenfalls zur erfolgreichen Modenschau.
»Geht es dir gut? Papa meinte …«
»Dein Papa ist überängstlich. Ich habe halt zwei künftige Fußballer im Bauch, das ist eben manchmal etwas nervig.«
Juliane lachte bei der Vorstellung. Schließlich kam ihre achtjährige Stiefschwester zum Telefon.
»Max hat eine Freundin. Und er will an seinem Geburtstag eine Riesenparty.«
Juliane grinste innerlich. Ihr Vater hatte sich erst einmal daran gewöhnen müssen, dass es mit der Ruhe im Haus vorbei war. Und nun auch noch eine Teenagerparty?
»Wirklich? Was sagen denn unsere Eltern dazu?«
»Sie haben es erlaubt, kommenden Samstag. Man wird nur einmal achtzehn.« Lena wiederholte bestimmt wörtlich die Aussage ihrer Mutter. Sie alberten noch eine Weile und nach dem Gespräch hatte Lenas Fröhlichkeit auf Juliane abgefärbt.
Am späten Nachmittag verpackte Juliane ihre Dessous-Kollektion. Der Wettbewerb war diesmal von ›Edda-Dessous‹ ausgeschrieben. Nie zuvor war Juliane so überzeugt gewesen, dass ihr wirklich außergewöhnlich kreative Stücke gelungen waren.
Rene könnte wenigstens anrufen. Sie schrieb ihm eine SMS, die er umgehend beantwortete.
Bin leider noch in Potsdam. Melde mich morgen.
Ein Mann der langen Worte war er nie gewesen. Aber hätte er Juliane nicht sagen können, dass er vermutlich den ganzen Sonntag unterwegs wäre?
Am nächsten Tag schaffte sie es bis knapp vor neun Uhr zu Frau Schmidt und legte ihr die Mappe mit den Zeichnungen vor. Ein Kribbeln erfasste sie, wie immer, wenn ihre Arbeit zum ersten Mal beurteilt wurde. Juliane liebte Designen, doch diese Aufgabe hatte ihr besonders Spaß gemacht. ›Erotische Nachtwäsche einmal anders‹ – war ein spannendes Thema. Frau Schmidt hatte bereits mehrmals erwähnt, dass sie von Julianes Arbeiten überaus angetan war. Daher wartete Juliane auch diesmal voll Spannung und Vorfreude auf deren Einschätzung.
Die an diesem Tag in einem eng anliegenden Kostüm in Royalblau gekleidete Lehrerin blätterte die Mappe durch. Die Stille im Raum war greifbar, gedämpft drang der Straßenlärm durch die geschlossenen Fenster. Juliane trat von einem Bein auf das andere. Wo blieben die anerkennenden Worte? Sie war überzeugt, dass ihre Arbeit das Beste war, das sie jemals kreiert hatte.
Nun runzelte Annalena Schmidt sogar die Stirn, räusperte sich und Julianes Knie verwandelten sich in Pudding. Gefielen ihr die Entwürfe nicht?
»Stimmt etwas nicht?«
Frau Schmidt schüttelte den Kopf, klappte die Mappe zu und schob sie Juliane wieder hin. »Tut mir leid, aber das kann ich nicht annehmen.«
»Warum nicht?« Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Was war verkehrt?
»Es sind nicht Ihre Entwürfe.«
»Doch, ganz bestimmt. Ich habe im Internet recherchiert, es gibt nichts Vergleichbares von einem bekannten Designer.«
»Ich bin enttäuscht von Ihnen.« Frau Schmidt kniff kurz ihre Lippen zusammen, dann seufzte sie. »Ihre Leistungen waren bis heute immer ausgezeichnet, Sie gehören zu den Besten der Klasse. Sie hätten es nicht notwendig, die Arbeiten einer Kollegin zu kopieren.«
Juliane verschränkte die Finger ineinander, in ihrem Inneren entstand ein See aus Eiswasser, der sich langsam vergrößerte.
