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Vier Freundinnen - vier Liebesgeschichten. Romantisch. Tragisch. Kompliziert - Geschichten, wie sie das Leben schreibt. Die unsichere Marlene ist unzufrieden mit ihrem Leben und ihrer Beziehung und löst deshalb die Verlobung zu ihrer Jugendliebe Nils. Als sie ihrem Ex-Freund Lukas begegnet, lässt sie sich auf eine leidenschaftliche Affäre mit ihm ein, doch schon bald merkt sie, dass man manche Dinge erst zu schätzen weiß, wenn man sie bereits verloren hat ... »Für immer lieben« ist Band 2 der »Für immer-Reihe. Jeder Roman ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden. »Für immer lieben« von Birgit Loistl ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!
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Seitenzahl: 200
Birgit Loistl
Für immer lieben
Roman
Knaur e-books
Vier Freundinnen – vier Liebesgeschichten. Romantisch. Tragisch. Kompliziert. Geschichten, wie sie das Leben schreibt.
Die unsichere Marlene ist unzufrieden mit ihrem Leben und ihrer Beziehung und löst deshalb die Verlobung mit ihrer Jugendliebe Nils. Als sie ihrem Exfreund Lukas begegnet, lässt sie sich auf eine leidenschaftliche Affäre mit ihm ein, doch schon bald merkt sie, dass man manche Dinge erst zu schätzen weiß, wenn man sie bereits verloren hat …
»Für immer lieben« ist Band 2 der »Für immer«-Reihe. Jeder Roman ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
Für alle, die der Liebe ihres Lebens begegnet sind und sie wieder verloren haben – gebt die Hoffnung nie auf!
Für Marlene:
»Meistens belehrt uns erst der Verlust über den Wert der Dinge.«
(Arthur Schopenhauer)
Für Nils:
»Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir – für immer.«
(Konfuzius)
Jeder Mensch ist für sein Glück selbst verantwortlich, doch wenn man es einmal gefunden hat, dann muss man es mit beiden Händen festhalten.
Dieses kostbare Geschenk für immer in seinem Herzen tragen.
Denn Liebe ist nicht selbstverständlich.
Sie ist vergänglich.
Sie ist verletzend.
Sie ist gefährlich.
Ich habe an die Liebe geglaubt.
Sie mit jeder Faser meines Seins gefühlt.
Jede einzelne Sekunde davon gelebt.
Aber manchmal ist das zu wenig.
Manchmal ist Liebe allein nicht genug.
Manchmal muss man gehen.
Um zu erkennen, was man verloren hat.
»Für immer ist heute schon vorbei.«
Damals
Nils lehnte mit verschränkten Armen gegen den Rahmen der Küchentür und starrte Marlene an, die an ihrem gemeinsamen Esstisch saß und das Kerzenwachs, das mit einem monotonen Klopfen auf die Tischplatte tropfte, anstarrte, als hinge ihr Leben daran. Hin und wieder fing sie einen Tropfen davon mit dem Zeigefinger auf, bevor sie einen Moment die Augen schloss und tief ausatmete. Das Zittern in ihrer Stimme versuchte er, so gut es ging, zu ignorieren.
Mit aller Macht zwang er sich, nicht zu ihr zu stürmen, sie in die Arme zu reißen und zu trösten. Er war es schließlich, der getröstet werden musste. Schließlich hatte sie ihm das Messer sprichwörtlich in die Brust gerammt, die Klinge ein paar Mal umgedreht und ihn dann blutend am Boden liegen gelassen.
Er folgte ihrem Finger, der abermals das heiße Kerzenwachs auffing, und betrachtete das flackernde Kerzenlicht, das nervös hin und her zuckte. Genauso fühlte er sich auch in diesem Moment. Aufgewühlt. Ruhelos. Wütend. Er widerstand dem Drang, seine Faust gegen die weiße Küchentür zu boxen, stattdessen biss er die Zähne zusammen und wartete stumm ab.
Als er den Blick kurz hob, starrte er geradewegs in Marlenes meergrüne Augen. Jene Augen waren es gewesen, die ihn von Anfang an am meisten an ihr fasziniert hatten.
