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Nach dem Tod ihres wesentlich älteren Mannes ist Leonie dem Spott ihres kleinen Dorfes ausgeliefert. Sie möchte auf Sylt einen Neustart wagen. Doch es gelingt ihr nicht, die schlimmen Erlebnisse hinter sich zu lassen. Ohne neue Kontakte zu schließen, igelt sie sich ein. Nur in den Morgenstunden, wenn es noch dunkel ist, verlässt sie ihr Haus für einsame Strandspaziergänge. Eines Tages trifft sie auf Matties. Er verfolgt sie mit Hartnäckigkeit und lässt nicht locker, bis sie einwilligt, ihn auf dem Weihnachtsmarkt zu treffen.
Matties, ehemaliger Bergsteiger, kämpft mit Schuldgefühlen, die ihn nachts nicht schlafen lassen. Nur zaghaft können sich beide öffnen. Gerade als sie ihre Liebe zueinander eingestehen, wird Leonie von ihrer Vergangenheit eingeholt und läuft Gefahr, alles wieder zu verlieren.
Jeder Teil der Magic-Christmas-Reihe kann unabhängig von den anderen Teilen gelesen werden.
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Lotte R. Wöss
Über das Buch:
Nach dem Tod ihres wesentlich älteren Mannes ist Leonie dem Spott ihres kleinen Dorfes ausgeliefert. Sie möchte auf Sylt einen Neustart wagen. Doch es gelingt ihr nicht, die schlimmen Erlebnisse hinter sich zu lassen. Ohne neue Kontakte zu schließen, igelt sie sich ein. Nur in den Morgenstunden, wenn es noch dunkel ist, verlässt sie ihr Haus für einsame Strandspaziergänge. Eines Tages trifft sie auf Matties. Er verfolgt sie mit Hartnäckigkeit und lässt nicht locker, bis sie einwilligt, ihn auf dem Weihnachtsmarkt zu treffen.
Matties, ehemaliger Bergsteiger, kämpft mit Schuldgefühlen, die ihn nachts nicht schlafen lassen. Nur zaghaft können sich beide öffnen. Gerade als sie ihre Liebe zueinander eingestehen, wird Leonie von ihrer Vergangenheit eingeholt und läuft Gefahr, alles wieder zu verlieren.
Die Autorin:
Lotte R. Wöss, geboren 1959 in Graz, absolvierte nach der Matura die Ausbildung zur Diplom-Krankenschwester.
Schon als Kind schrieb und dichtete sie, es folgten Artikel und Gedichte für kleine Zeitungen, doch erst im reiferen Alter fand sie zurück zu ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, und veröffentlichte ihren Debütroman »Schmetterlinge im Himmel« als Selfpublisherin. Mittlerweile hat sie zahlreiche Liebesromane, Krimis und auch Kurzgeschichten veröffentlicht, sowohl als Selfpublisherin als auch in Verlagen.
Ihr bevorzugtes Genre bleiben aber Liebesgeschichten mit Tiefgang. Die Entwicklung, die ein Mensch machen kann, die Möglichkeit, an sich selbst zu arbeiten und einen Reifeprozess durchzumachen – das ist für Wöss Thema Nummer eins.
Lotte R. Wöss
Magic Christmas 3
Liebesroman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Oktober © 2023 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Carolin Wenner
https://www.die-zeilenschleiferei.de/
Korrektorat: Heidemarie Rabe
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 438771716, Adobe Stock ID 281923508, Adobe Stock ID 316881867, Adobe Stock ID 52603924
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Leonie
»Verfolgen Sie mich?«, schrie Leonie. Der eisige Novemberwind stach unangenehm in ihre Wangen. Jeden Tag kostete es sie mehr Kraft, sich zu ihrer Morgenrunde aufzuraffen. Es war eine sternenklare Nacht, in Sylt ging die Sonne Ende November nicht vor halb neun Uhr auf.
Der Mann war ihr bereits seit Wochen aufgefallen. Auch er war frühmorgens unterwegs und spazierte über den breiten Strand. Bis heute war er nur eine Silhouette in der Dunkelheit gewesen, denn Leonie wählte ihren Weg stets mit einem weiten Bogen um ihn. Sie wollte keinen Kontakt, zu niemandem. Bisher schien er das akzeptiert zu haben.
Doch heute hatte er umgedreht und war zu ihr aufgerückt. Schließlich lagen nur noch zehn Meter zwischen ihnen.
Viel zu nahe! Sie atmete schneller. Würde sie jemand hören, wenn sie schrie?
Er kam ein paar Schritte näher, blieb dann jedoch stehen. »Da wir uns nun so oft begegnet sind, wird es Zeit, dass wir uns bekannt machen. Ich bin Matties Jorgensen.«
Sie sah kurz auf seine ausgestreckte Hand. In einem anderen Leben hätte sie ihn anziehend gefunden, im Halbdunkel konnte sie ein perfektes Gebiss aufblitzen sehen. Unter seiner Wollmütze stand strubbeliges Haar hervor, hell, wie sie erkennen konnte. Die Nase vielleicht ein klein wenig schief, sonst ein attraktiver Kerl.
Doch sie war immun gegen Männer. Alle Männer.
Daher drehte sie sich um und ließ ihn stehen. Den Kopf gesenkt ging sie zügig weiter.
»He, ich hab dich nur um deinen Namen und nicht um ein Date in meinem Bett gebeten.« Sein Lachen drang warm durch die Kälte. Der Bursche ließ sich nicht abschütteln, war ihr nachgekommen und schritt neben ihr her.
Sie presste ihre Lippen aufeinander. Ihr Haus war nicht mehr weit, dann wäre sie ihn los.
»Weißt du, wie man dich in Kampen nennt? Die Eiskönigin. Aber ich glaube, das stimmt nicht. Du bist ein Mensch aus Fleisch und Blut.«
Ohne ihn anzusehen, beschleunigte sie ihr Tempo ein weiteres Mal.
»Ich weiß, dass du Leonie heißt.«
Abrupt blieb sie stehen. »Und? Erwarten Sie nun ein Honorar für Ihre detektivischen Fähigkeiten? Oder ein Lob? Bitte, melden Sie sich als Watson bei Sherlock an, aber lassen Sie mich in Ruhe.«
»Du sprichst! Halleluja! Wer hätte das gedacht!« Er schlug seine Hände zusammen. »Ich möchte dich gerne einladen. Meine Eltern geben den traditionellen Watten-Eiszauber mit Meeresbuffet und Tanzmusik. Und danach gibt es noch ein großes Lagerfeuer am Strand. Am 20. Dezember.«
»Bis dahin sind es gut vier Wochen.« Der Wind blies unangenehm unter ihre Jacke, die sie enger um sich zusammenzog. »Außerdem sind wir nicht per Du.« Ihre Stimme wurde eine Oktave höher, das ärgerte sie. »Und ich gehe bestimmt nicht auf ein Fest. Und nun lassen Sie mich in Frieden.«
Er zuckte nur mit seinen Schultern. »Wir duzen uns hier alle, daran musst du dich gewöhnen, Eiskönigin. Außerdem würde dir eine Abwechslung guttun, du hockst die ganze Zeit nur im Haus. Na ja, von deinen Morgenwanderungen abgesehen. Du könntest mal die Insel erkunden und …«
»Was sind Sie? Ein gottverdammter Stalker? Haben Sie noch nicht begriffen, dass Sie stören?« Leonie hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestampft. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? »Ich bin hierhergekommen, weil ich meine verdammte Ruhe möchte. Und ich dachte, das hier sei eine gemütliche Insel. Bis jetzt war es das auch.« Was redete sie so lang mit ihm? Das Sprechen strengte sie an, sie musste möglichst rasch heimkommen.
»Du hast das Haus vom alten Jasper Blaicken gekauft.«
Sie antwortete nicht und beschleunigte ihre Schritte. Lange würde sie dieses Tempo nicht durchhalten können.
»Es ist nicht riesig groß, aber doch einigermaßen. Wir alle dachten, es würde eine Familie einziehen.«
Verdammt, das tat richtig weh. Wenn er wüsste, wie sehr sie sich immer Kinder gewünscht hatte! Und dann sah sie Franks Kind vor sich. Sie blieb stehen und musste ein paarmal nach Luft schnappen, ehe sie ihm antwortete. Es sollte ein scharfes Anbrüllen werden, leider kam es hysterisch weinerlich heraus. »Es haben nicht alle das Glück, eine Familie zu haben. Ich lebe allein, das heißt aber nicht, dass ich von jedem Natur-Cowboy hier belästigt werden möchte. Scheren Sie sich endlich zum Teufel.« Zu ihrem Schreck liefen ihr nun Tränen über die Wangen, die Demütigung war perfekt. Sie musste weg. Sofort.
Abrupt rannte sie los, konzentrierte sich auf ihre Atmung und ignorierte den Druck in ihrem Brustkorb. Wie ferngesteuert setzte sie einen Fuß vor den anderen, riss die Gartentür auf. Nur noch wenige Meter, dann hatte sie es geschafft. Fast brach sie vor ihrem Haus zusammen. Ihr war schwarz vor Augen. Mit letzter Kraft schaffte sie es, die Haustür aufzuschließen. Sie stürzte hinein, fiel im Flur keuchend auf den Boden und stieß die Tür mit den Füßen zu. Erleichtert hörte sie das Einschnappen des Schlosses. Das Gefühl zu ersticken war übermächtig.
