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WENN JEDES WORT NUR LIEBE IST
Am fünften Hochzeitstag will Clea, die eine Buchhandlung führt, endlich Nägel mit Köpfen machen und ihrem Mann Jonas – einem Arzt – unterbreiten, dass sie sich ein Kind von ihm wünscht. Doch dann kommt alles anders als erwartet. Jonas offenbart ihr, dass er schon länger nicht mehr an ihre gemeinsame Ehe glaube und eine andere Frau, die besser zu ihm passt, gefunden habe. Noch am selben Abend packt er seine Koffer und verlässt sie.
Verletzt und mit sich allein versucht sie, diese Kränkung zu verdauen. Ihre schräge beste Freundin Lulu überredet sie schließlich, sich bei der Dating-App Tinder anzumelden. Clea erlebt eine Vollkatastrophe nach der anderen, bis ihr der Geduldsfaden reißt. Schluss mit allen Netzwerken! Bei strömendem Regen steigt sie auf die Brüstung der Brücke in der Stadt und wirft ihr Handy in hohem Bogen in den Fluss. Plötzlich umklammern sie von hinten zwei starke Arme. Eine tiefe Stimme erklingt und in Clea vibriert es von den Zehen bis zum Kopf. Der Fremde denkt, dass sie springen will und hält sie fest. Als er bemerkt, dass dies nicht der Fall ist, zieht er sie auf den Boden und löst den Griff. Groß, gut gebaut und charmant, das ist Emil, und von Anfang an fühlt Clea sich ihm nahe. Sie verbringen den Abend und die Nacht miteinander.
Doch Emil hat ein Geheimnis und verschwindet am nächsten Morgen ...
WENN JEDER BLICK NUR LIEBE IST
Lena wird von ihrem Freund Vincent eiskalt abserviert. Für ihn war ihre Beziehung bloß eine Affäre, doch für sie war sie so viel mehr. Umso schlimmer findet Lena sein plötzliches Verhalten: Er blockiert ihre Nummer, hat die E-Mail-Adresse gewechselt und lässt sich von seiner Sekretärin verleugnen. Lena startet einen letzten Versuch und schreibt Vincent einen Brief. Doch auch auf diesen reagiert er nicht. An diesem Punkt gibt sie auf, ihm hinterherzulaufen, obwohl sie ihm dringend noch etwas sagen müsste.
Auf einer Vernissage 15 Monate später steht Vincent plötzlich in Begleitung einer bildhübschen Frau vor ihr. Lena nimmt all ihren Mut zusammen und spricht Vincent an. Dieser lässt sie mit einem arroganten Kommentar abblitzen. Als Lena dann auch noch erfährt, dass es sich bei der Frau um seine Verlobte handelt, schwört sie, Vincent niemals ihr Geheimnis anzuvertrauen. Sie ahnen beide nicht, dass dieses unvorhergesehene Treffen ihre Leben für immer auf den Kopf stellen wird.
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Lotte R. Wöss
Über die Autorin:
Lotte R. Wöss, geboren in Graz, absolvierte nach der Matura die Ausbildung zur Diplom-Krankenschwester.
Schon als Kind schrieb und dichtete sie, es folgten Artikel und Gedichte für kleine Zeitungen, doch erst im reiferen Alter fand sie zurück zu ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, und veröffentlichte ihren Debütroman “Schmetterlinge im Himmel” als Selfpublisherin. Mittlerweile hat sie zahlreiche Liebesromane, Krimis und auch Kurzgeschichten veröffentlicht, sowohl als Selfpublisherin, als auch in Verlagen.
Ihr bevorzugtes Genre sind Liebesgeschichten mit Tiefgang. Die Entwicklung, die ein Mensch machen kann, die Möglichkeit an sich selbst zu arbeiten und einen Reifeprozess zu erleben – das ist für Wöss Thema Nummer Eins.
Lotte R. Wöss
Sammelband
Oktober © 2023 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Alexandra Sept
https://stift-und-papier.webnode.com/
Covergestaltung: Chris Gilcher für Buchcoverdesign.de
https://buchcoverdesign.de
Coverabbildungen Band 1: Adobe Stock ID 1325 66977 und freepik.com
Coverabbildungen Band 2: Adobe Stock ID 93813872 und freepik.com
Lotte R. Wöss
Wenn jedes Wort nur Liebe ist
Liebesroman
Über das Buch:
Am fünften Hochzeitstag will Clea, die eine Buchhandlung führt, endlich Nägel mit Köpfen machen und ihrem Mann Jonas – einem Arzt – unterbreiten, dass sie sich ein Kind von ihm wünscht. Doch dann kommt alles anders als erwartet. Jonas offenbart ihr, dass er schon länger nicht mehr an ihre gemeinsame Ehe glaube und eine andere Frau, die besser zu ihm passt, gefunden habe. Noch am selben Abend packt er seine Koffer und verlässt sie.
Verletzt und mit sich allein versucht sie, diese Kränkung zu verdauen. Ihre schräge beste Freundin Lulu überredet sie schließlich, sich bei der Dating-App Tinder anzumelden. Clea erlebt eine Vollkatastrophe nach der anderen, bis ihr der Geduldsfaden reißt. Schluss mit allen Netzwerken! Bei strömendem Regen steigt sie auf die Brüstung der Brücke in der Stadt und wirft ihr Handy in hohem Bogen in den Fluss. Plötzlich umklammern sie von hinten zwei starke Arme. Eine tiefe Stimme erklingt und in Clea vibriert es von den Zehen bis zum Kopf. Der Fremde denkt, dass sie springen will und hält sie fest. Als er bemerkt, dass dies nicht der Fall ist, zieht er sie auf den Boden und löst den Griff. Groß, gut gebaut und charmant, das ist Emil, und von Anfang an fühlt Clea sich ihm nahe. Sie verbringen den Abend und die Nacht miteinander.
Doch Emil hat ein Geheimnis und verschwindet am nächsten Morgen ...
Wo blieb er nur? Ausgerechnet heute. Clea wusste, dass seine Arbeit als Chirurg Jonas sehr beanspruchte. Überstunden waren an der Tagesordnung. Aber er hatte versprochen, heute pünktlich zu sein.
Er war schließlich nicht der einzige Arzt im Krankenhaus. Und an diesem besonderen Tag hätten doch die Kollegen bestimmt Verständnis.
Der Braten schmorte im Rohr, die Bratkartoffeln brutzelten in der Pfanne und der Salat wartete nur noch auf das Dressing.
Ihr Blick fiel auf den Tisch, den sie mit großer Sorgfalt gedeckt hatte. Das weiße Damasttischtuch, das sie nur zu besonderen Anlässen hervorholte, kunstvoll gefaltete Servietten und der silberne Kerzenständer in der Mitte.
Heute war ihr fünfter Hochzeitstag. Und sie wollte endlich Nägel mit Köpfen machen.
Cleas Buchladen schrieb mittlerweile schwarze Zahlen und auch Jonas hatte vor Kurzem eine Gehaltserhöhung bekommen. Seine Facharztausbildung zum Chirurgen hatte er beendet, das Krankenhaus hatte ihm eine Festanstellung angeboten. Der Zeitpunkt war so günstig wie nie zuvor.
Ihr Blick fiel, wie so oft, auf das Gemälde an der Wand. Clea hatte es auf einem Flohmarkt gekauft, der Künstler war unbekannt, aber es war im Stil von Claude Monet gemalt. Es zeigte eine Familie beim Picknick. Ein Paar saß auf einer Decke in der Wiese, sie hielten ein Kleinkind auf dem Schoß, zwei weitere Kinder spielten davor mit einer Katze. Rundum waren Blumen und so strahlte das Bild Fröhlichkeit und Sorglosigkeit aus. Aber am meisten berührte Clea der innige Blick, in den das Paar versunken schien.
Eine wundervoll glückliche Familie. Das war auch ihr Wunsch.
Es war genau der richtige Zeitpunkt für ein Kind. Nach der Hochzeit hatten sie beschlossen, noch zu warten. Mit neunundzwanzig erschien es ihr schließlich passend, eine Familie zu gründen. Wann, wenn nicht jetzt?
Endlich hörte sie, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Eine ganze Stunde zu spät. Aber sie würde sich zusammenreißen, ihm keine Vorwürfe machen, nicht heute. Rasch zündete sie die Kerzen an.
Wie vertraut die Geräusche waren! Das Aufhängen der Jacke, das Klappern der Schuhe und schließlich das Öffnen der Tür.
Clea drehte sich zu ihm um und ihr strahlendes Lächeln schwand von ihren Lippen. Jonas starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die so liebevoll arrangierte Szene.
Freude sah anders aus. Enttäuschung kroch in ihr hoch. Sie versuchte, sich dennoch nichts anmerken zu lassen.
»Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Tag?«
Er holte Luft. »Wir hatten eben noch zwei Notoperationen, ein Verkehrsunfall.« Fahrig fuhr er sich durch die Haare, auch eine Geste, die ihr vertraut war. »Ich bin hundemüde.«
»Deine Kollegen hätten einspringen können,« rutschte es ihr nun doch beleidigt heraus. »Gerade an so einem Tag.«
Jonas trat vorsichtig näher. Dann tippte er sich an die Stirn. »O Gott, ist heute der Vierte? Unser Hochzeitstag.«
»Du bist nicht der erste Mann, der ihn vergisst.« Clea fand zu einem bemüht lockeren und fröhlichen Ton zurück, obwohl ihr Hals eng wurde. Auf keinen Fall wollte sie Streit. »Du siehst echt erschöpft aus. Setz dich doch. Was möchtest du trinken?«
Zwei Notoperationen, sein Arbeitsalltag war wirklich anstrengend. Dafür musste sie Verständnis haben. Sie würde ihn einfach aufmuntern. Das war ihr bereits oft gelungen.