»Wovon reden Sie? Ich habe keine Ahnung.« Sie fuhr mit der Zunge über die staubtrockenen Lippen.
Frau Schmidt ging schweigend zum Regal und griff nach einer Mappe, die sie aufschlug und vor Juliane hinlegte.
»Das hier ist die Wettbewerbsarbeit von Frau Egger. Sie müssen zugeben, dass Ihre Zeichnungen nicht nur ähnlich, sondern vielmehr identisch sind.« Sie räusperte sich. »Außerdem habe ich Frau Eggers Probemodelle gesehen, sie ähneln Ihren bis aufs kleinste Detail. Farben und Stoffe sind verschieden, aber das ist natürlich anzunehmen. Es wurden lediglich die Illustrationen kopiert.«
Trotz der Hitze im Raum fror Juliane am ganzen Körper. Wie war Tanja an ihre Entwürfe gekommen? Vor ihr lagen ihre Designs, übertragen auf Tanjas Figurinen. Jede Schülerin hatte ihre speziellen Männchen, auf denen sie ihre Mode zeichnete. Aber die Modelle selbst waren eins zu eins ihre eigenen. Das war doch nicht möglich! War Tanja heimlich in ihrer Wohnung gewesen?
»Aufgrund Ihrer bisherigen Leistungen werde ich die peinliche Angelegenheit nicht an die große Glocke hängen, Juliane. Sie müssen jedoch verstehen, dass so etwas nicht geht. Für diesen Wettbewerb sind Sie gesperrt und ich hoffe, dass ich Sie kein zweites Mal bei so einer Geschichte erwische.«
Plötzliche Hitze spülte die Kälte hinweg.
»Frau Schmidt, wie können Sie glauben, dass ich …« Tränen erstickten ihre Stimme. »Ich habe keine Ahnung, wie Tanja an meine Entwürfe gekommen ist, aber das sind meine Designs. Ich habe es nicht nötig, irgendwo abzukupfern.«
Frau Schmidts Miene wechselte zu starr.
»Das ist eine ausgesprochen schwerwiegende Anklage.« Ein unangenehmes Klirren prägte ihren Tonfall. »Ich kann nur sagen, dass Frau Egger ihre Arbeit schon vor der Modenschau abgegeben hat. Und hier gilt das Recht der Ersten. Sie müssen Ihre Anschuldigung auch belegen können, wenn wir es auf eine Anhörung ankommen lassen.«
Juliane zitterte und ihre Stimme war kaum zu hören. »Ich verstehe.«
Wie sollte sie es beweisen?
Rene fiel ihr ein. Er hatte ihre Designs als Erster zu Gesicht bekommen, und das vor einer Woche, als er bei ihr übernachtet hatte. Aber konnte seine Aussage zu ihren Gunsten sprechen? Schließlich war er ihr Freund. Außerdem würde man ihr in diesem Fall unterstellen, sie hätte die Entwürfe bereits zu einem früheren Zeitpunkt geklaut.
Tränen vernebelten ihren Blick, ihr Hals war wie zugeschnürt. Sie zog ihre Mappe zu sich. Frau Schmidt legte die Hand auf ihre Schulter.
»Ich habe Sie bis jetzt immer als verlässliche, begabte Studentin erlebt. Ein Ausrutscher ist verzeihlich, bei Ihrem Talent haben Sie sich vermutlich nach einem kurzen Blick auf Frau Eggers Arbeit inspirieren lassen. Das kann passieren …«
Juliane schüttelte den Kopf. »Nein, Frau Schmidt.« Kaum mehr als ein Hauch. »Aber ich verstehe, dass Sie das glauben müssen.«
Zum Glück standen keine weiteren Unterrichtsstunden an diesem Tag an. Wie betäubt verließ sie die Schule.