Die Panikattacke hatte sie voll im Griff. Dabei hatte sie geglaubt und gehofft, alles überwunden zu haben.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit verflossen war, bis sie es endlich schaffte aufzustehen, Jacke und Stiefel auszuziehen und sich ins Wohnzimmer zu schleppen. Aufatmend legte sie sich lang gestreckt auf die Couch.
Ihr Arzt hatte sie gewarnt, dass die räumliche Trennung allein nicht die komplette Heilung bringen würde. Aber für sie war es die einzige Möglichkeit gewesen, den Demütigungen und Herabsetzungen zu entkommen. Die letzten Monate seit Franks Tod waren der nackte Albtraum gewesen. In knapp zwei Wochen, am 7. Dezember, war es ein Jahr her, dass er plötzlich gestorben war.
Sie wollte nicht daran denken. Nicht jetzt, da sie zum ersten Mal, seit sie hier war, eine Panikattacke gehabt hatte.
Was musste ihr der Kerl so zusetzen? Hätte er sie nicht in Ruhe lassen können?
Bewegungslos lag sie da und sah zur Holzdecke.
Das Häuschen war zu ihrem Rückzugsort geworden. Weit weg von ihrer Heimat. Den Sommer über hatte sie es renovieren lassen, im Inneren war es komplett neu ausgestattet. Sie hatte nichts aus ihrer Villa, in der sie mit Frank gelebt hatte, mitgenommen.
Wie hatte er sie so täuschen können!
Nach seinem Tod hatte sie feststellen müssen, dass sie den Mann, den sie fast zehn Jahre geliebt hatte, offenbar nicht gekannt hatte.
Ihr Handy riss sie aus ihrem Dämmerzustand. Ihr Vater.
»Wie geht es dir?« Die obligatorische Frage.
»Gut.« Die unehrliche Antwort.
»Wir machen uns Sorgen um dich. Du wohnst nicht mehr in St. Florian, hat mir deine Tante gesagt.«
»Nein.«
»Leonie, du hättest jederzeit zu uns kommen können und …«
»… und das fünfte Rad am Wagen sein? Was soll das, Papa?« Sie spuckte das Wort förmlich aus. »Du hast dich nie um mich gekümmert, jetzt ist es zu spät.«
»Leonie, ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Bitte – du bist meine Tochter und ich würde dich gern wiedersehen.«
»Aber ich dich nicht. Mach’s gut.« Sie beendete das Gespräch, es raubte ihr zu viel Kraft.
Weshalb sollte ihr Vater ausgerechnet nach dem Tod ihres Mannes Interesse an ihr haben? Wegen des Geldes, das sie geerbt hatte? Es reichte ihr, dass Katharina, Franks ältere Schwester, sie ständig mit Nachrichten bombardierte, in denen sie mitteilte, ihr stünde das Erbe nicht zu. Wenigstens ihre Anrufe hatten aufgehört, seit sie ihr österreichisches Handy abgemeldet und ein deutsches angemeldet hatte.
Nur Richard Berg, ihr Anwalt, hatte ihre Nummer.
Aber auch der wurde ein wenig lästig, weil er versucht hatte, ihr vorzuschreiben, wie sie das Geld anlegen sollte. Das Haus hier hatte sie sich auf jeden Fall nicht ausreden lassen.
Sie hasste es, sich immer wieder neu rechtfertigen zu müssen.
Nein, sie hatte nichts gewusst.
Nein, sie hatte keinen Einfluss auf Franks Testament gehabt.
Nein, sie würde nicht auf ihr Erbe verzichten.
Nach neun Jahren Ehe stand ihr das zu. Und nachträglich gesehen sogar als Schmerzensgeld.
Matties
Das hatte er nicht gewollt. Die Frau war in Tränen ausgebrochen und war vor ihm geflohen.
Was stimmte nicht mit ihr?
Matties ging ihr langsam nach und beobachtete, wie sie hektisch in ihren Garten stürzte, ihr Haus aufschloss und förmlich hineinfiel. Das schlechte Gewissen plagte ihn. Weshalb hatte er sie angesprochen? Wochenlang hatte er sie bereits wahrgenommen, wie sie in der morgendlichen Dunkelheit den Strand entlanggewandert war. Der Bevölkerung von Kampen war sie ein Mysterium, niemand hatte mehr als einen kurzen Blick auf sie werfen können, wenn sie in ihrem Wagen vorbeifuhr.
Nur er.
Da war etwas in ihm, das ihn zu ihr hinzog. Eine vertraute Seele, die vermutlich ebensolche Wunden in sich trug wie er selbst. Nun wusste er es konkret. Niemand zog in dunkler Einsamkeit seine Kreise, wenn er nicht von Dämonen verfolgt wurde.
Langsam wandte er sich dem Dorf zu. Seine Eltern führten ein Fischlokal auf der anderen Seite des Ortes. Sein Bruder Jonte würde es einmal übernehmen, er hatte eine Ausbildung zum Koch gemacht und war der geborene Wirt. Matties selbst hatte sich im letzten Jahr mit einem Fahrradverleih sesshaft gemacht. Zudem leitete er Touren, vor allem übers Watt, aber auch kleine Wanderungen durch die Dünenlandschaften der Insel.
Eine Stunde später, es war gerade acht Uhr, traf er Jonte in der Küche an, der in ein Notizbuch schrieb und eine Tasse Kaffee vor sich hatte. »Guten Morgen.«
Jonte sah nicht auf. »Morgen. Ich werde nie verstehen, was dich um diese verrückte Zeit hinaustreibt. Mann, es ist immer noch stockdunkel.«
»Ich brauche die Bewegung, würde dir auch nicht schaden.« Matties klopfte seinem Bruder auf die Schulter und deutete auf das Notizbuch vor ihm. »Neues Rezept?«
Jontes »geheimes Kochbuch« konnte niemand außer ihm lesen. Jonte nickte kurz. »Was hältst du davon, wenn ich für unseren Watten-Eiszauber einen neuen Eintopf ausprobiere?«
»Mann, das ist doch erst in vier Wochen!« Leonies Worte fielen ihm ein. Hätte er anders mit ihr reden sollen? Er rieb über seine Stirn.
»Man kann nie früh genug anfangen. Ich habe da das Rezept einer meiner Kollegen ein wenig abgeändert und nehme statt – wie siehst du denn aus?« Er hatte den Kopf gehoben. »Was ist dir über die Leber gelaufen?«
Matties streifte seine Jacke ab. »Kaffee?«
»Da du mich so liebenswürdig bittest.« Jonte wies mit dem Kopf zur Anrichte, auf der eine Kanne Kaffee stand. Seine Eltern bevorzugten immer noch Filterkaffee.
Matties goss sich eine Tasse ein und ließ sich seinem Bruder gegenüber nieder. »Ich habe die Frau heute angesprochen.«
»Ah, die Eiskönigin.« Jonte trank aus seiner Tasse. »Ich hab dir abgeraten, du erinnerst dich?«
»Die Zeiten, in denen ich auf meinen großen Bruder gehört habe, sind lang vorbei.«
»Bedauerlich.«
Matties lächelte kurz, wurde jedoch gleich wieder ernst. »Sie ist …« Er nahm einen Schluck und überlegte, wie er es seinem Bruder gegenüber formulieren sollte. »Sie ist nicht okay. Ich mache mir Sorgen.«
»Was kümmert sie dich?«
»Ich weiß nicht, warum. Aber ich habe das Gefühl, dass ich ihr helfen muss. Sie ist dünn, blass und war abweisend. Dahinter habe ich eine tiefe Traurigkeit gespürt. Schließlich ist sie weinend weggerannt.«
»Weinend?« Sein Bruder runzelte die Stirn. »Was um Himmels willen hast du denn gesagt?«
Er versuchte sich an seine letzten Worte zu erinnern, aber er konnte sich nicht erklären, was Leonie so aufgebracht hatte.
Natürlich kannte er ihren Namen. Kampen hatte knapp sechshundert Einwohner. Die meisten lebten von den zahlreichen Touristen, welche fast ganzjährig eintrudelten. Der alte Jasper Blaicken war schon jahrelang krank gewesen. Da sein einziger Sohn in den USA wohnte, war anzunehmen, dass dieser das Anwesen verkaufen würde.
Nur eine reiche Person hatte es kaufen können. Die Preise auf Sylt waren horrend. Leonie hatte das Reetdachhaus nicht nur erworben, sondern auch komplett renovieren lassen. Da mussten riesige Beträge über den Tisch gewandert sein.
Die Frau am Strand hatte nicht nach steinreicher Tussi ausgesehen. Reserviert hatte sie sich benommen, allerdings nicht arrogant. Sie hatte eher panisch gewirkt. Als ob sie Angst hätte.
Sein Beschützerinstinkt war geweckt. Aber nicht nur das. Sie faszinierte ihn. Zuerst hatte er sich gewundert, dass er jemand anderen in der Früh am Meer sah. Die Frau, die da jeden Tag allein über den Strand streifte, strahlte eine Melancholie aus, die ihn trotz der Entfernung nicht kaltließ. Aus diesem Grund hatte er sie ansprechen müssen.