Und danach wollte sie das Thema behutsam auf ihren Wunsch lenken. Sie hoffte so sehr, dass es auch seiner wäre.
Ein Baby. Es wurde Zeit, eine Familie zu gründen.
Er ließ sich auf den Stuhl plumpsen, lehnte sich zurück, räusperte sich. »Es tut mir leid, ich habe bereits gegessen.«
Was? Der Kloß im Hals wurde größer. »Aber?« Ihr Blick wanderte vom sorgfältig gedeckten Tisch zur Küche, wo das mühevoll zubereitete Essen schon lange über der Zeit im Backrohr war.
»Es stört mich nicht, wenn du isst.« Er stand auf und holte die Whiskyflasche aus dem Barschrank. »Tut mir leid, aber Unfälle passieren immer unpassend. Ich konnte die Kollegen nicht im Stich lassen, da wird jede Hand gebraucht. Wir haben parallel in vier Operationssälen gearbeitet. Und danach haben wir uns etwas vom Pizzadienst bringen lassen.«
Tränen brannten unter ihren Lidern. Er hatte es vorgezogen, Pizza aus einem Pappkarton zu essen, anstatt heimzukommen, und mit ihr zu essen. Verschwommen sah sie, wie Jonas sich ein Glas Whisky einschenkte, die Flasche wieder verschloss und zurückstellte.
»Aber ich habe dich doch gebeten, heute früher zu kommen, du hast es extra versprochen.« Es brach aus ihr heraus, noch bevor sie es zurückhalten konnte. Sie schämte sich dafür, denn es klang sogar in ihren eigenen Ohren vorwurfsvoll und nörgelnd.
»Ich hab’s vergessen, okay? Jetzt bin ich ja da.« Er kam zurück und setzte sich wieder. »Also gut, es tut mir leid. Mach doch bitte kein Drama draus.«
»Magst du wenigstens einen Teller Suppe?«
Er nahm einen ordentlichen Schluck aus dem Glas und nickte. »Ein paar Löffel schaffe ich bestimmt noch, wenn dir so viel dran liegt.«
Toll. Ihre stundenlangen Bemühungen in der Küche waren umsonst gewesen. Jonas musste sich einfach dazu überwinden, noch ›ein paar Löffel zu schaffen‹.
Sie eilte in die Küche und richtete an. Karottencremesuppe mit Ingwer, seine Lieblingssuppe. Sie streute rasch etwas Kräuter und die gerösteten Brotkrumen darüber. Ihre Hände zitterten, während sie die gefüllten Teller zum Tisch trug.
Jonas griff zum Löffel und aß schweigend. Die Spannung in der Luft war nicht zu leugnen und schnürte ihr die Kehle zu. So hatte sie sich den Abend nicht vorgestellt.
Fieberhaft suchte sie ein unverfängliches Thema, als Jonas plötzlich den Löffel in den Teller fallenließ. Es klirrte unangenehm in ihren Ohren.
»Ich kann das nicht mehr.« Seit wann klang seine Stimme so rau? »Clea, du hast es doch auch bemerkt, oder nicht?« Jonas’ Augen glitzerten im Kerzenschein fast schwarz, obwohl sie eigentlich blau waren.
Warum dachte sie jetzt an sowas? Was wollte er ihr sagen? »Was meinst du?«
»Wir haben uns auseinandergelebt. Schon lange. Du lebst in einer eigenen Welt mit deinen Büchern und willst gar nicht am wirklichen Leben teilhaben, du blendest die Realität einfach aus.«
Clea spürte eine Gänsehaut, ein kalter Schauer, der sich am Hinterkopf bildete und über ihren gesamten Körper ausbreitete. »Ich verstehe nicht.«
»Natürlich nicht.« Er nahm seine Serviette vom Schoß und warf sie auf den Tisch, der äußere Zipfel landete im Rest der Suppe. »Du hast keine Ahnung, wie schwer mein Beruf ist. Ich habe täglich Verletzte vor mir liegen, Sterbende oder Menschen, die nur um ein Haar davonkommen. Der Druck auf uns ist enorm. Aber du willst davon gar nichts wissen.«
Clea beobachtete, wie sich die Serviette langsam vollsog und orange verfärbte.
»Du träumst den ganzen Tag. Deine Welt ist rosarot oder bunt, was weiß ich, aber da draußen, da sieht es anders aus.«
Was redete er da?
»Ich habe dich immer gefragt, wie dein Tag war.« Sie sah zu ihm hoch und fühlte sich klein dabei. »Du bist es, der nie etwas erzählt hat.«
»Was hätte ich auch mit dir reden sollen?«
»Ich weiß, dass du als Herzspezialist sehr gefragt bist.« Medizinisch war er beim Fachgebiet Herz eine Koryphäe, mit ihrem Herz dagegen spielte er Ping Pong.
Er fuhr sich durch die Haare. »Du hast von Medizin keine Ahnung. Dass ich aushilfsweise für diese Woche auf der Unfallchirurgie eingeteilt bin, das hast du nicht einmal mitbekommen. Wenn ich dir sage, dass ich heute eine Tibiakopffraktur operiert habe, dann guckst du nur blöd.«
Ihre Welt zersplitterte in Millionen Glasscherben, als ihr Tränen in die Augen traten. »Das ist unfair. Ich habe nicht Medizin studiert. Aber ich weiß, was du für einen schweren Job hast.«
»Im Grunde genommen, hat es dich nie interessiert, was ich tue. Du lebst in deinen Büchern. Ich brauche jemanden, der meine Probleme versteht, ich muss meinen Ballast abladen können. Natalie.« Er brach ab und drehte sich um.
»Natalie?« Es brannte überall. Millionen Nadelstiche über den Körper verteilt.
»Es tut mir leid.« Er setzte sich vor sie und nahm ihre Hände. »Ich muss endlich reinen Tisch machen. Natalie hat es nicht verdient, dass sie im Geheimen bleibt. Ich kann mit ihr alles teilen, wir reden stundenlang und sie versteht es. Sie ist selbst Ärztin.«
Clea entzog ihm die Hände. Sie saß da und wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Ich bin froh, dass du keine Szene machst.« Jonas erhob sich wieder und sah auf die Uhr. »Dann werde ich am besten gleich packen.«
Gerne hätte sie ihn angebrüllt, mit Händen auf ihn eingeschlagen, stattdessen blieb sie sitzen, als wäre sie versteinert. Durch den Schleier aus Tränen sah sie auf den gedeckten Tisch, ihre unberührte Karottensuppe und die flackernden Kerzen. War das gerade wirklich passiert? Über Jonas’ Teller lag die orange vollgesogene Serviette.
Sie verbarg das Gesicht in den Händen. Nach Minuten - oder waren es Stunden? – hörte sie seine Stimme an ihrem Ohr. »Es tut mir sehr leid, Clea. Aber du solltest wieder mehr auf dich achten.« Jonas stand mit einem Rollkoffer in der Tür, eine Tasche umgehängt. »Lass dich nicht so gehen und mach ein bisschen mehr aus dir. Wann warst du das letzte Mal beim Friseur? Du siehst aus wie meine ehemalige Deutschlehrerin, die alte Ziege.« Er schüttelte den Kopf. »Also, mach’s gut. Den Rest hole ich im Laufe der Woche.«
Er verschwand durch die Tür und es fühlte sich an, als wäre sie in der Mitte entzweigebrochen.
»Du hast mir den falschen Reis mitgebracht.«
Natürlich. Es wäre auch ein Wunder gewesen, hätte sie ihrer Mutter ein einziges Mal etwas recht machen können.
»Auf jeden Fall musst du ihn mir dann morgen bringen.« Wie sie die nörgelnde Stimme ihrer Mutter hasste. »Es geht mir nicht so gut. Die neuen Tabletten wirken nicht.«
»Du musst Geduld haben, Mama.« Clea fiel es schwer, einen ruhigen Tonfall beizubehalten. »Du weißt, was der Doktor gesagt hat. Du warst doch so begeistert von ihm.«
»Am Anfang hat er sich auch wirklich bemüht, aber jetzt habe ich das Gefühl, dass er mich nur noch abwimmelt.«
Verständlich. Cleas Mutter litt seit Jahren unter Morbus Parkinson und hoffte immer noch darauf, einen Arzt zu finden, der sie mit einem Fingerschnippen heilen konnte.
»Ich habe von einer Bekannten gehört, dass sie in München einen Spezialisten kennt, Doktor Clemens Fistelmeier. Der ist eine Autorität auf dem Gebiet.«
»Mama, möchtest du nicht noch ein wenig abwarten, bevor du schon wieder den Arzt wechselst?«
»Ich weiß schon, dass dich meine Krankheit überhaupt nicht interessiert.« Ihre Mutter schluchzte auf. »Wann kommst du jetzt?«
Clea seufzte. »Morgen.«
»Und bei der Gelegenheit bring mir bitte noch zwei Packungen von den warmen Wintersocken mit, die es neulich im Angebot im Wollstübchen gegeben hat, Farbe ist egal, Hauptsache dunkel.«
»Mama, das Wollstübchen liegt am anderen Ende der Stadt.«
»Das wirst du wohl für deine Mutter erledigen können, oder nicht? Schließlich lebst du jetzt wieder allein und hast sonst nichts zu tun.«
Clea seufzte. »Bis morgen, Mama.«
Es tat immer noch weh. Die Scheidung war gestern ausgesprochen worden, obwohl sie erst seit einem halben Jahr getrennt lebten. In der Wohnung waren sämtliche Habseligkeiten von Jonas verschwunden. Dennoch spürte sie ihn in jedem Raum, erinnerte sich an seine Gewohnheiten und ertappte sich dabei, noch immer seine Lieblingsspeisen zu kochen. Ihr Blick fiel auf ihr Hochzeitsbild. Sie hatte es nicht über sich gebracht, es wegzuräumen.