Sie brauchte unbedingt jemanden zum Reden. Mareike war zu ihren Eltern gefahren, sie wohnte außerhalb von Berlin, dort wartete auch ihr Freund. Sie nahm es mit dem Studium nicht so genau wie Juliane, denn es war der Wunsch ihrer Eltern, dass die Tochter Modedesign studierte.
Effie, ihre allerbeste Freundin, hatte um diese Zeit Unterricht in ihrer privaten Schauspielschule.
Rene.
Er mochte es nicht, wenn sie ihn vormittags belästigte, und Juliane war noch niemals um diese Zeit zu seinem Studio gefahren. Aber das hier war eine Ausnahme. Sie brauchte seine Arme um sie gewickelt, seine Wärme, seinen Trost. Das Versprechen, dass alles wieder gut werden würde.
Und seinen Rat, wie sie künftig mit Tanja verfahren sollte. Der Diebstahl war eine offene Kriegserklärung. Es war ihr ein Rätsel, wie Tanja an ihre Designs gekommen war. Juliane konnte sich nicht erinnern, dass sie die Mappe in die Schule mitgenommen hatte. Hätte sie nicht ein neues Höschen nähen müssen, wäre sie die Erste bei der Abgabe gewesen.
Die Menschen um sich nahm sie nur durch einen dicken Schleier wahr. Sie fuhr eine halbe Stunde mit der U-Bahn, Rene hatte sein Studio in Lichterfelde.
Ihre Mappe hielt sie vor die Brust gepresst, die Handtasche pendelte an ihrer Seite, während sie Schritt für Schritt auf den Altbau zuging, in dem Rene wohnte und auch sein Foto-Atelier eingerichtet hatte. Noch war es winzig, aber sie zweifelte nicht daran, dass er sich bald vergrößern könnte. Seine Bilder waren genial, schon mehrfach war er von renommierten Modemagazinen engagiert worden.
Hoffentlich hatte er nicht gerade Kundschaft und Zeit für sie. Vielleicht hatte er eine Idee, wie es Tanja gelingen hatte können, an ihre Entwürfe zu kommen.
Die Haustür war offen und so gelangte Juliane ungehindert in den dritten Stock. Aufatmend stand sie vor der Tür. Ob Rene sauer wäre, wenn sie ihn störte?
Unsinn. Das war ein Notfall. Sie klingelte.
Geräusche von drinnen, Gekicher. Oje, er hatte Kundschaft. Da wurde die Tür aufgerissen und sie sah sich ihm gegenüber, mit nacktem Oberkörper, Jogginghose und verstrubbelten Haaren. Musste er nicht arbeiten?
»Ist es unsere Pizza?«, ertönte eine weibliche Stimme aus dem Inneren.
Juliane erstarrte zur Salzsäule, ihr Entsetzen musste sich in Renes Gesicht widerspiegeln. Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Renes Gesichtsausdruck wechselte. Reue? Höchstens eine Sekunde.
Es war eindeutig Tanjas Stimme. Er räusperte sich.
»Die Katze ist aus dem Sack.« Ein schiefes Grinsen ohne Freundlichkeit. Tanja kam von hinten, sie trug einen dünnen Bademantel.
»Oh, Besuch.« Ihr Flöten schnitt Juliane in mehrere Teile. Flüssige Hitze verteilte sich in ihrem Körper.
Rene und Tanja, also doch! Es hämmerte in ihrem Kopf und sie schluckte die Übelkeit hinunter, hob energisch ihre Mappe hoch.
»Du hast meine Entwürfe gestohlen.«
Tanja blies auf ihre lackierten Fingernägel, als wäre der Lack noch nicht trocken. Dann tauschte sie einen Blick mit Rene. Über Juliane schwappte gefühlt eine Tonne eiskaltes Wasser. Wie naiv sie gewesen war!
»Du!« Sie trat einen Schritt näher zu Rene und war froh, dass ihre Füße nicht nachgaben. »Hast du sie abfotografiert?« Eine rhetorische Frage. Ein Meer von Lichtern blinkte auf. War ihre rosa Brille wirklich so undurchsichtig gewesen? Nun sah sie die Geschehnisse deutlich vor sich.