Er hatte sich damals Hals über Kopf in Marlene verliebt. In diese Augen, die ihn bei ihrer ersten Begegnung qualvoll angeblickt hatten, während Marlene vor der Toilette des Jugendtreffs Beats kniete und sich die Seele aus dem Leib kotzte, kurz nachdem sie als Mutprobe eine Flasche Bacardi auf ex geleert hatte. Er hatte ihr die pink gefärbten Haare im Nacken gehalten und kurz darauf ein feuchtes Tuch aus der Küche geholt. Und als es ihr etwas besser gegangen war, ihr ein Pfefferminzbonbon in die Hand gedrückt. Immer wieder hatten diese Augen ihn angeblickt, und die verschiedensten Emotionen hatten sich darin gespiegelt. Schmerz, Scham, Angst. Und obwohl es in der Toilette nach Urin und Erbrochenem gestunken hatte und die Wände mit schwarzem Edding-Stift beschmiert gewesen waren, hatte er an nichts anderes denken können als an dieses wunderschöne Mädchen. Keine einzige Sekunde hatte er sie allein gelassen. War nicht von ihrer Seite gewichen. Hatte nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet.
Sie hatten nicht miteinander gesprochen. Sich noch nicht einmal ihren Namen gesagt. Nur mit ein paar wenigen Blicken hatten sie sich ausgetauscht, und für Nils war es mehr als genug gewesen. Ja, er hatte sich zuerst in ihre Augen verliebt, und im Laufe der Zeit war er auch dem Rest hoffnungslos verfallen.
Schnaufend stieß sich Nils von der Küchentür ab und schritt durch die Küche, ehe er sich gegen die Holzarbeitsplatte lehnte. Obwohl Marlene vor wenigen Minuten die Bombe hatte platzen lassen, regte er sich kaum. Nur das Mahlen seiner Kiefermuskeln und auch das Zucken seines rechten Augenlids ließen erkennen, dass er wütend war. Und abgrundtief verletzt.
»Es tut …«, zu mehr kam sie nicht, denn wie eine Kobra, die sich bedroht fühlte, fuhr Nils nach vorne, beugte sich über den Küchentisch und funkelte sie wütend an.
»Sag es ja nicht! Sag verdammt noch mal nicht, dass es dir leidtut. Ich will wissen, warum, Lene. Warum willst du das alles wegwerfen? Warum willst du uns wegwerfen?«
»Weil …«, stotterte sie und blickte ihn mit tränenverschleiertem Blick an. Nils schluckte den Drang hinunter, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Marlene hatte alles zerstört, und er wollte eine Erklärung für ihre Entscheidung. Natürlich wusste er, dass jeden Tag Beziehungen zu Bruch gingen, aber zwischen ihm und Marlene hatte es sich echt angefühlt. Wirklich. Für immer. Aber musste er jetzt erkennen, dass nur er so gedacht hatte? War sein für immer heute wirklich schon vorbei? War es tatsächlich so, dass Männer von einer Trennung überrascht wurden, während Frauen auf die ersten Warnsignale überaus sensibel reagierten? Er hatte die Anzeichen nicht kommen sehen. Weder als sie vor wenigen Tagen noch die Gästeliste ihrer Hochzeit durchgegangen waren, noch als Marlene mit ihrem Brautkleid nach Hause gekommen war und ein Staatsgeheimnis daraus gemacht hatte.
»Es bringt Unglück, wenn der Bräutigam das Kleid vor der Hochzeit sieht«, hatte sie gesagt, dabei verschmitzt gelächelt und anschließend die Schlafzimmertür hinter sich zugezogen.
Er hatte das Kleid nicht gesehen, und trotzdem hatte es ihm Unglück gebracht. Es hatte sein Leben komplett zerstört.
Nils fuhr sich durch das Haar und rieb sich den Nacken. Er hatte absolut keine Ahnung, wie er mit der Situation umgehen sollte.
Eine beendete Beziehung.
Eine geplatzte Hochzeit.
Ein eiskalter Schlussstrich.
Was würde noch kommen?
»Sag es mir. Ich will wissen, warum du seit Wochen diese beschissene Hochzeit planst und jetzt, Hals über Kopf, diese Beziehung beendest.«
»Ich kann das einfach nicht«, flüsterte sie und blickte ihm ins Gesicht.
»Was? Mich heiraten? Dein Leben mit mir verbringen? Mit mir alt werden? Was ist es? Was verdammt noch mal habe ich falsch gemacht?«
Gerade als sie antworten wollte, schnitt er ihr das Wort ab.