Das Telefon klingelte erneut. »Mensch, Clea! Ich versuche dich seit einer Stunde zu erreichen. Deine Mutter?« Das war Lulu, ihre beste Freundin. Clea wusste nicht, wie sie die Wochen nach der Trennung ohne Lulu überstanden hätte. Lulu hieß eigentlich Luise, was jedoch bereits alle vergessen hatten.
»Ja. Stell dir vor, sie will schon wieder zu einem neuen Arzt.«
»Deine Mutter braucht einen Psychiater und keinen normalen Arzt, echt!« Lulu seufzte theatralisch. »Der wievielte angebliche Superdoktor ist es?«
»Sie kann sich einfach nicht mit der Krankheit abfinden.«
»Das wird dem Herrn Parkinson egal sein. Und während sie die ganzen Quacksalber an sich herumexperimentieren lässt, ergreift er immer mehr Besitz von ihr.«
»Meinst du? Woher weißt du das?«
»Das weiß man doch. Eine chronische Krankheit gehört ordentlich mit Medikamenten eingestellt und nicht mal hü und mal hott. Mein Bruder hat seit der Kindheit Diabetes, der weiß genau, was er tun darf und was nicht. Aber wenn er einmal über die Stränge schlägt und doch zu viel Zucker isst, dann ist halt alles durcheinander. Und deine Mutter wird so auch nicht zur Ruhe kommen.«
Clea hatte keine Ahnung, ob man die Parkinson-Krankheit mit der Zuckerkrankheit vergleichen konnte, aber was Lulu sagte, klang irgendwie plausibel. »Solange meine Mutter die Krankheit nicht akzeptiert, wird es nicht funktionieren.«
»Stimmt. Und jetzt mach endlich die Tür auf.«
»Wie bitte?«
»Ich stehe vor deiner Wohnungstür.« Clea beendete das Gespräch und eilte zur Tür.
Lulu wirbelte herein. Clea war einige exzentrische Outfits von Lulu gewöhnt, aber dieses Mal blieb ihr der Mund offen stehen. Lulu hatte neongrüne Haare, die wild von ihrem Kopf abstanden.
»Du siehst aus wie Pumuckl, nur in Grün«, entfuhr es ihr.
Lulu lachte nur und schwenkte eine Flasche Prosecco. »Du bist endlich frei, das muss gefeiert werden.«
»Mir ist nicht danach.« Es war so endgültig.
»Mensch Clea, sei froh, dass du den Affen los bist. Er ist doch immer mehr zum Snob mutiert.« Erst jetzt fiel Clea die hautenge knallrote Lederhose auf. Lulu ließ sich nicht in eine Schablone pressen, ihr war es egal, was andere Leute über sie dachten. Sie war ein Freigeist. Zwei Jahre lang hatte Lulu die Welt bereist, einfach so, nur mit dem Rucksack. Danach hatte sie eine Ausbildung zur Friseurin gemacht und hatte letztes Jahr ihre Meisterprüfung absolviert. Jonas und sie hatten sich nie sonderlich gut verstanden.
»Okay, kein Prosecco. Stell ihn kalt, das machen wir hinterher.«
»Hinter was?«
»Ich habe die Idee für dich. Los, gib mir dein Handy.«
»Wozu brauchst du das denn? Mein Akku ist bald leer und ich finde mein Ladekabel im Moment nicht«, nörgelte Clea.
»Wir treiben schon eines auf.« Lulu grinste. »Los, ab ins Internet. Du meldest dich bei Tinder an und holst dir endlich ein bisschen Spaß.«
»Tinder? Hast du sie noch alle? Da geht es doch nur um das Eine!«
»Clea, es muss was passieren mit dir.« Lulu ging in die Küche und holte wie selbstverständlich zwei Sektgläser aus dem Schrank, stellte die Flasche auf den Tisch und ließ den Korken knallen. »Lass uns gleich etwas trinken. Sonst traust du dich eh nicht.«
»Was hast du denn auf einmal?«
»Dein Leben spielt sich nur noch im Buchladen und bei deiner Mutter ab, die dich zu ihrer persönlichen Sklavin auserkoren hat.«
»Nein, so ist es nicht. Sie ist doch nur krank und fühlt sich einsam.«
»Unsinn, sie hat dich knallhart in der Hand. Sie muss nur rufen und du kommst gleich angerannt.«
Clea griff nach dem gefüllten Glas und nahm einen Schluck. Was war nur in Lulu gefahren?
»Tinder ist eine Sexbörse.«
»Nicht nur.« Clea holte Luft. »Lars und ich haben uns auch über Tinder gefunden.«
»Ernsthaft? Ich dachte, ihr hättet euch am See kennengelernt.«
»Das war unser erstes Date. Aber vorher kannten wir uns aus dem Internet.« Lulu zwirbelte mit Daumen und Zeigefinger eine ihrer giftgrünen Haarlocken.
Clea leerte das Sektglas in einem Zug. Diese Nachricht musste sie erst verdauen. Lars war seit zwei Jahren Lulus Freund, von Beruf Krankenpfleger und ein Gott in der Küche. Dabei wirkte er wie das Klischee eines Preisboxers mit bulligem Körper und platter Nase, dem man Fingerspitzengefühl niemals zugetraut hätte. Tatsächlich war er jedoch die Gutmütigkeit in Person, der seinen Beruf als Krankenpfleger mit Hingabe ausführte. Er arbeitete im selben Krankenhaus wie Jonas.
»Du denkst schon wieder an ihn.« Lulu beugte sich vor.
»Ja, und daran, was du mir verschwiegen hast.« Clea konnte es immer noch nicht fassen.
»Tut mir leid.« Lulu wirkte plötzlich zerknirscht. Dann griff sie nach Cleas Hand. »Wie war es heute für dich? Vor Gericht und so?«
»Es ist nun endgültig.« Hatte sie gehofft, Jonas würde zurückkommen? Hätte sie ihn überhaupt noch gewollt? Clea wusste es nicht.
»War seine Tussi dabei?«
»Sie hat ihn abgeholt.« Clea entzog Lulu ihre Hand und versuchte die Erinnerung an das mulmige Gefühl abzuschütteln, das sie überfallen hatte, als sich Natalie mit einem Jubelschrei an Jonas festgeklammert hatte. Schlank, perfekt geschminkt, mit langen schwarzen Haaren – der Traum eines jeden Mannes.
»Prösterchen.« Mit einem Kling stieß Lulu an ihr Sektglas. Clea spürte bereits das Kribbeln im Kopf, das einen Schwips ankündigte. Sie hätte das erste Glas nicht auf ex trinken dürfen. »Und jetzt machst du einen dicken Strich unter deinen Ex und suchst dir jemand Neues.«
Clea schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Die Männer auf Tinder wollen doch nur Sex.«
Lulu stellte ihr Glas ab, stemmte die Hände in die Hüften und sah Clea an. »Denkst du, ich rate dir zu etwas Schlechtem? Du musst dein Profil einfach nur richtig einstellen. So habe ich Lars gefunden und der war nicht nur auf Sex aus.«
»Ich fasse es immer noch nicht, dass ihr euch über Tinder kennengelernt habt. Und mir hast du das Märchen vom See aufgetischt.« Ein wenig gekränkt war sie nun doch.
»Ganz gelogen war es nicht. Am See haben wir uns das erste Mal verabredet und in natura getroffen. Schien mir eine gute Idee, da konnte ich gleich seinen Body in der Badehose bewundern.« Lulus Augen blitzten. »Oh Mann, war ich hin und weg.« Sie schnappte sich Cleas Handy, öffnete den Play Store und lud Tinder herunter.
Clea musste noch verdauen, dass Lars und Lulu offensichtlich über Tinder zusammengefunden hatten. »Warum hast du mir das nie erzählt?«
Lulu blickte sie schräg an. »Na, ich kannte doch deine Einstellung dazu. Aber jetzt, wo Lars und ich schon über zwei Jahre zusammen sind, ist es ein Beweis, dass es funktionieren kann.«
»Kann - muss aber nicht.«
»Was hast du zu verlieren? Und wenn einer dir gefällt und wirklich nur Sex will, warum nicht? Das würde dir bestimmt auch nicht schaden.«
Clea war sprachlos.
»Also, das nehme ich als Okay.« Sie blickte wieder auf das Handy. »Am besten melde ich dich gleich mit deinem Facebook-Account an. Super, da hast du ohnehin ein nettes Foto.«
»Das ist fünf Jahre alt. Kurz nach der Hochzeit.« O Gott, Lulu ließ sich nicht aufhalten.
»Zumindest strahlst du da noch. Das ist in den letzten Monaten eher selten passiert.«
Stimmte auch wieder. Warum sollte sie es nicht versuchen? Was konnte schon schiefgehen? Es wurde Zeit, dass sie ein wenig Leben in ihren Alltag brachte. Jonas hatte es nicht verdient, dass sie weiterhin um ihn trauerte.