Jonte sah ihn immer noch erwartungsvoll an. Matties zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das wüsste. Es muss irgendwas sein, was ich von mir gegeben habe. Daher werde ich zu ihr hingehen und mich entschuldigen.«
»Keine Glanzidee von dir.«
»Warum?«
»Offenbar möchte sie ihre Ruhe. Und«, sein Bruder tippte mit dem Finger auf ihn, »ich sage es nur ungern, aber es kann sein, dass sie dich einfach nicht mag.«
»Ich werde sie dazu bringen, zu unserem Watten-Eiszauber zu kommen.«
»Träum weiter.«
»Wollen wir wetten?«
Jonte runzelte die Stirn. »Wow, dich hat es ja ordentlich erwischt. Okay!« Er streckte ihm die Hand hin. »Wenn du verlierst, hilfst du mir einen Tag in der Küche.«
»O Mann!«
»Ist dir der Einsatz zu hoch?«
»Auf keinen Fall. Aber, wenn ich gewinne, dann«, er überlegte kurz, »dann kochst du für mich und sie ein romantisches Dinner.«
Jonte lachte laut heraus. »Gebongt.« Er sah auf die Uhr. »Ich muss in die Küche. Aber ich will mal nicht so sein und mache dir noch ein Frühstück. Was hältst du von einem Käseomelett?«
»Du bist der Beste.«
Während er die Akkus der Elektroräder überprüfte, ließ er in Gedanken noch einmal das Frühstück Revue passieren. Auch seine Eltern waren dazu gekommen. Jonte, dieser abscheuliche Bruder, hatte seine Klappe nicht halten können, während er die Omeletts servierte. Ein dummer Spruch und bevor er selbst etwas erwidern konnte, war Jonte in der Küche verschwunden. Welcher Teufel hatte Matties bloß geritten, ihm von Leonie zu erzählen? Selbst wenn er Leonie überreden konnte, mit ihm auf das Fest zu gehen, war noch lange nicht klar, dass sie auch mit ihm essen würde.
»Halt dich fern von dieser Frau, du kriegst bloß Ärger!«, hatte ihn sein Vater gewarnt.
Die Ladentür öffnete sich.
»Morgen, Matties.«
Überrascht hob er den Kopf. Vor ihm stand Astrid, seine Ex-Freundin. Sein Magen verkrampfte sich.
»Sigrid und ich würden gerne ein wenig radeln.«
Er sah hinaus. Draußen vor der Scheibe stand ihre Freundin und rieb sich die Hände. »Habt ihr warme Kleidung?«
»Natürlich.« Sie musterte ihn. »Wie geht es dir?«
»Interessiert dich nicht wirklich.« Matties ging an ihr vorbei zur Tür hinaus.
»Hi Matties. Das Wetter ist schön, da wollen wir ein wenig radeln.« Sigrid streckte ihm die Hand hin. »Mit Elektrorädern geht’s ein wenig schneller.«
»Soll so sein.« Matties richtete zwei Fahrräder und erklärte kurz, wie sie funktionierten.
»Wir könnten uns mal treffen«, sagte Astrid leise. »Und reden.«
»Worüber?«
»Harald und ich haben uns getrennt.«
»Hab ich gehört, aber geht mich nichts an.« Er klang schroff, doch er wollte sie so rasch wie möglich loswerden. Noch immer hatte er das Gefühl, sie erwürgen zu müssen, obwohl schon so viele Jahre vergangen waren.
Matties ging hinaus, grüßte Sigrid kurz und machte zwei Räder startklar.
Astrid sagte nichts mehr. Erleichtert sah er zu, wie die beiden ein paar Minuten später davonradelten.
Matties schob die Gedanken an seine Ex beiseite und machte sich seufzend über den Papierkram her.
Jetzt in der kalten Jahreszeit war es etwas ruhiger in seinem Geschäft. Fahrräder wurden weniger ausgeliehen, dafür kamen häufiger Anfragen für seine Vorträge. Und er veranstaltete auch Wintertouren. Obwohl er lange fort gewesen war, kannte er Sylt immer noch wie seine Westentasche und konnte daher individuell auf die Touristen eingehen. Vielleicht konnte er damit bei Leonie punkten?
Sein Blick fiel auf seinen Terminplaner, bereits am 2. Dezember, in neun Tagen, musste er den Vortrag im Hotel Adler in Westerland halten. Einerseits liebte er es, die Bilder zu zeigen und sich an seine Zeit als Bergsteiger zurückzuerinnern. Andererseits brachte das auch die schlimmen Erlebnisse, die ihn dazu gebracht hatten, aufzuhören, in Erinnerung. Um vier Uhr würde ihn Bente, seine Angestellte, die jeweils ein paar Stunden in der Woche aushalf, ablösen. Heute würde er die freie Zeit nützen, um ein wenig zu entspannen und seinen Vortrag vorzubereiten. Viel Arbeit hätte er damit nicht, denn er hatte ihn schon öfter gehalten. Zum Glück musste er Astrid auch nicht mehr begegnen. Wenn sie und Sigrid die Fahrräder zurückbrachten, würde Bente sie entgegennehmen.
Das Telefon läutete. Er suchte, bis er es auf einem Stuhl fand, wo er es abgelegt hatte, als er den beiden Frauen half, die Fahrräder anzupassen.
»Mama?« Was konnte sie wollen? Er hatte sie doch gerade erst beim Frühstück getroffen.
»Matties, kannst du heute nach der Arbeit kommen? Tante Emmeline ist aus St. Peter Ording angereist. Sie übernachtet bei uns und …«
»Tut mir leid, aber das möchte ich mir nicht antun.« Die redselige Tante ertrug er kaum.
»Matti, es ist so viel angenehmer, wenn du dabei bist. Dann vergisst sie ihre Gicht.«
Natürlich, weil sie ihn über seine Bergbesteigungen und vor allem über das Unglück ausquetschen wollte, um es brühwarm ihren Freundinnen zu erzählen.
»Mama, ich habe heute Abend schon was vor.«
»Und was, wenn ich fragen darf?«
»Darfst du nicht.«
»Du schwindelst, ich kenne dich! Ich frage Ole, ob in deiner Wohnung Licht brennt und wehe …«
»Ja, ja.« Er legte auf. Zu blöd, jetzt musste er sich am Abend irgendwo herumtreiben, nur damit seine Mutter nicht merkte, dass er sich vor Tante Emmelines Besuch drückte. Sie war wirklich imstande, seinen Cousin Ole, der auf der anderen Straßenseite wohnte, anzurufen.
Er würde nach Westerland fahren und durch den Weihnachtsmarkt schlendern, ein Glühwein schmeckte immer.
Leonie ging ihm den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Warum war sie so unzugänglich und verschlossen? Anfang September war sie eingezogen und hatte sich seitdem kaum im Dorf blicken lassen.
Und sie war völlig aufgelöst vor ihm davongerannt, weil er – was gesagt hatte?
Er hatte den Drang, sich bei ihr zu entschuldigen, und das wunderte ihn. Jede andere Frau hätte er als Zicke abgetan. Aber sie strahlte etwas aus, das um Hilfe zu schreien schien.
Am Abend verfolgte er das gesellige Treiben rund um ihn. Überall blinkte und glitzerte es. Der Weihnachtsmarkt war gut bevölkert, obwohl es ein Wochentag war. Er schlenderte an den beleuchteten Hütten vorbei und sog den speziellen Duft nach Zimt, Lebkuchen und Gebackenem ein. Es war einiges los, Gelächter ertönte von den bewirteten Ständen.
Er sah wiederum Leonies blasses Gesicht vor sich. Verdammt, weshalb ging sie ihm nicht aus dem Kopf? Plötzlich wurde ihm der Trubel zu viel und er zog sich in eine Seitengasse zurück. Ungefähr zehn Meter vor ihm befand sich ein Laden, dessen Eingang mit bunten Weihnachtsbaumkugeln geschmückt war. Und darin stand ein wohlbeleibter Weihnachtsmann.
Den Laden hatte er nie zuvor gesehen, der musste neu sein.
»Junger Mann«, rief ihm der Weihnachtsmann zu. Die Stimme passte ebenfalls, sie war angenehm tief. Da hatten sie wirklich den perfekten Mann für die Verkleidung gefunden. Aber er war zu engagiert. Matties hasste Verkäufer, die meinten, die Leute durch Rufe anlocken zu müssen.
»Ich bin nicht interessiert«, wehrte er ab und drehte sich um.
Auf einmal stand der Mann direkt vor ihm. Wie ging das? War er nicht gerade weiter weg gewesen? Tiefblaue Augen glänzten im Licht der Weihnachtsbeleuchtung hinter einer Halbbrille, die keck auf der Nase saß. »Ich sage jetzt nicht Hohoho, weil das ist albern, nicht wahr?« Er zwinkerte ihm zu.
Der Kerl war perfekt verkleidet, man könnte ihn fast für echt halten. Am auffallendsten waren die Knöpfe und Gürtelschnalle, beides in Gold auf dem roten Samtjanker mit den weißen Flauschbesätzen. Und die schwarzen Stiefel mit den Stulpen – richtig authentisch.
»Wegen mir musst du nicht so schauspielern, ich bin kein Kind mehr.« Matties’ Worte kamen amüsiert heraus, irgendwie wollte er den alten Mann nicht verletzen.
Falls er überhaupt alt war! Was wusste man schon, wer unter der Verkleidung steckte?