»Und sag jetzt bitte nicht: Es liegt nicht an dir. Es liegt an mir.« Seine Stimme schoss zwei Oktaven nach oben und verhöhnte sie. »Diese verdammte Scheiße kann ich echt nicht hören!«
Marlene schloss den Mund und schluckte.
»Es liegt an uns beiden«, flüsterte sie nach einer gefühlten Ewigkeit. »Ich glaube, wir wollen beide unterschiedliche Dinge vom Leben.«
Ganz langsam zog er eine Augenbraue nach oben und starrte sie schockiert an. »Das fällt dir jetzt auf? Nach acht Jahren?«
»Himmel noch mal!«, fuhr sie ihn an, stand auf, sodass der Küchenstuhl über den Fußboden kratzte, ging ans Fenster und drehte ihm den Rücken zu.
Mit verschränkten Armen starrte sie hinaus. Eine Totenstille lag in der Luft.
»Ich will dieses Leben nicht mehr, verstehst du? Ich fühle mich wie ein Adler, den man in den Käfig eines Wellensittichs gesperrt hat und der den Rest seines Lebens darin verbringen muss.« Langsam drehte sie sich zu ihm um. Eine Träne rann über ihre Wange. Marlene kniff die Lippen zusammen und wischte sich mit dem Handrücken die Wange trocken. »Aber ich würde so gerne losfliegen, Nils.«
Entsetzt starrte er sie an.
»Sperre ich dich etwa ein?«
Niemals hatte er vorgehabt, sie einzuengen. Im Gegenteil, er hatte stets versucht, ihr so viele Freiheiten wie möglich zu geben.
»Nein«, stöhnte sie und schüttelte den Kopf.
»Aber das ist einfach nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Mein Leben kotzt mich einfach an. Schau dir doch nur meinen Job an. Peter ist ein beschissener Chef und ein cholerischer Perfektionist, der mir jeden Tag das Leben zur Hölle macht.« Wütend fuhr sie herum. »Ich bin fünfundzwanzig und soll in ein paar Wochen heiraten. Ich habe das Gefühl, dass ich an einem Bahnsteig stehe, der Zug schließt seine Türen und fährt ohne mich ab. Und anstatt die Beine in die Hand zu nehmen und ihm hinterherzurennen, komme ich nicht vom Fleck. Ich werde in zwanzig Jahren immer noch dort stehen und jedem Zug hinterhersehen, der mir vor der Nase davonfährt, und nicht in der Lage sein, in diesen verdammten Zug einzusteigen.« Sie seufzte und drehte sich wieder zum Fenster, ohne ihn noch einmal anzublicken.
»Ich möchte mein Leben ändern und sehen, was kommt. Wenn ich mich jetzt schon festlege, werde ich immer das Gefühl haben, etwas verpasst zu haben.«
»Wow …«, flüsterte er und schluckte ein paar Mal, um das trockene Gefühl in seiner Kehle loszuwerden, »… das ist ja die reinste Midlife-Crisis, in der du da steckst. Wäre das nicht eigentlich meine Aufgabe? Sind es nicht gewöhnlich die Männer, die kurz vor der Hochzeit Panik bekommen? Wie kann es sein, dass bei uns die Rollen vertauscht sind?« Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Nils gehörte nicht zu den Männern, die laut fluchend stritten. Meistens hörte er sich das Gesagte an und entschied dann nach einem Moment, ob er sich dazu ruhig äußern oder lieber stillschweigend den Raum verlassen wollte. Marlene hatte ihn dann immer feige genannt, aber er wollte einfach keine Dinge sagen, die ihm hinterher leidgetan hätten. Oft hatte er nach einer kleinen Auszeit einen klaren Kopf und konnte die Dinge mit anderen Augen sehen. Allerdings bedeutete das nicht, dass er nicht den Drang verspürte, die Wohnungseinrichtung zu zerstören. Er hatte sich nur unter Kontrolle.
Marlene allerdings wollte immer streiten. Sie wollte die Türen zuknallen, sich gegenseitig anbrüllen und anschließend bei wildem Sex wieder versöhnen. Aber mit Nils war das nicht möglich.
Die Worte spulten sich in einer Endlosschleife in seinem Kopf ab, und obwohl er sich dagegen wehrte, spürte er, dass etwas geschehen sein musste. Etwas Grundlegendes musste passiert sein.