Rene zuckte mit den Achseln. »Sieh mal …«
Tränen verschleierten ihren Blick. Sie schloss die Augen und wünschte sich weit weg. Das alles hier passierte nicht im realen Leben. Ein mieser Film, ein blöder Traum. Gleich musste sie aufwachen.
Ihr Gehirn war ein einziger Wattebausch. Sie wollte so gern schreien, den beiden die Pest an den Hals wünschen oder auf sie losgehen. Doch sie stand nur da wie eingefroren. Der bittere Geschmack des Betrugs spülte alle ihre Empfindungen weg. Wie hatte sie denken können, dass ein Mann wie Rene sie mochte? Die Landpomeranze? Das Pummelchen?
Ausgerechnet Tanja … und, dass er ihr geholfen hatte … wie lange schon …?
»Warum?« Ihre Stimme klang dünn. Ihre Augen liefen über und sie ballte die Fäuste vor ihrer Mappe. Wollte sie es hören?
Dann stürzte ihre Welt endgültig ein.
»Ich habe dir meinen Freund ungern für ein paar Monate geliehen, es hätte nicht dermaßen lange dauern sollen.« Glucksendes Gelächter riss Juliane aus ihrer Erstarrung. Alles war ein Spiel gewesen? Brechreiz drückte vom Magen her in die Speiseröhre.
Haltung bewahren. Nur keine Blöße geben! Nicht hier! Juliane atmete durch und presste die Lippen aufeinander. Verdammte Tränen!
Tanjas Mund war zu einem O verzogen.
»Nimm es nicht tragisch. Du bist einfach eine zu starke Konkurrenz für mich. Dabei hättest du ohnehin keinerlei Chance, dich in der Modewelt durchzusetzen. Sieh dich an und sie dich um! Alle Designer haben das gewisse Etwas, das – wie soll ich es ausdrücken – weltmännische Aussehen, Niveau und Format. Wie willst du da jemals mithalten? Da habe ich weitaus mehr Potenzial, zu den ganz Großen aufzusteigen. Du bist zu dick, weder dein Gesicht noch dein Auftreten haben irgendetwas, das dich unvergesslich macht. Etwas Prägnantes, das im Gedächtnis haften bleibt. Und das ist in der Modebranche nun einmal unerlässlich. Du bist ein Niemand. Jetzt lass mal den Kopf nicht hängen. Bei deinem Modeverständnis könntest du eventuell als Einkäuferin bei einer Kaufhauskette Furore machen – na ja, eher nicht. Da ist natürlich ebenfalls ein Minimum an Niveau erwünscht.«
Die Worte plätscherten an Juliane vorbei, sickerten nur teilweise in ihr Gehirn. In ihren Ohren dröhnte es. Sah sie es richtig? Hatte Rene ihr die ganze Zeit über nur etwas vorgetäuscht? War er von Anfang an Tanjas Freund gewesen?
Ihre Stimme klang furchtbar piepsig. »Während all dieser Monate warst du mit ihr zusammen?« Sie deutete auf Tanja, ihren Namen wollte sie nicht aussprechen. Konnte es nicht.
Rene zuckte die Achseln. »Tut mir leid, aber so ist es.« Er griff nach einer Haarsträhne von Tanja und wickelte sie um seine Finger.
»Du hast mit mir geschlafen.«
»Das war nötig, um dich in Sicherheit zu wiegen. Wir mussten abwarten, bis ein bedeutender Wettbewerb kam.«
Er hatte sie nie geliebt, nicht einmal begehrenswert gefunden. Es war nötig gewesen, mit ihr ins Bett zu gehen. Ein notwendiges Übel, mehr hatte sie ihm nie bedeutet.