»Wer sagt denn, dass nur Kinder mich brauchen?« Die tiefe Stimme hatte etwas Gewinnendes. »Du solltest das tun, was du dir für heute vorgenommen hast, nicht wahr?«
»Wie bitte?« Wer war der Mann? Er konzentrierte sich, um zu erraten, wer hinter der Verkleidung stecken könnte. Schließlich kannte er viele Menschen auf Sylt. Aber der Kerl musste ein Fremder sein, ein Schauspieler oder Ähnliches, engagiert von – ja, von wem eigentlich? Er warf einen Blick zum Laden hin. Es war nicht zu erkennen, von welcher Firma er war.
»Die junge Frau braucht dich, sie will es sich nur nicht eingestehen.«
»Woher wissen Sie davon?« Automatisch kam er zum »Sie« zurück. Der Weihnachtsmann war ihm unheimlich geworden. Hatte sein Bruder geredet und erlaubte sich nun einen Scherz? Suchend sah er sich um, doch da war keine Spur von Jonte. Wie auch, um die Zeit stand er in der Küche des Familienrestaurants.
»Der Weihnachtsmann sieht alles, nicht wahr?« Er rückte nun näher und halb erwartete Matties, Alkohol zu riechen. Der Mann musste betrunken oder verrückt sein. Doch da war nichts. »Komm mit in meinen Laden, ich habe etwas, das dir helfen wird.« Er wandte sich um und ging voraus.
Matties folgte ihm spontan. Weshalb tat er das? Das Ganze war doch bloß ein billiger Verkaufstrick!
»Santas Art & Craft« stand über dem mit Weihnachtskugeln und Girlanden reichhaltig geschmückten Eingang. Beim Öffnen der Ladentür ertönte eine Melodie. Kling Glöckchen, klingelingeling … erkannte er sofort.
Das Geschäft war größer als erwartet. Regalreihen führten ins Innere, mit allen Arten von Weihnachtsschmuck, Tischdekorationen und Lichterketten. Matties fühlte sich auf einmal wie ein Kind in einem verzauberten Land. Der Laden war ihm komplett unbekannt.
»Ist das Geschäft neu?«
»Nicht neu, aber man übersieht es manchmal. Es gibt meine Läden überall auf der Welt.«
»In allen Ländern?« Wahrscheinlich übertrieb der Mann, das Kostüm war ihm wohl zu Kopf gestiegen. Niemals war er der Manager einer internationalen Kette!
Der Alte lächelte, seine Augen zwinkerten über der Halbbrille. »Kann man so sagen, nicht wahr?« Er wandte sich wieder ab und ging tiefer ins Geschäft hinein.
Matties drehte sich staunend rundum. Er musste unbedingt seine Mutter fragen, ob sie den Laden kannte. Das Lied erklang erneut hinter ihm und eine Gruppe älterer Damen kam herein.
»So niedliche Sachen!«
»Ein richtiger Weihnachtsshop.«
»Sieh das hier!« Begeistert erkundeten sie den Laden.
»Ich habe hier genau das Richtige für dich, das bringst du ihr,« ertönte Santas Stimme hinter ihm. »Nicht am falschen Ende sparen!« Er wandte sich zu ihm um und der Weihnachtsmann drückte ihm etwas in die Hand. Matties erkannte eine Schneekugel. »Der Sockel ist handgeschnitzt, auch das Innere ist von einem bekannten Künstler.« Der alte Mann drehte sich um und ging behäbigen Schritts zu der Gruppe. »Echte Handarbeit«, pries er seine Waren an. »Diese Sterne hier sind mundgeblasen und die Engel Origami von unserem Damenkränzchen hier, der Erlös kommt …«
Die Worte um ihn wurden leiser. Matties sah auf den Gegenstand in seiner Hand. Es war wirklich eine Schneekugel mit einem Leuchtturm darin. Der Sockel war aus Holz geschnitzt, das Muster bildete eine Rose.
Mann, was sollte er damit? Diese Kugeln gab es bestimmt auf ganz Sylt en masse, weshalb sollte so ein Kitsch Leonie beeindrucken? Und sie zu einem Gespräch bewegen?
Er hob den Kopf. Die Damen bewunderten immer noch ein paar der Stücke. Den Weihnachtsmann entdeckte er jedoch nicht mehr. Er ging an der Gruppe vorbei nach vorn. Neben dem Ausgang war eine Kasse, an der saß nun ein Mädchen, die eine leuchtende Weihnachtsmütze auf dem Kopf hatte. Komisch, die hatte er beim Hineingehen gar nicht bemerkt.
Vermutlich hatte sie den Weihnachtsmann abgelöst.
»Darf’s die Schneekugel sein?«, fragte das Mädchen. Ihre Zahnspange glänzte im gedämpften Licht der Weihnachtsbeleuchtung.
»Ja«, sagte er spontan. Er wäre sich blöd vorgekommen, das Ding zurückzubringen. »Wo ist denn Ihr Kollege, der Weihnachtsmann?«
Sie sah ihn groß an. »Ich bin heute allein hier. Aber ich bin nur Aushilfe und kenne nicht alle, die hier arbeiten.«
Das Mädchen nahm ihm die Kugel ab. »Komisch, die habe ich hier noch nie gesehen. Wo ist denn der Preis?« Nach einigem Drehen fand sie ein Etikett. »Dreißig Euro.«
»Wie bitte?« Da hatte er sich schön was aufschwatzen lassen. Nicht am falschen Ende sparen – jajaja!
Doch er bezahlte.
Die Weihnachtsmütze wippte auf und ab, während die Angestellte die Kugel in Seidenpapier einwickelte und ihm in die Hand drückte. »Viel Freude damit.«
Kurze Zeit später stieg er in den Bus nach Kampen, das Päckchen auf dem Schoß.
Es war bereits Viertel nach sieben, als er ankam.
Unschlüssig starrte er den Rücklichtern des Busses nach und dann erneut auf die Schneekugel. Schließlich bewegten sich seine Füße wie von selbst in Richtung Leonies Haus. Sollte er zu Fuß gehen? Das war mindestens eine halbe Stunde.
Er dachte an seine zahlreichen Bergbesteigungen, da war es wesentlich kälter gewesen – daher machte er sich auf den Weg.
Leonie
Leonie hatte gedacht, gehofft und auch erwartet, dass es ihr in der fremden Umgebung und dem nach ihren Wünschen renovierten Haus sofort besser gehen müsste. Niemand, der sie kannte, der ihr auf der Straße Obszönitäten nachrief und kein Beruf mit gehässigen Kolleginnen, zu dem sie sich täglich aufraffen musste. Doch das Gegenteil war der Fall. Waren die ersten Wochen noch von einer Euphorie begleitet gewesen und hatte sie mit einem gewissen Enthusiasmus ihr neues Heim bewohnbar gemacht, so schien nun von Tag zu Tag die Energie aus ihr zu weichen. Den Menschen in Kampen war sie ausgewichen. Doch anfangs war sie mehrmals wöchentlich nach Westerland gefahren, hatte sich in einem Café oder Restaurant etwas Leckeres gegönnt oder war durch die Straßen flaniert, hatte eine Inselrundfahrt mitgemacht und sogar das Wattenmeerinstitut in List besucht. Je kälter die Tage wurden, desto mehr hatte sie sich ins Haus zurückgezogen und als einzige Aktivität war der morgendliche Spaziergang übriggeblieben. Und natürlich die notwendigsten Einkäufe, zu denen sie stets nach Westerland fuhr. Auch ihr Appetit war wieder in sich zusammengefallen und sie brauchte keine Waage, um zu wissen, dass sie abgenommen hatte.
Am schlimmsten waren jedoch die Albträume, die sie erneut fast jede Nacht verfolgten. Meist war sie allein unterwegs, mehrere Verfolger im Nacken, die sie beschimpften, näher kamen, und sie einkreisten. Leonie glaubte immer, ersticken zu müssen. An dieser Stelle erwachte sie meistens schweißgebadet.
Warum hatte Frank ihr das angetan?
Und ihre Freunde? Pah, sie hatte keine Freunde, nie gehabt. Das wusste sie nun mit Sicherheit. Wie sie alle scheinheilig ihr Beileid ausgedrückt hatten, um ihr nur ein paar Tage später ihre Schadenfreude ins Gesicht zu spucken.
Ihr Telefon klingelte. Hoffentlich nicht wieder Richard, mit einer neuen Idee für Investitionen. Weshalb konnte man sie nicht in Ruhe lassen?
Es war Laurella, ihre Cousine. »Laurella, wie schön, dass du anrufst«, zwang sie sich zu sagen. Es war zwar keine Lüge, dennoch strengte sie momentan alles an. Sogar das Telefonat mit ihrer Cousine, die neben ihrer Tante Nora ihre einzige Vertraute in St. Florian geblieben war.
»Kennst du Sylt schon in- und auswendig?«
»Fast.«
»Wie geht es dir mit den Medikamenten? Hast du einen vertrauenswürdigen Arzt gefunden?«
»Noch nicht. Ich telefoniere öfter mit Doktor Huber.« Allerdings war das letzte Gespräch auch schon zwei Wochen her.
»Du brauchst weiterhin eine Therapie, Leonie, bitte versuche, jemanden zu finden.«
»Das ist nicht so einfach, Sylt hat gerade mal achtzehntausend Einwohner.« Es war eine Lüge. Natürlich gab es hier Therapeuten, sie hatte nur noch keinen angerufen.