»Hast du jemand anderen kennengelernt?« Die Frage brannte ihm auf der Zunge, und noch ehe er darüber nachdenken konnte, waren die Worte ausgesprochen. Er atmete tief ein und hielt die Luft an. Im Grunde genommen wollte er die Antwort gar nicht wissen. Es würde ihn zerreißen. Ihn mit jeder Faser seines Körpers auffressen, bis er nur noch ein Schatten seiner selbst wäre. Er starrte Marlene an, die immer noch mit dem Rücken zu ihm stand.
Dann bemerkte er, wie sie auf seine Frage hin kurz zusammenzuckte, und alle Luft wich ihm aus den Lungen. Sein Herz hörte auf zu schlagen. Ihre Reaktion war Antwort genug.
»Nicht kennengelernt«, wisperte sie nach einer gefühlten Ewigkeit. Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie weitersprach. »Eher wiedergetroffen.«
Die Art, wie sie es sagte, sorgte dafür, dass Nils plötzlich wusste, wie es sich anfühlen musste, von einem Hochhaus zu springen und dann ungebremst auf dem Asphalt aufzuschlagen. Ohne dass sie etwas sagen musste, wusste er, von wem sie sprach.
Und er spürte in diesem Moment, dass er verloren hatte. Es hatte keinen Sinn zu kämpfen. Er hatte den Kampf längst verloren. Hatte vermutlich nie eine Chance gehabt zu gewinnen. Langsam ließ er seine Finger in seine Hosentasche gleiten, holte seinen Schlüsselbund hervor und löste den Wohnungsschlüssel vorsichtig ab. Dann legte er ihn auf den Küchentisch, trat hinter Marlene und bemerkte, wie diese sich verspannte.
Unwillkürlich zog sich der Schmerz in seiner Brust noch stärker zusammen. Er beugte sich zu ihr hinüber, zog ein letztes Mal ihren Duft – ein Hauch Lavendel gepaart mit einem Schuss Zitronenmelisse – ein und drückte ihr einen kurzen, kaum merklichen Kuss auf ihr Haar. Er konnte nicht verhindern, wie ihm eine Träne entglitt und auf ihrer Stirn landete. Es war ihm scheißegal, wenn sie ihn jetzt für ein Weichei hielt. Er hatte alles verloren.
Es gab nichts mehr zu sagen.
Wortlos ließ er die Wohnungstür ins Schloss fallen und polterte die alte Holztreppe hinunter, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.
Irgendwann würde er seine Sachen abholen. Morgen.
Vielleicht niemals.
Als er vor das Wohnhaus trat und in den Himmel sah, erinnerte er sich an einen Satz, den er vor vielen Jahren einmal in einem Glückskeks gefunden hatte. Marlene hatte ihm diesen unter die Nase gehalten und sich dabei kaputtgelacht.
Es fühlte sich an, als wäre es erst gestern gewesen. Das Schicksal hatte ihn abgrundtief verarscht!
Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.
»Wahre Freundinnen sind eine Qual. Du kannst nicht ohne sie, aber mit ihnen ist das Leben manchmal die Hölle.«
Heute
Fuck! Ich habe mein Diaphragma zu Hause vergessen«, maulte Nora und tippte mit ihren perfekt manikürten, schwarzen Fingernägeln genervt auf den Bartresen. Marlene warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe sie das Glas Cola auf ein Tablett stellte und nach einer Serviette griff, die sie einmal in der Mitte faltete, bevor sie sie auf das Tablett legte.
»Wer zum Teufel benutzt heutzutage noch ein Diaphragma? Ich dachte, das ist mit der Absetzung von Sex and the City vom Markt genommen worden?« Amüsiert nippte Toni an ihrem Glas Wasser und zwinkerte Marlene kurz zu.
»Unsinn!«, winkte Nora ab und zeichnete den Rand ihres Weißweinglases mit dem Zeigefinger nach. »Für jemanden wie mich sind die Dinger ungeheuer praktisch.«
»Für jemanden wie dich?«, fragte Toni mit hochgezogenen Augenbrauen. »Du meinst also hochgradig sexbesessen mit der Veranlagung zum Nudismus?«
Marlene unterdrückte ein Lachen und betrachtete Nora, die genervt die Augen verdrehte.