»Beruf? Literaturmarketing klingt gut, nicht wahr? So, dann tippe ich mal deine Handynummer ein. Jetzt kriegst du einen Code aufs Handy.«
»Literaturmarketing?«
»Du musst dich bestmöglich verkaufen. Schließlich soll es zu einem Date kommen, persönlich könnt ihr beide dann viel besser entscheiden, ob es passt oder nicht. Wie schon erwähnt, hast du schlimmstenfalls einmal …«, sie schlug mit der Handfläche mehrfach auf ihre Faust. »Das brauchst du auch dringend mal wieder.«
O Gott.
»Schau mich nicht so an! Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass es ungesund ist, die unteren Regionen so lange brachliegen zu lassen.«
»So ein Blödsinn!« Cleas Wangen glühten förmlich. Bestimmt war sie knallrot, Lulu war jedoch in ihrem Element. »Auf jeden Fall schadet es nicht. Am besten stellst du dich darauf ein, dass Männer primär das eine wollen. Pack ein paar Kondome in die Handtasche und tu es einfach. Wenn sich dann noch mehr daraus ergibt, umso besser.«
»Ich bin nicht der Typ für sowas.«
»Lass es auf dich zukommen. Du nimmst doch die Pille, oder nicht? Zusätzlich ein Kondom, Safer Sex, du weißt schon und ab geht die Post.« Lulu schien keine Antwort zu erwarten, denn sie drückte bereits auf Speichern. »So, jetzt musst du nur noch abwarten. Gleich kommt der Code aufs Handy.«
Tatsächlich piepte es. Clea schnappte sich ihr Handy von Lulu und öffnete die SMS.
Lulu riss ihr das Handy aus der Hand und tippte die Zahlenkombination ein. Clea sah wie erstarrt zu.
»Okay, es gibt auch Tinder Gold, da musst du bezahlen, in diesem Fall kriegst du mehr Matches.«
Clea hockte sich nun neben Lulu. Klar, umsonst war nur der Tod. Aber wollte sie wirklich dafür Geld ausgeben? Und was um Himmels willen waren Matches? Brauchte sie die überhaupt?
»Nimm mal die kostenlose Variante. Es gibt zwei Drittel Männer hier, das ist statistisch erwiesen. Also sollen die mit der Marie rausrücken.«
Lulus Finger flogen über das Handydisplay, so schnell konnte Clea gar nicht schauen. »Ich hoffe, ich habe deine Wünsche richtig wiedergegeben.«
»Welche Wünsche?«
»Na, was du suchst. Einen Mann fürs Leben, fürsorglich, tolerant, Alter zwischen fünfundzwanzig und vierzig.«
»Ich nehm doch keinen Jüngeren.« Clea tippte sich an die Stirn. »Fünfundzwanzig, das ist viel zu jung! Und vierzig, nein, das funktioniert auch nicht.«
»Dann ändern wir auf fünfunddreißig. Okay? Sag mal, hast du noch was zu trinken da? Die füllen in die Flaschen einfach nicht mehr so viel rein wie früher.« Lulu hob die leere Proseccoflasche hoch.
»Ich hol noch eine.« Clea tappte zum Kühlschrank – darin hatte sie immer Vorrat – und brachte auch gleich ein paar Salzstangen mit.
Einige Gläschen später beäugten beide das erstellte Profil.
»Das Alter, das ist nur ein äußerer Rahmen. Kannst du ja wegswitchen, wenn dir einer nicht gefällt. Ein Familienmensch, da melden sich eh nicht alle. Was noch? Ehrlich, treu, leidenschaftlich.« Sie kicherte. Mittlerweile hatte Clea genug getrunken, um es ebenfalls lustig zu finden.
»Ein guter Liebhaber, das wär schon was.« O Gott, es war einfach zu lange her. Bereits Monate vor der Trennung war Jonas meist zu müde gewesen. Nun wusste sie ja, dass er seine Energie bei einer anderen losgeworden war.
»Wird hinzugefügt.« Die giftgrünen Haare wippten auf und ab, Lulu amüsierte sich offensichtlich.
»He, das war Spaß!« Hektisch beugte sie sich vor.
Lulu kicherte. »Keine Bange. Denkst du, dass ein Mann zugibt, wenn er schlecht im Bett ist? Das wirst du wohl selbst herausfinden müssen.«
Clea atmete auf. »Und jetzt?«
»Du bekommst Vorschläge, wer hier so in der Gegend angemeldet ist, sieh mal. Wenn er dir gefällt, wischst du nach rechts, wenn nicht, nach links. Was wäre mit dem hier?«
»Du meinst, weil er so dicke Brillengläser hat, merkt er nicht, dass mein Foto fünf Jahre alt ist?«
»Also nach links. Du machst das schon gut.«
»Sehen die Männer, dass ich sie abgelehnt habe?«
»Das Ablehnen nicht, aber wenn du ja sagst. Und wenn sie auch ja sagen, dann gibt es ein Match.«
»Und danach? Was heißt das? Gleich heiraten oder was?« Clea kicherte. Sie hatte eindeutig zu viel getrunken.
»Dann könnt ihr euch schreiben. Lars und ich haben sechs Wochen lang geschrieben, bevor wir uns das erste Mal getroffen haben.«
»Am See.«
»Richtig. Am See.« Sie kicherten nun beide.
Viel später, als Lulu gegangen war, kam die Ernüchterung.
Wie erbärmlich war das denn! Sie hatte sich bei einer Datingapp registriert. Was sollte das werden? Man wusste doch, dass dort nur Spinner unterwegs waren. Diejenigen, die da wirklich einen Partner fürs Leben gefunden hatten, die konnte man bestimmt an einer Hand abzählen. Na ja, Lulu und Lars waren wohl eine der Ausnahmen.
Aber warum sollte sie nicht einfach nur Sex haben? Es war schließlich so schrecklich lange her.
Am nächsten Tag hatte sie einen Brummschädel und nahm statt Frühstück eine Aspirintablette. Maike, die Auszubildende, die sie vor zwei Jahren eingestellt hatte, wartete bereits an der Tür. Das Mädchen war ein absoluter Glücksgriff. Sie war tüchtig, fleißig und wie für den Beruf geboren. Dabei war sie nicht Cleas erste Wahl gewesen, da ihre Schulnoten alles andere als überzeugt hatten. Doch beim Vorstellungsgespräch hatte sich Clea sofort für die damals Fünfzehnjährige erwärmt, deren Begeisterung ansteckend war. Seit ein paar Monaten bot Clea ihren Angestellten das Du an.
»Guten Morgen, Clea, du siehst müde aus. War es schlimm gestern?« Maike wusste natürlich, dass der Gerichtstermin angestanden hatte, da Clea früher gegangen war.
»Danke. Alles gut überstanden.« Sie sperrte die Tür auf. »Wie war es hier im Laden?«
»Die Kinder waren so lieb.« Einmal im Monat gab es, auf Maikes Vorschlag hin, eine Vorlesestunde, die sich immer größerer Beliebtheit erfreute. Es kam auch dem Geschäft zugute, denn meistens verkaufte Clea danach zahlreiche Bücher, weil die Kinder auf den Geschmack gekommen waren.
In ihrem kleinen Büro schaute Clea zum ersten Mal auf ihr Handy und erstarrte. Siebenundachtzig Meldungen, das konnte doch nicht sein.
Sie verfluchte Lulu und ihre Idee, sich bei der App anzumelden. Mit wachsendem Erstaunen switchte sie sich durch die interessierten Männer. Da waren ja richtige Sahneschnitten dabei. Hatten die es nötig, sich Frauen mit einer App zu suchen? Sie blieb beim Foto eines dunkelhaarigen Mannes hängen, der sie mit seiner Nickelbrille und den verstrubbelten Haaren an Fotos von ihrem Vater erinnerte.
Clea vermisste ihn, obwohl sie sich nicht an ihn erinnern konnte. Bei seinem Tod war sie ein Kleinkind gewesen. Vielleicht wäre ihre Mutter nicht so ein ständig nörgelnder Trauerkloß, wenn sie ihn noch an ihrer Seite hätte.
Der Mann zog sie auf magische Weise an. Sein Blick war irgendwie melancholisch und sanftmütig. Also ein Ja. Auch vier weitere Typen fanden Gnade vor ihren Augen, nachdem sie in ihren Profilen gestöbert hatte.
Zuerst nur schreiben, hatte Lulu gesagt. Das war ja nicht weiter verwerflich, gestand sich Clea ein.
Dann widmete sich Clea den neuen Buchpaketen. Charlotte, ihre zweite Angestellte, steckte den Kopf herein. »Guten Morgen. Clea, übernimmst du heute den Seniorennachmittag? Ich müsste David von der Kita holen, Jakob kann nicht.«
»Natürlich.« Charlottes Mann schaffte es immer seltener, den gemeinsamen Sohn abzuholen, er war LKW-Fahrer und er bekam häufig Aufträge, die ihn weiter weg führten. Aber Clea bereiteten die Lesenachmittage mit den betagten Leuten große Freude. Vor allem seit Mariella Wackernagel, die alte Dame, die ehrenamtlich mithalf, jedes Mal süßes Gebäck mitbrachte. Sie hatte früher eine eigene Galerie besessen und junge Künstler ausgestellt, jetzt in der Rente hatte sie Zeit für ihr Hobby, das Kuchenbacken. Den Kaffee spendierte Clea.
Ihre kleine Buchhandlung boomte nach wie vor und war seit der Trennung ihr einziger Trost.
Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck. Dieses Zitat kam Clea in den Sinn, als sie Mattes zum ersten Mal sah.