»Ich weiß. Und auch, dass es eine Vertrauenssache ist. Aber Leonie, niemand sollte das durchmachen, was du erlebt hast. Du bist nicht schuld an dem Ganzen.«
»Das sahen alle anderen aber nicht so.«
»Vergiss sie alle zusammen, dass du aus St. Florian weg bist, war das Beste, was du tun konntest. Du musst nach vorn schauen und du hast zum Glück genug Geld, dass du …«
»Ja. Aber es hilft nichts.« Geld war ein kalter Wegbegleiter. Leonie wollte nicht undankbar sein, ohne ihr Erbe wäre sie niemals hier gelandet in diesem toll renovierten Reetdach-Haus auf der feudalen Insel in einem Nobelort. Mit eintausend Quadratmeter Grund. Kampen war die Heimat vieler Reicher und Prominenter.
Das half jedoch nicht gegen die Einsamkeit. Die Albträume. Die Hoffnungslosigkeit.
»Magst du nicht über Weihnachten zu uns kommen?«
»Zu dir und Erik?«
»Nein, das weißt du ja noch gar nicht. Erik und ich haben uns getrennt. Ich wohne bei Mama.«
Auf keinen Fall! Im letzten Moment konnte Leonie die barschen Worte zurückhalten. »Danke, das ist lieb von dir, aber auf keinen Fall, Laurella, kehre ich in diesen Ort zurück.« Keine Chance. »Außerdem ist hier auf Sylt gerade an Weihnachten so viel los, da freue ich mich schon darauf.« Sie log ohne Reue. Lügen war ihr immer fremd gewesen, von kleinen Notlügen abgesehen, wenn man jemanden nicht kränken wollte. Aber im letzten Jahr, da wurde ihre Linie zwischen Wahrheit und Unwahrheit verschoben. Man hatte sie belogen, betrogen, hintergangen. Weshalb sollte sie Skrupel haben, es genauso zu machen?
Sie erkannte sich selbst nicht wieder.
»In diesem Fall hast du schon ein wenig Anschluss gefunden? Das freut mich für dich!« Laurella schien nichts bemerkt zu haben.
»Das tut mir leid, wegen Erik, meine ich. Was ist passiert?«
Laurella schluchzte und erzählte. »Wir wollten uns nach seiner Rückkehr aus Japan eine größere Wohnung suchen, aber stell dir vor, jetzt hat er doch tatsächlich …« Leonie hörte zu und es gelangen ihr ein paar aufmunternde Worte. Laurella beruhigte sich und Leonie hatte ein gutes Gefühl, weil sie ausnahmsweise ihrer Cousine helfen konnte und nicht umgekehrt. Viel zu lange hatte sie sich nur mit sich selbst beschäftigt.
Es klingelte.
»Kriegst du Besuch?«
»Ja, ich muss aufmachen.«
»Alles Liebe für dich, melde dich bald.«
»Mache ich.« Wieder die Unwahrheit. Es war immer Laurella, die anrief, niemals sie.
Schwerfällig erhob sie sich und blickte auf den Monitor der Kamera ihrer Torschließanlage. Vor der Gartentür stand der Kerl von heute Morgen. Wie war sein Name? Mathias, Martin, Manfred? Sollte sie sich taub stellen? Es war schließlich Viertel vor acht.
Es klingelte ein zweites Mal.
Der Mann blickte direkt in die Kamera. Seine Lippen bewegten sich. Er sollte sie in Ruhe lassen, war das zu viel verlangt? Das war doch eine Insel, auf der zahlreiche Prominente lebten. Das täten sie vermutlich nicht, wenn sie dauernd Belästigungen ausgesetzt wären.
Was zum Teufel wollte Matties von ihr? Matties, richtig, jetzt war ihr der Name wieder eingefallen.
Das dritte Mal schrillte die Glocke in ihren Ohren. Sie könnte den Sicherungskasten suchen und sie abstellen, dann konnte er sich da draußen zu Tode frieren.
Stattdessen nahm sie den Hörer. »Was wollen Sie?«
»Mit dir reden.«
»Aber ich nicht mit Ihnen.« Wieso duzte er sie noch immer? War er so dumm, dass er nicht bemerkte, wie unwillkommen er war?
»Bitte, Leonie, mach auf.«
»Weshalb in drei Teufels Namen sollte ich das tun?«
»Drei Teufels Namen? Den Spruch kenne ich gar nicht …« Seine Stimme war so angenehm, weich und doch tief. Sie ließ Saiten in ihr erklingen, die sie mit Gewalt zum Stillstand gebracht hatte. Mit aller Kraft kämpfte sie dagegen an, nie wieder würde sie einem Mann vertrauen. Und auch keiner Frau.
»Auf jeden Fall kommen mir keine Fremden in mein Haus.«
»Ich habe mich heute vorgestellt, von fremd kann keine Rede sein.«
»Bitte, lassen Sie mich in Frieden.« Leonie ärgerte sich über den fast flehenden Tonfall. Das konnte doch nicht sein, dass sie darum betteln musste, nicht behelligt zu werden!
»Ich möchte dir etwas bringen. Und wenn du es nicht willst, dann setze ich keinen Fuß über deine Türschwelle.«
Darauf würde sie sich nicht einlassen! Wäre er erst mal auf ihrem ummauerten Grundstück, dann käme er auch ins Haus.
Er wickelte etwas aus und hielt auf einmal einen Gegenstand in die Linse. Geschockt trat sie einen Schritt zurück und drückte automatisch auf den Öffnungsknopf.
Was tat sie da?
Der Fremde konnte doch nicht wissen, dass …?
Ihr Hals wurde eng. Sie beobachtete, wie das große Tor auseinanderglitt und der Mann mit langen Schritten hereinkam. Offenbar war er zu Fuß hermarschiert oder aber er ließ seinen Wagen auf der Straße stehen.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, ehe er über den Kiesweg das Haus erreicht hatte. Mechanisch öffnete sie die Tür.
Sie standen einander gegenüber und sahen sich an. Eine Ewigkeit verging.
»Wer sind Sie?« Ihre Stimme klang wie ein rostiges Reibeisen.
»Matties Jorgensen. Meinen Eltern gehört das ›Kapitän Seppe‹ in den Dünen, das beste Fischrestaurant von Sylt.«
»Sagt mir nichts.« Ihr Blick war bereits zu dem Gegenstand in seinen Händen gewandert. Eine Schneekugel mit einem Leuchtturm darin. »Woher haben Sie das?« Sie deutete auf die Kugel. Auch aus der Nähe sah sie genau so aus, wie … es war so lange her!
»Wenn du mich reinlässt, erkläre ich es dir.«
In diesem Moment kam ein starker Windstoß und die eiskalte Luft ließ sie frösteln. »Okay, komm rein.«
Was hatte sie zu verlieren? Wie ein Massenmörder sah er nicht aus. Obwohl sie natürlich nicht wusste, wie ein solcher aussehen musste.
Er trat in den Windfang und klopfte seine Schuhe ab, ehe er herausschlüpfte, was sie mit Wohlwollen bemerkte. Sie nickte zu den Garderobenhaken an der Wand. »Die Jacke kannst du dort aufhängen.« Unwillkürlich war sie auch zur vertrauten Anrede gewechselt.
Er folgte ihr in die Stube und riss Augen und Mund auf. »Hier sieht es komplett anders aus als beim alten Jasper. Als Kind war ich mal bei ihm, er hat nie irgendwas geändert. Du hast die Einrichtung komplett erneuert.«
»Ja, war alles schon ein wenig in die Jahre gekommen.«
»Das ist nett ausgedrückt.« Er lachte. »Wow, du hast ein richtiges Schmuckstück aus dem Häuschen gemacht. Diese Couch und der Kamin – klasse.«
»Kanntest du ihn gut? Jasper, meine ich?«
»Ein wenig. Zum Schluss war er etwas schrullig. Wenn du verstehst, was ich meine. Er war ja auch schon weit über achtzig. Als ich ein Kind war, hat er öfter mal bei uns gegessen, meine Eltern könnten dir mehr über ihn erzählen.«
»Wozu?« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kannte ihn schließlich gar nicht. Mein Anwalt hat das Haus in meinem Namen von seinem Erben erworben.« Was erzählte sie das alles? Es ging ihn überhaupt nichts an. »Sag mir lieber, was die Schneekugel für eine Bedeutung hat.«
»Wollen wir uns setzen?« Er schaute sich um. »Es sieht so gemütlich aus bei dir, dass ich sehr gern deine Gastfreundschaft in Anspruch nehme.«
»Ich habe dich nicht eingeladen.« Leonie bereute es bereits, ihn hereingelassen zu haben. Sie hatte einfach keine Kraft für Besuche und dreimal nicht für männliche Besucher.
Er zuckte nicht zurück, nickte langsam und sah zur Küche hin. »Hast du überhaupt was Essbares da? So dünn, wie du aussiehst, hätte ich dir wohl besser etwas zu essen aus dem Restaurant mitbringen sollen. Mein Bruder ist der Koch und ich muss zugeben, das kann er wirklich gut.«
»Ich brauche nichts.« Leonie ging zur Sitzgarnitur, ihre Wolldecke lag unordentlich am einen Ende der Couch. Vermutlich ahnte er, dass sie bis vor Kurzem noch darauf gelegen hatte. Sie setzte sich auf die Kante der Couch und verschränkte ihre Finger.
Matties zögerte nicht, nahm den Stuhl ihr gegenüber und stellte die Schneekugel auf den Tisch. »Welche Bedeutung hat sie für dich?«
Wie magisch bewegten sich ihre Hände darauf zu und griffen sich die Kugel. Ein kurzes Schütteln und der Leuchtturm war umgeben von weißen Flocken.