»Nur weil ich in meiner eigenen Wohnung gerne nackt herumlaufe, heißt das noch lange nicht, dass ich nudistisch veranlagt bin. Ich trage zum Beispiel, wenn ich unterwegs bin, fast immer Unterwäsche.« Toni verschluckte sich und hielt sich hustend die Hand vor den Mund, während Marlene nur den Kopf schüttelte.
»Das mag stimmen, aber du hast vergessen zu erwähnen, dass du dich mit Vorliebe jeden Abend in deiner Wohnung nackt vor das Küchenfenster stellst, wenn dein neuer superheißer Nachbar zu Hause ist.«
Nora verschränkte die Arme vor der Brust und setzte sich auf.
»Er ist Künstler, und sein Atelier befindet sich in seiner Wohnung, deswegen ist er immer zu Hause. Ich kann nichts dafür, dass er sich ständig in seinem Wohnzimmer aufhält, wenn ich abends in der Küche bin.«
Sie warf Marlene einen gespielt bösen Blick zu und zeigte mit dem Zeigefinger auf sie. »Ich habe dir freie Kost und Logis angeboten und dich herzlich bei mir aufgenommen. So dankst du es mir jetzt?«
Marlene zuckte mit den Schultern, griff nach einem Geschirrtuch und begann die Gläser zu polieren.
Wenn sie ehrlich war, musste sie sich selbst eingestehen, dass sie ihren neuen Job abgrundtief hasste. Sie brauchte das Geld, dennoch hatte sie blind reagiert. Nils hatte ihr den Wohnungsschlüssel auf den Tisch gelegt und war gegangen. Sie wusste nicht, wie lange sie noch am Fenster gestanden und die Szene immer und immer wieder durchgespielt hatte. Irgendwann hatte sie ihren Koffer gepackt, war tränenüberströmt hinausgestürmt und stand wenige Stunden später bei Nora vor der Tür, die sie ohne weitere Fragen bei sich aufgenommen hatte. Einen Moment hatte Marlene mit dem Gedanken gespielt, zu ihrer Mutter zu gehen, aber sie wollte sie nicht mit ihren Problemen belasten. Sie hatte selbst dieses Chaos verursacht, und jetzt musste sie sehen, wie sie da wieder herausfand. Nora hatte ihr eine Tasse heiße Schokolade in die Hand gedrückt und sich ihre Geschichte angehört, ohne über sie zu urteilen. Dann hatte sie Nils angerufen und ihm mitgeteilt, dass er die Wohnung behalten könne. Während des ganzen Gesprächs hatte Marlene den Atem angehalten. Nachdem Nora den Hörer aufgelegt hatte, sah sie Marlene einen Augenblick lang mit einem seltsamen Blick an, den Marlene nicht zu deuten wusste. Sie hatte keine Ahnung, was Nils Nora erzählt hatte, und Nora hatte es mit keinem Wort erwähnt. Bis heute.
Gleich am nächsten Tag hatte Marlene ihr Chaos fortgesetzt und ihren Job in dem kleinen Fotoladen am Münchner Hauptbahnhof gekündigt. Mehr gekränkt als erstaunt hatte sie mitansehen müssen, wie ihr Chef nur genickt und ihr dann sogar angeboten hatte, den Vertrag vorzeitig aufzulösen, anstatt auf die Einhaltung der Kündigungsfrist zu bestehen. Sie wusste nicht, ob es daran gelegen hatte, dass Marlene ihren Job in den letzten Monaten eher schlecht als recht ausgeführt oder dass Peters Ehefrau einen Job als Teilzeitkraft in dem kleinen Geschäft übernommen hatte. So oder so schien es Peter ganz recht gewesen zu sein, dass sie von selbst das Handtuch geworfen hatte.
Marlene hatte seine Worte kaum wahrgenommen, sich umgedreht und stand wenige Minuten später vor den Zügen, die sie mit einem Schlag aus dieser beschissenen Welt wegbringen würden. Ihr fielen ihre Worte an Nils wieder ein. Ich habe das Gefühl, dass ich an einem Bahnsteig stehe, der Zug schließt seine Türen und fährt ohne mich ab. Und anstatt die Beine in die Hand zu nehmen und ihm hinterherzurennen, komme ich nicht vom Fleck. Ich werde in zwanzig Jahren immer noch dort stehen und jedem Zug hinterhersehen, der mir vor der Nase davonfährt, und nicht in der Lage sein, in diesen verdammten Zug einzusteigen.