»Du hast Tanja als Zicke bezeichnet …« Es hatte sich echt angefühlt. Wo war nur ihr Verstand geblieben? Ihr Hirn war zu Brei geschmolzen, es gelang ihr nicht, ihre Gedanken zu ordnen.
»Das hat Spaß gemacht.« Tanja klatschte in die Hände, sie schürzte die Lippen, sodass ihre Zähne zu sehen waren. »Du hast unsere Show abgekauft, hättest es nie für möglich gehalten, dass Rene jedes Mal danach mit mir ins Bett gestiegen ist. Ich beherrsche alle Finessen, wie man einen Mann verwöhnt, nicht eine Unschuld vom Lande wie du …«
»Pizza für Egger?« Ein junger Bursche balancierte zwei Pizzakartons und kam die Treppe herauf.
»Das ist unsere!« Rene ging nach hinten, wohl um seine Brieftasche zu holen.
Juliane nutzte die Gelegenheit. Sie stolperte drei Schritte rückwärts, drehte sich um und eilte die Treppen hinunter. Nur fort von hier!
War sie nach der Erkenntnis, dass man ihre Entwürfe gestohlen hatte, am Boden zerstört gewesen, so fühlte sie sich nun wie durch einen Fleischwolf gedreht. Kraft- und saftlos.
Wie sie in ihre Wohnung gekommen war, wusste sie nicht. Auch nicht, wie sie eine Tasche gepackt hatte, aus dem Haus geeilt und in Richtung Bahnhof gefahren war.
Sie kam erst wieder zu sich, als sie im Zug nach München saß.
Die Tränen liefen ihr über die Wangen und sie drehte den Kopf zum Fenster, um nicht aufzufallen.
Cäsar war wenigstens gleich gestorben, als Brutus ihn hinterrücks betrogen hatte. Warum tat sich kein Loch auf, das sie verschlang? Sie konnte nie mehr nach Berlin zurück. Was tat sie überhaupt da? Die glitzernde Modewelt mit ihren Barbiepuppen lag ihr nicht. Da gehörte sie nicht dazu. Was hatte sie jemals in dieser Stadt gewollt?
Die Landschaft zog an ihr vorbei, ohne dass sie etwas wahrnahm. Wer saß neben ihr? Es interessierte sie nicht. Sie schlief ein. Ihr Traum führte sie mitten in die Schule. Tanja stand mit einer hässlichen Fratze vor der gesamten Klasse.
»Erst war sie überzeugt, mir den Freund ausspannen zu können, und dann klaut sie mir auch noch meine Entwürfe …« Sie schlug ihre Mappe auf und die Figuren darin begannen zu tanzen und grinsten Juliane an.
»Das ist nicht wahr. Sie lügt …«
»Geht es Ihnen nicht gut?« Vor ihr war das Gesicht einer älteren Dame, deren Augen sich besorgt zusammenzogen. »Sie haben richtig laut geschrien.«
»Tut mir leid«. Juliane setzte sich gerade hin. »Ich hatte einen grottenschlechten Tag.«
Als Juliane auf den Bahnsteig in München trat, empfing sie eiskalter Wind. Ihr Vater hatte Rene nie gemocht. Auf keinen Fall war er der richtige Ansprechpartner. Aber da war Melanie. Sie hatte Ähnliches erlebt. Ihr erster Ehemann hatte sie betrogen und schändlich hintergangen, sie wusste bestimmt, wie Juliane zumute war.
Zum Glück erwischte sie gleich einen Regionalzug nach Starnberg, sie wollte dort aussteigen und Melanie in der Firma besuchen. Sie arbeitete bei ›Seebräu‹, der hiesigen Bierbrauerei. Bis kurz vor sechs konnte sie in der Firma sein und dann mit Melanie gemeinsam heimfahren. Und ein Gespräch unter vier Augen mit ihrer Stiefmutter, das brauchte sie, bevor ihr Vater alles mitbekam.
Ein Gedankenaustausch unter Frauen.