Vor ihren Augen erschien das Antlitz von Frank und sie hörte seine Stimme: »Irgendwann fahren wir hin, versprochen.«
Es war nie dazu gekommen.
»Leonie?« Ein anderes Gesicht war plötzlich nah. Blaue Augen umrahmt von etwas zu langem blondem Haar. »Geht es dir nicht gut? Du bist käseweiß geworden. Ich hole dir ein Glas Wasser.« Matties verschwand. Sie hörte ihn in der Küche hantieren. Kurz darauf kam er zurück und hielt ihr ein Glas mit Wasser hin. Automatisch griff sie danach und trank.
Als sie es wieder absetzen wollte, nahm er ihr das Wasser behutsam ab, stellte es auf den Tisch und setzte sich auf seinen Platz zurück.
»Ich war in Westerland auf dem Weihnachtsmarkt«, sagte er leise. »Eigentlich habe ich mich gedrückt, weil meine Mutter wollte, dass ich zu ihr komme. Meine Tante hat sich angekündigt und die ist echt anstrengend.« Er fuhr sich durchs Haar. »Okay, ich schweife ab. Also in Westerland, da war so ein Laden mit Weihnachtskram, ich habe ihn nie zuvor gesehen. Und ein Weihnachtsmann, der sah wirklich aus wie der Echte. Und der hat mir die Schneekugel quasi aufs Auge gedrückt. Und irgendwie wusste ich, dass sie für dich sein muss.« Er holte zum ersten Mal, so schien es ihr, Luft. »Klingt wahrscheinlich irre für dich, nicht wahr?«
Er schwieg und weil er geduldig wartete, gab sie ihm nach ein paar Minuten eine Antwort. »Mein Mann hat mir so eine Schneekugel geschenkt. Ich habe ihm erzählt, dass ich gerne mal an die Nordsee fahren würde, er selbst war ein Fan von heißen Gegenden. Malediven, Gran Canaria, Bahamas.«
»Und bei deinem Besuch hast du dich in Sylt verliebt, daher jetzt das Haus gekauft?«
»Nein. Wir waren nie zusammen hier. Er leitete eine große Firma und für Urlaub war selten Zeit. Wenn wir verreist sind, war es meist mit Geschäften verbunden.«
»Und jetzt? Du bist allein hier.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Dennoch konnte sie nicht schweigen. »Er ist tot.«
Sie erwartete eine Floskel des Beileids, abgedroschene Worte, die sie hundertmal gehört hatte. Selten waren sie von Bedeutung gewesen, oft sogar gelogen.
Stattdessen legte er seine Hände über ihre Finger, die immer noch die Schneekugel hielten. »Ich habe es bereits vermutet. Als ich dich bei deinen Morgenrunden beobachtet habe, wusste ich, dass du etwas verloren hast.«
Der Kloß in ihrem Hals wuchs, sie konnte nichts sagen.
Einige Minuten vergingen. »Wo hast du deine Schneekugel?« Matties sah sich suchend um, als erwarte er, das Teil irgendwo in einem der Regale zu entdecken. »Die von deinem Mann?«
»Sie ist kaputt.«
»Das tut mir leid.«
»Ich habe sie zerstört, habe sie aus dem Fenster unserer Wohnung geworfen. Sie ist auf dem Asphalt in tausend Teile zersplittert und ich habe gelacht.« Es war allerdings ein hysterisches Lachen gewesen.
Wieso plapperte sie hier alles aus?
Sie sprang auf. »Ich möchte, dass du gehst.« Ihre Stimme zitterte. Hoffentlich tat er, was sie wollte, denn sie hatte nichts, um ihm zu drohen.
Er erhob sich sofort. »Leonie, ich möchte dich gerne näher kennenlernen. Ohne Verpflichtung. Und vielleicht magst du dann doch zu unserem Watten-Eiszauber kommen.«
Die Tränen saßen direkt unter der Oberfläche. Matties hatte keine Ahnung, was er da verlangte. Auf keinen Fall würde sie an einem Fest teilnehmen mit fröhlichen Leuten und so tun, als wäre alles in Ordnung.
»Vielleicht«, hörte sie sich sagen. Erleichtert registrierte sie, dass er seine Schritte zur Tür lenkte.
»Ich hab den Fahrradverleih am Ortseingang. Komm vorbei, wann immer du möchtest.«
»Ich fahre kein Fahrrad.«
»Zum Plaudern meine ich. Bei mir gibt’s einen passablen Kaffee und gleich gegenüber eine tolle Konditorei. Da hole ich immer meinen Kuchen. Jetzt zu Weihnachten haben sie eine spezielle Lebkuchentorte. Die musst du probieren.«
»Matties, du scheinst ein netter Bursche zu sein.« Sie schluckte. »Und attraktiv, bestimmt laufen dir die Mädchen scharenweise nach. Was willst du von mir?«
Er zwinkerte kurz, dann beugte er sich zu ihr. »Ich weiß es nicht, Leonie. Aber da ist etwas, das mich zu dir hinzieht. Du bist viel zu dünn, zu blass und unendlich traurig. Und ich werde erst wieder glücklich sein, wenn ich das geändert habe.«
Ehe sie etwas erwidern konnte, war er aus der Tür.
Sie blickte ihm nach, wie er den Kiesweg zurück bis zum Gartentor ging, das sich von innen immer öffnen ließ.
Erst als er es hinter sich zuzog, spürte sie den eisigen Wind auf ihrer Haut und schloss die Haustür.
In der Hand hielt sie immer noch die Schneekugel. Sie würde sie nicht behalten. Niemals. Es hatte einen Grund gegeben, weshalb sie die erste zerstört hatte. Auch hatte sie nur wenige Erinnerungsstücke an Frank mitgenommen. Ein paar liebevolle Briefe von ihm, sofern man kurze Nachrichten auf Zetteln so nennen konnte, seinen vergoldeten Brieföffner und Fotoalben.
Aber das hieß, dass sie Matties besuchen musste, um ihm die Kugel zurückgeben zu können.
Er wollte sie kennenlernen? Vermutlich hatte sich herumgesprochen, dass sie reich war.
War es wirklich Zufall, dass er ausgerechnet diese Schneekugel gekauft hatte?
Matties
Matties konnte nicht einordnen, ob sein Besuch ein Erfolg gewesen war, oder nicht. Seine Worte am Schluss hatten ihn selbst überrascht. Irgendetwas zog ihn zu Leonie hin. Und er konnte ihr nicht verübeln, dass sie misstrauisch war. Ohne die Schneekugel wäre er niemals hereingekommen.
Wie hatte Santa das wissen können?
Weshalb hatte sie die erste Schneekugel absichtlich zerstört? Was war zwischen ihr und ihrem Mann vorgefallen? Hatte er zuerst gedacht, dass sie um ihren verstorbenen Ehemann trauerte, so war er sich nun unsicher. Der Tod ihres Mannes musste zumindest ein paar Monate her sein. Jasper Blaickens Haus wurde im Frühling verkauft und den Sommer über renoviert. Soviel er wusste, war sie da noch nicht hier gewesen.
Sie musste steinreich sein. Kaum jemand konnte sich ein Haus auf Sylt leisten, geschweige denn, es auch noch aufwendig renovieren lassen. Aber sie war nur wieder einmal der lebende Beweis dafür, dass Geld nicht glücklich machte.
Matties erreichte den Fahrradverleih, im Haus hatte er im oberen Stock eine kleine Wohnung. Sie war ganz anders als Leonies Haus, nüchtern, zweckmäßig und nur mit dem Minimum ausgerüstet. Das war er von seinen zahlreichen Touren gewohnt. Auf den Berg konnte man nicht den gesamten Hausrat mitschleppen. Diese Einstellung hatte er beibehalten, weswegen sich in seinem Wohnbereich keine Dekoration oder Pflanzen befanden.
Lediglich Bilder zierten die Wände. Aufnahmen, die er in den Bergen geschossen hatte, und jede einzelne verband er mit Erinnerungen. Nur das eine aufzuhängen, das hatte er nicht fertiggebracht. Durch die Begegnung mit Leonie wollte er sich heute auch seinen Dämonen stellen.
Wie konnte er ihr helfen, wenn er selbst eine Leiche im Keller hatte?
Er zog das gerahmte Bild aus der Schublade und strich mit dem Finger darüber. Aufgenommen vor zwei Jahren im Basislager des Mount Everest. Insgesamt viermal hatte er den Riesen bezwungen. Ausgerechnet bei dieser Tour war so viel schiefgegangen.
Von den elf Personen auf dem Bild waren drei tot.
Er hatte sich wiederholt gesagt, dass er keine Schuld hätte, trotzdem hatte er die Ereignisse wieder und wieder in seinem Kopf durchgespielt.
Hätte er Jacques und Tim abhalten müssen?
Hätte er mit Gewalt auf der Umkehr bestehen sollen?
Hätte er den Diebstahl verhindern können?
Es hatte Monate gedauert, bis er wieder halbwegs atmen konnte, ohne sich jeden Moment an die schrecklichen Szenen am Berg zu erinnern.
Was mochte Leonie erlebt haben?