Ihr Foto mochte fünf Jahre alt sein, aber das Bild von Mattes schien aus dem letzten Jahrtausend zu stammen. Der Mann, der sich bei ihrer Ankunft mit einem Lächeln erhob, war mindestens fünfzig. Zudem trug er einen struppigen Vollbart, der sein halbes Gesicht gründlich verdeckte.
Es war laut und die Kneipe, in die er sie bestellt hatte, war voll.
Am großen Stammtisch, der an der darüber hängenden Magnumflasche mit der Aufschrift ›Stammtisch‹ zu erkennen war, grölten mindestens zehn Stammtischbrüder und auch die anderen Tische im Lokal waren hauptsächlich mit Männern besetzt.
»Es freut mich sehr, dass du gekommen bist.« Mattes winkte dem Ober. »Zwei Maß, bitte.« Er beugte sich vor. »Dass du auch Bier magst, war für mich der Hauptgrund, dich zu treffen.«
Sonst nichts? Clea versuchte dennoch, ein Gespräch zustande zu bringen.
»Du liest sehr viel, hast du erzählt?«
Die Antwort blieb er ihr schuldig, denn er nahm gerade die zwei großen Bierkrüge vom Kellner entgegen. Als er abwartend neben ihnen stand, roch Clea den Schweiß. »Heute gibt’s Schweinebraten mit Sauerkraut und Knödel, außerdem …«
»Nehmen wir.« Mattes schlug sich auf die Schenkel. »Zweimal.« Er drehte sich zu Clea. »Das passt doch? Wir brauchen doch was im Magen.« Er leckte sich über die Lippen. »Dafür.« Sein Lachen dröhnte in ihren Ohren.
Okay, er war auf Sex aus. Aber nein, auch für ein wenig Sex sollte sie den Mann zumindest sympathisch finden.
»Du bist also Buchhändlerin. Interessant, das Ganze. Denn ich arbeite als Techniker und warte die Maschinen in einer Firma. Ohne mich läuft dort gar nichts. Alles elektronisch heutzutage und jeden Tag ist was Neues zu reparieren. Wie gesagt, ohne meine Wenigkeit könnten die Konkurs anmelden.«
Clea starrte ihn an und fühlte sich wie im falschen Film. Sie befeuchtete ihre Lippen.
»Aber wen interessieren schon unsere Berufe? Lassen wir das Unwichtige weg.« Sein Grinsen erinnerte sie an einen Haifisch. Bemerkenswert viele Zähne, schneeweiß und wie Klaviertasten aufgereiht. »Du bist geschieden? Hängst du noch an deinem Ex?«
Sie schluckte. Mit so einer Frage hatte sie nicht gerechnet. Aber sie musste auch nicht antworten. Ehe sie sich ausweichende Worte zurechtlegen konnte, kam er ihr zuvor.
»Natürlich tust du das. Ihr Frauen seid wahnsinnig sentimental. Ich wette, er hat eine andere, nicht wahr? Schwamm drüber.«
Ein junges Mädchen brachte zwei große Teller mit je drei Scheiben Schweinebraten und Beilagen.
Wie sollte sie das schaffen?
Clea legte sich ihre Serviette auf den Schoß und griff zur Gabel, dabei erhaschte sie gerade noch einen Blick darauf, wie sich Mattes bereits das erste Stück Schweinebraten in den Rachen schob. Mit vollem Mund sprach er weiter. »Also, ich muss sagen, ich bin angenehm überrascht von dir. Bis jetzt hatte ich nur Blindgängerinnen.«
Ein Spuckeregen, vermutlich vermischt mit Teilchen seines Essens, sprühte über Clea, die sich rasch zurücklehnte.
»Je schneller wir essen, umso schneller sind wir allein.« Er zwinkerte ihr zu und Clea rann ein kalter Schauer über den Rücken.
»Das Schlimme ist, dass ich nicht einfach gegangen bin.« Clea sortierte die Kinderbücher neu ein, während Mariella Wackernagel die Torte in Stücke zerteilte und Teller mit Servietten daneben drapierte. Die ältere Dame war ihr eine unentbehrliche Stütze für das regelmäßig stattfindende ›Lesercafé‹ geworden.
»Vermutlich stand dir einfach deine gute Erziehung im Weg.« Sie lachte ihr verschmitztes Lächeln, bei dem Clea immer ganz warm wurde. »Vielleicht solltest du dich auf die Blind Dates besser vorbereiten.«
»Wie soll ich das denn anstellen?« Clea wusste die Antwort, noch während sie die Frage stellte. Natürlich, sie hatte sich auf ein Rendezvous eingelassen, ohne den Mann richtig zu kennen. Nur weil ein Bild von ihm ein paar Saiten in ihrem Körper zum Klingen gebracht hatte. So ein Unsinn! Sie musste zukünftig zuerst eine Zeit lang mit dem Mann chatten, ehe sie sich auf ein Date einließ.
»Mach eine Liste«, hörte sie Mariella vor sich.
»Was soll da oben stehen?«
»Das fragst du mich?« Ein empörtes Funkeln kam hinter der Schildpattbrille zum Ausdruck. »Du musst doch wissen, worauf es dir ankommt. Und bitte sag jetzt nicht, du willst bei einem Mann blaue Augen und blonde Haare.«
»Das ist mir eigentlich egal.« Sie schluckte. »Ich meine, welche Haarfarbe und so. Klar sollte er nicht daherkommen wie Frankensteins Monster, aber sonst ist mir das Aussehen nicht so wichtig.«
»Aha.«
»Das war jetzt bloß das erste Mal, dieser Mattes sah einfach ein bisschen aus wie mein Papa. Aber das Foto war ein Fake oder zumindest schon uralt, er war mindestens zwanzig Jahre älter.«
»Natürlich ist es die Optik, die uns zuerst auffällt, alles andere wäre gelogen.« Die alte Dame schloss kurz die Augen. »Das erinnert mich an Luis, was war das für ein schöner Mann. Muskeln wie ein Bär, das Gesicht geschnitzt, wie eine dieser griechischen Statuen. Und unten gut bestückt. Ich meine das, was man durch seine Badehose erkennen konnte.«
Clea spürte ihre Wangen heiß werden. Vermutlich war sie rot wie eine Tomate. Mariella ordnete ungerührt die Servietten neu und holte Löffelchen und Gabeln aus der Schublade. »Leider konnte man mit ihm keine drei Worte reden. Der Mann war zurückgeblieben wie ein Einzeller. Manche stört das nicht, aber ich nahm sofort Reißaus.«
»Ich hab‘ schon verstanden, ich werde in Zukunft länger chatten und erst schauen, was sie so drauf haben, bevor ich mich treffe.«
»Gut.« Mariella lächelte.
»Warst du verheiratet?« Clea wusste, dass Mariella eine erfolgreiche Geschäftsfrau gewesen war und allein lebte, mehr jedoch nicht.
»Ich habe den, den ich wollte, nicht bekommen und den, der mich wollte, abgewiesen. So blieb ich allein.« Mariella drückte kurz Cleas Arm. »Und frag mich nicht, ob ich es bereue. Das kann ich nicht beantworten. Als verheiratete Frau, womöglich mit Kindern, wäre ich niemals so erfolgreich in meinem Beruf geworden.« Die alte Dame beschäftigte sich wieder intensiv mit den Servietten. »Es ist gut so, wie es kommt.«
Kurze Zeit später strömten die Damen herein. Das Lesecafé erfreute sich immer größerer Beliebtheit. »Viel Arbeit für nichts«, hatte Jonas es abfällig genannt. Außerdem hatte er alle ihre Ideen als unsinnig verworfen, wenn er denn überhaupt einmal zugehört hatte.
Es dauerte eine gute Stunde, ehe sich die Damen Kaffee und Kuchen widmeten. Als Clea auf ihr Handy sah, erschienen bereits drei entgangene Anrufe ihrer Mutter auf dem Display.
Sie holte tief Luft und wählte ihre Nummer. »Ist dir bewusst, wie oft ich es schon versucht habe?«
»Mama, du weißt, dass ich arbeiten muss …«
»Unsinn, es ist schließlich deine Buchhandlung und du kannst Pause machen, wie du willst. Außerdem läuft die doch von selbst, du musst nur ab und an kassieren oder Bücher einräumen, das ist keine Leistung.«
Clea zählte bis drei. »Brauchst du irgendwas?«
»Natürlich tue ich das, aber jetzt habe ich keine Zeit. Ruf später noch mal an.«
Es klickte. Clea fragte sich wie so oft, warum ihre Mutter erwartete, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit für sie da sein sollte, obwohl sie selbst immer abgewürgt wurde, wenn sie anrief.
Aufatmend widmete sie sich ihrer Arbeit. An diesem Nachmittag lief der Laden gut.
Maike übertraf sich wieder einmal selbst. Sie war die Geduld in Person mit dem schwerhörigen Herrn Burger, lenkte die quirligen Zwillinge einer Kundin ab, damit diese sich in Ruhe einen Roman aussuchen konnte und schaffte es zwischendurch sogar, einen Karton neuer Bücher einzusortieren. Charlotte war wieder einmal bei ihrem kranken Sohn zu Haus. Langsam befürchtete Clea, dass da etwas Schlimmeres dahinterstecken könnte.
Zum Glück half Mariella, das Geschirr abzuwaschen. Auch Maike war eine Stunde länger geblieben, bis Clea sie fast gewaltsam nötigen musste, heimzugehen.
»Da hast du aber ein tüchtiges Mädchen gefunden«, lobte Mariella.