Ja, sie hatte sich ihr Grab selbst geschaufelt und war danach sogar kopfüber auch noch hineingesprungen. Aber niemals hätte sie mit dieser Leere gerechnet, die sich in diesem Moment in ihr breitgemacht hatte.
Sie liebte Nils immer noch, aber sie fühlte sich erdrückt und eingesperrt. Nach dem Abitur hatten die Freundinnen davon geträumt, die Welt zu erobern. Marlene wollte eine erfolgreiche Fotografin werden und die Reichen und Schönen dieser Welt fotografieren. Toni hatte ihre Koffer gepackt und war erst einmal um die halbe Welt gereist, bis sie sich schließlich für ein Architekturstudium an der LMU entschieden hatte. Maya träumte von ganzem Herzen davon, Schauspielerin zu werden, entschied sich dann aber für ein Medizinstudium, um die Arztpraxis ihrer Eltern übernehmen zu können. Doch vor wenigen Monaten, kurz vor ihrem Unfall, hatte sie sich dazu entschlossen, das Studium endlich abzubrechen, und war für ein halbes Jahr in die USA gereist, um an einem Schauspielworkshop teilzunehmen. Bei ihr hatte sich das Blatt gewendet. Sie hatte Cosmo kennengelernt und sich unsterblich verliebt, und dann hatte das Schicksal ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein Autofahrer hatte Maya nachts auf dem Weg nach Hause angefahren und auf der Straße liegen gelassen. Für Marlene war es eine schlimme Zeit gewesen, und Nils hatte ihr ununterbrochen zur Seite gestanden. Aufgrund ihrer schweren Verletzungen war Maya in ein künstliches Koma versetzt worden, und die Ärzte hatten lange nicht gewusst, ob sie jemals wieder aufwachen würde. Später hatte Maya ihr erzählt, dass es Cosmo gewesen war, der sie dazu gebracht hatte aufzuwachen, und Marlene gefiel der Gedanke daran, dass ihre beste Freundin von einem Ritter auf einem Schimmel gerettet worden war. In ihrem eigenen Märchen hatte es kein Happy End gegeben.
Nora dagegen hatte schon immer gewusst, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Nach dem Abitur hatte sie sich sofort für ein Biologiestudium eingeschrieben, und ihr Vater hatte ihr eine wunderschöne Altbauwohnung gekauft. Sie lebte ungebunden und frei und hatte genaue Vorstellungen, wie ihr Traummann auszusehen hatte.
Nur ihr Leben war nach hinten losgegangen. Sie saß in einem kleinen Fotogeschäft fest und fertigte Passfotos für die Laufkundschaft an. Das hatte nichts mit ihren Träumen zu tun.
Vor wenigen Tagen hatte sie noch ihre Hochzeit geplant, und jetzt stand sie als Single, arbeits- und obdachlos am Münchner Hauptbahnhof und bemitleidete sich selbst.
Es war seltsam, wie schnell sich das Blatt wenden konnte. Ja, diese Erfahrung machte sie drei Stunden später, als sie die Internetanzeige der Bierbar gefunden hatte, die zum schnellstmöglichen Zeitpunkt eine Bedienung gesucht hatte. Marlene hatte während ihrer Ausbildung zur Fotografin vierzehn Tage lang nonstop als Kellnerin auf dem Münchner Oktoberfest gearbeitet. Sie war davon überzeugt, dass sie ein paar Gläser Bier auf einem Tablett mit links stemmen würde.
Max, der Besitzer der Bierbar, dem neuesten Szenelokal im Münchner Glockenbachviertel, hatte sich eine Weile mit ihr unterhalten und sie dann ohne weiteren Kommentar eingestellt. Vermutlich weil dieser Job nicht voraussetzte, als Intelligenzbestie zur Welt gekommen zu sein. Oder aber weil Max ihr deutlich gemacht hatte, dass an der Tür die Mädchen für diesen Job Schlange stehen würden. Würde sie gehen, wäre sofort die Nächste am Zug.