Sein Blick fiel auf ein anderes Bild. Es zeigte ihn und seinen Freund Sven, der ihn mehrfach auf Touren begleitet hatte. Wie unbeschwert jung sie damals gewesen waren. Sven mit seinem dunkelblonden Haar und von der Sonne ausgebleichten Strähnen, von denen ihm immer eine in die Stirn hing. Das Foto strahlte Lebensfreude aus.
Automatisch wählte er Svens Nummer. Sein Freund aus Kindertagen hatte ihm am meisten helfen können, stundenlange Telefonate hatten ihn geerdet. Er rechnete es ihm hoch an, dass er fast Tag und Nacht für ihn da gewesen war.
»Hi, schön von dir zu hören.« Es klang humorvoll ohne eine Spur Vorwurf.
Dennoch plagte Matties ein wenig das schlechte Gewissen. Jetzt, da es ihm besser ging, meldete er sich nicht mehr so häufig.
»Irgendwie habe ich gerade an dich gedacht, als ich unser Foto an der Wand gesehen habe.«
»Waren tolle Zeiten damals. Und ich habe viel von dir über den Umgang mit der Natur gelernt. Das kommt mir jetzt hier zugute.« Sven war mit seinen Eltern nach Norwegen gezogen, als er zwölf war, doch jeden Sommer hatten sie zusammen verbringen dürfen.
»Ich weiß, du hast es weit gebracht. Studium, eigene Firma gegründet – ich hingegen …«
»Nun stell dein Licht nicht unter den Scheffel! Der berühmte Abenteurer und Bergkletterer! Wem sind denn die Mädels in Scharen nachgelaufen? Doch nicht einem Computerfreak wie mir?«
»Gerade das finden viele sexy.« Ein Gespräch mit Sven hob seine Laune immer enorm. »Apropos, wie sieht es mit deinem Liebesleben aus? Gibt’s da was Neues an der Front?«
»Was denkst du denn? Du weißt doch, dass ich seit Anouk von den Frauen geheilt bin. Aber sollte sich das einmal ändern, bist du der Erste, der …« Das amüsierte Grinsen hörte Matties fast durch! Was für ein Jammer, dass sein Freund so weit weg wohnte. »Ich bin übrigens gerade in Wien, denn ich möchte eventuell eine Fusion mit der Firma PTS eingehen. Da laufen jetzt die Verhandlungen an. Mein Team und ich haben ein neues Produkt entwickelt und das soll auf den Markt gebracht werden - am besten weltweit und dazu brauchen wir PTS. Aber das erzähle ich dir später einmal. Und wie schaut’s bei dir aus?«
Was sollte er darauf antworten? Dass ihm eine Frau gefiel, doch er wusste nicht warum? Wie zum Teufel sollte er das einordnen?
»Also da ist schon was im Busch?«, folgerte Sven sofort.
»Vielleicht.«
»He, mir kannst du es doch sagen!«
»Da ist eine Frau hergezogen, eine Österreicherin. Sie hat das Haus vom alten Jasper Blaicken gekauft, du erinnerst dich noch an ihn? Wir haben damals mit Steinschleudern auf seine Gläser mit eingelegtem Gemüse geschossen …«
»Ach du liebe Güte! Klar, ich erinnere mich. Seine Frau hat sie zum Abkühlen auf den Tisch vor die Tür gestellt und wir sind auf die Mauer geklettert …«
»Weißt du noch, wie erschrocken wir waren, weil wir wirklich eines getroffen hatten?«
»Klar! Und der Alte hat uns schreiend verfolgt, aber zum Glück …«
»... nicht erwischt.« Sie lachten nun beide.
»Und da ist nun jemand eingezogen?«, fragte Sven, nachdem sie sich beruhigt hatten.
»Ja. Er war zum Schluss noch grantiger, erst ist sein Sohn in die USA abgehauen und als vor ein paar Jahren seine Frau gestorben ist, war er nur noch griesgrämig.«
»Traurig, wenn man am Ende so allein ist.«
»Stimmt.«
»Aber du wolltest mir von der Frau erzählen?«
»Leonie. Sie ist auch einsam und sie muss Schlimmes erlebt haben. Offenbar hat sie niemanden.«
»Steigere dich nicht zu sehr hinein.« Sven klang besorgt und Matties sah ihn fast vor sich, wie er seine Brille auf und ab schob, wie immer, wenn er nervös war. »Du bist kein Psychotherapeut und kannst dich nicht so gut abschirmen.«
»Sven, manchmal braucht ein Mensch einfach einen anderen Menschen, der zuhört und da ist. Und nicht gleich eine Therapie. Ich kann das am besten beurteilen, denn du warst derjenige, der mich aus meinem Tief geholt hat, nicht irgendein Psychodoktor.«
»Du bist mein Freund.« Svens Aussage war schlicht und sagte doch so viel aus. »Und ich hoffe, dass wir uns bald wieder mal sehen können.«
»Norwegen ist leider nicht der nächste Weg.«
»Ist aber ein tolles Land.«
Sie tauschten noch ein paar Belanglosigkeiten aus, ehe sie das Telefonat beendeten. Matties war gerade dabei, sich ein Fischbrötchen zu machen, als es an der Tür klingelte.
Komisch, es war schon nach zehn, um diese Zeit erwartete er keinen Besuch mehr. Er öffnete die Tür. Und stand Astrid gegenüber. Zum zweiten Mal an diesem Tag.
Nachdem sie sich vor zehn Jahren getrennt hatten, hatten sie sich lange nicht gesehen. Die Trennung war nicht im Guten verlaufen. Sie hatte ihn angeschrien und beschimpft und bei ihrem letzten Wiedersehen vor drei Jahren da war es dann umgekehrt gewesen.
Für ihn war die Sache vorbei. Die Rückgabe der Fahrräder hatte seine Angestellte Bente übernommen. Was wollte Astrid nun schon wieder von ihm?
»Das ist eine Überraschung«, sagte er laut.
»Ich muss mit dir reden.« Selbstbewusst und forsch war sie immer gewesen.
»Dafür hast du dir eine ungewöhnliche Zeit ausgesucht. Was ist mit Harald?«
»Wir haben uns getrennt, habe ich dir vorhin schon gesagt! – Es ist kalt.« Astrid schob ihn einfach zur Seite und betrat seine Wohnung.
»Komm doch rein«, sagte er sarkastisch.
»Schön hast du es hier!«. Sie schälte sich bereits aus ihrer Jacke, zog sich das Stirnband über den Kopf – soweit er sich erinnerte, hatte sie nie Mützen getragen, immer nur Ohrenschützer – und streifte ihre Stiefel ab. Darunter trug sie einen eng anliegenden Angorapullover und schwarze Hosen, die ihre Figur perfekt zur Geltung brachten.
Was konnte sie von ihm wollen?
Er konnte sie immer noch nicht ansehen, ohne dass der alte Groll in ihm hochstieg. »Du musst es dir hier gar nicht gemütlich machen. Sag, was du loswerden willst, und dann geh.«
»So wenig gastfreundlich kenne ich dich gar nicht.« Sie ging in den Wohnraum und setzte sich auf die Couch. »Du bist immer noch so ordentlich wie früher.«
»Weshalb sollte ich mich ändern?«
»Hast du was zu trinken da? Etwas mit Alkohol? Ich brauche ein wenig Mut …«
»Seit wann denn das?« Er verschränkte die Arme über der Brust und lehnte sich an den Türstock.
Astrid strich sich ihre Haarsträhne zurück, eine Geste, die er früher mal erotisch gefunden hatte. Aber das war in einer anderen Zeit gewesen. »Bitte, sei nicht so. Es ist mir nicht leichtgefallen, hierherzukommen.«
»Dann frage ich mich, weshalb du diese Qual auf dich genommen hast?«
»Ich möchte mich entschuldigen, Matties. Es war falsch von mir, dass ich dich damals nicht informiert habe und alles allein entschieden habe. Aber …«
»Wenn du ein Aber dranhängst, weiß ich, was ich davon zu halten habe.« Er konnte und würde ihr nicht verzeihen.
Niemals.
»Verdammt, ich will es nicht schönreden.« Ihre Stimme nahm an Schärfe zu. »Ich möchte nur, dass du auch einmal ein kleines bisschen meine Seite verstehst. Du warst weg, bist höchstens zwischendurch mal für ein paar Tage heimgekommen. Denkst du, dass man so eine Beziehung führen kann? Du wärst nicht da gewesen, mich zu unterstützen. Oder hättest du deine Ausbildung abgebrochen und wärst zurückgekommen?«
»Was bringt es jetzt noch? Du hast für mich mitentschieden.« Matties wollte das Ganze nicht wieder aufrollen, die Wunde war nie komplett verheilt und würde sie auch nicht. »Wir hatten das alles schon. Heute möchte ich von dir nur wissen: Was willst du jetzt hier?«
Astrid stand auf und trat vor ihn hin. »Uns«, sagte sie leise, »eine zweite Chance für uns beide. Das mit Harald war ein Fehlschlag.«
»Immerhin wart ihr vier Jahre zusammen.«
»Ja, aber nachdem er von der Sache mit dir erfahren hatte, wurde unsere Ehe zu einer Farce.«
»Soll ich jetzt Mitleid mit dir haben?«
»Matties, wir beide haben uns mal geliebt. Ich war dumm und unreif zu der Zeit. Mittlerweile sehe ich die Sache klarer. Du bist auch allein, seit fast zwei Jahren bist du wieder hier und es gibt keine Frau in deiner Nähe.« Ihr Parfüm umspielte seine Nase, er mochte den Duft. Dennoch empfand er für die schöne Frau vor sich nichts mehr.