»Ein Glücksgriff. Dabei war sie die Bewerberin, mit dem schlechtesten Schulabschluss.«
»Was sagt das schon?« Mariella zuckte die Schultern. »Für den Charakter gibt’s keine Schulnoten. Und das Mädel ist schwer in Ordnung. Sie hat das richtige Gefühl für die Menschen.« Sie hängte das Geschirrtuch an den Haken. »Du übrigens auch.«
»Ja?« Clea schüttelte den Kopf. »Mein Mann hat mir das Gegenteil vorgeworfen. Ich hätte ihn nicht verstanden und wäre zu wenig auf seine Bedürfnisse eingegangen.«
»Vorwürfe zu machen, das ist die leichteste aller Aufgaben. Zu einer Beziehung gehören immer zwei. Hat er denn Anteil an deinem Leben genommen?« Sie drehte sich mit ausgebreiteten Armen im Kreis. »An dem hier? Ich zumindest habe ihn all die Jahre nicht einmal hier im Laden gesehen.«
»Er ist Arzt und sein Job im Krankenhaus ist ziemlich aufreibend.«
»Zu wenig aufreibend, um nicht fremdzugehen.« Mariella beugte sich vor. »Kindchen, mach dir nicht solche Gedanken. Du bist nicht schuld daran, dass er dich betrogen hat. Und es wird Zeit für dich, nach vorn zu schauen. Diese Tinder-Sache, die ist vielleicht ein guter Anfang.«
»Wirklich?« Sogar eine alte Dame sah in Tinder die letzte Möglichkeit, doch noch einen Mann zu ergattern?
»Ja. Egal, was dabei herauskommt, du kommst hinaus. Sieh es locker, denke nicht bei jedem Date krampfhaft darüber nach, ob es was fürs Leben wird. Hab einfach Spaß.«
»Du redest schon wie meine beste Freundin.«
»Offenbar wirst du gut beraten.«
Sie fasste das feste Ziel, sich ihre Worte zu Herzen zu nehmen und es noch einmal zu versuchen.
Ein Vorsatz war das eine, die Ausführung das andere. Das stellte Clea frustriert ein paar Wochen später fest. Sie hatte ihr Handy stets dabei, aber fürchtete sich fast schon vor dem nächsten Tuten, das eine neue Nachricht ankündigte. Die Schreiberei in den Chats nahm viele Stunden ihres Alltags in Anspruch.
Und wozu? Traumprinz hatte sie noch keinen gefunden.
Und jetzt saß sie mit Lulu und Lars in ihrer Lieblingsbar und genoss einen Drink. Mit den beiden fiel man überall auf. Lars zeigte stolz seine Tätowierungen, die sich über den gesamten Oberarmen verteilten und Lulus Haare waren mit Haarteilen, nämlich kleinen geflochtenen Zöpfchen verlängert worden. Dafür war die Haarfarbe ausnahmsweise ein gewöhnlicher Blondton. Die beiden sahen sie erwartungsvoll an, doch Clea musste sie enttäuschen.
»Ich habe das Gefühl, das ist nichts für mich.« Clea lehnte sich zurück und nippte an ihrem Cosmopolitan. Lulu und Lars saßen ihr gegenüber und sie musste mit ansehen, wie die beiden sich ständig Küsschen gaben und Händchen hielten. Clea war genervt. Die beiden waren so ekelhaft verliebt!
»Du wirst doch nicht nach der kurzen Zeit das Handtuch werfen? Es ist erst drei Monate her, dass du Tinder beigetreten bist.«
Danke, liebe Lulu, das brauchte sie jetzt. Sie tat ja gerade so, als würde Clea absichtlich keinen Mann aufreißen.
Wie sollte sie Lulu erklären, dass ihre gesamte Freizeit für das Daten, Swipen und Chatten draufging? Traf sie sich nicht mit einem, so schrieb sie stundenlang.
»Ich hatte bis jetzt sieben Dates. Alle begannen gleich, wir haben über Bücher, Familie, Kunst, Gott und die Welt geschrieben, was weiß ich. Aber beim Schreiben gibt es eben ein großes Handicap, nämlich, dass der Tonfall und die Mimik fehlen, einfach das Zwischenmenschliche.«
»Schon logisch.« Lulu pickte sich die Kirsche von ihrem Drink. »Erzähl weiter.«
»Also, da gab es Sven, er meinte, wir könnten uns doch auf dem diesjährigen Jahrmarkt treffen.«
»Tolle Idee.« Lulu wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit Lars.
Clea seufzte. »Ich saß also auf einer der Bänke, hatte, wie ich ihm gesagt hatte, Jeans und eine rote Jacke an und hielt außerdem ein Buch in der Hand. Da kam er auf mich zu, wirklich ein kräftiger Adonis mit dunklen Haaren. Aber setzte er sich zu mir? Nein, er rief: ›Du musst Clea sein. Komm mit, die anderen warten schon.‹ Und kurz darauf führte er mich zu seinen grölenden, nicht mehr ganz nüchternen Kumpels. Fünf an der Zahl. Sie wollten mich erst überreden, ins Bierzelt zu gehen und dann mit ihnen mitzukommen und einen Striptease hinzulegen.«
Lulu kicherte, Lars lachte laut heraus. »Bist du mitgegangen?«
Clea funkelte ihn böse an. »Dann war da Lorenz. Er war Sportler, das war ja noch okay. Wir verabredeten uns am Kletterpark. Ich dachte an die einfache Tour, gemütlich, damit man sich ein wenig unterhalten und kennenlernen konnte. Aber nein, er zerrte mich in die schwindelnden Höhen der Mastertour und soll ich euch was sagen? Ich kam dahinter, dass ich doch nicht frei von Höhenangst bin. Oben traute ich mich weder vor noch zurück, mein Gejammere war grässlich und schmerzte in meinen eigenen Ohren. Ein Angestellter musste kommen und zusammen mit Lorenz schaffte ich es auf den Boden. Es ist Lorenz hoch anzurechnen, dass er mich wenigstens noch nach Hause brachte.«
Lars grinste wieder. »Du solltest ein Buch schreiben.«
»Es folgte Eberhard - oder war es Richie? Egal. Also Eberhard und ich unterhielten uns über Kunst und er lud mich in eine Ausstellung von einem Freund ein. Das entpuppte sich dann als eine eher kleine Schau, sein Freund Ossi experimentiert mit Naturfarben. Er verwendet zerstampfte Gräser und Blumen, mit denen er seine Gemälde malt, in die man alles oder nichts hineininterpretieren kann. Die letzten Bilder hätte er mit Urin gemalt, daraufhin verließ ich die sogenannte Galerie. Ja und Richie, das war der Geizige, wir nahmen einen Kaffee im Stehen. Er roch allerdings ohnehin dermaßen aus dem Mund, dass mir jeglicher Appetit vergangen war. Nein, ihr Lieben, das tu‘ ich mir nicht nochmal an.«
Lars kugelte sich vor Lachen, doch Lulu stieß mit Clea an. »Du bist ein zäher Typ, Clea. Deine Mutter erträgst du schließlich auch immer noch.«
»Lulu! Sie ist meine Mutter.«
»Eben. Das ist aber schon alles, was zu ihren Gunsten spricht.« Sie nuckelte am Strohhalm. »Also, probiere es noch ein paarmal, wirf die Flinte nicht so schnell ins Korn. Lass dir Zeit, du musst schließlich nicht schon in drei Tagen einen Mann fürs Leben vorweisen.«
Drei Tage? Sie würde das in drei Jahrzehnten nicht schaffen.
Lars drückte ihre Hand. »Wird schon klappen. Am besten du hast eine Zahl im Kopf, sagen wir einhundert. Jaa, das ist gut und nach dem hundertsten Date machst du Schluss.« Er nahm einen kräftigen Schluck von seinem Daiquiri. »Aber«, er hob den Zeigefinger, »ich wette mit dir, dass du vorher deinen Mister Right finden wirst.«
»Wirklich? Um wie viel?«
»Um einen Drink. Ich möchte ja nicht, dass du vor die Hunde gehst.«
Zum ersten Mal hatte Clea ein gutes Gefühl. Der Mann ihr gegenüber war attraktiv, kein Schönling, aber er hatte markant geschnittene Gesichtszüge und wasserhelle Augen. Doch was noch viel wichtiger war, er gab ihr mit Blicken und Worten zu verstehen, wie großartig er sie fand. Nach seinem Profil hieß er Herwig Hansen, war IT-Spezialist und angeblich nicht unvermögend. Ihre Chats waren inspirierend und prickelnd gewesen.
Sie saßen in einem der besten Restaurants der Stadt. Etwas anderes käme für ihn überhaupt nicht infrage, hatte er ihr schriftlich erklärt. Er verdiente schließlich gut und Geiz wäre noch nie eine Tugend gewesen.
Nie zuvor war sie in so einem Nobelschuppen gewesen. Ein Vermögen allein für Essen auszugeben, das wäre während ihrer Ehe mit Jonas nicht infrage gekommen.
Der Ober verbeugte sich höflich und führte sie an den reservierten Tisch. Ehrfürchtig sah sie sich um. Es waren insgesamt nur vier geschmückte Tafeln im Raum, abgetrennt durch eine ganze Batterie an Dekoration. Die Ausstattung musste ein Vermögen gekostet haben, die zahlreichen Glasvasen mit den brennenden Kerzen darin, die Blumengirlanden und kleinen Sträußchen dazwischen und die Skulpturen aus Marmor. Nur zwei der Tische waren besetzt, einer von einer Vierergruppe, der andere ebenfalls von einem Pärchen.