Ihr Vater hatte sie ungern nach Berlin ziehen lassen. Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr hatte sie bei ihren Großeltern gelebt und die drei Jahre bis zum Abitur waren ihm zu schnell vergangen. Es hatte eine Zeit lang gebraucht, bis Vater und Tochter zueinandergefunden hatten. Aber die Modeschule war ihr Traum gewesen, so hatte er ihr den Wunsch erfüllt. Wie sollte sie ihm nun klarmachen, dass sie die Ausbildung abbrechen wollte?
Zu Melanie hingegen hatte sie rasch einen guten Draht gefunden und obwohl diese erst seit knapp zwei Jahren zu Konstantins Leben gehörte, verstanden sie sich bestens.
Juliane stieg in Starnberg aus, es war bereits dunkel. Außerdem eiskalt, einige Minusgrade. Ihr Schal hing in der Garderobe ihrer Berliner Wohnung. Der eisige Wind blies ihr die Schneeflocken wie Nadeln ins Gesicht. Ihre Wangen fühlten sich taub an.
Niemand rechnete mit Juliane, da zahlreiche Prüfungen anstanden. Das war jetzt hinfällig. Vorbei. Sie wollte nicht mehr zurück. Tanja hatte recht, wie hatte sie nur jemals glauben können, in der Modebranche auch nur den Hauch einer Chance zu haben? Melanie würde aus allen Wolken fallen. Nicht nur sie. Ihre Oma, ihr Vater, ihre gesamte Verwandtschaft hatte große Stücke auf sie gehalten.
Sie setzte Fuß vor Fuß. Mittlerweile war es stockdunkel geworden. Der Weg betrug nur einen knappen Kilometer, doch Wind und Schneeregen beeinträchtigten Julianes Fortkommen. Sie spürte ihre Füße kaum noch. Es wäre besser gewesen, die Stiefel anzuziehen anstatt der gefütterten Schuhe, die zwar für die Stadt ausreichend, jedoch nicht geeignet waren, längere Zeit durch Schnee zu stapfen – auch wenn der nur wenige Zentimeter hoch lag.
Erleichtert atmete sie auf, als das hell erleuchtete Gebäude von ›Seebräu‹ vor ihr auftauchte, die letzten Minuten liefen sich wie von selbst. Viele Menschen kamen ihr entgegen, es war Dienstschluss. Sie sah genau hin, nicht dass sie Melanie verpasste. Eine Umarmung, das brauchte sie jetzt. Sich einfach nur hineinfallen lassen und jemanden, der zuhörte und sie verstand.
Der Portier telefonierte, doch sie kannte den Weg ohnehin, zielstrebig steuerte sie den Lift an und seufzte erleichtert, dass niemand mit ihr einstieg.
Oben angekommen durchströmte sie jäh ein warmes Gefühl. Melanie würde Zeit für sie haben. Das Pult der Sekretärin des obersten Chefs, der auf der linken Seite sein Büro hatte, war unbesetzt. Der laufende Computer zeigte jedoch, dass die Schreckschraube noch irgendwo sein musste.
Juliane wandte sich nach rechts, denn ihre Stiefmutter arbeitete für den Junior-Chef. Sie klopfte, betrat den winzigen Arbeitsraum, den Melanie allerdings schon lange nicht mehr benutzte. Sie teilte sich den anschließenden großflächigen Raum mit ihrem Chef. Die Tür stand offen und Juliane ging einfach weiter. Von ihrer Kleidung tropfte der geschmolzene Schnee und hinterließ Pfützen auf dem Boden.
Melanie war nicht da. Stattdessen hob sich vom Schreibtisch am Fenster ein dunkelblonder Kopf und weitaufgerissene Augen starrten sie an.
Guido Hechenberger.
Julianes Mund wurde trocken und ihre Zunge klebte am Gaumen. Das letzte Mal hatte sie ihn beim Seeschwimmen gesehen in einer knappen Badehose, die extrem wenig versteckt hatte.