Überraschend legte sie beide Arme um seinen Hals und drückte ihre Lippen auf seine.
Eine Zehntelsekunde fühlte es sich vertraut an, ehe er energisch ihre Hände löste und sie von sich schob. Sanfter, als sie es verdient hätte. »Astrid, das zwischen uns ist lange vorbei.«
»Matties, ich war damals viel zu jung, um begreifen zu können, was ich tat. Nun bin ich erwachsen geworden und wir …«
»Du begreifst immer noch nicht, dass das, was du getan hast, nicht rückgängig zu machen ist?« Er trat ein paar Schritte zurück. »Geh jetzt, bitte. Es ist spät.«
Zu spät.
Ihre großen graugrünen Augen füllten sich mit Tränen. »Du bist immer noch sauer.«
Sauer? Das war nicht das richtige Wort für seine Gefühle.
»Astrid, wir hatten eine schöne Zeit zusammen, viele erinnerungswürdige Momente, von denen ich keinen bereue. Aber die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen, wir sind beide unsere Wege gegangen, und zwar in getrennte Richtungen …«
»Das heißt doch nicht, dass sich Wege nie wieder kreuzen können …«
»Kreuzen schon, aber nie mehr nebeneinander weiterführen.«
Sekundenlang sahen sie sich in die Augen und offenbar begriff sie, dass er sich nicht würde umstimmen lassen. Ihre Miene wechselte zu tieftraurig, Matties kannte niemanden, der das so perfekt beherrschte. Astrid hätte eine gute Schauspielerin abgegeben. Als Jungverliebter war er noch bei ihren offen zur Schau gestellten Emotionen dahingeschmolzen, jetzt rührte sich nichts in ihm.
Schweigend zog sie sich Jacke und Schuhe an. Ihr geflüstertes »Ich liebe dich immer noch, Matties« war gerade in der richtigen Lautstärke gesprochen. Sehr leise und verschämt. Um dem Satz den Anschein von Wahrheit zu geben, aber laut genug, dass er es deutlich verstehen konnte.
Er erwiderte nichts darauf, schloss die Tür hinter ihr und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Der alte Schmerz drohte ihn kurz zu überwältigen.
Er hatte es verdrängt, aber nie verzeihen können.
Leonie
»Ich würde mich freuen, wenn du mich heute auf den Weihnachtsmarkt begleitest. Ich bin um 17 Uhr dort, Matties.« Es war ein Zettel aus einem Notizblock gerissen, den Leonie überrascht aus ihrem Briefkasten gezogen hatte. Schließlich hatte sie seit über einer Woche nichts mehr von Matties gesehen, nicht einmal von Weitem bei ihrer Morgenrunde. Heute war bereits der erste Dezember.
Die Schneekugel hatte sie ins Regal gestellt und sie ertappte sich dabei, dass sie sie mehrmals täglich in die Hand nahm und schüttelte. Obwohl die Kugel genauso aussah, wie die von Frank, hatte sie überraschenderweise nicht das Bedürfnis, sie auf den Boden zu schmettern. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn sie sie berührte, schien ein wenig Energie in sie überzugehen.
Sie war hier an ihrem Sehnsuchtsort. Es war ein Risiko gewesen, ein Haus auf einer Insel zu erwerben, die sie nur von Bildern gekannt hatte. Am fünften Dezember waren es drei Monate, dass sie hier lebte. Der Umzug hierher war eine gute Entscheidung, weil sich ihr, abgesehen von Matties, niemand aufdrängte und man sie nicht in Gesellschaft zwang. Und dennoch, ewig verstecken konnte sie sich auch nicht. Nur aus diesem Grund wollte sie heute den Weihnachtsmarkt, der an diesem Wochenende im Kaamp Hüs stattfand, besuchen. Sie mochte das Haus im Zentrum von Kampen, dessen Eingang einen eigenen spitz zulaufenden Giebel hatte, der fast wie ein Kirchturm herausragte. Und natürlich fehlte das Reetdach nicht, das den Häusern hier ein besonderes Flair gab. Auch der großzügig angelegte Innenraum gefiel ihr. Im Foyer mit den offenen Galerien fanden oft Kunstausstellungen, von denen sie eine im Herbst besucht hatte, statt. Jetzt war sie gespannt auf den Weihnachtsmarkt. Matties würde sie aus dem Weg gehen, sie wollte keinen Kontakt zu ihm.
Oder machte sie sich etwas vor?
Sie war bereits angezogen, als ihr Handy klingelte. Richard! Ohne Begeisterung nahm sie das Gespräch an.
»Leonie, ich möchte nur rasch nachfragen, wie es dir geht?«
»Es geht mir gut, danke.«
»Du mochtest Weihnachten immer so gern, hat mir Frank erzählt. Hoffentlich kannst du es dort feiern?«
»Auch hier ist Weihnachten.« Leonie wünschte sich, er würde zur Sache kommen, sie wollte endlich los.
»Dann ist ja alles in Ordnung.« Ein Räuspern. »Es ist nun bald ein Jahr her und daher habe ich an dich gedacht, ob …«
»Mir geht es wirklich gut, Richard. Gibt es irgendein Problem?« Sie war ihm dankbar, dass er sich um ihre Finanzen kümmerte, aber nun wollte sie endlich starten.
»Ich mache mir Sorgen um dich«, kam es überraschend. »Du bist so allein und weit weg …«
»Richard, ich fühle mich wohl, wirklich.« Sie holte ihren Haustürschlüssel vom Haken. »Ich bin gerade auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt.«
»Dann halte ich dich nicht länger auf. Du weißt ja, wenn irgendwas ist, bitte melde dich bei mir. Für dich habe ich immer Zeit.«
»Natürlich.« Nicht, fügte sie in Gedanken hinzu. Richard war ihr Anwalt, nicht ihre Vertrauensperson.
Obwohl es erst vier Uhr am Nachmittag war, dämmerte es bereits. Sie wanderte durch das Villenviertel von Kampen, die Heimat vieler Reicher. Hinter den bewachsenen Mauern erspähte sie die Reetdächer der Häuser, die um einiges größer waren als ihres. Fast nirgends brannte Licht, sie wirkten dunkel und ausgestorben. Leonie hatte schon gehört, dass es Zweitwohnsitze waren, deren Besitzer höchstens im Sommer einige Wochen hier lebten. Gerade deswegen hatte sie sich diese Gegend ausgesucht, weil sie Abgeschiedenheit und Ruhe gesucht hatte. Dennoch war es ihr nun fast zu still.
Viele Einheimische waren weggezogen, weil sie sich den teuren Wohnraum hier nicht mehr hatten leisten können. Es gab nicht einmal einen Lebensmittelladen in Kampen.
Dies alles hatte sie bereits vor dem Hauskauf gewusst und es war ihr recht gewesen. Die letzten drei Monate hatte es sie nicht gestört, sie war zweimal in der Woche zum Einkaufen nach Westerland gefahren und hatte sich sonst im Haus eingeigelt.
In ihrem alten Leben hatte sie sich nicht zur Wehr gesetzt. Sie hatte den Kopf eingezogen, statt selbstbewusst über all das verlogene Gesindel hinwegzusehen. Anstatt sich zur Wehr zu setzen, war sie aus ihrem Wohnort geflohen.
Das sollte ihr nicht noch einmal passieren. Sie hatte einen Neustart verdient.
Nach einer halben Stunde erreichte sie das Ortsinnere.
Der Weihnachtsmarkt erstrahlte in wundervoller Beleuchtung. Niemand kannte sie hier, niemand würde mit dem Finger auf sie zeigen, hinter ihrem Rücken lachen oder sich wegdrehen, sobald sie kam. Trotzdem hatte sie den Schal über das halbe Gesicht gezogen. Lediglich wegen der Kälte. Doch da war dieses Minimum an Furcht, das sie nicht abschütteln konnte. Kurz blieb sie stehen. Ihr Herz klopfte und sie holte ein paar Mal tief Luft, ehe sie weitergehen konnte.
Hier war niemand, der sie bedrohte.
Warum war sie heute hierhergekommen? Wollte sie Matties doch treffen?
Unsinn. Sie hatte eben gerade heute Lust gehabt. Doch Leonie war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass ein Teil von ihr sich über Matties’ Zettel - formlos oder nicht – gefreut hatte.
Die Musik erfüllte Kampens gesamtes Zentrum und war schon von Weitem zu hören. Mit jedem erklingenden Ton rieselte ein Stückchen Freude durch Leonies Körper. Sie liebte Musik und ganz besonders die Weihnachtslieder. Schließlich erreichte sie den großen Vorplatz vor dem Kaamp Hüs. Es war einiges los. Vor dem Gebäude waren Hütten aufgebaut, es wurden Glühwein und ähnliche Heißgetränke angeboten. Sie war extra eine Stunde früher gekommen, damit es nicht so aussah, als wollte sie Matties’ Einladung oder vielmehr Aufforderung annehmen. Mittlerweile war es dunkel geworden und durch die kunstvolle Weihnachtsbeleuchtung rührte sich etwas in ihrem Inneren. Sie hatte Weihnachten immer geliebt. Der Keks- und Tannenduft, der in der Adventszeit in der Luft lag, die glitzernden Kugeln und blinkenden Lichter. Am liebsten mochte sie den Kerzenschein, der den Räumen ein samtig glimmerndes Ambiente gab.