Der Ober reichte ihnen zwei mit goldenem Damast bezogene Speisekarten. »Darf es ein Aperitif sein?«
»Zweimal Champagner.« Die sonore Stimme verursachte ein Prickeln im Bauch.
»Sehr gerne.« Alle Kellner - und es gab eine ganze Schar davon - trugen hier dunkle Anzüge mit mitternachtsblauer Fliege, passend zu den in edlem Blau gedeckten Tischen. Das Personal schien den Gästen jeden Wunsch innerhalb von Sekunden von den Augen abzulesen. Das hatte aber auch den Nachteil, dass sich Clea beobachtet vorkam, denn einige Kellner standen abwartend an den Wänden und ließen ihren Blick durch den Raum gleiten.
Das alles wirkte einschüchternd auf Clea und schuf bei ihr kein behagliches Gefühl. Herwig schien jedoch in diese Umgebung hineingeboren zu sein. Sein Designeranzug passte wie angegossen, die Krawatte betonte den schlanken Hals. Und wie er sich so über die Speisekarte beugte – Herrgott, der Mann hatte Wimpern, um die ihn jede Frau beneiden würde. Sie eingeschlossen.
Hoffentlich erwischte er sie nicht, wie sie ihn anstarrte. Hastig senkte sie den Blick auf ihre mit blauem Samt ausgekleidete Karte, die mit dem goldenen Emblem des Restaurants bestickt war. Der Inhalt war allerdings eher dürftig, es gab wenige Vorspeisen, Zwischen- und Hauptspeisen, allerdings eine ganze Seite für ein siebengängiges Menü.
Herwig schlug überraschend schnell die Karte zu. »Ist es dir recht, wenn wir das Feinschmeckermenü bestellen? Mit Weinbegleitung? Oder ist dir eine Flasche lieber?«
Sie schluckte und befeuchtete ihre Lippen. Das Menü kostete über hundert Euro! Pro Person!
»Tu das nicht.« Herwig beugte sich vor. »Du siehst unglaublich aus, wenn du das machst. Unwiderstehlich.« Er räusperte sich und lehnte sich zurück. Seine Augen glänzten im Kerzenschein, nicht eine Sekunde nahm er den Blick von ihr.
Sie hatte sich schon lange nicht mehr so begehrt gefühlt. Zwischen Jonas und ihr war die Erotik eindeutig auf der Strecke des Alltags liegengeblieben. Was hatte er sie gefragt? »Ich möchte lieber nicht so viel verschiedenen Alkohol durcheinandertrinken.«
»Gute Entscheidung, mir geht es gleich. Dann nehmen wir einen alten Rotwein. Einverstanden?«
Sie nickte. Der Ober stellte zwei silberne Schalen mit perlendem Champagner vor sie hin. »Bitte bringen Sie die Weinkarte.«
»Sehr wohl.« Der schlanke Mann verbeugte sich und verschwand.
Herwig hob sein Glas. »Zum Wohl, auf dich!«
»Auf unser Date.« Sie stießen an, der wohltönende Klang vibrierte in ihren Ohren.
Danach vertiefte sich Herwig in die Weinkarte, die der Ober schweigend hingelegt hatte. »Was haben Sie für französische Bordeaux-Weine da?«
»Ich hole Ihnen unseren Sommelier.«
Keine Minute später trat ein bebrillter, etwas korpulenter Kellner zum Tisch. »Ich kann Ihnen den La Croix de Beaucaillou vom Château Ducru-Beaucaillou sehr empfehlen, ein Cabernet Sauvignon Merlot, Saint Julien, aus dem Jahr 2014 oder vielleicht lieber einen Pinot Noir? Da hätten wir dann einen Nuits-Saint-Georges vom Weingut Pascal Marchand, aus dem Jahr 2013.«
»Ich persönlich ziehe einen Cabernet Sauvignon vor, was meinst du?«, fragte er Clea.
Ihr schwirrte der Kopf. Französisch war es, das hatte sie verstanden. Mehr nicht.
»Ich verlasse mich auf dich.« Du liebe Güte! Als ob sie sich bei Weinen auskennen würde. Hauptsache er schmeckte.
»Dann nehmen wir Ersteren.« Herwig klappte die Weinkarte zu und gab sie dem Ober zurück.
»Sehr wohl.«
Herwig drehte sich wieder zu ihr und sein Lächeln drang in ihr Innerstes. »Ich halte nichts von schlechtem Wein. Lieber ein gutes Glas von einem edlen Tropf genießen und dafür mehr zahlen, als einen Doppler mit billigem Fusel, sage ich immer.« Er lächelte. »Erzähl mir von dir. Hast du wirklich einen eigenen Buchladen?«
Clea nippte am Champagner und überlegte noch, wie sie beginnen sollte, als der Weinkellner zurückkam. Fasziniert sah sie zu, wie er den Wein öffnete, am Korken roch und ihn auf einem Tellerchen zu Herwig schob. Über einer brennenden Kerze goss er die tiefrote Flüssigkeit in eine gläserne Karaffe, danach schenkte er Herwig mit einer eleganten Bewegung eine Kostprobe ein. Dieser schwenkte das Glas, steckte seine Nase hinein, nahm schließlich einen Schluck und behielt das edle Nass für eine halbe Minute im Mund, ehe er schluckte. Danach nickte er dem Kellner zu. »Wundervoll.«
»Ich lasse ihn noch etwas atmen.« Mit einer Verbeugung stellte der Ober die Weinkaraffe auf einem kleinen Tischchen neben ihnen ab.
Die ersten drei Gänge zogen an Clea vorbei, die Speisen kamen auf großen Tellern in winzigen Portionen und zergingen auf der Zunge. Dennoch konnte sie kaum sagen, was genau sie aß. Sie genoss die Unterhaltung und hing an seinen Lippen. Herwig erzählte von seinen zahlreichen Reisen, der Mann war offenbar bereits überall auf der Erde gewesen. Irgendwann hatte der Ober die Flasche Wein gebracht, er schmeckte fruchtig, nach Brombeere. Schließlich hörte er ihr aufmerksam zu, jedes Detail ihres Lebens schien ihn zu interessieren.
»Was für ein Engagement du hast«, lobte er. »Und die fantastischen Ideen. Ein Lesecafé für Senioren und ein Kindernachmittag. Einfach großartig.«
Clea spürte Hitze in ihren Wangen. Der Ober goss ihr Glas erneut voll, zum wievielten Mal? »Es ist lieb, dass du das sagst. Jonas hat sich nie dafür interessiert.«
»Dein Ex vermute ich? Was tut er denn beruflich?«
»Er ist Arzt.«
»Ah, ein Gott in Weiß.« Herwig drehte das Glas zwischen den Fingern. »Die nehmen sich alles heraus, was sie wollen. Auch ich habe meine Ex an einen Arzt verloren.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich bin sozusagen ein gebranntes Kind, was Ärzte betrifft. Kathrin hatte einen gebrochenen Fuß und ich danach ein gebrochenes Herz.«
»Das muss sehr schlimm gewesen sein.«
Ein Seelenverwandter. Nach den zahlreichen missglückten Dates endlich einmal ein Sechser im Lotto.
Herwig schien es ähnlich zu gehen. »Ach Clea, ich freue mich so, dich kennengelernt zu haben. Du bist so ganz anders als sie. Ja, es war ein Schlag ins Gesicht. Kathrin hat mich offenbar niemals geliebt, sondern lediglich den Lebensstandard genossen, den ich ihr bieten konnte.«
»Was hat sie denn beruflich gemacht?« Clea wollte eigentlich nicht über seine Ex sprechen, aber sie hatte das Gefühl, dass es ihm guttat.
»Arbeit?« Er lachte. »Entschuldige, das ist zu komisch. Kathrin hat in ihrem ganzen Leben noch nicht gearbeitet. Ich dachte ja, dass wir beide zusammen eine Familie gründen würden, aber sie meinte, Kinder würden ihre Figur ruinieren.«
Was für eine Schlange! Der arme Mann! Aber – er wollte Kinder? In Clea schlugen alle Glocken an. Sie sah das Bild in ihrem Wohnzimmer vor sich, die wundervolle Familie.
Kam sie ihrem Ziel gerade ein wenig näher?