Irgendwie schien das Glück ein wenig zu ihr zurückgekehrt zu sein. Sie hatte den Job ergattert, und Nora bot ihr auch schon am Abend an, bei ihr einzuziehen. Einen Moment lang hatte sie gezögert. Nora und Marlene waren seit ihrer gemeinsamen Zeit mit Toni und Maya am Ludwigsgymnasium Freundinnen gewesen. Alle vier hatten sich in der Theater-AG kennengelernt und damals noch geglaubt, ihr größtes Problem wäre es, dieses beschissene Abitur hinter sich zu bringen. Niemand von ihnen hatte daran gedacht, wie das wirkliche Leben tatsächlich aussah.
Marlene und Nora standen sich nah, aber Schwestern im Herzen waren sie nicht. Diese Verbindung hatte sie nur mit Maya. Schon immer waren sie auf einer Welle geritten, während Nora und Marlene eher wie Tag und Nacht waren. Nora führte Buch über ihre Männerbekanntschaften, und sie hatte sie in Kategorien eingeteilt. Der notorische Weltverbesserer, der einsame Wolf und die Arschlöcher. Ihrer Meinung nach gab es nur diese drei Arten von Männern auf dieser Welt, und zu neunzig Prozent ließ sich Nora mit Mann Nummer drei ein.
Marlene fühlte sich in Noras Gegenwart oft klein und unbedeutend. Während Nora schon einen ganzen Roman über ihre Männerbekanntschaften schreiben konnte, hatte Marlene bisher nur mit zwei Männern geschlafen. Und ein weiterer stand momentan nicht in Aussicht.
»Mir gehört die Bude, und ich bin eh fast nie zu Hause. Also, zieh ein und lass es dir gut gehen, solange du willst. Mi casa es su casa.«
»Ich bin nur ehrlich«, antwortete Toni und griff in die Schale mit Erdnüssen, die auf dem Bartresen standen. »Dein Hang zum Voyeurismus ist schon extrem.«
»Ich schaue mir eben gerne schöne Menschen an, wo ist das verdammte Problem?« Nora ließ sich vom Stuhl gleiten, stand auf und drehte sich einmal um die eigene Achse wie eine Ballerina auf einer Spieluhr.
»Und ich zeige auch gerne, was ich habe. Ist das denn falsch?«
Marlene schüttelte schmunzelnd den Kopf und griff nach einem neuen Glas. Sie war froh darüber, dass ihre Freundinnen vorbeigekommen waren. Heute war Mittwoch, und nur wenige Gäste besuchten an diesem Tag der Woche die Bar. Marlene hatte schon befürchtet, Max könnte etwas dagegen haben, wenn ihre Freundinnen vorbeikamen und sie somit von der Arbeit abhielten, aber er hatte nur den Kopf geschüttelt. »Ach was, solange deine Freundinnen meinen Umsatz ankurbeln, können sie bleiben, solange sie wollen. Wenn sie nett anzusehen sind, lockt das potenzielle Verehrer an, und die geben gewöhnlich etwas mehr Trinkgeld.« Marlene wusste, dass Max ein Auge auf Toni geworfen hatte, musste bei diesem Gedanken allerdings schmunzeln. Sie hatte ihm nicht erzählt, dass ihre Freundin für das andere Team spielte. Soweit Marlene wusste, hatte Toni sich noch nie mit einem Mann eingelassen und auch noch nie einen Hehl aus ihrer Homosexualität gemacht.
Allerdings war Marlene immer davon ausgegangen, Max könnte sich zu Nora hingezogen fühlen. Wie so gut jeder Mann im Universum. Nora war der Inbegriff eines jeden feuchten Männertraums. Eine Figur wie ein Pin-up-Girl der Fünfzigerjahre, ein blauschwarzer Bob, der ihre himmelblauen Augen ungemein betonte. Dazu kam noch, dass Nora eine Intelligenzbestie war. Während Maya, Marlene und Toni mit Ach und Krach ein halbwegs passables Abitur abgelegt hatten, hatte Nora ihr Abi mit Bestnoten aus dem Ärmel geschüttelt.
»Jedem das seine«, antwortete Toni und steckte sich nochmal eine Erdnuss in den Mund. Angewidert verzog Marlene das Gesicht. Hatte Toni eine Ahnung, wie viele Hände regelmäßig dort hineingriffen?
»Aber zurück zum Thema. Verrätst du uns auch, warum du nicht anderweitig verhütest?«