»Bei der Scheidung hat sie mich ordentlich abgezockt.« Er lehnte sich zurück. »Aber was soll’s. Ist nicht so, dass ich dem Geld nachweine, schnöder Mammon. Es ist eher so, dass ich wirklich an uns geglaubt hatte.« Er griff zum Glas und trank einen Schluck. »Lass uns das Thema wechseln. Sie ist es nicht wert, dass wir auch nur eine halbe Minute über sie reden. Aber mir scheint, du bist noch nicht so richtig über deinen Ex hinweg, oder?«
»Es geht.« Sie dachte nicht mehr so häufig an Jonas wie früher. »Ich wollte einfach ein Kind, mit fast dreißig ist es langsam Zeit dafür. Und jetzt ist dieser Wunsch wohl in weite Ferne gerückt.«
Er zwinkerte. »Das muss nicht sein.« Erneut hob er sein Weinglas und hielt es ihr hin. »Es ist schon ein Wunder, wie sehr sich unsere Wünsche decken.«
Sie prostete ihm ebenfalls zu, ehe sie wieder einen Schluck trank. Der Wein rann ihre Kehle hinunter, als wäre er für sie geschaffen. »Du möchtest auch Kinder?«
»Eine Familie, das ist mein Traum, schon lange. Aus diesem Grund bin ich seit Jahren bei Tinder, da kann ich dir einiges erzählen.« Er schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich vor und griff nach Cleas Händen. »Aber nun scheint sich der Aufwand endlich gelohnt zu haben. Ich spüre eine Magie zwischen uns, die war noch nie zuvor da.« Seine Augen glitzerten und hüllten Clea in eine Wolke aus Euphorie. »Dein Buchladen, bist du glücklich?«
»Ja.«
»Das habe ich gleich gespürt. In deinen Erzählungen liegt ein Feuer, eine Begeisterung, die mich gewaltig mitreißt. Da bekomme ich richtig Lust, selbst einen Buchladen aufzumachen, statt immer nur hinter dem Computer zu sitzen.«
»Macht dir dein Beruf keinen Spaß?«
»Manchmal. Neben meinem trockenen Job als IT-Spezialist berate ich Freunde, die ihr Geld investieren möchten. Davon verstehe ich auch einiges. Alles, was ich anlege, das verdoppelt und verdreifacht sich.«
»Wahnsinn.«
Zwei Kellner gleichzeitig servierten die Hauptspeise. Clea hätte nie gedacht, so viele Gänge essen zu können, aber da die Portionen dermaßen klein waren, hatte sie noch immer nicht das Gefühl, satt zu werden. Nun lagen auf ihrem Teller drei Fleischstücke mit dem Durchmesser eines Zwei-Euro-Stücks, daneben vier Kartoffelbällchen, die noch kleiner waren, garniert mit abgezählten fünf grünen Bohnen.
»Ja, du könntest es auch probieren.« Herwig griff zu seinem Besteck und schnitt sich ein Stück vom Fleisch ab, das er in den Mund schob. Genießerisch verzog er das Gesicht. »Delikat.«
Da musste sie ihm recht geben. So winzig die Portion auch war, es war lecker.
»Also, wie sieht es bei dir aus? Möchtest du dein Vermögen vermehren?«
Sie lachte auf. »Vermögen? Ich bin froh, dass ich mit meinem Buchgeschäft über die Runden komme. Reich wird man dabei nicht.«
»Aber du hast doch bestimmt Reserven?«
»Nicht wirklich. Natürlich ist da ein Notgroschen, wenn die Waschmaschine kaputt ist oder sonst ein kleiner Zwischenfall. Aber nein, Reichtümer habe ich keine.«
»Schade, ich hätte dir gern geholfen.« Er legte das Besteck zusammen. »Jetzt freue ich mich richtig auf das Dessert. Allerdings ist es traurig, dass unser Abend dann schon zu Ende ist.« Er runzelte die Stirn. »Weißt du was, wir bestellen einfach noch eine Flasche Wein. Dein Glas ist ja wieder leer.«
Sie hatte schon lange nicht mehr so viel Alkohol getrunken. Aber was soll‘s? Morgen war Sonntag. Die zweite Flasche Wein wurde gebracht und dekantiert. Nun kannte Clea die Zeremonie bereits.
Während der Ober erneut einschenkte, erzählte Herwig in amüsantem Ton von seiner letzten Reise nach Südafrika.
»Es ist eine total andere Welt da, nächstes Mal musst du mich begleiten. Es wird dir gefallen.«
Er lud sie ein, mitzukommen? Also wollte auch er die Bekanntschaft vertiefen? Ihr Herz schlug einen Purzelbaum.
Der Ober brachte die Nachspeisen, einen Dessertteller mit verschiedenen süßen Köstlichkeiten.
»Warst du auch einmal in Irland?« In dieses Land wollte sie immer schon mal reisen. Aber Jonas hatte den heißen Süden bevorzugt.
»Nein.« Er zuckte mit der Schulter. »Wenn du gerne hinfliegen möchtest, kein Problem.« Wieder dieses warme Lächeln. »Das wäre auch mal ein tolles Ausflugsziel. Das müssen wir auf unsere Liste setzen.«
Es ging zwar ein bisschen schnell, aber sie schwebte im siebten Himmel.
Die leeren Teller wurden abgeräumt. »Nehmen wir noch einen Cognac am Schluss?«
Sie seufzte. »Lieber nicht. Mir ist bereits der Wein zu Kopf gestiegen und wir haben noch mehr als die halbe Flasche.«
Er lächelte. »Wir haben aber auch noch Zeit. So schnell schließt das Lokal nicht. Außerdem wäre es schade, den teuren Wein so rasch hinunterzuschütten.« Erneut griff er nach ihren Fingern. »Es ist so ein wunderschöner Abend mit dir. Von mir aus kann er ewig dauern.« Ein kurzer Druck ihrer Hände. »Entschuldigst du mich einen Augenblick, bin gleich wieder da.«
»Natürlich.« Sie sah ihm nach, wie er Richtung Toiletten ging. Was für ein Hüftschwung. Und der knackige Po in der Anzughose.
Ob sie ihn noch zu sich bitten sollte? Auf einen Kaffee? Würde er mehr wollen? Wäre sie bereit dafür? Gleich nach dem ersten Date?
Was Lulu ihr raten würde, keine Frage.
Sie drehte das Weinglas in den Fingern und sinnierte. Was für ein Mann. So ganz anders als Jonas.
Erst nach zehn Minuten registrierte sie, dass er offenbar ein größeres Geschäft auf der Toilette zu erledigen hatte. Zwanzig Minuten. Ob sie den Ober bitten sollte, auf der Herrentoilette nachzusehen? Vielleicht war Herwig schlecht geworden?
Gerade als sie winken wollte, kam ein Ober auf sie zu und legte ein schwarzes Mäppchen vor sie hin. »Entschuldigen Sie, aber Ihr Mann hat sich ein Taxi genommen. Ihm ging es nicht gut, er bittet Sie, zu bezahlen und dann ebenfalls heimzufahren.«
Wie bitte?
»Aber das ist nicht mein Mann.« Ihre Stimme klang wie ein Reibeisen. »Es war heute unser erstes Date!«
Der Kellner biss sich auf die Unterlippe, richtete sich auf. »Tja, das ist jetzt …«, offenbar wusste er nicht, was er sagen sollte. Er ging zu seinem Kollegen hinüber und die beiden begannen zu flüstern. Dann kam er zurück.
»Es tut mir furchtbar leid, der Herr wird Hausverbot bei uns bekommen. Aber der Chef besteht darauf, dass Sie die Rechnung bezahlen. Bestimmt wissen Sie ja, wie der Herr heißt und Sie können – ähem – also das Geld zurückfordern. Wenn Sie möchten, geben wir Ihnen den Rest vom Wein mit.«
Sie schlug das Mäppchen auf. 736 Euro. Allein der Wein kostete fast zweihundert Euro pro Flasche und er hatte zwei davon bestellt!
Tränen verschleierten ihr den Blick, während sie blind in ihrer Handtasche nach ihrer Kreditkarte fummelte.
Wie sie heimgekommen war, konnte sie später nicht mehr sagen. Im Taxi mit der halbvollen Flasche des sündteuren Weines, den der Kellner ihr wieder von der Karaffe zurückgefüllt hatte.
Die Demütigung durchdrang ihre Poren und nistete sich tief in ihr ein.
Herwigs Profil auf Tinder war gelöscht. Nicht mehr auffindbar. Spurlos verschwunden.
Mechanisch schleppte sie sich die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie fühlte sich merkwürdig neben der Spur, entfernte ihr Make-up, putzte die Zähne, riss sich die so sorgfältig ausgesuchte Kleidung vom Leib, schlüpfte in ihren Liebestöter von Nachthemd und verkroch sich unter die Decke.
Wie früher als Kind, wenn sie etwas ausgefressen hatte. In der Hoffnung, dass niemand sie hören und sehen möge. Und darauf vertrauend, dass am nächsten Tag alles wieder gut sein würde.
War es allerdings meistens nicht.
Doch der schwere Wein und ungewohnte Alkoholgenuss verhalfen Clea zu einem traumlos tiefen Schlaf.
Eine Millisekunde nach dem Aufwachen schien auch wirklich alles in Ordnung zu sein. Doch dann brach die Erinnerung mit voller Gewalt auf sie nieder.
Ihr Date hatte sie fallenlassen wie die berühmte heiße Kartoffel. Und sie zudem noch mit der horrend hohen Rechnung hocken lassen.
Hätte sie doch dem Ober nicht gesagt, dass es ihr erstes Date war! Die mitleidigen Blicke hatten sie in ihrem Stolz gekränkt.
Über siebenhundert Euro! Das war sehr viel Geld.
Ihr Handy meldete sich. Ihre Mutter. Sie schob es weg und atmete auf, als es verstummte. Doch keine fünf Minuten später klingelte es erneut. »Mama?«
»Wo steckst du denn? Ich hoffe, du hast nicht vergessen, dass du mit mir heute in den Tierpark wolltest.«
Von wollen konnte keine Rede sein.
»Mama, mir geht es nicht so gut. Ich habe furchtbare Kopfschmerzen.«
»Schluck‘ eine Aspirin. Du kannst mich doch jetzt nicht so einfach hängen lassen.«
»Kannst du dir nicht bitte ausnahmsweise ein Taxi nehmen?«
»Clea, was für eine Vorstellung! Du weißt doch, dass ich Taxifahrten überhaupt nicht vertrage. Die Fahrer haben ein Tempo drauf, bei dem mir jedes Mal übel wird. Schaffst du es bis zehn Uhr?«
»Mama, mir wäre wirklich lieber …«
»Und fahr‘ bei der Konditorei vorbei und bringe mir eins von den Erdbeertörtchen mit, das ist kaum ein Umweg für dich.«